Bocksgesang - Poul Anderson - E-Book

Bocksgesang E-Book

Poul Anderson

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Beschreibung

Der Sänger und die Maschine

In ferner Zukunft wird die Menschheit von dem GANZEN beherrscht, einem gigantischen Computer, der behauptet, die Seelen der Verstorbenen in sich zu speichern, um sie eines Tages wieder auferstehen zu lassen. Als die Frau des letzten Sängers, der sich noch an die alten Lieder erinnert, stirbt, zieht er los, um den GANZEN zu bitten, sie ihm wiederzugeben. Doch dafür verlangt der Computer einen hohen Preis …

Die Erzählung „Bocksgesang“ wurde mit dem Hugo und dem Nebula Award ausgezeichnet. Sie erscheint als exklusives E-Only bei Heyne und umfasst ca. 40 Seiten.

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Seitenzahl: 77

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POUL ANDERSON

BOCKSGESANG

Erzählung

Das Buch

In ferner Zukunft wird die Menschheit von dem GANZEN beherrscht, einem gigantischen Computer, der behauptet, die Seelen der Verstorbenen in sich zu speichern, um sie eines Tages wieder auferstehen zu lassen. Als die Frau des letzten Sängers, der sich noch an die alten Lieder erinnert, stirbt, zieht er los, um den GANZEN zu bitten, sie ihm wiederzugeben. Doch dafür verlangt der Computer einen hohen Preis …

Die Erzählung »Bocksgesang« wurde mit dem Hugo und dem Nebula Award ausgezeichnet. Sie erscheint als exklusives E-Only bei Heyne und umfasst ca. 40 Seiten.

Der Autor

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Titel der Originalausgabe

GOAT SONG

Aus dem Amerikanischen von Dr. Eva Malsch

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1972 by Mercury Press, Inc.

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Stardust

Drei Frauen. Eine ist tot. Eine lebt. Eine ist beide und keine und wird niemals leben und niemals sterben, wird unsterblich sein im GANZEN.

Ich warte auf einem Berg über jenem Tal, durch das die Hochstraße führt, bis Sie kommen wird. Der Frost begann früh in diesem Jahr, und die Gräser sind verblasst. Brombeersträucher wachsen auf dem Hang, wurden abgeerntet von Menschen und Tieren, tragen nur noch Dornen. Und dazwischen erheben sich bestimmte Apfelbäume, sehr alte Bäume, die Überlebenden eines Obstgartens, gepflanzt von einer Generation, an die sich niemand mehr erinnern kann außer der GANZHEIT (ich sehe ein paar Mauerfragmente, die hinter dem Gestrüpp aufragen). Und jetzt haben sich die Apfelbäume auf dem ganzen Hang ausgebreitet, wie von einer verrückten Hand verstreut, knorrig, auf verrückte Weise verkrümmt. Ein paar Früchte hängen an den Zweigen. Kälte streift meine Wangen, ein Windstoß schüttelt einen Apfel. Ich höre, wie er zu Boden fällt – ein Schlag irgendeiner ewigen Uhr. Das Gebüsch flüstert im Wind.

Die anderen Hänge ringsum sind bewaldet, leuchten in Scharlachrot, Messinggelb, Bronzebraun. Der Himmel ist riesig, die Sonne im Westen schimmert schwach. Ein immer tieferes Blau erfüllt das Tal, ein Schleier, dessen rauchige Nebel mir in die Nase steigen. Dies ist der Altweibersommer, der letzte Scheiterhaufen des Jahres.

Es gab andere Jahreszeiten, andere Lebenszeiten vor der meinen und der ihren. Und in jenen Tagen hatte man Worte, die man singen konnte. Doch wir vergönnen uns immer noch Musik, und ich habe viel Zeit darauf verwendet, meine neu entdeckten Worte mit Musik zu umhüllen. »Im grünsten Grün der Maienzeit …« Ich nehme meine Harfe von der Schulter, stimme sie, und dann singe ich in den Herbst und in den schwindenden Tag hinein:

»Du kamst, und mit dir kam die Sonne,

Und über dir vergolden sich grüne Triebe.

Und die Schwertlilien strahlen vor Lachen,

Und das Mädesüß zittert vor Liebe.«

Schritte bewegen das Gras, ganz sanft, und die Frau versucht zu lächeln und sagt: »Oh, danke!«

Einmal, so kurz nach dem Tod meiner Liebsten, dass ich immer noch wie betäubt war, stand ich in dem Haus, das wir bewohnt hatten. Es war im hundertsten Stock eines bezaubernden Gebäudes. Nach dem Einbruch der Dunkelheit leuchtete die Stadt für uns, funkelte, glitzerte, sandte ungeheure Strahlen aus wie Banner. Nichts außer dem GANZEN hätte den Glühwürmchentanz der Millionen Luftautos rings um die Türme inszenieren, die ganze Stadt, die Atomkraftwerke, die automatisierten Fabriken, die physikalischen und ökonomischen Verteilernetzwerke, die Hygiene, das Reparaturwesen, die Spezialdienste, das Erziehungswesen, die Kultur und Ordnung als immunen, unsterblichen Organismus erhalten können. Wir waren glücklich gewesen, weil wir diesem Organismus ebenso angehört hatten wie einander.

Aber an jenem Abend trug ich der Küche auf, das Essen, das sie für mich gekocht hatte, in den Abfallschacht zu werfen, zertrat die chemischen Trostspender, die mir das medizinische Kabinett zur Verfügung gestellt hatte, trat nach dem Reinigungsautomaten, als er Ordnung machen wollte, befahl allen Lichtern in unserer Suite zu erlöschen. Ich stand an der Sichtwand, blickte hinaus auf die Großstadt, und sie erschien mir geschmacklos. Ich hielt die kleine Tonfigur in den Händen, die »sie« gemacht hatte, und drehte sie hin und her.

Aber ich hatte vergessen, der Tür zu verbieten, Besucher einzulassen. Sie erkannte diese Frau und öffnete sich. Die Frau war mit der freundlichen Absicht gekommen, mich aus meiner düsteren Stimmung zu reißen, die ihr unnatürlich erschien. Ich hörte sie eintreten, wandte mich um und blickte ihr durch das Dunkel entgegen. Sie war fast ebenso groß wie mein Mädchen, hatte ihr Haar so frisiert, wie es mein Mädchen oft getan hatte, und die Figur fiel mir aus den Händen und zerbrach, weil ich sekundenlang gedacht hatte, sie wäre mein Mädchen. Seither fällt es mir schwer, Thrakia nicht zu hassen.

Heute Abend würde ich diesen Fehler nicht machen, trotz des schwachen Lichtes, das die untergehende Sonne ausstrahlte. Nichts außer dem Silberarmband an ihrem linken Handgelenk spricht von unserer gemeinsamen Vergangenheit. Sie trägt die Kleider der Wildnis – Stiefel, einen Kilt aus echtem Pelz und einen Gürtel aus echtem Leder, ein Messer an der Hüfte, ein Gewehr um die Schulter geschlungen. Ihre zerzausten Locken schimmern matt, ihre Haut ist braun von Wind und Wetter. Narben und Schmutzflecken zeigen sich unter der bunten, fantastischen Zickzackbemalung. Eine Kette aus Vogelschädeln hängt um ihren Hals.

Doch jene Tote war viel eher ein Kind der Bäume und Horizonte als Thrakias Anhängerin. Sie war im Freien zu Hause und brauchte die Kleider und die Sauberkeit, die Vernunft und Sanftmut nicht abzulegen, wenn uns die Städte krank gemacht hatten, wenn wir sie verließen. Auf diese Eigenart stimmte ich die Namen ab, die ich ihr gab – Waldkitz oder Hirschkuh oder, inspiriert von meiner Lektüre alter Bücher, Dryade und Elfe. (Sie liebte es, wenn ich Namen für sie auswählte, und dieses Vergnügen fand kein Ende, denn in dieser Hinsicht war sie unerschöpflich.)

Meine Harfenmusik verklingt, und ich wende mich um und sage zu Thrakia: »Ich habe nicht für dich gesungen. Für niemanden. Lass mich allein.«

Sie holt tief Atem. Der Wind spielt mit ihrem Haar und trägt einen Geruch zu mir – nicht weibliche Süße, sondern Furcht. Sie ballte die Fäuste. »Du bist verrückt.«

»Wo hast du dieses bedeutungsschwere Wort ausgegraben?«, spottete ich. Denn mein eigener Schmerz und – um ehrlich zu sein – meine eigene Angst müssen sich irgendwo abreagieren – und da steht sie. »Gibst du dich mit ›rastlos‹ und ›labil‹ nicht mehr zufrieden?«

»Dieses Wort habe ich von dir«, sagt sie herausfordernd. »Du und deine verdammten archaischen Gesänge! Das ist ein anderes Wort – ›verdammt‹. Wie gut es zu dir passt! Wann wirst du mit diesem morbiden Unsinn aufhören?«

»Wann werde ich mich in eine Klinik begeben und mein Gehirn restaurieren lassen? Noch lange nicht, Liebling.« Dieses letzte Wort benutze ich mit Vorbedacht, aber sie kann nicht wissen, wie viel Verachtung und Trauer ich damit verbinde, da ich diesen Namen für mein Mädchen hätte wählen können. Die offizielle Grammatik und Aussprache einer Sprache sind genauso erstarrt wie alle anderen Aspekte unserer Zivilisation, dank der elektronischen Akten und der neuronischen Bildung. Aber die Bedeutungen ändern sich, gleitend wie subtile Schlangen. (O du Viper, die du mein Fohlenfüßchen gebissen hast!)

Ich zucke mit den Schultern und sage mit meiner trockensten technologischen Städterstimme: »Im Grunde bin ich praktisch veranlagt und keineswegs morbid. Statt vor meinen Gefühlen davonzulaufen – via Drogen oder Nerventherapie oder künstlicher Barbarei, wie du sie demonstrierst. Ich werde einen konkreten Plan durchführen, um zu dem Menschen zurückzukehren, der mich glücklich gemacht hat.«

»Willst du Sie auf Ihrem Heimweg stören?«

»Jeder hat das Recht, mit einem Bittgesuch an die Dunkle Königin heranzutreten, solange Sie auf Erden ist.«

»Aber der richtige Zeitpunkt ist abgelaufen …«