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Eine bunte Gesellschaft aus 30 sehr unterschiedlichen Pilgern macht sich aus London auf den Weg zum Grab des Heiligen Thomas Becket in Canterbury. Um sich auf der langen Reise die Zeit zu vertreiben, wird vereinbart, dass jeder Pilger der Gruppe eine unterhaltsame Geschichte vorträgt. Ursprünglich hatte der Autor Geoffrey Chaucer geplant, jeden Pilger auf der Hin- und Rückreise jeweils zwei Geschichten erzählen zu lassen. Von diesen 120 Canterbury-Erzählungen konnte Geoffrey Chaucer zu Lebzeiten immerhin 24 realisieren. Die »Canterbury Tales« wurden nach ihrem Erscheinen 1478 eines der erfolgreichsten Bücher des 15. Jahrhunderts. Das Werk gehört bis heute zu den Meisterwerken der Weltliteratur. Durch den Kunstgriff, die Canterbury-Erzählungen jeweils unterschiedlichen Pilgern in den Mund zu legen, gelingt es Chaucer, eine große Vielfalt an Charakteren, Themen und Lebensperspektiven in einem einzigen Erzählwerk zu präsentieren. Chaucer zeichnet ein insgesamt wohlwollendes, mitunter aber auch humorvoll-satirisches Bild der pilgernden Persönlichkeiten. Die Reisenden stammen aus allen Ständen und Berufen. Zur Pilgergruppe gehören unter anderem Nonnen und Mönche, ein Ritter, mehrere Handwerker, ein Ablasshändler, ein Büttel, ein Gutsbesitzer, und ein Arzt. Die Pilger sind ein Querschnitt der mittelalterlichen Gesellschaft Englands an der Schwelle zur Renaissance. Aus den Einzelporträts entsteht ein detailliertes, vor allem aber unterhaltsames gesellschaftliches Gesamtbild. Einige der »Canterbury Tales« wurden 1972 von Paolo Pasolini unter dem Titel »Tolldreiste Geschichten« verfilmt.
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Seitenzahl: 826
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Wenn milder Regen, den April uns schenkt,
Des Märzes Dürre bis zur Wurzel tränkt,
In alle Poren süßen Saft ergießt,
Durch dessen Wunderkraft die Blume sprießt;
Wenn, durch des Zephyrs süßen Hauch geweckt,
Sich Wald und Feld mit zartem Grün bedeckt;
Wenn in dem Widder halb den Lauf vollzogen,
Die junge Sonne hat am Himmelsbogen;
Wenn Melodieen kleine Vögel singen,
Die offnen Augs die ganze Nacht verbringen,
Weil sie Natur so übermüthig macht: –
Dann ist auf Wallfahrt Jedermann bedacht,
Und Pilger ziehn nach manchem fremden Strande
Zu fernen Heil'gen, die berühmt im Lande;
In England aber scheint von allen Enden
Nach Canterbury sich ihr Zug zu wenden,
Dem heil'gen Hülfespender aller Kranken,
Dem segensvollen Märtyrer zu danken.
Zu dieser Zeit geschah's, als einen Tag
Zu Southwark ich im Tabard rastend lag[1]
– Bereit mit andachtsvollem, frommem Sinn
Zur Pilgerfahrt nach Canterbury hin –
Daß Abends langte dort im Gasthof an
Wohl eine Schaar von neunundzwanzig Mann
Verschiednen Volkes, das durch Zufalls Spiel
Zusammenwarf das gleiche Wallfahrtsziel;
Nach Canterbury reiten wollten Alle.
Raum gab's genug im Hause wie im Stalle
Und Jeder fand sein gutes Unterkommen.
Und kurz, als kaum die Sonne war verglommen,
Hatt' ich gesprochen schon mit Jedermann
Und zur Genossenschaft zählt' ich fortan.
Früh galt es aufzustehn, um mit den Andern
Des Weges zum besagten Ziel zu wandern.
Indessen, da mir Zeit und Raum nicht fehlt,
Und eh' der weitere Verlauf erzählt,
So denk' ich, daß es der Vernunft entspricht,
Wenn ich zunächst beginne den Bericht,
Wer sie und was sie waren und, soweit
Ich solches sehen konnte, wie das Kleid
Und was der Rang und Stand war eines Jeden.
Und drum vom Ritter will zuerst ich reden.
Es war ein Ritter da, ein würd'ger Mann,
Der, seit den ersten Kriegsritt er begann,
Von Herzen liebte Ritterthum und Streit
Und Freimuth, Ehre, Wahrheit, Höflichkeit,
Und tapfer focht im Dienste seines Herrn.
Geritten war wohl Keiner je so fern
Wie er in Christenland und Heidenthum,
Und überall gewann er Preis und Ruhm.[2]
Bei der Erobrung Alexandrias
War er zugegen. Oft bei Tafel saß
Vor allem Volk er obenan in Preußen;
Gereist, wie er, bei Letten und bei Reussen
War kaum ein Christenmensch von seinem Stand.
Er war in Granada, als man berannt
Dort Algesir. Er ritt nach Belmarie
Und focht vor Layas und vor Satalie,
Als man sie einnahm; und im großen Meere
Bestand er manche Waffenthat mit Ehre.
In funfzehn blut'gen Schlachten focht der Ritter,
Bei Tramissene für den Glauben stritt er
In drei Turnieren und erschlug den Feind;
Wie mit Palathias Herrscher auch vereint
Der tapfre Ritter manchen Kampf bestand
Mit andern Heiden aus dem Türkenland.
Den höchsten Preis gewann er immerdar;
Und ob so würdig er, wie weise, war,
Betrug er sich doch sanft wie eine Maid.
Er sagte nimmer eine Schlechtigkeit
Zu irgend wem in seinem ganzen Leben.
Er war ein durchaus edler Ritter eben.
Um auch von seinem Anzug zu berichten:
Gut sah sein Pferd aus, doch er selbst mit Nichten.
Sein Wappenrock war nur von Barchenttuch
Und durch den Harnisch schmutzbedeckt genug;
Denn eben von der Reise heimgekommen
Hatt' er sofort die Wallfahrt unternommen.
Sein Junker Sohn zog mit ihm als Begleiter,
Ein lust'ger Bursche, so verliebt, wie heiter.
Von krausen Locken war sein Haupt umwallt,[3]
Und zwanzig Jahre war er – denk' ich – alt.
Sein Körper war vom reinsten Ebenmaß.
Viel Stärke, viel Gewandtheit er besaß.
Auf Ritterfahrt zog mehrfach er schon früh
Nach Artois, Flandern und der Picardie,
Und hielt sich brav im kurzen Kampf. Sein Sinnen
War seiner Dame Gunst sich zu gewinnen.
Wie eine Wiese, wo zur Frühlingszeit
Sich roth und weiß an Blume Blume reiht,
War er geschmückt, und, heiter wie der Mai,
Sang er und pfiff den ganzen Tag dabei.
Sein Rock war kurz, die Ärmel weit und lang,
Kein bessrer Reiter auf ein Roß sich schwang;
Gewandt war er in schriftlichen Berichten,
Im Zielen, Zeichnen, Tanzen, Liederdichten;
Und liebesbrünstig hatte manche Nacht
Er schlaflos wie die Nachtigall durchwacht.
Dienstwillig war er, höflich und bescheiden;
Am Herrentisch durft' er den Braten schneiden.
Nur einen Knappen nahm auf seinen Ritt
Zur Zeit nach Neigung er an Dienern mit.
Sein Rock und Hut bestand aus grünem Tuch,
Und in dem Gurt er einen Köcher trug
Voll Pfauenfeder-Pfeilen. Sicher nahm
Er stets sein Ziel, so daß kein Bolzen kam
Mit seinem Federend' voran geflogen.
In Händen hielt er einen mächt'gen Bogen;
Nußköpfig war er und sehr braun gebrannt,
Und Eisenschienen schützten Arm und Hand.
In jeder Jagdkunst war er wohl bewährt;
Auf einer Seite trug er Schild und Schwert,[4]
Und auf der andern einen Dolch von Schliff
Scharf wie ein Speer und wohlverziert am Griff.
Ein Silber-Christoph schmückt' die Brust ihm vorn,
An grüner Banderolle hing sein Horn.
Ein Förster war er – trügt mich nicht mein Sinn.
Da war auch eine Nonnen-Priorin,
Scheu lächelnd und von schüchterner Natur.
»Bei St. Eligius!« war ihr stärkster Schwur,
Und Madam Eglantine war ihr Name.
Gar lieblich durch die Nase sang die Dame
Beim Gottesdienst. Französisch sprach sie so
Gewandt, wie immer Stratfort-atte-Bow
Es lehren kann; jedoch sie wußte nicht,
Wie in Paris man das Französisch spricht.
Beim Essen war besonders sie beflissen
Der größten Sauberkeit, und jeden Bissen
Führte sie so zu Mund, daß ihren Lippen
Kein Stück entfiel. Die Finger einzustippen
In ihre Brühe, fiel ihr niemals ein.
Die Oberlippe wischte sie so rein,
Daß in dem Becher nie von Fett die Spur,
Und zu verschütten einen Tropfen nur
Von ihrem Trunke war sie zu manierlich;
Und nach der Mahlzeit rülpste sie höchst zierlich;
Gewiß, sie war von liebenswürd'ger Güte,
Gefäll'gem Sinn und heiterem Gemüthe.
Viel Mühe gab sie sich, zu imitiren
Den Hofton, und durch stattliche Manieren
Als würdevoll zu gelten und geachtet.
Doch ihre Seele sei nunmehr betrachtet:
Mitleid und Güte sie so sehr vereinte,[5]
Daß sie beim Anblick eines Mäuschens weinte,
Lag's in der Falle blutend oder todt.
Wenn von den Hündchen, die mit Semmelbrod
Und Bratenfleisch und süßer Milch sie nährte,
Eines verreckt war, oder mit der Gerte
Geschlagen wurde, weinte sie vor Schmerz.
So voller Zartgefühl war sie und Herz.
Stets steckte sie ihr Busentuch genau;
Lang war die Nase; ihre Augen grau.
Ihr Mund war schmal mit einem Lippenpaar
Von sanftem Roth. Die schöne Stirne war
Der Breite nach wohl eine Spanne lang,
Und sicher, stattlich war ihr Wuchs und schlank.
Ihr Mantel – sah ich – stand ihr schmuck genug;
Zwei Schnüre von Korallenperlen trug
Sie an den Armen, grün mit Schmelz verziert
Und goldnem Medaillon, auf dem gravirt
Zu lesen stand: erst ein gekröntes A
Mit ihrem Priester reiste sie und mit
Ihrer Caplanin-Nonne zu selbstdritt.
Ein Mönch war da, ein würdiger Kumpan,
Ein großer Jäger und ein Reitersmann,
Ein ganzer Kerl, gemacht, um Abt zu werden.
Gar wohl versehen war sein Stall mit Pferden;
Saß er zu Rosse, wenn es windig war,
So klirrten seine Zügel hell und klar,
Als läutete die Glocke zur Kapelle,
Woselbst der Herr Bewohner einer Zelle.[6]
Die Regeln von St. Maur und Benedict
Hielt dieser Mönch für reichlich all und strict;
Weßhalb er sich mit ihnen nicht befaßte,
Und seinen Schritt der neuen Welt anpaßte.
Kein Hühnerbein gab er für die Maxime,
Daß Jägerei der Geistlichkeit nicht zieme,
Und was dem Fisch das nasse Element,
Sei für den Mönch die Regel im Convent,
Das heißt: in seinem Kloster sei sein Platz.
Doch keine Auster gab er für den Satz.
Und ich kann ihm die Ansicht nicht verübeln.
Was? sollt' er etwa denn verrückt sich grübeln,
In seinem Kloster über Büchern sitzen,
Gar bei der Arbeit seiner Hände schwitzen,
Wie Augustin befiehlt? – Die Welt muß treiben
Und Augustin mag bei der Arbeit bleiben!
Darum gebraucht' er seine Sporen tüchtig;
Windhunde hielt er, wie die Vögel flüchtig;
Das Reiten war ihm und das Hasenhetzen
Das nie zu theure, liebste Hochergötzen.
Die Ärmel – sah ich – hatt' er an der Hand
Verbrämt mit feinstem Pelzwerk aus dem Land,
Seine Kapuze schloß er unterm Kinne
Mit einer wunderlichen, goldnen Pinne,
An der als Knopf ein Liebesknoten saß.
Rund war sein Schädel und so blank wie Glas,
Und fettig glänzten seine Wangen auch;
Ein feister Herr war er und stark von Bauch.
Sein rollend Augenpaar lag tief im Hirne,
Und wie ein Kessel dampfte sein Stirne.[7]
Die Stiefel waren weich, und herrlich glänzte
Sein Roß. Kein angstgequältes, bleich Gespenste
Konnt nennen man den trefflichen Prälaten;
Ein fetter Schwan war ihm der liebste Braten,
Und brombeerfarben sah sein Leibroß aus.
Ein Bettelmönch, ein liederliches Haus,
War gleichfalls da. Es stand der würd'ge Mann
In den vier Orden Jedem weit voran,
Was Scherz betraf und schöne Redensart.
Auf eigne Kosten war von ihm gepaart
Wohl manches junge Weibsbild schon geworden,
Und eine Zierde war er für den Orden.
Gar wohl beliebt und sehr genau bekannt
War bei den Gutsbesitzern auf dem Land
Und würd'gen Frauenzimmern in der Stadt er;
Denn mehr Gewalt in seiner Beichte hatt' er
– So sprach er selbst – als ein Vicarius hat.
Von seinem Orden war er Licentiat.
Gemüthlich war bei ihm die Confession,
Und angenehm gab er Absolution.
Leicht war die Buße, die er zudictirte,
Vorausgesetzt, daß man ihn reichlich schmierte.
Denn Geld zu geben einem armen Orden,
Beweist, daß gründlich abgebeichtet worden.
Drum, gab man ihm, so durft' er auch verkünden,
Er wisse, man bereue seine Sünden.
Denn mancher Mann ist also hart von Herzen,
Daß er nicht weinen kann bei seinen Schmerzen.
Drum laßt das Beten und die Heulerei,
Und Silber gebt der armen Klerisei![8]
Messer und Nadeln trug er stets zum Putze
Für schöne Frau'n im Zipfel der Kapuze;
Und, wahrlich, lustig seine Stimme klang;
Auch spielte schön die Leier er und sang;
Im Liebeslied gewann er stets den Preis.
Sein Hals war wie die fleur de lis so weiß.
Dazu war er ein starker Pokulante,
Der in den Städten jedes Wirthshaus kannte;
Mehr lag der Zapfer und die Kellnerin
Als Kranke oder Bettler ihm im Sinn.
Für solchen würd'gen Mann schien's zu gemein
Und gänzlich unter seinem Stand zu sein,
Mit so aussätz'gem Volk sich zu beschmutzen;
Denn das bringt wenig Ehre, wenig Nutzen.
Statt mit Gesindel pflegt man angenehmern
Verkehr mit reichen Leuten und mit Krämern.
Doch wenn es Vortheil brachte, so war keiner
Je dienstbefliss'ner oder tugendreiner
Und höflicher als er. In dem Convente
War er der beste Bettler. Eine Rente
Zahlt er dem Kloster für das Privileg,
Daß ihm kein Bruder käm' in sein Geheg';
Und hörte seinem »In principio« zu
Die ärmste Wittwe mit nur einem Schuh,
So war gewiß ihr letzter Heller sein;
Und mehr als seinen Pachtzins heimst' er ein.
Oft war er wie ein wildes Raubthier wüthig,
Oftmals an Friedenstagen half er gütig;
Nicht, wie beim Klausner und Scholasten, schäbig
War seine Kleidung; ebenso behäbig[9]
Im Anzug war er, wie ein Papst und Meister;
In doppelt-wollener Kapuze reist' er,
Die wie die neugegossne Glocke rund;
Und liebeslüstern lispelte sein Mund,
Damit sein Englisch süß und zierlich klänge.
Beim Harfenspiel am Schlusse der Gesänge
Pflegten im Kopf die Augen ihm zu funkeln,
Wie Sterne bei der Winterszeit im Dunkeln.
Des Bettelmönches Name war Hubert. –
Ein gabelbärt'ger Kaufmann, hoch zu Pferd,
War gleichfalls da. Er trug sich buntgescheckt,
Den Kopf mit einem Biberhut bedeckt
Aus Flandern; seine Stiefel paßten prächtig;
Und, was er sprach, klang ernsthaft und bedächtig.
Auf Geldverdienst war immerdar bedacht er
Und wünschte nur, daß etwas unbewachter
Die See von Middelburg bis Orewell sei.
Mit wälschen Thalern trieb er Wechselei.
Der würd'ge Mann war klug und voll Verstand,
Und Niemand wußte, wie sein Schuldbuch stand.
Er paßte scharf in seinem Handel auf,
Beim Abschluß von Verträgen, wie beim Kauf.
Für einen Ehrenmann galt er bei Allen,
Doch leider ist sein Name mir entfallen.
Es war noch ferner ein Gelehrter dort,
Der Logik lang' studirt in Oxenford.
Er ritt auf einer klapperdürren Mähre,
Und auch er selbst war nicht sehr fett – auf Ehre! –
Hohläugig war er, doch voll Nüchternheit,
Und fadenscheinig war sein Oberkleid.[10]
Nicht weltlich von Gesinnung, hatt' er drum
Auch weder Amt noch Beneficium.
Mehr liebt er zwanzig Bücher überm Bette,
In schönem Einband auf dem Bücherbrette,
Von Aristoteles Philosophei,
Als Kleiderpracht, Musik und Fidelei.
Jedoch ein so gelehrter Philosoph er,
Hatt' er nur wenig Gold in seinem Koffer,
Da Alles, was von Freunden ihm gespendet,
Zum Studium er und Bücherkauf verwendet.
Doch unermüdlich pflegt' er Gott zu bitten
Für die, so sein Scholastenthum bestritten.
In seinen Studien sorgsam und verständig,
Sprach er kein Wort mehr, als durchaus nothwendig.
Kurz und bestimmt, jedoch gewählt zugleich
War seine Rede und gedankenreich,
Und stets kam die Moral dabei zu Ehren.
Er lernte gern, und gerne mocht' er lehren,
Ein weiser und gelehrter Justitiar,
Der schon auf manchem Rechtsparkette war,
Ritt gleichfalls mit. Bei aller Trefflichkeit
War er voll Rücksicht und Bescheidenheit,
Wie seine weisen Worte dies bewiesen.
Oft war er schon zum Richter der Assisen
Durch Vollmacht oder Commission ernannt.
Bei seinem Wissen, seinem Ruf verstand
Er auf den Gelderwerb sich unvergleichlich,
Und Kleider, wie Gebühren hatt' er reichlich.
Als simple Spesen strich er Alles ein,
Von dem Verdacht der Käuflichkeit ganz rein.[11]
Er hatte viel zu thun, und schien sogar
Geschäftiger, als er beschäftigt war;
Und alle Rechtsentscheidungen und Fälle
Seit König Will citirt' er auf der Stelle.
Im Actenschreiben war er so präcis,
Daß sich nicht drehn daran noch deuteln ließ.
Ein jegliches Statut war ihm bekannt.
Ein schmalgestreifter Seidengurt umwand
Sein Kleid, das bunt gescheckt war, doch höchst schlicht,
Und mehr erzähl' ich von dem Anzug nicht.
Ein Gutsherr zählte ferner zu dem Kreis.
Sein Bart war wie die Gänseblumen weiß,
Von Ansehn war sanguinisch er und roth;
Gern trank er Wein zu seinem Morgenbrod.
Sein Leben zu genießen, dacht' er nur,
Ganz wie ein ächter Sohn vom Epikur,
Nach dessen Meinung eben im Vergnügen
Des Lebens höchste Seligkeiten liegen.
Groß war sein Haushalt, und an Gastlichkeit
Galt als ein St. Julian er weit und breit.
Nach ein Uhr nahm er Brod und Bier erst ein,
Und Niemand war so wohlversehn mit Wein.
Es ging an Fisch und Fleisch in seinem Haus
Wie an Gebäck der Vorrath niemals aus.
An Speise, Trank und allen Leckereien,
Die zu erdenken, schien es nur zu schneien.
Verschieden und der Jahrszeit angemessen
War stets sein Braten und sein Abendessen.
Manch fettes Rebhuhn hielt im Bauer er,
An Hecht und Bars war nie sein Kasten leer,
Weh' seinem Koche! wenn die Brühe nicht[12]
Scharf und pikant und schmackhaft das Gericht.
Gedeckt vom Morgen bis zum Abend stand
Stets sein Credenztisch an der Hallenwand.
In den Sessionen war er Präsident,
Grafschafts-Vertreter oft im Parlament.
An seinem Gürtel, weiß wie Milch am Morgen,
Hing Dolch und Seidenbörse wohl geborgen;
Auch war, als würd'ger Freisaß rings bekannt,
Zum Obmann er und Scherif oft ernannt.
Ein Färber und ein Krämer kamen dann.
Bei ihnen, wies die Gildetracht es klar,
Daß hochansehnlich Aller Innung war.
Der Spieße Spitzen waren blank polirt;
Mit reinstem Silber waren rings verziert
Die Gürtel sammt den Taschen, die dran hingen,
Und auch von Blech nicht ihre Messerklingen.
Behäb'ge Bürger schienen sie, und Alle
Des Thrones werth in ihrer Gildehalle;
Und dem Verstande nach war Jedermann
Befähigt sicherlich zum Aldermann;
Und ihre Weiber liebten es zu zeigen,
Daß reichlich Gut und Renten Jedem eigen;
Sonst müßte man sie ernstlich darob schelten;
So schön es sein mag, als »Madam« zu gelten,
Und wenn zu den Vigilien man voran
Im reichen Mantel fürstlich gehen kann.
Sie ließen sich von einem Koch begleiten,
Die Mark- und Hühnersuppen zu bereiten
Nebst Poudremarchant, Galingale und Torten.
Vom Bier in London kannt' er alle Sorten.[13]
Er schmorte, briet, sott, röstete höchst lecker,
Er war Mortreusen- und Pastetenbäcker.
Indeß entstellte – denk' ich – ihn fatal
An seinem Kinn ein großes Muttermal.
Auf Blancmanger verstand er sich am besten.
Auch war ein Schiffer da, ganz aus dem Westen;
Soviel ich weiß, war er von Dertmouth her.
Auf einem magern Klepper ritt er sehr
Beschwerlich nur. Bis an die Kniee ging
Sein Faltenrock, und unterm Arme hing
Sein Dolch, gehalten durch ein Schulterband,
Und von der Sonne war er braun gebrannt.
Er war gewiß ein wackerer Kumpan,
Der von Bordeaux-wärts manchen Schluck gethan,
Sobald der Supercargo lag im Schlummer;
Und sein Gewissen schuf ihm wenig Kummer.
Wenn er im Streit den Gegner überwand,
So sandt' er ihn durchs Wasser an das Land;
Doch wußte zu berechnen er die Fluthen
Und Mond- und Sonnenhöhe. Solchen guten
Lotsen, wie ihn, bei Strömung und am Strand
Man von Karthago bis nach Hull nicht fand.
Er war – auf Ehre! – so beherzt, wie klug
Und seinen Bart durchzauste Sturm genug.
War ihm jedwede Bucht, die es nur gab,
Im Spanier- und Bretagnerland bekannt,
Und »Magdalene« ward sein Schiff genannt.
In aller Welt gab's Keinen je, wie ihn,[14]
Was die Arznei betrifft und Chirurgie.
Er kannte gründlich die Astronomie,
Und manche Lebensstunden konnten danken
Seiner natürlichen Magie die Kranken.
Auch konnte durch Constellation von Sternen
Er der Patienten Ascendenten lernen.
Er wußte, wo der Grund der Krankheit sitze,
Ob sie durch Dürre, Nässe, Kälte, Hitze
Entstanden sei und in das Blut gekommen;
Als Praktiker war er durchaus vollkommen.
Sobald der Krankheit Wurzel er erkannt,
War er sofort mit Mitteln bei der Hand.
Die Apotheker sandten für die Curen
Ihm willig die Latwergen und Mixturen;
Denn neu war nicht die Freundschaft zwischen ihnen;
Der eine gab dem andern zu verdienen.
Er kannte gründlich Dioscorides,
Den Averhoës und den Konstantin
In der Diät hielt er aufs rechte Maß,
Den Überfluß vermied er, doch besaß
Stets seine Nahrung Kraft und war verdaulich.
Das Bibelstudium schien ihm nicht erbaulich.
Er ritt in einem roth und blauen Kleide,
Mit Taffetas gefüttert und mit Seide.
Doch war er kein Verschwender, und hielt fest,
Was er gewonnen hatte bei der Pest.[15]
Herzstärkende Arznei ist Gold, und drum
Liebte das Gold er als Specificum.
Ein gutes Weib aus Bath zog ferner mit;
Doch schade war, daß am Gehör sie litt.
Im Tücherweben man wohl keine Hand
In Gent und Ypern je geschickter fand.
Kein Weib im ganzen Kirchspiel durfte wagen
Den Vortritt ihr beim Opfern zu versagen,
Denn ihre Liebe war in diesem Falle
Sofort dahin vor lauter Gift und Galle.
Vom feinsten Stoff trug einen Schleierbund
Sie Sonntags auf dem Kopfe, der ein Pfund
Und selbst darüber wog, bei meiner Treu!
Die scharlachrothen Strümpfe waren neu,
Und glänzten frisch und saßen eng und gut.
Kühn von Gesicht und schön wie Milch und Blut,
War sie ein wackres Weib, das ihrer Zeit
Fünf Männer an der Kirchenthür gefreit,
– Die Jugendfreunde dabei ungezählt,
Die zu erwähnen der Beruf mir fehlt. –
Hin nach Jerusalem zum heil'gen Land
War dreimal sie gepilgert. Auch bekannt
Boulogne, Köln und mancher fremde Strom;
Und auf der Wandrung lernte sie nicht wenig.
Doch, leider Gottes, war sie ziegenzähnig.
Auf ihrem reichgeschirrten Zelter ruhte
Sie höchst bequem, bedeckt mit einem Hute
Wie eine Tartsche, wie ein Schild so groß,
Und ihre weiten Hüften rings umschloß
Ein Überwurf. Die Sporen waren spitzig,[16]
Und in Gesellschaft war sie scharf und witzig.
Viel Liebesmittel waren ihr bekannt,
Den alten Tanz sie kunstgerecht verstand.
Es kam ein Pfarrer aus der Stadt sodann,
Ein gottesfürcht'ger und gelehrter Mann,
Zwar arm nur, doch an heiligen Gedanken
Und guten Werken reich; und ohne Wanken
Hielt er an Christi Wort und bracht's zu Ehren
In der Gemeinde durch sein treues Lehren.
Die Güte selbst war er und hülfsbereit
Und voll Geduld in Widerwärtigkeit,
Wie er gezeigt in manchen schweren Proben.
Beim Zehntensammeln pflegt' er nicht zu toben.
Er hätte lieber – ohne alle Frage –
Vom Opfergeld und Naturalertrage
Den Armen seines Kirchspiels abgegeben;
Denn er bedurfte wenig nur zum Leben.
Groß war sein Sprengel und weit abgelegen
Die Häuser! aber Donner nicht noch Regen
Hielt ihn zurück. Rief Krankheit oder Leid,
So waren Haus und Hütte nie zu weit
Für seine Füße und für seinen Stab.
Das beste Beispiel er den Schafen gab,
Da er sein Wort stets durch die That bewährte,
Wie ihn sein heilig Evangelium lehrte.
Er führte häufig auch das Gleichniß an:
Will Gold schon rosten, was thut Eisen dann?
Denn ist ein Priester, dem wir traun, nicht rein
So ist's kein Wunder, daß voll Rost die Lai'n;
Und Schmach den Priestern, die sich sagen müssen:
Rein sind die Schafe, doch ihr Hirt beschissen![17]
Ein Priester sollte für der Heerde Leben
Durch eigne Reinheit stets das Beispiel geben.
Daß er die Pfarre Miethern überwies,
Im Sumpfe seine Schafe stecken ließ,
Damit in London etwa als ein fauler
Chorherr im Dome lebe von St. Paul er,
Und Mitglied einer Brüderschaft gar werde,
Fiel ihm nicht ein. Er weidete die Heerde
Mit eigner Hand, daß sie kein Wolf beirrte;
Er war kein Miethling – nein, ein guter Hirte.
Obschon ein tugendhaft'ger, heil'ger Mann,
Nahm er sich freundlich doch der Sünder an,
Er predigte nicht pomphaft, noch vulgär,
Nein, liebereich und anstandsvoll vielmehr.
Das Volk durch Güte himmelwärts zu ziehn
Und eignes Beispiel war sein stetes Müh'n.
Doch wenn sich Jemand sündlich widersetzte
– War er im Rang der erste oder letzte –
So kanzelt' er ihn ganz gehörig ab.
Der beste Priester war er, den es gab,
Der nicht nach Pomp und äußer'n Ehren geizte,
Sich nie in süßem Selbstbewußtsein spreizte,
Doch Christi und der Jünger Wort so ehrte,
Daß er es erst befolgte und dann lehrte.
Ein Ackersmann war da, des Pfarrers Bruder,
Von Dünger lud er manches liebe Fuder,
Ein treuer Quäler, voller Herzensgüte,
Mildthätigkeit und friedlichem Gemüthe.
Er liebte Gott von seinem ganzen Herzen
Und alle Zeit, in Freuden wie in Schmerzen,
Und seinen Nächsten wie sich selbst. Bereit,[18]
Zu graben, pflügen, dreschen jeder Zeit,
War er für jeden Armen, alle Schwache
Ganz unentgeltlich, nur für Christi Sache.
Er zahlte stets zur rechten Zeit die Heuer
An Vieh und Korn und Früchten in der Scheuer.
Auf einer Stute ritt er und im Kittel.
Ein Müller, ein Verwalter kamen dann;
Zum Schluß ich selber, als der letzte Mann.
Der Müller war ein derber Kerl und stark
An Muskeln und an Knochen voller Mark.
Davon gab jeder Ringkampf den Beweis,
Denn stets gewann den Hammel er als Preis.
Mit seinem Kopf durchstieß er jedes Thor
Und hob es aus den Angeln rasch empor.
Stark in den Schultern war er, knorrig, knuppig;
Breit wie ein Grabscheit, schweinemäßig struppig
Und fuchsroth war sein Bart; und im Besitze
Von einer Warze war die Nasenspitze;
Ein Büschel Haare wuchs daraus empor,
Wie gelbe Borsten aus dem Schweineohr.
Groß war der schwarzen Nasenlöcher Weite;
Ein Schwert nebst Schild trug er an seiner Seite;
Von Umfang wie ein Ofen war sein Mund.
Ein Goliarde war er, Prahlhans und
Ein Zotenreißer, stahl vom Korn und maß
Den Mahlsatz dreifach; aber er besaß
Dabei – Pardi! – den goldnen Müllerfinger.
In weißem Rock und blauer Mütze ging er.
Schön pfiff er Dudelsack und blies darauf
Uns aus der Stadt auf unsrer Reise Lauf.[19]
Der Tafelmeister, der in einem Tempel
Den Tisch versah, war Käufern ein Exempel,
Wie beim Verproviantiren zu verfahren.
Ob stückweis, ob im Ramsch er seine Waaren
Erstehen mochte, er verstand die Sachen
So einzurichten, rasch sein Glück zu machen.
Nun, ist das nicht die schönste Gottesgabe,
Daß solch' geringer Mann mehr Weisheit habe,
Als wie ein Haufen hochgelehrter Geister?
Wohl mehr als dreißig Herr'n am Tische speist er,
Und im Gesetz erfahren waren alle.
Ein Dutzend gab es sicher in der Halle,
Die wohl befähigt waren, Gut und Land
Von jedem Lord im ganzen Engeland
Genau und ohne Schulden zu verwalten
– Indessen selbstverständlich vorbehalten,
Wenn er ein Filz war oder geistesschwach. –
Woran es in der Grafschaft auch gebrach,
An ihrem Rath gebrach's in keinem Falle;
– Doch hielt zu Narr'n der Tafelmeister Alle.
Der glatt rasirte Landverwalter war
Sehr mager und cholerisch, und sein Haar
Trug wie ein Priester er ganz kurz geschoren
Vorn an der Stirn und hinter beiden Ohren.
Sehr lang und mager waren seine Beine,
Gleich einem Stock, und Waden hatt' er keine.
Ordnung hielt er in Scheunen und in Ställen;
An seiner Rechnung etwas auszustellen
Fand kein Revisor; und er schätzte leicht
Den Saatertrag, ob's trocken oder feucht.
Von Milchhaus, Fischteich und des Herren Heerden,[20]
Vorräthen, Schweinen, Federvieh und Pferden
War dieser Mann ganz unumschränkt Verwalter,
Seit sein Gebieter zwanzig Jahr an Alter.
Er legte Rechnung an bestimmten Tagen,
Und über Rückstand konnte Niemand klagen.
Kein Vogt, kein Knecht, kein Hirt war ihm zu schlau;
Denn ihre Schliche kannt' er so genau,
Daß sie vor ihm mehr Furcht und Bangen hatten
Als vor dem Tod. – In grüner Bäume Schatten
Stand seine schöne Wohnung auf dem Felde.
Er speculirte besser mit dem Gelde,
Als sein Gebieter; denn in Heimlichkeit
Gewann er viel. Doch war er schlau bereit,
Davon auf Borg an seinen Herrn zu geben,
Und hatte Dank und Rock und Hut daneben.
Er fing als Jüngling mit dem Handwerk an,
Und galt als guter, tücht'ger Zimmermann.
Der Hengst, auf dem er saß, war schön von Bau,
Sein Name Scott, die Farbe apfelgrau.
Sein blauer Rock weit über's Knie ihm ging,
Ein rostig Schwert an seiner Seite hing.
Er war aus Norfolk her und zwar vom Land
Nah' einer Stadt, die Baldeswell genannt,
Und aufgeschürzt ganz wie ein Klostermann,
Ritt er stets auf der Reise hintenan.
Mit feuerrothem Cherubim-Gesicht,
Schmaläugig, finnig und mit Pusteln dicht
Besä't, war noch ein Büttel mit am Platz,
Und geil und lüstern war er, wie ein Spatz.
Mit grind'gem Bart und räud'gen Augenbrauen,
War sein Gesicht der Kinder Furcht und Grauen.[21]
Quecksilber, Schwefel, Borax schlugen fehl,
Ihm half nicht Bleiweiß, Glätte, Weinsteinöl,
Und mochten Salben noch so beißend sein,
Ihn konnte von dem Grinde nichts befrein
Und von den Knubben, die er im Gesicht.
Knoblauch und Zwiebeln war sein Leibgericht,
Sein Lieblingstrank blutrother, starker Wein;
Und wie verrückt, zu schwätzen und zu schrein
Begann er dann, und wollte, wenn beim Zechen
Er sich betrunken, nur Lateinisch sprechen.
Er lernte – und kein Wunder war's – auswendig
Zwei bis drei Redensarten, die beständig
Er in Decreten angewendet fand.
– Denn schwatzen kann, wie männiglich bekannt,
Die Elster wie der Papst. – Doch unterfing
Sich Jemand, tiefer ihn zu prüfen, ging
So rasch zu Ende die Philosophie,
Wohl selten fand man auf der Erde Rund
Solch güt'gen Kerl und lieben Lumpenhund;
Den guten Burschen wollt' bei wilden Ehen
Ein ganzes Jahr er durch die Finger sehen,
Gab man ihm nur ein Viertel Wein zu trinken.
In aller Stille pflückt' er seine Finken.
Er lehrte Leuten, die in solchen Lagen,
Nicht ängstlich vor dem Erzdekan zu zagen,
Und seiner Androhung des Kirchenbannes.
Doch wenn am Beutel hing das Herz des Mannes,
Büßte der Beutel, was der Mann gethan.
»Denn unter Hölle meint der Erzdekan
Den Beutel nur,« sprach – oder log vielmehr – er.
In Schrecken vor ihm standen alle Schwörer.[22]
– Die Beichte rettet, doch der Fluch bringt Tod!
Wohl dem, dem kein »Significavit« droht! –
Die Dirnen in der Diöcese standen
Kraft seines Amts in seiner Hut, und fanden
Bei ihm stets Rath für ihres Herzens Sehnen.
Es war mit einem Kranz, an Größe denen
Auf Bierhausstangen gleich, sein Haupt umhüllt,
Und ein gewalt'ger Kuchen war sein Schild.
Als Freund und als Gevatter von ihm ritt
Aus Ronceval ein Ablaßkrämer mit,
Der gradeswegs vom Hofe kam aus Rom.
Laut sang er: »Komm, mein Herzensliebchen, komm!«
Wozu der Büttel, wie Posaunenklang
Gewaltig dröhnend, seinen Rundreim sang.
Des Ablaßkrämers Haar war gelb wie Wachs,
Und hing so glatt wie eine Docke Flachs
Auf seine Schultern, die es rings umgab,
In dünnen Locken ihm vom Kopf herab.
In kecker Laune trug er's unbedeckt;
Denn die Kapuze hatt' er eingesteckt
In seinem Mantelsack, der vor ihm hing.
Daß er mit Flatterhaar und baarhaupt ging,
War nach der neu'sten Mode, wie er glaubte;
Drum trug er nur ein Käppchen auf dem Haupte.
Glotzaugen hatt' er ganz wie ein Karnickel,
Und angenäht am Käppchen ein Vernickel.
Mit Ablaßfracht kam er soeben heiß
Aus Rom zurück. Wie's Meckern einer Gais
Klang seine Stimme. Im Gesichte war,[23]
Ob unrasirt, doch keine Spur von Haar,
Er mußte – dünkt mich – wohl ein Wallach sein.
Von Ware bis Berwick war gewißlich kein
Ablaßverkäufer, der ihm's Wasser reichte.
Als »Unsrer lieben Frauen Schleier« zeigte
Er einen Kissenüberzug. Im Koffer
Verwahrte von dem Segel etwas Stoff er,
Das Petri Fahrzeug – wie er sagte – führte,
Als mit dem Herrn er auf dem See spazierte;
Ein steinbesetztes Kreuz hatt' er von Zinn
Sowie ein Glas mit Schweineknochen drin.
Und traf er einen armen Bauersmann,
So schwatzt' er ihm von den Reliquien an,
Und erntete an einem einz'gen Tage
Die Früchte seiner wochenlangen Plage.
So hielt mit Possen und mit Schmeichelworten
Das Volk zu Narren er an allen Orten.
Doch, um nicht von der Wahrheit abzuweichen,
Als Kirchenredner war er ohnegleichen.
Schön las den Bibeltext er und Historien;
Jedoch am besten sang er Offertorien,
Da hinterdrein er gleich den Anfang machte
Mit seiner Predigt, die ihm Geld einbrachte.
Zu diesem Zwecke spitzt' er seine Zunge
Und sang vergnügt und laut aus voller Lunge.
So macht' ich kurz und nach der Reihe kund
Rang, Anzug, Zahl und minder nicht den Grund,
Weßhalb in Southwerk Jeder angekommen
Und in dem Gasthof sein Quartier genommen,
Und an der Zeit ist's, daß ich Euch bekannt[24]
Auch weiter mache, wie wir unsre Nacht
In dem besagten Wirthshaus zugebracht;
Und hinterdrein gedenk' ich Euch zu sagen,
Was auf der Reise sonst sich zugetragen.
Doch bitt' ich Euch zunächst aus Höflichkeit
Legt es nicht aus als Herzensschlechtigkeit,
Wenn ich getreu im Laufe der Geschichte
Auch jedes Wort von Jedermann berichte;
Sonst ziehe man mit Recht der Lüge mich.
Denn das wißt sicher Ihr so gut wie ich:
Wer melden will, was ihm gesagt ein Mann,
Der wiederhole, so genau er kann,
Ein jedes Wort, sei's noch so schlecht gewählt
Und noch so gröblich, was ihm vorerzählt.
Sonst müßt' er ja die Unwahrheit berichten,
Den Sinn verfälschend, neue Worte dichten;
Den eignen Bruder darf er schonen nicht,
Ein jedes Wort zu sagen, ist ihm Pflicht.
Sehr kräftig sprach selbst Christus in der Bibel,
Und doch kein Wort – das wißt Ihr – ist von Übel.
Wer Plato las, dem ist der Spruch bekannt:
Es sei das Wort der Sache nah' verwandt.
Und gleichfalls bitt' ich, daß Ihr mir verzeiht,
Wenn ich Euch nicht nach Rang und Würdigkeit
Die Leute vorgeführt, wie angemessen.
Mein Witz ist kurz, das dürft ihr nicht vergessen.
Für Jeden freundlich, ließ der Wirth vom Haus
Uns niedersitzen rasch zum Abendschmaus.
Die Tafel er mit bester Speise deckte.
Stark war der Wein, der uns vorzüglich schmeckte.
So wohlanständig war des Wirthes Wesen,[25]
Als sei er zum Hofmarschall auserlesen.
Sein Wuchs war stark, tief lag sein Augenpaar;
In Chepe selbst kein bessrer Bürger war.
Gewandt und klug und grad' heraus er sprach,
In Nichts es ihm an Männlichkeit gebrach;
Dazu war er ein aufgeweckter Mann.
Gleich nach dem Abendessen hub er an
In heitrer Laune dies und das zu sprechen;
Und als berichtigt waren unsre Zechen,
Begann er also: »Wahrlich, meine Herr'n,
Willkommen heiß' ich Euch hier herzlich gern.
Denn, meiner Treu, wenn ich nicht lügen soll,
Sah meinen Gasthof ich noch nie so voll
In diesem Jahr, wie heut' am Tag' er ist.
Gern möcht' ich Euch erheitern. Darum wißt,
Daß ich mir eben einen Scherz erdacht,
Der vielen Spaß und keine Kosten macht.
Ihr geht nach Canterbury. – Eure Pfade
Beschirme Gott und seines Märtyr'rs Gnade! –
Und sicher weiß ich, daß Ihr Euren Weg
Zu kürzen denkt durch heiteres Gespräch.
Denn unbehaglich wahrlich ist's und dumm,
Einherzureiten, wie der Stein so stumm.
Drum würd' es mich, wie ich schon sagte, freun,
Euch angenehm und lustig zu zerstreun;
Und wenn Ihr insgesammt des Willens seid,
Mir zu gehorchen und mit Folgsamkeit
Dasjenige zu thun, was ich Euch weise,
– Bei meines Vaters Seel'! – seid auf der Reise
Ihr morgen dann nicht hochvergnügt und munter,
Schlagt mir den Kopf von meinem Rumpf herunter!
Macht keine Worte; hebt empor die Hände!«[26]
Wir kamen rasch mit dem Entschluß zu Ende;
Uns schien nicht werth, es lange zu berathen.
Wir gingen schlichthin darauf ein, und baten
Ihn, kund zu machen, was im Sinn er trage.
»Nun, Herren!« – sprach er – »hört, was ich Euch sage.
Doch bitt' ich dringend, nehmt es mir nicht krumm!
Denn, kurz und gut, es handelt sich darum,
Es solle Jeder von Euch vier Geschichten,
Den Weg zu kürzen, auf der Fahrt berichten.
– Zwei, während wir nach Canterbury wandern,
Und auf dem Heimweg dann die beiden andern. –
Der aber, welcher schließlich unter Allen
Von Abenteuern, die einst vorgefallen,
Das beste vorgetragen hat – das heißt:
Was Euch erbaut sowie ergötzt zumeist –
Erhält zum Lohn dafür in diesem Haus
Auf Kosten Aller einen Abendschmaus,
Wenn wir von Canterbury heimwärts kehren.
Und gerne will ich, Eure Lust zu mehren,
Auf eigne Kosten selber mit Euch reiten,
Und Euch als Führer auf der Fahrt begleiten.
Wer meinem Urtheil wagt zu widersprechen,
Zahlt auf der Tagesfahrt dafür die Zechen.
Wenn Ihr gewillt seid, daß dem also sei,
So stimmt mir ohne viele Worte bei,
Damit ich mich bei Zeiten rüsten kann.«
Dies ward bewilligt und wir schwuren dann
Froh unsern Eid und baten ihn daneben,
Das auszuführen, was er angegeben.[27]
Er möge sich als Leiter uns verpflichten,
Sowie als Richter über die Geschichten,
Den Preis des Abendessens nur fixiren,
Und nach Gefallen über uns regieren
Im Kleinen wie im Großen. – Jedermann
Nahm gern und willig seinen Vorschlag an.
Und hinterher bestellten wir uns Wein
Und tranken ihn, und dann ward allgemein
Und ohne Zögern gleich zur Ruh gegangen.
Sobald der Tag zu grauen angefangen,
Erhob sich unser guter Wirth und war
Der Hahn für Alle. – Bald war seine Schaar
Beisammen und dann ging, halb Trab, halb Schritt,
Zur Schwemme von Sanct Thomas unser Ritt.
Dort gab der Wirth den Pferden etwas Ruh'
Und sprach: »Ihr Herrn, hört mir gefälligst zu!
Ihr wißt, was Ihr verspracht und ich bedang.
Ist Euer Abendlied noch Morgensang,
So laßt uns sehn, wer soll der Erste sein,
Der jetzt erzählt? Ich schwör's bei Bier und Wein!
Für Alle zahlt die Zeche, wer sich jetzt
Rebellisch meinem Urtheil widersetzt!
Nun frisch geloost! Dann reiten wir von hinnen,
Und wer das kürz'ste Loos zieht, muß beginnen.
Herr Ritter,« – sprach er – »Oberherr und Lord!
Zieht Euer Hälmchen! – so ist der Accord. –
Kommt näher« – sprach er – »Lady Priorin!
Ihr, Herr Scholar, ermuntert Euren Sinn;
Laßt das Studiren! – Fasse Jeder an.«
Und folgsam zog sein Loos auch Jedermann.[28]
Ganz in der Kürze sei es nun berichtet:
– Ob es Geschick, ob Zufall angerichtet,
Die bei der Ziehung ihre Fäden schürzten –
Die Wahrheit ist: der Ritter zog den Kürz'sten.
Nun war bei Allen Lust und Freude groß.
Er hatte zu beginnen; denn sein Loos
Verfügte so. – Was braucht's der Worte mehr?
Was abgemacht, wißt Ihr und wußt' auch er.
Und da er klug, gehorsam war und willig,
So hielt er sein Versprechen auch, wie billig.
»In Gottes Namen! wie das Hälmchen fiel,
Will ich beginnen« – sprach er – »unser Spiel!
Nun reitet weiter und lauscht meinem Wort.«
So zogen wir des Weges weiter fort,
Und dann begann mit freundlichem Gesichte
Er die Erzählung, die ich jetzt berichte.[29]
Wie aus Historienbüchern zu ersehn,
War einst ein Herr und Herzog in Athen,
Der Theseus hieß. Ihm glich zu seiner Zeit
Kein Sieger und Eroberer, so weit
Die Sonne scheint, an Größe und an Ruhm.
Er unterwarf manch reiches Fürstenthum.
Durch Tapferkeit und Klugheit überwand
Er Scythia, das Amazonenland
Und er erkor zur Gattin sich zugleich
Hippolyta, die Königin vom Reich
Und zog mit ihr und ihrem Schwesterlein
Emilia in seine Heimath ein.
In feierlichem Zug voll Glanz und Pracht,
Umgeben von der ganzen Heeresmacht,
Mit Siegesliedern, Jubelmelodien
Mag nach Athen der würd'ge Herzog ziehn.
Doch, wahrlich, wär' es kürzer einzurichten,
Möcht' ich den ganzen Hergang Euch berichten,
Wie Herzog Theseus' ritterliche Hand
Das Reich der Weiber siegreich überwand,
Wie die Athener in den Kämpfen siegten,
Als sie die Amazonenschaar bekriegten,
Und wie die Königin von Scythia,
Die schöne, kräftige Hippolyta[30]
Belagert ward, wie ihrer Hochzeit Weise,
Ihr Tempelgang und ihre Heimwärtsreise.
Doch muß ich leider wohl darauf verzichten.
Groß ist – weiß Gott – mein Feld, doch stark mit Nichten
Sind meine Stiere, die ich vor dem Pflug;
Und der Geschichte Rest ist lang genug.
Ich möchte Keinem gern im Wege stehn;
Laßt Jedermann erzählen und uns sehn,
Wer sich den Abendschmaus gewinnen kann?
Drum, wo ich abbrach, heb' ich wieder an.
Als der erwähnte Herzog nun nicht weit
Mehr von der Stadt, zu der in Herrlichkeit
Und großer Pracht er auf der Reise rückte,
Sah er die Straße, als er um sich blickte,
Mit einer Schaar von Weibern angefüllt,
Die niederknieten, ganz in Schwarz gehüllt,
In einer langen Reihe, zwei bei zwei;
Und so erbärmlich klang ihr Wehgeschrei,
Daß wohl im Leben auf der Erde Flur
Solch Jammern hörte keine Creatur;
Nicht früher ließen sie ihr Schreien enden,
Bis seines Rosses Zügel sie in Händen.
»Was Volk seid Ihr, hier vor mir zu erscheinen,
Daß meiner Heimkehr Fest mit Eurem Weinen
Ihr stört?« – sprach Theseus – »seid Ihr so voll Neid
Ob meiner Ehre, daß ihr klagt und schreit?
Doch seid gekränkt Ihr, hat man Euch mißhandelt,
Daß Ihr in schwarzer Trauerkleidung wandelt,
So sagt mir an, wie ich Euch helfen kann?«[31]
Die älteste der Frauen sprach sodann,
Der Ohnmacht nah', mit blassem Angesicht
– Ein trüber Schauspiel gab es wahrlich nicht –
Und sagte: »Herr! begünstigt durch das Glück,
Kehrt siegreich als Erobrer Ihr zurück!
Statt Eures Ruhmes Glorie zu beneiden,
Flehn hülfesuchend wir in unsern Leiden.
Laßt gnadenvoll aus Eurem edlen Herzen
Nur einen Tropfen Mitleid auf die Schmerzen
Der jammervollen Weiber niederfallen;
Denn sicher, Herr, ist keine von uns allen,
Die nicht von Königen und Fürsten stammt,
Doch, wie Ihr seht, sind elend allesammt.
Denn hoher Stand oft kurze Dauer hat,
So lenkt's Fortuna und ihr falsches Rad!
Wir haben, Herr, auf Eure Gegenwart
In der Clementia Tempel schon geharrt
Seit vierzehn Tagen, unser Flehn zu senden
Empor zu Euch. – Ihr habt die Macht in Händen!
Ich selbst, ein elend, klagend Weib, war sonst
Des Kapaneus, des Königs, Eh'gesponst,
Der seinen Tod vor Theben fand. – Dem Tage
Sei ewig Fluch! – Und alle, deren Klage
Aus Trauerhüllen dringt zu Euren Ohren,
Haben die Gatten vor der Stadt verloren,
Als unser Heer vor ihren Wällen lag.
Der alte Kreon aber – Weh' und Ach! –
Der dort regiert, beschloß aus Haß und Wuth
Den schändlichen Tyrannenübermuth
An den entseelten Körpern selbst zu kühlen
Von unsern Männern, die im Kampfe fielen.
Auf einen Haufen schleppt' er ihre Leichen[32]
Und ist auf keine Weise zu erweichen,
Sie zu verbrennen oder zu bestatten,
Und die Gebeine der erschlag'nen Gatten
Dienen zum Futter jetzt für seine Hunde!«
Bei diesem Worte scholl aus Aller Munde
Ein kläglich Schrei'n: »O, öffnet in Erbarmen
Das Herz der Noth und Sorge von uns Armen!«
So schrieen sie und warfen sich zur Erde.
Der edle Herzog sprang sogleich vom Pferde,
Denn durch die Worte, die zu ihm gesprochen,
War schier sein mitleidsvolles Herz gebrochen.
Im Innersten bewegt durch die Beschwerden
Von denen, die einst hochgestellt auf Erden,
Hob er mit eigner Hand sie auf sofort,
Und freundlich sprach er manches Trosteswort.
Als treuer Ritter band durch einen Schwur
Er sich, zu thun, was irgend möglich nur,
Um des Tyrannen Kreons Macht zu brechen.
Das ganze Volk der Griechen solle sprechen
Davon noch lange, wie durch Theseus Hand
Kreon den Tod, den er verdiente, fand.
Und ohne länger sich dann aufzuhalten,
Ließ fördersamst die Banner er entfalten
Zum Vorwärtsmarsche für das ganze Heer.
– Nicht nach Athen zog es ihn länger mehr. –
Kaum einen halben Tag genoß er Ruh',
Dann ritt zur Nachtzeit er auf Theben zu.
Sein Weib, die Königin der Amazonen,
Hippolyta ließ er inzwischen wohnen
Mit ihrer jungen Schwester in Athen,
Um – wie gesagt – gleich in den Kampf zu gehn.[33]
Im weißen Banner schien mit Speer und Schild
Vom Kriegsgott Mars das blutigrothe Bild
Und leuchtete mit hellem Glanz ins Weite.
Aus reinem Gold gefertigt, ihm zur Seite
Ragte die Fahne, die das Bildniß trug,
Wie Theseus Kretas Minotaur erschlug.
So ritt der Herzog, so der kühne Sieger,
Umgeben von der Blüthe seiner Krieger,
Auf Theben zu, bis endlich Halt er machte
Auf einem Feld, wo er zu kämpfen dachte.
Um nun ganz kurz den Thatbericht zu geben:
Mit Kreon, welcher König war in Theben,
Focht er, und ritterlich in offner Schlacht
Erschlug er ihn und trieb die Heeresmacht
Zu Paaren, nahm die Stadt darauf mit Sturm,
Und gleich der Erde macht' er Wall und Thurm,
Und an die Frau'n ließ er zurückerstatten
Die todten Körper der erschlagnen Gatten,
Sie beizusetzen nach des Landes Brauch.
Doch allzulange währt' es, spräch' ich auch
Von allem Jammer und von allem Flennen
Der armen Weiber während dem Verbrennen,
Und wie, mit Ehren und mit vielen Gnaden
Vom edlen Herzog Theseus überladen,
Sie endlich schieden und von dannen gingen;
– Denn kurz zu sein, ziemt mir vor allen Dingen. –
Der edle Herzog, der mit starker Hand
Kreon erschlug und Theben überwand
Und alles Land zu eigen sich gemacht,
Nahm auf dem Schlachtfeld Ruhe für die Nacht.[34]
Nun machten sich die Plündrer viel zu schaffen,
Um reiche Beute, Rüstungen und Waffen
Erschlagner Feindesleichen heimzutragen
Vom Kampfplatz, wo sie haufenweise lagen.
Und so geschah's, daß hierbei aufgefunden
Zwei junge Ritter wurden, die, durch Wunden
Arg zugerichtet, scheinbar als erschlagen,
Im reichen Waffenschmuck beisammen lagen,
Von denen Palamon der eine hieß,
Arcit der andre; wie sich bald erwies,
Obwohl sie todt mehr als lebendig schienen,
Aus ihren Rüstungen; sowie von ihnen
Und ihrer Herkunft Herolden nicht minder
Bekannt war, daß sie als Geschwisterkinder
Entsprungen Thebens königlichem Haus.
Als aus dem Leichenhaufen sie heraus
Die Plünderer gezogen, brachte man
Sie in das Zelt des Theseus, der sodann
Sie nach Athen zu ew'ger Haft verwies
Und für kein Lösegeld daraus entließ.
Und heimwärts zog, nachdem er dies vollbracht,
Der würd'ge Herzog mit der Heeresmacht,
Bekränzt als Sieger mit dem Lorbeerzweige.
Geehrt und fröhlich bis zur Lebensneige
Verblieb er dort. – Was braucht's der Worte mehr?
In einem Thurme lagen sorgenschwer
Stets noch Arcit und Palamon gefangen,
Da für kein Gold die Freiheit zu erlangen.
Tag rollt auf Tag und Jahr auf Jahr vorbei,
Bis es geschah, daß einst im Monat Mai[35]
In früher Morgenstunde schon Emilie,
Weit schöner als am grünen Schaft die Lilie
Und frischer als des Maies Blüthenprangen
– Denn ob die Rose oder ihre Wangen
Von zarterm Roth, war schwerlich zu entscheiden –
Vom Lager aufstand, um sich anzukleiden,
Wie früh am Morgen sie gewohnt zu thun.
Die Schläfer läßt der Mai nicht lange ruhn,
Der so die Herzen prickelt und belebt,
Daß rasch vom Lager jeder sich erhebt.
»Steh' auf« – ruft Mai – »und huld'ge meiner Macht!«
Drum war Emilie zeitig aufgewacht,
Damit auch sie den Mai in Ehren halte.
Frisch war ihr Kleid; in reichen Flechten wallte
Ihr um die Schultern das goldgelbe Haar,
Das ellenlang – nach meiner Schätzung – war.
Als ihren Lauf die Sonne dann begann,
Trat sie im Garten ihre Wandrung an,
Wo sie sich weiß' und bunte Blumen pflückte,
Zum Kranz sie wand, mit ihm die Stirne schmückte,
Und dabei himmlisch wie ein Engel sang.
Der dicke, große Thurm, in dem schon lang
Gefangen die besagten Ritter lagen
– Von denen auch noch ferner viel zu sagen –
Die stärkste von des Schlosses Kerkerwarten,
Lag an dem Wall von eben jenem Garten,
In dem ihr Spiel Emilie fröhlich trieb.
Bei Sonnenschein und Morgenfrische blieb
Auch der gefangne Palamon nicht lang
Im Bett, und den gewohnten Morgengang,[36]
Zu dem sein Wärter ihm Erlaubniß gab,
Nahm er im höchsten Stock, von dem herab
Zur Stadt er und zum Grün des Gartens sah,
In dem das schöne Kind Emilia,
Lustwandeln ging, sich tummelnd hin und her.
Und Palamon, gefangen, sorgenschwer,
Ging seufzend auf und ab in seiner Kammer,
Sich oft beklagend, daß zu solchem Jammer
Geboren ihn das neidische Geschick.
Und so geschah's – sei's Zufall oder Glück –
Daß seine Augen durch die dicken Sparren
Von seines Fensters mächt'gen Eisenbarren
Grad' auf Emilie fielen. – Zitternd, bleich,
Zusammenzuckend, schreit empor er gleich,
Als ob er durch das Herz gestochen sei. –
Auf sprang Arcit sofort bei diesem Schrei
Und sprach: »Was, theurer Vetter, ist geschehn,
Daß todtenblaß Du plötzlich anzusehn,
Was hat man Dir gethan, was soll die Klage?
Um Gottes Willen mit Geduld ertrage,
Was abzuändern unsrer Macht entgeht.
Fortuna hat den Rücken uns gedreht!
Wenn unheilvoll durch die Constellation
Saturns uns die Aspecten einmal drohn,
So bleibt vergebens das Geschick beschworen;
Denn, wie der Himmel stand, als wir geboren,
So müssen wir's ertragen – das ist klar!«
Des Palamons Erwiedrung aber war:
»Bei Deiner Ansicht, die Du mitgetheilt,
Hat Deine Phantasie sich übereilt.
Nicht schrie ich, Vetter, weil wir hier gefangen;[37]
Ich ward verwundet, und die Schmerzen drangen
Durchs Auge mir ins Herz. Auf immerfort
Bannt mich die Schönheit einer Frau, die dort
Lustwandelnd sich ergeht im Gartengrün.
Das war der Grund, weßhalb ich aufgeschrien.
War Weib sie, war vom Himmel sie geschickt?
Mich dünkt, die Venus selbst hab' ich erblickt!«
Und dabei sank er auf die Kniee hin
Und sprach: »Venus, wenn ich gewürdigt bin,
Daß Du mir Armen, welchen Kummer beugt,
Dich hier in irdischer Gestalt gezeigt,
So hilf uns zu entrinnen unsrer Haft!
Doch ist's bestimmt, daß in Gefangenschaft
Wir durchaus sterben sollen, dann gewähre
Dein Mitleid unserm Stamme, dessen Ehre
Durch Tyrannei zu tiefem Fall gebracht!«
Nach dieser Rede war Arcit bedacht,
Auch seinerseits die Dame zu erspähen;
Doch augenblicklich, als er sie gesehen,
War – wenn schon Palamon verwundet schwer –
Arcit es ebenmäßig oder mehr.
Und jämmerlich fing er zu seufzen an:
»Die holde Schönheit hat mir's angethan,
Die ich erblickt auf jenem Gartenpfade.
Erring' ich mir nicht ihre Gunst und Gnade
Bleibt mir versagt, sie mindestens zu sehn,
Ist es um mich – das fühl' ich – auch geschehn.«
Als kaum die Worte Palamon gehört,
Frug er verächtlich blickend und verstört:
Ob's Ernst, ob's Scherz ihm mit der Rede wäre?
»Nein« – sprach Arcit – »vollkommen Ernst – auf Ehre![38]
Zu Scherzen bin – weiß Gott – ich nicht gestimmt.«
Und Palamon versetzte drauf, ergrimmt
Die Brauen faltend: »Nicht von Ehre sprich,
Wenn falsch Du und Verräther gegen mich,
Den Vetter und den Bruder Deiner Wahl!
Wir schwuren uns bei der Verdammung Qual,
Es solle gegenseitig von uns beiden
Einer dem andern bis zum Todesscheiden
In keiner Art und – lieber Bruder mein –
Auch in der Liebe nicht im Wege sein.
Daß Du zu meiner Hülfe stets bereit,
Wie ich zu Deiner – dieses war Dein Eid,
So sicherlich wie es der meine war.
Du kannst nicht widersprechen. Offenbar
Mußt Du, wie ich, in dieser Sache denken;
Drum Falschheit ist's, Dein Lieben hinzulenken
Zur Dame, die ich liebe, die ich auch
Stets lieben werde bis zum letzten Hauch!
Doch nie, Arcit, soll es Dein falsches Herz!
Ich liebte sie zuerst, und meinen Schmerz
Hab' ich als Bruder Dir und Freund geklagt,
Mir hülfreich beizustehn; denn – wie gesagt –
Dich bindet Eid, Dich bindet Ritterpflicht,
Daß Du mir Hülfe leihst; und thust Du's nicht,
Bist Du – frei sag' ich's – deines Eids vergessen.«
Ihm stolz erwiedernd, sprach Arcit indessen:
»Wenn Du mich falsch nennst, ist es leider schade,
Daß falsch Du selbst bist in weit höherm Grade,
Denn – par amour! – wer liebte sie zuerst,
Ich oder Du, daß Du Dich so beschwerst?[39]
Du wußtest nicht, ob Weib, ob Göttin sie;
Dein Herz bewegte heil'ge Sympathie,
Doch irdischer ist meiner Liebe Feuer;
Und so geschah's, daß ich mein Abenteuer
Als Vetter und als Bruder Dir enthüllte.
Gesetzt, daß Liebe Dich zuerst erfüllte,
So weißt Du's doch, daß Weise längst verkündet,
Daß in der Liebe kein Gebot uns bindet;
Und ob der klügste Mann Gesetze schriebe,
Bei meinem Kopf! das höchste bleibt die Liebe,
Und giebt uns positives Recht, Versprechen
Um ihretwillen jederzeit zu brechen!
Verstand verstummt, sobald die Liebe spricht!
Ob uns der Tod droht, wir entfliehn ihr nicht
– Mag sie nun Weib sein, Wittwe oder Maid. –
Für mich wie Dich gibt's keine Möglichkeit,
Uns ihre Gunst im Leben zu erringen,
Denn unsres – weißt Du – müssen wir verbringen
In Kerkerhaft, aus der in Ewigkeit
Nicht mich noch Dich ein Lösegeld befreit.
Wir streiten, gleich zwei Hunden, um das Bein.
Sie fochten, jeder wollte Sieger sein;
Da kam ein Habicht, der sie ausgewittert,
Und stahl den Knochen, der sie so erbittert.
Und, Bruder, sieh' den Hof des Königs an!
Da steht auch Jeder seinen eignen Mann.
Lieb', wen Du willst; ich will das Gleiche thun,
Und damit, Bruder, laß die Sache ruhn.
So lang in Kerkermauern wir begraben,
Mag jeder auch sein Abenteuer haben.«
Wie lang und scharf gewährt der Beiden Streit,[40]
Würd' ich berichten, hätt' ich nur die Zeit.
Jedoch zur Sache! – Kurz, wie ich's vermag,
Sei es erzählt. Es kam an einem Tag
Ein würd'ger Fürst, Pirithous genannt,
Zu Theseus nach Athen, wo er das Band
Der alten Freundschaft mit dem Spielgenossen,
Das sie in frühster Kinderzeit geschlossen,
Erneuerte, und froh mit ihm verkehrte,
Den auf der Welt er über Alles ehrte,
Von dem geehrt er über Alles war.
Der Beiden Liebe macht die Sage klar,
Daß nach dem Tod des Einen in der Hölle
Den Freund besucht der lebende Geselle.
– Was ich Euch hier nicht lang berichten mag. –
Pirithous, der schon seit Jahr und Tag
In Theben Neigung für Arcit empfand,
Hatte bei Theseus sich für ihn verwandt
Und durch sein Bitten ihm Pardon verschafft,
Daß ohne Lösegeld aus seiner Haft
Er unbeschränkt, wohin er wolle, ginge,
Jedoch nur unter folgendem Bedinge:
Mit dem Arcit kam Theseus überein,
Es solle künftig so gehalten sein,
Daß, wenn in seinem Leben je Arcit
Betroffen würde wieder im Gebiet
Des Herzog Theseus und zur Haft gebracht,
Sei es am Tage, sei es in der Nacht,
Sein Kopf sofort verfallen sei dem Schwerte.
Dagegen half kein Rath. – Entlassen, kehrte
Darum Arcit zurück zum Heimathlande.
– Er wahre sich! es steht sein Kopf zum Pfande! –[41]
Wie wird Arcit nunmehr gequält von Schmerzen
Und welche Todesqual trägt er im Herzen?!
Er weint und klagt und sinnt, mit eignen Händen
Die Leiden seines Lebens zu beenden.
»Unsel'ger Tag« – sprach er – »der mich gebar!
Wenn Fegefeuer schon mein Kerker war,
Ist gegenwärtig mein Geschick noch schlimmer,
Denn in die Hölle bannt es mich für immer!
Hätt' ich Pirithous doch nie gekannt;
Dann hielte mich noch Herzog Theseus' Hand
In ewiger Gefangenschaft zurück!
Hier bin ich elend, dort war ich im Glück!
Wenn ich nur sie, die hoch mein Herz verehrt
– Wird ihre Gunst auch niemals mir bescheert –
Erblicken könnte, wär' ich hoch zufrieden!
Ach!« – rief er aus – »Dir ist der Sieg beschieden,
Mein Vetter Palamon, in diesem Streit!
Du bliebst im Kerker voller Seligkeit;
Im Kerker? Nein! Fürwahr, ein Paradies
Fortunas Würfel Dich gewinnen ließ!
Du bist ihr nah', ich bin auf ewig weit,
Dir bleibt ihr Anblick und die Möglichkeit,
Daß – weil Du so gewandt wie tapfer bist,
Und wandelbar Fortunas Wesen ist –
Du mit der Zeit noch deinen Wunsch erlangst.
Ich bin verbannt! In hoffnungsloser Angst
Bleibt mir beständige Verzweiflung nur.
Hienieden gibt es keine Creatur
Im Feuer, Wasser, in der Luft, auf Erden,
Ein Tröster und ein Helfer mir zu werden!
O, wär' ich todt! Mir bleibt kein Hoffnungsschimmer,
Lust, Leben, Freude lebet wohl für immer![42]
Warum beklagt der Mensch sich des Geschicks,
Das Gottes Allmacht, oder Spiel des Glücks
In weiserm Walten über ihn verhängte,
Als wenn er selbst des Lebens Steuer lenkte?
Der Eine strebt nach Reichthum, und verdorrt
In langem Siechthum, oder stirbt durch Mord;
Ein Anderer durchbricht des Kerkers Wände,
Den Tod zu finden durch der Seinen Hände.
Wir wissen nicht, wie oft in diesen Dingen
Endlosen Harm die eignen Wünsche bringen.
Wir taumeln, wie ein schwer betrunkner Mann,
Der zwar sein Haus kennt, doch nicht finden kann
Den Weg, der ihn zu seiner Wohnung leitet,
Und auf dem Pfade sinnlos schwankt und gleitet.
So fahren wir umher in unserm Leben!
Die Seligkeit, nach der wir eifrig streben,
Sich oftmals als das Gegentheil erweist;
Das wissen Alle – und ich selbst zumeist,
Der ich in hoffnungsvollem Wahn gestanden,
Es werde, frei von meinen Kerkerbanden,
Nur Lust und Wohlsein fürder mir zu Theil.
Und jetzt bin ich verbannt von meinem Heil,
Da, wenn ich Dich, Emilie, nicht mehr sehe,
Allein der Tod nur enden kann mein Wehe!«
Ganz anders war des Palamons Gebahren,
Als des Arcit Befreiung er erfahren.
Sein Wehgeschrei und seine Klagen schallten,
Daß laut des Thurmes Mauern widerhallten;
Und auf die Fesseln, welche seine Glieder
Umschlossen, fielen bittre Thränen nieder.
»Arcit, mein Vetter!« – hub er an zu sprechen –[43]
»Nun kannst – weiß Gott – des Kampfes Frucht Du brechen!
Du wanderst jetzt in Theben frei umher,
Und kaum gedenkst Du meiner Leiden mehr;
Du bist voll Weisheit und voll Männlichkeit,
Und kannst des Hauses Mannen leicht zum Streit
Jetzt um Dich schaaren, in dies Land zu dringen;
Es kann durch Glück Dir, durch Vertrag gelingen,
Zum Weibe die Geliebte zu erwerben;
Ich aber muß vor Jammer um sie sterben.
Da Du aus der Gefangenschaft entlassen,
Vermagst Du jeden Vortheil zu erfassen.
Du bist Dein eigner Herr und darum stärker
Als ich, der hier verschmachten muß im Kerker,
Um lebenslänglich unter Jammerklagen
Die Leiden der Gefangenschaft zu tragen;
Und doppelt macht die Liebespein mein Herz
Empfinden alle Qualen, jeden Schmerz.«
Empor flammt Eifersucht, wie Feuersgluth,
In seiner Brust. Wie rasend schoß das Blut
Ihm nach dem Herzen und ließ die Gestalt
Wie Buchsbaum blaß, wie Asche todt und kalt.
»Grausame Göttin, deren Wort die Welt«
– So rief er aus – »in ew'gen Banden hält,
Die Du auf Demanttafeln Dein Belieben
Als ew'ge Richtschnur für die Welt geschrieben,
In Deinen Augen gelten Menschen kaum
Soviel wie Schafe in der Hürde Raum;
Und wie ein Vieh auch wird der Mensch erschlagen,
Muß Kerkerhaft und Sclavenfesseln tragen,
Krankheit und Wiederwärtigkeit erdulden,[44]
Und oft – bei Gott! – ganz ohne sein Verschulden!
Heißt das Regierung, wenn, vorauserwählt,
Die fleckenlose Unschuld wird gequält?!
Und nicht genug damit! zu größrer Qual
Sind wir verpflichtet gar aus freier Wahl
Den Sinn zu beugen unter Gottes Willen,
Wenn frei die Lust ein jedes Thier mag stillen.
Ein Vieh, das stirbt, ist ledig seiner Plagen,
Ein todter Mensch muß heulen noch und klagen,
Als ob nicht jammervoll genug die Welt!
Doch ohne Zweifel, so ist es bestellt!
Wer kann uns Antwort auf die Frage geben?
Eins ist gewiß: das größte Leid ist Leben!
Ach! Räuber und Reptile sehen wir,
Die guten Menschen stets geschadet, hier