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Die Medien nennen ihn „Sweet Danny“. Zu Recht. Daniel Rochesters dichtes Haar hat die Farbe edler Bitterschokolade. Seine Augen leuchten goldbraun wie Nugat. Und er ist mit nur 27 Jahren der millionenschwere Erbe der größten Süßwarenfabrik des Königreichs. Als bekannt wird, dass er der neue Kandidat von Catch the Millionaire ist, stehen die Server des London Chronicle vor dem Zusammenbruch … denn Tausende von Frauen wollen zu Dannys „süßer Verführung“ werden. Myrtle Wilson, die im Süßwaren-Imperium der Rochesters arbeitet, hat hingegen nur einen Wunsch: Endlich einmal den Firmenchef aus der Nähe zu sehen. Und so macht sie die größte Dummheit ihres Lebens … Liebesroman mit Happy End. (E-Book, Taschenbuch, Hörbuch) Jeder Roman der Reihe CATCH THE MILLIONAIRE ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden. Die einzelnen Geschichten enthalten wiederkehrende Charaktere. Für einen erhöhten Lesegenuss empfiehlt sich daher, die chronologische Reihenfolge einzuhalten.
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Zartbitter wie dunkle Schokolade, humorvoll und romantisch, mit unvermeidbarem Happy End.
Die Medien nennen ihn „Sweet Danny“. Zu Recht. Daniel Rochesters dichtes Haar hat die Farbe edler Bitterschokolade. Seine Augen leuchten goldbraun wie Nugat. Und er ist mit nur 27 Jahren der millionenschwere Erbe der größten Süßwarenfabrik des Königreichs. Als bekannt wird, dass er der neue Kandidat von Catch the Millionaire ist, stehen die Server des London Chronicle vor dem Zusammenbruch … denn Tausende von Frauen wollen zu Dannys „süßer Verführung“ werden. Myrtle Wilson, die im Süßwaren-Imperium der Rochesters arbeitet, hat hingegen nur einen Wunsch: Endlich einmal den Firmenchef aus der Nähe zu sehen. Und so macht sie die größte Dummheit ihres Lebens …
Inhaltsverzeichnis
Catch the Millionaire - Daniel Rochester
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Die Autorin
Impressum
Menschen, die der Versuchung widerstehen,verschieben nur ihre Kapitulation auf morgen.
Charles Maurice de Talleyrand
(1754 – 1838)
Kapitel eins
Der Aston Martin schießt wie ein Formel-1-Bolide durch die Londoner City. Die beiden Verfolger in dem Minivan verlieren ihn nur deshalb nicht aus den Augen, weil sich der Lenker des funkelnagelneuen Sportcoupés zumindest an den Kreuzungen an die Straßenverkehrsordnung hält. Doch sobald das Licht einer Ampel wieder auf Grün springt, erlöschen die leuchtenden Bremslichter vor ihren Augen und der PS-starke Wagen prescht erneut davon. Als er mit einem gewagten Manöver am Piccadilly Circus in die Regent Street abbiegt, kommen sie ihm endlich bedrohlich nahe. »Jetzt hab ich dich«, schreit der Fahrer des weißen Ford, auf dessen Motorhaube die Aufschrift Channel 24 prangt, als er mit quietschenden Bremsen die Kurve nimmt, das Gaspedal durchdrückt und dem Luxusgefährt hinterherjagt. Der Mann auf dem Beifahrersitz hebt die unhandliche Filmkamera hoch, stützt sie auf der Schulter ab und richtet sie auf sein Ziel aus – das im selben Moment über eine Rampe in der dunklen Öffnung einer Hausfassade verschwindet. Er prallt mit dem Kopf gegen das schwere Gehäuse der Kamera und stöhnt schmerzvoll auf, als sein Kollege eine Notbremsung hinlegt. Mit quietschenden Reifen kommt der Minivan zum Stehen. Das Rollgitter der Tiefgarage rastet ein. »Verdammt«, schreit der Fahrer und schlägt mit der Faust auf das Lenkrad. »Wir haben ihn fast gehabt«, stößt er zwischen zusammengepressten Lippen hervor und reibt sich die Handkante. »In deinen Träumen«, erwidert der andere und deutet unmissverständlich auf die Menschentraube, die sich vor dem Eingang des imposanten Gebäudes versammelt hatte. »Die wollen ihn alle.« Dann streckt er den Zeigefinger aus und zeigt damit an der Fassade nach oben. »Und die haben ihn.« Sie stehen im absoluten Halteverbot vor der Garageneinfahrt des London Chronicle, und der Mann, der ihnen entwischt ist, ist niemand anderer als Daniel Rochester, der aktuelle Kandidat des Formats Catch the Millionaire.
Myrtle Wilson stößt die Tür zur Damenumkleide auf und wirft die Schultertasche auf die Bank. Auf einem Bein vorwärts hüpfend, streift sie den Sneaker von dem einen Fuß, wechselt das Bein und lässt den zweiten Schuh im gleichen Moment fallen, in dem sie ihren Spind erreicht. Ausgerechnet ihr musste das passieren! Noch dazu zum dritten Mal seit Monatsbeginn und an einem Montag! Sie hatte nur wenige Minuten, bevor sie umgezogen an ihrem Arbeitsplatz sein musste. Seitdem sie für Rochester Ltd. arbeitete, und das waren immerhin fast elf Jahre, war sie immer überpünktlich gewesen. Aber in den letzten Wochen klappte einfach nichts mehr. Ihr Leben stand kopf, seit ihr geliebter Mini Cooper das Zeitliche gesegnet und damit die Katastrophe eingeleitet hatte. Sie konnte das Auto, das der Händler bereits beim Kauf vor sieben Jahren als Oldtimer bezeichnet hatte, nicht ersetzen. Myrtle hatte jeden Monat Mühe, die laufenden Kosten ihrer kleinen Familie mit ihrem Gehalt abzudecken, und von so etwas wie einem Sparstrumpf konnte sie nur träumen. Die Strecke von Brentford bis zur Fabrik in Vauxhall hatte sie mit dem Wagen bei normalem Verkehr in etwa einer halben Stunde geschafft. Jetzt musste sie von daheim zur Railway Station gehen, was sie im besten Fall sieben Minuten kostete. Da durfte ihr jedoch niemand begegnen, der sich nach ihrer Familie erkundigte, was so gut wie jeden zweiten Tag geschah, weshalb ihr dann der Zug vor der Nase wegfuhr und sie eine Viertelstunde auf den nächsten warten musste. Selbst wenn sie von der Vauxhall Station hierher lief, konnte sie nur wenig der verlorenen Zeit einholen. So wie heute. Und die Schuld dafür lag bei Richie, der sie mit seinen Mätzchen nicht nur um das Frühstück, sondern sogar um ihren Latte macchiato gebracht hatte – wie so oft!
Natürlich ist sie allein in der Umkleide. Die anderen sind längst im Aufenthaltsraum, um sich mit einem Kaffee auf den Arbeitstag vorzubereiten und dabei den neuesten firmeninternen Klatsch breitzutreten. Letzteres ist zwar wirklich nicht ihr Ding, aber für eine wohlduftende Portion Koffein würde sie sogar auf das neue Album Heavy Entertainment Show von Robbie Williams verzichten, das sie sich selbst zu Weihnachten versprochen hat!
Hastig zerrt sie einen frisch gewaschenen schneeweißen Kittel aus dem Spind und zieht ihn über. Dann schlüpft sie in die Clogs und packt den Riemen der Tasche, die sie vorhin achtlos auf die Bank geworfen hat. Sie kramt darin nach einem Haargummi, als eine Zeitung zu Boden rutscht, die offenbar darunter lag. Beiläufig wirft sie einen Blick darauf, während sie mit geübtem Griff ihre Haare zusammenfasst, um sie zu einem Pferdeschwanz zu binden, damit sie diesen unter der weißen Mütze zusammenrollen kann. Doch so weit kommt es nicht – denn sie erstarrt in der Bewegung. Mit aufgerissenen Augen fixiert sie die Titelseite des London Chronicle, auf der das Foto ihres Chefs abgebildet ist. Darüber prangt in kapitalen Lettern der Satz Catch the Millionaire!, darunter: Millionenerbe Sweet Danny sucht süße Versuchung zwecks zartschmelzender Fusion. Myrtles Hände sinken herab, das dichte dunkelblonde Haar ergießt sich über ihre Schultern, und sie sinkt mit einem stimmlosen »Ohhhhhh« auf die Bank, als die Tür des Umkleideraums aufgerissen wird und mit einem lauten Knall gegen die Wand fliegt.
»Da bist du ja!« Thelma reißt sie aus ihrer Schockstarre. »Ist dir eigentlich klar, wie spät es ist? Dass du deinen Kaffee abschreiben kannst? Und dass du dem alten Hensley den Grund für eine Abmahnung auf dem Silbertablett servierst, wenn du deinen Hintern nicht sofort hinüber schwingst?«
Ihr Unterbewusstsein gibt ihrer besten Freundin recht, nur ihr Körper funktioniert nicht. Wie eine Gummipuppe lehnt sie gegen den Spind, die Hände liegen unbeweglich auf der hölzernen Bank, und ihr Mund bewegt sich zwar, aber es kommt kein Ton heraus. Thelma Downey, die am gleichen Tag vor bald elf Jahren – damals waren sie beide sechzehn – mit der Ausbildung zur Süßwarenfacharbeiterin begonnen hatte, stürzt auf sie zu. Ihre beste Freundin packt sie mit festem Griff an der Schulter und schüttelt sie.
»Ich versteh dich nicht, Myrtle! Nur weil dein geliebter Mini auf dem Autofriedhof liegt, kannst du dich doch nicht so gehen lassen. Er war nur ein Auto, um Himmels willen!« Mit einem Ruck dreht sie ihr den Kopf seitlich, nimmt ihr das Haargummi aus der Hand und macht sich an ihrer blonden Mähne zu schaffen.
»Au!«, schreit Myrtle auf. Das Zerren an ihren Haaren bringt sie zurück ins Hier und Jetzt. Sie hebt die Arme und schiebt energisch Thelmas Hände zur Seite, bindet sich den Pferdeschwanz und greift nach der Mütze. »Der Mini kann nichts dafür! Richie hat wieder mal herumgesponnen und auf dem Weg zur Railway Station bin ich ausgerechnet Mrs Finley in die Arme gelaufen ...«
Thelma verdreht die Augen, bevor sie nickt und »Ich verstehe« murmelt. Das tut sie wirklich. Bis vor ein paar Jahren hat sie selbst noch in Brentford gelebt, und die Finley ist nun einmal die größte Tratschtante des Orts. »... und dann war der Zug weg und du musstest auf den nächsten warten ... und hast keine Ahnung, was du deshalb versäumt hast!«, ergänzt sie lakonisch.
»Das hier?« Myrtle beugt sich vor, hebt die Zeitung auf und hält sie ihrer Freundin unter die Nase.
»Ja!«, quietscht Thelma. »Ist das nicht toll? Sweet Danny sucht eine Frau und deshalb kommt morgen ein Team von Catch the Millionaire und wird uns alle filmen. Jetzt werden wir berühmt!« Wie sie so breit grinsend und mit funkelnden Augen von einem Bein aufs andere hüpft, wirkt sie wie ein hysterischer Teenager, dem man ein Date mit seinem Lieblingspopstar versprochen hat, nicht wie eine verheiratete Frau von siebenundzwanzig Jahren.
»Jetzt krieg dich wieder ein«, murmelt Myrtle, während sie ihre Sneakers unter die Bank bugsiert und die Schultertasche in ihrem Spind verstaut. Sie drückt die Tür zu und das elektronische Schloss rastet ein. Die Mitarbeiter der Entwicklungsabteilung der Rochester Ltd. haben nicht nur ihre eigenen Umkleideräume, ihre Schränke können nur mittels Fingerprintsensoren geöffnet werden. Myrtle ist glücklich, dass sie es in diese Abteilung geschafft hat – und sie wird sich ihren Job weder von einem toten Auto noch von Richie oder neugierigen Tratschweibern kaputtmachen lassen. Und schon gar nicht von Sweet Danny Rochester, der wahrscheinlich nicht einmal weiß, wie sie heißt, obwohl sie seit einer halben Ewigkeit in der Fabrik seiner Familie arbeitet. Soll er sich doch wie ein Stück Fleisch in einem Metzgerladen zur Schau stellen und an die meistbietende süße Versuchung verkaufen. So ein Idiot ist es nicht wert, sich nachts in ihre Träume zu schleichen und ihr den Schlaf zu rauben, den sie so dringend braucht!
»Komm!« Sie packt Thelma am Arm, die immer noch den London Chronicle in den Händen hält und grinsend auf die Titelseite starrt. »Lass uns rasch einen Kaffee mit einer Extraportion Zucker holen, bevor wir uns dem alten Hensley und seinen bitteren Argumenten stellen.«
Gillian
»Wenn ich das gewusst hätte ...«
Daniel Rochester schüttelt ungläubig den Kopf und starrt nach unten auf die Straße. Zum Glück ist die gesamte Fensterfront des Gebäudes des London Chronicle außen verspiegelt, und das Kameraauge der Drohne, die davor patrouilliert, kann nicht festhalten, was hier im Inneren geschieht. Trotzdem fühlt er sich nicht besonders wohl, aber das gehört eben dazu, wenn man sich in die Hände des mächtigsten Medienunternehmens Großbritanniens begibt.
»Was genau?« Jayson Rearden, der stellvertretende General Manager des London Chronicle, tritt neben ihn. »Das da?« Mit einer lässigen Handbewegung, bei der die Manschette seines schneeweißen Hemdes so weit nach oben rutscht, dass seine flache Armbanduhr mit dem Lederband zu sehen ist, deutet er auf die Menschenansammlung vor dem Haupteingang. Dann wendet er sich dem schlanken Mann zu, den er um einige Zentimeter überragt, und legt ihm die Hand auf die Schulter. Seine Geste hat etwas Beschützendes. Derjenige, den ganz Großbritannien nur Sweet Danny nennt, stößt einen Seufzer aus. Sein Gesichtsausdruck ähnelt nicht einmal am Rande dem seines selbstbewusst lächelnden Abbilds, das seit dem frühen Morgen die größte Werbefläche des Piccadilly Circus – und nicht nur diese – ziert. Mit den fest zusammengepressten Lippen und der gerunzelten Stirn, die seine Augenbrauen zu einem einzigen Strich werden lässt, hat er gar nichts mit dem bezaubernden süßen Typen zu tun, den sich jede Mutter als Schwiegersohn wünscht.
Bei dem Gedanken daran, dass die meisten Muttis ihn wohl selbst kaum von ihrer Bettkante stoßen würden, kann ich mir das Schmunzeln nicht verkneifen. Ich senke den Blick und vertiefe mich wieder in die Fotogalerie auf meinem Laptop, die von meinem Redaktionsteam draußen im Großraumbüro nahezu im Sekundentakt mit Neuzugängen gespeist wird. Es ist nahezu angsterregend, wie viele Handypics von Menschen, die sich nur wenige Stockwerke unter uns auf der Straße befinden, auf den Servern des Projekts landen. Die Anzahl der verschiedenartigsten Frauen aller Altersstufen, die sich seit den frühen Morgenstunden vor dem Haupteingang des London Chronicle einfinden und diesen belagern, ist beeindruckend.
»Haben die alle keine Arbeit? Was meinst du, Gillian?« Jaysons Stimme verrät eine leichte Unsicherheit. Vielleicht ist der Sohn des Mannes, der zum Jahresende meine Mutter heiraten wird, doch nicht mehr von seiner Idee überzeugt, die er gegen meinen Rat und Willen mit den Worten »Immerhin bin ich ja der Chef hier« durchgesetzt hat. Wird ihm endlich klar, dass er besser darauf verzichtet hätte, dieses riesige Werbeplakat mit Daniel Rochesters Abbild an der Außenfassade des altehrwürdigen Gebäudes anbringen zu lassen, in dem wir eigentlich ungestört arbeiten sollten?
»Soll ich nach unten gehen und sie fragen?« Ich kann mir den süffisanten Ton nicht verbeißen und klimpere nun auch noch wie eine seiner lebendigen Barbiepuppen mit den Wimpern. »Was denkst du, Jayson? Wie werden all diese Frauen es aufnehmen, wenn ausgerechnet die Verantwortliche des Projekts Catch the Millionaire sie fragt, was sie hier an einem Montagvormittag wollen?«
Er schnaubt verächtlich, schnippt mit den Fingern eine imaginäre Fussel von seinem Hemdsärmel und deutet mit einer Bewegung des Kinns auf Daniel. Aber noch bevor er ein Wort sagen kann, dreht sich dieser um und sieht in meine Richtung. Sein Blick ist wieder dieser treuherzige, der ihn einem Hundewelpen ähneln lässt. Einem mit dunklem, nahezu schwarzem, seidig glänzendem Fell.
»Was soll ich nur tun, Gillian?« Wenn es nicht schon sein Blick geschafft hat, dann tut es jetzt dieser klägliche Ton, in dem er sich an mich wendet. Sweet Danny Rochester ist definitiv genau so, wie sein Name aussagt: süß. Nicht nur charakterlich. Mit seinen nugatbraunen Augen und den dunklen Haaren, die an Bitterschokolade erinnern, ist er das perfekte Aushängeschild seines Unternehmens Rochester Ltd., des größten Süßwarenproduzenten Großbritanniens.
Und jeder – aber wirklich jeder! – von hier bis hinauf zu den Shetlandinseln müsste sich fragen, warum ausgerechnet er sich darauf eingelassen hat, auf diesem Weg eine Frau zu suchen. Jeder ... bis auf die wenigen, die den Grund kennen. Mit einem heftigen Blinzeln verdränge ich die aufkommenden Tränen der Rührung, schiebe den Stuhl zurück, stehe auf, streife den taubengrauen Bleistiftrock glatt und stupse die Brillenfassung an meiner Nasenwurzel an. Dann räuspere ich mich und gehe auf Daniel zu. Einen halben Meter vor ihm bin ich gezwungen, stehen zu bleiben und meinen Kopf leicht in den Nacken zu legen, um ihm in die Augen sehen zu können.
»Wir machen alles genau so wie geplant. Die Verantwortlichen des Filmteams werden in zehn Minuten hier sein, wie vereinbart. Dann gehen wir Punkt für Punkt durch, was sie in der Fabrik drehen werden und was bei euch zu Hause.«
Er zuckt unmerklich zusammen. Ich lege meine Hand auf seinen Unterarm. Unter dem Stoff seiner dunkelblauen Anzugjacke spüre ich seine angespannten Muskeln und drücke beschwichtigend zu.
»Es muss nicht sein«, sage ich leise.
»Gillian hat recht«, höre ich Jaysons ruhige Stimme. Sooft wir wegen Nichtigkeiten aneinandergeraten und uns Wortgefechte liefern, die bei zufälligen Zuhörern schamhafte Röte aufkommen lassen, in dieser Sache sind wir einer Meinung. »Wenn du das, was innerhalb der vier Mauern geschieht, in denen ihr lebt, heraushalten willst, dann ist das kein Problem. Es gibt genug, worüber wir schreiben und das wir bildlich untermauern können. Immerhin leitest du das größte Süßwarenunternehmen des Königreichs!«
»Aber sonst mache ich nichts! Welche Frau soll denn an einem langweiligen Workaholic wie mir, der kein Privatleben hat, Gefallen finden?«
Jayson legt eine Hand in Dannys Nacken, packt ihn fest und zwingt ihm seinen Blick auf.
»Diejenigen, die seit dem Moment, in dem wir bekannt gegeben haben, dass du der neue Kandidat von Catch the Millionaire bist, im Blog und in den sozialen Netzwerken kommentieren?«
»Und all diese Frauen hier unten, von denen ein großer Teil blaumacht, nur weil sie vermuten, dass du hier sein könntest?«, füge ich hinzu und festige den Griff meiner Hand um seinen Unterarm.
»Ganz zu schweigen von denen, die sich deinetwegen in Schale und in Unkosten schmeißen, um die allerbesten Fotos von sich schießen zu lassen, die sie mit dem Online-Fragebogen an uns senden«, ergänzt Jayson.
»Oh. My. God!«, stöhne ich gespielt verzweifelt auf. »Das hatte ich schon ganz vergessen. All diese Frauen, die sich darum bewerben, einen Platz in der Rose der drei zu ergattern, die vierundzwanzig Stunden mit dir verbringen dürfen!«
»Jetzt hört schon auf.« Danny lacht auf, entzieht mir seinen Arm, entkommt Jaysons Klammergriff und geht auf die Fensterfront zu. »Okay, okay! Ich habe euch verstanden. Nur eines. Schafft mir die Drohne vom Hals, denn wenn sie mir nach Hause folgt, schieße ich sie vom Himmel!«
»Pünktlichkeit ist keine Option, sondern ein Muss, Miss Wilson!«
Der grau melierte Schnurrbart des alten Hensley zittert. Mit einer fahrigen Bewegung streicht er sein immer noch fülliges schlohweißes Haar aus dem Gesicht und lässt den Blick seiner kleinen Knopfaugen über ihr reuevoll gebeugtes Haupt streifen. Wahrscheinlich hat er damit eine ganze Menge Mitarbeiter verschreckt – früher. Jetzt verleiht ihm die verwaschene Farbe seiner wohl ehemals stechend blauen Augen den Ausdruck eines gütigen Großvaters. Myrtle blinzelt unter den gesenkten Lidern hervor und wartet darauf, dass der Chef-Chocolatier der Rochester Ltd. weiterspricht.
»Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie riskieren, wenn Sie Ihre Unzuverlässigkeit nicht in den Griff bekommen?«
»Unzuverlässig? Ich?« Ihr Kopf ruckt nach oben und sie sieht ihren Vorgesetzten entsetzt an. »Die letzten beiden Male ist mir der Zug vor der Nase weggefahren und ich war selbst schuld. Das weiß ich. Aber seither nehme ich immer den früheren. Mr Hensley, Sie wissen doch, dass ich in all den Jahren nie zu spät kam, aber seitdem ich mein Auto nicht mehr habe, musste ich mich erst an die neue Situation gewöhnen.«
»Und heute?« Der alte Mann tritt auf sie zu und legt seine Hand auf ihren Arm.
»Ich war doch schon da, aber dann ist mir ... in der Umkleide ...«, stottert Myrtle und bricht ab.
»So genau will ich das gar nicht wissen, mein Kind.« Er streicht ihr beschwichtigend über den Handrücken. Wahrscheinlich denkt er, dass ich meine Tage habe. Myrtle unterdrückt den Seufzer der Erleichterung, als Hensley fortfährt. »Aber ausgerechnet heute ... Ich habe mir das ganze Wochenende die Worte zurechtgelegt, habe auf Sie gewartet, um Sie auf einen Morgenkaffee zu mir ins Büro zu rufen ... und als Sie dann wenige Minuten vor acht immer noch nicht auftauchten, habe ich komplett vergessen, was ich Ihnen alles sagen wollte.«
Myrtle beginnt zu zittern, die Härchen auf ihren Armen stellen sich senkrecht auf, und sie hat das Gefühl, dass sich ihr ohnehin leerer Magen umdreht. Ist etwas Wahres an den Gerüchten dran, die seit einiger Zeit in der Fabrik kursieren? Will man Mitarbeiter abbauen und auch hier in der Entwicklungsabteilung mehr Maschinen einsetzen? Will er sie entlassen? Ihre Gedanken überschlagen sich. Wenn ihr Gehalt fehlt, wie soll es dann mit ihrer Familie weitergehen? Ihr Blick verschleiert sich, sie spürt die Tränen auf ihren Wangen – und hat nicht einmal die Kraft, sie wegzuwischen. Und dann spürt sie plötzlich Arme, die sie umfassen, und Hensley zieht sie an sich.
Leise murmelnd streicht er ihr über den Rücken. »Aber Kind, was ist denn los mit Ihnen? Es tut mir so leid ...«
Die Worte dringen zu ihr durch und sie schluchzt auf. Er will ihr kündigen! Mit aller Kraft klammert sie sich an dem alten Mann fest, der sie in seinen Armen hin und her wiegt und zu beschwichtigen versucht.
»Myrtle, Sie müssen doch nicht weinen. Eigentlich sollten wir beide jetzt den Champagner köpfen, der schon seit Freitag eigens für diesen Moment im Kühlschrank wartet, und dazu ein paar von den Chantilly-Pralinen essen, die Sie kreiert haben!«
Mit einer resoluten Geste hebt er ihr Kinn an, tritt einen Schritt zurück und sieht sie kopfschüttelnd an.
»Mädchen, ich hätte schon vor vier Jahren in Pension gehen sollen. Und dann wieder vor zwei. Irgendwie ist es Danny und mir immer gelungen, die Behörden davon zu überzeugen, dass ich für den Betrieb unabkömmlich bin. Es war ja auch niemand da, der meinen Posten hätte übernehmen können. Aber jetzt werde ich bald siebzig und diese Beamten wollen einfach nicht mehr mit sich reden lassen. Das ist aber nicht mehr wichtig, denn ich könnte mir keine bessere Nachfolgerin wünschen als Sie!«
Myrtle reißt die Augen auf, aus denen immer noch eine Träne nach der anderen kullert. Ihr Mascara ist komplett verschmiert, bildet schwarze Rinnsale auf ihren Wangen, und ihr Mund klappt lautlos auf und zu wie der eines Fisches auf dem Trockenen. Bis sie aufschreit, dem alten Hensley um den Hals fällt – und zu heulen beginnt. Woraufhin Thelma hereinplatzt, die offenbar vor Hensleys Büro gestanden hat, seitdem der Chef sie davor abgefangen und hereinbeordert hatte, noch bevor sie sich einen Kaffee holen konnte.
Ihre Freundin sieht entgeistert von ihr zu Hensley und wieder zurück. »Hat er dich gefeuert?«, stößt sie hervor, ballt die Hände zu Fäusten und geht auf den alten Mann zu.
Myrtle wirft sich dazwischen und hält sie an beiden Handgelenken fest. »Im Gegenteil! Ich werde deine neue Chefin!«
Jetzt ist es Thelma, die weiche Knie bekommt und sich auf den nächstbesten Sessel fallen lässt. Wenig später sitzen sie zu dritt an dem Besprechungstisch, schlürfen Champagner, essen Chantilly-Pralinen und vergessen erst einmal den Rest der Welt.
Nachdem sie zu dritt die Flasche Champagner geleert haben und Thelma sich wieder an ihre Arbeit gemacht hat, packt Hensley sie am Handgelenk und durchquert mit ihr das riesige Gebäude, bis sie im Personalbüro anlangen. Zu Myrtles Verwunderung erwartet man sie bereits. Der neue Arbeitsvertrag liegt unterschriftsfertig auf dem Besprechungstisch im Zimmer des Personaldirektors, der sie mit festem Händedruck begrüßt und seine Sekretärin anweist, drei Kaffee zu bringen. Myrtle hatte noch nie mit ihm persönlich zu tun, denn gewöhnliche Mitarbeiter erhalten den Arbeitsvertrag von ihrem direkten Vorgesetzten. Einen Moment lang denkt sie daran, dass ihr unmittelbarer Chef nun bald Daniel Rochester persönlich sein wird – aber der hat heute ganz offensichtlich, wie man aus dem London Chronicle erfahren kann, Besseres zu tun, als sie zu treffen. Obwohl ... Catch the Millionaire hin oder her. Ob Sweet Danny sich auf diese absurde Art eine Frau sucht oder auch nicht und deshalb nicht in der Fabrik ist, ist eigentlich nebensächlich. Myrtle kommt zu dem Schluss, dass er sich wohl kaum persönlich um Personalangelegenheiten kümmert. Dafür hat er eben seinen Personaldirektor. Dieser trägt ein hellblaues Hemd unter einem dunklen Anzug, dazu eine perfekt gebundene Krawatte und das dazu passende Einstecktuch. Seine Haare sind mit so viel glänzender Pomade an seinem Schädel festgeklebt, dass man die Farbe nur erahnen kann. Gleiches gilt auch für sein Alter. Der Mann könnte genauso gut vierzig wie sechzig Jahre alt sein. Alles in allem wirkt er wie ein Schauspieler aus einem dieser Filme, die in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts spielen.
Zu ihrem Glück steht er mit Hensley abseits und spricht leise mit ihm, als sie auf der dritten Seite bei dem Punkt ankommt, der ihr Gehalt anführte. Ihr Herz setzt kurz aus, bevor es zu galoppieren beginnt wie ein Pferd im Rennen um den Ascot Gold Cup. Sie würde viermal so viel verdienen wie bisher! Anfangsgehalt!
»Da gibt es noch etwas, Miss Wilson.« Der Personaldirektor nimmt seine Brille ab, zieht ein Stofftaschentuch mit eingesticktem Monogramm aus der Hosentasche und beginnt, damit die Brillengläser zu putzen. Erst nachdem er das Tuch zusammengelegt, wieder eingesteckt und die Brille mit beiden Händen aufgesetzt hat, spricht er weiter. »Bei Durchsicht Ihrer Personalakte haben wir gesehen, dass Ihnen noch mehr als acht Wochen Urlaub zustehen. Das sollte an sich nicht passieren, da wir uns bereits dem Jahresende nähern und Sie nicht einmal noch die Ihnen zustehende freie Zeit des Vorjahrs komplett verbraucht haben.« Er sieht sie mahnend an. »Sie werden sicher verstehen, dass wir diesen Urlaubsanspruch nicht auf Ihren neuen Arbeitsvertrag im Management übertragen können, Sie aber auch nicht zwei Monate freistellen können.«
Myrtle schlägt die Hand vor den Mund und stößt einen erschrockenen, wenn auch leisen Schrei aus. Das Gesicht des Personalchefs wird eine Spur weicher.
»Beruhigen Sie sich und lassen Sie mich weitersprechen. Also wie ich schon sagte ...« Er macht eine Sprechpause, in der Myrtle fragend zu Hensley sieht, der sie mit einer Geste beruhigt, als der Mann im dunklen Anzug weiterspricht. »Wir können diese Ihnen zustehenden Urlaubstage nicht weiter verschleppen, daher nehmen Sie sich ab sofort bis zu Ihrem Vertragsbeginn heute in zwei Wochen frei.«
»Aber ich kann doch nicht alles liegen und stehen lassen«, erwidert sie leise.
»Sie können«, antwortet nun Hensley. »Sie müssen sich erholen und Energie für Ihre neue Aufgabe tanken, Myrtle! Noch bin ich hier und kümmere mich um alles, wie ich es immer getan habe. Und wenn Sie wieder zurück sind, haben wir noch ausreichend Zeit, während der ich Ihnen all die administrativen Dinge erklären und Ihnen zur Seite stehen kann, bevor ich in Pension gehe. Von Schokoladenherstellung wissen Sie sowieso schon alles.«
Er zwinkert ihr zu, als der Personaldirektor ihre Aufmerksamkeit erneut auf sich lenkt.
»Ihr restlicher Urlaub wurde bereits abgerechnet und wird noch heute auf Ihr Konto überwiesen, Miss Wilson. Meine Sekretärin gibt Ihnen beim Hinausgehen ihren neuen Arbeitsvertrag und die Kopie der Zahlungsanweisung.«
Der Mann in dem dunklen Anzug steht auf und beendet damit das Gespräch. Er begleitet Hensley und sie ins Vorzimmer zu seiner Sekretärin, murmelt irgendwas von einem dringenden Termin und verschwindet ohne weiteren Gruß wieder in seinem Büro.
Die nachfolgenden Stunden vergehen wie im Flug. Erst in dieser Situation wird klar, wie beliebt Myrtle bei ihren Arbeitskollegen ist. Niemand stellt Hensleys Entscheidung infrage. Eine der ältesten Mitarbeiterinnen, eine Frau, die ihre Mutter sein könnte, spricht aus, was die anderen mit Gesten zu verstehen geben. »Myrtle Wilson, du bist nicht nur fachlich gesehen, sondern auch aufgrund deines liebenswerten Charakters und deiner zuvorkommenden und hilfsbereiten Art die beste Wahl für diese wichtige Position – trotz deines jugendlichen Alters.« Die Frau, die bald keine Kollegin, sondern eine ihrer Untergebenen sein wird, zwinkert ihr zu. Thelma fällt ihr erneut um den Hals, und schließlich wird Myrtle von ihren Kollegen beglückwünscht und so oft umarmt und gedrückt, dass sie froh ist, als Hensley sie eine Stunde vor dem offiziellen Arbeitsende endgültig hinauswirft. Sie hatte ihm klargemacht, dass sie ihm zumindest ihre aktuellen Experimente übergeben musste, weil sie sonst ihren Urlaub nicht genießen konnte. Und so hatten sie beide Stunden über Myrtles detaillierten Aufzeichnungen zu ihren laufenden Versuchen verbracht, bis es wirklich nichts mehr zu besprechen gab.
Zur Feier des Tages gönnt sie sich bei M&S Simply Food in der Vauxhall Station einen heißen Tee, bevor sie zum Bahnsteig geht. Die knappe halbe Stunde Zugfahrt starrt sie gedankenlos aus dem Fenster, bis ihre Station ausgerufen wird. In Brentford steigt sie aus dem Zug und macht sich auf den Weg nach Hause, wo ihre ahnungslose Familie auf sie wartet.
Kapitel zwei
Gillian
Die Tür schließt sich hinter dem diensthabenden Chefredakteur meines Teams und ich lasse mich auf meinen Drehstuhl fallen. Die Straßenbeleuchtung erhellt die vorabendliche Dunkelheit der Stadt, und in den Wohnungen der gegenüberliegenden Häuser gehen nach und nach die ersten Lichter an. Während die abendlichen Heimkehrer ihren Arbeitstag ausklingen lassen, streife ich mit einem wohligen Seufzen endlich die Pumps von den Füßen und schmunzele die Schreibtischplatte an. Kein Tisch im gesamten Gebäude schirmt das, was darunter ist, vor indiskreten Blicken ab, weil der Innenarchitekt, der die Büros des London Chronicle eingerichtet hat, auf Glasplatten steht. Bis auf meinen! Nach dem erfolgreichen Abschluss des ersten Teils des Projekts Catch the Millionaire habe ich mir den Luxus geleistet und den gläsernen Schreibtisch in meinem Büro durch einen aus schwarzem Holz ausgetauscht – auf meine Kosten. Dem Highland-Millionär Kyle MacLeary und seiner zukünftigen Frau Rosalin Moore verdanke ich es, dass niemand die sanfte Wölbung unter meinem Rockbund sehen kann, wenn er mir auf einem der Besucherstühle gegenübersitzt.
»Du siehst aus wie eine Katze, die Sahne geleckt hat, Gillian. Gefällt er dir?«
Ich zucke zusammen. Dass ich mein Erschrecken nur spiele, braucht Jayson nicht zu wissen. Genauer gesagt – er darf es nicht wissen! Ich spüre seine Gegenwart immer und überall, sobald er sich nur in Riechweite befindet. Er riecht wie die fleischgewordene Verführung, war mein erster Gedanke gewesen, als er sich nach meinem Sturz helfend über mich gebeugt hatte. In dem Treppenhaus des Wohnhauses, in dem wir zwei auf dem gleichen Stockwerk liegende Appartements bewohnen. Diese Mischung aus wild schäumendem Ozean, aromatischer Grapefruit und edlem Holz, deren Ursprung ich immer noch nicht auf den Grund gekommen bin, raubt mir den Atem. Wenn sie sich dann mit seinem ganz persönlichen Duft vermengt, so wie jetzt, bin ich verloren. Wieder einmal respektiert er meine hundertmal ausgesprochene Bitte, sich in meinem Büro nicht heimisch zu fühlen, nicht. Er bleibt auch nicht einfach stehen, wie es jeder andere normale Mensch tun würde, der unerbeten und ohne anzuklopfen das Büro der Projektleiterin von Catch the Millionaire betritt. Nein! Er nähert sich, umrundet den Schreibtisch, stellt sich hinter mich und vergräbt seine Hände in meiner verspannten Schultermuskulatur. Ich kann es zwar nicht verhindern, dass sich meine Augenlider absenken, aber zumindest den – einem Schnurren ähnelnden – Laut unterdrücke ich.
»Also?« Jayson beugt sich über meine rechte Schulter und sein warmer Atem streicht über mein Ohr. »Ich hab dich was gefragt, Schwesterchen. Gefällt er dir?«
Dieses verflixte Wort, mit dem er mich sogar vor Fremden anspricht, lässt mich zusammenzucken. Ich hasse es, von ihm Schwesterchen genannt zu werden, obwohl ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Brüderchen kontere. Aber es fühlt sich einfach falsch an, wenn zugleich ein Schmetterlingsschwarm in meinem Magen eine wilde Salsa tanzt und es sich in meinem unteren Bauchraum anfühlt wie in einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Nicht, dass ich das aus eigener Erfahrung wissen kann, aber die Vorstellung entspricht dem, was mir irgendwann in Jaysons Nähe geschehen wird, wenn es mir nicht gelingen sollte, ihn ein für alle Mal in die Schranken zu weisen.
»Von wem sprichst du?« Ich schaffe es, so beiläufig und desinteressiert wie möglich zu klingen, und treffe meinen zukünftigen Stiefbruder damit an einer empfindlichen Stelle. Ich spüre es, da er seine massierenden Bewegungen unterbricht, jedoch ohne seine Hände von meinen Schultern zu nehmen. »Doch nicht von Daniel Rochester?«, füge ich mit gespieltem Erstaunen hinzu.
Natürlich von ihm – von wem denn sonst. Der Produktionsleiter des Filmteams könnte mein Großvater sein – und seine Leute, vom Tontechniker bis hin zu den Kameramännern, ähneln den Mitgliedern einer Hippie-Kommune. Sie belassen die Natur so, wie sie ist, auch was ihre Körper betrifft, und kiffen sicherlich jeden Abend Marihuana, das sie auf dem Balkon in Blumentöpfen züchten. Jayson kann also von niemand anderem sprechen als von unserem Millionär.
Plötzlich bohrt er seine Daumen in das weiche Fleisch neben den Schulterknochen, die Finger beider Hände an meiner Vorderseite oberhalb der Schlüsselbeinknochen und drückt zu.
»Verscheißern kann ich mich selbst auch, Gillian.« Seine Stimme ist noch dunkler als sonst und sein Brummen ähnelt dem einer untertourig fahrenden Harley. »Ich bin doch nicht blind. Du hast dich ihm angebiedert, mit den Augen geklimpert und sogar den Knopf deiner Bluse, der die Grenze zwischen anständig und vulgär bildet, geöffnet. Du warst so sehr von diesem ach so süßen Danny vereinnahmt, dass du die erstaunten Blicke aller anderen Anwesenden komplett übersehen hast.«
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen ... Er ist eifersüchtig! Und mir wird schlecht! Mit einem Ruck entziehe ich mich Jaysons Griff, indem ich aufspringe und zugleich meinen Drehstuhl nach hinten sausen lasse. Der tut, wozu er konzipiert ist, und dreht sich. Die eine Armlehne trifft das Brüderchen offenbar in seinen Weichteilen. Prustend klappt er zusammen wie ein Schweizer Taschenmesser.
»Du bist ein riesengroßes Arschloch, Jayson. Nur weil du irgendwie auf mich stehst, mich aber eigentlich nicht willst und nicht haben kannst, gibt dir das noch lange nicht das Recht, mich zu beleidigen. Und auch wenn ich dir keine Rechenschaft schuldig bin, so sage ich es dir trotzdem. Daniel Rochester ist absolut nicht mein Typ. Und selbst wenn er es wäre, weder er noch sonst irgendein Mann hat die geringste Chance, bei mir zu landen. Ich habe jahrelang im Ausland studiert, mir jede Art von Vergnügen verboten und die Nächte über den Büchern verbracht, um den Anforderungen des Stipendiums an der NYU gerecht zu werden und mich auf meine berufliche Zukunft vorzubereiten. Du weißt es vielleicht nicht, aber der Abschluss am Journalism Institute in Manhattan garantiert nur den Jahrgangsbesten, ein Praktikum zu absolvieren. Ich habe meines bei der CNN in New York gemacht.«
Jayson stützt sich mit den Händen auf seinen Oberschenkeln ab, der Oberkörper ist leicht vorgebeugt, sein Blick auf mich gerichtet. Sieht so aus, als ob mich mein Drehstuhl gerächt hätte, denke ich, als Jayson seinen Mund öffnet, um mir zu antworten. Ich hebe die Hand in einer abwehrenden Geste. »Lass mich einmal fertigreden«, zische ich ihn an und seine Lippen schließen sich über seinen perfekten weißen Zähnen. Ich stehe auf bloßen Füßen unweit meines Schreibtisches, die Arme in die Hüften gestützt, den Kopf hocherhoben und das Kinn vorgereckt. Im Moment fühlt es sich an, als wäre ich mit meinen eins sechsundsechzig größer als er mit seinen eins sechsundachtzig. Jetzt erhebe ich auch noch mahnend den Zeigefinger, um meine nachfolgenden Worte zu unterstreichen.
»Ich weiß, dass du mich nicht für voll nimmst und davon überzeugt bist, dass ich diesen Job nur der Tatsache verdanke, dass meine Mutter und dein Vater sich verliebt haben und heiraten werden. Aber dem ist nicht so! Mallory Evans wollte mich für dieses Projekt. Sie hat sich für mich entschieden, an mich geglaubt und mich schließlich für würdig befunden, Catch the Millionaire an ihrer Stelle zu leiten, als sie schwanger wurde. Und Rick Rearden, der nicht nur dein Vater, sondern vor allem unser aller Chef ist, war mit Mallorys Entscheidung einverstanden. Und weißt du was, Jayson? Ich denke, dass ich tagtäglich beweise, dass die beiden sich nicht geirrt haben. Wenn du mir also unprofessionelles Verhalten unterstellen willst, weil du mit deinem zwiespältigen Verhältnis zu mir nicht fertig wirst, dann halte dir bitte zwei Dinge vor Augen: Erstens war von dir zum Zeitpunkt meiner Ernennung zum Projektleiter weit und breit noch keine Spur, weder hier im Haus noch im gesamten Königreich. Und zweitens gibt dir die Tatsache, dass du auf dem Papier mein Chef bist, da du mittlerweile von deinem Vater zum stellvertretenden General Manager des London Chronicle ernannt wurdest, nicht das Recht, mich wie den letzten Dreck zu behandeln.«
Jaysons Kehlkopf bewegt sich auf und nieder. Offenbar fällt es ihm schwer, mir nicht ins Wort zu fallen, aber ich komme gerade jetzt erst so richtig in Fahrt. Sosehr mich dieser Mann anturnt, seitdem ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, so sehr weiß ich, dass er mir nicht guttut.