Bright Falls 3. Iris Kelly Doesn't Date - Ashley Herring Blake - E-Book

Bright Falls 3. Iris Kelly Doesn't Date E-Book

Ashley Herring Blake

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Beschreibung

Fake Dating vom Feinsten – humorvoll und prickelnd! Um Iris Kelly herum sind alle verliebt. Und sie freut sich für jeden von ihnen. Wirklich. Schließlich hat sie ja eine Karriere als Romance-Autorin gemacht. Leider sind ihr dabei die Ideen fürs Dating ausgegangen. Ein Abend in einer Bar mit einer sexy Fremden namens Stevie entwickelt sich zum schlimmsten One-Night-Stand, den Iris je hatte. Um sich abzulenken, bewirbt sie sich bei einer Theatergruppe - und trifft dort Stevie wieder. Diese bittet Iris, ihre Freundin zu spielen. Iris willigt skeptisch ein. Während die beiden so tun, als seien sie ein Paar, fängt es zwischen ihnen gewaltig zu knistern an. Und bald geht es nur noch darum, wer den ersten Schritt macht... Die prickelnde RomCom lässt die Herzen von New-Adult-Fans ab 16 Jahren höher schlagen. Der dritte Band der "Bright Falls"-Reihe von Ashley Herring Blake erzählt eine witzige und gefühlvolle LGBTQIA+-Story mit dem beliebten Trope "Fake Dating". Eine smarte und humorvolle Romance über die Liebe zwischen zwei Frauen, die Leser*innen begeistern wird. Iris Kelly doesn't date: Band 3 der erfolgreichen Reihe "Bright Falls" - Gefühle, Liebe und LGBTQIA+: Eine prickelnde Romantic Comedy für Leser*innen ab 16 Jahren. - Voll im Trend: Humorvolle Gay Romance mit dem beliebten Trope "Fake Dating". - Witzig und gefühlvoll: Eine New-Adult-Romance über die Wendungen des Lebens und die Magie der Liebe. - Die TikTok-Sensation: Band 3 der "Bright Falls"-Reihe von der amerikanischen Bestsellerautorin Ashley Herring Blake, die einen TikTok-Hype ausgelöst hat. - Genial ausgestattet in der Erstauflage: Softcover mit Klappen, trendig illustriertem Buchschnitt und coolem Lesezeichen zum Abtrennen.Die Romance für junge Frauen erzählt eine witzige und gefühlvolle LGBTQIA+-Geschichte über Iris Kelly und ihren desaströsen One-Night-Stand. Eine spicy RomCom für alle Fans von Alice Oseman und Casey McQuiston, die beweist, dass die Liebe oft dort zu finden ist, wo man sie am wenigsten erwartet.  

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Über dieses Buch

Eine toughe Autorin, die nichts von der Liebe hält.

Eine schüchterne Schauspielerin, der Sex Angst macht.

Ein verhängnisvoller Deal, der alles verändert.

 

Alle um Iris Kelly herum sind verliebt. Und sie freut sich für sie, wirklich, auch wenn sie mit Liebe nichts anfangen kann. Ironischerweise startet sie gerade als Romance-Autorin durch. Doch seit ihrem Debüt sind ihr die romantischen Ideen ausgegangen. Nach einem katastrophalen One-Night-Stand sucht Iris Ablenkung und bewirbt sich für ein lokales Theaterstück. Dort steht ihr prompt Stevie, die Fremde aus jener Nacht, wieder gegenüber. Plötzlich fleht sie Iris an, ihre Freundin zu spielen. Widerwillig stimmt Iris zu, um ihre Kreativität anzukurbeln. Während sie das verliebte Paar mimen, knistert es gewaltig zwischen ihnen und bald geht es nur noch darum, wer den ersten Schritt macht …

 

 

 

Für Meryl und Brooke

1Iris

Iris Kelly war verzweifelt.

Sie hielt auf den Stufen der Veranda ihres Elternhauses inne, wo das Abendlicht der Junisonne fedrig über das blau gestrichene Holz fiel, und holte ihr Handy aus der Tasche.

 

Tegan McKee war verzweifelt.

 

Rasch tippte sie die Worte in ihre Notizen-App und starrte auf den blinkenden Cursor.

»Weshalb verzweifelt, du kleines Biest?«, fragte sie laut und wartete darauf, dass sich etwas in ihrem Gehirn einnistete – einfach irgendetwas, das sich nicht übertrieben und abgedroschen anfühlte. Aber nichts passierte. Ihr Verstand war wie ein erschreckend unbeschriebenes Blatt, nichts als durchgehendes Rauschen. Genervt löschte sie den Satz und ließ nur den Namen stehen.

Das war alles, was sie für ihr Buch hatte: einen Namen. Einen Namen, den sie liebte. Einen Namen, der sich richtig anfühlte. Einen Namen, den Tegans beste Freundinnen natürlich zu Tea abkürzen würden. Was auch sonst! Aber trotzdem nichts als einen Namen. Was bedeutete, dass Iris von ihrem zweiten Liebesroman – ihre Agentin saß ihr deswegen schon im Nacken, ihre Verlegerin hatte ihn bereits gekauft und bezahlt, und ihre Lektorin erwartete ihn in zwei Monaten in ihrem Posteingang – noch kein einziges Wort geschrieben hatte.

Was bedeutete, dass Iris Kelly diejenige war, die verzweifelt war.

Nachdenklich blickte sie zur Haustür ihrer Eltern. Angst machte sich in ihrem Magen breit und ersetzte die kreative Panik. Sie wusste, was sie in diesem Haus erwartete, und es würde kein Spaß werden. Vielleicht der Zahnarzt ihrer Mutter? Nein, nein, eher ihr Gynäkologe. Oder – falls Iris so richtig Glück hatte – irgendein armer Trottel, der noch weniger hier sein wollte als sie selbst. Denn wenn Maeve Kelly sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war Widerstand zwecklos. Und Iris und besagter Trottel würden sich gegenseitig über die Absurdität ihrer Situation hinwegtrösten müssen.

Vielleicht konnte sie daraus ja etwas machen.

Tegan McKee hatte ein Date. Allerdings war das weder geplant, noch konnte sie sich daran erinnern, dass jemand sie darum gebeten hatte.

Iris blieb mit einem Fuß auf der untersten Stufe der Eingangstreppe stehen und öffnete erneut ihre Notizen-App. Das war gar nicht mal so schlecht …

»Schatz?«

Iris riss den Blick von ihrem höllisch blinkenden Cursor los – Warum zur Hölle willst du nicht auf ein Date gehen, Tegan? – und setzte ein Lächeln auf. Ihre Eltern standen in der offenen Tür, die Arme umeinandergelegt, und verströmten ein Eheglück, das ihre Gesichter im Sommerlicht leuchten ließ.

»Hey«, sagte Iris und steckte ihr Handy weg. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Mom.«

»Danke, Schatz«, erwiderte Maeve. Ihre roten, von grauen Strähnen durchzogenen Locken fielen ihr ins Gesicht. Sie war eine mollige Frau mit weichen Armen und Hüften und einem üppigen Busen, den Iris geerbt hatte.

»Sie wird jedes Jahr schöner«, verkündete Iris’ Dad und küsste seine Frau auf die Wange. Liam war groß und schlank, mit blassrotem Haar, das die glänzende kahle Stelle auf seinem Kopf umrahmte.

Maeve kicherte, und dann durfte Iris ihren Eltern beim Knutschen zugucken, wobei Liams Zunge aufblitzte und seine Hand nicht gerade unauffällig zu Maeves Hintern wanderte.

»Himmel, ihr zwei«, stieß Iris hervor, stapfte die Treppe hinauf und wandte den Blick ab. »Könnt ihr das nicht wenigstens lassen, bis ich im Haus bin?«

Ihre Eltern lösten sich voneinander, grinsten aber weiterhin breit.

»Was soll ich sagen, Liebes?«, lachte Liam, dessen irischer Akzent auch nach vierzig Jahren in den Staaten noch immer ausgeprägt war. »Ich kann meine Hände einfach nicht von dieser Frau lassen!«

Weitere Knutschgeräusche ertönten, aber Iris war schon an den beiden vorbei und betrat das Haus. Ihre jüngere Schwester Emma erschien mit ihrem vier Monate alten Sohn Christopher, der unter einem Wickeltuch versteckt war. Was wohl bedeutete, dass das Baby an einer von Emmas Brüsten hing.

»Gott, knutschen sie schon wieder?«, fragte Emma und deutete mit dem Kinn in Richtung Eingangstür, wo Maeve und Liam sich gegenseitig Koseworte ins Ohr flüsterten.

»Haben sie jemals damit aufgehört?«, konterte Iris und hängte ihre Tasche an den Haken im Eingangsbereich. »Wenigstens lenkt es Mom ab von ihren …«

»Ach, Iris!«, rief Maeve in diesem Moment und zog ihren Mann an der Hand ins Haus. »Es gibt da jemanden, den ich dir vorstellen möchte.«

»Fuck«, murmelte Iris, und Emma grinste.

»Nicht fluchen, Iris!«, mahnte Maeve und hakte sich bei Iris unter.

»Muss nicht dringend eine Windel gewechselt werden?«, fragte Iris, als ihre Mutter sie zur Hintertür schleifte. »Oder eine Toilette geschrubbt? Ach, Moment, da fällt mir gerade ein, ich muss zum PAP-Abstrich …«

»Hör auf damit«, forderte Maeve und zog sie weiter. »Zach ist total nett.«

»Na … wenn er nett ist«, sagte Iris.

»Er ist mein Spinningkurs-Trainer.«

»Oh, fuckity fuck.«

»Iris Erin!«

Maeve schob sie auf die Terrasse hinter dem Haus, und kurz darauf fand Iris sich neben Zach wieder – der nur knapp dreißig Minuten brauchte, um die Vorteile von CrossFit anzupreisen.

»Man weiß nie, wie weit der eigene Körper gehen kann …, wozu er in der Lage ist …, bis man ihn an seine Grenzen bringt«, sagte er.

»Mm.« Das war alles, was Iris darauf erwiderte. Sie trank einen Schluck Cola light, verfluchte innerlich die Angewohnheit ihrer Mutter, den Wein für das Essen aufzuheben, und sah sich nach Rettung um.

Liam stand schweigend am Grill, und alles an seiner Haltung sagte: Das geht mich nichts an – also würde er ihr absolut keine Hilfe sein. Iris liebte ihren Vater, aber für seine Frau tat dieser Mann einfach alles und setzte Himmel und Hölle in Bewegung. Was bedeutete, dass Maeve ihre Tochter fast bei jedem Familientreffen mit diesen »Dates« überrumpelte und Liam einfach nur lächelte, Maeve auf die Wange küsste – oder zehn Minuten lang mit ihr knutschte, je nachdem – und sie fragte, was er für besagten Anlass grillen solle.

Ihre Schwester saß Iris gegenüber am Terrassentisch, das rote Haar zu einem vernünftigen Marketingagentur-Managerinnen-Bob geschnitten, und sah sich die ganze Situation grinsend an. Emma fand die Verkupplungsversuche ihrer Mutter urkomisch, und sie wusste genau, dass Iris im Leben nicht auf jemanden abfahren würde, den Maeve angeschleppt hatte.

Hauptsächlich deshalb, weil Iris seit über einem Jahr niemanden mehr gedatet hatte.

»Hast du schon mal HIIT gemacht?«, fragte Zach jetzt. »Man hat zwar immer das Gefühl, dabei zu sterben, aber der Kick danach …«

Emma schnaubte belustigt und kaschierte dann ihr Lachen dadurch, dass sie ihrem Neugeborenen den Rücken tätschelte.

Iris kratzte sich mit ihrem Mittelfinger an der Wange.

Währenddessen rannte Aiden, Iris’ Bruder und der Älteste der drei Kelly-Geschwister, knurrend wie ein Bär durch den Garten und jagte seine beiden siebenjährigen Töchter Ava und Ainsley im goldenen Abendlicht. Iris überlegte ernsthaft, mitzumachen – Fangen war die deutlich bessere Abendunterhaltung als dieser zehnte Kreis der Hölle.

Natürlich hatte Iris all das erwartet. Erst letzten Monat hatte sie bei einem Familientreffen zur Feier von Aidens Umzug von San Francisco nach Portland beim Abendessen neben der Friseurin ihrer Mutter gesessen, einer reizenden Frau mit lavendelfarbenem Haar. Hilda hatte das Gespräch mit der Frage eröffnet, ob Iris ein Fan von Meerschweinchen sei. Daraufhin hatte Iris die nächste Woche damit verbracht, mindestens fünftausend Worte ihres Romans zu verschwenden, indem sie Tegan auf der Suche nach einem Meet cute durch eine Tierhandlung irren ließ. Aber irgendwann hatte sie die Idee dann doch verworfen und prompt ihrer Mutter die Schuld für die schreckliche Inspiration gegeben.

»Du weißt doch, dass dieses Zeug dich umbringt, oder?«, bemerkte Zach jetzt, deutete mit dem Kinn in Richtung ihrer Cola und lächelte schief, wobei er seine perfekten Zähne zeigte. Er war ein hellhäutiger Typ mit blondem Haar und blauen Augen, aber irgendwie auch ein wenig … orange. Iris musste sich einen Kommentar über Sonnenbänke und Hautkrebs verkneifen.

»Ja, versuch ruhig, sie dazu zu bringen, mehr Wasser zu trinken, Zach«, sagte Maeve, als sie mit einem Tablett voll selbst gemachter Gemüseburger für den Grill auf die Terrasse kam.

»Ich trinke fast ausschließlich Wasser«, verkündete er und stützte die Ellbogen auf die Knie, wobei er seine zugegebenermaßen beeindruckenden Bizepse anspannte. »Wasser und gelegentlich eine Tasse grünen Tee.«

»Nicht zu glauben«, murmelte Iris und trank noch einen Schluck Cola.

»Was hast du gesagt?«, fragte Zach und beugte sich zu ihr hinüber. Der salzig-kiefernholzige Duft seines Aftershaves überflutete sie – eher ein Tsunami als eine sanfte Welle –, und sie musste ein paarmal husten.

»Ich sagte ›Quiche und Trauben‹«, erwiderte sie. Dann klopfte sie auf den Tisch, stand auf und zupfte an ihrem grünen Pullover, der gerade eben ihre Taille bedeckte. »Ich glaube, wir brauchen noch welche.«

»Quiche und Trauben, Quiche und Trauben!«, riefen Ava und Ainsley zwischen Kichern und Quietschen vom Garten herauf, wo Aiden sie beide auf seine breiten Schultern gehievt hatte. Ihre langen kastanienbraunen Haare streiften fast über das Gras.

Aiden setzte die Mädchen auf der obersten Stufe der Terrasse ab, und Iris stürmte sofort zu den Zwillingen und ergriff ihre winzigen Hände. Dabei bewegte sie sich so schnell, dass sie wahrscheinlich wie ein Geier aussah, der sich vom Himmel herabstürzte. Aber ehrlich gesagt, war ihr das egal. Sie würde ihre süßen Nichten skrupellos benutzen, um sich aus dieser Situation zu befreien.

»Ich kann doch in die Küche gehen und noch mehr holen, Schatz«, bot Maeve an, drückte ihrem Mann den Teller mit den Burgern in die Hand und ging zurück zur Tür.

»Nein!«, rief Iris. Hastig setzte sie ein Lächeln auf und senkte die Stimme. »Ich schaff das schon, Mom. Du solltest dich etwas ausruhen.«

Entschlossen zog sie Ava und Ainsley mit sich, wobei sie so schnell lief, dass sie fast über ihre schlaksigen Beine gestolpert wäre. Doch es gelang ihr, sie alle drei heil ins Haus zu lotsen, ohne auf dem Boden zu landen, und dann bugsierte sie die beiden kleinen Mädchen mithilfe sorgfältig platzierter Kitzelattacken in die Küche.

Der Duft von frisch gebackenem Brot und Zucker schlug ihr entgegen. Emmas Mann Charlie stampfte mit sehnigen Unterarmen Kartoffeln in einer riesigen blauen Keramikschüssel, während Aidens Frau Addison – in einem Hemdkleid mit Gürtel und einer Rüschenschürze – Teigstreifen auf ein Gebäck legte, das wie ein Rhabarber-Erdbeer-Kuchen aussah. Der Anblick erinnerte Iris an ein verdammtes Norman-Rockwell-Kitschgemälde.

Iris winkte ihrem Schwager und ihrer Schwägerin kurz zu und entdeckte dann auf dem Hackblock die Wurst- und Käseplatte, die ihre Mutter bereits vorbereitet hatte. Schnell stopfte sie sich einen Cheddarwürfel in den Mund, verteilte anschließend einen Klecks Brie auf einem Sesamcracker und tauchte das Ganze in einen winzigen Edelstahlbecher mit Honig aus der Region.

»Langsam«, mahnte Addison, als die Zwillinge nach ihren eigenen Snacks greifen wollten. »Verderbt euch nicht den Appetit.«

Iris stopfte sich einen weiteren köstlichen, appetitverderbenden Würfel Glückseligkeit in den Mund. Addison war nett, und sie und Iris hatten sich immer gut verstanden, aber die Frau zog den Zwillingen noch immer die gleichen Outfits an, flocht ihnen die gleichen Zöpfe und führte einen Mom-Blog darüber, wie man im Haushalt Stil und Effizienz unter einen Hut brachte. Außerdem hatte sie einen winzigen langhaarigen Chihuahua namens Apple – abgestimmt auf ihren Bei-uns-sind-nur-Namen-mit-A-erlaubt-Haushalt.

Nicht, dass daran irgendetwas falsch gewesen wäre. Aber Iris, deren Wohnung aus einem Sammelsurium von nicht zusammenpassenden Möbeln bestand und in deren Nachttischschubladen jede Menge unterschiedlicher Sex Toys lagen, war sich nie ganz sicher, wie sie mit ihrer Schwägerin umgehen sollte. Vor allem dann, wenn sie ihren Kindern, die winzige Käsewürfel aßen, so einen Scheiß erzählte wie: »Verderbt euch nicht den Appetit.«

Demonstrativ nahm Iris einen weiteren Cracker und bestrich ihn extra dick mit Honig – der ihr praktischerweise den Mund zuklebte, als ihre Mutter mit leuchtenden Augen in die Küche stürmte und Iris anschaute.

»Und?«, fragte Maeve. »Was meinst du?« Hinter ihr drängten sowohl Aiden als auch Emma mit dem kleinen Christopher in den Raum.

»Ja, Iris, was meinst du?«, fragte Aiden grinsend und schob sich ein Stück Pfefferkäse in den Mund.

Iris funkelte ihn wütend an. Während ihrer Kindheit hatten Aiden und sie sich ziemlich nahegestanden. Er war nur zwei Jahre älter und arbeitete als Designer bei Google. Sie waren beide kreativ und neigten beide zum Träumen. Aber seit er Addison geheiratet hatte und Vater geworden war, sprachen sie kaum noch miteinander, außer bei Familienfeiern wie dieser.

Nicht, dass Iris es nicht verstanden hätte. Schließlich war er schwer beschäftigt. Er hatte eine Familie, Kinder, die er ernähren und zu verantwortungsvollen Menschen erziehen musste, eine Ehefrau. Er wurde gebraucht, während Iris in letzter Zeit viele Stunden damit verbrachte, an die Decke zu ihrem staubbedeckten Ventilator hinaufzustarren und sich zu fragen, warum zur Hölle sie nach der Schließung ihres Papierwarenladens im letzten Sommer jemals geglaubt hatte, dass Schreiben die richtige Berufswahl wäre.

»Was soll ich wozu meinen?«, fragte Iris und spielte die Unwissende.

»Ich finde ihn süß«, sagte Emma und schaukelte Christopher, der in ihren Armen döste, leicht hin und her. Er wand sich ein wenig, die faltigen Augen geschlossen, der Mund eine winzige bezaubernde Rosenknospe.

»Das war ja klar«, erwiderte Iris. Ihre Schwester war … Na ja, sie hatte ihr Leben einfach total im Griff. Schon immer. Sie war drei Jahre jünger als Iris, hatte mit vierundzwanzig den perfekten Mann geheiratet, sich mit sechsundzwanzig bereits zur Juniorchefin einer lukrativen Werbeagentur in Portland hochgearbeitet und mit siebenundzwanzig ein Kind bekommen. Zufälligerweise war dieser zeitliche Ablauf seit jeher ihr Plan gewesen – seit sie mit sechzehn das zweite Highschooljahr übersprungen und beim Aufnahmetest für die Uni mit 1600 Punkten ein perfektes Ergebnis erreicht hatte.

»Es ist nichts verkehrt daran, gesundheitsbewusst zu leben«, sagte Emma jetzt. »Ich glaube, so jemand würde dir guttun.«

»Ich kann mich selbst ernähren, Em«, entgegnete Iris.

»Wohl kaum«, sagte sie. »Was hast du gestern Abend gegessen? Chips? Lean Cuisine?«

Selbstverständlich waren Emma und Addison beste Freundinnen und Mitvorsitzende des Clubs der Perfekten-Frauen-die-alles-haben. Iris stellte sich vor, dass es sich dabei um eine elitäre Gruppe handelte, die sich in einer luxuriösen, passwortgeschützten Penthouse-Wohnung traf, wo sich alle Mitglieder gegenseitig die glänzenden Haare bürsteten und sich mit Namen wie Bunny und Miffy und Bitsy anredeten.

»Genau genommen …«, setzte Iris an und schob sich eine grüne Olive in den Mund, »habe ich mich von den unterdrückten Tränen verklemmter Frauen ernährt, die unbedingt mal wieder flachgelegt werden sollten, schönen Dank auch.« Sie warf Charlie einen Blick zu. »Nicht böse gemeint.«

Er lachte nur und schnitt Butterwürfel in die Kartoffeln, während Emma angewidert die Lippen verzog. Iris verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Im Gegensatz zu Aiden hatten Emma und sie sich nie besonders nahegestanden. Als Kind hatte Iris die Vorstellung, eine große Schwester zu sein, wirklich genossen. Und es gab unzählige Bilder von der kostbaren Emma – der Jüngsten, dem Überraschungssegen, dem Juwel in der Krone der Kelly-Familie –, auf denen sie in Iris’ Armen lag. Aber im Laufe der Jahre hatten sich ihre Rollen verschoben, und die Grenzen zwischen älterer und jüngerer Schwester waren verwischt, da Emma immer die passende Antwort, das korrekte Verhalten, die richtige Wahl zu kennen schien – einen Sekundenbruchteil vor Iris.

Falls Iris überhaupt darauf gekommen war.

»Also wirklich, Iris«, tadelte ihre Mutter, nahm Christopher und klopfte ihm auf den Rücken. »Dein Vater und ich machen uns Sorgen um dich«, fuhr sie fort. »So ganz allein in deiner Wohnung, keine Mitbewohnerin, kein fester Job, keine Freundin …«

»Partnerin.«

Ihre Mutter zuckte zusammen. Maeve und Liam Kelly, die beide einer irisch-katholischen Erziehung entkommen waren, hatten Iris’ Bisexualität immer mit offenen Armen und Herzen akzeptiert. Sie waren sogar so weit gegangen, sie mit Maeves queerer, Meerschweinchen liebender Friseurin verkuppeln zu wollen. Aber trotzdem fielen sie manchmal in die heteronormative Sprache zurück, zumal Iris’ Geschwister total hetero waren.

»Tut mir leid, Schatz«, sagte Maeve. »Partnerin.«

»Außerdem habe ich einen Job«, sagte Iris.

»Meinst du das Verfassen von diesen SEAs – oder wie auch immer du sie nennst –, die du gar nicht selbst erlebst?«, fragte Maeve.

Iris biss die Zähne zusammen. Bisher hatte niemand in ihrer Familie ihren ersten Roman gelesen. Er kam erst im Herbst heraus, und Iris’ Familienmitglieder waren nicht gerade typische Liebesroman-Lesende.

Fantasy, so hatte ihre Mutter das Genre genannt, als Iris als Teenagerin ihre Liebe zu diesen Büchern entdeckt hatte. »Echte Romantik erfordert Arbeit«, hatte sie gemahnt und Liam dann prompt die Zunge in den Hals gesteckt.

»HEAs, Mom«, berichtigte Iris. »Happily Ever After – glücklich bis ans Ende ihrer Tage.«

Maeve winkte ab.

»Scheißlangweilig bis ans Ende ihrer Tage«, bemerkte Aiden, holte ein paar Bier aus dem Kühlschrank und reichte Charlie eines davon.

»Daddy hat Scheiß gesagt!«, rief Ava.

Aiden zuckte zusammen, während Addison ihn anfunkelte.

»Syphilitisch bis ans Ende ihrer Tage«, sagte Charlie und öffnete sein Bier.

»Was ist Syphilis?«, fragte Avery.

Aiden lachte laut auf. »Septisch bis ans Ende ihrer Tage.«

»Aiden«, mahnte Addison.

»Leckt mich doch alle am Arsch«, sagte Iris.

»Iris!«, tadelte Addison in einem Tonfall, der an eine Schullehrerin erinnerte, und schickte ihre Töchter prompt aus der Küche.

»Ihr seid nicht besser als wilde Tiere, ihr alle«, sagte Maeve und hielt eines von Christophers kleinen Ohren zu. »Iris, wir wollen damit nur sagen, dass wir uns Sorgen machen, weil du so allein bist.«

»Es geht mir gut«, versicherte Iris. Ihre Stimme zitterte leicht, strafte ihre Worte Lügen. Aber genau das bewirkte ein derartiger Überfall durch die eigene Familie nun mal. Es ging ihr wirklich gut. Okay, sie hatte letztes Jahr ihren Papierwarenladen schließen müssen. Zwar entwarf und verkaufte sie ihre personalisierten Kalender nach wie vor über ihren Etsy-Shop, aber heutzutage kaufte kaum noch jemand Papierwaren. Als Iris die ersten digitalen Planer angeboten hatte, hatte sich das direkt negativ auf ihr Sortiment im Laden ausgewirkt. Die Entscheidung war ihr nicht leichtgefallen, aber das Ganze hatte auch aufregende Aspekte.

Nach ein paar Monaten, in denen sie sich etwas ziellos gefühlt hatte, fasste sie den Beschluss, sich im Schreiben von Liebesromanen zu versuchen. Sie hatte schon immer gern gelesen und träumte seit Langem davon, ein eigenes Buch zu schreiben. Und wie sich herausstellte, war sie eine ganz passable Autorin. Innerhalb kürzester Zeit verfasste sie eine Geschichte über eine vom Glück verlassene queere Frau, die in der New Yorker U-Bahn eine lebensverändernde Begegnung mit einer Fremden hatte und danach derselben Frau wieder und wieder an den unwahrscheinlichsten Orten in der ganzen Stadt begegnete.

Danach hatte Iris mehrere Angebote von Agentinnen erhalten, sich für Fiona entschieden – die perfekte Mischung aus rücksichtslos und fürsorglich – und Until We Meet Again an einen großen Verlag für Liebesromane verkauft, in Form eines Vertrags über gleich zwei Bücher. Zugegeben, sie hatte für den Roman keine extrem hohe Summe erhalten, aber sie besaß genug Rücklagen, um sich über Wasser zu halten, und ihre Etsy-Verkäufe brachten ebenfalls beständig Geld in ihre Kasse.

Aber natürlich hatte die Auflösung ihres Unternehmens ihre Mutter nur noch nervöser gemacht, was ihre Zukunft betraf. Maeve betrachtete das Schreiben eher als ein Hobby statt als einen festen Job. Und die Tatsache, dass Iris seit über einem Jahr niemanden mehr ernsthaft gedatet hatte, half auch nicht wirklich. Iris vermutete, dass ihre Mutter viele Stunden am Tag damit verbrachte, sich auszumalen, wie ihre Tochter eines Tages arm und allein sterben würde.

Iris dagegen empfand den eklatanten Mangel an Romantik in ihrem Leben als einfach wunderbar.

Kein Drama.

Keine gebrochenen Herzen von Partner*innen, die nicht damit zurechtkamen, dass Iris nicht heiraten oder Kinder haben wollte.

Keine Lügen von Leuten, die behaupteten, Iris sei das wundervollste Geschöpf, dem sie je begegnet seien – nur um dann von deren schluchzender Ehefrau zu erfahren, dass sie verdammt noch mal verheiratet waren und Kinder hatten.

Iris schüttelte die Erinnerung an das lügende, betrügende Arschloch Jillian ab, die letzte Person, die sie in ihr Herz gelassen hatte. Vor dreizehn Monaten. Seitdem hatte sie sich damit begnügt, über Romantik zu schreiben, und hatte Dates einfach aus der Gleichung gestrichen, zusammen mit tiefgründigen Gesprächen, dem Austausch von Handynummern und jeder Art von Szenario, das Platz für »Ich würde dich gern wiedersehen« ließ.

Wenn es nach Iris ging, gab es kein Wiedersehen. Kein zweites Date. Das, was Iris in den letzten Monaten mit Personen gemacht hatte, die sie über Apps und in Bars kennengelernt hatte, konnte man nicht mal als erstes Date bezeichnen.

Aber es war genau das, was Iris wollte.

Denn wenn sie ehrlich war, waren Liebesromane tatsächlich eine Fantasie. Nicht, dass sie das jemals ihrer Mutter gegenüber zugeben würde. Aber genau das gefiel ihr so sehr an diesen Romanen: Sie waren eine Flucht. Ein Urlaub von der harten Tatsache, dass nur null Komma eins Prozent aller Menschen auf dieser Welt tatsächlich ein echtes Happy End erlebten. Geschichten wie die ihrer Eltern, Liebesbeziehungen, die vierzig Jahre andauerten, Begegnungen von zwei Protagonist*innen, die nach einem internationalen Flug nach Paris versehentlich das Gepäck der anderen mitnahmen … dieser ganze Scheiß war nicht real.

Zumindest nicht für Iris Kelly.

Aber für Tegan McKee …

»Iris!«, rief Maeve, was Iris aus ihren Gedanken riss und den armen Christopher wach rüttelte.

»Himmel, tut mir leid«, sagte Iris, nahm ihrer Mutter Christopher ab und küsste sein kahles Köpfchen. Er streckte ihr eine Hand entgegen, zog an ihren langen Haaren. Iris blickte lächelnd auf ihn hinab. Er war wirklich verdammt süß.

»Siehst du?«, meinte Maeve und strahlte Iris an. »Ist es nicht wunderbar, ein Baby im Arm zu halten? Und jetzt stell dir nur mal vor, dein eigenes …«

»Oh mein Gott, Mom, hör auf«, stöhnte Iris und reichte Christopher an Emma zurück.

»Es tut mir leid, Süße«, sagte Maeve. »Aber ich will damit nur sagen, dass jemand, der bereit ist, sich auf eine feste Beziehung einzulassen, gut für dich sein könnte. Zach hat mir gesagt, dass er keine Lust mehr auf Dates hat.« Sie riss die Augen auf, als hätte sie gerade ein Staatsgeheimnis verraten. »Und du doch auch nicht!«

Iris rieb sich die Stirn. Wie üblich hatte ihre wohlmeinende Mutter genau neben das Schwarze getroffen. »Ich komme gut allein zurecht, Mom.«

»Ach, Schatz«, sagte Maeve und schaute sie mit großen Du-armes-Ding-Augen an. »Niemandem geht es allein gut. Sieh dir Claire und Astrid an. Sie sind jetzt glücklich, oder nicht?«

Iris runzelte die Stirn. »Nur weil beide eine Partnerin haben, die sie glücklich macht, heißt das doch nicht, dass sie vorher nicht glücklich waren.«

»Doch, genau das heißt es«, entgegnete Maeve, und Emma nickte. War ja klar. »Ich habe Astrid in den zwanzig Jahren, die ich sie inzwischen kenne, noch nie so oft lächeln sehen, wie seit sie mit Jordan zusammen ist.«

»Das ist nur typisch Astrid«, sagte Iris. »Sie ist mit einem Resting Bitch Face auf die Welt gekommen.«

»Da hast du recht«, bestätigte Aiden und betonte jedes Wort mit einem Möhrenstift, bevor er die Hälfte abbiss. Er kannte Astrid Parkers wilde Entschlossenheit nur zu gut. Schließlich hatte sie ihn in ihrem Highschool-Debattierteam niedergemacht, als er bereits in die elfte Klasse ging, sie aber noch die neunte besuchte.

»Und womit ich recht habe …«, setzte Maeve an, schnappte sich die zweite Hälfte des Möhrenstifts und warf ihn nach ihm, bevor sie ihren Besorgte-katholische-Mutter-Blick wieder auf Iris richtete. »… ist Folgendes: All dieses Herumtreiben, jede Woche ein Date mit einer neuen Person, das Hinauszögern des Erwachsenseins … all das ist nicht gesund. Es wird Zeit, endlich mal Ernst zu machen.«

Stille breitete sich in der Küche aus.

Endlich mal Ernst machen.

Iris hatte die eine oder andere Version dieses Satzes während ihrer gesamten Jugend gehört. Endlich mal Ernst machen – als sie in ihrem ersten Jahr an der Highschool vorübergehend von der Schule verwiesen wurde, weil sie sich in einer rappelvollen Cafeteria mit dem stellvertretenden Schulleiter über die völlig veraltete Kleiderordnung gestritten hatte. Endlich mal Ernst machen – als sie ihren Eltern erzählte, sie wolle bildende Kunst studieren. Endlich mal Ernst machen – als Iris davon träumte, aus den Kritzeleien in ihren Tagebüchern und Notizblöcken ein Geschäft für individuelle Planer zu machen. Endlich mal Ernst machen – während ihrer gesamten dreijährigen Beziehung mit Grant, als sie ständig Fragen über Heirat und Kinder ertragen musste.

Aber Iris mochte Sex. Sehr sogar. In den Augen ihrer Familie war sie promiskuitiv. Was trotz der Bemühungen ihrer Eltern um eine progressive Denkweise noch immer dazu führte, dass ihre Mutter den Mund verzog und die blassen irischen Wangen ihres Vaters sich so rot färbten wie sein Haar. Iris erzählte ihnen zwar nicht viele Details aus ihrem Privatleben, aber sie war auch nicht besonders gut darin, ihre Gefühle oder Meinungen für sich zu behalten.

»Schatz«, sagte Maeve jetzt, da sie Iris’ Schmerz offenbar bemerkte. »Ich möchte nur, dass du glücklich bist. Das wollen wir alle, und …«

»Ach, hier versteckt ihr euch«, sagte Zach, dessen blonder Schopf in der Tür auftauchte. Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans, die so eng saß, dass Iris sich wunderte, dass er einen Finger hineinzwängen konnte, ganz zu schweigen von fünf. »Kann ich bei irgendetwas helfen? Liam meinte, die Burger sind fast fertig.«

»Wunderbar«, sagte Maeve strahlend, klatschte einmal in die Hände und warf Iris einen bedeutungsvollen Blick zu. »Iris, würdest du bitte mit Zach den Tisch decken?«

Noch so eine Sache, die Iris nicht besonders gut beherrschte: Subtilität. Vielleicht lag es an einer Kindheit als mittleres Geschwister, einem Hang zur Theatralik oder der Unfähigkeit, endlich mal Ernst zu machen –, aber wenn ihre Mutter wollte, dass Iris und Zach ein Paar wurden, wie konnte sie ihr da widersprechen und ihr an ihrem Geburtstag ihren sehnlichsten Wunsch abschlagen?

»Klar, kein Problem«, erwiderte Iris. »Aber zuerst muss ich Zach eine sehr wichtige Frage stellen.«

Zach zog eine blonde Augenbraue hoch und grinste breit. »Ach ja? Was denn?«

Iris strich sich über die Haare und zupfte an einem der winzigen Zöpfe in ihren dunkelroten Locken – wie immer, wenn sie nervös war. Ein Tick, den ihre Mutter nur zu gut kannte.

Maeve legte den Kopf schräg.

Iris holte tief Luft.

Dann zog sie den Mondsteinring von ihrem linken Zeigefinger, ging auf ein Knie und hob Zach den Ring mit beiden Händen entgegen.

»Da wären wir wieder«, seufzte Aiden resigniert.

»Oh nein«, sagte Emma und kniff die Augen zu.

»Zach … wie auch immer dein Nachname lautet, den ich nach unserer Hochzeit mit Freuden als meinen eigenen annehmen werde«, sagte Iris feierlich. »Willst du mich heiraten?«

»Iris, um Himmels willen«, stöhnte Maeve und stützte den Kopf in die Hände.

»Äh …«, stotterte Zach und wich erst einen Schritt zurück, dann noch einen. »Was?«

»Brich mir nicht das Herz, Zachie«, säuselte Iris, riss die Augen weit auf und hob den Ring noch höher ins Licht.

»Iris, jetzt komm schon«, sagte Emma.

Hinter ihr hörte Iris, wie Charlie belustigt schnaubte.

»Ich … na ja …« Zach stammelte vor sich hin, und seine orange getönte Haut färbte sich rot. Er machte einen weiteren Schritt in Richtung Wohnzimmer, fischte sein Handy aus der Gesäßtasche und starrte blinzelnd auf das Display. »Oh. Wow. Wisst ihr was?«

»Du hast morgen schon sehr früh einen Termin?«, fragte Iris von ihrem Platz auf dem Parkettboden aus und schob die Unterlippe zu einem Schmollmund vor. »Ein familiärer Notfall?«

»Ja«, sagte er und deutete auf sie. »Ja, genau. Ich bin … Das war … ja.« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte so schnell durch die Haustür, dass eine mit Aftershave getränkte Brise die Farne im Eingangsbereich flattern ließ.

Das Geräusch der zuschlagenden Tür hallte durch die Küche, als Iris aufstand und in aller Ruhe ihren Ring wieder an seinen Platz schob.

Ihre Familie beobachtete sie mit teils amüsierten, teils genervten Mienen – was so ziemlich ihre gesamte Kindheit in einer einzigen Szene beschrieb. Die zerzauste, Nägel kauende Iris, die ihre üblichen Mätzchen machte.

Trotz dieses vertrauten Gefühls spürte Iris, wie ihre Wangen warm wurden. Doch sie zuckte nur die Schultern und griff nach einem weiteren Käsewürfel. »Er war wohl doch noch nicht bereit, sich auf eine feste Beziehung einzulassen.«

Ihre Mutter warf nur die Hände in die Luft und öffnete endlich – endlich! – eine Flasche Wein.

2Stevie

Adri und Vanessa knutschten.

Nicht, dass irgendjemand anderes, der im Bitch’s Brew mitten in der Innenstadt von Portland saß, es bemerkt hätte. Denn die beiden versteckten sich hinter einer abgenutzten Ausgabe von Viel Lärm um nichts. Aber Stevie erkannte die Zeichen: Adris blasse Finger umklammerten den orangefarbenen Einband etwas zu fest, und ihr meerjungfraugrünes Haar, das gerade noch über den Sichtschutz hinweg zu sehen war, wippte ganz leicht bei der Bewegung ihres … tja.

Was auch immer.

Stevie beobachtete das glückliche Paar von ihrem Platz hinter der Espressomaschine aus, die schwarze Schürze um die Taille gebunden, und wischte sich eine regenbogenfarbene Luftschlange aus dem Gesicht, während sie einen Flat White zubereitete. Bis vor etwa einem Jahr hatten Adri und sie genau das Gleiche gemacht und sich kichernd wie Teenagerinnen in Cafés geküsst, versteckt hinter dem jeweiligen Theatermanuskript, das sie gerade studierten.

»Ist Adri nicht extra hierhergekommen, um mit dir zu reden?«, fragte Ren jetzt. They saß an der Bar, zwei verschiedene Handys vor sich auf der Theke, dazu ein eleganter silberner Laptop und ein großes Glas Cold Brew.

Stevie zuckte die Schultern. »Ja, das dachte ich auch.«

Wobei sie es nicht dachte – sie wusste es definitiv. Adri hatte ihr am Morgen eine Nachricht geschickt und gefragt, ob sie im Bitch’s vorbeikommen könnte, damit sie sich während Stevies Pause unterhalten konnten. Zugegeben, das war nicht wirklich etwas Ungewöhnliches. Adri und sie waren noch immer Freundinnen. Beste Freundinnen. Aber Vanessa war seit einem Monat Adris neue Partnerin und zufälligerweise auch eine von Stevies besten Freundinnen. Ren, das vierte Mitglied ihrer kleinen queeren Crew, die sich während der Erstsemester-Einführungswoche am Reed College gefunden und sich auch in den darauffolgenden zehn Jahren nicht aus den Augen verloren hatte, nutzte das Bitch’s fast jeden Nachmittag als externes Büro.

Stevie wusste, dass diese Situation in queeren Communitys nicht ungewöhnlich war. In solch eng zusammengeschweißten Gruppen, die durch die schiere Anzahl und die gemeinsamen Erfahrungen zusammengehalten wurden, war es ziemlich normal, dass Freund*innen ein- oder zweimal miteinander geschlafen oder sich zumindest ein paarmal geküsst hatten.

Aber Stevie und Adri waren sechs Jahre lang zusammen gewesen, vom letzten Collegejahr bis … tja, bis vor sechs Monaten. Und obwohl Stevie zugestimmt hatte, als Adri sich trennen wollte, und alles einvernehmlich und zivilisiert abgelaufen war – und all dieser erwachsene Scheiß –, war Stevie nicht darauf vorbereitet gewesen, dass Adri mit einer der Personen ins Bett springen würde, auf deren Couch Stevie geschlafen hatte, als sie aus Adris Wohnung gezogen war.

Sie hätte sich damals für Rens Couch entscheiden sollen.

Aber Ren, Gott segne them, lebte in einer Luxuswohnung in Portlands teuerstem Viertel. Was bedeutete, dass their Wohnung kaum größer war als ein Toaster. Zwar makellos eingerichtet, mit feinster Bettwäsche und eleganten Möbeln, aber das Kingsize-Bett nahm das gesamte Schlafzimmer ein. Ren hatte nicht mal einen Nachttisch. Und ein einziges Zweiersofa mit einem Couchtisch bildete den gesamten Wohnbereich. Die Wohnung war typisch Ren, who entweder in hochwertige Sachen investierte oder lieber ganz darauf verzichtete.

Aber das war in Ordnung, denn Stevie hatte ihre eigene Wohnung gefunden, nur einen Block vom Bitch’s entfernt. Okay, auch mit achtundzwanzig arbeitete sie noch immer in diesem Café, zwischen irgendwelchen Vorsprechen und den Rollen, die sie tatsächlich bekam. Und das waren in letzter Zeit nicht gerade viele. Ihr letzter Job als Schauspielerin lag fast ein Jahr zurück: ein modernisiertes Remake von Bunbury – Eine triviale Komödie für ernsthafte Leute. Darin hatte sie Gwendolen gespielt und nach der Aufführung in Seattle gute Kritiken bekommen, aber null Komma null Interesse bei anderen Regisseuren geweckt.

Es brauchte wohl nicht extra betont zu werden, dass sie irgendwie in ihrer Alltagsroutine feststeckte. Ren, Pressesprecher*in eines ethischen Bekleidungsunternehmens, meinte, sie müsse einfach nur ihre eigene Marke neu definieren. Was zum Teufel das auch immer heißen mochte. Falls Stevie überhaupt eine Marke hatte, dann eine nicht gerade überwältigende Mischung aus Ängsten und kindlichen Träumen, von denen sie sich einfach nicht lösen konnte.

Echt inspirierend.

»Die beiden haben wirklich keine Klasse«, sagte Ren jetzt, mit einem Blick auf Adri und Vanessa, einen weißen Eingabestift an die Wange gedrückt und den Kopf elegant geneigt. Die teure Wohnung war nicht das einzig Makellose an Ren. They trug einen dreiteiligen grauen Anzug, eine violett-grüne Krawatte mit Paisleymuster und violette High Heels. Die schwarzen Haare – an den Seiten kurz und oben lang – waren so frisiert und hochgekämmt, dass Johnny Weir neidisch geworden wäre. Und auch das Make-up saß perfekt: silbrig-violetter Lidschatten, geschwungener Lidstrich, schimmernde lavendelfarbene Lippen. Ren war japanisch-amerikanisch, nicht binär, pansexuell und die mit Abstand coolste Person, die Stevie kannte.

Stevie lachte und schüttelte die lockigen Ponyfransen aus dem Gesicht. Sie wusste, dass Ren Adri und Vanessa genauso liebte wie sie. Aber es stimmte … Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn die beiden ihr mittägliches Knutschen woanders fortsetzen würden. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der Shakespeare-Sichtschutz für sie bestimmt war: Die zwei wollten wohl nicht vor der Ex Zärtlichkeiten austauschen. Aber dieser Versuch war nicht gerade von Erfolg gekrönt.

»Ist schon in Ordnung«, wiegelte Stevie ab, obwohl sie eigentlich das Gegenteil dachte.

Ren warf ihr einen Blick zu, mit der typischen Das-ist-doch-Bullshit-Miene.

Aber Stevie winkte ab und füllte den Vorratsbehälter mit weiteren glänzenden Espressobohnen. »Lass gut sein, Ren.«

»Okay, klar, was immer du sagst, Stefania.«

»Oh, du benutzt meinen vollen Namen«, sagte Stevie. »Dann stecke ich wohl in Schwierigkeiten.«

Ren zuckte die Schultern. »Ich werde auch deinen zweiten Vornamen benutzen, wenn du nicht endlich etwas mehr Rückgrat zeigst.«

Stevies Magen ballte sich zusammen, und sie wandte den Blick ab. Sie wusste, dass Ren es nicht so gemeint hatte. Schließlich verstand they besser als jede*r andere, dass Stevies Kämpfe mit ihrer generalisierten Angststörung sehr real waren. Aber Ren neigte dazu, die Dinge mit liebevoller Strenge anzugehen, was Stevie meistens noch nervöser machte.

Nicht, dass sie Ren das jemals sagen würde.

»Die beiden sind zusammen, Ren. Was soll ich deiner Meinung nach also tun?«, fragte sie.

»Ich möchte, dass du ein Date mit ins Empress bringst und them vor Adris Augen die Zunge in den Hals steckst«, erwiderte Ren ruhig und tippte auf their Handy herum. »Genau das solltest du meiner Meinung nach tun.«

Die Idee war so absurd, dass Stevie unwillkürlich lachen musste. Das Empress war Adris Theater, und sie alle liebten es heiß und innig: ein kleines, durchgehend queer besetztes Ensemble, bis hin zum Beleuchtungspersonal. Nach der Gründung hatte Stevie in fast jeder Produktion mitgespielt, aber vor etwa einem Jahr hatte sie dem Laientheater abgeschworen. Worüber Adri zwar nicht gerade glücklich gewesen war, aber sie hatte es verstanden. Denn wenn Stevie jemals von der Schauspielerei leben wollte, musste sie sich um größere Rollen, größere Theater und eine größere Bekanntheit bemühen. Aber dieses Vorhaben hatte sie in letzter Zeit nicht wirklich weitergebracht.

»Mit wem soll ich überhaupt rummachen?«, fragte sie jetzt, unfähig, sich zu entscheiden, was unerträglicher war – der Gedanke an ihre stagnierende Karriere oder ihr nicht vorhandenes Liebesleben.

»Schon mal was von Dating-Apps gehört?«, fragte Ren mit einem zuckersüßen Grinsen im Gesicht.

Stevie erschauderte.

»Eine Bar?«, schlug Ren als Nächstes vor.

Stevie tat so, als müsste sie sich jeden Moment übergeben.

Ren lachte. Sie wussten beide, dass Stevies Unterhaltungen mit Unbekannten meist schrecklich verliefen, geradezu katastrophal. Ihre extreme Ängstlichkeit führte dazu, dass ihr buchstäblich übel wurde. Und nichts löste dieses fantastische Symptom schneller aus als der Versuch, eine schöne Fremde zu bezirzen.

»Okay, also gut«, sagte Ren und nahm their Cold Brew, »aber irgendetwas muss passieren. Sonst wirst du für den Rest deines Lebens zusehen, wie ehemalige Geliebte an deinem Arbeitsplatz metaphorisch vögeln.« They zeigte mit dem Daumen auf Adri und Vanessa, die gerade mit solcher Begeisterung knutschten, dass das Drehbuch heruntergefallen war und Adris Hände sich in Vanessas glänzendem Haar verfangen hatten.

Stevies Magen, dieses Miststück, machte einen Satz. Dabei war es keineswegs so, dass sie Adri zurückhaben wollte. Definitiv nicht. Sie beide hatten sich schon lange vor der offiziellen Trennung auseinandergelebt, und tief in ihrem Inneren – verdammt tief in ihrem Inneren – freute sie sich für ihre besten Freundinnen, dass sie zusammen sein wollten.

Aber verdammt …

Nur ein einziges Mal wollte sie gern diejenige sein, die etwas tat, statt diejenige, die bloß zusah.

»Oh, verdammt noch mal.«

Stevie zuckte zusammen, als die Besitzerin von Bitch’s Brew neben ihr auftauchte. Effie war wie immer ganz in Schwarz gekleidet, und ihr starker Cockney-Akzent erweckte den Eindruck, als wäre sie ständig stinksauer.

Zugegeben: Dieses Mal war sie echt stinksauer.

»He, ihr zwei!«, rief sie in Adris und Vanessas Richtung. »Das hier ist kein verdammtes Bordell!«

Hektisch fuhren Adri und Vanessa auseinander. Vanessa fummelte an dem Theatermanuskript herum – offenbar war ihr gerade erst bewusst geworden, dass es ihr aus den Fingern geglitten war – und schlug es auf irgendeiner x-beliebigen Seite wieder auf. Adri lachte nur, wodurch sich in ihrer blassen Haut das Grübchen abzeichnete, das Stevie abends vor dem Schlafengehen immer geküsst hatte. Vollkommen ungerührt fuhr sie mit der Hand über ihr kinnlanges Haar. Ihr Lippenstift schimmerte wie üblich leuchtend rot, war jetzt aber rund um ihren Mund verschmiert.

Stevie tat so, als würde sie sich mit dem Handrücken über die Lippen wischen.

»Tut mir leid, Effie«, sagte Adri, verstand Stevies Hinweis und drückte sich eine Serviette an den Mund. »Du weißt ja, wie das ist.«

»’Nen Dreck weiß ich«, murmelte Effie und widmete sich erneut den verhedderten regenbogenfarbenen Lichterketten in ihren Händen. Eigentlich war die Einrichtung im Bitch’s Brew dunkel und gemütlich: Regale voller bunter Flaschen und Gläser, viele Topfpflanzen, alte Poster mit Rezepten für Kräuterhausmittel. Aber jetzt, da der Pride Month offiziell begonnen hatte, hatte Effie ihrer Queer-Hexe freien Lauf gelassen und den Laden in Regenbogenfahnen und -lichter getaucht. Dazu gab es auch saisonale Getränke wie den Pansexual Pistachio Cold Brew, den Ren gerade trank.

»Kannst du die bitte entwirren?«, forderte Effie Stevie auf und drückte ihr die Lichterketten in die Arme. »Und kümmer dich um deine Freundinnen. Ich übernehm jetzt die Bar.«

»Klar«, sagte Stevie, während Ren sie mit leicht zusammengekniffenen Augen musterte. Stevie warf them einen verwirrten Blick zu und kam hinter der Theke hervor. Effie war ihr Boss – was erwartete Ren von ihr? Dass sie sich mit einem herzlichen Fuck you weigerte? Ren hatte leicht reden: They hatte bereits their Traumjob, der ein sechsstelliges Gehalt und eine Bekleidungszulage umfasste.

»Hey«, sagte Adri, als Stevie sich dem Tisch der beiden näherte.

»Ist jetzt ein guter Zeitpunkt zum Reden?«, fragte Stevie.

»Ja, natürlich«, versicherte Adri. Aber an ihrem Tisch standen nur zwei Stühle, und auf einem davon saß Vanessa.

Für einen Sekundenbruchteil herrschte Stille.

Eine peinliche, für Stevies Leben mal wieder typische Stille.

Sie rückte ihr schwarzes T-Shirt zurecht und fühlte sich plötzlich zu schlicht und unpassend angezogen. Vanessa Rivero-Domínguez war die mit Abstand schönste Person, die Stevie – oder die meisten Menschen – je gesehen hatten. Sie hatte dunkles, unfassbar glänzendes Haar, hohe Wangenknochen, einen Mund, der aussah, als wäre er zum Schmollen gemacht, Disney-Prinzessinnen-Augen und eine üppige Figur, die sie zu kleiden verstand. Stevie hatte einmal live miterlebt, wie ein weißer Mann mittleren Alters mit dem Kopf gegen einen Laternenpfahl gerannt war, während er ihr nachgeschaut hatte.

Und natürlich hatte es nicht gerade zu Stevies Selbstwertgefühl beigetragen, dass sich Adris erste Freundin nach Stevie – deren eigene Garderobe hauptsächlich aus Secondhand-T-Shirts in Jugendgröße bestand, mit Aufdrucken wie Oak Elementary Believes Kindness Counts – als ihre göttinnengleiche beste Freundin entpuppt hatte.

Stevie räusperte sich.

»Oh, Shit, tut mir leid«, sagte Vanessa, stand auf und sammelte einen Stapel Papiere ein, den sie anscheinend benotet hatte, bevor sie mit ihrer Freundin rumgemacht hatte. Vanessa unterrichtete lateinamerikanische Literatur am Reed College und war damit eine weitere erwachsene Person in ihrer Vierergruppe – und ein literarisches Genie noch dazu. »Ich muss sowieso zum Campus zurück.«

»Bye, Babe«, sagte Adri und hob das Kinn für einen weiteren Kuss.

Vanessa folgte ihrer Aufforderung.

Stevie versuchte, Adris gepiercte Zunge zu ignorieren, die sich kurz in den Kuss mischte.

Dann flüsterte Vanessa: »Lass mich wissen, wie es läuft.«

»Mach ich«, flüsterte Adri zurück.

»Sei nett zu ihr«, wandte Vanessa sich an Stevie, während sie ihre Kuriertasche über eine Schulter schwang. Als sich ihr langes gewelltes Haar in deren Riemen verfing, schien es, als ob alle Gäst*innen im Café mit offenem Mund zusahen, wie Vanessa die glänzenden Strähnen befreite. »Sie ist verzweifelt.«

»Was?« Stevie runzelte die Stirn und blickte zwischen ihren beiden Freundinnen hin und her.

»Van«, seufzte Adri. »Ich hatte vor, sie zuerst mit einem Scone oder so zu bestechen.«

»Stevie kriegt ihre Scones umsonst«, erwiderte Vanessa und beugte sich vor, um Stevie auf die Wange zu küssen. »War schön, dich zu sehen. Wie gesagt, sei nett zu ihr.«

Und mit dieser Aufforderung drückte Vanessa zum Abschied Rens Schulter und schwebte aus der Tür, hinaus in den bewölkten Juninachmittag, während die Blicke der Café-Besucher*innen ihr folgten.

Stevie sah Adri an.

Adri lächelte.

»Also …«, sagte Stevie.

Adri deutete auf den nun freien Stuhl. »Setz dich doch.«

»Nur dann, wenn du mir hilfst, diese Lichterketten zu entwirren. Sonst muss ich Effie auf dich hetzen.«

»Gott, bloß das nicht«, sagte Adri und hob den Kaffeebecher an die Lippen. Das Getränk musste inzwischen kalt sein, aber Adri hatte noch nie etwas gegen kalten Kaffee einzuwenden gehabt.

Stevie zog den Stuhl auf die gegenüberliegende Seite des Tischs – sie wollte auf keinen Fall mit ihrer Ex auf derselben Seite sitzen, beste Freundinnen hin oder her – und legte die Lichterketten auf den Tisch.

Adri beugte sich vor, griff nach einem Knoten und fummelte mit ihren langen Fingern an den Kabeln herum. »Wie läuft’s denn so?«, fragte sie, den Blick auf die Lichterketten geheftet. »Hattest du in letzter Zeit irgendwelche Vorsprechen?«

Stevie hasste diese Frage. Die Antwort lautete immer: Ja. Sie sprach ständig irgendwo vor, von Portland bis hinauf nach Seattle. Vor zwei Monaten war sie sogar nach Vancouver gefahren. Die eigentliche Frage war nicht, ob sie bei einem Vorsprechen gewesen war, sondern ob sie eine Rolle bekommen hatte.

Und die Antwort darauf war ein definitives und deprimierendes Nein. Zugegeben, sie hatte ihr Netz nicht sehr weit ausgeworfen. Sie wusste, dass sie sich auch woanders umschauen, vielleicht sogar aus dem Pazifischen Nordwesten verschwinden musste und nach L.A., New York oder Chicago gehen sollte. Aber schon der Gedanke, diese Reisen allein zu unternehmen – von einem Umzug ganz zu schweigen –, sorgte dafür, dass ihr Magen einen Satz machte, als wollte er sich permanent außerhalb ihres Körpers niederlassen.

»Hier und dort«, erwiderte sie und hielt den Blick auf die bunten Glühbirnen gerichtet. Eine vollkommen zufriedenstellende, wenn auch vage Antwort.

»Dann machst du im Moment also nicht bei einem Theaterstück mit?«, fragte Adri.

Himmel! Adri redete immer gern Klartext. Stevie dagegen wusste nicht mal, was Klartext war.

»Äh, na ja, nein, nicht im Moment. Ich …«

»Oh, Gott sei Dank«, sagte Adri, atmete hörbar aus und ließ den Oberkörper einen Moment auf die Tischplatte sinken. Dann setzte sie sich wieder kerzengerade auf. »Sorry. Van hat recht. Ich bin etwas verzweifelt.«

Sorge machte sich in Stevies Bauch breit. Vorsprechen. Rollen. Sie wusste, wohin dieses Gespräch führen würde.

»Adri …«, setzte sie an.

Doch Adri beugte sich vor und ergriff ihre Hände. »Bitte«, flehte sie. »Ich brauche dich.«

»Ich hab dir doch gesagt, dass ich mit dem Laientheater fertig bin.«

»Ich weiß, ich weiß, und ich verstehe es ja auch, Stevie. Wirklich, aber das Empress … das Theater steckt in Schwierigkeiten.«

Stevie hielt inne. »Was?«

Adri kniff die Augen zusammen. »Ich stecke in Schwierigkeiten. Die Miete ist in die Höhe geschossen. Ich kann mein Personal kaum noch bezahlen, und die Inflation führt dazu, dass die Leute nicht mehr so oft zu den Aufführungen kommen. All das und unsere etwas nischenhafte Herangehensweise an die Dinge … sorgen dafür, dass das Empress leidet.«

Adri Euler war nicht nur die einzige Theaterbesitzerin in der Stadt, sondern auch die einzige lesbische. In den letzten Jahren hatte sie hart daran gearbeitet, das Empress auf die Beine zu stellen, ein winziges Theater südlich der Innenstadt. Und es war ihr gelungen, ein paar feste Schauspieler*innen zu engagieren und gleichzeitig in jeder Produktion Platz für Laienrollen zu lassen. Das Ensemble hatte sich auf queere Interpretationen von Klassikern spezialisiert: mit Rollentausch und eigener Figurenentwicklung für trans*, lesbische, schwule, bi, pan, ace und aro Protagonist*innen, eingeflochten in bekannte cishet Handlungen.

Dieses Theater war eine queere Institution in Portland. Ein sicherer Ort, eine Community. Ein Zuhause für viele.

»Ich hatte ja keine Ahnung …«, sagte Stevie.

»Weil ich nur Vanessa davon erzählt habe«, erklärte Adri.

Stevie nickte, empfand aber unwillkürlich ein Gefühl des Verlusts: Sie war nicht länger Adris Vertraute. Und obwohl Vanessa und Adri sich immer nahegestanden hatten, schmerzte es dennoch, dass Stevie nun eine Außenseiterin war, wenn es um Adris Gefühle ging.

»Verstehe«, sagte sie.

»Aber ich habe beschlossen, die nächste Produktion in eine Spendenaktion umzuwandeln. Wir werden Viel Lärm um nichts aufführen.«

Stevie legte den Kopf schräg und lächelte. Adri erwiderte ihr Lächeln, und für eine Sekunde waren die letzten sechs Monate wie vergessen. Sogar die letzten sechs Jahre. Stattdessen waren sie wieder beste Freundinnen, die noch keine Liebesbeziehung eingegangen waren und die in ihrer beschissenen Wohnung mit dem Ameisenproblem hockten. Diese Bruchbude, die sie sich im letzten Collegejahr zu viert geteilt hatten. Stevie und Adri lümmelten wieder auf der karierten Couch, die sie im Sperrmüll gefunden und mit drei Flaschen Febreze getränkt hatten, und lasen Viel Lärm um nichts, um das berühmte Stück für ihre Abschlussarbeit »neu zu interpretieren«.

»Das hier wäre so viel besser, wenn alle queer wären«, hatte Stevie gesagt, während sie eine weitere von Beatrice’ Tiraden auf Benedikt las. »Nimm die toxische Männlichkeit raus, füg etwas gute alte schwule Sehnsucht hinzu, und …«

Daraufhin hatte Adri ihre Hand auf Stevies Bein gelegt. Sie hatten sich angesehen, beide mit großen Augen, und das war’s dann gewesen: Adri hatte sie geküsst – zum ersten Mal richtig geküsst. Und danach hatten sie das Wochenende zusammen verbracht, die Köpfe dicht über das Bühnenmanuskript gebeugt, und hatten jede Zeile auseinandergenommen, jede Szene neu konzipiert und Gesichtsausdrücke notiert, um das Stück in etwas Lustiges und Vertrautes und dennoch völlig Neues zu verwandeln.

Und wenige Jahre später war das Empress geboren.

»Viel Lärm um nichts … immer ein Publikumsliebling«, sagte Stevie jetzt.

»Genau«, bestätigte Adri leise und drückte Stevies Finger. »Und wir ziehen alle Register: ein Abendessen nach der letzten Vorstellung, eine verdeckte Auktion und was weiß ich nicht noch alles. Aber … damit das klappt, brauche ich Zuschauer*innen, die die Plätze füllen. Die Karten kaufen, damit ich das Ganze überhaupt über die Bühne bringen kann.«

Stevie zog ihre Hände zurück. Sie konnte nicht klar denken, wenn sie berührt wurde. Dazu war sie noch nie in der Lage gewesen.

»Und?«, fragte sie und widmete sich wieder einem besonders hartnäckigen Knoten in den Lichterketten.

»Und«, sagte Adri, »ich brauche dich …, damit du Benedikt spielst.«

Stevie schloss die Augen. Sie liebte diese Rolle. Okay, Benedikt war ein Arschloch, aber wenn sie ihn als queere Person spielen könnte, gegenüber einer queeren Beatrice … tja, das würde zweifellos eine tolle Aufführung werden.

»Du in dieser Rolle wirst unsere Unterstützer*innen anlocken«, sagte Adri. »Die Community liebt dich und … Na schön, leugne es ruhig, aber der Name Stevie Scott hat in dieser Stadt einen guten Ruf.«

Stevie schnaubte. Wenn sie in der Theaterwelt von Portland einen guten Ruf gehabt hätte, dann säße sie jetzt nicht in einem Café mit einem potenziell erniedrigenden Schimpfwort im Namen und würde für eine reizbare Hexe aus London glitzernde Regenbogen-Lichterketten entwirren.

»Doch, definitiv«, sagte Adri fest. »Du bist eine großartige Schauspielerin, du hast in Dutzenden von Produktionen in der ganzen Stadt gespielt, neunzig Prozent davon mit begeisterten Kritiken. Mit dir auf dem Theaterplakat könnten wir das Publikum anlocken, das wir brauchen.«

Stevie sah sie nicht an. Schaffte es nicht. Denn sie wusste: Wenn sie Adri ansah, würde sie nachgeben und Ja sagen. Ach, zur Hölle, wem wollte sie etwas vormachen? Sie würde sowieso Ja sagen. Das Wort Nein war ihr nie leichtgefallen, wenn es um Adri ging. Eigentlich bei niemandem. Okay, mit den kleinen Dingen konnte sie umgehen: Willst du eine Cola? Hast du diesen oder jenen Film gesehen? Magst du Zwiebeln auf deiner Pizza?

Aber die großen Dinge, die Themen, die enttäuschte Mienen und nach unten verzogene Mundwinkel verursachten …, tja, darin war sie eine echte Niete. Denn dann flammten ihre Angstzustände auf, und sie verbrachte die darauffolgende Woche in der festen Überzeugung, dass ihre Freund*innen sie hassten, dass sie allein und unglücklich sterben würde und dass sie niemandem etwas bedeutete. Und wenn besagte Freund*in oder das entsprechende Familienmitglied sich dann endlich meldete und ihr mitteilte, dass man sie natürlich nicht hasse – warum in aller Welt denke sie so was überhaupt? –, dann wurde ihre Angst nur noch übermächtiger. Und überzeugte Stevie davon, dass sie andere Menschen einfach nicht verstehen konnte. Und dass sie ihrem eigenen Verstand nicht trauen durfte, wenn es um die richtige Einschätzung sozialen Miteinanders ging.

Da war es viel einfacher, jedes Mal wieder Ja zu sagen.

Und genau das tat sie jetzt auch.

»Oh mein Gott, danke«, sagte Adri in dem Moment, als das »Okay« über Stevies Lippen kam. Sie sprang auf, wobei sie fast ihre Tasse umwarf, und beugte sich über den Tisch, um Stevie an sich zu ziehen und zu umarmen.

Und Stevie merkte, dass sie in der Umarmung irgendwie … versank. Adri roch noch immer gleich: die Regenwasserlotion, die sie benutzte, der Zimtduft ihrer Zahnpasta. Und erst ihre weiche Wange an Stevies … Das gab ihr den Rest. Beinahe hätte sie sich an Adri geschmiegt, um Himmels willen! Allerdings lag das nicht daran, dass sie noch immer in ihre Ex verliebt war.

Nein, sie war einfach nur so lange nicht mehr berührt worden. Ren hielt nicht viel von Umarmungen. They spendete normalerweise durch einen Klaps auf die Schulter Trost, zusammen mit der Ermahnung, sich gefälligst zusammenzureißen. Und obwohl Stevie Adri und Vanessa gesagt hatte, dass sie mit ihrer Verbindung hundertprozentig einverstanden sei – was ja auch stimmte! –, hatte sie seitdem keine der beiden richtig berührt. Im Grunde hatte sie niemanden mehr berührt. Und jetzt, da sie Adris Zimtatem an ihrem Ohr spürte, wurde ihre Haut irgendwie … wach.

Stevie drehte den Kopf, nur ein wenig, bereit, dem Drang nachzugeben und Adri fester an sich zu drücken. Sie brauchte nur …

»Hey, hi, wow, was ist denn hier los?«

Beim Klang von Rens Stimme zog Adri sich zurück und lachte verlegen, hielt aber Stevies Hand weiterhin fest.

Und Stevie blinzelte, bis sie das Café wieder deutlich erkennen konnte, und zuckte zusammen, als sie sah, dass Ren sie aufgebracht anfunkelte.

»Stevie hat sich bereit erklärt, meinen Benedikt zu spielen«, verkündete Adri, völlig blind gegenüber Rens starrendem Blick.

»Ach, tatsächlich?«, erwiderte Ren mit vor Sarkasmus triefender Stimme.

Und das wütende Starren ging weiter.

Doch Adri schien immer noch nichts aufzufallen. Sie packte ihre Sachen zusammen und warf die Ausgabe von Viel Lärm um nichts vor Stevie auf den Tisch. »Ich muss jetzt los«, sagte sie, stand auf und schwang sich die Tasche über die Schulter. »Stevie, das Vorsprechen für die anderen Rollen beginnt nächste Woche. Wollen wir uns bald mal treffen und über die ganze Logistik reden?«

»Ja«, murmelte Stevie, noch immer leicht benommen. »Okay.«

»Ich schick dir einen Text«, sagte Adri und ging zur Tür. Kaum war sie draußen, nickte sie jemandem links von ihr zu und wechselte ein paar Worte. Im nächsten Moment tauchte Vanessa im Blickfeld auf und warf sich in Adris Arme. Die beiden küssten sich, hakten sich unter und marschierten durch die Straße, wobei Adri wild gestikulierte – wie immer, wenn sie aufgeregt war.

Also hatte Vanessa wohl doch nicht so dringend zum College zurückkehren müssen.

»Heilige Scheiße, was bist du gerade ausgetrickst worden«, sagte Ren, ließ sich auf Adris nun leeren Stuhl fallen und hob their Glas an den Mund.

Stevie drehte sich um und sah Ren an. »Du hast das alles mitgekriegt, oder?«

»Klar! Ich hab ein Gehör wie eine Fledermaus«, bestätigte Ren und deutete auf die eigenen Ohren, die mit winzigen Nieten und Ringen übersät waren.

Stevie seufzte. »Es ist ja nicht so, als ob ich im Moment etwas Besseres zu tun hätte.«

»Jaja, rede dir das nur weiter ein.«

»Es ist ein Theaterstück«, erwiderte Stevie. »Dadurch bin ich wenigstens sichtbar.«

»Dieselbe Stadt, dieselbe Bühne. Wie lange geht das schon so? Zehn Jahre?«

Stevie schüttelte den Kopf. Ren und sie hatten dieses Gespräch schon so oft geführt: Ren wollte, dass Stevie ihr Netz weiter auswarf, in eine größere Theaterstadt zog. Aber Stevie hatte schreckliche Angst davor. Und so weiter und so fort.

»Okay«, sagte Ren und winkte mit einer Hand, deren kurze Nägel wie immer schwarz lackiert waren. »Also gut. Du machst in dem Stück mit. Rettest das Empress. Gut. Keiner von uns will, dass es untergeht. Aber worüber ich mir viel größere Sorgen mache: Was zum Teufel war das gerade? Hast du dich etwa an Adri gekuschelt? Dich an sie geschmiegt?«

Stevie stöhnte und stützte den Kopf in die Hände. »Ich weiß. Es war schlimm.« Abrupt blickte sie auf. »Hat Adri es bemerkt? Meinst du, sie hat es gemerkt?«

Ren zuckte zusammen. »Ich meine … Ich konnte ihr Gesicht sehen … und sie hat nicht den Eindruck gemacht, als wäre sie bereit, ebenfalls zu kuscheln. So viel steht fest.«

»Scheiße«, stöhnte Stevie. »Fuck, fuck, fuck.«

»Ist schon okay«, sagte Ren. »Adri war zu sehr damit beschäftigt, dich in eine weitere karrierehemmende Rolle zu drängen, um sich darüber groß Gedanken zu machen.«

»Das stimmt doch gar nicht. So was würde sie nicht tun.«

»Ich weiß, dass sie es nicht absichtlich tut, aber das ändert nichts daran, dass sie es tut.«

Stevie rieb sich die Stirn. »Ich bin nur ein wenig einsam. Und brauche etwas Körperkontakt.«

»Du meinst, du bist horny.«

Stevie wurde rot. »Nenn es, wie du willst, aber das ist auch schon alles. Ich bin mit niemandem mehr ausgegangen, seit Adri und ich …«

»Moment mal.« Ren hob eine Hand. »Mit niemandem?«

»Das weißt du ganz genau.«

»Ich meine, okay … ich weiß, dass du niemanden gedatet hast. Aber mir war nicht bewusst, dass du dich noch nicht mal hast abschleppen lassen.«

Stevie warf Ren einen Blick zu. »Im Ernst? Dir ist doch klar, mit wem du hier redest, oder?«

Ren grinste. »Okay, mit abschleppen meine ich essen gehen und einen Spaziergang durch den Park, gefolgt von Kuscheln auf der Couch, mit Während Du schliefst im Fernsehen. Und zum Abschluss vielleicht ein kleiner Zungenkuss. Du weißt schon, ein Stevie-Date.«

Erneut stützte Stevie den Kopf in die Hände. »Gott, ich bin so verdammt erbärmlich.«

Ren lachte und zog Stevies Hände herunter. »Nein, bist du nicht. Du bist nur schrecklich bei One-Night-Stands. Und es gibt echt Schlimmeres.«

Stevie nickte. Ren hatte recht. Sie war bei One-Night-Stands tatsächlich schrecklich. Aber sie wollte so gern einmal anders sein, wenn auch nur ein einziges Mal – nur um zu beweisen, dass sie dazu in der Lage war. Dass sie nicht die verlassene Freundin war, die beim ersten Anzeichen von körperlicher Zuneigung den Hals ihrer Ex abschnüffelte. Dass sie eine Fremde kennenlernen konnte – eine, die sie mochte. Mit der sie reden konnte, ohne sich zu blamieren. Eine, die sie küssen, vögeln und von der sie sich anschließend einfach verabschieden konnte. Sie mochte Sex. Und zwar sehr. Das war nie das Problem gewesen. Das eigentliche Problem bestand darin, dass sie es nicht schaffte, diesen Punkt mit einer Unbekannten zu erreichen.

Aber sie wollte es so gern.

»Okay, dann hilf mir«, bat sie.

Ren zog eine perfekt geformte Augenbraue in die Höhe. »Wobei helfen?«

»Einen One-Night-Stand zu haben.«

Rens Augen weiteten sich. »Ich … Das ist nicht gerade mein Spezialgebiet.«

Das stimmte. Ren hatte sicherlich schon einige Affären gehabt, aber they zog eine echte Beziehung fieberhaften Sexdates vor.

»Ja, aber du weißt, wie man mit Fremden spricht«, sagte Stevie. »Wie man sie bezirzt. Wie man sich wie eine Person verhält, die weiß, wie Sex funktioniert.«

Ren lachte. »Okay, also, wenn sich zwei Menschen mögen, ziehen sie sich manchmal aus und …«

Stevie warf ein leeres Strohhalmpapierchen nach Ren. »Du weißt, was ich meine. Komm schon. Sogar meine Therapeutin meint, dass ich so was tun soll.«

»Keisha hat dir gesagt, du sollst Sexdates haben?«

»Na ja, nicht direkt. Aber sie meinte, ich solle eine Freund*in mitnehmen und jemanden in einer Bar um ein Date bitten. Damit ich mich bei so was wohler fühle.«

Bei diesen Worten zog Ren beide Augenbrauen hoch. »Wie lange ist es her, dass sie dir das ›verschrieben‹ hat?«

Stevie zuckte zusammen. »Vier Monate.«

»Himmel!« Ren seufzte und musterte Stevie mit leicht zusammengekniffenen Augen. »Also gut. Ich werde dir helfen. Aber dann direkt heute Abend, bevor du die Nerven verlierst. Wie ich dich kenne, schläfst du sonst erst mal darüber und kommst wieder zur Vernunft.«

Stevie nickte, und die Nerven in ihrem Bauch kribbelten. »Okay. Gut. Heute Abend.«

Ren hob das Glas, um den Deal klarzumachen.

Stevie stieß mit Adris Kaffeetasse gegen Rens Glas, trank aber nicht daraus. Sie würde auf keinen Fall mit dem kalten Kaffee ihrer Ex auf ihren bevorstehenden One-Night-Stand anstoßen.

3Iris

Als Iris dem höllischen Geburtstagsessen endlich entkam, war es schon fast zehn. Das Essen hatte sich nicht nur furchtbar in die Länge gezogen, ihre Mutter hatte auch noch darauf bestanden, dass alle mindestens eine Runde Scrabble spielten. Daraus wurden dann drei, weil Aiden nicht damit umgehen konnte, dass Emma eine schlechte Verliererin war und ständig eine Revanche forderte.

Iris ließ alles über sich ergehen, zumal ihr theatralisches Verhalten – wie Emma es nannte – Maeve dazu bewogen hatte, beim Abendessen nicht nur ein, sondern gleich zwei Gläser Pinot noir zu trinken. Iris hatte noch nie erlebt, dass ihre Mutter mehr als ein oder vielleicht zwei Schlucke Wein auf einmal zu sich nahm, und der daraus resultierende Schluckauf war sowohl komisch als auch beunruhigend gewesen.

Doch sie hatte endgültig die Nase voll, als ihre Mutter Grants bevorstehende Hochzeit in dem Moment erwähnte, als Emmas letzter Buchstabe den dreifachen Wortwert belegte und damit Partie Nummer drei ein gnädiges Ende fand.

»Ja, Mutter, ich habe die Einladung bekommen«, sagte Iris und schaufelte winzige Holzbuchstaben vom Esszimmertisch in das Samtsäckchen, während ihre Geschwister die schlafenden Kinder aus dem Wohnzimmer holten. Sie hatte immer gewusst, dass ihr Ex irgendwann heiraten würde. Grant hatte bereits während ihrer Beziehung von einer großen Familie geträumt und davon, später auf der eigenen Veranda gemeinsam alt zu werden und in der Dämmerung Erbsen zu pulen, umgeben von einer Schar Enkelkinder. Daher hatte es Iris nicht sonderlich überrascht, als sie vor ein paar Wochen die dicke elfenbeinfarbene Einladung per Post erhielt.

»Sie heißt Elora«, sagte Maeve jetzt und nahm den schlafenden Christopher auf den Arm, damit Emma und Charlie den ganzen Kram einsammeln konnten, der offenbar nötig war, um ein Baby einen Abend lang am Leben zu halten. »Was ist das denn für ein Name?«

»Ein schöner«, erwiderte Iris schroff, packte alles in die Scrabble-Schachtel und drückte genervt den Deckel darauf.

»Ein seltsamer Name, wenn du mich fragst«, sagte Maeve. »Nicht so nett wie Iris.«

»Mom«, stöhnte Iris und presste die Finger an die Schläfen. »Bitte nicht.«

»Ich sag ja nur, dass ihr beide ein tolles Paar wart«, entgegnete Maeve.

Iris presste die Lippen zusammen. In letzter Zeit erinnerte der Besuch bei ihren Eltern immer mehr an eine Wurzelbehandlung: Sie fühlte sich entblößt, ständig für ihre Entscheidungen kritisiert und hatte das dringende Bedürfnis nach einer umfassenden Selbstmedikation.

»Redet ihr von Grant?«, fragte Aiden mit der schlafenden Ava auf der Hüfte, die wahrscheinlich auf seine Schulter sabberte. »Gott, er fehlt mir.«

»Uns allen«, sagte Maeve. »Nach der Trennung der beiden hatte ich das Gefühl, einen Sohn zu verlieren.«

»Danke, Mom«, sagte Aiden und rollte mit den Augen.

Sie schlug ihm auf den Arm. »Ach, du weißt doch, was ich meine. Grant war der Mann fürs Leben.«

Iris schob das Spiel in das Sideboard, zu den anderen Brettspielen, und bemühte sich, nicht laut zu schreien.

»Ich frage mich, wie seine Verlobte wohl aussieht«, sagte Aiden. »Ich wette, sie ist heiß.«

»Wer ist heiß?«, fragte Addison, die in der Tür erschien, mit Ainsley an der Hand. Das kleine Mädchen hielt sich nur noch mit Mühe auf den Beinen.