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Die beste Freundin als Austauschschülerin in England, von den Mitschülern wegen ihrer guten Noten gemobbt und verliebt in die Mathelehrerin. Das klingt nicht gerade nach einer Lebenssituation, die man sich wünscht. Genauso sieht Gretas Leben aber gerade aus.
Eines Tages entdeckt sie das Profil ihrer Mathelehrerin Simone auf einer Lesbendatingseite und schreibt ihr unter einem anderen Namen. Zunächst scheint alles gut, sie schreiben regelmäßig miteinander und chatten sogar. Doch Simone drängt auf ein Treffen. Greta lässt sich eine Ausrede nach der anderen einfallen, woraufhin Simone den Kontakt zu ihr abbricht. Aber wenn eine Liebe wahr ist, übersteht sie alles und lässt sich auch von Lügen oder Verboten nicht aufhalten.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
„Wow Wahnsinn, schau mal da, Greta!“, rief Mali und deutete wild gestikulierend aus dem Autofenster. Eine riesige Passagiermaschine der Lufthansa war nur noch wenige Sekunden davon entfernt den sicheren Boden zu erreichen.
Staunend verfolgten die beiden das riesige Flugzeug mit ihren Blicken. Beide sahen das nicht zum ersten Mal, aber dennoch war es immer wieder beeindruckend.
„Ich finde es ja echt krass, dass diese tonnenschweren Flugzeuge sich in die Luft erheben können“, meinte Greta.
„Ja, das ist echt verrückt“, erwiderte Mali.
„Alles eine Frage der Technik“, meinte Logan Smith, Malis Vater und steuerte das Auto gekonnt ins Parkhaus des riesigen Flughafens.
„Ich hoffe nur, dass die Technik nicht ausgerechnet dann versagt, wenn unsere Tochter in einer dieser Maschinen sitzt“, sagte Florentina Smith zu ihrem Mann. „In der letzten Zeit hat es ja einige Abstürze gegeben.“
„Unsinn“, wischte Logan das Thema mit einer abwehrenden Handbewegung zur Seite. „Das Flugzeug ist das sicherste Verkehrsmittel. Ich bin so oft geflogen in meinem Leben und mir ist nie was passiert.“
„Ich habe trotzdem kein gutes Gefühl“, beharrte Florentina auf ihren Standpunkt.
Logan lachte. „Das Einzige, was dir an der Sache nicht gefällt, ist, dass Mali ein Jahr von uns fort sein wird.“
Florentina sagte nichts dazu, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass Logan voll ins Schwarze getroffen hatte.
„Du wirst sehen, es ist das Beste für Mali“, sprach Logan weiter. „Ich war auch ein Jahr in diesem Internat, als ich so alt war wie sie. Die Ausbildung dort ist erstklassig. Davon wird sie ein Leben lang profitieren.“
„Ein Jahr geht total schnell vorbei“, meinte Mali, die sich sehr auf ihr Schuljahr in England freute.
Aufgeregt suchte sie im Auto ihre Sachen zusammen, als sie endlich eine freie Parklücke gefunden hatten. Greta hingegen konnte Florentina gut verstehen. Zwar machte sie sich eher weniger Gedanken, dass das Flugzeug abstürzen könnte, aber ein Jahr ohne ihre beste Freundin kam ihr entsetzlich lang vor. Sie hatte alles Erdenkliche versucht ihre Eltern zu überreden Mali begleiten zu dürfen und schließlich hatte sie es fast geschafft, da scheiterte es an den Kosten. Mali sollte ein Jahr lang ein teures Elite – Internat besuchen, das sich ihre Eltern nicht leisten konnten. Logan verdiente einen Haufen Geld als Offizier bei der Bundeswehr und Florentina war eine erfolgreiche Schriftstellerin. Da konnten Gretas Eltern mit ihren durchschnittlichen Monatsgehältern nicht mithalten.
Greta und Mali hatten beinahe ihr ganzes Taschengeld gespart, seit Logan ihnen seinen Entschluss mitgeteilt hatte. Am Ende mussten sie jedoch feststellen, dass sie damit nicht mal ein halbes Jahr an dieser sündhaft teuren Schule in England bezahlen konnten. Also blieb Greta nichts anderes übrig als in Deutschland zu bleiben. Doch tief in ihrem Herzen fand sie das inzwischen gar nicht mehr so schlimm, wie noch vor wenigen Monaten. Sie hatte sich nämlich gegen Ende des zurückliegenden Schuljahres in ihre Mathelehrerin Simone Mäner verliebt und freute sich jetzt schon auf den Beginn des neuen Schuljahres.
Mali hatte sie nichts davon erzählt. Bisher hatte sich einfach noch nicht die richtige Gelegenheit ergeben. In den letzten Tagen hatte sie immer wieder versucht mit Mali darüber zu reden, aber im entscheidenden Moment hatte sie jedes Mal der Mut verlassen. Nun war es zu spät. In wenigen Stunden hob Malis Flieger ab und Greta war allein. Sie musste allein mit der Situation zurechtkommen und dabei brauchte sie Mali unbedingt, denn wenn ihr überhaupt jemand helfen konnte, dann war sie das.
„Mädels, wir müssen uns beeilen“, drängelte Logan und riss Greta damit aus ihren Gedanken.
Sie stiegen aus dem Geländewagen und Logan beförderte mit Leichtigkeit Malis Koffer von der Ladefläche.
„So wie es aussieht, fällt die Rechnung fürs Übergepäck etwas Großzügiger aus“, meinte Logan und ehe Mali zu einer Erwiderung ansetzen konnte, setzte Logan rasch hinzu: „Schon gut, ich weiß, es geschieht mir nur recht. Schließlich war es meine Idee dich nach England zu schicken.“
Malis wütender Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein gezwungenes Lächeln. Greta konnte sich vorstellen, dass es für Mali im Moment nicht leicht war so hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen. Natürlich freute sie sich, aber es war nie leicht seine gewohnte Umgebung für so lange Zeit zu verlassen.
Greta hingegen lachte innerlich, als sie daran dachte wie oft sie und Mali in den letzten Tagen die Koffer ein und wieder ausgepackt hatten. Ganze Nachmittage hatten sie damit verbracht, gelacht, diskutiert und so manche Modenschau veranstaltet. Es musste schließlich gut überlegt sein, was man für ein ganzes Jahr benötigte.
Nach wenigen Minuten schritten sie durch den Eingang des weitläufigen Flughafengebäudes und Greta spürte, dass ihr Herz sich schmerzhaft zusammen zog. Gleich musste sie sich von Mali verabschieden.
Sie reihten sich in die Schlange der Wartenden ein, um Malis Koffer aufzugeben und obwohl das die perfekte Gelegenheit gewesen wäre noch ein wenig miteinander zu plaudern, schwiegen sie die meiste Zeit. Irgendwie wurde ihnen wohl allen der Ernst der Lage erst jetzt richtig bewusst. Vielleicht lag es aber auch daran, weil es um sie herum zuging wie in einem geschäftigen Bienenstock und ihre Aufmerksamkeit deshalb permanent auf andere Dinge gelenkt wurde.
Sobald Malis Koffer aufgegeben waren, ging alles ganz schnell. Sie liefen weiter zur Sicherheitskontrolle und mussten sich endgültig voneinander verabschieden, denn dort hatte nur Mali mit ihrer Bordkarte Zutritt.
Während Mali ihre Eltern umarmte, hielt sich Greta etwas abseits und versuchte mit aller Macht ihre Tränen zu unterdrücken. Bis Mali schließlich in ihre Arme flog und sie fest an sich drückte.
„Ich werde dich so vermissen, Greta.“
„Und ich dich erst.“
„Ich wünschte, du könntest mitkommen“, sagte Mali zum wohl hundertsten Mal in den letzten Wochen.
„Du musst mir alles schreiben, okay!?“, erwiderte Greta und die ersten Tränen kullerten über ihre Wange.
„Das mache ich und wehe du vergisst mich!“, drohte Mali spielerisch.
„Ich sollte mir wohl eher Gedanken machen, dass du mich vergisst, unter all den reichen Schnöseln. Die werden bestimmt alles versuchen, um dich einzuwickeln.“
„Erinnere mich bloß nicht daran. Das kann ja nur schrecklich werden. Hoffentlich gibt es da auch ein paar Leute mit denen man sich normal unterhalten kann.“
„Jetzt ist aber genug“, mischte Logan sich in die Abschiedsszene der beiden Mädels ein. „England ist nicht das Ende der Welt und im Zeitalter von Facebook und Co werdet ihr euch bestimmt nicht aus den Augen verlieren.“
Mali seufzte schwer, als sie Greta ein letztes Mal in die Arme schloss. Trotz aller Vorfreude fiel ihr der Abschied schwer.
Dann schritt sie durch die Sicherheitskontrolle, winkte ihren Eltern und Greta noch kurz zu, bevor sie sich in die Menschenschlange einreihte, die sich vor dem Ganzkörperscanner gebildet hatte.
Das Geräusch des klingelnden Weckers riss Greta unsanft aus dem Schlaf. Nachdem sie ihn ausgeschaltet hatte, zog sie sich die Bettdecke wieder bis zur Nasenspitze. Warum mussten Betten so gemütlich sein und warum hatte man viel zu selten die Möglichkeit den ganzen Tag darin zu verbringen? Das ergab doch irgendwie keinen Sinn.
Sobald Greta merkte, dass sie dabei war erneut einzuschlafen, riss sie gewaltsam die Augen weit auf. Sie wusste, dass sie in dem Fall bis mittags geschlafen hätte, weil niemand im Haus war, der sie wecken konnte. Ihre Eltern waren bereits auf der Arbeit und Mali war auch nicht da, um sie notfalls mithilfe von Telefonterror zu wecken.
Viel zu spät kroch sie aus dem Bett und schlurfte gähnend ins Bad. Sie hätte gerne denjenigen umgebracht, der so etwas Sinnloses wie die Schule erfunden hatte. Wenn sie wenigstens mittags anfangen würde, aber doch nicht so entsetzlich früh am Morgen.
Während sie sich die Zähne putzte, fragte sie sich, ob Mali sich genauso fühlte. Sie war nun schon 32 Stunden weg, aber gemeldet hatte sie sich bis jetzt noch nicht. Bis weit nach Mitternacht hatte Greta ihr Handy und ihren Laptop nicht aus den Augen gelassen, aber beide Geräte waren still geblieben. Wahrscheinlich war sie deshalb auch so müde.
Das fing ja gut an. Wenn Mali sich jetzt schon nicht meldete, wie sollte das dann erst in Zukunft werden?
„Guten Morgen“, ertönte plötzlich eine Stimme, die Greta aufhorchen ließ. Sie hatte in den letzten Minuten die Geräuschkulisse um sich herum ausgeblendet und sich in ein Buch vertieft, während sie mit dem Rücken an der Wand lehnte.
Gemeinsam mit ihren Mitschülern wartete sie vor dem Klassenzimmer auf ihre Klassenlehrerin. Im neuen Schuljahr sollte sich nichts ändern. Sie behielten ihren Klassenraum und leider auch ihre Klassenlehrerin Frau Weise, die olle Schreckschraube.
Doch die Stimme, die vor wenigen Sekunden in ihr Bewusstsein gedrungen war, gehörte eindeutig nicht Frau Weise. Sie kannte diese sanfte Stimme nur zu gut, die sie während der Sommerferien immer wieder in ihrem Kopf gehört hatte. Als sie aufblickte, bestätigte sich ihr gutes Gehör. Ihr Blick verlor sich in grauen Augen, die sie verschmitzt lächelnd ansahen.
„Na Greta, wie ich sehe bist du bereits wieder fleißig.“
Nach diesen Worten schritt Simone Mäner immer noch lächelnd an ihr vorbei und bahnte sich einen Weg zum Klassenzimmer.
Greta war von der unerwarteten Begegnung noch so verwirrt, dass sie die boshaften Blicke ihrer Mitschüler nicht bemerkte. Sie war nicht sonderlich beliebt bei ihren Mitschülern, wie das eben so ist, wenn man gut in der Schule ist. In einem solchen Fall bekommt man den Neid und die Verachtung seiner Mitmenschen nur allzu deutlich zu spüren.
Gleiches galt für Mali. Sie war erst letztes Schuljahr neu in die Klasse gekommen und bereits am ersten Tag hatte sie den Hass zu spüren bekommen, der oft genug unter Schülern herrscht. Mali war Halbafrikanerin und ihre Haut hatte deshalb einen dunkleren Farbton. Greta hatte sich gleich zu ihr hingezogen gefühlt, weil sie ebenfalls eine Ausgestoßene der Klassengemeinschaft war. Nach und nach hatten sie immer mehr Gemeinsamkeiten festgestellt und waren schon bald unzertrennliche Freundinnen geworden. Doch nun war Mali weg und Greta musste wieder allein gegen die Mobbingattacken und Ausgrenzung kämpfen.
Inzwischen hatten sie ihre Plätze eingenommen, doch die Geräuschkulisse war nach wie vor dieselbe. Einzig Greta war völlig ruhig. Hätte Mali neben ihr gesessen, hätten sie sicher etwas zu bequatschen gehabt, aber so begnügte sie sich damit ihre Sachen auszupacken.
Simone Mäner sorgte in der Zwischenzeit für Ruhe und da ihre Strenge gefürchtet war, gelang ihr das auch recht schnell.
„Guten Morgen“, begrüßte sie ihre Schüler, woraufhin ihr ein undeutliches Gemurmel entgegen gebracht wurde.
„Das geht aber noch besser“, erwiderte Simone Mäner. „Ich werde euch eure Faulheit in diesem Schuljahr schon austreiben.“
Sofort ertönte protestierendes Gemurmel innerhalb der Klasse.
„Ich bitte um Ruhe!“, sagte Simone Mäner streng und augenblicklich verstummten die murmelnden Stimmen. „Gut, dann lasst uns loslegen mit der Verkündung des neuen Stundenplans. Zunächst aber eine Info vorweg: In diesem Schuljahr bin ich als eure neue Klassenlehrerin eingeteilt. Frau Weise ist leider erkrankt und wird in den nächsten Monaten ausfallen.“
Gretas Herz klopfte vor Aufregung schneller nach dieser unverhofft guten Nachricht, während ihre Mitschüler alles andere als begeistert waren. Für sie hatte sich nichts geändert, denn Simone Mäner war beinahe noch strenger als Frau Weise.
Greta hingegen konnte ihr Glück kaum fassen, denn das bedeutete noch mehr Stunden mit ihr verbringen zu können und möglicherweise sogar am Ende des Schuljahres gemeinsam auf Klassenfahrt zu gehen. Die ganzen Sommerferien hatte sie nachts in ihrem Bett still und heimlich darüber nachgedacht, wie sie es anstellen könnte Simone näher zu kommen. Konnte es sein, dass irgendjemand im weiten Universum ihre Gedanken gespürt und dafür gesorgt hatte, dass Frau Weise ausfiel? Rasch wischte Greta diese Überlegungen zur Seite. Das war völliger Unsinn und alles bloß reiner Zufall.
Die ersten beiden Unterrichtsstunden mit Simone verflogen geradezu. Im Nu hatte Simone ihnen den neuen Stundenplan durchgegeben und machte danach sofort weiter mit ihrem Matheunterricht, womit sie sich bei allen, außer Greta, sofort unbeliebt machte.
Greta, die sich in den Ferien bereits intensiv auf das erste Mathethema vorbereitet hatte, nutzte ihren Vorsprung dazu, um Simone immer wieder heimlich zu beobachten. Greta entging keine einzige ihrer Bewegungen, wenn sie an der Tafel stand und eine neue Matheformel anhand eines Beispiels erklärte.
Von Zeit zu Zeit strich Simone sich eine widerspenstige Haarsträhne ihres schulterlangen dunkelblonden Haares zurück. Hingerissen ließ Greta sich von Simones sanfter Stimme umschmeicheln, die so gar nicht zu ihrer Strenge passte. Sie war beinahe schon froh, als die ersten beiden Stunden mit Simone beendet waren, denn das kribbelnde Gefühl in ihrem Bauch wurde immer stärker und sie fühlte sich mehr und mehr zu ihrer Lehrerin hingezogen.
Nachdem es zur Pause geklingelt hatte, stürmten alle erleichtert aus der Klasse, sodass Greta unbeabsichtigt allein mit Simone zurückblieb und gemeinsam mit ihr die Klasse verließ.
„Wie geht es dir, Greta?“, richtete Simone das Wort an sie.
„Es ist sicher schwierig für dich ohne Mali.“
„Man gewöhnt sich an alles“, erwiderte Greta und ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Ein Jahr vergeht ja recht schnell.“
„Sag das nicht. Ein Jahr kann lang werden, vor allem wenn man solche Mitschüler hat wie du.“
„Ich komme schon klar“, versicherte Greta Simone, freute sich aber innerlich darüber, dass Simone sich offensichtlich Sorgen um sie machte.
„Du brauchst das nicht verharmlosen. Ich bekomme schon mit was läuft und mir gefällt das ganz und gar nicht. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn es Probleme gibt.“
Greta war so überrascht von Simones Worten, dass sie nicht dazu in der Lage war etwas zu erwidern. Deshalb sprach Simone weiter: „Welches Buch liest du denn im Moment? Es muss sehr spannend sein, weil du völlig darin versunken warst.“
Nun spürte Greta wie sie rot wurde. Bei dem Buch handelte es sich um einen Liebesroman für Lesben, deshalb wusste sie im ersten Moment nicht, was sie erwidern sollte. Es war zwar kein Geheimnis, dass sie Frauen liebte, allerdings wollte sie das nicht unbedingt ihrer Lehrerin auf die Nase binden. Womöglich merkte Simone dann früher oder später, dass Greta mehr für sie empfand.
Simone spürte, wie unangenehm Greta dieses Thema war.
„Sorry, ich wollte nicht neugierig sein, aber ich bin immer auf der Suche nach neuen guten Büchern und dachte du könntest mir vielleicht eines empfehlen.“
Simone wandte sich ab und lief den Gang entlang Richtung Ausgang.
Ach verdammt, warum eigentlich nicht? , dachte Greta. Sie griff in ihre Schultasche und zog den Liebesroman heraus.
„Frau Mäner…“, hielt sie ihre Lehrerin zurück.
Simone wandte sich um. Greta ging die wenigen Schritte auf sie zu und drückte ihr kurzerhand das Buch in die Hand.
Sie beobachtete ganz genau Simones Reaktion, denn bereits anhand des Covers, auf dem sich zwei Frauen küssten, konnte sie erkennen um welche Art Buch es sich handelte.
„Die Autorin schreibt sehr gute Bücher“, erklärte Simone. Sie gab Greta das Buch zurück, zwinkerte ihr kurz zu und verließ das Gebäude. Greta blieb fassungslos zurück. Was war das denn jetzt bitte und welche Bedeutung hatte dieses Augenzwinkern? Wollte Simone ihr damit bloß signalisieren, dass sie kein Problem mit ihrer Liebe zu Frauen hatte oder steckte mehr dahinter? Und vor allem: Woher kannte Simone die Autorin? Bisher war Greta davon ausgegangen, dass sie überwiegend bei Lesben bekannt war.
Vielleicht ist Simone auch lesbisch, sagte eine innere Stimme in ihr, doch Greta verdrängte sie sofort. Das war einfach unglaublich. So viele Zufälle konnte es im Leben gar nicht geben. Zuerst wurde Simone unverhofft ihre neue Klassenlehrerin und nun sollte sie auch noch lesbisch sein. So viel Glück konnte ein einziger Mensch doch gar nicht haben. Außerdem würde Simone sich sowieso nicht auf sie einlassen.
Verwirrt steuerte Greta den Pausenhof an und lief völlig planlos dort herum, ließ sich immer wieder Simones Worte durch den Kopf gehen und überhörte darüber hinaus beinahe das Klingeln, was das Ende der Pause bedeutete.
Der erste Schultag war genauso verwirrend weiter gegangen. In der letzten Stunde hatte sie Geschichte bei Simone gehabt und Greta stand die gesamte Stunde völlig neben sich. Wie mechanisch schrieb sie mit, aber mit den Gedanken war sie ganz woanders gewesen. Jedes Mal, wenn sie Simone ansah, stiegen Bilder in ihr auf, die Simone mit einer anderen Frau zeigten. So sehr sie auch versuchte diese Gedanken zu vertreiben, es gelang ihr nicht.
Nun lag sie auf ihrem Bett in der Dunkelheit, starrte an die Decke und versuchte ihre kreisenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Das einzige Licht im Zimmer, kam von ihrem eingeschalteten Laptop auf dem Schreibtisch. Vor über einer Stunde hatte sie Mali geschrieben, aber sie antwortete einfach nicht. Sie hatte versprochen jeden Abend zu schreiben. Was war ein Versprechen wert, wenn man sich nicht daran hielt?
Da sah sie plötzlich wieder Simone vor sich, ihr verschmitztes Lächeln und beinahe konnte sie sogar ihre Stimme hören. Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch und stellte sich vor es wäre Simone, die sie zärtlich berührte. Sobald Greta merkte, dass sie sich selbst streichelte, rief sie sich zur Ordnung, legte ihre Hand neben sich auf die Bettdecke und schüttelte den Kopf über sich. Was war bloß mit ihr los? Die ganzen Sommerferien hatte sie die Gedanken an Simone mehr oder weniger verdrängt, hatte sich eingeredet, es sei nichts weiter als eine harmlose Schwärmerei. Doch nun musste sie sich eingestehen, dass sie sich gründlich getäuscht hatte. Ihre Gefühle für Simone waren viel mehr als eine harmlose Schwärmerei, sie war bis über beide Ohren in sie verliebt. Greta dachte mit Schrecken an den weiteren Verlauf des Schuljahres. Wenn der erste Tag mit Simone sie bereits so durcheinander brachte, wie sollte das dann erst weiter gehen?
Gerade als sie wieder Simones Bild vor Augen hatte, ihre Hand langsam wieder begann ihren Körper zu streicheln und sie ein verlangendes Ziehen im Unterleib spürte, ertönte endlich das erlösende PLING ihres Computers. Mit einem Satz sprang Greta auf und hastete zu ihrem Schreibtisch.
Mali: Hi Greta. Sorry, dass ich mich erst jetzt melde. Ich hatte Probleme mit der Technik. Wie geht’s dir?
Greta: Ich dachte schon, du meldest dich nie mehr.
Ehe sie Malis Frage nach ihrem Befinden beantwortete, hielt sie kurz inne. Was sollte sie darauf antworten? Eigentlich ging es ihr ja nicht schlecht. Sie war bloß etwas verwirrt wegen Simone, aber das konnte sie Mali nicht sagen. Nicht per Message. Über so etwas musste man persönlich reden. Andererseits war es mindestens ein mittelschweres Problem, wenn nicht gar ein schweres und mit irgendjemandem musste sie unbedingt darüber reden. Wer wäre da besser geeignet als Mali? Sie war die Einzige, der sie zu hundert Prozent vertrauen konnte. Außerdem was war schon dabei?
Schließlich entschied sie, die Frage einfach zu übergehen. Vielleicht bemerkte Mali es nicht und fragte nicht weiter nach. In dem Moment schrieb Mali auch schon wieder.
Mali: Sorry, die Technik war gegen mich und ich musste mich erstmal zurechtfinden und jemanden suchen, der mir helfen konnte.
Greta: Erklärung angenommen. :-D Wie war der erste Schultag? Wie sind die Engländer?
Mali: Ein Glück, dass ich so weit weg bin, durch die Internetverbindung hindurch kannst du mich nicht steinigen. :-D Der erste Tag hier war echt verwirrend. Ich glaube, ich werde noch eine Weile brauchen mich zurechtzufinden. Die anderen hier sind alle komisch.
Greta: Was heißt komisch?
Mali: Eingebildet, unnahbar… Jeder denkt er sei besser als der andere.
Greta: Shit. Das klingt nicht gut für dich.
Mali: Was will man von einem Internat voller reicher Schnösel anderes erwarten?
Greta: Vielleicht wird es ja noch besser mit der Zeit. Wenn man neu ist, hat man es nie leicht.
Mali: Keine Ahnung. Abwarten! Wie lief es bei dir? Ist die Klassengemeinschaft weiterhin so unterirdisch?
Greta: Dachtest du wirklich das ändert sich?
Mali: Nö.
Greta: Frau Mäner ist dieses Jahr unsere Klassenlehrerin.
Mali: Warum?
Greta: Frau Weise ist krank und fällt wohl länger aus.
Mali: Frau Mäner ist zwar auch nicht der Traum aller Schüler, aber immer noch besser als Frau Weise. Jeder ist besser als die olle Schreckschraube.
Greta: :-D:-D:-D
Mali: Du scheinst dich wohl besonders darüber zu freuen.
Greta: Jep. Warum auch nicht?
Mali: Die einfachste Persönlichkeit ist Frau Mäner ja auch nicht gerade.
Greta: Findest du?
Mali: Du etwa nicht?
Greta: So verkehrt ist sie gar nicht.
Mali: Hab ich was verpasst? Haben dir die Sommerferien das Hirn vernebelt?
Greta: Wieso?
Mali: Dir ist schon klar, dass du gerade Partei für deine Lehrerin ergreifst. Das ist ein No-Go unter Schülern.
Greta: Seit wann das denn?
Mali: Schon immer! Also hab ich jetzt was verpasst? Ich bin zwar weit weg, aber ich spüre bis hier hin, dass irgendetwas nicht stimmt.
Greta: Wie kommst du darauf?
Mali: Es ist nur so ein Gefühl.
Greta: Ich muss dir was sagen. Ich wollte es dir schon lange sagen, aber es hat sich nie der richtige Moment ergeben.
Mali: Das klingt irgendwie nicht gut.
Greta: Hm.
Mali: Worum geht’s? Schieß schon los! Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst.
Greta: Ich weiß, trotzdem ist es nicht so einfach.
Kaum hatte sie die Nachricht abgeschickt, war Mali plötzlich weg. Doch Greta blieb nur wenig Zeit sich darüber zu wundern, denn ihr Handy begann zu klingeln. Es war Mali, die sie über Facebook anrief.
Sofort nahm Greta das Gespräch entgegen und im selben Moment erschien Mali auf dem Handydisplay.
„Sorry Greta, ich weiß echt nicht, was mit meinem dämlichen Laptop los ist. Wahrscheinlich hat er den Flug nicht so gut überstanden. Ich schätze, ich werde meinem Dad einen neuen aus dem Kreuz leiern müssen.“
„Ja, das musst du wohl“, erwiderte Mali lachend. „Denn wenn dein Handy auch noch anfängt zu spinnen, kannst du mich gar nicht mehr erreichen.“
„Das fehlt mir gerade noch. Dann drehe ich aber völlig am Rad. Gerade jetzt, wo es bei dir spannend wird. Ich glaube, du wolltest mir etwas erzählen.“
„Ich weiß nicht“, wich Greta aus. „Wahrscheinlich ist das gar keine gute Idee.“
„Vertraust du mir etwa nicht. Ich dachte, wir erzählen uns alles.“
Greta holte tief Luft. „Ich habe mich verliebt“, platzte es schließlich aus ihr heraus.
Malis Augen weiteten sich vor Überraschung, was bei ihren ohnehin schon großen Kulleraugen sehr lustig aussah.
„Was? In wen? Du musst mir alles erzählen.“
„Ich will es dir schon seit Wochen sagen, aber ich wusste nicht wie.“ Immer noch redete Greta geschickt um das Thema herum.
Mali runzelte die Stirn. „Du bist aber nicht in mich verliebt, oder?“
Die Frage überraschte Greta so sehr, dass sie ein paar Mal ansetzen musste, ehe sie antwortete. Natürlich wusste Mali, dass Greta sich nichts aus Männern machte. Das hatte sie ziemlich am Anfang ihrer Freundschaft klar gestellt.
„Wie kommst du denn auf die Idee?“ In Gretas Augen gab es nichts Abwegigeres, als sich in Mali zu verlieben. Sie waren Freundinnen und das sollte auch so bleiben.
„Na ja, so ungewöhnlich ist das ja nicht sich in die beste Freundin zu verlieben“, erwiderte Mali.
„Ich kann dich beruhigen. Ich will nichts von dir.“
„Ein Glück! Wer ist es dann? Wir waren doch die ganzen Ferien jeden Tag zusammen. Du hattest also gar keine Zeit jemand anderen kennenzulernen. Habt ihr eine neue Mitschülerin bekommen?“
„Weder noch. Ich kenne sie schon länger und du kennst sie auch.“
„Das wird ja immer spannender. Jetzt sag schon! Gleich kommt meine Zimmergenossin zurück und dann können wir nicht mehr quatschen.“
Greta hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Sollte sie Mali in ihr Geheimnis einweihen? So schlimm fühlte sie sich nicht mal, wenn sie ihren Eltern etwas beichten musste. Was wenn Mali sie nicht verstand?
„Greta, wer ist sie?“, drängelte Mali.
„Frau Mäner“, sagte Greta schnell. Für einige Sekunden herrschte Stille und Greta konnte sehen, dass Mali geschockt war.
„Ist das dein Ernst?“, fragte Mali, sobald sie sich von dem Schock erholt hatte.
„Warum sonst ist es mir so schwer gefallen es dir zu sagen?“
„Puh, das muss ich erstmal sacken lassen. Wie… ich meine, wann hast du dich in sie verliebt?“
„Im letzten Schuljahr. Ich habe eines Tages gemerkt, dass ich sie toll finde und eigentlich dachte ich, es ist bloß eine harmlose Schwärmerei. Ich hatte gehofft in den Sommerferien meine Gefühle für sie in den Griff zu bekommen, aber der Schuss ging wohl nach hinten los.“
„Du weißt aber schon, dass das nicht geht mit euch beiden, meine ich? Sie verliert ihren Job und du fliegst von der Schule. Außerdem würde sie sich sowieso nicht darauf einlassen. Keine Lehrerin riskiert ihren Job für eine Schülerin.“
„Das weiß ich doch alles, aber Frau Mäner hat heute Morgen eindeutig mit mir geflirtet.“
Mali schaute ungläubig drein. „Bist du sicher und du hast das ganz bestimmt nicht missverstanden?“
„Nein, ich war ja selbst total überrascht.“
Ehe Mali noch etwas erwidern konnte, erzählte Greta ihr, was sich zugetragen hatte.
„Krass!“, war Malis einziger Kommentar, sobald Greta geendet hatte.
„Sie steht eindeutig auf Frauen und offenbar hat sie Interesse an mir.“
„Bloß weil sie eine lesbische Autorin kennt?“
„Ja klar“, bekräftigte Greta. „Heterosexuelle Frauen lesen keine Lesbenromane und für mich hat es sich so angehört als hätte sie schon mehrere solcher Bücher gelesen.“
Mali wiegte zweifelnd den Kopf. „Ich finde es schon etwas merkwürdig, dass sie dich so offensichtlich anflirtet. In ihrem Alter sollte sie eigentlich vernünftig genug sein nichts mit ihren Schülerinnen anzufangen.“
„Na ja, sie ist auch nur ein Mensch und für Gefühle kann niemand etwas.“
„Aber findest du es nicht komisch, dass sie plötzlich Gefühle für dich hat und sich auch noch so offensichtlich verrät?“
„Schon, aber möglicherweise hat sie gar nicht groß darüber nachgedacht. Inzwischen bereut sie es vielleicht schon.“
„Fakt ist, da ist was im Busch und du solltest herausfinden was.“ Mali verzog maulend das Gesicht. „So ein Mist, dass ich jetzt nicht da bin. Konnte das nicht letztes Schuljahr passieren? Nun verpasse ich alles.“
Greta grinste. „Selbst schuld. Du konntest ja nicht schnell genug wegkommen, aber keine Sorge, ich halte dich auf dem neuesten Stand. In der nächsten Zeit werde ich dich wahrscheinlich so zutexten, dass du schon bald total genervt von mir sein wirst.“
„Unsinn, ich will alles ganz genau wissen und wehe du verschweigst mir auch nur das kleinste Detail.“ Mali drohte Greta spielerisch mit dem Zeigefinger.
Für einen kurzen Moment verschwand Mali vom Display, war aber wieder da, ehe Greta sich darüber wundern konnte.
„Ich muss Schluss machen, Greta. Meine Mitbewohnerin kommt gerade. Bis dann.“
Greta blieb keine Zeit mehr sich zu verabschieden, so schnell war Mali weg. Sie kroch zurück in ihr Bett, an Schlaf war allerdings nicht zu denken. Stattdessen lag sie in der Dunkelheit, starrte an die Decke und dachte nach.
Sie war froh, dass sie nun kein Geheimnis mehr vor Mali hatte und eigentlich hatte sie doch super darauf reagiert. Besser hätte es eigentlich gar nicht laufen können. Zumindest hatte sie nun jemanden mit dem sie reden konnte.
Ihre Gedanken wanderten zu Simone. Es war unmöglich zu verhindern, denn das passierte automatisch. Sie sah sie vor sich, ihr Lächeln, ihre anmutige Art, hörte beinahe ihre Stimme und sehnte sich nach ihr. Sie wollte sie im Arm halten, sich eng an sie kuscheln und während sie daran dachte wie es sich wohl anfühlen mochte von ihr geküsst und liebkost zu werden, spürte sie ein verlangendes Ziehen und ein Kribbeln im Unterleib.
Sie ließ ihre Hand zu ihren Brüsten wandern, streichelte sie und spürte wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten. Sie stellte sich vor es wäre Simones Zunge, die sie mal sanft, dann fordernder stimulierte. Gretas Kehle entrang sich ein leises Stöhnen, das sie sofort unterdrückte, aus Angst ihre Eltern könnten etwas mitbekommen. Ihre Brustwarzen reckten sich inzwischen steil nach oben und prickelten beinahe schon unangenehm vor Erregung.
Greta spürte die Nässe, die sich zwischen ihren Schenkeln bildete. Sie ließ von ihren Brüsten ab und ließ ihre Hände zu ihrer feuchten Mitte wandern, während sie ihre Schenkel spreizte. Sie verteilte etwas von ihrer eigenen Feuchtigkeit und liebkoste ihre empfindlichste Stelle. Zuerst führte sie ihre Finger mit langsamen Bewegungen, aber bald war ihre Erregung so groß, dass sie sich nach Erlösung sehnte. Ihr Atem ging schneller, sie spürte ihren Herzschlag im ganzen Körper und keuchte unterdrückt immer wieder Simones Namen. Als sie spürte, dass sie kurz vorm Orgasmus war, drang sie mit einem Finger in sich ein. Sie bewegte ihren Finger tief in sich und verstärkte den Druck auf ihre Perle. Sie hatte das Gefühl zu ersticken, als der Orgasmus wie eine Welle durch ihren gesamten Körper strömte. Für einige Sekunden streichelte sie sich noch weiter und spürte die Nachbeben, die ihr Höhepunkt mit sich brachte, bevor sie den Finger vorsichtig aus ihrer Mitte gleiten ließ.
So gut war es schon lange nicht mehr gewesen, dachte Greta. Vermutlich lag das daran, weil sie Simones Anwesenheit beinahe körperlich gespürt hatte, obwohl sie nicht da gewesen war.
Sie fühlte sich völlig entspannt und schläfrig, was kein Wunder war, da sie sich schon lange nicht mehr so verausgabt hatte und so glitt sie in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Locker lässig und trotzdem irgendwie elegant betrat Simone Mäner am nächsten Morgen das Klassenzimmer. Augenblicklich konnte Greta den Blick nicht mehr von ihr abwenden und wurde regelrecht gefangen genommen.
Sie dachte an die vergangene Nacht zurück, als sie an Simone gedacht hatte, während sie… Sie durfte den Gedanken gar nicht zu Ende denken.
Wenn sie wüsste, dass ich an sie denke, während ich mich selbst befriedige.
Greta schüttelte kaum merklich den Kopf über sich selbst. Das war ja schon nicht mehr normal. Sie steigerte sich viel zu sehr in die Sache hinein.
„Greta, was ich gesagt habe gilt auch für dich, Seite 12-18 lesen und zusammenfassen.“
Greta zuckte zusammen, sobald Simones Stimme ertönte und warf ihr einen verunsicherten Blick zu. Wahrscheinlich hatte sie sich bloß eingebildet, dass Simone sie toll fand. Doch als sie Simone gleich darauf ansah, grinste sie und signalisierte Greta damit, dass sie es nicht so streng gemeint hatte.
Wie soll ich so bloß das Schuljahr überstehen? , dachte Greta. Sie macht mich ja jetzt schon total verrückt.
Sie wandte rasch ihren Blick ab und widmete sich ihrer Schulaufgabe. Vielleicht sorgte das dafür ihre abwegigen Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen.
Greta wusste am Ende des Vormittags selbst nicht, wie sie es geschafft hatte die Unterrichtsstunden mit Simone zu überstehen. Möglicherweise lag es auch daran, weil Simone sie für den Rest des Tages lediglich wie eine ganz normale Schülerin behandelt hatte. Es gab nicht mehr das geringste Anzeichen dafür, dass sie mehr in ihr sah. Umso verwirrter fühlte Greta sich, als sie am Nachmittag in ihrem Zimmer saß und ihre Gedanken immer wieder von den Hausaufgaben abschweiften. Wahrscheinlich war Simone bloß aus Mitleid so nett zu ihr gewesen, weil Mali in England war. Als Klassenlehrerin war es schließlich ihre Aufgabe sich um alle Schüler zu kümmern und ganz besonders um Außenseiter, damit sie nicht auf der Strecke blieben. Selten war es ihr so schwer gefallen sich auf ihre Hausaufgaben zu konzentrieren, denn normalerweise machte sie ausgesprochen gerne Hausaufgaben. Auch das war ein Zeichen für ihre Mitschüler, dass sie nicht ganz normal war, denn wer erledigte schon gerne Hausaufgaben? An diesem Tag atmete sie jedoch erleichtert auf, als sie endlich fertig war. Sie hatte viel länger dafür gebraucht als sonst, deshalb war es bereits Abend.
Sie wusste nicht so richtig, was sie nun mit sich anfangen sollte und schaltete gelangweilt den Fernseher ein. Wäre Mali nicht gerade in England, hätten sie sicher Zeit miteinander verbracht. In dem Moment, als sie an Mali dachte, piepste ihr Handy.
Hallo Greta. Ich hoffe, dir geht’s gut. Leider können wir heute Abend nicht chatten oder telefonieren. Eine langweilige Schulveranstaltung steht an. Ich werde mich morgen melden. Bis dann. Mali
Greta seufzte schwer. Auch das noch. Was soll ich denn bitte den ganzen Abend machen?
Ausgerechnet im Moment brauchte sie Mali so dringend zum Reden. Sie musste unbedingt mit ihr über Simone sprechen. Es gab doch sonst niemanden mit dem sie reden konnte. Sie konnte ja schlecht zu ihrer Mutter gehen und ihr sagen: „Du Mama, ich habe mich in meine Lehrerin verliebt.“ Vor allem, da sie auch nicht gerade das beste Verhältnis zueinander hatten. Außerdem, wer konnte es schon verstehen, wenn man sich als Schülerin in die Lehrerin verliebte? Das war ja wohl total unnormal und womöglich würde ihre Mutter persönlich in der Schule auftauchen, wenn sie erfuhr, dass Simone offensichtlich mit ihrer Schülerin flirtete.
Nein, da muss ich allein durch, dachte Greta. Es ging ja in den letzten Wochen auch.
Irgendwann schaltete sie den Fernseher wieder aus, weil sowieso nichts Interessantes lief und widmete sich stattdessen ihrem Computer. Ziemlich hoffnungslos machte sie sich auf die Suche nach anderen Schülern, die sich ebenfalls in ihre Lehrerin verliebt hatten.
Wahrscheinlich bin ich sowieso die Einzige. Niemand, der einigermaßen normal ist, verliebt sich in seine Lehrerin.
Doch bereits nach der ersten Suchanfrage im Internet, wurde Greta eines Besseren belehrt. Sie fand zahlreiche Einträge zu diesem Thema, unzählige Foren und hunderte, ja wenn nicht sogar tausende andere Betroffene. Völlig geflasht von dieser Vielzahl der Einträge begann sie in einem der Foren zu lesen und war schon bald völlig versunken in die zahlreichen Geschichten, die von Schmerz, Liebe, Trauer, Hoffnung, Glück, Zurückweisung und Ängsten erzählten.
Einige Stunden später rieb Greta sich müde die Augen. Sie war so gefesselt gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie Stunde um Stunde vergangen war. Während sie die Forenbeiträge gelesen hatte, hatte sie sich immer wieder selbst darin wieder gefunden. Es war erstaunlich, dass es so viele Betroffene gab.
Obwohl sie hundemüde war, fiel es ihr schwer sich vom Monitor loszureißen. Sie verließ das Forum und wollte den PC schon ausschalten, da hielt sie plötzlich inne und startete eine neue Suche. Sie war schon ewig nicht mehr auf der Datingseite für Lesben gewesen, auf der sie angemeldet war. Bisher hatte sie dort noch keine Frau gefunden, mit der sie sich eine Beziehung hätte vorstellen können. Hin und wieder hatte sie mit jemandem geschrieben, aber es war jedes Mal schnell wieder im Sande verlaufen. Irgendwann hatte sie das Interesse an dieser Website verloren und schaute nur noch sporadisch vorbei. Allerdings hatte sie es auch noch nicht geschafft sich endgültig abzumelden. Nun war sie froh darüber, denn ihr war eine Idee gekommen. Wenn sie ganz viel Glück hatte und Simone ebenfalls lesbisch war, musste sie auf dieser Seite zu finden sein. Les-Date war eine der führenden Dating Communitys im Web und die Wahrscheinlichkeit war sehr hoch, Simone dort ebenfalls zu finden.
Sie loggte sich mit wild flatterndem Herzen ein und nutzte sofort die Suchfunktion der Website. Als sie jedoch die Suchkriterien sah, wurde ihr bewusst wie wenig sie über Simone wusste. Das Alter musste sie schätzen, denn so wie alle Lehrer machte auch Simone ein großes Geheimnis um ihr Alter. Greta schätzte, dass sie vermutlich zwischen 30 und 40 Jahre alt sein musste. Ihren Wohnort kannte sie allerdings nicht. Sie hoffte und ging natürlich davon aus, dass Simone im selben Ort wohnte wie sie, aber genau wusste sie es nicht.
Bevor sie mit ihrer Suche fortfuhr, öffnete sie einen neuen Tab in ihrer Suchmaschine und gab in einem Telefonbuch Simones Namen ein. Sie hoffte, dass Simone im Telefonbuch stand und atmete erleichtert auf, als sie Simones Namen tatsächlich fand. Innerlich jubelte sie, während sie die Adresse aufschrieb. Dabei stellte sie fest, dass Simone gar nicht weit von ihr weg wohnte, was sie noch mehr freute.
Sie schloss den offenen Tab und setzte ihre Suche bei Les-Date fort. Auf ihre Suchkriterien hin, bekam sie 256 Ergebnisse.
Greta blies die Backen auf. Damit hatte sie nicht gerechnet, denn so riesig war ihre Stadt doch gar nicht. Wo bitte hatten sich all diese Lesben versteckt?
Greta machte sich an die Arbeit und kam recht schnell voran, denn die meisten User hatten ein Foto in ihrem Profil und so sah Greta sofort, ob es sich um Simone handelte oder nicht. Alle Profile, bei denen sie sich nicht sicher war, notierte sie sich, um sie später noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Auf diese Weise blieben am Ende nur noch 68 Profile übrig und obwohl Greta todmüde war und sich nach ihrem Bett sehnte, konnte sie sich nicht losreißen.
Als der Stundenzeiger der Uhr bereits auf die Ziffer 2 zu tickte, wurde Greta tatsächlich fündig. Sie hatte ein Profil aufgerufen, auf dem als Profilbild ein schwarzer Labrador hochgeladen war und sofort hellte sich ihre Miene auf. Unter dem Punkt „Name“ war Simone angegeben, sie war 36 Jahre alt, was ebenfalls passen konnte und sie entdeckte ein Zitat eines Mathematikers im Profil. Das passte eindeutig zu Simone, immerhin unterrichtete sie Mathematik. Worüber Greta sich aber am meisten freute, war die Tatsache, dass Simone beim Feld „Beziehungsstatus“ Single angegeben hatte. Das ließ ihr Herz geradezu höher schlagen. Sie war sich ganz sicher, dass sie Simones Profil gefunden hatte, dennoch machte sie sich die Mühe auch alle anderen Profile noch zu überprüfen, damit sie sich ganz sicher sein konnte. Eine Stunde später hatte Greta Gewissheit. Ganz eindeutig hatte sie Simones Profil gefunden und wusste nun ganz genau, dass ihre Lehrerin ebenfalls lesbisch war.
Nachdem sie den Computer ausgeschaltet hatte, wankte sie schläfrig zu ihrem Bett und kroch hinein. Sie war hundemüde, konnte aber trotzdem nicht sofort einschlafen, weil ihr unzählige Gedanken im Kopf herumkreisten. Sie konnte noch gar nicht glauben, dass sie Simone wirklich gefunden hatte. Obwohl, so ganz sicher war es ja immer noch nicht. Immerhin war kein Profilbild vorhanden und sie hatte keine Ahnung, ob Simone ihr Leben mit einem Labrador teilte. Eigentlich wusste sie kaum etwas über Simone. Greta hatte zwar bereits seit zwei Jahren Unterricht bei ihr, aber Simone war sehr verschlossen und gab kaum private Dinge über sich preis. Doch allzu schwer konnte es ja nicht sein etwas über sie herauszufinden. Gleich morgen wollte sie damit beginnen.
Es war fast vier Uhr morgens, als Greta endlich einschlief und ihre Gedanken für eine Weile zur Ruhe kamen.
Greta gelang es am nächsten Morgen nur mit Mühe die Augen aufzuschlagen. Sie war noch so müde, dass ihre Augen immer wieder von selbst zufielen und ihre Gliedmaßen sich bleischwer anfühlten.
Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken einfach im Bett liegen zu bleiben. Ihre Eltern waren sowieso schon unterwegs und würden nichts davon mitbekommen und eine Entschuldigung für die Schule hatte sie schon häufiger geschrieben. Doch dann dachte sie an die Unterrichtsstunde, die sie heute mit Simone hatte und die wollte sie unter gar keinen Umständen versäumen. Also quälte sie sich aus dem Bett und musste richtig die Zähne zusammenbeißen, während sie den Weg zum Bad zurücklegte. Dort gähnte sie erst einmal ausgiebig und betrachtete sich danach im Spiegel.
„Oh, mein Gott“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „So kann ich unmöglich in die Schule gehen“, murmelte sie und fuhr sich durch ihre zerzausten Haare. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen.
Nachdem sie sich mit eiskaltem Wasser das Gesicht gewaschen hatte, nahm sie das Make-Up ihrer Mutter zur Hand. Greta verwendete das Zeug normalerweise nicht, im Gegensatz zu ihrer Mutter, die als Anwältin stets makellos aussehen musste und sehr viel Wert auf ihr Äußeres legte. An diesem Morgen handelte es sich jedoch um einen Notfall und Greta gab ihr bestes. Hinterher war sie nicht hundertprozentig zufrieden, aber ein bisschen besser sah sie zumindest aus.
„Schaut mal, Leute. Greta hat doch tatsächlich versucht sich zu schminken“, sagte Helen, als sie im Gang vor ihrem Klassenzimmer standen.