Brehm 46 - Ulrike Reinker - E-Book

Brehm 46 E-Book

Ulrike Reinker

4,9

Beschreibung

»Als ich endlich in meinem Bett lag, ging es mir nicht gut. Bis ich Tom spielen hörte. Ich ging in die Küche und setzte mich lautlos zwischen die Klänge.« Ein altes Mietshaus an einer stark befahrenen Straße im Norden Düsseldorfs. Elf verkrachte Existenzen jeden Alters, die unter einem Dach in verschiedenen Welten leben und von hier aus ihrer Wege ziehen. Eine alte schrullige Dame ist das Herzstück dieses Hauses. Sie lebt seit sechzig Jahren hier und hat alles im Griff. Bis ihr alles entgleitet. Eine junge und schwangere Kunststudentin, ein achtzehnjähriger schwuler Moslem und sein heterosexueller Freund, eine einsame Linke mit ihrer Tochter, eine alte Schachtel und deren Schwester, ein Knutschpärchen und eine Schauspielerin, die ihren Lebensunterhalt als Porno-Synchronsprecherin verdient. Die Geschichten begegnen sich im Treppenhaus. Abwegig, verrückt, schrecklich und komisch. Also alles ganz normal.

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Seitenzahl: 307

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Inhaltsverzeichnis
Cover
Ulrike Reinker - Brehm 46
Motto
Prolog
5. OG, Nadja
4. OG, Enis c/o Paul
3. OG, Rote Ute
2. OG, Frau Althaus
1. OG Manu und Matthes
Erdgeschoss, Claudia Havelmann
Epilog
Die Autorin
Danksagung
Impressum
Lesetipps

Guess whose living here With the great undead This paint-by-numbers life Is fucking with my head Once again

Mark Oliver Everett, eels

Prolog

Die Brehmstraße ist die Nord/Süd-Einfallachse Düsseldorfs.

Sie verläuft in rücksichtsloser Geradlinigkeit vom Mörsenbroicher Ei bis zum Brehmplatz. Vier Spuren, auf denen der Verkehr Richtung Innenstadt brandet. Dazwischen quälen sich die Straßenbahnen behäbig lärmend durch ihren Arbeitstag, der um 5 Uhr in der Frühe beginnt und gegen Mitternacht endet. Dann kehrt ein wenig Ruhe ein auf der Brehm.

Die Häuser, die sich rechts und links der Straße ducken, haben es schwer, ihren Fassadenanstrich zu behaupten. Die Abgase der Laster und Pkws, die täglich an ihnen vorbeiziehen, hinterlassen eine schwarzgraue Patina bis zu den dritten Etagen.

Die rötlich grauen Backsteingebäude, die fast alle in der typischen Billigbauweise der späten zwanziger Jahre hochgezogen wurden, wirken untenherum noch ein bisschen grauer.

Die Straße kommt ohne Bäume aus. Nur am Ende der Brehm gibt es einen mittelgroßen Park, den Zoopark.

Ein paar Kinder und viele Hunde erfreuen sich dieser kleinen grünen Oase, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Jetzt ist der Park in beklagenswertem Zustand. Keiner kümmert sich darum.

Die Hauptattraktion der Brehmstraße ist das Düsseldorfer Eisstadion, das knapp vor dem Park unansehnlich klotzt. Immerhin ist es die Trainingsstätte der DEG und gilt als traditionsreichstes Eisstadion Deutschlands.

Schräg gegenüber lungert das Haus mit der Nummer 46 herum. Es ist ebenso schmutzig rot wie die meisten anderen. Man könnte es verwechseln.

5. OG, Nadja

Die Vorhänge gefallen mir nicht. Ich schiebe sie noch ein bisschen mehr zur Seite und schaue durch die verdreckte Einfachverglasung nach draußen.

Auf dem Fenstersims heben sich zwei aufgeplusterte Tauben vor einem neblig grauen Oktoberhimmel ab. Die Tiere sind langsam. Sie erschrecken sich ungefähr zwei Sekunden, nachdem ich den Vorhang bewegt habe, und erheben sich erstaunlich behände. Dann fliegen sie in unterschiedlichen Richtungen davon.

Auf dem gegenüberliegenden Balkon hängt eine kleine fluchende Frau große weiße Wäschestücke über eine ausgeleierte Leine. Ich frage mich, wie lange die Wäsche bei vier Grad plus und nebulösem Nieselregen brauchen wird, bis sie trocken ist. Die gegenüberliegende Häuserzeile ist so weit weg, dass die Frau in etwa so groß ist wie mein Daumen.

Von den kleinen Gärten, die zwischen den Häusern vor sich hin wildern, sehe ich von hier oben aus nur einen winzigen regennassen Ausschnitt.

Ich wundere mich, dass ich das Fluchen der Frau trotz der Entfernung so gut verstehen kann. Der Innenhof scheint wie ein akustischer Trichter zu wirken. Seit ich Tom kenne, habe ich ein wenig Ahnung von akustischen Gesetzmäßigkeiten.

»Tja, die Vorhänge können Sie ja sofort abhängen«, sagt der Vermieter, Herr Blumfeld. Er ist zu mir ans Fenster getreten und sieht, wie ich mit leichtem Unbehagen den klebrig rauen, uringelben Stoff berühre.

»Frau…äh…Jetzt ist mir Ihr Name entfallen.«

Er räuspert sich verlegen und kratzt das obere seiner beiden Kinns.

Herr Blumfeld hat diese Altersuntersetztheit, ohne dick zu sein. Er ist um die siebzig, schätze ich. Sein schütteres graues Haar ist pomadig knapp über dem linken Ohr gescheitelt und zur anderen Seite gekämmt. Seine Augen fixieren mich klein und listig hinter den dicken Gläsern seiner Designerbrille. Er ist auffallend teuer gekleidet.

Die teure Kleidung kann nicht gegen seinen Mundgeruch anstinken. Merkwürdig. Er ist Arzt. Warum unternimmt er nichts dagegen?

Ich drehe mich leicht von ihm weg zum Fenster.

»Nadja Paul ist mein Name«, erinnere ich ihn schließlich.

»Ja, richtig. Also, Frau Paul, wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, die Wohnung wird genauso übergeben, wie sie ist. Die Möbel müssten Sie entweder übernehmen oder selbst entsorgen.«

Ich taste mit meinen Blicken die Wohnung ab. Die ist ganz o.k.

Es gibt ein großes und ein kleines Zimmer. Die Zimmer sind selbst an diesem trüben Tag relativ hell, obwohl die Dachfenster nur ca. A2 groß sind. Das ist sehr wichtig für mich, ich brauche Licht zum Malen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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