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Eine Kindheit, genauer gesagt: die ersten zehn Jahre einer Kindheit, die in der mecklenburgischen Kleinstadt Grabow spielt und im Jahre 1934 beginnt - und damit knapp fünf Jahre vor dem Zweiten Großen Krieg des vorigen Jahrhunderts, der noch grausamer und verheerender war als der Erste Große Krieg. Das Leben der Autorin, von dem sie in verdichteter Form berichtet, begann wie im Märchen, in denen es auch nicht immer nur gut und gerecht zugeht. Und so hätten am Bett ihrer Geburt auch zwei Feen gestanden, heißt es im ersten Lebensgedicht – eine böse und eine gute. Was die böse Fee anrichtete, das glich die gute Fee wieder aus. Den kindlichen Erlebnissen des Erschreckens vor einem Gespenst in der schummrigen Zimmerecke und der ersten Liebe zu einem weißen Mann auf dem Balkon, einem Protest gegen eine Formulierung zur Feier der Silbernen Hochzeit der Eltern, wonach sie sich immer die Rosinen aus dem Kuchen gepuhlt hätten, folgen die Kindergartenbesichtigung, immer mal wieder Krankheiten und ein Wirbelwind-Foto zum vierten Geburtstag sowie Sonntagsspaziergänge. Bis dahin herrscht Frieden in der Kindheit des Mädchens. Doch eines Morgen Schreien und Tränen der Mutter nach dem Lesen der Zeitung – wieder ist Krieg. Das Mädchen erlebt eine ungekannt fassungslose Mutter und ahnt etwas ganz Schreckliches. Das Mädchen verzieht sich zum Spielen in die Nebenstraßen und hört dort von anderen Kindern, dass sie eigentlich gar keine richtige Mutter habe. Denn die sei tot. Und dann kracht eine Welt zusammen: das Mädchen hat jetzt zwei Mütter – eine im Himmel und eine auf der Erde. In alle friedlichen Augenblicke bricht immer wieder der grausame Krieg ein: Papa hört im Radio Frontberichte und Mama liest Gefallenenlisten in der Zeitung. Es folgen Fliegeralarme, Bombengeschwader und die Flucht in den kalten Keller. Da ist das Mädchen noch nicht einmal sieben Jahre alt. Später wird alles immer schlimmer: Immer häufiger treibt sie der Bombenalarm in den Keller. Und auch der Bruder, erst 18, muss an die Front. Sie wird ihn nie wiedersehen. Als das Mädchen zehn ist, kommt der Frieden und – die Russen und bleiben in Grabow. Danach passiert Schreckliches. Und Papa wird verhaftet und bleibt verschwunden. Außerdem wird das Mädchen zur Frau und betet inbrünstig: Lieber Gott, lass mich bitte, bitte nie erwachsen werden! Aber bei dem allgemeinen Schlamassel hatte der wohl kein Ohr frei. Es ist das Ende einer Kindheit zwischen Frieden und Frieden, unterbrochen durch einen Großen Krieg.
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Seitenzahl: 47
Veröffentlichungsjahr: 2015
Ingrid Möller
Blumengärten und Bomberstaffeln
Szenen einer Kindheit
ISBN 978-3-95655-577-0 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien 2014 in der edition NORDWINDPRESS, Straußberg.
Gestaltung des Titelbildes: Manfred Kubowsky unter Verwendung eines Gemäldes von Carl Larsson, Schweden
Fotos und Reproduktionen von Ingrid Möller
© 2015 EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Godern
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Pinnow
Tel.: 03860 505788
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.ddrautoren.de
Bei meiner Geburt
standen an meinem Bett
zwei Feen,
eine böse und eine gute.
Die böse
ließ meine Mutter sterben -
fast drei Wochen später,
die gute
aber gab mir
eine liebe neue Mutter.
Die böse quälte mich
mit Krankheiten, Unfällen,
Ohnmachten,
die gute hob mich
immer wieder auf.
Ein Mäuschen huscht durchs Zimmer.
Die Mutter mit ihrer Mäusephobie
springt kreischend auf Stuhl und Tisch.
Das Baby in seinem Körbchen lacht sich
kaputt.
Schnell wie gewohnt
will die Mutter aufstehn, fällt aber vor
Schmerz schreiend ins Bett zurück ...
Das Baby mit seinem Lachkoller
steckt beide an: erst Papa,
dann auch die Mutter -
und weg ist der Hexenschuss.
Nun schlaf schön, sagt die Mutter.
Das Kind weint, zeigt auf das Gespenst
in der schummrigen Zimmerecke.
Ach so, sagt die Mutter und nimmt den
weißen Kittel weg vom Haken am
schwarzen Ofen.
Gemütlich ist es in der Badewanne
mit dem Goldfisch aus Zelluloid
und den Wassergeschichten im Ohr
vom Schwamm, der mal ein Tier war
im großen weiten Meer.
Das Kind will nicht aus dem Wasser ...
Bis die Drohung kommt:
dann zieh ich den Stöpsel raus
und du rutschst durch den Abfluss!
Das zieht.
In der Ostsee dann quetscht das Kind
die Quallen aus
im Glauben, es seien Schwämme.
Eine kleine Welle im Rudower See
schubst das Kind um.
Fremde bringen es scheltend
der Mutter zurück.
Aber das kann doch gar nicht sein,
sagt die verdaddert,
sie hatte doch schon wieder
ihr Kleidchen an!
Noch wacklig auf den Füßen,
soll das Kind laufen lernen.
Als Hilfe gibt die Mutter ihm eine Kelle
in die Hand,
und fasst selbst an die Rührseite.
Das hilft.
Allerdings so gut, dass auch,
als die Mutter längst loslässt,
es ohne Kelle nicht geht.
Bei aller Mühe,
das Kind will nicht sprechen.
Die Zunge lösen, wie bei abzurichtenden
Dohlen?
Der Arzt schüttelt den Kopf.
Noch abwarten! Singen Sie ihr viel vor!
Und die Mutter singt:
Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh?
Das sind die lieben Entlein, die hab’n
keine Schuh...
Sie unterbricht sich:
ach, du verstehst es ja doch nicht!
Das Kind protestiert:
Pag-Pag Badde-Badde ne.
Auf der Straße begegnet ihnen ein
Sportwagen mit Zwillingen.
Aufgeregt ruft das Kind: Da! Dei vier
Babys!
Bei klirrendem Frost badet das Kind
seine Puppe in kaltem Wasser.
Die Puppe wimmert. Das Kind befiehlt:
Sei huig, Pulekopf! Das muss!
Wenn du auch sreist!
Hausputz.
Nein!, schimpft die Mutter laut vor sich
hin,
Schrecklich ist das! Nichts ist zu finden!
Alles durcheinander! Diese Möhl!
Da ertönt unter dem großen Esstisch
hervor ein hohes verzücktes Stimmchen:
Mag dern so ‘ne Möhl!
Der erste Mann, zu dem das Mädchen
verliebt aufsieht, viel größer als sie, steht
plötzlich auf dem Balkon.
Doch nicht lange dauert die Liebe,
denn er war ein Schneemann.
Papa liegt im Krankenhaus
nach einem Unfall.
Das Kind sieht sich um:
alles ist weiß, Wände, Decken,
Bettwäsche.
Doch was ist das?
Etwas Braunes krabbelt unter dem
Deckbett hervor.
Ein wuscheliger Teddybär!
Das Kind staunt wie auf dem Jahrmarkt,
wo jemand Blumensträuße aus dem
Nichts zaubert.
Zur Silberhochzeit der Eltern
bekommt das Kind ein Festgewand.
Das Kind prahlt:
Es ist ein blaues Sanftkleid
mit einer sülbernen Sleife
und die sieht danz lot aus.
Das Fest wird gefeiert,
eine Rede gehalten
über die 25 gemeinsamen Jahre,
die nicht immer leicht waren.
Das Kind horcht erst auf, als es heißt:
aber trotzdem habt ihr es verstanden,
euch immer die Rosinen aus dem
Kuchen zu puhlen.
Da meldet sich Protest:
Sowas darf man aber nicht!
Die ganze Stadt ist auf den Beinen,
denn es ist Königsschuss.
Auch die Mutter macht sich
und das Kind fein und nimmt
den älteren Bruder des Kindes mit.
Blasmusik tönt ihnen entgegen,
umso lauter, je näher sie kommen.
Da fasst sich der Junge ein Herz
und sagt:
meinetwegen müssen wir nicht zum
Schützengarten.
Ich kann den Lärm schon von hier
hören.
Entgeistert fragt die Mutter die beiden:
Ja, wollt ihr denn gar nicht hin?
Erleichtertes Kopfschütteln.
Sie kehren wieder um.
Wenn die Ladenglocke schrillt,
muss die Mutter die Hausarbeit
unterbrechen
und runter in die Drogerie.
Sie sagt dann schon mal seufzend:
na, dann musst du das weiter machen!
Das Kind nimmt es ernst
und puhlt mit seinen kleinen Fingern
die heißen Mandeln ab
oder es schreibt einen Brief zu Ende -
Zacken hoch, Zacken runter,
ohne mit der Tinte zu kleckern.
Zahnschmerzen.
Also zum Zahnarzt,
mit der Babypuppe unterm Arm.
Rauf auf den Stuhl, Mund auf, Bohrer
an.
Der Zahnarzt, verdächtig freundlich:
Wir stellen uns jetzt vor,
wir fliegen im Flugzeug.
Die Motoren werden immer lauter.
Das Kind spielt mit, bis der Bohrer
den Nerv trifft.
Dann befiehlt es: Nu’s kanug!
Und zu allem Übel hat die Puppe
unterwegs ihren rosa Häkelschuh
verloren.
Zu schnell auf den Beinen,
rutscht das Kind auf dem Läufer aus
und schlägt mit dem Hinterkopf
gegen die messerscharfe Waschtischkante.
Blut. Schmerzen. Großes Geschrei.
Auf dem Esstisch
näht der Arzt die Platzwunde.
Kindergartenbesichtigung.