Die Canterbury-Erzählungen - Geoffrey Chaucer - E-Book

Die Canterbury-Erzählungen E-Book

Geoffrey Chaucer

0,0

Beschreibung

Die von Geoffrey Chaucer verfassten "Canterbury Tales" sind Erzählungen aus dem 14. Jahrhundert, zwei davon in Prosa, die übrigen in Versen verfasst. Die Erzählungen, von denen nicht alle als Original gelten, sind in eine Rahmenhandlung eingebunden, die von einer Pilgergruppe auf ihrem Weg von Southwark, einem Vorort von London, nach Canterbury handelt, wo sie das Grabmal von Thomas Becket in der Kathedrale besichtigen wollen. Die Themen und Genres der Erzählungen variieren, handeln von der höfischen Liebe, Verrat und Habsucht, und zählen zu den Romanzen, bretonischen Lai (kurze rhythmische Erzählungen), Predigten und Fabeln. Die Charaktere erzählen dabei Geschichten von höchster kultureller Relevanz.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 849

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Canterbury-Erzählungen

Geoffrey Chaucer

Inhalt:

Geoffrey Chaucer – Biografie und Bibliografie

Canterbury-Erzählungen

Erster Theil

Der Prolog.

Die Erzählung des Ritters.

Der Prolog des Müllers.

Die Erzählung des Müllers.

Der Prolog des Landverwalters.

Die Erzählung des Landverwalters.

Der Prolog des Kochs.

Die Erzählung des Kochs.

Der Prolog des Rechtsgelehrten.

Die Erzählung des Rechtsgelehrten.

Der Prolog des Schiffers.

Die Erzählung des Schiffers.

Der Prolog der Priorin.

Die Erzählung der Priorin.

Prolog zu Sire Thopas.

Der Keim von Sire Thopas.

Der Prolog zu Melibeus.

Die Erzählung von Melibeus.

Der Prolog des Mönches.

Die Erzählung des Mönches.

Der Prolog des Nonnenpriesters.

Die Erzählung des Nonnenpriesters.

Verbindungs-Prolog.

Der Prolog des Weibes von Bath.

Die Erzählung des Weibes von Bath.

Der Prolog des Bettelmönches.

Die Erzählung des Bettelmönches.

Der Prolog des Büttels.

Die Erzählung des Büttels.

Zweiter Theil

Der Prolog des Klerk.

Die Erzählung des Klerk.

Pars Secunda.

Pars Tertia.

Pars Quarta.

Pars Quinta.

Pars Sexta.

Der Prolog des Kaufmanns.

Die Erzählung des Kaufmanns.

Der Prolog des Junkers.

Die Erzählung des Junkers.

Pars Secunda.

Der Prolog des Freisassen.

Die Erzählung des Freisassen.

Der Prolog des Doctors.

Die Erzählung des Doctors.

Der Prolog des Ablaßkrämers.

Die Erzählung des Ablaßkrämers.

Die Erzählung der zweiten Nonne.

Der Prolog des Dienstmannes vom Kanonikus.

Die Erzählung des Dienstmannes vom Kanonikus.

Der Prolog des Tafelmeisters.

Die Erzählung des Tafelmeisters.

Der Prolog des Pfarrers.

Die Erzählung des Pfarrers.

Explicit prima pars penitentiae; et incipit pars secunda.

De septem peccatis mortalibus.

De superbia.

Remedium Superbiae.

De Invidia.

Remedium Invidiae.

De Ira.

Remedium Irae.

De Accidia.

Remedium Accidiae.

De Avaritia.

Remedium Avaritiae.

De Gula.

Remedium Gulae.

De Luxuria.

Remedium Luxuriae.

Explicit secunda pars penitentiae; et sequitur tertia pars.

Canterbury-Erzählungen, Geoffrey Chaucer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849607531

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Geoffrey Chaucer – Biografie und Bibliografie

»Der Vater der neuenglischen Dichtkunst«, geb. um 1340 in London als Sohn eines Weinhändlers, gest. 25. Okt. 1400, erhielt eine gute klassische Bildung, konnte höfisches Wesen im Haushalte des Prinzen Lionel lernen, in dem er 1357 als Page bezeugt ist, machte 1359 einen Feldzug gegen Frankreich mit, wobei er in Gefangenschaft geriet, und kam dann als Kammerjunker (valet) zu König Eduard III., der ihm für seine Dienste 1367 eine Pension von 30 Mk. verlieh. In diese Jugendperiode fällt vielleicht eine Übersetzung des »Roman de la rose«, einer allegorischen Schilderung der Liebe, halb pathetisch und halb satirisch, die seine frühesten eignen Dichtungen stark beeinflußt hat. Sein erstes Werk, dessen Entstehungszeit wir genau kennen, ist das »Buch von der Herzogin«, geschrieben, um den Herzog John von Lancaster über den Verlust seiner ersten Gemahlin (1369) zu trösten. Als Muster schwebten ihm eine Elegie von Machault und Ovids »Verwandlungen« vor, in Einzelheiten auch der Rosenroman. Epoche machte dann in seinem Leben und Dichten eine Reise nach Genua, die er 1372 in diplomatischer Sendung unternahm. Die Werke von Dante, Petrarca und Boccaccio wurden ihm jetzt bekannt. Der Gedankenschwung und die Kunst der italienischen Frührenaissance strömten durch seine Vermittelung zuerst in die englische Literatur. Das zeigte sich nach seiner Rückkehr in der »Legende von der heil. Cäcilia«, in deren Einleitung der Lobgesang Dantes auf die Mutter Gottes z. T. aufgenommen ist; in dem Roman »Troilus und Chriseide«, der auf Boccaccios »Filostrato« beruht, die pathetische Liebesgeschichte des Italieners aber ins Humoristische wendet und den hilfreichen Pandarus zum faunischen Kuppler entwickelt; und in dem »Parlament der Vögel«, einem Huldigungsgedicht auf die Hochzeit des jungen Königs Richard II. und der deutschen Kaiserstochter Anna von Böhmen 1382. Daneben entstanden Übersetzungen ernster Betrachtungswerke sowie der »Consolatio philosophiae« von Boëthius. Aber auch launigen Humor entwickelte er in der »Klage des Mars«, worin er einen Skandal im Hause des Herzogs von Lancaster 1379 zu dessen Spaß besang. Deutlich wechselten zwei Stimmungen in ihm: eine mittelalterlich fromme und eine antik freie. Persönlich befand er sich in dieser Zeit in günstigen Verhältnissen; 1374 war er verheiratet mit einer frühern Hofdame im Haus Lancaster, die vom Herzog Johann eine Pension bezog; ihm wurden Vertrauensämter als Vormund und als Gesandter in wichtigen Sendungen (1378 nochmals nach Italien) zugewiesen; überdies fungierte er seit 1374 als Zolleinnehmer im Hafen von London, wobei er freilich mehr zu schreiben hatte, als sich mit seiner Natur- und Bücherliebhaberei vertrug. Das klagte er 1383/84 der Königin in der tiefsinnigen Allegorie »Haus der Fama«, die den Einfluß der »Divina Commedia« am meisten verrät und noch im 18. Jahrh. durch Pope eine Modernisierung erfuhr. In der Tat ward ihm 1385 erlaubt, sich im Amt einen Vertreter zu halten, und hiermit begann seine dritte Periode, in der sich sein Schaffensdrang an große Rahmenerzählungen wagte, die leider unvollendet blieben. Die eine ist die »Legende von guten Frauen«, d. h. von Märtyrerinnen der Liebe aus dem Altertum, die er mit Rücksicht auf seine königliche Gönnerin 1385 zu dichten begann, weil sie es übel vermerkte, daß er namentlich im »Troilus« und in seiner Übersetzung des »Roman de la rose« von den Frauen respektlos geschrieben hatte. Die andre sind die »Canterbury-Geschichten«, sein Hauptwerk. Sie sind ungefähr 30 Pilgern der verschiedensten Stände und Temperamente in den Mund gelegt, die sich auf einer Pilgerfahrt nach Canterbury treffen und auf[904] gute Art die Zeit kürzen. Ein Prolog schildert die Eigenart dieser Pilger mit einer köstlichen Beobachtungsgabe, mit einer echt englischen Mischung von Realismus und Humor, die bis Shakespeare unübertroffen blieb, um dann im neuenglischen Roman wieder eine Auferstehung zu feiern. Die Geschichten selbst sind Erzählern verschiedener Stände und Charaktere in den Mund gelegt: das gestattete gegenüber dem »Decamerone«, dessen fiktive Erzähler gleichförmig sind, einen großen Fortschritt der Charakteristik. Die Stoffe hat C. mit einer reichen Kenntnis der romanischen Novellen- und Schwankliteratur zusammengetragen, z. B. die Griseldisgeschichte aus Petrarca, die schwärmerische Liebe des Palamon und Arcitas für eine und dieselbe Dame aus der »Teseide« des Boccaccio, mehrere derbe Rüpelgeschichten aus französischen Fabliaux. Die Reformbewegung Wiclifs macht sich fühlbar in der sarkastischen Ausmalung des Bettelmönchs, Ablaßkrämers, Nonnenpriesters und Büttels vom geistlichen Gericht, sowie auch in den warm ausgeführten Bildern eines edlen Pfarrers und wahrhaft frommen Ackersmannes. Daß er dies Werk nicht vollendete, hängt wohl mit allerlei trüben Erlebnissen in spätern Jahren zusammen. Nachdem er 1386 als Abgeordneter für Kent ins Parlament eingetreten war, schwankte sein Schifflein im Sturm der Parteien. Er verlor Stellung und Einkünfte, gewann neue, kam in noch schlimmere Verlegenheiten. Einmal sandte er dem König ein Gedicht über seine »Leere Börse«. Er nahm lebhaften Anteil am Niedergang Richards II. und warnte ihn mit dem Gedicht »Beständigkeit«. Als sich 1399 endlich der Sohn des Herzogs Johann als Heinrich IV. auf den Thron schwang, huldigte ihm C. in begreiflicher Weise, und sofort wies ihm der neue König eine Pension von 20 Pfd. Sterl. an. Der Dichter kaufte ein Haus hinter der Westminsterabtei, starb aber bald darauf und fand seine Ruhestätte in der Kirche, die seitdem das Pantheon der englischen Geistesgrößen geworden ist. Eine große Schule eiferte ihm nach, nahm die von ihm eingeführten fünffüßigen Verse an sowie den damit zusammenhängenden Stil, der einen reflektierenden Zug bald mit Erhabenheit, bald mit einem seinen double entendre verbindet, und pflanzte seine Kunst emsig fort bis zur Zeit Spensers und Shakespeares. Auch auf die Entwickelung der neuenglischen Schriftsprache hat er wesentlich mit eingewirkt.

Chaucers Werke sind in vielen Handschriften erhalten. Schon der erste Buchdrucker Englands, Caxton, hat eine Ausgabe der »Canterbury-Geschichten« veranstaltet. Gesamtausgaben besorgten zuerst Thynne 1532, Stowe 1561, Speght 1598 (revidiert 1602). Im 18. Jahrh. lieferte Tyrwhitt einen verhältnismäßig vorzüglichen Text der »Canterbury-Geschichten« samt gelehrten Forschungen über Chaucers Leben, seine Sprache, Metrik und Quellen (1) 75 bis 1778). In den 60er Jahren des 19. Jahrh. wandte sich das öffentliche Interesse in England lebhafter auf ihn; der Abdruck, den Morris von sämtlichen Dichtungen Chaucers 1866 veranstaltete, erfuhr wiederholte Auflagen; namentlich aber schuf Frederick Furnivall in der Chaucer Society 1867 ein Zentrum dieser Studien, begann die Mitteilung aller wertvollen Handschriften und alten Drucke und nahm auch Beiträge von kontinentalen Gelehrten in die Schriften der Gesellschaft auf. Die Ergebnisse solcher Arbeit sind in Skeats großer Ausgabe für die »Clarendon Press« (Oxford 1894, 6 Bde.; dazu ein 7. Bd. mit Dichtungen aus Chaucers Schule, das. 1897) zusammengetragen. Bequeme Handausgaben in 1 Band boten Skeat, The student's C. (Oxford 1895), und Pollard in der »Globe edition« (Lond. 1898). Zu nennen ist noch eine recht lesbare Biographie des Dichters v. Ward in der Sammlung »English men of letters« (Lond. 1879). In Deutschland erschienen zuerst Teilübersetzungen von Kannegießer (Zwickau 1827) und Fiedler (Dessau 1844). Dann gab R. Pauli eine vortreffliche Skizze in seinen »Bildern aus Altengland« (Gotha 1860), Hertzberg eine vortreffliche Übersetzung der »Canterbury-Geschichten« (Hildburghausen 1866), Kißner eine Schilderung seiner Beziehung zur italienischen Literatur (Bonn 1867). Am meisten aber hat bei uns ten Brink für C. getan: er übertrug in den »Chaucer-Studien« (Münster 1870) auf ihn die strenge Methode literarhistorischer Kritik; er schrieb »Chaucers Sprache und Verskunst« (Straßb. 1884) und widmete ihm im zweiten Bande seiner »Geschichte der englischen Literatur« (das. 1889, 2. Aufl. 1899) eine ausführliche und gediegene Darstellung. Ten Brink, John Koch und Zupitza haben auch begonnen, seine Dichtungen in kritisch gereinigter Form nach alten Handschriften herauszugeben. Kleinere Schriften über ihn findet man in Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, Bd. 2, S. 672–683 (Straßb. 1892) und jedes Jahr im »Jahresbericht für germanische Philologie« zusammengestellt. Neuere Übersetzungen sind vorhanden von John Koch: »Ausgewählte kleinere Dichtungen Chaucers« (Leipz. 1880), und von A. v. Düring: »Chaucers Werke« (Straßb. 1883–86, 3 Bde., enthaltend »Das Haus der Fama«, »Die Legende von guten Frauen«, »Das Parlament der Vögel« und die »Canterbury-Geschichten«).

Canterbury-Erzählungen

Erster Theil

Der Prolog.

Vers 1–860.

Wenn milder Regen, den April uns schenkt,

Des Märzes Dürre bis zur Wurzel tränkt,

In alle Poren süßen Saft ergießt,

Durch dessen Wunderkraft die Blume sprießt;

Wenn, durch des Zephyrs süßen Hauch geweckt,

Sich Wald und Feld mit zartem Grün bedeckt;

Wenn in dem Widder halb den Lauf vollzogen,

Die junge Sonne hat am Himmelsbogen;

Wenn Melodieen kleine Vögel singen,

Die offnen Augs die ganze Nacht verbringen,

Weil sie Natur so übermüthig macht: –

Dann ist auf Wallfahrt Jedermann bedacht,

Und Pilger ziehn nach manchem fremden Strande

Zu fernen Heil'gen, die berühmt im Lande;

In England aber scheint von allen Enden

Nach Canterbury sich ihr Zug zu wenden,

Dem heil'gen Hülfespender aller Kranken,

Dem segensvollen Märtyrer zu danken.

Zu dieser Zeit geschah's, als einen Tag

Zu Southwark ich im Tabard rastend lag

– Bereit mit andachtsvollem, frommem Sinn

Zur Pilgerfahrt nach Canterbury hin –

Daß Abends langte dort im Gasthof an

Wohl eine Schaar von neunundzwanzig Mann

Verschiednen Volkes, das durch Zufalls Spiel

Zusammenwarf das gleiche Wallfahrtsziel;

Nach Canterbury reiten wollten Alle.

Raum gab's genug im Hause wie im Stalle

Und Jeder fand sein gutes Unterkommen.

Und kurz, als kaum die Sonne war verglommen,

Hatt' ich gesprochen schon mit Jedermann

Und zur Genossenschaft zählt' ich fortan.

Früh galt es aufzustehn, um mit den Andern

Des Weges zum besagten Ziel zu wandern.

Indessen, da mir Zeit und Raum nicht fehlt,

Und eh' der weitere Verlauf erzählt,

So denk' ich, daß es der Vernunft entspricht,

Wenn ich zunächst beginne den Bericht,

Wer sie und was sie waren und, soweit

Ich solches sehen konnte, wie das Kleid

Und was der Rang und Stand war eines Jeden.

Und drum vom Ritter will zuerst ich reden.

Es war ein Ritter da, ein würd'ger Mann,

Der, seit den ersten Kriegsritt er begann,

Von Herzen liebte Ritterthum und Streit

Und Freimuth, Ehre, Wahrheit, Höflichkeit,

Und tapfer focht im Dienste seines Herrn.

Geritten war wohl Keiner je so fern

Wie er in Christenland und Heidenthum,

Und überall gewann er Preis und Ruhm.

Bei der Erobrung Alexandrias

War er zugegen. Oft bei Tafel saß

Vor allem Volk er obenan in Preußen;

Gereist, wie er, bei Letten und bei Reussen

War kaum ein Christenmensch von seinem Stand.

Er war in Granada, als man berannt

Dort Algesir. Er ritt nach Belmarie

Und focht vor Layas und vor Satalie,

Als man sie einnahm; und im großen Meere

Bestand er manche Waffenthat mit Ehre.

In funfzehn blut'gen Schlachten focht der Ritter,

Bei Tramissene für den Glauben stritt er

In drei Turnieren und erschlug den Feind;

Wie mit Palathias Herrscher auch vereint

Der tapfre Ritter manchen Kampf bestand

Mit andern Heiden aus dem Türkenland.

Den höchsten Preis gewann er immerdar;

Und ob so würdig er, wie weise, war,

Betrug er sich doch sanft wie eine Maid.

Er sagte nimmer eine Schlechtigkeit

Zu irgend wem in seinem ganzen Leben.

Er war ein durchaus edler Ritter eben.

Um auch von seinem Anzug zu berichten:

Gut sah sein Pferd aus, doch er selbst mit Nichten.

Sein Wappenrock war nur von Barchenttuch

Und durch den Harnisch schmutzbedeckt genug;

Denn eben von der Reise heimgekommen

Hatt' er sofort die Wallfahrt unternommen.

Sein Junker Sohn zog mit ihm als Begleiter,

Ein lust'ger Bursche, so verliebt, wie heiter.

Von krausen Locken war sein Haupt umwallt,

Und zwanzig Jahre war er – denk' ich – alt.

Sein Körper war vom reinsten Ebenmaß.

Viel Stärke, viel Gewandtheit er besaß.

Auf Ritterfahrt zog mehrfach er schon früh

Nach Artois, Flandern und der Picardie,

Und hielt sich brav im kurzen Kampf. Sein Sinnen

War seiner Dame Gunst sich zu gewinnen.

Wie eine Wiese, wo zur Frühlingszeit

Sich roth und weiß an Blume Blume reiht,

War er geschmückt, und, heiter wie der Mai,

Sang er und pfiff den ganzen Tag dabei.

Sein Rock war kurz, die Aermel weit und lang,

Kein bessrer Reiter auf ein Roß sich schwang;

Gewandt war er in schriftlichen Berichten,

Im Zielen, Zeichnen, Tanzen, Liederdichten;

Und liebesbrünstig hatte manche Nacht

Er schlaflos wie die Nachtigall durchwacht.

Dienstwillig war er, höflich und bescheiden;

Am Herrentisch durft' er den Braten schneiden.

Nur einen Knappen nahm auf seinen Ritt

Zur Zeit nach Neigung er an Dienern mit.

Sein Rock und Hut bestand aus grünem Tuch,

Und in dem Gurt er einen Köcher trug

Voll Pfauenfeder-Pfeilen. Sicher nahm

Er stets sein Ziel, so daß kein Bolzen kam

Mit seinem Federend' voran geflogen.

In Händen hielt er einen mächt'gen Bogen;

Nußköpfig war er und sehr braun gebrannt,

Und Eisenschienen schützten Arm und Hand.

In jeder Jagdkunst war er wohl bewährt;

Auf einer Seite trug er Schild und Schwert,

Und auf der andern einen Dolch von Schliff

Scharf wie ein Speer und wohlverziert am Griff.

Ein Silber-Christoph schmückt' die Brust ihm vorn,

An grüner Banderolle hing sein Horn.

Ein Förster war er – trügt mich nicht mein Sinn.

Da war auch eine Nonnen-Priorin,

Scheu lächelnd und von schüchterner Natur.

»Bei St. Eligius!« war ihr stärkster Schwur,

Und Madam Eglantine war ihr Name.

Gar lieblich durch die Nase sang die Dame

Beim Gottesdienst. Französisch sprach sie so

Gewandt, wie immer Stratfort-atte-Bow

Es lehren kann; jedoch sie wußte nicht,

Wie in Paris man das Französisch spricht.

Beim Essen war besonders sie beflissen

Der größten Sauberkeit, und jeden Bissen

Führte sie so zu Mund, daß ihren Lippen

Kein Stück entfiel. Die Finger einzustippen

In ihre Brühe, fiel ihr niemals ein.

Die Oberlippe wischte sie so rein,

Daß in dem Becher nie von Fett die Spur,

Und zu verschütten einen Tropfen nur

Von ihrem Trunke war sie zu manierlich;

Und nach der Mahlzeit rülpste sie höchst zierlich;

Gewiß, sie war von liebenswürd'ger Güte,

Gefäll'gem Sinn und heiterem Gemüthe.

Viel Mühe gab sie sich, zu imitiren

Den Hofton, und durch stattliche Manieren

Als würdevoll zu gelten und geachtet.

Doch ihre Seele sei nunmehr betrachtet:

Mitleid und Güte sie so sehr vereinte,

Daß sie beim Anblick eines Mäuschens weinte,

Lag's in der Falle blutend oder todt.

Wenn von den Hündchen, die mit Semmelbrod

Und Bratenfleisch und süßer Milch sie nährte,

Eines verreckt war, oder mit der Gerte

Geschlagen wurde, weinte sie vor Schmerz.

So voller Zartgefühl war sie und Herz.

Stets steckte sie ihr Busentuch genau;

Lang war die Nase; ihre Augen grau.

Ihr Mund war schmal mit einem Lippenpaar

Von sanftem Roth. Die schöne Stirne war

Der Breite nach wohl eine Spanne lang,

Und sicher, stattlich war ihr Wuchs und schlank.

Ihr Mantel – sah ich – stand ihr schmuck genug;

Zwei Schnüre von Korallenperlen trug

Sie an den Armen, grün mit Schmelz verziert

Und goldnem Medaillon, auf dem gravirt

Zu lesen stand: erst ein gekröntes A

Und drunter: »Amor vincit omnia!«

Mit ihrem Priester reiste sie und mit

Ihrer Caplanin-Nonne zu selbstdritt.

Ein Mönch war da, ein würdiger Kumpan,

Ein großer Jäger und ein Reitersmann,

Ein ganzer Kerl, gemacht, um Abt zu werden.

Gar wohl versehen war sein Stall mit Pferden;

Saß er zu Rosse, wenn es windig war,

So klirrten seine Zügel hell und klar,

Als läutete die Glocke zur Kapelle,

Woselbst der Herr Bewohner einer Zelle.

Die Regeln von St. Maur und Benedict

Hielt dieser Mönch für reichlich all und strict;

Weßhalb er sich mit ihnen nicht befaßte,

Und seinen Schritt der neuen Welt anpaßte.

Kein Hühnerbein gab er für die Maxime,

Daß Jägerei der Geistlichkeit nicht zieme,

Und was dem Fisch das nasse Element,

Sei für den Mönch die Regel im Convent,

Das heißt: in seinem Kloster sei sein Platz.

Doch keine Auster gab er für den Satz.

Und ich kann ihm die Ansicht nicht verübeln.

Was? sollt' er etwa denn verrückt sich grübeln,

In seinem Kloster über Büchern sitzen,

Gar bei der Arbeit seiner Hände schwitzen,

Wie Augustin befiehlt? – Die Welt muß treiben

Und Augustin mag bei der Arbeit bleiben!

Darum gebraucht' er seine Sporen tüchtig;

Windhunde hielt er, wie die Vögel flüchtig;

Das Reiten war ihm und das Hasenhetzen

Das nie zu theure, liebste Hochergötzen.

Die Aermel – sah ich – hatt' er an der Hand

Verbrämt mit feinstem Pelzwerk aus dem Land,

Seine Kapuze schloß er unterm Kinne

Mit einer wunderlichen, goldnen Pinne,

An der als Knopf ein Liebesknoten saß.

Rund war sein Schädel und so blank wie Glas,

Und fettig glänzten seine Wangen auch;

Ein feister Herr war er und stark von Bauch.

Sein rollend Augenpaar lag tief im Hirne,

Und wie ein Kessel dampfte sein Stirne.

Die Stiefel waren weich, und herrlich glänzte

Sein Roß. Kein angstgequältes, bleich Gespenste

Konnt nennen man den trefflichen Prälaten;

Ein fetter Schwan war ihm der liebste Braten,

Und brombeerfarben sah sein Leibroß aus.

Ein Bettelmönch, ein liederliches Haus,

War gleichfalls da. Es stand der würd'ge Mann

In den vier Orden Jedem weit voran,

Was Scherz betraf und schöne Redensart.

Auf eigne Kosten war von ihm gepaart

Wohl manches junge Weibsbild schon geworden,

Und eine Zierde war er für den Orden.

Gar wohl beliebt und sehr genau bekannt

War bei den Gutsbesitzern auf dem Land

Und würd'gen Frauenzimmern in der Stadt er;

Denn mehr Gewalt in seiner Beichte hatt' er

– So sprach er selbst – als ein Vicarius hat.

Von seinem Orden war er Licentiat.

Gemüthlich war bei ihm die Confession,

Und angenehm gab er Absolution.

Leicht war die Buße, die er zudictirte,

Vorausgesetzt, daß man ihn reichlich schmierte.

Denn Geld zu geben einem armen Orden,

Beweist, daß gründlich abgebeichtet worden.

Drum, gab man ihm, so durft' er auch verkünden,

Er wisse, man bereue seine Sünden.

Denn mancher Mann ist also hart von Herzen,

Daß er nicht weinen kann bei seinen Schmerzen.

Drum laßt das Beten und die Heulerei,

Und Silber gebt der armen Klerisei!

Messer und Nadeln trug er stets zum Putze

Für schöne Frau'n im Zipfel der Kapuze;

Und, wahrlich, lustig seine Stimme klang;

Auch spielte schön die Leier er und sang;

Im Liebeslied gewann er stets den Preis.

Sein Hals war wie die fleur de lis so weiß.

Dazu war er ein starker Pokulante,

Der in den Städten jedes Wirthshaus kannte;

Mehr lag der Zapfer und die Kellnerin

Als Kranke oder Bettler ihm im Sinn.

Für solchen würd'gen Mann schien's zu gemein

Und gänzlich unter seinem Stand zu sein,

Mit so aussätz'gem Volk sich zu beschmutzen;

Denn das bringt wenig Ehre, wenig Nutzen.

Statt mit Gesindel pflegt man angenehmern

Verkehr mit reichen Leuten und mit Krämern.

Doch wenn es Vortheil brachte, so war keiner

Je dienstbefliss'ner oder tugendreiner

Und höflicher als er. In dem Convente

War er der beste Bettler. Eine Rente

Zahlt er dem Kloster für das Privileg,

Daß ihm kein Bruder käm' in sein Geheg';

Und hörte seinem »In principio« zu

Die ärmste Wittwe mit nur einem Schuh,

So war gewiß ihr letzter Heller sein;

Und mehr als seinen Pachtzins heimst' er ein.

Oft war er wie ein wildes Raubthier wüthig,

Oftmals an Friedenstagen half er gütig;

Nicht, wie beim Klausner und Scholasten, schäbig

War seine Kleidung; ebenso behäbig

Im Anzug war er, wie ein Papst und Meister;

In doppelt-wollener Kapuze reist' er,

Die wie die neugegossne Glocke rund;

Und liebeslüstern lispelte sein Mund,

Damit sein Englisch süß und zierlich klänge.

Beim Harfenspiel am Schlusse der Gesänge

Pflegten im Kopf die Augen ihm zu funkeln,

Wie Sterne bei der Winterszeit im Dunkeln.

Des Bettelmönches Name war Hubert. –

Ein gabelbärt'ger Kaufmann, hoch zu Pferd,

War gleichfalls da. Er trug sich buntgescheckt,

Den Kopf mit einem Biberhut bedeckt

Aus Flandern; seine Stiefel paßten prächtig;

Und, was er sprach, klang ernsthaft und bedächtig.

Auf Geldverdienst war immerdar bedacht er

Und wünschte nur, daß etwas unbewachter

Die See von Middelburg bis Orewell sei.

Mit wälschen Thalern trieb er Wechselei.

Der würd'ge Mann war klug und voll Verstand,

Und Niemand wußte, wie sein Schuldbuch stand.

Er paßte scharf in seinem Handel auf,

Beim Abschluß von Verträgen, wie beim Kauf.

Für einen Ehrenmann galt er bei Allen,

Doch leider ist sein Name mir entfallen.

Es war noch ferner ein Gelehrter dort,

Der Logik lang' studirt in Oxenford.

Er ritt auf einer klapperdürren Mähre,

Und auch er selbst war nicht sehr fett – auf Ehre! –

Hohläugig war er, doch voll Nüchternheit,

Und fadenscheinig war sein Oberkleid.

Nicht weltlich von Gesinnung, hatt' er drum

Auch weder Amt noch Beneficium.

Mehr liebt er zwanzig Bücher überm Bette,

In schönem Einband auf dem Bücherbrette,

Von Aristoteles Philosophei,

Als Kleiderpracht, Musik und Fidelei.

Jedoch ein so gelehrter Philosoph er,

Hatt' er nur wenig Gold in seinem Koffer,

Da Alles, was von Freunden ihm gespendet,

Zum Studium er und Bücherkauf verwendet.

Doch unermüdlich pflegt' er Gott zu bitten

Für die, so sein Scholastenthum bestritten.

In seinen Studien sorgsam und verständig,

Sprach er kein Wort mehr, als durchaus nothwendig.

Kurz und bestimmt, jedoch gewählt zugleich

War seine Rede und gedankenreich,

Und stets kam die Moral dabei zu Ehren.

Er lernte gern, und gerne mocht' er lehren,

Ein weiser und gelehrter Justitiar,

Der schon auf manchem Rechtsparkette war,

Ritt gleichfalls mit. Bei aller Trefflichkeit

War er voll Rücksicht und Bescheidenheit,

Wie seine weisen Worte dies bewiesen.

Oft war er schon zum Richter der Assisen

Durch Vollmacht oder Commission ernannt.

Bei seinem Wissen, seinem Ruf verstand

Er auf den Gelderwerb sich unvergleichlich,

Und Kleider, wie Gebühren hatt' er reichlich.

Als simple Spesen strich er Alles ein,

Von dem Verdacht der Käuflichkeit ganz rein.

Er hatte viel zu thun, und schien sogar

Geschäftiger, als er beschäftigt war;

Und alle Rechtsentscheidungen und Fälle

Seit König Will citirt' er auf der Stelle.

Im Actenschreiben war er so präcis,

Daß sich nicht drehn daran noch deuteln ließ.

Ein jegliches Statut war ihm bekannt.

Ein schmalgestreifter Seidengurt umwand

Sein Kleid, das bunt gescheckt war, doch höchst schlicht,

Und mehr erzähl' ich von dem Anzug nicht.

Ein Gutsherr zählte ferner zu dem Kreis.

Sein Bart war wie die Gänseblumen weiß,

Von Ansehn war sanguinisch er und roth;

Gern trank er Wein zu seinem Morgenbrod.

Sein Leben zu genießen, dacht' er nur,

Ganz wie ein ächter Sohn vom Epikur,

Nach dessen Meinung eben im Vergnügen

Des Lebens höchste Seligkeiten liegen.

Groß war sein Haushalt, und an Gastlichkeit

Galt als ein St. Julian er weit und breit.

Nach ein Uhr nahm er Brod und Bier erst ein,

Und Niemand war so wohlversehn mit Wein.

Es ging an Fisch und Fleisch in seinem Haus

Wie an Gebäck der Vorrath niemals aus.

An Speise, Trank und allen Leckereien,

Die zu erdenken, schien es nur zu schneien.

Verschieden und der Jahrszeit angemessen

War stets sein Braten und sein Abendessen.

Manch fettes Rebhuhn hielt im Bauer er,

An Hecht und Bars war nie sein Kasten leer,

Weh' seinem Koche! wenn die Brühe nicht

Scharf und pikant und schmackhaft das Gericht.

Gedeckt vom Morgen bis zum Abend stand

Stets sein Credenztisch an der Hallenwand.

In den Sessionen war er Präsident,

Grafschafts-Vertreter oft im Parlament.

An seinem Gürtel, weiß wie Milch am Morgen,

Hing Dolch und Seidenbörse wohl geborgen;

Auch war, als würd'ger Freisaß rings bekannt,

Zum Obmann er und Scherif oft ernannt.

Ein Weber, Tapezirer, Zimmermann,

Ein Färber und ein Krämer kamen dann.

Bei ihnen, wies die Gildetracht es klar,

Daß hochansehnlich Aller Innung war.

Der Spieße Spitzen waren blank polirt;

Mit reinstem Silber waren rings verziert

Die Gürtel sammt den Taschen, die dran hingen,

Und auch von Blech nicht ihre Messerklingen.

Behäb'ge Bürger schienen sie, und Alle

Des Thrones werth in ihrer Gildehalle;

Und dem Verstande nach war Jedermann

Befähigt sicherlich zum Aldermann;

Und ihre Weiber liebten es zu zeigen,

Daß reichlich Gut und Renten Jedem eigen;

Sonst müßte man sie ernstlich darob schelten;

So schön es sein mag, als »Madam« zu gelten,

Und wenn zu den Vigilien man voran

Im reichen Mantel fürstlich gehen kann.

Sie ließen sich von einem Koch begleiten,

Die Mark- und Hühnersuppen zu bereiten

Nebst Poudremarchant, Galingale und Torten.

Vom Bier in London kannt' er alle Sorten.

Er schmorte, briet, sott, röstete höchst lecker,

Er war Mortreusen- und Pastetenbäcker.

Indeß entstellte – denk' ich – ihn fatal

An seinem Kinn ein großes Muttermal.

Auf Blancmanger verstand er sich am besten.

Auch war ein Schiffer da, ganz aus dem Westen;

Soviel ich weiß, war er von Dertmouth her.

Auf einem magern Klepper ritt er sehr

Beschwerlich nur. Bis an die Kniee ging

Sein Faltenrock, und unterm Arme hing

Sein Dolch, gehalten durch ein Schulterband,

Und von der Sonne war er braun gebrannt.

Er war gewiß ein wackerer Kumpan,

Der von Bordeaux-wärts manchen Schluck gethan,

Sobald der Supercargo lag im Schlummer;

Und sein Gewissen schuf ihm wenig Kummer.

Wenn er im Streit den Gegner überwand,

So sandt' er ihn durchs Wasser an das Land;

Doch wußte zu berechnen er die Fluthen

Und Mond- und Sonnenhöhe. Solchen guten

Lotsen, wie ihn, bei Strömung und am Strand

Man von Karthago bis nach Hull nicht fand.

Er war – auf Ehre! – so beherzt, wie klug

Und seinen Bart durchzauste Sturm genug.

Von Gothland bis zum Finisterra Cap

War ihm jedwede Bucht, die es nur gab,

Im Spanier- und Bretagnerland bekannt,

Und »Magdalene« ward sein Schiff genannt.

Ein Arzt war da, Doctor der Medicin;

In aller Welt gab's Keinen je, wie ihn,

Was die Arznei betrifft und Chirurgie.

Er kannte gründlich die Astronomie,

Und manche Lebensstunden konnten danken

Seiner natürlichen Magie die Kranken.

Auch konnte durch Constellation von Sternen

Er der Patienten Ascendenten lernen.

Er wußte, wo der Grund der Krankheit sitze,

Ob sie durch Dürre, Nässe, Kälte, Hitze

Entstanden sei und in das Blut gekommen;

Als Praktiker war er durchaus vollkommen.

Sobald der Krankheit Wurzel er erkannt,

War er sofort mit Mitteln bei der Hand.

Die Apotheker sandten für die Curen

Ihm willig die Latwergen und Mixturen;

Denn neu war nicht die Freundschaft zwischen ihnen;

Der eine gab dem andern zu verdienen.

Er kannte gründlich Dioscorides,

Den alten Aesculap, Hippokrates,

Und Rufus, Hali, Rasis, Avicen,

Galen, Serapion und Damascen,

Den Averhoës und den Konstantin

Nebst Bernhard, Gatisden und Gilbertin.

In der Diät hielt er aufs rechte Maß,

Den Ueberfluß vermied er, doch besaß

Stets seine Nahrung Kraft und war verdaulich.

Das Bibelstudium schien ihm nicht erbaulich.

Er ritt in einem roth und blauen Kleide,

Mit Taffetas gefüttert und mit Seide.

Doch war er kein Verschwender, und hielt fest,

Was er gewonnen hatte bei der Pest.

Herzstärkende Arznei ist Gold, und drum

Liebte das Gold er als Specificum.

Ein gutes Weib aus Bath zog ferner mit;

Doch schade war, daß am Gehör sie litt.

Im Tücherweben man wohl keine Hand

In Gent und Ypern je geschickter fand.

Kein Weib im ganzen Kirchspiel durfte wagen

Den Vortritt ihr beim Opfern zu versagen,

Denn ihre Liebe war in diesem Falle

Sofort dahin vor lauter Gift und Galle.

Vom feinsten Stoff trug einen Schleierbund

Sie Sonntags auf dem Kopfe, der ein Pfund

Und selbst darüber wog, bei meiner Treu!

Die scharlachrothen Strümpfe waren neu,

Und glänzten frisch und saßen eng und gut.

Kühn von Gesicht und schön wie Milch und Blut,

War sie ein wackres Weib, das ihrer Zeit

Fünf Männer an der Kirchenthür gefreit,

– Die Jugendfreunde dabei ungezählt,

Die zu erwähnen der Beruf mir fehlt. –

Hin nach Jerusalem zum heil'gen Land

War dreimal sie gepilgert. Auch bekannt

War ihr Santiago in Galizia, Rom,

Boulogne, Köln und mancher fremde Strom;

Und auf der Wandrung lernte sie nicht wenig.

Doch, leider Gottes, war sie ziegenzähnig.

Auf ihrem reichgeschirrten Zelter ruhte

Sie höchst bequem, bedeckt mit einem Hute

Wie eine Tartsche, wie ein Schild so groß,

Und ihre weiten Hüften rings umschloß

Ein Ueberwurf. Die Sporen waren spitzig,

Und in Gesellschaft war sie scharf und witzig.

Viel Liebesmittel waren ihr bekannt,

Den alten Tanz sie kunstgerecht verstand.

Es kam ein Pfarrer aus der Stadt sodann,

Ein gottesfürcht'ger und gelehrter Mann,

Zwar arm nur, doch an heiligen Gedanken

Und guten Werken reich; und ohne Wanken

Hielt er an Christi Wort und bracht's zu Ehren

In der Gemeinde durch sein treues Lehren.

Die Güte selbst war er und hülfsbereit

Und voll Geduld in Widerwärtigkeit,

Wie er gezeigt in manchen schweren Proben.

Beim Zehntensammeln pflegt' er nicht zu toben.

Er hätte lieber – ohne alle Frage –

Vom Opfergeld und Naturalertrage

Den Armen seines Kirchspiels abgegeben;

Denn er bedurfte wenig nur zum Leben.

Groß war sein Sprengel und weit abgelegen

Die Häuser! aber Donner nicht noch Regen

Hielt ihn zurück. Rief Krankheit oder Leid,

So waren Haus und Hütte nie zu weit

Für seine Füße und für seinen Stab.

Das beste Beispiel er den Schafen gab,

Da er sein Wort stets durch die That bewährte,

Wie ihn sein heilig Evangelium lehrte.

Er führte häufig auch das Gleichniß an:

Will Gold schon rosten, was thut Eisen dann?

Denn ist ein Priester, dem wir traun, nicht rein

So ist's kein Wunder, daß voll Rost die Lai'n;

Und Schmach den Priestern, die sich sagen müssen:

Rein sind die Schafe, doch ihr Hirt beschissen!

Ein Priester sollte für der Heerde Leben

Durch eigne Reinheit stets das Beispiel geben.

Daß er die Pfarre Miethern überwies,

Im Sumpfe seine Schafe stecken ließ,

Damit in London etwa als ein fauler

Chorherr im Dome lebe von St. Paul er,

Und Mitglied einer Brüderschaft gar werde,

Fiel ihm nicht ein. Er weidete die Heerde

Mit eigner Hand, daß sie kein Wolf beirrte;

Er war kein Miethling – nein, ein guter Hirte.

Obschon ein tugendhaft'ger, heil'ger Mann,

Nahm er sich freundlich doch der Sünder an,

Er predigte nicht pomphaft, noch vulgär,

Nein, liebereich und anstandsvoll vielmehr.

Das Volk durch Güte himmelwärts zu ziehn

Und eignes Beispiel war sein stetes Müh'n.

Doch wenn sich Jemand sündlich widersetzte

– War er im Rang der erste oder letzte –

So kanzelt' er ihn ganz gehörig ab.

Der beste Priester war er, den es gab,

Der nicht nach Pomp und äußer'n Ehren geizte,

Sich nie in süßem Selbstbewußtsein spreizte,

Doch Christi und der Jünger Wort so ehrte,

Daß er es erst befolgte und dann lehrte.

Ein Ackersmann war da, des Pfarrers Bruder,

Von Dünger lud er manches liebe Fuder,

Ein treuer Quäler, voller Herzensgüte,

Mildthätigkeit und friedlichem Gemüthe.

Er liebte Gott von seinem ganzen Herzen

Und alle Zeit, in Freuden wie in Schmerzen,

Und seinen Nächsten wie sich selbst. Bereit,

Zu graben, pflügen, dreschen jeder Zeit,

War er für jeden Armen, alle Schwache

Ganz unentgeltlich, nur für Christi Sache.

Er zahlte stets zur rechten Zeit die Heuer

An Vieh und Korn und Früchten in der Scheuer.

Auf einer Stute ritt er und im Kittel.

Ein Ablaßkrämer, Tafelmeister, Büttel,

Ein Müller, ein Verwalter kamen dann;

Zum Schluß ich selber, als der letzte Mann.

Der Müller war ein derber Kerl und stark

An Muskeln und an Knochen voller Mark.

Davon gab jeder Ringkampf den Beweis,

Denn stets gewann den Hammel er als Preis.

Mit seinem Kopf durchstieß er jedes Thor

Und hob es aus den Angeln rasch empor.

Stark in den Schultern war er, knorrig, knuppig;

Breit wie ein Grabscheit, schweinemäßig struppig

Und fuchsroth war sein Bart; und im Besitze

Von einer Warze war die Nasenspitze;

Ein Büschel Haare wuchs daraus empor,

Wie gelbe Borsten aus dem Schweineohr.

Groß war der schwarzen Nasenlöcher Weite;

Ein Schwert nebst Schild trug er an seiner Seite;

Von Umfang wie ein Ofen war sein Mund.

Ein Goliarde war er, Prahlhans und

Ein Zotenreißer, stahl vom Korn und maß

Den Mahlsatz dreifach; aber er besaß

Dabei – Pardi! – den goldnen Müllerfinger.

In weißem Rock und blauer Mütze ging er.

Schön pfiff er Dudelsack und blies darauf

Uns aus der Stadt auf unsrer Reise Lauf.

Der Tafelmeister, der in einem Tempel

Den Tisch versah, war Käufern ein Exempel,

Wie beim Verproviantiren zu verfahren.

Ob stückweis, ob im Ramsch er seine Waaren

Erstehen mochte, er verstand die Sachen

So einzurichten, rasch sein Glück zu machen.

Nun, ist das nicht die schönste Gottesgabe,

Daß solch' geringer Mann mehr Weisheit habe,

Als wie ein Haufen hochgelehrter Geister?

Wohl mehr als dreißig Herr'n am Tische speist er,

Und im Gesetz erfahren waren alle.

Ein Dutzend gab es sicher in der Halle,

Die wohl befähigt waren, Gut und Land

Von jedem Lord im ganzen Engeland

Genau und ohne Schulden zu verwalten

– Indessen selbstverständlich vorbehalten,

Wenn er ein Filz war oder geistesschwach. –

Woran es in der Grafschaft auch gebrach,

An ihrem Rath gebrach's in keinem Falle;

– Doch hielt zu Narr'n der Tafelmeister Alle.

Der glatt rasirte Landverwalter war

Sehr mager und cholerisch, und sein Haar

Trug wie ein Priester er ganz kurz geschoren

Vorn an der Stirn und hinter beiden Ohren.

Sehr lang und mager waren seine Beine,

Gleich einem Stock, und Waden hatt' er keine.

Ordnung hielt er in Scheunen und in Ställen;

Au seiner Rechnung etwas auszustellen

Fand kein Revisor; und er schätzte leicht

Den Saatertrag, ob's trocken oder feucht.

Von Milchhaus, Fischteich und des Herren Heerden,

Vorräthen, Schweinen, Federvieh und Pferden

War dieser Mann ganz unumschränkt Verwalter,

Seit sein Gebieter zwanzig Jahr an Alter.

Er legte Rechnung an bestimmten Tagen,

Und über Rückstand konnte Niemand klagen.

Kein Vogt, kein Knecht, kein Hirt war ihm zu schlau;

Denn ihre Schliche kannt' er so genau,

Daß sie vor ihm mehr Furcht und Bangen hatten

Als vor dem Tod. – In grüner Bäume Schatten

Stand seine schöne Wohnung auf dem Felde.

Er speculirte besser mit dem Gelde,

Als sein Gebieter; denn in Heimlichkeit

Gewann er viel. Doch war er schlau bereit,

Davon auf Borg an seinen Herrn zu geben,

Und hatte Dank und Rock und Hut daneben.

Er fing als Jüngling mit dem Handwerk an,

Und galt als guter, tücht'ger Zimmermann.

Der Hengst, auf dem er saß, war schön von Bau,

Sein Name Scott, die Farbe apfelgrau.

Sein blauer Rock weit über's Knie ihm ging,

Ein rostig Schwert an seiner Seite hing.

Er war aus Norfolk her und zwar vom Land

Nah' einer Stadt, die Baldeswell genannt,

Und aufgeschürzt ganz wie ein Klostermann,

Ritt er stets auf der Reise hintenan.

Mit feuerrothem Cherubim-Gesicht,

Schmaläugig, finnig und mit Pusteln dicht

Besä't, war noch ein Büttel mit am Platz,

Und geil und lüstern war er, wie ein Spatz.

Mit grind'gem Bart und räud'gen Augenbrauen,

War sein Gesicht der Kinder Furcht und Grauen.

Quecksilber, Schwefel, Borax schlugen fehl,

Ihm half nicht Bleiweiß, Glätte, Weinsteinöl,

Und mochten Salben noch so beißend sein,

Ihn konnte von dem Grinde nichts befrein

Und von den Knubben, die er im Gesicht.

Knoblauch und Zwiebeln war sein Leibgericht,

Sein Lieblingstrank blutrother, starker Wein;

Und wie verrückt, zu schwätzen und zu schrein

Begann er dann, und wollte, wenn beim Zechen

Er sich betrunken, nur Lateinisch sprechen.

Er lernte – und kein Wunder war's – auswendig

Zwei bis drei Redensarten, die beständig

Er in Decreten angewendet fand.

– Denn schwatzen kann, wie männiglich bekannt,

Die Elster wie der Papst. – Doch unterfing

Sich Jemand, tiefer ihn zu prüfen, ging

So rasch zu Ende die Philosophie,

Daß er nur: »Questio quid juris?« schrie.

Wohl selten fand man auf der Erde Rund

Solch güt'gen Kerl und lieben Lumpenhund;

Den guten Burschen wollt' bei wilden Ehen

Ein ganzes Jahr er durch die Finger sehen,

Gab man ihm nur ein Viertel Wein zu trinken.

In aller Stille pflückt' er seine Finken.

Er lehrte Leuten, die in solchen Lagen,

Nicht ängstlich vor dem Erzdekan zu zagen,

Und seiner Androhung des Kirchenbannes.

Doch wenn am Beutel hing das Herz des Mannes,

Büßte der Beutel, was der Mann gethan.

»Denn unter Hölle meint der Erzdekan

Den Beutel nur,« sprach – oder log vielmehr – er.

In Schrecken vor ihm standen alle Schwörer.

– Die Beichte rettet, doch der Fluch bringt Tod!

Wohl dem, dem kein »Significavit« droht! –

Die Dirnen in der Diöcese standen

Kraft seines Amts in seiner Hut, und fanden

Bei ihm stets Rath für ihres Herzens Sehnen.

Es war mit einem Kranz, an Größe denen

Auf Bierhausstangen gleich, sein Haupt umhüllt,

Und ein gewalt'ger Kuchen war sein Schild.

Als Freund und als Gevatter von ihm ritt

Aus Ronceval ein Ablaßkrämer mit,

Der gradeswegs vom Hofe kam aus Rom.

Laut sang er: »Komm, mein Herzensliebchen, komm!«

Wozu der Büttel, wie Posaunenklang

Gewaltig dröhnend, seinen Rundreim sang.

Des Ablaßkrämers Haar war gelb wie Wachs,

Und hing so glatt wie eine Docke Flachs

Auf seine Schultern, die es rings umgab,

In dünnen Locken ihm vom Kopf herab.

In kecker Laune trug er's unbedeckt;

Denn die Kapuze hatt' er eingesteckt

In seinem Mantelsack, der vor ihm hing.

Daß er mit Flatterhaar und baarhaupt ging,

War nach der neu'sten Mode, wie er glaubte;

Drum trug er nur ein Käppchen auf dem Haupte.

Glotzaugen hatt' er ganz wie ein Karnickel,

Und angenäht am Käppchen ein Vernickel.

Mit Ablaßfracht kam er soeben heiß

Aus Rom zurück. Wie's Meckern einer Gais

Klang seine Stimme. Im Gesichte war,

Ob unrasirt, doch keine Spur von Haar,

Er mußte – dünkt mich – wohl ein Wallach sein.

Von Ware bis Berwick war gewißlich kein

Ablaßverkäufer, der ihm's Wasser reichte.

Als »Unsrer lieben Frauen Schleier« zeigte

Er einen Kissenüberzug. Im Koffer

Verwahrte von dem Segel etwas Stoff er,

Das Petri Fahrzeug – wie er sagte – führte,

Als mit dem Herrn er auf dem See spazierte;

Ein steinbesetztes Kreuz hatt' er von Zinn

Sowie ein Glas mit Schweineknochen drin.

Und traf er einen armen Bauersmann,

So schwatzt' er ihm von den Reliquien an,

Und erntete an einem einz'gen Tage

Die Früchte seiner wochenlangen Plage.

So hielt mit Possen und mit Schmeichelworten

Das Volk zu Narren er an allen Orten.

Doch, um nicht von der Wahrheit abzuweichen,

Als Kirchenredner war er ohnegleichen.

Schön las den Bibeltext er und Historien;

Jedoch am besten sang er Offertorien,

Da hinterdrein er gleich den Anfang machte

Mit seiner Predigt, die ihm Geld einbrachte.

Zu diesem Zwecke spitzt' er seine Zunge

Und sang vergnügt und laut aus voller Lunge.

So macht' ich kurz und nach der Reihe kund

Rang, Anzug, Zahl und minder nicht den Grund,

Weßhalb in Southwerk Jeder angekommen

Und in dem Gasthof sein Quartier genommen,

Der »Tabard bei der Glocke« ward genannt;

Und an der Zeit ist's, daß ich Euch bekannt

Auch weiter mache, wie wir unsre Nacht

In dem besagten Wirthshaus zugebracht;

Und hinterdrein gedenk' ich Euch zu sagen,

Was auf der Reise sonst sich zugetragen.

Doch bitt' ich Euch zunächst aus Höflichkeit

Legt es nicht aus als Herzensschlechtigkeit,

Wenn ich getreu im Laufe der Geschichte

Auch jedes Wort von Jedermann berichte;

Sonst ziehe man mit Recht der Lüge mich.

Denn das wißt sicher Ihr so gut wie ich:

Wer melden will, was ihm gesagt ein Mann,

Der wiederhole, so genau er kann,

Ein jedes Wort, sei's noch so schlecht gewählt

Und noch so gröblich, was ihm vorerzählt.

Sonst müßt' er ja die Unwahrheit berichten,

Den Sinn verfälschend, neue Worte dichten;

Den eignen Bruder darf er schonen nicht,

Ein jedes Wort zu sagen, ist ihm Pflicht.

Sehr kräftig sprach selbst Christus in der Bibel,

Und doch kein Wort – das wißt Ihr – ist von Uebel.

Wer Plato las, dem ist der Spruch bekannt:

Es sei das Wort der Sache nah' verwandt.

Und gleichfalls bitt' ich, daß Ihr mir verzeiht,

Wenn ich Euch nicht nach Rang und Würdigkeit

Die Leute vorgeführt, wie angemessen.

Mein Witz ist kurz, das dürft ihr nicht vergessen.

Für Jeden freundlich, ließ der Wirth vom Haus

Uns niedersitzen rasch zum Abendschmaus.

Die Tafel er mit bester Speise deckte.

Stark war der Wein, der uns vorzüglich schmeckte.

So wohlanständig war des Wirthes Wesen,

Als sei er zum Hofmarschall auserlesen.

Sein Wuchs war stark, tief lag sein Augenpaar;

In Chepe selbst kein bessrer Bürger war.

Gewandt und klug und grad' heraus er sprach,

In Nichts es ihm an Männlichkeit gebrach;

Dazu war er ein aufgeweckter Mann.

Gleich nach dem Abendessen hub er an

In heitrer Laune dies und das zu sprechen;

Und als berichtigt waren unsre Zechen,

Begann er also: »Wahrlich, meine Herr'n,

Willkommen heiß' ich Euch hier herzlich gern.

Denn, meiner Treu, wenn ich nicht lügen soll,

Sah meinen Gasthof ich noch nie so voll

In diesem Jahr, wie heut' am Tag' er ist.

Gern möcht' ich Euch erheitern. Darum wißt,

Daß ich mir eben einen Scherz erdacht,

Der vielen Spaß und keine Kosten macht.

Ihr geht nach Canterbury. – Eure Pfade

Beschirme Gott und seines Märtyr'rs Gnade! –

Und sicher weiß ich, daß Ihr Euren Weg

Zu kürzen denkt durch heiteres Gespräch.

Denn unbehaglich wahrlich ist's und dumm,

Einherzureiten, wie der Stein so stumm.

Drum würd' es mich, wie ich schon sagte, freun,

Euch angenehm und lustig zu zerstreun;

Und wenn Ihr insgesammt des Willens seid,

Mir zu gehorchen und mit Folgsamkeit

Dasjenige zu thun, was ich Euch weise,

– Bei meines Vaters Seel'! – seid auf der Reise

Ihr morgen dann nicht hochvergnügt und munter,

Schlagt mir den Kopf von meinem Rumpf herunter!

Macht keine Worte; hebt empor die Hände!«

Wir kamen rasch mit dem Entschluß zu Ende;

Uns schien nicht werth, es lange zu berathen.

Wir gingen schlichthin darauf ein, und baten

Ihn, kund zu machen, was im Sinn er trage.

»Nun, Herren!« – sprach er – »hört, was ich Euch sage.

Doch bitt' ich dringend, nehmt es mir nicht krumm!

Denn, kurz und gut, es handelt sich darum,

Es solle Jeder von Euch vier Geschichten,

Den Weg zu kürzen, auf der Fahrt berichten.

– Zwei, während wir nach Canterbury wandern,

Und auf dem Heimweg dann die beiden andern. –

Der aber, welcher schließlich unter Allen

Von Abenteuern, die einst vorgefallen,

Das beste vorgetragen hat – das heißt:

Was Euch erbaut sowie ergötzt zumeist –

Erhält zum Lohn dafür in diesem Haus

Auf Kosten Aller einen Abendschmaus,

Wenn wir von Canterbury heimwärts kehren.

Und gerne will ich, Eure Lust zu mehren,

Auf eigne Kosten selber mit Euch reiten,

Und Euch als Führer auf der Fahrt begleiten.

Wer meinem Urtheil wagt zu widersprechen,

Zahlt auf der Tagesfahrt dafür die Zechen.

Wenn Ihr gewillt seid, daß dem also sei,

So stimmt mir ohne viele Worte bei,

Damit ich mich bei Zeiten rüsten kann.«

Dies ward bewilligt und wir schwuren dann

Froh unsern Eid und baten ihn daneben,

Das auszuführen, was er angegeben.

Er möge sich als Leiter uns verpflichten,

Sowie als Richter über die Geschichten,

Den Preis des Abendessens nur fixiren,

Und nach Gefallen über uns regieren

Im Kleinen wie im Großen. – Jedermann

Nahm gern und willig seinen Vorschlag an.

Und hinterher bestellten wir uns Wein

Und tranken ihn, und dann ward allgemein

Und ohne Zögern gleich zur Ruh gegangen.

Sobald der Tag zu grauen angefangen,

Erhob sich unser guter Wirth und war

Der Hahn für Alle. – Bald war seine Schaar

Beisammen und dann ging, halb Trab, halb Schritt,

Zur Schwemme von Sanct Thomas unser Ritt.

Dort gab der Wirth den Pferden etwas Ruh'

Und sprach: »Ihr Herrn, hört mir gefälligst zu!

Ihr wißt, was Ihr verspracht und ich bedang.

Ist Euer Abendlied noch Morgensang,

So laßt uns sehn, wer soll der Erste sein,

Der jetzt erzählt? Ich schwör's bei Bier und Wein!

Für Alle zahlt die Zeche, wer sich jetzt

Rebellisch meinem Urtheil widersetzt!

Nun frisch geloost! Dann reiten wir von hinnen,

Und wer das kürz'ste Loos zieht, muß beginnen.

Herr Ritter,« – sprach er – »Oberherr und Lord!

Zieht Euer Hälmchen! – so ist der Accord. –

Kommt näher« – sprach er – »Lady Priorin!

Ihr, Herr Scholar, ermuntert Euren Sinn;

Laßt das Studiren! – Fasse Jeder an.«

Und folgsam zog sein Loos auch Jedermann.

Ganz in der Kürze sei es nun berichtet:

– Ob es Geschick, ob Zufall angerichtet,

Die bei der Ziehung ihre Fäden schürzten –

Die Wahrheit ist: der Ritter zog den Kürz'sten.

Nun war bei Allen Lust und Freude groß.

Er hatte zu beginnen; denn sein Loos

Verfügte so. – Was braucht's der Worte mehr?

Was abgemacht, wißt Ihr und wußt' auch er.

Und da er klug, gehorsam war und willig,

So hielt er sein Versprechen auch, wie billig.

»In Gottes Namen! wie das Hälmchen fiel,

Will ich beginnen« – sprach er – »unser Spiel!

Nun reitet weiter und lauscht meinem Wort.«

So zogen wir des Weges weiter fort,

Und dann begann mit freundlichem Gesichte

Er die Erzählung, die ich jetzt berichte.

Vers 861–3110.

Wie aus Historienbüchern zu ersehn,

War einst ein Herr und Herzog in Athen,

Der Theseus hieß. Ihm glich zu seiner Zeit

Kein Sieger und Eroberer, so weit

Die Sonne scheint, an Größe und an Ruhm.

Er unterwarf manch reiches Fürstenthum.

Durch Tapferkeit und Klugheit überwand

Er Scythia, das Amazonenland

Und er erkor zur Gattin sich zugleich

Hippolyta, die Königin vom Reich

Und zog mit ihr und ihrem Schwesterlein

Emilia in seine Heimath ein.

In feierlichem Zug voll Glanz und Pracht,

Umgeben von der ganzen Heeresmacht,

Mit Siegesliedern, Jubelmelodien

Mag nach Athen der würd'ge Herzog ziehn.

Doch, wahrlich, wär' es kürzer einzurichten,

Möcht' ich den ganzen Hergang Euch berichten,

Wie Herzog Theseus' ritterliche Hand

Das Reich der Weiber siegreich überwand,

Wie die Athener in den Kämpfen siegten,

Als sie die Amazonenschaar bekriegten,

Und wie die Königin von Scythia,

Die schöne, kräftige Hippolyta

Belagert ward, wie ihrer Hochzeit Weise,

Ihr Tempelgang und ihre Heimwärtsreise.

Doch muß ich leider wohl darauf verzichten.

Groß ist – weiß Gott – mein Feld, doch stark mit Nichten

Sind meine Stiere, die ich vor dem Pflug;

Und der Geschichte Rest ist lang genug.

Ich möchte Keinem gern im Wege stehn;

Laßt Jedermann erzählen und uns sehn,

Wer sich den Abendschmaus gewinnen kann?

Drum, wo ich abbrach, heb' ich wieder an.

Als der erwähnte Herzog nun nicht weit

Mehr von der Stadt, zu der in Herrlichkeit

Und großer Pracht er auf der Reise rückte,

Sah er die Straße, als er um sich blickte,

Mit einer Schaar von Weibern angefüllt,

Die niederknieten, ganz in Schwarz gehüllt,

In einer langen Reihe, zwei bei zwei;

Und so erbärmlich klang ihr Wehgeschrei,

Daß wohl im Leben auf der Erde Flur

Solch Jammern hörte keine Creatur;

Nicht früher ließen sie ihr Schreien enden,

Bis seines Rosses Zügel sie in Händen.

»Was Volk seid Ihr, hier vor mir zu erscheinen,

Daß meiner Heimkehr Fest mit Eurem Weinen

Ihr stört?« – sprach Theseus – »seid Ihr so voll Neid

Ob meiner Ehre, daß ihr klagt und schreit?

Doch seid gekränkt Ihr, hat man Euch mißhandelt,

Daß Ihr in schwarzer Trauerkleidung wandelt,

So sagt mir an, wie ich Euch helfen kann?«

Die älteste der Frauen sprach sodann,

Der Ohnmacht nah', mit blassem Angesicht

– Ein trüber Schauspiel gab es wahrlich nicht –

Und sagte: »Herr! begünstigt durch das Glück,

Kehrt siegreich als Erobrer Ihr zurück!

Statt Eures Ruhmes Glorie zu beneiden,

Flehn hülfesuchend wir in unsern Leiden.

Laßt gnadenvoll aus Eurem edlen Herzen

Nur einen Tropfen Mitleid auf die Schmerzen

Der jammervollen Weiber niederfallen;

Denn sicher, Herr, ist keine von uns allen,

Die nicht von Königen und Fürsten stammt,

Doch, wie Ihr seht, sind elend allesammt.

Denn hoher Stand oft kurze Dauer hat,

So lenkt's Fortuna und ihr falsches Rad!

Wir haben, Herr, auf Eure Gegenwart

In der Clementia Tempel schon geharrt

Seit vierzehn Tagen, unser Flehn zu senden

Empor zu Euch. – Ihr habt die Macht in Händen!

Ich selbst, ein elend, klagend Weib, war sonst

Des Kapaneus, des Königs, Eh'gesponst,

Der seinen Tod vor Theben fand. – Dem Tage

Sei ewig Fluch! – Und alle, deren Klage

Aus Trauerhüllen dringt zu Euren Ohren,

Haben die Gatten vor der Stadt verloren,

Als unser Heer vor ihren Wällen lag.

Der alte Kreon aber – Weh' und Ach! –

Der dort regiert, beschloß aus Haß und Wuth

Den schändlichen Tyrannenübermuth

An den entseelten Körpern selbst zu kühlen

Von unsern Männern, die im Kampfe fielen.

Auf einen Haufen schleppt' er ihre Leichen

Und ist auf keine Weise zu erweichen,

Sie zu verbrennen oder zu bestatten,

Und die Gebeine der erschlag'nen Gatten

Dienen zum Futter jetzt für seine Hunde!«

Bei diesem Worte scholl aus Aller Munde

Ein kläglich Schrei'n: »O, öffnet in Erbarmen

Das Herz der Noth und Sorge von uns Armen!«

So schrieen sie und warfen sich zur Erde.

Der edle Herzog sprang sogleich vom Pferde,

Denn durch die Worte, die zu ihm gesprochen,

War schier sein mitleidsvolles Herz gebrochen.

Im Innersten bewegt durch die Beschwerden

Von denen, die einst hochgestellt auf Erden,

Hob er mit eigner Hand sie auf sofort,

Und freundlich sprach er manches Trosteswort.

Als treuer Ritter band durch einen Schwur

Er sich, zu thun, was irgend möglich nur,

Um des Tyrannen Kreons Macht zu brechen.

Das ganze Volk der Griechen solle sprechen

Davon noch lange, wie durch Theseus Hand

Kreon den Tod, den er verdiente, fand.

Und ohne länger sich dann aufzuhalten,

Ließ fördersamst die Banner er entfalten

Zum Vorwärtsmarsche für das ganze Heer.

– Nicht nach Athen zog es ihn länger mehr. –

Kaum einen halben Tag genoß er Ruh',

Dann ritt zur Nachtzeit er auf Theben zu.

Sein Weib, die Königin der Amazonen,

Hippolyta ließ er inzwischen wohnen

Mit ihrer jungen Schwester in Athen,

Um – wie gesagt – gleich in den Kampf zu gehn.

Im weißen Banner schien mit Speer und Schild

Vom Kriegsgott Mars das blutigrothe Bild

Und leuchtete mit hellem Glanz ins Weite.

Aus reinem Gold gefertigt, ihm zur Seite

Ragte die Fahne, die das Bildniß trug,

Wie Theseus Kretas Minotaur erschlug.

So ritt der Herzog, so der kühne Sieger,

Umgeben von der Blüthe seiner Krieger,

Auf Theben zu, bis endlich Halt er machte

Auf einem Feld, wo er zu kämpfen dachte.

Um nun ganz kurz den Thatbericht zu geben:

Mit Kreon, welcher König war in Theben,

Focht er, und ritterlich in offner Schlacht

Erschlug er ihn und trieb die Heeresmacht

Zu Paaren, nahm die Stadt darauf mit Sturm,

Und gleich der Erde macht' er Wall und Thurm,

Und an die Frau'n ließ er zurückerstatten

Die todten Körper der erschlagnen Gatten,

Sie beizusetzen nach des Landes Brauch.

Doch allzulange währt' es, spräch' ich auch

Von allem Jammer und von allem Flennen

Der armen Weiber während dem Verbrennen,

Und wie, mit Ehren und mit vielen Gnaden

Vom edlen Herzog Theseus überladen,

Sie endlich schieden und von dannen gingen;

– Denn kurz zu sein, ziemt mir vor allen Dingen. –

Der edle Herzog, der mit starker Hand

Kreon erschlug und Theben überwand

Und alles Land zu eigen sich gemacht,

Nahm auf dem Schlachtfeld Ruhe für die Nacht.

Nun machten sich die Plündrer viel zu schaffen,

Um reiche Beute, Rüstungen und Waffen

Erschlagner Feindesleichen heimzutragen

Vom Kampfplatz, wo sie haufenweise lagen.

Und so geschah's, daß hierbei aufgefunden

Zwei junge Ritter wurden, die, durch Wunden

Arg zugerichtet, scheinbar als erschlagen,

Im reichen Waffenschmuck beisammen lagen,

Von denen Palamon der eine hieß,

Arcit der andre; wie sich bald erwies,

Obwohl sie todt mehr als lebendig schienen,

Aus ihren Rüstungen; sowie von ihnen

Und ihrer Herkunft Herolden nicht minder

Bekannt war, daß sie als Geschwisterkinder

Entsprungen Thebens königlichem Haus.

Als aus dem Leichenhaufen sie heraus

Die Plünderer gezogen, brachte man

Sie in das Zelt des Theseus, der sodann

Sie nach Athen zu ew'ger Haft verwies

Und für kein Lösegeld daraus entließ.

Und heimwärts zog, nachdem er dies vollbracht,

Der würd'ge Herzog mit der Heeresmacht,

Bekränzt als Sieger mit dem Lorbeerzweige.

Geehrt und fröhlich bis zur Lebensneige

Verblieb er dort. – Was braucht's der Worte mehr?

In einem Thurme lagen sorgenschwer

Stets noch Arcit und Palamon gefangen,

Da für kein Gold die Freiheit zu erlangen.

Tag rollt auf Tag und Jahr auf Jahr vorbei,

Bis es geschah, daß einst im Monat Mai

In früher Morgenstunde schon Emilie,

Weit schöner als am grünen Schaft die Lilie

Und frischer als des Maies Blüthenprangen

– Denn ob die Rose oder ihre Wangen

Von zarterm Roth, war schwerlich zu entscheiden –

Vom Lager aufstand, um sich anzukleiden,

Wie früh am Morgen sie gewohnt zu thun.

Die Schläfer läßt der Mai nicht lange ruhn,

Der so die Herzen prickelt und belebt,

Daß rasch vom Lager jeder sich erhebt.

»Steh' auf« – ruft Mai – »und huld'ge meiner Macht!«

Drum war Emilie zeitig aufgewacht,

Damit auch sie den Mai in Ehren halte.

Frisch war ihr Kleid; in reichen Flechten wallte

Ihr um die Schultern das goldgelbe Haar,

Das ellenlang – nach meiner Schätzung – war.

Als ihren Lauf die Sonne dann begann,

Trat sie im Garten ihre Wandrung an,

Wo sie sich weiß' und bunte Blumen pflückte,

Zum Kranz sie wand, mit ihm die Stirne schmückte,

Und dabei himmlisch wie ein Engel sang.

Der dicke, große Thurm, in dem schon lang

Gefangen die besagten Ritter lagen

– Von denen auch noch ferner viel zu sagen –

Die stärkste von des Schlosses Kerkerwarten,

Lag an dem Wall von eben jenem Garten,

In dem ihr Spiel Emilie fröhlich trieb.

Bei Sonnenschein und Morgenfrische blieb

Auch der gefangne Palamon nicht lang

Im Bett, und den gewohnten Morgengang,

Zu dem sein Wärter ihm Erlaubniß gab,

Nahm er im höchsten Stock, von dem herab

Zur Stadt er und zum Grün des Gartens sah,

In dem das schöne Kind Emilia,

Lustwandeln ging, sich tummelnd hin und her.

Und Palamon, gefangen, sorgenschwer,

Ging seufzend auf und ab in seiner Kammer,

Sich oft beklagend, daß zu solchem Jammer

Geboren ihn das neidische Geschick.

Und so geschah's – sei's Zufall oder Glück –

Daß seine Augen durch die dicken Sparren

Von seines Fensters mächt'gen Eisenbarren

Grad' auf Emilie fielen. – Zitternd, bleich,

Zusammenzuckend, schreit empor er gleich,

Als ob er durch das Herz gestochen sei. –

Auf sprang Arcit sofort bei diesem Schrei

Und sprach: »Was, theurer Vetter, ist geschehn,

Daß todtenblaß Du plötzlich anzusehn,

Was hat man Dir gethan, was soll die Klage?

Um Gottes Willen mit Geduld ertrage,

Was abzuändern unsrer Macht entgeht.

Fortuna hat den Rücken uns gedreht!

Wenn unheilvoll durch die Constellation

Saturns uns die Aspecten einmal drohn,

So bleibt vergebens das Geschick beschworen;

Denn, wie der Himmel stand, als wir geboren,

So müssen wir's ertragen – das ist klar!«

Des Palamons Erwiedrung aber war:

»Bei Deiner Ansicht, die Du mitgetheilt,

Hat Deine Phantasie sich übereilt.

Nicht schrie ich, Vetter, weil wir hier gefangen;

Ich ward verwundet, und die Schmerzen drangen

Durchs Auge mir ins Herz. Auf immerfort

Bannt mich die Schönheit einer Frau, die dort

Lustwandelnd sich ergeht im Gartengrün.

Das war der Grund, weßhalb ich aufgeschrien.

War Weib sie, war vom Himmel sie geschickt?

Mich dünkt, die Venus selbst hab' ich erblickt!«

Und dabei sank er auf die Kniee hin

Und sprach: »Venus, wenn ich gewürdigt bin,

Daß Du mir Armen, welchen Kummer beugt,

Dich hier in irdischer Gestalt gezeigt,

So hilf uns zu entrinnen unsrer Haft!

Doch ist's bestimmt, daß in Gefangenschaft

Wir durchaus sterben sollen, dann gewähre

Dein Mitleid unserm Stamme, dessen Ehre

Durch Tyrannei zu tiefem Fall gebracht!«

Nach dieser Rede war Arcit bedacht,

Auch seinerseits die Dame zu erspähen;

Doch augenblicklich, als er sie gesehen,

War – wenn schon Palamon verwundet schwer –

Arcit es ebenmäßig oder mehr.

Und jämmerlich fing er zu seufzen an:

»Die holde Schönheit hat mir's angethan,

Die ich erblickt auf jenem Gartenpfade.

Erring' ich mir nicht ihre Gunst und Gnade

Bleibt mir versagt, sie mindestens zu sehn,

Ist es um mich – das fühl' ich – auch geschehn.«

Als kaum die Worte Palamon gehört,

Frug er verächtlich blickend und verstört:

Ob's Ernst, ob's Scherz ihm mit der Rede wäre?

»Nein« – sprach Arcit – »vollkommen Ernst – auf Ehre!

Zu Scherzen bin – weiß Gott – ich nicht gestimmt.«

Und Palamon versetzte drauf, ergrimmt

Die Brauen faltend: »Nicht von Ehre sprich,

Wenn falsch Du und Verräther gegen mich,

Den Vetter und den Bruder Deiner Wahl!

Wir schwuren uns bei der Verdammung Qual,

Es solle gegenseitig von uns beiden

Einer dem andern bis zum Todesscheiden

In keiner Art und – lieber Bruder mein –

Auch in der Liebe nicht im Wege sein.

Daß Du zu meiner Hülfe stets bereit,

Wie ich zu Deiner – dieses war Dein Eid,

So sicherlich wie es der meine war.

Du kannst nicht widersprechen. Offenbar

Mußt Du, wie ich, in dieser Sache denken;

Drum Falschheit ist's, Dein Lieben hinzulenken

Zur Dame, die ich liebe, die ich auch

Stets lieben werde bis zum letzten Hauch!

Doch nie, Arcit, soll es Dein falsches Herz!

Ich liebte sie zuerst, und meinen Schmerz

Hab' ich als Bruder Dir und Freund geklagt,

Mir hülfreich beizustehn; denn – wie gesagt –

Dich bindet Eid, Dich bindet Ritterpflicht,

Daß Du mir Hülfe leihst; und thust Du's nicht,

Bist Du – frei sag' ich's – deines Eids vergessen.«

Ihm stolz erwiedernd, sprach Arcit indessen:

»Wenn Du mich falsch nennst, ist es leider schade,

Daß falsch Du selbst bist in weit höherm Grade,

Denn – par amour! – wer liebte sie zuerst,

Ich oder Du, daß Du Dich so beschwerst?

Du wußtest nicht, ob Weib, ob Göttin sie;

Dein Herz bewegte heil'ge Sympathie,

Doch irdischer ist meiner Liebe Feuer;

Und so geschah's, daß ich mein Abenteuer

Als Vetter und als Bruder Dir enthüllte.

Gesetzt, daß Liebe Dich zuerst erfüllte,

So weißt Du's doch, daß Weise längst verkündet,

Daß in der Liebe kein Gebot uns bindet;

Und ob der klügste Mann Gesetze schriebe,

Bei meinem Kopf! das höchste bleibt die Liebe,

Und giebt uns positives Recht, Versprechen

Um ihretwillen jederzeit zu brechen!

Verstand verstummt, sobald die Liebe spricht!

Ob uns der Tod droht, wir entfliehn ihr nicht

– Mag sie nun Weib sein, Wittwe oder Maid. –

Für mich wie Dich gibt's keine Möglichkeit,

Uns ihre Gunst im Leben zu erringen,

Denn unsres – weißt Du – müssen wir verbringen

In Kerkerhaft, aus der in Ewigkeit

Nicht mich noch Dich ein Lösegeld befreit.

Wir streiten, gleich zwei Hunden, um das Bein.

Sie fochten, jeder wollte Sieger sein;

Da kam ein Habicht, der sie ausgewittert,

Und stahl den Knochen, der sie so erbittert.

Und, Bruder, sieh' den Hof des Königs an!

Da steht auch Jeder seinen eignen Mann.

Lieb', wen Du willst; ich will das Gleiche thun,

Und damit, Bruder, laß die Sache ruhn.

So lang in Kerkermauern wir begraben,

Mag jeder auch sein Abenteuer haben.«

Wie lang und scharf gewährt der Beiden Streit,

Würd' ich berichten, hätt' ich nur die Zeit.

Jedoch zur Sache! – Kurz, wie ich's vermag,

Sei es erzählt. Es kam an einem Tag

Ein würd'ger Fürst, Pirithous genannt,

Zu Theseus nach Athen, wo er das Band

Der alten Freundschaft mit dem Spielgenossen,

Das sie in frühster Kinderzeit geschlossen,

Erneuerte, und froh mit ihm verkehrte,

Den auf der Welt er über Alles ehrte,

Von dem geehrt er über Alles war.

Der Beiden Liebe macht die Sage klar,

Daß nach dem Tod des Einen in der Hölle

Den Freund besucht der lebende Geselle.

– Was ich Euch hier nicht lang berichten mag. –

Pirithous, der schon seit Jahr und Tag

In Theben Neigung für Arcit empfand,

Hatte bei Theseus sich für ihn verwandt

Und durch sein Bitten ihm Pardon verschafft,

Daß ohne Lösegeld aus seiner Haft

Er unbeschränkt, wohin er wolle, ginge,

Jedoch nur unter folgendem Bedinge:

Mit dem Arcit kam Theseus überein,

Es solle künftig so gehalten sein,

Daß, wenn in seinem Leben je Arcit

Betroffen würde wieder im Gebiet

Des Herzog Theseus und zur Haft gebracht,

Sei es am Tage, sei es in der Nacht,

Sein Kopf sofort verfallen sei dem Schwerte.

Dagegen half kein Rath. – Entlassen, kehrte

Darum Arcit zurück zum Heimathlande.