Bürgermeister-Treffen - Kurt Christmann - E-Book

Bürgermeister-Treffen E-Book

Kurt Christmann

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Beschreibung

Im oberbayerischen Rossmarktl im Chiemgau nahe Altötting geht es weiter: Nach den mitreißenden Geschehnissen um den legendären Pfarrer Ludwig in den sechziger Jahren (im Vorgänger-Roman "momentgenau") ist nun Gerhard Holzner, der Sohn des wackeren Bauers Toni, seit einigen Jahren schon Bürgermeister. Als eine holländische Amtskollegin vor den Toren des Ortes einen schweren Unfall erleidet, gelingt es ihm dank eines riskanten Einsatzes, das Leben der attraktiven Frau zu retten. Niemand kann zu diesem Zeitpunkt ahnen, was sich danach in dichter Folge an persönlichen, aber auch kriminellen und nicht zuletzt komischen Ereignissen zwischen Rossmarktl und Achterbrugg im holländischen Friesland, der Heimat der Bürgermeisterin Alexandra de Breujne, abspielen wird. Eine kurzweilige, wendungsreiche Erzählung, zutiefst menschlich, eine authentische Gefühlsachterbahn, die durch ihre bildhafte Sprache mitreißt; eine gelungene Fortsetzung des Vorgänger-Romans "momentgenau". Spannung, Lachen und Miterleben garantiert!

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Lebenist das, was passiert, während Du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.

John Lennon

Weitere Veröffentlichung des Autors

momenterfüllt

Provokationen und Beobachtungen in Gedichten & anderen Worten

BOD-Verlag 2021, ISBN 978-3-7543-7492-4

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Feuer im Rauhreif

Flachblatt

„Zum Hirschen“

Tot ziens

Das Erste Mal

Der Wolf

Schöne Welt

Das Projekt

Vorweihnachtszeit

Es lebe das Leben – vor dem Tod

Zölibat

Meisterbriefe

Frohe Weihnachten

Überraschungsbesuch

Auf ein Neues

Talfahrt

Großfamilie

Reisefieber

Völkerverständigung

Quo vadis?

Home, sweet home

Diplomatie I

Diplomatie II

Verfolgung

Schäferstündchen

Pressestimmung

Quo vadis?

Hoffnung

Wiedereingliederung

In Treue fest

Ruhepflicht

Dickes Blut

Glücksklee

„WAAS?“

momentgenau

Oberbayern nahe Friesland

Das Skûtsje

Epilog

Namensregister

Prolog

Fast zaghaft drückte der groß gewachsene Mann die eiserne Türklinke der schweren Eichentür nach unten. Ein leises Knarren verriet das Eintreten des Besuchers, der sogleich in die andächtige Stille und das gedämpfte Licht der Rossmarkt´ler St. Martin-Kirche eintauchte. Der Mann blieb kurz hinter der Tür stehen und nahm die besondere Atmosphäre des Gotteshauses in sich auf. Lange war er nicht mehr hier gewesen, trotzdem fühlte er sich an diesem Ort wieder in vertrauter Umgebung. Vorne in der fünften Reihe, schräg unterhalb der Kanzel, nahm er Platz, nicht ohne sich vorher im Mittelgang zu bekreuzigen.

Gerhard Holzner schloss die Augen und atmete tief ein. Hier hatte er ungezählte Male zusammen mit seinem Vater, dem Hofbauern Toni, und seinem jüngeren Bruder Florian gesessen. Hier in der fünften Reihe hatten sie den liebevoll-gestrengen Worten des alten Pfarrers Ludwig gelauscht, dem sie nicht nur religiös verbunden waren. Unvergessen dessen selbstlose Einsätze als gern gesehener Erntehelfer jeden Herbst, aber auch seine Art, mit ihnen als Kinder und Jugendliche umzugehen. Dabei machte er aus seiner Vorliebe für Zigarren und Alkohol erst gar kein Geheimnis, eher schon aus dem Verhältnis, das er dem gnädigen Vernehmen der frommen Gemeinde nach mit seiner Haushälterin Marie-Luise pflegte.

Nach dem Unglückstod der Mutter waren die drei Holzners wie eine verschworene Gemeinschaft gewesen und nicht zuletzt überaus angesehen im Ort. Danach, so schien es, hatte das Leben von Gerhard Holzner erst so richtig Fahrt aufgenommen. Dass er quasi neben dem späteren Pfarrer Götz viele Jahre als Bürgermeister die Geschicke des Ortes im Chiemgau nahe Altötting leitete, schien bei genauer Betrachtung nur der Auftakt für das, was danach folgte. „Zwei Leben in einem“, hatte er einmal zu seinem Bruder gesagt.

Die große Altarkerze flackerte unmerklich vor sich hin, als hätte sie eine Botschaft zu übermitteln. Gerhard Holzner schaute auf. Plötzlich war sie da, die Frage seines Lebens.

„Bin ich zu weit gegangen?“

Ganz leise, aber unüberhörbar, hörte der einsame Mann in der fünften Kirchenbank diese, seine eigenen Worte flüstern, während er die Hände zu einem stummen Gebet faltete.

Als Gerhard Holzner wieder blinzelnd hinaus in die Nachmittagssonne trat, brannten in der St. Martinskirche zwei Dankeskerzen.

„Zwei Leben in einem“,

flüsterte der Ex-Bürgermeister vor sich hin. In wenigen Augenblicken würde er seinen alten Spezis am Stammtisch im Hirschen die erste Runde spendieren.

Feuer im Rauhreif

Die Explosion war gewaltig. Sie übertraf die Befürchtungen des Bürgermeisters, und die seiner Kollegin erst recht. Allerdings wusste der Behördenchef in diesem Moment nicht, über wen er sich im Vollbesitz seiner Reflexe schützend zu Boden geworfen hatte, keine zwanzig Meter von dem brennenden Auto entfernt. Er atmete schwer und versuchte, sich über seinen körperlichen und geistigen Zustand klar zu werden. Und natürlich auch über den Zustand der Dame, die reglos unter ihm lag. Mein Gott, durchfuhr es ihn, sie bewegt sich nicht mehr. Atmete sie überhaupt noch? Ihr Gesicht war leichenblass. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte der kräftige Mann in seinen speckigen Lederhosen, sich halbwegs aufzurichten und die Verunglückte näher in Augenschein zu nehmen. Sie war gerade bewusstlos geworden.

Gerhard Holzner manövrierte die schlanke Frau, sie mochte Mitte dreißig sein, vorsichtig in die stabile Seitenlage, wie er es von seinen Lehrgängen bei der Freiwilligen Feuerwehr her kannte. Die Verletzungen mussten gravierend sein. Die Frau blutete aus einer Wunde seitlich an der Stirn. Ihre Bluse, über der sie eine offene, hellgrüne Strickweste trug, färbte sich ebenfalls an zwei Stellen knallrot, ein Bein stand etwas ungewöhnlich asymmetrisch ab. Holzner hielt sein Ohr ganz dicht an Nase und Mund der Bewusstlosen und war erleichtert, ihren schwachen Atem zu spüren. Sodann riss er sich seinen grau-grünen Janker von den Schultern und deckte sie vorsichtig etwas zu, um die feucht-kalte Luft abzuhalten. Im nächsten Moment rannte er die wenigen Schritte zu seinem Wagen, den er am Straßenrand eilig zurückgelassen hatte. Die Tür stand noch offen, sogar den Motor hatte er vergessen, abzustellen.

Gerhard Holzner war nicht nur Bürgermeister der nahegelegenen oberbayerischen Verbandsgemeinde Rossmarktl im Chiemgau, offiziell war seine Amtsbezeichnung „Erster Bürgermeister“. Außerdem war er auch dortselbst stellvertretender Ortsbrandmeister.

Daher lag sein Funkgerät stets griffbereit im Wagenfach.

„Betzenbichler“,

meldete sich eine Stimme im nächsten Moment.

„Blos keine Übung jetzt…“

„Hör zu, Josef“,

rief Holzner mit hektischer Stimme,

„hier ist ein schwerer Unfall passiert. Eine Frau ist in der abschüssigen Rechtskurve bei Reifglätte kurz unterhalb vom Alfons-Goppel-Parkplatz ins Schleudern gekommen, über den Graben in den Wald gerutscht und gegen einen Baum geprallt. Sie ist anscheinend schwer verletzt und bewusstlos. Das Auto ist ausgebrannt und sogar explodiert. Krankenwagen mit Notarzt und Tanklöschfahrzeug – schnell schnell!“

Holzner musste erst mal Luft holen und hörte nur noch „Alles klar, Gerhard! Wir sind gleich da“

Dann war die Leitung unterbrochen. Keine zehn Sekunden später hörte Holzner die entfernte Sirene, die bei Unglücksfällen aller Art vom Rathausdach mit ihrer unheilvoll-drohenden Tonlage die Freiwilligen zum Einsatz rief.

Gerhard Holzner griff nach seinem Verbandskasten und eilte zurück zu der verunglückten Frau. Sie hatte sich nicht bewegt, war immer noch bewusstlos. Ihre Blutungen hatten sich inzwischen verstärkt und waren bereits im Rauhreif angekommen. Ein leises, stoßweises Wimmern konnte man vernehmen, das war alles. Er deckte mehr als notdürftig die blutenden Wunden ab in der Erwartung, dass gleich ärztliche Hilfe da sein würde. Erst jetzt bemerkte er, dass er zitterte, obwohl ihm heiß war.

„Tief durchatmen“, versuchte er sich zu beruhigen. Es blieb ihm im Moment nichts anderes übrig, als auf die alarmierte Hilfe zu warten.

Gerhard Holzner schwitzte und schnaufte schwer. Was war da gerade passiert, fragte er sich. Eigentlich wollte er zu seinem Freund Rudi ins nachbarliche Waldstätt fahren. Sie hatten sich schon seit zwei Wochen nicht mehr gesehen, es war Zeit für eine gemeinsame Feierabend-Halbe, selbstverständlich in leckerer Verbindung mit einer anständigen Brotzeit. Es war ein trüber Tag im Spätherbst gewesen, man hatte schon einige bislang schneefreie Nachtfröste erlebt, die Bäume waren durch Rauhreif wie gezuckert. Die Natur in Vorfreude auf den Winter, dachte Holzner und genoss die an seinem Wagen vorbei gleitende Szenerie. Traumhaft haben wir´s hier, dachte er bei sich. Und dann sah er in der langen Kurve kurz hinter dem Waldrand plötzlich das verunglückte Auto am Ende einer regelrechten Schneise, die an einem Buchenstamm abrupt endete. Lange konnte das noch nicht her sein. Seine gerade noch so entspannte Gefühlswelt wurde unvermittelt in Alarmstimmung versetzt. Als er auf den Wagen, es war eine schwere Volvo-Limousine mit holländischem Kennzeichen, zulief, bemerkte er schon die ersten Rauchschwaden aus dem Motorraum aufsteigen. Auf dem Fahrersitz befand sich eine Frau, ihr Oberkörper hing bewegungslos über dem erschlafften Airbag. Sie schien ihn aus halboffenen, glasigen Augen zu bemerken, sagte aber nichts. Es musste schnell gehen. Verdammt, die Fahrertür war anscheinend verzogen und ließ sich nicht öffnen.

„Herrschaftszeiten!“,

schrie Holzner und stürzte sich auf die Beifahrerseite.

Die Tür klemmte ebenfalls, ließ sich aber mit Gewalt und einem herumliegenden Aststück aufhebeln.

„Sie müssen hier raus!“,

brüllte er voller Adrenalin und erschrak im selben Moment vor sich selbst. Dass wenige Meter hinter ihnen auf der Landstraße ein Auto vorbei fuhr ohne anzuhalten, nahm er gar nicht wahr.

Die Frau stammelte nur hilflose Laute, ihrem verzerrten Gesicht nach musste sie große Schmerzen haben, sie blutete an Gesicht und Körper. Holzner drückte den roten Entriegelungsknopf des Sicherheitsgurtes und versuchte, die Verletzte zu sich und über den Beifahrersitz ins Freie zu bekommen, ohne Erfolg. Das war leichter gesagt als getan. Vor allem war es riskant für die Schwerverletzte. Aber angesichts der zunehmenden Rauchentwicklung aus dem Autowrack die einzige Option. Sie mussten so schnell wie möglich hier weg, das spürte und das wusste er. Holzner holte tief Luft. Entschlossen versuchte er es erneut, die Frau zu sich zu ziehen und sie allmählich, ähnlich wie beim Rettungsschwimmen, unterzuhaken. Er war bereits völlig verschwitzt, hatte Blut an seinen Händen, die Verletzte stöhnte vor Schmerzen.

„Sie müssen mir helfen, hören Sie?“,

schrie er, bekam aber weder Antwort noch Hilfe. Mit jeder Sekunde schien die Frau noch schwerer zu werden.

Mit aller Kraft, aber auch Vorsicht, gelang es schließlich, den fast leblosen Körper aus dem Auto zu befreien.

Gerhard Holzner atmete schwer. Seine Halsschlagader war bedrohlich angeschwollen, kein Wunder bei dem rasenden Puls. Knien und Beinen war anscheinend jegliche Energie abhanden gekommen. Holzner war so erschöpft, dass er sich an einen Baum stützen musste, einen Moment wenigstens, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Verletzte hatte er vor sich auf den Waldboden gesetzt.

Etwas knisterte. Es überlagerte immer mehr das Pochen von Holzners Herzschlägen. Und es waren keine Äste und auch keine Tiere oder Vögel, die manchmal im Laub herumstaksen. Das Knistern kam aus dem Auto vor ihnen, genauer aus dem zusammengedrückten Motorraum. Zwischen den zunehmenden Rauchschwaden begannen die ersten Flammen zu züngeln, es breitete sich ein bedrohlicher Gestank aus. Holzner war elektrisiert.

„Scheiße“, schrie er, „die Kiste fliegt in die Luft, wir müssen hier weg!“

Aber es hörte ihn niemand, auch nicht die vor ihm sitzende Frau. Im nächsten Moment befand sich die Verletzte wieder im Abschleppgriff ihres Retters und wurde mit hängenden Beinen hektisch über den Waldboden in Richtung Straße mehr gezerrt als gezogen.

Die Explosion, die sich hinter ihnen auf halbem Weg ereignete, hörte sie nicht. Sie merkte auch nicht, dass sich Gerhard Holzner wie ein Stein schützend über sie fallen ließ.

Gerhard Holzner drückte seine eilig gepaffte Zigarette sorgfältig aus. Die hatte er jetzt gebraucht, um wieder zu sich zu kommen. Er hatte die Bewusstlose nicht aus den Augen gelassen. Es schien, als hätte sie sich in ihrer Seitenlage ebenfalls etwas beruhigt.

„Mach´ doch endlich die Augen auf“,

murmelte er leise, obwohl er wusste, dass das naiv war.

Wer mochte sie sein und was wollte sie in dieser Gegend? Sie war schlank, hatte dunkle, gelockte, mittellange Haare und trug einen schwarzen Hosenanzug, allerdings im Moment ohne Jacke, die hing noch im Auto.

Nein, unattraktiv war sie ganz sicher nicht. Gerne hätte er ihre Augen gesehen. Normalerweise war es nicht seine Art, sich mir-nichts-dir-nichts über fremde Frauen zu stürzen, ohne sich vorher bekannt zu machen, dachte er in sich hinein grinsend, aber in diesem Fall mussten Formalitäten zurückstehen. Bevor Holzner zu weiteren Gedankensprüngen ansetzen konnte, wurde er durch die herannahenden Sirenen des Notarztwagens gefolgt vom örtlichen Streifenwagen und mit etwas Abstand schließlich auch der Freiwilligen Feuerwehr Rossmarktl in die Gegenwart zurückgeholt. Jetzt begann er zu frieren. Er fingerte nach seinem Handy und rief seine Frau an.

„Sabine, ich brauche ein Vollbad, zwei heiße Grogs und frische Wäsche. Bin gleich da. Und am besten lange Unterhosen“

„Hat Dir der Rudi den Verstand genommen?“,

fragte seine Angetraute ironisch mit unwirschem Unterton. Es wäre nicht das Erste Mal, dass eine Zusammenkunft mit dem Spezi ihres Mannes alkoholmäßig im Abseits geendet hätte.

„Erzähl´ ich Dir später. Es pressiert!“

Gerhard Holzner drückte die Ende-Taste. Er hatte jetzt keine Lust auf lange Erklärungen, das war ohnehin nicht seine Sache. Hauptsache, der verdammte Stress würde bald wieder nachlassen. Hatte er nicht noch seinen Flachmann mit dem hochprozentigen Fegefeuer im Auto?

Dann begann die aufgeregte Routine der Einsatzkräfte.

Die Schwerverletzte erhielt vom Notarzt die dringende Erstversorgung samt Infusion. Im Moment sei sie stabil, hieß es vieldeutig. Dann wurde die nach wie vor Schlafende vorsichtig auf einer Trage in den Krankenwagen gebracht und mit Blaulicht in die Kreisklinik nach Altötting gefahren. Währenddessen kümmerten sich die Feuerwehrkameraden um das qualmende Autowrack und forderten auch gleich einen Autotransporter an. Holzner hielt sich ausnahmsweise zum Erstaunen aller zurück. Er hatte körperlich und seelisch fertig und fuhr bald mit innerer Leere nach Hause. Alkohol und Badewanne, an mehr konnte er jetzt nicht denken.

Flachblatt

„Eine Bürgermeisterin?“

Gerhard Holzner sah mehr als ungläubig aus.

„Ja! Schau nur her, ein Artikel im Neu-Altöttinger Anzeiger. Sogar mit Bild“

Bärbel Wachtner, seine Sekretärin, war richtig aufgeregt.

„Und weißt Du, was der dickste Hammer ist? Die Überschrift lautet:

`Rossmarktler Bürgermeister als Lebensretter´“

Es herrschte ein Moment lang ungläubiges Schweigen.

„Zeig´ her!“

Dann studierte Bürgermeister Holzner den Artikel. Er stammte von einer gewissen Lisa Landauer. Obwohl er immer wieder mal Kontakt zur regionalen Presse hatte, besonders seit Rossmarktl im Rahmen der Gebietsreform sich mit den Gemeinden Angeröd, Windeckl und Waldstätt zu einer Großgemeinde gemausert hatte, kannte er die Redakteurin nicht.

Als erstes fiel sein Blick auf das Foto der Bürgermeisterin. Ja, das war die Person, die er aus dem brennenden Auto gerettet hatte. Natürlich sah sie auf dem Foto besser aus im Vergleich zu ihrer Bewusstlosigkeit, viel besser sogar. Auf ihren Wahlplakaten stellte die Holländerin gewiss was dar. Ihr Name war Alexandra de Breujne, Bürgermeisterin im holländischen Achterbrugg, unweit von Sneek im Herzen Frieslands. Dann las er den Artikel auf Seite 1 des Regionalteils. Gott sei Dank war Frau de Breujne außer Lebensgefahr, wenngleich sie als schwerverletzt galt und ihr wohl noch eine längere Rekonvaleszenz bevorstand.

Als er fertig war und sicherheitshalber einige Passagen doppelt gelesen hatte, griff er erst mal zu seiner Kaffeetasse.

„Donnerwetter!, endlich mal was Gescheites in unserem Flachblatt“

So nannte Holzner gerne etwas abwertend die örtliche Presse, freilich im Gefühl der Gegenseitigkeit. Schon immer hatte er mit ansehen müssen, dass man die hiesigen Gegebenheiten eher als hinterwäldlerischrückständig abtat. Kleinkram und Negatives konnte man allzu oft lesen. Zum Beispiel, wenn die Feuerwehr neue Schläuche bekam, der Ortsbrunnen verdreckt war oder das Polizeiauto schon wieder eine Panne hatte. Selbst seine Wahl als Bürgermeister konnte man nur im Rahmen einer tabellarischen Übersicht zum Landkreis entnehmen, obwohl er doch bereits zum zweiten Mal eine satte CSU-Mehrheit zustande gebracht hatte. Aber in diesem Fall, Holzner konnte nicht umhin, hatte der Bericht wirklich Hand und Fuß. Und das Beste war, dass er als der Lebensretter-Bürgermeister angemessen gewürdigt wurde. In diesem Moment klingelte das Telefon. Es wird doch nicht die Staatskanzlei sein, durchfuhr es ihn.

„Gratulation Lebensretter“,

klang es ohne Umschweife aus dem Hörer. Es war Bruno Unterreiter, der örtliche Tiefbau-Unternehmer. Holzner erkannte die Stimme natürlich sofort. Bruno gehörte wie er gefühlt schon immer zum Rossmarktler Stammtisch.

Auch dienstlich-geschäftlich hatte er permanent mit seinem Spezi zu tun. Immerhin hatte die Großgemeinde stets genug Bedarf an Bau- und Reparaturarbeiten.

Beide wussten das bayerische Vergaberecht auf ihrer Seite, wenn die Sache im Dienste der Regionalförderung nur genug in Teilbeträge aufgeteilt und als speziell oder wenigstens als dringend dargestellt werden konnte.

Wofür gab es denn sonst die Freihändige Vergabe? Und ja, beide profitierten „angemessen“ von ihrer Kooperation auf die ein oder andere Weise. Und nein, das hatte doch nichts mit Korruption zu tun! Holzner spürte, wie sich seine Stimmung in seltene Sphären emporschwang.

„Jaja, Deinen Hinweis hättest Du Dir sparen können.

Selbstverständlich werden wir das Ganze beim nächsten Stammtisch eingehend analysieren - äh alkoholisieren …“

„Nichts anderes wollte ich hören“

Es war nicht der einzige Anruf. Plötzlich schien das Rathausleben das nächst-höhere Niveau erreicht zu haben. Selbst die wenigen Parteienvertreter, die nicht der CSU angehörten, beeilten sich, dem Bürgermeister zu seiner Heldentat zu gratulieren. Man wollte ja nicht als missgünstig dastehen. In Stunden der Not und des Erfolges sollte man immer fest zusammen stehen! So hatte es einst der bis heute unvergessene und hochverehrte Pfarrer Ludwig bei seinem denkwürdigen Auftritt auf dem Feuerwehrfest im Jahre des Herrn 1963 deklamiert, bevor er ans Dirigentenpult zum Wett-Dirigieren schritt. Nur knapp musste sich Hochwürden damals Gerhards Vater Toni Holzner geschlagen geben.

Kein Mensch hätte gedacht, dass er, Gerhard Holzner, hier in Rossmarktl einmal zum Bürgermeister gewählt werden würde. Gewiss, die Holzners waren hier gut gelittene Bauersleute, wenn man mal von der alten Holznerin absah. Sie hatte sich nämlich im Laufe der Jahre zu einer gar grantigen Bissgurken entwickelt und sich schließlich im Zorn auf des Vaters Bierdurst aus Versehen zu Tode gestürzt. Aber dann kam einige Jahre später das Zerwürfnis zwischen Gerhard und seinem jüngeren Bruder Florian wie aus heiterem Himmel dazwischen. Das waren bis dahin zwei Burschen aus echtem Schrot und Korn, der große Stolz von Vater Toni.

Leider spannte der „kleine“ Florian dem „großen“

Gerhard die schöne Verlobte aus; und der Familienfrieden samt Florian und der nunmehr alternativ Verlobten zogen dahin. Für den Vater war das eine einzige Katastrophe, galt ihm doch der Zusammenhalt mit den beiden Buben als das Wichtigste überhaupt.

Und nun dieses endgültige Zerwürfnis, kaum zu ertragen für den wackeren Mann. Auch für ganz Rossmarktl war der Vorfall nichts weniger als ein dörflicher Skandal gewesen. Nur Pfarrer Ludwig, der Seelsorger mit all seinen Beichtgeheimnissen, hätte bezeugen können, dass sich in diesem Ort in Liebesdingen noch ganz andere Begebenheiten zugetragen hatten. Mindestens zweimal hatte sogar der Kuckuck sein so diskretes wie unwillkommenes Werk vollbracht. Ja, das waren noch Zeiten. Jetzt war Gerhard zwar Bürgermeister, aber er fühlte sich oft allein auf dem Holzner-Hof. Seit sein Vater vor drei Jahren plötzlich verstorben war, hatte er sich noch weiter in sich zurückgezogen. Mit seinem Freund Rudi, dem Maurermeister und Architekten, konnte er über alles reden, sie verstanden sich seit über zwanzig Jahren bestens. Beide stammten aus bodenständigen Familien und konnten über die gleichen Sachen lachen und lästern. Auch machten sie sich über die gleichen Dinge Sorgen. Nicht nur über die Wege ihrer Kinder, Rudi war Vater von zwei Söhnen. Auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen gaben oft Anlass für Erörterungen und manches Maß Bier. Vor fast zwei Jahren hatte Rudis Familie einen schweren Schicksalsschlag erlitten: die Mutter seiner Kinder erlitt einen tödlichen Autounfall. Damals hatten sie mehr als einmal gemeinsam geweint. Und gesoffen.

Gerhards Frau Sabine, die er nach dem Abgang von seiner Verlobten auf dem Altöttinger Gautrachtenfest kennen gelernt hatte, verlor in den 24 Jahren ihrer Ehe viel an Spontaneität und vor allem Leidenschaft, zumindest in den Augen ihres Ehemannes. Dieser hatte das unbestimmte Gefühl, dass sich sein Leben immer mehr von „wildem Spaß“ zu oberflächlicher Routine abwärts entwickelte, ein fürchterlicher Befund für den erfolgsgewöhnten Mann, der sich innerlich und äußerlich energiegeladen wie eh und jeh fühlte.

Manchmal kamen ihm sogar gewisse Erinnerungen an seine Erst-Verlobte. Eine Tochter und zwei Söhne hatten die beiden Holzners, letztere studierten in München und genossen sicher ihre Freiheiten, die Tochter wohnte noch im Haus. Zum Glück, fand Gerhard, genoss er seine Aufgabe als CSU-Politiker samt dem hierzulande damit zwangsläufig verbundenen Image. Ja, man galt immer noch etwas als Bürgermeister in Rossmarktl. Zumal von einer Opposition hier noch nie wirklich die Rede sein konnte. Opposition war zwar geduldet, aber eben schon immer die Minderheit und galt damit irgendwie auch als minderwertig: wahlweise frech, faul oder staatsgefährdend. Neben dem vorteilhaften Image gab es hin und wieder noch den ein oder anderen weiteren Vorteil.

Man könnte das „Informationsvorsprung“ nennen. Und so war es ihm und weiteren Spezis schon mehrmals gelungen, bevorstehende Bauplanungen und zuletzt die Verlegung eines Abschnittes der unteren Landstraße frühzeitig nicht zu ihrem Nachteil auszunutzen. Auf diese Weise hatte es Gerhard zu einem Vier-Parteien-Mietshaus und weiteren rund 2000 qm Bauerwartungsland gebracht. Der Bürgermeister-Vorgänger zu Zeiten von Pfarrer Ludwig, er hieß Ignatz („Natz“) Geschwandtner, war da noch von einem harmloseren Kaliber. Auch er war einmal im Altöttinger Flachblatt verewigt worden, aber ungleich unwürdiger.

Natz war nämlich bei einem Umzug reitend durch Altötting alkoholbedingt vom Esel gefallen und ausgerechnet vom Pfarrer Ludwig kurz vor der Ehrentribüne aufgefangen worden. „Rossmarktler Bürgermeister vom Esel gefallen – Hochwürden als Schutzengel“ stand nächsten Tages in der Zeitung an prominenter Stelle. Aber das war lange her.

Die Staatskanzlei hatte immer noch nicht in lobender Absicht durchgeklingelt, dafür war aber Lisa Landauer am Apparat. Es war kurz vor Feierabend. Ob ihr wohl der Herr Bürgermeister ein Interview gewähren würde, fragte sie freundlich.

„Der Artikel soll im Rahmen der Reihe `Die gute Tat´ erscheinen“,

ergänzte die Journalistin abschließend. Der Rathauschef musste nicht lange nachdenken, zu sehr fühlte er sich wertgeschätzt. Gleich morgen wollte Frau Landauer vorbeischauen, nebst Fotograf natürlich.

Lisa Landauer kam pünktlich in Begleitung eines blassen, noch jüngeren Mannes mit Fotoapparat. Sie war Mitte zwanzig und sah fesch aus in ihrem eng-anliegenden Jeans-Anzug. In ihren blonden, langen Haaren steckte griffbereit eine Sonnenbrille, obwohl seit Tagen keine Sonnenstrahlen erschienen waren.

„Interessant haben Sie es hier im Rathaus“,

sagte die Volontärin süffisant. In ihren Augen sah das ganze Ambiente genauso aus wie der Ort – einfach rückständig, kein Vergleich zu den modernen Verlagsbüros in Altötting. Wo sollen sie es auch her haben, dachte Lisa unwillkürlich. Naja, sie wollte hier ja keine Wurzeln schlagen. Der blasse Junge auch nicht.

„Sie sind also unser neuer Held im Chiemgau?“,

versuchte Frau Landauer dem Bürgermeister zu schmeicheln. Das war keine Kunst. Endlich die Chance zu einem regelrechten Image-Durchbruch. Er musste nur zum reden kommen. Wie gerade er die gefährliche Lage in den Griff bekam, mit Umsicht und Entschlossenheit, wie seine Feuerwehr sich wieder mal bewährt hatte, wie stolz er sich nach dem Einsatz fühlte, wieviel Glückwünsche er schon bekommen hatte und nur noch die Staatskanzlei klären müsse, wann er den Bayerischen Verdienstorden entgegen nehmen könne. Frau Landauer schrieb so schnell sie konnte.

„Sagen Sie, Herr Bürgermeister, direkt neben der Unfallstelle liegt der `Alfons-Goppel-Parkplatz´. Was hat es denn damit auf sich?“

Gerhard Holzner überlegte. Das war schon weit über dreißig Jahre her.

„Oh ja, das war damals eine große Sache für Rossmarktl.

Man sagte, der Ministerpräsident habe bei der Durchfahrt einen Herzanfall erlitten und ein vorbeifahrender Bauer hat ihm durch seine Erste Hilfe das Leben gerettet. Der damalige Bürgermeister Geschwandtner hat daraufhin den Parkplatz an der Unglücksstelle bauen lassen. Und wenn einer danach fragte, sollten wir von einer Reifenpanne reden, das hat die Staatskanzlei ausdrücklich verlangt“

„Typisch Politiker!“,

sagte die Journalistin und lächelte, als ob sie einem Skandal auf der Spur war. Dass das Ganze in Wahrheit tatsächlich aber nichts weiter als eine Reifenpanne am Wagen des Ministerpräsidenten war, die lediglich von einem vorbeifahrenden Mistfahrer beobachtet wurde, das ging keinen was an. Immerhin hatte der MP seinem mutmaßlichen Wähler freundlich zugewunken.

Vom Kirchturm schlug es zwölf.

„Können wir jetzt noch Fotos machen?“

Augenblicklich schien sich der Fotograf wiederzubeleben.

„Natürlich, ich habe extra meine beste Krawatte umgebunden“,

lachte Gerhard Holzner mit breitem Grinsen. Eine halbe Stunde später war das Interview beendet. Übermorgen sollte der Artikel erscheinen, erneut an prominenter Stelle. Bin gespannt, dachte der Bürgermeister und schaute auf seine Uhr.

„Mittagspause!“,

rief er durch die offenstehende Bürotür zu seiner Mitarbeiterin.

„Im Hirschen werden die Knödel kalt“

„Zum Hirschen“

Schon vor der Tür roch es verlockend. Auf der heutigen Speisekarte stand Haxe mit Rotkraut und Knödeln, bayerischer Hochgenuss also. Die beiden steuerten den Stammtisch an, wo Max Grappner, der Wirt, schon erwartungsvoll beim Weißbier saß.

„Aha, da kommt unser Regent“,

rief er ihnen entgegen.

„So, wie ihr ausschaut, war wohl heute in der Amtsstube nicht viel los!“

Gerhard Holzner war diese Sprüche nicht nur gewohnt, sie waren für ihn das Salz in der Suppe. Und sein Stammtischbruder Max vertrug gehörige Erwiderungen.

„Das gemeine Volk hat gehörig Steuern zu bezahlen und darf saufen! Servus, Max. Hoffentlich sind die Portionen heute endlich mal so groß wie in Altötting“

„Kein Problem. Aber das willst Du Geizhals ja nicht bezahlen. Ein Weißbier wie immer, und was darf´s für Dich sein, Bärbel?“

„Einen Traubensaft, bitte“

Max erhob sich und steuerte die Küche an. Sein Hund, ein schon älterer Schäferhund, der auf den Namen Tarzan hörte, lag gewohnheitsmäßig mit wachen Augen in seiner Ecke auf einem großformatigen, speckigen Kissen. Tarzan hob kurz den Kopf in Erwartung etwaiger Anweisungen durch seinen Herrn.

„Hunde sind einfach die besseren Menschen, abgesehen von einigen Ausnahmen halt“,

kommentierte Holzner mit anzüglichem Blick zu seiner Sekretärin.

„Zu den Ausnahmen gehören leider keine Männer“,

kam ohne Zögern zurück. Die beiden verstanden sich prima. Sie arbeiteten schon seit fast vierzehn Jahren zusammen. Zweimal war er jeweils für sechs Jahre wiedergewählt worden. Während Holzner ein echter Rossmarktler war, kam Bärbel Wachtner erst mit 24 Jahren hierher. Sie stammte aus Marktl am Inn und war einst zusammen mit ihrer Freundin auf dem hiesigen Feuerwehrfest gewesen. Seitdem war sie nicht mehr von dem feschen Hugo losgekommen, mit dem sie eine inzwischen pubertierende Tochter hatte und im Eichenweg wohnte. Ohne „meine“ Bärbel wäre ich schon manches Mal aufgeschmissen gewesen, machte sich der Bürgermeister insgeheim nichts vor. Und daher genoss er es auch, wenn sie sich auf Augenhöhe jede kleine Gemeinheit heimzahlten, allerdings niemals in der Öffentlichkeit. Und Geheimnisse miteinander teilen, das konnten die beiden auch.

Max kam aus der Küche zurück. Auch er war kein Eingeborener. Als Jugendlicher hatte er viele Jahre seine Sommerferien bei Onkel und Tante hier verbracht. Die hatten einen regelrechten Gemischtwarenladen von Haustieren, darunter auch Pflegefälle von verunglückten Wildtieren und Vögeln. Das Größte waren aber die beiden Esel Ferdi und Fredi. Die durfte er reiten und manchmal sogar als Gespann vor eine kleine Kutsche spannen helfen. Das war für einen wie ihn – er stammte aus der Nähe von Rosenheim – nichts weniger als eine Sensation. Hier hatte er sich immer willkommen und frei gefühlt. Und abends erzählte der Onkel, seines Zeichens Tierarzt Dr. Klaus Albrecht, von den großen und kleinen Patienten im Dorf, zu denen manchmal sogar auch die Halter der Tiere selbst zählten. So kam es, dass Onkel Klaus den Buben eines Tages zum Stammtisch in den Hirschen mitnahm, wo er auf die Tochter des Hauses, eine gewisse Marianne Fichtner, traf. Sie waren 18 und 16 und machten alsbald, wovon ihre Eltern nichts gewahr werden durften. Onkel und Tante hielten, sobald sie von der Liebschaft erfuhren, zum Glück eine Weile dicht. Kurz und gut, fünf Jahre später erlebte Rossmarktl eine Hochzeit wie schon lange nicht, und Max Grappner avancierte zum Jungwirt im Gasthaus Zum Hirschen.

Dieses traditionsreiche Lokal war seit jeher Dreh- und Angelpunkt des gesellschaftlich-dörflichen Lebens.

Konkurrenz gab es nicht und hätte auch keine Chance gehabt. Was hier nicht thematisiert wurde, gab es einfach nicht, wenn man einmal von den Geheimnissen des Beichtstuhls in der St. Martinskirche absah. Genauso wenig war es noch nie vorgekommen, dass die Vorräte an Bier und Schnaps trotz des beträchtlichen Bedarfs zur Neige gegangen wären. In der Mitte dieses dörflichen Spinnennetzes residierte der traditionelle Stammtisch.

„Anno 1920“ stand auf einer geschnitzten Tafel hinter der mächtigen eichernen Eckbank. Wer hier Platz nehmen durfte, galt etwas und verdiente Respekt, das war schon immer so. Wer hier Platz nehmen durfte, war allerdings auch an wichtigen Entscheidungen der Gemeinde beteiligt und erfuhr naturgemäß zu allererst von Vertraulichkeiten aller Art. Das erzeugte Basis-Loyalitäten, die im Gemeinderat nicht immer selbstverständlich waren. Weshalb dieses außerparlamentarische Gremium, das sich jeden Freitagabend und dann nochmal kurz nach der sonntäglichen Messe traf, mitunter ironisch auch als „Neben-Rathaus“

bezeichnet wurde. Das ließen sich die Teilnehmer intern auch gern gefallen, wenngleich sie derlei Bemerkungen in der Öffentlichkeit stets als abwegig abtaten.

Zwangsläufig kam das Gespräch auf die Rettungsaktion der Bürgermeister-Kollegin zu sprechen.

„Vorhin war die Zeitung zum Interview da. Sie wollen die Sache groß rausbringen“

„Ja, und Fotos vom Bürgermeister hat ein Fotograf auch gemacht“,

ergänzte Bärbel aufgeregt.

„Das Flachblatt mausert sich anscheinend. Endlich erfahren die Städter mal, wo die wirklichen Helden herkommen“,

lachte der Wirt.

„Vielleicht kommen sogar neue Gäste zu uns!“

Bei ihm vereinigten sich Privates und Geschäftssinn auf das Engste.

„Du Max, ich will aus der Sache noch mehr herausholen.

Für uns, verstehst Du? So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder!“

Die Stimme des Bürgermeisters hatte etwas Verschwörerisches angenommen. Jetzt bin ich aber gespannt, dachte Bärbel und spitzte die Ohren.

„Was meinst Du genau?“

Grappner wusste aus langjähriger Erfahrung, dass seinem Freund und Bürgermeister einiges zuzutrauen war. Es hatte schon gute Gründe, weshalb dieser schon so lange an der Gemeindespitze stand. A Hund is er schoo, das dachte sich nicht nur der Hirschen-Wirt.

„Schon lange beschäftigt mich die Frage, wie wir aus dem ländlichen Schatten herauskommen könnten. Wer kennt uns denn schon? Alle schauen nur nach dem überkatholischen Altötting, und wir gelten als Hinterwäldler.

Schafhirten, Schweinebauern, Vorgestrige. Du merkst es doch bei Deinem Hotel selbst. Das muss ein Ende haben!“

„Recht hast Du! Aber daran haben sich schon Einige die Zähne ausgebissen. Letztes Jahr hat mich ein Gast zu später Stunde allen Ernstes gefragt, ob es bei uns noch Inzucht gibt“

„Waas???“,

rief Bärbel entgeistert.

„Hoffentlich hast Du ihn rausgeschmissen“

„Ich habe ihm alles doppelt auf die Rechnung gesetzt, und der Simpel hat nichts gemerkt“

„Gut gemacht, alter Gauner!“,

lachte Gerhard Holzner anerkennend. Die Bedienung kam und servierte. Die Haxen sahen wie immer bilderbuchmäßig aus, und so schmeckten sie auch.

„Schau doch mal bei Deiner Bürgermeisterin vorbei, solange sie noch im Krankenhaus liegt. Wer weiß, vielleicht macht sie ja hier mal Urlaub“

Es war nur ein Gedankenblitz von Max. Gerhard dachte einen Moment nach.

„Keine schlechte Idee. Meinst Du, sie spricht überhaupt deutsch?“

„Viele Holländer sprechen Sprachen. Und Deutsch ist bekanntermaßen eine davon. Wer weiß, was sie hier überhaupt wollte. Immerhin ist sie Dir mit Sicherheit dankbar – wo Du doch schon mal auf ihr gelegen hast…“

„Erzähl das blos nicht mit dieser Betonung meiner Frau“

„Wie ich Sabine kenne, würde sie mit Dir kurzen Prozess machen“,

lachte Bärbel lauthals.

Tot ziens

(„Auf Wiedersehen“)

„Zimmer 312“,

sagte die freundliche Dame am Empfang. Gerhard Holzner hatte einen schmucken Trachtenanzug mit roter Schleife angezogen und sich heute besonders sorgfältig rasiert, samt Rasierwasser, versteht sich. Einer Kollegin musste man schließlich standesgemäß gegenübertreten, vor allem, wenn sie im Bett lag. Er trat aus dem Treppenhaus im dritten Stock in den Zimmerflur und kontrollierte nochmals sein Outfit und die mitgebrachten Blumen. Unter der Nummer 312 stand Alexandra de Breujne auf dem Namensschild. Er klopfte, öffnete vorsichtig die Tür und trat ein.

„Grüß Gott, Frau de Breujne“,

sagte Gerhard Holzner und stellte sich vor, allerdings ohne seinen „Bürgermeister“.

„Sagt Ihnen mein Name etwas?“

Holzner versuchte, so freundlich wie möglich rüberzukommen.

„Guten Tag Herr Holzner“,

antwortete die Patientin in sauberem Deutsch. Sie wusste, wer ihr gerade gegenüber stand. Die Polizei hatte es ihr im Rahmen der Unfall-Ermittlung gesagt.

Und in der Zeitung gelesen hatte sie es auch. Holzner nahm sich einen der beiden Stühle und stellte ihn vor das Bett, dann nahm er darauf Platz. Die Patientin schien schon recht gut erholt, abgesehen von Ihrem dick eingewickelten linken Bein und dem Verband am Kopf.

Schwerverletzt sah sie jedenfalls nicht mehr aus.

Anscheinend hatte sie auch schon Friseurbesuch. Flottes Meisje, dachte der Mann, und sie trägt nichts weiter als ihr Nachthemd. Weiter kam er nicht, rein gedankenmäßig.

„Wie schön, dass wir uns persönlich kennen lernen. Nach allem, was ich gehört habe, sind Sie mein Lebensretter“

„Ich würd´s jederzeit wieder tun“,

antwortete Holzner mit breitem Grinsen, „Im Ernst: Wir beide hatten einen Schutzengel“

Alexandra sah ihn mit großen Augen an. Holzner war froh, dass er sich vernünftig herausgeputzt hatte, keinesfalls wollte er als Hinterwäldler dastehen.

„Dem habe ich schon ausführlich Danke gesagt. Zum Glück hab´ ich nichts von alldem mitbekommen“

Alexandra war die bemühte Freundlichkeit des Besuchers mit untrüglichem Instinkt nicht entgangen.

Ihre Menschenkenntnis lag selten daneben.

„Ja, und vielen lieben Dank für die schönen Herbstblumen“

Gerhard freute sich über die freundliche Reaktion. Die Blumen in seiner Hand hatte er fast vergessen.

„Was ist eigentlich aus meinem Wagen geworden? War das wirklich alles Schrott?“

Die Frage kam unvermittelt, begleitet von einem kaum merklichen Adlerblick.

„Aber sowas von Schrott! Die ganze Kiste ist in die Luft geflogen und anschließend total ausgebrannt. Selbst die Reifen auf den Felgen waren weggeschmolzen“

„Zum Glück haben Sie wenigstens meine Handtasche gerettet, sonst wäre ich hier völlig mittellos, allein unter Bayern, sozusagen“

Beide mussten lachen. Dann erzählten sie sich gegenseitig, wer sie waren und woher sie kamen. Und je mehr sie sich erzählten, umso mehr stellten sie teils amüsiert, teils erstaunt, Übereinstimmungen und Unterschiede ihrer Bürgermeister-Ämter fest. Beide waren für sechs Jahre im Amt, wobei in Deutschland eine mehrmalige Wiederwahl möglich ist. In Holland dagegen werden die Bürgermeister von einem Vertreter der Krone einmalig für sechs Jahre auf Vorschlag der Mehrheitspartei ernannt. Danach besteht die Möglichkeit, in einer anderen Kommune wiederum für sechs Jahre als Verwaltungschef unterzukommen.

Alexandra war Verwaltungsjuristin und sicher noch nicht am Karriere-Ende angekommen. Es fühlte sich alles so interessant wie komisch gleichermaßen an. Beide schienen am Humor des Anderen Gefallen zu finden. Am spannendsten an ihrer Tätigkeit fanden sie den Umgang mit Menschen und deren Beeinflussung, notfalls mit Freibier. Das gab´s sogar in Friesland, freilich keine Maßkrüge.

„Sagen Sie, Frau Kollegin, was hat Sie eigentlich in unsere schöne Gegend geführt?“

Alexandra überlegte kurz, dann entschied sie sich für die gleiche Antwort, die sie auch schon der Polizei gegeben hatte und sich damit zumindest auf der wirklichkeitsnahen Seite wusste.

„Ich war privat in Rosenheim und habe auf meiner Weiterfahrt nach Bad Reichenhall eine Rundfahrt durch die Gegend gemacht. Dass ihr so ein glattes Pflaster für hilflose Ausländerinnen seid, wer konnte das wissen?“

Und mit einem entwaffnenden Lachen fügte sie hinzu:

„Abschüssige Straßen mit Raureif haben wir auch nicht“

„Wir waren leider nicht schnell genug mit unserem roten Teppich für ausländische Staatsgäste, kann mir gar nicht genug leid tun“

Der Kerl hat was, dachte die Patientin plötzlich. Ein Hauch von Unbeholfenheit, aber vor allem das typisch Bayerisch-Lederhosige, Kernige, Fetzige, unerschütterlich Selbstsichere. Und seine Augen strahlten eine unnachahmliche tiefgründige Wärme aus. Sie mochte diese Mischung. Die Tür ging auf und eine Schwester erschien. Sie hatte eine Pappschale in der Hand, darauf lag eine Spritze.

„Frau de Breujne, ihre tägliche Thrombose-Spritze“

Holzner sollte einen Moment draußen warten. Danach hatte er eine Idee.

„Wie wär´s, wenn Sie nach Ihrer Entlassung bei uns Station machen? Ein Zimmer im `Hirschen´ ist für Sie immer frei“

„Soll ich vielleicht mit Krücken durch Ihren Ort humpeln?

Als Trophäe des Helden-Bürgermeisters etwa?“,

fragte Alexandra mit aufgesetzter Opfer-Mimik. Das Wort „Trophäe“ versetzte Holzner schlagartig in Stimmung. Beide lachten herzlich.

„Egal wie, aber der rote Teppich ist Ehrensache“

„Wir werden sehen“,

sagte Alexandra de Breujne beim Abschied, es klang wie eine Zusage.

„Ich werde Sie anrufen. Schließlich sind Sie mein Held!

Tot ziens“

Dieses Rossmarktl werde ich mir anschauen, sagte sie sich später und goss sich eine Tasse des klinischen Pfefferminztees ein. Dann griff die Bürgermeisterin zum Telefon.

„Van Meurs“,

meldete sich eine vertraute Stimme.

Das Erste Mal

Im örtlichen Bauer´s Universalkaufhaus, so nannte Berti Bauer seinen Lebensmittel-Laden mit angeschlossenem Sortiment für Klamotten und Kurzwaren gerne, waren schon seit Wochen die Schoko-Nikoläuse in drei Größen sowie Adventskalender und Glühwein vorrätig. Monika Bauer war die Seele des Ladens. Sie kannte alles und jeden, weshalb fast jeder Kunde, mehr noch jede Kundin, quasi automatisch zum Teil einer sich ständig aktualisierenden Informationsdrehscheibe wurde. Da konnte nur der Beichtvater Götz noch einigermaßen mithalten. Gerade hatte Monika von Gerda Brüderle eine Sensation erfahren, die ihr tatsächlich einen Moment die Sprache verschlagen hatte.

„Im Leichenwagen???“,

rief sie entrüstet, „das ist doch pervers!“

Oma Erna aus dem Unterdorf nickte heftig-empört.

„Mein Gott, die armen Eltern!“

Ein junges Pärchen, die sich beide als Gruppenleiter in der Pfarrjungend an Anhängerschaft und Respekt erfreuten, hatten beschlossen, ihr „Erstes Mal“ in den örtlichen Leichenwagen zu verlegen. Es handelte sich um Leonie und Bodo, beide im Ort wohlbekannt. Zwei Schlafsäcke sollten für die gemütliche Betriebstemperatur sorgen, bis zum nächsten Frühling wollte man unter keinen Umständen mehr warten. Wozu auch?, hatten sie sich gesagt, besonders, als diese Wahnsinns-Idee erst mal aufgekommen war. Es sollte nichts weniger als einmalig werden. Und das wurde es dann auch, in jeder Beziehung sozusagen. Vor allem, als die beiden aus ihrem seeligen ex-post-Schlummer hochfuhren und dabei die leere Sektflasche krachend gegen die Seitenwand flog. Die Hecktür hatte sich nämlich plötzlich luftgefedert geöffnet, während sich die Deckenbeleuchtung einschaltete. Zwei Männer wollten gerade einen leeren Sarg in das Auto schieben. Acht Augen starrten sich weit aufgerissen an.

„Was ist denn hier los???“

rief Eduard Brüderle entgeistert, als er endlich die Situation zutreffend erfasst hatte. Denn lebende Personen im Liegen, das hatten weder er noch sein Wagen bis dato erlebt.

„Raus, aber sofort! Die Party ist zu Ende! Hat man sowas schon gesehen? Auch noch Alkohol! So eine Sauerei, ausgerechnet in meinem Leichenwagen!“

Dementsprechend war er war außer sich. Brüderle war nur nebenberuflich der örtliche Bestatter und hatte in dieser Eigenschaft praktisch 24-Stunden Bereitschaft.

Das Gewerbe hatte er vor Jahren von seinem Schwiegervater übernommen, gemeinsam mit seiner Braut sozusagen. Im Hauptberuf war er Schweinezüchter. Sein Betrieb, der mehr als 200 Ringelschwänze beherbergte, lag etwas oberhalb von Rossmarktl. Kam der Wind von Osten, konnte man deren Existenz bis zum Kirchplatz wahrnehmen. Kein Wunder, dass es deshalb immer wieder zu Beschwerden gekommen war, besonders, wenn sich besagte Wetterlage sonntags zur Frühmesse ereignete. Vor einer Viertelstunde, es war schon kurz nach Mitternacht, hatte Brüderle einen polizeilichen Anruf bekommen. In Angeröd war es zu einem tödlichen Unfall gekommen. Zu hohe Geschwindigkeit, hatte es geheißen.

Erst jetzt erkannte Eduard die beiden Übernachtungsgäste.

„Hab ich´s mir nicht gedacht? Die Jugend von heute, außen katholisch und innen verkommen. Da wird sich unser armer Pfarrer Götz aber freuen. Von Euren Eltern will ich gar nicht erst reden“

Während Leonie plötzlich leichenblass aussah und den Schlafsack fest an sich drückte, verfärbte sich Bodos Gesicht dunkelrot. Ein peinliches Desaster würde morgen über sie hereinbrechen, soviel war sicher. Mit Mühe quälten sich die beiden aus dem Wagenheck und schnappten nach ihren Schlafsäcken und Utensilien, bevor sie sich wortlos eilig davon machten.

„Chef, was für eine geile Idee“,

rief der junge Helfer des Bestatters begeistert und glitt in einen veritablen Lachkrampf, der zwischen den dunklen Hausfassaden widerhallte.

„Du kannst doch Deinen Wagen zu einem mobilen Puff umfunktionieren, mit rotem Sekt aus dem Hirschen. Die Karre steht meistens doch nur rum!“

Der Chef musterte seinen Mitarbeiter kritisch, wenngleich er neidvoll an Momente in seiner eigenen Jugend denken musste, aus denen er zweifellos mehr hätte herausholen können.

„Schluss jetzt! Das würde Typen wie Dir nur so passen.

Los, pack´ lieber an!“

Am nächsten Morgen um acht öffnete Bauer´s Universalkaufhaus. Gerda Brüderle war pünktlich dort, sie hatte viel Zeit mitgebracht. Örtliche Skandale hatten zumeist ihre eigene Dynamik. Sie befeuerten zunächst die enormen Entrüstungswellen, die ungebremst über die Gemeinde hereinbrachen, Missgunst und Schadenfreude inbegriffen. Im Schatten dieser emotionalen Gewalten entwickelte sich dann mitunter die Neigung, das Komische an der Sache zu erkennen. Das konnte sich bis zur Bewunderung steigern – entweder hinter vorgehaltener Hand oder sogar am Stammtisch. In diesem Fall schaffte es die Sache bis zur Bewunderung am Stammtisch. Dem konnten sich weder die Väter der Betroffenen (im kontrastreichen Gegensatz zu ihren Müttern) noch Pfarrer Götz entziehen. Allerdings entgingen die beiden Liebenden nicht der pflichtgemäßen Beichte bei ihrem Hochwürden. Als weithin sichtbare Buße hatten Leonie und Bodo die Kirche gründlich zu putzen. Diese Aktion kam bei genauer Betrachtung gerade mehr als gelegen, denn es sollten die ersten Proben für das Krippenspiel beginnen.

Die Rollen für Maria und Josef mussten allerdings kurzfristig neu besetzt werden.

Der Wolf

Die Tage wurden kürzer, es fiel Schnee. Im Hirschen wurden die Termine für Weihnachtsfeiern knapp. Und die erste Lieferung tiefgefrorener Gänsekeulen ging ein.

Immer mehr Kerzen sah man abends hinter den adventlich geschmückten Fensterscheiben. Langsam wurde es Zeit, sich um den passenden Weihnachtsbaum zu kümmern. Nicht alle wurden ordnungsgemäß auf dem Parkplatz bei Bauer´s ausgesucht. Einige Dorfbewohner pflegten eine ungeschriebene familiäre Tradition und holten bei Dämmerung genau das Exemplar aus dem Wald, welches man schon länger im Geiste für sich reserviert hatte. Bertram, der Förster und sogar Inspektor Vogler drückten instinktiv lieber ein Auge zu.

Beate Brachmeyer war eine der Wenigen, die es seit einiger Zeit nicht mehr in den Wald zog, schon gar nicht bei Dämmerung. Es gab nämlich wieder Wölfe, kein Zweifel. Einer von ihnen – oder war es doch nur ein Einzelgänger? – war schon zweimal in den Pferch der Schäferin eingebrochen und hatte jedes Mal ein Schaf gerissen. Beim zweiten Mal war es sogar zu einem Kampf mit Freddy, ihrem schwarzen Hütehund aus Schottland, gekommen; er hatte nur knapp überlebt.

Auch ein Kollege in Windeckl hatte Ähnliches berichtet.

Ein doppelter Elektrozaun hatte nichts bewirkt.

Artenschutz hin oder her, das Mistvieh musste weg.

Wenn er einmal da war, würde er wiederkommen, soviel war sicher. Wer nicht handelt, wird behandelt, sagte sie sich. Nur wie, das wusste Beate noch nicht. Vorläufig würde sie abends solange es ging in ihrem Schäferwagen wach bleiben und sorgfältig auf jedes Geräusch achten.

Die Schäferin liebte nicht nur ihre Tiere, sie liebte es auch, allein in der Natur zu sein. Sie war Mitte fünfzig und lebte allein. Mittlerweile war sie schon acht Jahre Witwe, Kinder hatte sie nicht. Beate Brachmeyer galt Vielen im Ort als Außenseiterin, es war ihr egal. Das Geschwätz und die immerwährende Sucht, den Schein zu wahren, all das war der nachdenklichen Frau zuwider geworden. Mitten im Ort gehörte ihr ein schon in die Jahre gekommenes Haus, sie hatte die Wohnung im Obergeschoss preiswert an ein junges Paar vermietet.