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Forschungsarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Anglistik - Literatur, Note: 1,0, Universität Mannheim, Sprache: Deutsch, Abstract: Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, aufzuzeigen, dass Jane Eyre als Spiegelbild bürgerlicher und romantischer Subjektkultur im Sinne Reckwitz’ gesehen werden kann und die Protagonistin Jane letztlich einen individuellen Weg zwischen beiden Kulturen beschreitet. Nach sorgfältiger Erarbeitung grundlegender Merkmale der bürgerlichen und der romantischen Subjektkultur nach Reckwitz (Kapitel 2), bei der das Augenmerk vor allem auf die Intimsphäre gerichtet wird, werden wichtige Entwicklungsstationen Janes als individuelles Subjekt umrissen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit zwei Repräsentantinnen unterschiedlicher Ausrichtung innerhalb der bürgerlichen Subjektkultur. Als Schwerpunkt gilt die Liebesinteraktion zwischen Jane und Edward Rochester, die sich letztlich als individualisierte Hybridisierung bürgerlicher und romantischer Liebeskonzeption verstehen lässt (Kapitel 3).
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Andreas Reckwitz und die Theorie der Subjektkulturen der Moderne
2.1. Das moralisch-souveräne Allgemeinsubjekt
2.1.1 Praktiken bürgerlicher Selbstregierung
2.1.2 Die bürgerliche Intimsphäre
2.2 Das expressive Individualsubjekt
2.2.1 Die romantische Intimsphäre
2.3 Das kulturelle Andere: Das artifizielle, exzessive und parasitäre Adelssubjekt
3. Jane Eyre als individuelles Subjekt im Spannungsfeld zwischen bürgerlicher und romantischer Subjektkultur
3.1 Janes romantische Dispositionsstruktur und die Konfrontation mit der bürgerlichen Umwelt
3.2 Janes Weg zur souveränen Selbstregierung durch die Auseinandersetzung mit zwei Rollenmodellen
3.2.1 Helen Burns: das disziplinhungrige, masochistische „Demutssubjekt“ auf der Suche nach Erfüllung im Jenseits
3.2.2 Ms. Temple: das bürgerliche „Idealsubjekt“, das sich durch eine systematische Kontrolle von Körper und Geist auszeichnet
3.2.3 Janes Anpassung an bürgerliche, disziplinorientierte Verhaltensweisen zum Wohlgefallen Anderer
3.3 Janes Beziehung zu dem Adligen Edward Rochester unter bürgerlichen und romantischen Aspekten
3.3.1 Zur Dispositionsstruktur von Edward Rochester
3.3.2 Das „beruhigend-interessant Ähnliche“: der bürgerliche Code der Freundschaft zwischen Jane und Rochester
3.3.3 Das „faszinierend Andere“: der romantische Liebescode zwischen Jane und Rochester
3.3.4 Die Gefahren für die bürgerlich-romantische Liebesinteraktion zwischen Jane und Rochester unter den Bedingungen von Thornfield Hall
3.3.5 Janes Rückkehr und die Hybridisierung beider Liebeskonzeptionen unter radikal veränderten Bedingungen in Ferndean
4. Schlussbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
Im Zuge des 19. Jahrhunderts kommt es innerhalb der bürgerlichen Moderne zu einem gesellschaftlichen Wandel, der – induziert durch die industrielle Revolution und der romantischen „Subjektivitäts-Bewegung“ (Reckwitz 255[1]) – von einer Sphären- differenzierung zwischen Öffentlichem und Privatem gekennzeichnet ist, einhergehend mit einer strikten Opposition der Geschlechter (vgl. Reckwitz 254): Die öffentliche Sphäre ist gänzlich dem Mann vorbehalten, der sich gegen die skrupellose und harte Berufswelt kämpferisch durchsetzen muss und sich gezwungen sieht, unmoralisch zu handeln und ökonomische Rationalität an den Tag zu legen. Die Ehre der Familie liegt allein in seiner Hand (vgl. Nünning 19). Der einzige Zufluchtsort ist das traute Heim, die Stätte der Tugend und Sphäre des Weiblichen, wo er von seiner reinen und engelshaften Frau umsorgt wird. Völlig selbstlos und aufopfernd kümmert sich die ihrem Mann durch Freundschaft verbundene Ehefrau um Kind und Haushalt. Indem die Frau als Hüterin der Moral zur Kultfigur avanciert, rückt der Blick von ihrer Erniedrigung, die damit einhergeht, ab (vgl. Rublack 68).
In der gesellschaftlichen Realität besitzt die Frau keinerlei Macht und ist dem Mann rechtlich und finanziell unterstellt. Der Weg zur Bildung bleibt ihr verschlossen und eine individuelle Selbstverwirklichung ist undenkbar, denn die Bedürfnisse und Wünsche des Mannes stehen im Vordergrund (vgl. Rublack 68). Vor allem das viktorianische Patriarchat macht sich diese „Bifurkation[2] von Öffentlichem und Privatem“ (Reckwitz 267) zu Nutze, um die Unterdrückung der Frau und ihre Beschränkung auf das Häusliche zu legitimieren. Begriffe wie „Angel in the House“ (Mergenthal 16) oder „relative creature“ (Rublack 66) – die Frau als Trägerin der Moral, die sich erst durch Verbindung zum Mann definiert, erhalten hier ihren Ursprung.
Untermauert wird diese Ideologie der zwei Sphären durch vermeintlich wissenschaftliche Befunde in der Sexualforschung. So wird davon ausgegangen, dass Frauen und Männer von Natur aus unterschiedliche Wesen sind, die sich komplementär ergänzen. Auf der einen Seite steht die Frau als passives, schwaches, leidenschaftsloses und lustfreies Wesen. Ihr wird eine starke Nähe zur Natur attestiert, womit sie immer wieder der Gefahr ausgesetzt ist, ihre Emotionen nicht kontrollieren zu können (vgl. Reckwitz 265). Auf der anderen Seite steht der aktive und rational handelnde Mann, der seine Sexualität nur schwer beherrschen kann, da sie „biologisch-natürlich im Sinne eines quasi-instinktiven, blinden ›Triebes‹“ (Reckwitz 266) motiviert ist. Um nicht von der männlich dominierten Gesellschaft verstoßen zu werden, bleibt der Frau nichts anderes übrig, als „[to] suffer and [to] be still“[3] und die für sie vorgesehene Rolle der tugendhaften Ehefrau zu akzeptieren (vgl. Rublack 68). So wird sie einem strengen Disziplinierungsprozess unterworfen, um ihre körperlichen Affekte und Emotionen zu kontrollieren sowie sich in Demut und Selbstverleugnung zu üben (vgl. Reckwitz 265).
Vor diesem Hintergrund spielt auch Charlotte Brontës Roman Jane Eyre[4]. Die 1847 erschiene fiktive Autobiographie gilt als frühes feministisches Manifest einer Frau, die für mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen plädiert. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Jane Eyre blickt mit einem zeitlichen Abstand von zehn Jahren retrospektiv auf ihr Leben und bilanziert es als zutiefst bejahenswert. Sie ist eine junge impulsive Frau, die einen außerordentlichen Drang zur Unabhängigkeit verspürt und sich nach einem souveränen Leben sehnt. Jane, die in einem bürgerlichen Haushalt sozialisiert wird, wehrt sich von Anfang an leidenschaftlich gegen die Beschneidung ihres individuellen Potenzials durch das Patriarchat und die Zwangsanpassung an die für sie vorgesehene Rolle der Frau. Im Zentrum ihrer Lebensgeschichte, in der immer wieder gegenwärtige und vergangene Perspektive zusammenfließen, steht die sich entwickelnde Liebe zu dem wesentlich älteren Aristokraten Edward Fairfax Rochester. Beide sind Individuen, die aus der gängigen Gesellschaftsnorm ausbrechen möchten und eine Beziehung basierend auf Leidenschaft und Freundschaft suchen. Letztlich kommt es zu einer Verbindung unter höchst individuell ausgearbeiteten Vorzeichen, die schon fast märchenhafte Züge annimmt.