Carla - 2027 - Sandra Kristin Meier - E-Book

Carla - 2027 E-Book

Sandra Kristin Meier

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Beschreibung

2027. Das Siedlungsgebiet sieht sich der Gefahr erstarkender dunkler Kräfte gegenüber. Faktenprüferin Carla arbeitet seit einem Jahr im Home Office. Als sie die Wohnung zwecks Auffrischung der Vorräte verlässt, wird sie von Reichsbürgern verhaftet. Ein rätselhafter Mann ohne Namen verhilft ihr zur Flucht. Warum? Ist eine Liebe zwischen X und Carla möglich?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7 --- Rückblende

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Nachwort des Amtes für Literatur

Kapitel 1

Carla bewegte sich auf den dunklen Park zu, der aussah als würden darin Drachen hausen.

Sie hörte nur das Pochen ihres eigenen Herzens und das Klappern der leeren Flaschen, die sie in Beuteln auf ihrem Handwagen hinter sich herzog. Die Pfützen waren zugefroren, die Strommasten vereist. Die kahlen Baumungetüme warfen düstere Schatten im fahlen Licht der Laternen. Nie zuvor im Leben hatte sie solche Angst verspürt wie an diesem Winterabend.

In Funk und Fernsehen wurde davor gewarnt, die Wohnung nach Anbruch der Dunkelheit zu verlassen. Aber Hunger und Durst ließen ihr keine Wahl. Die Vorräte mussten aufgefrischt werden. Es waren jetzt nur noch hundert Meter bis zum Getränkestützpunkt. Carla beschleunigte ihren Schritt, die Flaschen auf dem Wagen begannen stärker zu scheppern, als ob auch sie Angst hätten.

Jetzt stoppte Carla und stieß einen leisen Schrei aus. Es knackte im Gebüsch und etwas Undefinierbares brach mit einem Krachen durch das Unterholz. Erstarrt und mit geweiteten Augen blickte sie in das Dunkel, in dem sich die Konturen einiger Wesen abzeichneten, die näher kamen und dabei an Schärfe gewannen. Ehe sie sich‘s versah, richteten die Figuren sich auf und bildeten blitzschnell einen Kreis um Carla. Sie hörte ein Schnalzen und Schmatzen, sah Hüften, die sich im Tanze wie nach einer geheimen Melodie wiegten. Unterleiber, die sich ihr entgegenstreckten.

„Schöne Frau, ganz alleine unterwegs?“ säuselte eine Gestalt. Sie senkte wortlos den Blick und stellte überrascht fest, dass die Füße des Wesens trotz der Kälte in Sandalen und weißen Socken steckten. Schon aber merkte sie, wie sie von hinten von mehreren Händen gepackt wurde. Sie wollte schreien, aber jemand hielt ihr den Mund zu. „Ficki, Ficki“ – War es das letzte, was sie in ihrem Leben hören sollte? Der Rücken nass, die Hände klamm. Sie spürte ihre nahende Ohnmacht.

Plötzlich bellten Schüsse. Der dunkle Schleier, der sich gerade über ihre Augen gelegt hatte, zerriss jäh und ihr war, als träte sie in ein gleißendes Licht ein. Es war das Licht einer Taschenlampe, die ihr ins Gesicht gerichtet war. Eine sanfte Stimme sprach zu ihr:

„Geht es Ihnen gut, Bürgerin? Sind Sie verletzt?“ –

„Ich denke nicht“, stammelte Carla und blickte in das von schwarzen Locken umwölbte Antlitz ihres Retters. Sie hatte das verdammte Glück gehabt, dass zufällig eine nordafrikanische Bürgerstreife vorbeigekommen war und sie aus den Fängen der Angreifer befreit hatte.

„Überall in den Parks treiben sich Rechte rum. Hören Sie denn nicht die Tagesnachrichten im Fernsehen?“ fragte er vorwurfsvoll. „ Ich heiße Massoud“, schob er freundlich nach und deutete galant einen Handkuss an. Carla war entzückt. Man erkannte diesen besonders feinen Menschenschlag an den ausgesuchten Manieren dem weiblichen Geschlecht gegenüber.

„Ich bin Carla“ erwiderte sie und fühlte, wie sie nach diesem Schreck wieder lächeln konnte. Dann blickte sie sich um.

„Ach ja, Ihre Fracht“, sagte Massoud lachend. „Keine Sorge. Darum kümmert sich Sergi.“

Ein kleiner Mann verteilte gerade noch Fußtritte an die ins Gebüsch zurückfliehenden wimmernden Gestalten und stand wenig später mit dem Handwagen, einer artigen Verbeugung und den 200 leeren Flaschen vor ihnen.

„Sergi entstammt einer Völkerschaft aus dem Südosten des Kontinents, die seit alters her für ihre ganz besondere Ehrlichkeit berühmt ist. Er ist unser Spezialist für Eigentumsrückübertragung“, erläuterte Massoud und entblößte seine leuchtend weißen Zähne. „Und schauen Sie, was Abdul aus Aleppo soeben am Wegesrand aufgelesen hat. Ihre Handtasche mit der Geldbörse!“

Zeit zum Gespräch war nicht, was Carla insgeheim bedauerte. Aber der charmante Massoud und seine Truppe hatten sehr viel zu tun an diesen Abenden und in den Nächten. Die angespannte Lage forderte die Streifen bis zum Äußersten. Leider. Aber so waren nun mal die Zeiten. Das Siedlungsgebiet zahlte die Zeche dafür, dass es seine Hausaufgaben nicht gemacht und den Kampf gegen Rechts trotz aller berechtigter Warnungen über Jahre nicht konsequent genug geführt hatte.

Massoud stellte zwei Kämpfer aus Schwarzafrika ab, die Carla bis zum Getränkestützpunkt eskortierten. Zuvor hatte er ihr zum Abschied dringend etwas eingeschärft, das sie selbst ja nur zu gut wusste und auch täglich im Fernsehen wiederholt wurde:

„Diese Selbstversorger sind vergleichsweise harmlose Allerweltsrechte, die auf der Jagd nach leichter Beute in Gruppen durch Parks und Grünanlagen streunen. Sie sind scharf auf Vorräte und Sex. Die begrapschen alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist. Ich gebe Ihnen aber einen verdammt ernstgemeinten Rat: Fallen Sie niemals Reichsbürgern in die Hände! Niemals!!“

Kapitel 2

Ja, die Welt war ein düsterer Ort geworden. Ein Ort, an dem die Hoffnung schwindet und die Überlebenden sich in ständiger Gefahr befinden. Endzeitstimmung. Erst tauchten an den Wänden monotone Zeichen auf, die niemand hatte sehen und deuten wollen. Hakenkreuz-Graffitis, die von der Heraufkunft des Reiches kündeten. In Schulzimmern wurden von den Sprösslingen der Rechten das Mobiliar und die Kiefer von Lehrerinnen zertrümmert, die ihnen Anweisungen geben wollten. In den Vorgärten stank es nach Scheiße und Urin. Alles das waren winzige, stumme Kriegserklärungen. Müllsammler tauchten auf. Verwahrlosung und Ghettoisierung. Rechte Familienclans erhoben Wegezölle und bekriegten sich auch untereinander, wenn etwa die Müllers in das Revier der Meiers vordrangen.

Immerhin war Carla unbeschadet aus ihrer Wohnung gekommen. Als sie keuchend die schwere Stahltür aufschob, die mit sechs Schlössern gesichert war, bemerkte sie die Kratzspuren, die die Prepper mit Hämmern und Meißeln daran hinterlassen hatten. Im Treppenhaus gruselige Reste von Blut und Erbrochenem. Überall gebrauchtes Spritzbesteck. Hier hatten Rechte wochenlang campiert. Natürlich waren alle Keller geplündert und auch ihr Lastenrad weg, aber eines hatte man ihr wie durch ein Wunder gelassen: ihren geliebten Hawazuzie - den Handwagen zum Ziehen! Auf dem nun wieder - diesmal fröhlicher - die leeren Flaschen schepperten.

Der Getränkestützpunkt kam Carla wie das Paradies vor. Ein Jahr lang war sie nicht mehr draußen gewesen. „Schütze dich und andere, bleib‘ zu Hause“ lautete die Losung, die in den Qualitätsmedien rauf und runterlief und Carla war für diese wertvollen Informationen sehr dankbar. Nur waren die Lieferservices in Carlas Wohngebiet eben überlastet und als man den Kopf eines Pizzaboten aufgespießt auf einem Zaun fand, wurde nicht mehr gebracht. Die Rechten hatten dem Leichnam die drei Buchstaben ihres Parteikürzels in die Stirn geritzt. Eine Warnung an alle, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ. Daher hievte Carla nun Kisten mit Mineralwasser ohne Kohlensäure auf den Hawazuzie und sackte massenweise Brot, Knabberzeug und Futter für ihre Katze Mina ein, die zu Hause sehnlichst auf sie wartete. So ließe sich, wenn sie sich beide stark einschränkten, halbwegs über den Winter kommen. Notfalls konnten sie den restlichen Kitt aus den Fenstern fressen. Alles war besser als nochmal den Weg durch den Park zu nehmen. Die Kunden im Markt liefen gramgebeugt durch die Reihen. An allen nagte sichtlich der stumme Selbstvorwurf: Wie konnten wir es nur soweit kommen lassen? Hatte man uns denn nicht vor dem Erstarken der Rechten gewarnt? Niemand wusste, ob er heil und unbeschadet nach Hause kommen und seine Liebsten wiedersehen würde, denn die nordafrikanischen Bürgerstreifen konnten nicht überall gleichzeitig für die nötige Sicherheit garantieren. Noch schlimmer als im Herbst und Winter war es nur im Sommer, da dann rechte Rudel auf der Jagd nach nackten Brüsten über die Freibäder herfielen und alle Kapazitäten der Streifen banden.

Carla trat aus dem Markt und eine Hoffnung zerschlug sich. Massouds afrikanische Mitarbeiter waren offenbar zu anderen drängenden Aufgaben abberufen worden. Sie würde den Heimweg ohne Geleitschutz antreten müssen. Schleppend bewegte sich der Handwagen hinter ihr über den Bürgersteig und bog dann knirschend auf den Kiesweg ein, der durch den Park führte. Carla holte tief Luft, spannte alle ihre Kräfte an und erhöhte keuchend ihr Tempo. Es war ein kleiner Park. ‚Bitte lieber Gott, es sind doch nur 300 Meter‘. Aber auch der Herr im Himmel hielt seine schützende Hand nicht mehr über das Siedlungsgebiet und seine Einwohnenden, die ihn zu lange verleugnet hatten. Es passierte, was passieren musste …

Carla vernahm ein erst sehr leises und dann stärker werdendes Surren, das klang wie ein sich nähernder Heuschreckenschwarm. Sie wurde hektisch immer schneller. Zu spät.

„Wohin des Wegs? Ihre Papiere!“ ---

Reichsbürger!! Eine bewaffnete Patrouille des gefürchteten 17. elektrischen Rollstuhl- und Rollatoren-Regimentes. Elite-Kavallerie. Mit zitternder Hand kramte Carla ihren Personalausweis aus der Handtasche und reichte ihn dem Gardekürassier, der aus seinem Rollstuhl gesprungen war und sich in seiner ganzen Pracht vor ihr aufbaute. Der silbern glänzende Kürass über dem Paletot, darüber das Bandolier mit dem Kartuschenkasten, lange Stulpenstiefel, der Linienadler über der gewölbten Schuppenkette am Helm mit der Spitze, auf der ein stattlicher Federbusch prangte. Die Epauletten zeugten vom höheren Offiziersrang. Mit spitzen behandschuhten Fingern seiner linken Hand ergriff er das Papier, zog die Brauen hoch und besah es von allen Seiten.

„Was ist das? Hände hoch!“ schnarrte er, zog mit der rechten Hand die Pistole aus dem Halfter und fuchtelte damit in der Luft herum. „Sieht so ein gültiger Reichsausweis aus? Mir scheint es sich hier um einen wertlosen Lappen der BRD-GmbH zu handeln, mit dem Sie uns an der Nase herumführen wollen. Diese Frechheiten werden wir Ihnen und Ihren Gesinnungsgenossen rasch austreiben. Verlassen Sie sich darauf. Sie sind verhaftet!“

Mit einem geübten Handgriff, der den ehemaligen Beamten des Bundesgrenzschutzes verriet, legte er Carla, die in Tränen ausbrach, unter dem höhnischen Gelächter seiner Kumpane Handschellen an. Dann hievte man sie auf den Korb eines Rollators und gab ihm die Sporen. Ab ging die wilde Fahrt durch den Park bis zur Straße. Dort warteten mehrere Lastkraftwagen. Carla wurde wie ein Stück Vieh auf eine Ladefläche geworfen, auf der bereits andere Gefangene kauerten, die sich ohne gültige Dokumente unbefugt auf Reichsgebiet aufgehalten hatten. Einige hatte Carla gerade eben noch im Getränkestützpunkt gesehen. Armselige, graue Gestalten, die alle Hoffnungen fahren gelassen hatten. Was fuhr, war jetzt einzig der LKW. Carla rollte in ein ungewisses Schicksal.

Kapitel 3

Quietschende Bremsen rissen Carla aus ihrem kurzen Dämmerschlaf. Der Konvoi hatte sich nur ein paar Kilometer in einen anderen, östlicheren Stadtbezirk bewegt. Stiefelgetrappel. Gebrüllte Kommandos. Knallende Peitschen. Vereinzelte Warnschüsse. Hundegebell. Die Plane der Ladefläche wurde hochgerissen:

„Absitzen!“

Ein jüngerer Offizier im blauen Dienstanzug half Carla vom Wagen. Es hatte zu schneien begonnen. Die Gefangenen mussten in einer Reihe antreten. Zählung. 97 war die Ausbeute dieser Nacht. Abmarsch zur Sammelzelle. Erwartungsgemäß befand sich hier all das, was die Rechten so abgrundtief hassten. Erstaunlich war nur, dass sie den zahlreichen Muslimas, die sie auf dem Einkaufsweg oder bei Putzjobs überfallen hatten, ihre Kopftücher ließen – das Symbol ihrer Selbstbestimmung. Junge Leute mit bunten Haaren und Piercings. Auch PoCs und Transpersonen waren viele vertreten. Carla wurde ihre karge Bettstatt im