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Als ich meinen Job als Barkeeperin in einer magischen Gilde antrat, wusste ich überhaupt nichts über Magie. Inzwischen bin ich praktisch Expertin für die verschiedenen Magieklassen, doch da ist eine, über die niemand spricht: Dämonica. Wie sich herausstellt, gibt es dafür einen guten Grund. Meine eigene Gilde ist absolut dämonenfrei, doch jetzt läuft ein Dämon frei herum. Sogar knallharte Kampfmagier sind ihm hoffnungslos unterlegen. Und das ist noch nicht alles: das Monster, das sie verfolgen, versteckt sich nicht. Es flieht nicht. Es tötet nicht wahllos. Der Dämon ist selbst auf der Jagd. Und in einer Stadt voller Mythiker sucht er nach noch tödlicherer Beute …
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Seitenzahl: 377
Veröffentlichungsjahr: 2025
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ANNETTE MARIE
DÄMONENMAGIE UND EIN MARTINI
GUILD CODEX: SPELLBOUND 4
Aus dem Englischen von Jeannette Bauroth
Über das Buch
Als ich meinen Job als Barkeeperin in einer magischen Gilde antrat, wusste ich überhaupt nichts über Magie. Inzwischen bin ich praktisch Expertin für die verschiedenen Magieklassen, doch da ist eine, über die niemand spricht: Dämonica.
Wie sich herausstellt, gibt es dafür einen guten Grund.
Meine eigene Gilde ist absolut dämonenfrei, doch jetzt läuft ein Dämon frei herum.
Sogar knallharte Kampfmagier sind ihm hoffnungslos unterlegen. Und das ist noch nicht alles: das Monster, das sie verfolgen, versteckt sich nicht. Es flieht nicht. Es tötet nicht wahllos.
Der Dämon ist selbst auf der Jagd. Und in einer Stadt voller Mythiker sucht er nach noch tödlicherer Beute …
Über die Autorin
Annette Marie schreibt leidenschaftlich gern Fantasy mit starken Heldinnen und hat eine Schwäche für spannende Abenteuer und verbotene Liebesgeschichten. Auch Drachen findet sie faszinierend und baut sie deshalb in (fast) jeden ihrer Romane ein.
Sie lebt in der eisigen Winterwüste (okay, ganz so schlimm ist es nicht) von Alberta in Kanada, zusammen mit ihrem Mann und ihrem pelzigen Diener der Dunkelheit – alias Kater – Caesar. In ihrer Freizeit steckt sie oft ellbogentief in einem Kunstprojekt und vergisst dabei gern mal die Zeit.
Die englische Ausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Demon Magic and a Martini« bei Dark Owl Fantasy.
Deutsche Erstausgabe Februar 2025
© der Originalausgabe 2019: Annette Marie
© Verlagsrechte für die deutschsprachige Ausgabe 2025:
Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,
Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg
Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich an: [email protected]
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Lektorat: Julia Funcke
Schlussredaktion: Daniela Dreuth
Satz & Layout: Second Chances Verlag
ISBN E-Book: 978-3-98906-065-4
ISBN Klappenbroschur: 978-3-98906-064-7
Auch als Hörbuch erhältlich!
www.second-chances-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
Titel
Über die Autorin
Impressum
Glossar
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Danksagung
Leseprobe »Ein Cookie für den Dämon«
Magieklassen
Spiritalis
Psychica
Arcana
Dämonica
Elementaria
Mythiker
Eine Person mit magischen Fähigkeiten
MPD/Magipol
Die Regulationsbehörde für Mythiker und ihre Aktivitäten
Abtrünniger
Ein Mythiker, der sich nicht an die MPD-Gesetze hält
»Nein«, erklärte ich.
»Nein?«
»Nein.«
Darren knallte die Hände auf die Theke. »Du bist die Barkeeperin. Es ist dein Job, mir einen Drink zu geben.«
Ich tippte mir nachdenklich ans Kinn, während ich den eins achtzig großen, wütenden Kampfzauberer betrachtete, der versuchte, sich gleichzeitig über die Theke zu beugen und über mir aufzuragen. Darren gehörte schon in nüchternem Zustand nicht zu meinen Lieblingspersonen, und betrunken war er so unangenehm wie eine Kreuzung zwischen einem Stinktier und einem Stachelschwein.
»Du kriegst nichts mehr.« Ich polierte mir die Fingernägel an der Schürze. »Das habe ich dir schon vor einer Stunde gesagt. Und vor einer halben. Und dann noch mal vor zehn Minuten.«
»Du kannst mir nicht einfach den Hahn abdrehen!«
»Doch, kann ich. Du hast es eben selbst gesagt, ich bin die Barkeeperin.«
»Ich bin nicht betrunken«, knurrte er, beugte sich noch weiter über die Bar und hauchte mir seinen nach Alkohol stinkenden Atem entgegen. »Bedien mich, oder du wirst bereuen, dass du jemals …«
Er hielt die Klappe, als ich meine Hände ebenfalls auf die Theke stützte und mich ganz dicht vor seinem Gesicht aufbaute. Leute, die andere schikanierten, rechneten nie damit, dass man ihre Einschüchterungstaktiken auch mal gegen sie einsetzte.
»Was werde ich bereuen?«, fragte ich, während er zurückwich. »Na los, bring den Satz zu Ende. Aber sprich schön laut, damit jeder hören kann, was für ein tougher Kerl du bist.«
Da ich selbst bereits schön laut und deutlich sprach, drehten sich mehrere Leute erwartungsvoll um. Tori war wieder im Begriff, jemanden in Verlegenheit zu bringen, und sie saßen in der ersten Reihe. Garantiert waren die Tische vor meiner Theke nur deshalb immer so voll.
Ach, ich liebte meinen Job.
Darren ging zögernd seine Optionen durch, dann murmelte er: »Ach komm schon, Tori. Nur noch einen Drink.«
Ich lachte. »Erst drohst du mir, und plötzlich willst du nett bitten? Verschwinde, Darren.«
Er ballte die Hände zu Fäusten, sodass sich die dicken Muskeln an seinen Oberarmen anspannten. Seine Miene war so finster wie die eines Kleinkinds, dem man seine Trinklerntasse weggenommen hatte, allerdings hatte er genug intus, um wirklich die Beherrschung zu verlieren – vorausgesetzt, er konnte sich einen Zauberspruch zurechtlallen. Das wollte ich lieber nicht riskieren. Kampfzauberer waren keine Weicheier, und Darren war fieser als die meisten. Niemand, den ich verärgern wollte.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf streckte ich ihm die Zunge raus. Er riss die Augen auf und stürmte zurück an seinen Tisch. Ha! Ich hatte keine Angst. Mit gespielter Lässigkeit zog ich die Hand aus der Gesäßtasche, wo ich meine Pikdame griffbereit gehalten hatte, um mich notfalls zu verteidigen.
Überhaupt keine Angst.
Aber mal im Ernst, ich hatte durchaus einen Selbsterhaltungstrieb. Ich wusste, dass Darren mich fertigmachen konnte, wenn er es drauf anlegte, nur war es manchmal die beste Verteidigung, keine Furcht zu zeigen.
Meine schlechte Einstellung – »schlecht« laut all meinen früheren Arbeitgebern – war der Grund, warum ich diesen Job gekriegt hatte. Eine menschliche Barkeeperin, die für eine magische Gilde arbeitete.
Voller Sympathie ließ ich den Blick durch den Pub gleiten. Für einen Dienstagabend war viel los, doch mit den ungefähr zwanzig noch anwesenden Mythikern war es nicht mehr so laut wie während der Abendessenszeit. Es war kurz vor elf, und ich wollte bald sauber machen. Der morgige Abend würde total ausgeflippt werden, und daran trug nur ich die Schuld.
Angefangen hatte alles mit Kürbissen.
Ich hatte sie Anfang Oktober im Supermarkt entdeckt und war auf die brillante Idee gekommen, mit ihnen die Bar für den gruseligsten Monat des Jahres zu dekorieren. Allein konnte ich eine Armladung Kürbisse nicht nach Hause tragen, also hatte ich meinen Lieblingspyromagier angerufen, damit er mich und mein übergroßes Fruchtgemüse am Laden abholte. Aaron, der bei jeder Idee sofort in begeisterten Aktionismus verfiel, hatte meinem Einkauf gleich noch zehn weitere Kürbisse hinzugefügt und dann alles zu sich gefahren.
Ezras Miene, als wir mit der ersten Ladung hereinkamen, war beinahe so einprägsam gewesen wie die von Kai, als Aaron ihn informierte, dass wir alle vor Halloween Kürbisse schnitzen würden.
Lächelnd betrachtete ich die Kürbislaternen, die in kleinen Gruppen im Pub verteilt waren und deren leuchtend orangefarbene Gesichter entweder grinsten oder finster dreinblickten. Oder, wie im Fall von Kais Kürbis, missbilligend. Keine Ahnung, wie ein Kürbis ultimativen Unmut ausdrücken konnte, doch Kai hatte es definitiv geschafft. Womöglich hatte ich es ein wenig übertrieben, als ich versucht hatte, ihm mit den Worten »Wenn du nicht wenigstens einen klitzekleinen Kürbis schnitzt, ist Halloween ruiniert« Schuldgefühle einzureden.
Irgendwie hatten die Laternen dazu geführt, dass eines Nachmittags auf mysteriöse Weise orange-schwarze Luftschlangen auf meiner Theke erschienen waren. Wofür hätte ich sie sonst nutzen sollen, wenn nicht als Deko für den Pub? Dann war Aaron mit einer Kiste voller flauschiger, beweglicher Fledermäuse aufgetaucht, die nun von der Decke hingen. Niemand hatte zugegeben, die rot-orange Lichterkette hinter mir über die Schnapsregale gehängt zu haben, doch ich verdächtigte Clara.
Und dann, was noch mysteriöser war, hatten alle angefangen, von »der Halloween-Party« zu sprechen und mich zu fragen, was dafür geplant war.
Ich hatte keine Party geplant. Ich hatte nie vorgehabt, eine Party zu planen.
Schritte polterten die Treppe herunter, die zu den beiden oberen Stockwerken führte. Clara kam um die Ecke geeilt, einen prall gefüllten Ordner in der Hand. Ihre braunen Haare lösten sich bereits aus dem unordentlichen Knoten. Sie strahlte absolute Dringlichkeit aus und stürmte auf mich zu.
»Hallo, Clara«, begrüßte ich sie. »Du arbeitest heute aber lange.«
»Süßigkeiten!«, platzte sie heraus. »Wir brauchen Süßigkeiten für die Party! Wenn es nichts zu naschen gibt, ist es kein richtiges Halloween.«
»Ich schreib es auf die Einkaufsliste.« Die zog ich aus meiner Schürzentasche und setzte »Süßigkeiten« auf die »Liste aller Dinge, die ich beim letzten Einkauf vergessen habe«. Dann sah ich Clara stirnrunzelnd an. »Du machst dir Sorgen wegen der Party, oder? Du hast schon genug um die Ohren. Ich kümmere mich darum.«
»Ich kann nicht anders.« Nachdem diese Krise abgewendet war – für die Assistentin des Gildemasters war alles eine Krise –, legte sie ihren Ordner ab und setzte sich auf einen Hocker. »Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal als Gilde Halloween gefeiert haben. Ich erwarte ein volles Haus. Viele Mitglieder bringen Familienangehörige oder Verabredungen mit.«
Ja, ich hatte allen klar und deutlich erklärt, dass ich keinerlei Veranstaltung plante, aber hatte irgendjemand zugehört? Hatte es sie interessiert? Nein. Und jetzt war ich die Gastgeberin für die größte Gildeparty des Jahres, und das alles nur, weil ich einen verdammten Kürbis hatte schnitzen wollen.
»Wir helfen dir mit der Bar«, fügte Clara hinzu und richtete ihre Unterlagen, »damit du auch was von der Feier hast. Hast du dir schon ein Kostüm ausgesucht?«
Mit Partys kam ich klar. Süßigkeiten waren super. Dekorieren machte Spaß. Aber ich hasste Verkleiden. Bevor ich es verhindern konnte, machte ich ein grimmiges Gesicht. »Aaron möchte, dass wir als Jane und George Jetson gehen, weil sie beide rothaarig sind, doch Kai hat zwei Figuren aus der Serie Mad Men für uns im Sinn. Dabei habe ich davon höchstens drei Folgen geschaut.«
»Kai will einfach einen Anzug tragen und so tun, als wäre es ein Kostüm«, stellte Clara weise fest. »Was ist mit Ezra? Ihr beide könntet euch als Jon Snow und Ygritte verkleiden.«
»Game of Thrones?« Ich dachte darüber nach. »Zumindest wäre ich dann ein knallharter Wildling.«
Claras Augen leuchteten auf. »Ezra sieht sogar aus wie Jon Snow! Ihr beiden wärt so süß in diesen Kostümen. Euch bleibt allerdings nur ein Tag, um alles zusammenzustellen. Wobei du bestimmt in einem Spezialgeschäft …«
Schnell winkte ich ab. »Nein, danke. Kostüme sind freiwillig, und ich werde sowieso eine Schürze tragen.«
Sie verzog das Gesicht. »Aber es ist deine Party. Du musst dich verkleiden.«
Ich erhielt krampfhaft mein Lächeln aufrecht und nickte. Meine Party. Uff.
Clara nahm ihren Ordner hoch, und die Hälfte des Inhalts startete einen Fluchtversuch. Ich griff nach den Papieren, die über den Tresen rutschten, und zusammen stopften wir den ganzen Papierkram zurück in sein Pappgefängnis.
»Danke.« Sie stieß einen Seufzer aus. »Ich hab so viel zu tun, und Darius will, dass ich … oh!«
»Oh?«, fragte ich argwöhnisch, verunsichert durch ihr plötzliches Entsetzen.
»Ich habe es vergessen! Darius hat mich vor zwei Wochen gebeten – aber ich wurde abgelenkt von – und ich hab es dir nicht gesagt …«
»Mir was gesagt?«
Sie wand sich schuldbewusst. »Darius will die Speisekarte des Pubs aktualisieren. Sie wurde seit Jahren nicht mehr geändert, und es ist längst überfällig, dass wir sie aufpeppen. Er hat vorgeschlagen, dass du das vielleicht tun könntest.«
»Ich?«
»Ramsey und du, ihr arbeitet die meisten Stunden hier im Pub, doch er ist mit seiner Ausbildung beschäftigt und möchte keine zusätzliche Verantwortung übernehmen. Ich habe Darius gegenüber schon mehrmals erwähnt, dass du eventuell gerne mehr Mitspracherecht bei der Führung des Pubs hättest.«
Ein Mitspracherecht bei der Führung? Das war nur ein hingeworfener Knochen, nicht mal annähernd so was wie eine Beförderung, trotzdem stieg sprudelnde Begeisterung in mir auf. Noch nie in meiner ganzen beruflichen Laufbahn hatte mir jemand mehr Verantwortung oder eine wichtigere Rolle angeboten als die einfache Stelle, für die ich angeheuert worden war. Ich war schon mal degradiert worden, doch das war alles.
»Sehr gerne!« Ich drehte meine Einkaufsliste um, um mir Notizen zu machen. »Was soll ich tun?«
Clara wirkte ein wenig überrumpelt von meiner unmittelbaren Begeisterung, lächelte aber. »Darius möchte einen schriftlichen Vorschlag, was wir von der Karte streichen und was wir hinzufügen sollen. Dazu gehören auch Informationen über Preise, Zutaten, Lieferanten, Vorbereitungszeit und so weiter.«
Ich schrieb es auf. »Alles klar. Bis wann braucht er das?«
»Ah.« Sie wand sich wieder. »Er hat es vor zwei Wochen erwähnt, daher rechnet er vermutlich … nächste Woche damit.«
Das könnte ein wenig knapp werden. »Wann nächste Woche?«
»Äh, wahrscheinlich am Montag. Er erledigt den Papierkram der Woche gern montags.«
Fünf Tage, und einer davon würde von einer riesigen Party aufgefressen werden. Ich unterdrückte meine Bedenken und lächelte zuversichtlich. »Krieg ich hin.«
»Ich kann ihm sagen, dass ich es vergessen hatte und du mehr Zeit brauchst …«
»Nein.« Ich stopfte die Notizen in meine Schürzentasche. »Ist schon gut. Überhaupt kein Problem.« Das war meine Chance, zu beweisen, dass ich mehr Verantwortung übernehmen konnte, und das würde ich nicht vermasseln, indem ich um eine Fristverlängerung bat. Wenn Darius die neue Speisekarte am Montag haben wollte, würde er sie am Montag bekommen.
Ich warf einen Blick auf den hinteren Tresenbereich, wo mein Laptop mit einer halb fertigen Hausaufgabe fürs College wartete. Die schaffte es womöglich nicht bis nächste Woche zum Dozenten. Hmm. Ich würde mir etwas einfallen lassen. Vor Montag hatte ich zwei Tage frei. Ich konnte das hinkriegen.
Clara ging wieder nach oben, um zu ihrer spätabendlichen Arbeitssitzung mit Darius zurückzukehren. So was war nicht alltäglich, aber auch nicht total außergewöhnlich. Darius, der Gildemaster, war viel unterwegs, und wenn er von einer langen Reise zurückkam, verschwanden er und Clara für einen ganzen Tag in sein Büro, um alle Arbeiten zu erledigen, bei denen der Input oder die Zustimmung des GM erforderlich waren.
Das, oder sie hatten eine heimliche Affäre, und nach seinen Reisen verbarrikadierten sie sich in seinem Büro, um … Nee. Das wäre schräg, wo sich die Schreibtische der Gildeofficer doch direkt vor seiner Tür befanden.
Ein paar Minuten später hockte ich auf dem Tresen und starrte leicht panisch auf die Kreidetafel mit der Speisekarte, die an der Wand hinter der Bar hing. Hinter mir hörte ich Holz über den Boden schrammen, als sich jemand einen Hocker herauszog.
»Möchte ich wissen, was du da machst?«
Beim Klang von Aarons Stimme drehte ich mich nicht um. »Was von dieser Speisekarte isst du am liebsten?«
»Den Burger.«
»Was ist mit dir, Kai? Ezra?« Ich brauchte gar nicht erst nachzusehen, um zu wissen, dass sie ebenfalls da waren.
»Den Burger«, antwortete Kai, ohne zu zögern.
»Den Burger«, bestätigte Ezra mit seiner schmelzenden, sanften Stimme. »Aber das ist keine faire Frage.«
»Warum nicht?«
»Weil es bloß ein Gericht auf der Speisekarte gibt.«
Ich drehte mich um und warf ihm einen verwirrten Blick zu. »Was meinst du damit? Da stehen zehn Hauptgerichte.«
Er zog die Brauen über seinen ungleichen Augen hoch. Das eine war schokoladenbraun, das andere eisblass mit dunkler Pupille und dunklem äußeren Ring, die Iris beschädigt durch die Narbe, die von seiner Schläfe bis hinunter zu seiner Wange verlief. Mit seinen lockigen Haaren und dem Bartschatten sah er tatsächlich ein wenig wie ein Jon Snow mit bronzefarbener Haut aus.
Er beugte sich über die Bar und flüsterte verschwörerisch: »Alle bestellen den Burger. Ich glaube nicht, dass überhaupt Zutaten für irgendwas anderes da sind.«
Huch. Jetzt, wo er es erwähnte, ich bestellte auch immer den Burger. Man sollte meinen, dass ich den nach über fünf Monaten satthätte, aber wer bekam schon genug von einem leckeren Burger? »Was esst ihr am wenigsten gern?«
Sie zuckten mit den Schultern, was in mir den Verdacht weckte, dass sie nie irgendwas anderes probiert hatten.
Kai setzte sich auf einen Hocker. »Warum interessierst du dich plötzlich für die Speisekarte?«
»Darius möchte, dass ich sie aufpeppe.« Ich verbarg meine Verzweiflung. »Am Montag soll ich einen Vorschlag für neue Gerichte vorlegen.«
»Am Montag? Das ist aber ganz schön kurzfristig.« Aaron stützte die Ellbogen auf den Tresen. »Was hältst du von Poison Ivy?«
»Was? Als Name für ein Gericht auf der Speisekarte?«
»Nein, als dein Kostüm. Du kannst Poison Ivy sein, und ich gehe als Batman.«
Ich schnaubte. »Kai ist tausendmal eher Batman als du.«
Ezra lachte, und Aaron schmollte. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, hüpfte von der Theke und stellte mich zu den drei Magiern. Aaron saß auf seinem Lieblingshocker, das kupferfarbene Haar zerzaust und die Ärmel seines lässigen Pullovers über die muskulösen Unterarme hochgeschoben. Kai saß neben ihm. Seine dunklen Haare bildeten einen starken Kontrast zu seinem hellen Teint, die obersten Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet. Ezra lehnte mit einer Hüfte an der Bar, und auf seinem schwarzen T-Shirt stand: »Winter Is Coming«.
Hmm, richtig, er war ein Fan von Game of Thrones. Vielleicht konnte ich ihn tatsächlich zu einem Pärchenkostüm mit … halt, Moment, was dachte ich denn da? Ich wollte mich doch gar nicht verkleiden.
»Ich trage kein Kostüm!«, verkündete ich inbrünstig.
»Aber es ist deine P…«, begann Aaron.
»Es ist nicht meine Party! Das hier sind meine Kürbisse. Eine Party habe ich nie vorgeschlagen, geschweige denn angeboten, sie zu organisieren! Und ich habe nie behauptet, ich würde mich verkleiden als …« Als er breit grinste, hielt ich inne. Er hatte diese Tirade bereits zwei- bis dreimal täglich gehört, seit von der Party die Rede war. »Das ist alles deine Schuld.«
»Meine Schuld?«
»Du wolltest zusätzliche Kürbisse. Wenn du nicht …«
Ein Bimmeln kündigte an, dass die Tür nach draußen geöffnet wurde. Die Glocke über dem Eingang war erst vor wenigen Wochen installiert worden. Die ganze Geschichte kannte ich nicht, aber es hatte irgendwas mit einem betrunkenen Menschen zu tun, der hereingestolpert war, während sich Clara oben aufgehalten hatte. Der Schutzzauber an der Tür schreckte Menschen ab, indem er eine plötzliche Angstwelle bei ihnen auslöste, doch bei Betrunkenen funktionierte er nicht so gut – oder bei Sturköpfen wie mir.
Daher hatten wir nun eine Glocke.
Ich blickte zum Eingang und erwartete, Gäste zu sehen, die sich auf den Heimweg machten, immerhin hatte sich der Pub während der letzten halben Stunde mächtig geleert. Doch stattdessen kamen zwei Leute herein.
Der Mann war durchschnittlich groß, aber überdurchschnittlich muskulös, mit dunklen, kurz geschnittenen Haaren und einem nur wenig längeren Bart. Seine braune Haut und die Lederjacke glitzerten von Regentropfen, und ein dicker, hässlicher Silberanhänger ruhte auf seiner Brust. Die hochgewachsene, gertenschlanke Frau ging, als würde sie schweben. Ihr langes schwarzes Haar flatterte hinter ihr her, und ihre braune Haut war vom kalten Regen gerötet. Ihr taillierter Ledermantel war elegant, die dunkelblaue Jeans modisch eng, und die schwarzen Lederstiefel reichten ihr bis übers Knie. An ihrem Gürtel hingen zwei schmale Dolche mit seltsamen s-förmigen Griffen.
Keiner von beiden war Mitglied im Crow and Hammer.
Die Neuankömmlinge warteten an der Tür, offenbar unsicher, ob sie hier erwünscht waren. Als sie schließlich auf die Bar zugingen, verriet jede ihrer Bewegungen Vorsicht. Ja, ihnen fehlte es bei ihrem Auftritt eindeutig an Selbstvertrauen. Dieser Eindruck wurde durch die plötzliche Stille im Raum noch verstärkt.
»Na so was«, murmelte Aaron. »Was macht Odin’s Eye denn hier?«
Ich horchte auf. In den fünfeinhalb Monaten, die ich jetzt hier arbeitete, hatte ich noch nie Mitglieder einer anderen Gilde unser Hauptquartier betreten sehen. Außerdem hatte Odin’s Eye den Ruf, knallhart zu sein. Sie waren Kopfgeldspezialisten und jagten Abtrünnige, Kriminelle und bösartige Biester.
Man konnte guten Gewissens sagen, dass Odin’s Eye und das Crow and Hammer nicht unbedingt gut miteinander klarkamen.
Kai erhob sich von seinem Hocker und näherte sich dem Paar. Der Blick der Frau glitt über ihn hinweg – und dann ersetzte ein breites Lächeln ihre kühle, abschätzende Miene.
Mit zwei schnellen Schritten ließ sie ihren Begleiter hinter sich und schlang die Arme um Kai. Mir klappte der Mund auf.
Als Kai die Umarmung erwiderte und die Frau seinerseits fest drückte, fiel mir die Kinnlade bis auf die Theke.
Ich riss den Blick von ihnen los, um zu sehen, was Kais beste Freunde von dieser unerwarteten Wendung hielten. Aaron grinste, und Ezra … äh – wo war Ezra?
Sein Platz war leer. Wohin war er verschwunden?
Kai löste sich von der geheimnisvollen Frau und sprach leise mit ihr, dann führte er sie zur Bar, eine Hand auf ihrem Rücken. Gentlemanhafte Höflichkeit oder ein wenig zu vertraut, als dass es nur gute Manieren sein konnten?
Er schob ihr seinen Hocker hin. »Tori, einen Martini für Izzah, bitte – trocken, mit zwei Oliven. Setz es auf meine Rechnung.«
»Das ist doch nicht nötig, Kai«, erwiderte sie mit rauer Stimme und einem Akzent, den ich nicht zuordnen konnte.
»Es ist mir ein Vergnügen.« Er setzte sich neben sie. »Izzah, erinnerst du dich an Aaron Sinclair?«
»Hey, Izzah.« Aaron streckte ihr eine Hand hin. »Ist lang her.«
Izzahs Lächeln kehrte zurück, und Grübchen erschienen auf ihren Wangen. »Schön, dich wiederzusehen, Aaron.«
Kai nickte in meine Richtung. »Das ist Tori. Tori, Izzah Ramesh.«
Während Izzah und ich uns begrüßten, wurden die Gespräche im Raum wieder aufgenommen. Izzahs Begleiter, anscheinend völlig vergessen, trat zur Bar und setzte sich auf ihrer anderen Seite auf einen Hocker. Sie stellte ihn als Mario vor, und es folgte eine weitere Runde höflicher Begrüßungen.
Aarons neugieriger Blick sprang von Izzah zu Kai und zurück. »Was führt dich von Odin’s Eye hierher, Izzah?«
Natürlich kam Aaron direkt zur Sache. Ich hätte zuerst eine Frage stellen sollen, so was wie: »Kai, woher kennst du diese reizende Frau?«, oder besser noch: »Welche Art von Beziehung verbindet euch genau?«
Okay, vielleicht war Aarons nicht übergriffige Frage doch angebrachter.
Izzah schob sich das dichte, vom Regen feuchte Haar von der Schulter und warf dem Pyromagier einen verspielten Blick zu. »Willst du nicht mal versuchen, ein bisschen Small Talk zu machen?«
»Small Talk liegt uns nicht so«, erwiderte Kai mit einem subtilen, neckenden Unterton in der Stimme. Kai? Neckend?
»Das stimmt, leng chai«, antwortete sie lachend.
Ich dachte über die sehr konkrete Getränkebestellung nach – woher wusste er so genau, wie sie ihren Martini trank? –, ließ zwei Oliven in das Cocktailglas fallen, schob es ihr zu und fragte dann Mario: »Kann ich dir auch was bringen?«
»Nein, danke«, murmelte er. Ich verspürte einen Funken Mitgefühl. Er war sofort zum fünften Rad geworden.
»Fairerweise muss man sagen«, fuhr Kai fort, den Blick auf Izzah geheftet, »dass du nur dann auftauchst, wenn es Schwierigkeiten gibt.«
Ach, diese Frau kam also öfter vorbei? Ein weiteres Puzzleteilchen. War ich neugierig? Aber hallo. Kais Ruf als Playboy wurde lediglich von dem völligen Geheimnis um die Frauen übertroffen, mit denen er ausging. Ich hatte noch keine einzige von ihnen kennengelernt. War diese Schönheit mit den rabenschwarzen Haaren vielleicht eine von ihnen? War sie die aktuelle Kurzzeitbeziehung in seinem Leben? Wusste sie, dass sie eine Kurzzeitbeziehung war?
»Schwierigkeiten konon?«, wiederholte sie, wobei ihre braunen Augen amüsiert funkelten. »Wie kannst du so was nur sagen?«
»Es gibt Schwierigkeiten, oder?«
»Natürlich. Aber nichts so Schlimmes wie … du weißt schon.«
Aaron und Kai tauschten einen Blick, als würden sie sich an ihren letzten Besuch beim örtlichen Folterknecht erinnern.
»Hoffentlich«, stöhnte Aaron. »Wie viele Anhörungen mussten wir ertragen?«
»Ich habe nicht mehr mitgezählt.« Izzah seufzte, als ob allein der Gedanke daran sie erschöpfte. »Wie viele Anhörungen kann man in sechs Monate quetschen?«
Kai schaute nachdenklich drein. »Hat es so lange gedauert?«
»Na ja, es war eine ziemlich große Sache«, gab Izzah zu bedenken. »MagiPol hat uns wegen Einbruch verhört, wegen Betrug, Diebstahl, Beschädigung von internationalen Schätzen …«
»Ich hab diese Artefakte nicht absichtlich zerstört«, unterbrach Kai sie.
»Millionen an Versicherungsansprüchen, panische Leute auf den Straßen …«
»Das war nicht meine Schuld«, grummelte er. »Es war nur ein Stromausfall.«
»Und es hat international Schlagzeilen gemacht, also musste viel vertuscht werden …«
»In Ordnung«, platzte er heraus. »Hör auf, mich daran zu erinnern. Die ganze Sache war ein Albtraum.«
Ein triumphierendes Grinsen erhellte Izzahs Gesicht. Oh Mann. Sie hatte absichtlich so gestichelt. Sie wusste, wie sie den kühlen, gefassten, unerschütterlichen Kai auf die Palme bringen konnte.
Ich mochte sie jetzt schon.
»Also, welche Art von Schwierigkeiten gibt es dieses Mal?«, fragte Aaron.
Im Stillen verfluchte ich ihn dafür, dass er den schönen Moment gestört hatte.
Izzahs gute Laune verschwand. »Habt ihr irgendwas von den Keys of Solomon gehört?«
Den was bitte?
»Nicht in letzter Zeit«, erwiderte Kai.
Nervös tippte sie mit dem Fingernagel gegen den Stiel ihres Martiniglases. »Sie sind in der Stadt.«
»Das bedeutet nie etwas Gutes«, stellte er fest, und seine Miene verfinsterte sich. »Von wie vielen reden wir?«
»Der größte Teil der Gilde, habe ich gehört. Vier oder fünf Teams.«
Kai fluchte leise. »Hast du eine Ahnung, warum?«
»Was denkst du denn, warum?« Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Martini. »Dämonen.«
Ach herrje. Dämonen, also Dämonica, die Magieklasse, die immer nur mit widerwilligem Respekt, Abneigung und Angst erwähnt wurde.
Da ich nicht wusste, welche Frage ich zuerst stellen sollte, flüsterte ich Aaron zu: »Was sind die Keys of Solomon?«
Angewidert verzog er die Lippen. »Eine Nomadengilde, die auf Dämonenjagd spezialisiert ist. Das ist alles, was sie tun. Sie reisen umher und folgen den Gerüchten über Dämonen und Kontraktoren, um sie zu töten.«
Ich schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Wie bitte, hast du ›töten‹ gesagt? Sie suchen Leute, um sie zu töten?«
»Har, was sonst?«, fragte Izzah, verwirrt von meiner Reaktion.
»Tori ist neu«, erklärte ihr Kai. »Erst vor Kurzem entdeckt.«
Sie lächelte mich entschuldigend an. »Sorry. Willkommen bei der Truppe.«
Obwohl ich vor zwei Monaten tatsächlich als Hexe »entdeckt« worden war, war das nichts als eine dicke, fette Lüge. Ich war durch und durch menschlich, doch nun war ich in der MPD-Datenbank als waschechte Hexe registriert. Meine Handynummer stand im Mythiker-Telefonbuch, für jeden sichtbar.
»Ist das eine abtrünnige Gilde?«, wollte ich wissen und holte zwei Gläser. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Mitglieder der Keys of Solomon einfach herumlaufen und Leute töten durften.
»Streng genommen nicht, aber eigentlich schon.« Izzah nahm einen weiteren Schluck von ihrem Martini. »Offiziell handelt es sich bei ihnen um eine legale Gilde, obwohl sie die Grenze überschreiten, wann immer es ihnen passt. Sie suchen sich nur Zielpersonen mit DOD-Kopfgeldern aus.«
»Dead or deceased, also ›Tot oder verstorben‹ im Gegensatz zu ›Tot oder lebendig‹«, erklärte Aaron.
Ich verzog das Gesicht. Mythiker. Die hatten echt einen seltsamen Humor.
»Ein ungebundener Dämon wird automatisch als ›Bei Sichtkontakt töten‹ eingestuft«, fuhr Izzah fort. »Und Kontraktoren, die so viel Mist bauen, dass ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt wird, sind immer DOD-Zielpersonen, denn wie sonst sollte man ihre Dämonen aufhalten?«
»Für die Keys ist es ein Spiel«, warf Mario unvermittelt ein.
Überrascht wandte ich mich dem zweiten Mythiker von Odin’s Eye zu, in der Hand nach wie vor die Flasche mit Rum. Ich hatte ganz vergessen, dass er da war. Für einen so kräftigen Kerl gab er eine überraschend gute Imitation einer Steinstatue ab.
»Sie sammeln nicht nur Kopfgelder, sondern auch Tötungspunkte«, sagte er. »Es geht ihnen ums Ego und um die Lust am Kämpfen. Es gibt Berichte, dass die Keys einen Kontraktor zu einem Kampf provoziert, ihn dann getötet und behauptet haben, er hätte sie zuerst angegriffen.«
»Mario ist ein Kontraktor«, informierte uns Izzah. »Kontraktoren behalten die Keys genau im Auge. Das müssen sie auch, wo die so gefährlich sind.«
Ich betrachtete den Mann, und es rauschte in meinen Ohren. Er war ein Kontraktor. Ein Dämonica-Mythiker. Bisher hatte ich noch keinen kennengelernt, und ich starrte ihn misstrauisch an, als könnte er sich jeden Moment in einen Dämon verwandeln. Obwohl ich keine Ahnung hatte, wie Dämonenmagie funktionierte.
»Warum sollten die Keys hierherkommen?«, fragte Kai. »Außer denen von Grand Grimoire halten sich nur wenige Kontraktoren in der Stadt auf, und auf keinen davon ist ein Kopfgeld ausgesetzt.«
Izzah beugte sich zu ihm hinüber und senkte die Stimme. »Es gibt Gerüchte über eine Untergrund-Beschwörungsorganisation, genau hier in der Innenstadt.«
»Warum haben wir noch nichts davon gehört?«, hakte Aaron angespannt nach.
Sie zuckte mit den Schultern. »Eure Gilde hat keine Dämonica-Mythiker, also dringen die Gerüchte nicht bis zu euch. Jetzt wisst ihr Bescheid.«
»Danke, dass du uns ins Bild gesetzt hast«, murmelte Kai. »Ich weiß das zu schätzen.«
Ihre Grübchen erschienen erneut. Ich reichte Kai einen Rum Cola, dann schob ich den zweiten einige Plätze weiter die Theke hinunter. »Hey, Aaron, ich hätte gern deinen Rat zu einem Kostüm.«
»Hm? Oh, okay.« Er folgte mir die Bar entlang. »Hast du deine Meinung übers Verkleiden geändert?«
Ich reichte ihm seinen Drink und flüsterte: »Natürlich nicht. Ich möchte Kai und Izzah kurz allein lassen und beobachten, was sie tun.«
Sie saßen nebeneinander, vertieft in ein leises Gespräch, und ignorierten Mario neben sich. Saßen Kai und Izzah näher beieinander, als es platonische Bekannte tun würden?
»Schau doch, wie er sich auf sie konzentriert«, fügte ich erstaunt hinzu. »Wer ist sie?«
Aaron grinste über meine Reaktion. »Sie ist eine Hydromagierin von Odin’s Eye. Ich kenne sie nicht gut, aber sie ist klug und tough.«
»Ist sie seine Ex? Sie scheint ihn zu mögen – das wäre vermutlich anders, wenn er sie fallen gelassen hätte.«
Aaron zuckte mit den Schultern.
»Wo ist Ezra hin?«, wechselte ich das Thema. Männer hatten echt keine Ahnung, wie man richtig über seine Freunde tratschte.
»Nach oben. Vielleicht auf die Toilette?« Ein weiteres Schulterzucken.
Hmm, na gut, ich würde sein Verschwinden später untersuchen müssen. Jetzt stützte ich mich erst mal mit den Armen auf der Bar auf. »Erzähl mir mehr über diese Keys of Solomon.«
Aaron verzog das Gesicht. »Es bedeutet nie etwas Gutes, wenn die auftauchen. Erstens heißt es, dass es in der Nähe illegale Dämonenaktivitäten gibt. Und zweitens, dass es hässlich wird. Die Keys lassen sich weder von ethischen Überlegungen noch von Diskretionsgründen abhalten, wenn es ums Töten geht.«
»Sie sind Gladiatoren.« Mario kam zu uns herüber. »Die interessieren sich nur fürs Gewinnen. Kann ich ein Wasser bekommen?«
»Klar.« Ich füllte Eiswürfel in ein Glas und schenkte ihm dann ein. »Haben sie moralische Bedenken gegen Dämonenbeschwörungen oder so? Sind sie deshalb so blutdürstig?«
»Die Hälfte ihrer Mitglieder sind Kontraktoren.« Mario setzte sich neben Aaron auf einen Hocker. Vermutlich wollte er Kai und Izzah nicht beim Flirten zusehen. »Nur ein Dämon kann einen anderen Dämon töten.«
»Und es braucht sogar mehrere, um einen ungebundenen Dämon umzubringen«, fügte Aaron hinzu. »Obwohl die Keys behaupten, dass sie gut genug sind, um es mit einem Drei-Mann-Team zu schaffen.«
Ich runzelte die Stirn. »Ein ungebundener Dämon? Was bedeutet das?«
»Ein gebundener Dämon steht vollständig unter der Kontrolle seines Kontraktors.« Mario rieb sich mit den Fingern über die Knöchel. »Ein ungebundener Dämon ist einer, der seinem Beschwörungskreis ohne Kontrakt entkommen ist. Er ist stärker, schneller und kann frei über seine Magie verfügen. Dämonenmagie ist buchstäblich der Stoff, aus dem die Hölle gemacht ist.«
»Ungebundene Dämonen tun nur eines.« Aaron kippte die Hälfte seines Getränks hinunter. »Sie schlachten jedes Lebewesen ab, das ihren Weg kreuzt. Sie töten pausenlos, bis sie selbst getötet werden. Das ist der Hauptgrund dafür, dass Beschwörungen so stark reglementiert sind.«
Ein Angstschauer durchlief mich. »Warum verbietet MagiPol das dann nicht?«
»Weil einige Leute es trotzdem tun würden. Indem sie es legal machen, aber regulieren, stellen sie sicher, dass die meisten Beschwörungen unter MagiPol-Aufsicht durchgeführt werden. Illegale Beschwörungen sind heutzutage selten.«
Mario blickte ungeduldig hinüber zu Izzah, doch sie sprach immer noch mit Kai. »Die Gesetze sind streng. Einem Beschwörer, der ohne Genehmigungen handelt, droht die Todesstrafe. Ein Kontraktor, der nicht ordnungsgemäß registriert ist, wird auf jeden Fall mit dem Tod bestraft.«
Ich schluckte. »Das ist heftig.«
»Das muss so sein. Ist ein Dämon erst mal an einen Kontrakt gebunden, ist der sicherste Weg, ihn zu eliminieren, den Kontraktor zu töten. Beschwörer werden beinahe genauso hart bestraft, denn illegale Beschwörungen führen zu ungebundenen Dämonen, und jeder von denen führt zu Toten.«
Aaron bemerkte mein Unbehagen. »Keine Panik, Tori. Ungebundene Dämonen sind so selten, dass du dir darüber keine Sorgen machen musst. MagiPol hat vor zehn Jahren die Gesetze verschärft, und von einem frei herumlaufenden Dämon habe ich schon seit …«
Der Lärm von zwanzig Handys, die gleichzeitig schrillten, unterbrach ihn.
Mit großen Augen blickte ich zwischen Aaron und Mario hin und her. Alle in der Gilde waren still geworden, und Überraschung und Unbehagen standen in jedem Gesicht. In perfektem Einklang griffen wir alle nach unseren Handys. Überall im Pub leuchteten Displays auf.
Ich entdeckte auf meinem eine grell leuchtende Nachricht:
MPD-Notfallalarm: – Code Black –
Vermutlich ungebundener Dämon in Ihrem Gebiet aktiv. Alle KM versammeln sich so schnell wie möglich im GHQ. NKM suchen Schutz. GEHEN SIE MIT ÄUSSERSTER VORSICHT VOR.
Die Worte leuchteten mir höhnisch entgegen. Das war doch ein Scherz, oder? Denn gerade hatten wir darüber gesprochen, wie selten und schrecklich ungebundene Dämonen waren! Es war nur eine Scherznachricht … die an das Handy jedes Mythikers im Pub geschickt worden war.
Aaron blickte auf, das Gesicht kalkweiß. »Da war ich wohl zu voreilig.«
Aaron und ich sahen uns immer noch entsetzt an, als schnelle Schritte die Treppe herunterpolterten.
Darius sprang von der letzten Stufe, Clara unmittelbar hinter sich, gefolgt von dem Zweiten und dem Dritten Officer, Tabitha und Felix. Letzterer trug eine weiße Plastikbox, auf deren Deckel er einen Laptop balancierte.
Der Gildemaster betrat den Gastraum, und seine Stimme tönte wie ein Peitschenknall. »Kampfmythiker – wer nüchtern ist, legt seine Ausrüstung an und meldet sich bei Tabitha. Wer es nicht ist, geht runter ins Untergeschoss. Venus, verabreiche ihnen Entgiftungstränke, und überprüf dann unseren Vorrat an Zaubertränken. Falls nötig, stell mehr her. Alle Nicht-Kampfmythiker melden sich bei Felix. Er verteilt die Aufgaben.«
Innerhalb von zwei Sekunden waren die Mythiker an den Tischen von schockierter Stille zu hektischer Betriebsamkeit übergegangen. Mario steuerte bereits auf die Tür zu, und Izzah verabschiedete sich hastig von Kai. Die beiden eilten nach draußen und vermutlich zurück zu ihrer Gilde.
Alle KM versammeln sich so schnell wie möglich im GHQ. Übersetzung: Alle Kampfmythiker versammeln sich so schnell wie möglich im Gildehauptquartier.
»Tori.« Darius’ befehlende Stimme ließ mich zusammenzucken. »Kein Alkohol mehr, bis die MPD den Alarm aufhebt. Jeder muss heute Abend bei klarem Verstand sein.«
»Ja, Sir«, erwiderte ich schnell.
Aaron und Kai schlossen sich den fünf Mythikern an, die im Untergeschoss verschwanden, und ließen mich allein an der Bar zurück. Darius stand inmitten eines Wirbels von Aktivitäten und gab Anweisungen.
»Felix, teile die Nicht-Kampfmythiker in Teams auf, und lass sie jedes Mitglied kontaktieren, das nicht hier ist. Kampfmythiker haben dabei Vorrang. Alle Heiler und Alchemisten sollen sofort herkommen. Lehrlinge sollen in Bereitschaft warten. Jeder, der nicht als Kampfmythiker ausgebildet ist, muss sich in Sicherheit bringen, ohne Ausnahmen. Sorg dafür, dass niemand allein irgendwohin geht. Clara, such dir zwei Assistenten aus, und richte das Erdgeschoss als unsere Kommandozentrale und Notaufnahme ein. Tabitha, hol zusätzliche Laptops aus den oberen Stockwerken, während du darauf wartest, dass die Kampfmythiker ihre Ausrüstung anlegen. Felix, hast du genügend Funkgeräte für fünf oder sechs Teamleiter?«
Felix zog ein Tablet aus seiner Box. »Ich schau mal in meiner Tabelle nach.«
Clara winkte mich zu sich. »Hilf mir, Tori. Du auch, Ramsey.«
Ramsey, der nach dem Alarm aus der Küche aufgetaucht war, wandte sich an den Gildemaster. »Darius, ich bitte um Aufnahme bei den Kampfmythikern. Ich habe nur noch wenige Monate bis zum Abschluss meiner Ausbildung.«
»Gewährt.«
Ramsey nickte und joggte hinüber zur Treppe ins Untergeschoss.
Clara schaute sich um, doch die übrigen Mythiker erhielten gerade Aufträge von Felix. »Also du und ich, Tori. Legen wir los.«
Ich rannte um die Bar herum zu ihr. »Sag mir, was ich tun soll.«
Gemeinsam räumten wir einen Platz in der Mitte des Pubs frei und richteten drei verschiedene Bereiche ein: eine Tischgruppe für Felix’ Helfer, eine Heilerecke mit zwei Tischen und einer Reihe von Stühlen als Grenze, um die Leute fernzuhalten, und eine »Kommandozentrale« aus vier Tischen in einer Reihe, auf die Tabitha drei Laptops stellte.
»Sobald Darius unsere Teamanzahl übermittelt hat«, erklärte Clara atemlos, während wir Ersatzstühle in einer Ecke stapelten, »wird die MPD uns unser Raster zuweisen. Mit den Computern verfolgen wir die Bewegungen und Fortschritte der Teams.«
Ich nickte, als hätte ich das verstanden. In der Ecke, wo Felix’ Helfer saßen, herrschte bereits geschäftiges Treiben – sechs Mythiker telefonierten, Papiere vor sich ausgebreitet, während sie methodisch jedes Gildemitglied kontaktierten. Etwa zwanzig Leute befanden sich im Gebäude, also blieben noch ungefähr dreißig übrig, die sie anrufen mussten. Vermutlich hatten sie alle die SMS-Benachrichtigung erhalten, doch darauf wollte Darius sich nicht verlassen.
Als Clara und ich mit dem Einrichten der Kommandozentrale fertig waren, war bereits ein weiteres halbes Dutzend Mitglieder eingetroffen. Sie wurden sofort entweder zum Umziehen oder zum Mithelfen geschickt. Sanjana, unsere angehende Heilerin, kam zusammen mit einem großen Mann mit tiefbrauner Haut und kahl rasiertem Schädel herein. Miles war muskulös genug für einen Kampfmythiker, doch er war einer der beiden erfahrenen Heiler der Gilde – und außerdem ein bekannter Chirurg. Arcana-Magie erforderte in jedem Fall ein intensives Studium, aber Arcana-Heilung war bei Weitem die anspruchsvollste Disziplin. Viele Heiler absolvierten neben ihrer Ausbildung ein Medizinstudium.
Sanjana und Miles bereiteten gemeinsam mit Venus, einer Alchemistin, die Heilerecke vor, was mir ein flaues Gefühl im Magen bescherte. Sie stellten zwei Tragen zurecht, reihten verschiedene Zaubertränke auf dem Tisch auf und holten einen OP-Wagen. Ja, einen echten OP-Wagen voller chirurgischer Instrumente wie in einer echten Notaufnahme.
Was genau erwarteten sie denn hier?
Die ausgerüsteten Kampfmythiker versammelten sich in der Mitte des Raumes. Aaron und Kai trugen Leder, gepanzerte Westen und Waffen, die zierliche Zora hatte sich ihr riesiges Schwert auf den Rücken und andere Waffenartefakte an die schmalen Arme und Beine geschnallt. Lyndon hatte seinen Gürtel mit Artefakten bestückt, obwohl er normalerweise nicht zu Kampfeinsätzen ging. Darren, der dank eines Zaubertranks wieder nüchtern war, richtete seinen Ledermantel, und Laetitia, unsere Hydromagierin, hatte ein Paar stählerne Schlagstöcke dabei.
Ich ließ den Blick noch einmal über die Gruppe wandern. Wo war Ezra?
Als hätten ihn meine Gedanken herbeigerufen, kam der Aeromagier die Treppe herunter, ließ eine Hand auf dem Geländer liegen und betrachtete seine Kameraden. Seine Miene wirkte ruhig, doch seine Schultern waren angespannt.
»Rowe!«, blaffte Tabitha ihn an. »Warum bist du nicht umgezogen? Beweg dich.«
Darius sah von dem Laptop auf, an dem Felix arbeitete. »Ezra bleibt verletzungsbedingt hier.« Der Gildemaster richtete sich auf und musterte die Nicht-Kampfmythiker. »Ich weiß, dass es schwierig ist, zurückgelassen zu werden, sei es, weil man verletzt oder unerfahren ist oder die falsche Klasse zum Kämpfen hat. Wir alle wollen unser Zuhause, unsere Lieben und die unschuldigen Fremden beschützen, die heute Abend in Gefahr sind. Schützt sie und unsere Kämpfer, indem ihr in Sicherheit bleibt und hier helft.«
Nicken folgte seinen Worten. Ezra kam an meine Seite. Er hatte die Hände in die Taschen gestopft, und sein Blick wirkte gequält. Bevor ich fragen konnte, wann er sich denn verletzt hatte und warum mir niemand was davon erzählt hatte, eilten Aaron und Kai von den Kampfmythikern herüber.
Aaron schlug Ezra auf die Schulter. »Es wird sowieso nur ein langweiliger Marsch durch die Innenstadt.«
Während Ezra eine Antwort murmelte, zog mich Kai am Ellbogen beiseite. »Behalt ihn im Auge, okay?«, flüsterte er mir zu. »Er wird sich Sorgen um uns machen und vielleicht versuchen, sich wegzuschleichen, doch er muss hier in der Gilde bleiben.«
»Ich passe auf ihn auf, aber ich verstehe nicht, warum …«
»Das Suchraster ist online!«, verkündete Darius. »Teams! Tabitha, du leitest das Team mit Weldon, Zhi und Ming. Andrew, du führst das Team mit Zora, Ramsey und Darren. Aaron, zu deinem Team gehören Kai, Gwen und Drew. Sylvia, du bist die Teamleiterin für Laetitia, Lyndon und Philip.«
Moment, Moment. Philip? Gehörte der nicht zu den Hexen? Ich hatte gar nicht gewusst, dass es auch Kampfhexen gab.
»Wenn euer Team noch nicht komplett ist, wartet«, fuhr Darius fort. »Wenn ihr bereit seid, lasst euch von Felix zeigen, wo euer Startpunkt ist. Und vergesst eure Aufkleber nicht.«
Kai drückte meinen Arm. »Zeit zum Aufbruch.«
Ich packte ihn am Handgelenk, ehe er sich abwenden konnte. »Kai …« Meine Stimme brach. Auch wenn ich kaum verstand, was passierte, hätte nur jemand mit einem absoluten Brett vorm Kopf das Ausmaß der Gefahr nicht begriffen. »Seid vorsichtig.«
»Sind wir.« Aaron zog mich für eine kurze Umarmung an seine Seite. »Bevor du dich umguckst, ist es schon vorbei. Halte durch.«
Mit wild klopfendem Herzen beobachtete ich, wie die beiden Magier, die Zauberin Gwen und der Telekinetiker Drew zu Felix hinübergingen. Der Officer deutete auf etwas auf dem Bildschirm und reichte Aaron einen Ohrhörer mit einem Spiralkabel, das der an sein Handy anschloss. Aaron tippte aufs Display, dann steckte er das Telefon in die Brusttasche seiner Weste. Felix klebte jedem Mythiker einen reflektierenden Diamant-Sticker auf die Schulter.
»Denkt daran«, sagte Darius zu ihnen. »Bleibt im Freien. Seid wachsam. Rechnet mit einem Hinterhalt. Beim ersten Anzeichen des Dämons meldet ihr euch und befolgt die Anweisungen!«
Aaron nickte. Kurz darauf waren sie durch die Tür und draußen auf den regnerischen Straßen, wo ein Monster lauerte.
Die letzten Kampfmythiker trafen in aller Eile ein, und ich konnte ihnen lediglich aus dem Weg gehen, während sie ihre Ausrüstung anlegten, ein Team bildeten und ihre Instruktionen und Aufkleber erhielten. Ezra stand neben mir und verströmte deutliche Unzufriedenheit.
Schließlich verschwand das vierte und letzte Team hinaus in den Regen, und sofort sank der Geräuschpegel merklich. Ich rieb mir übers Gesicht und betrachtete die Heiler und Alchemisten, die ruhig in ihrer Ecke warteten, und die Nicht-Kampfmythiker, die an den Tischen saßen und bei Gildemitgliedern anriefen, die sie bisher nicht erreicht hatten.
»Was hat es mit den Aufklebern auf sich?«, murmelte ich. Das war zwar nicht die Frage, die mir am meisten auf den Nägeln brannte, aber was zum Teufel war der Sinn dieser Sticker?
»Sie identifizieren uns als Mythiker«, erklärte Felix. Eigentlich hatte ich Ezra gefragt, doch nicht bemerkt, dass der Gildeofficer auf meiner anderen Seite aufgetaucht war. »Ein Code Black bedeutet, dass die MPD auch die menschlichen Strafverfolgungsbehörden zu Hilfe gerufen hat. Sie sperren Straßen und evakuieren alle Menschen aus dem Gebiet, in dem der Dämon vermutet wird. Die Aufkleber verhindern, dass die Polizei unsere Teams aufhält.«
»Und was bedeutet das Suchraster?«, fragte ich weiter.
»Wir suchen die Gegend systematisch ab. Die MPD hat jeder Gilde einen Abschnitt zugewiesen, basierend auf der Anzahl der jeweiligen Teams.« Er wandte sich an Ezra. »Kannst du uns oben zwei Fernseher holen? Ich brauche größere Bildschirme.«
Ezra nickte und ging zur Treppe.
Felix schaute ihm nach, Mitgefühl flackerte in seinem Blick auf. »Es gibt nichts Schwierigeres, als zurückgelassen zu werden.«
Schritte ertönten, doch es war nicht Ezra mit den Fernsehern. Darius kam die Treppe herunter, und der GM hatte sich verwandelt. Er trug jetzt Lederkleidung, an seinem Gürtel hingen zwei lange Messer mit silbern glänzenden Griffen. Ihm folgte Girard, der mit Zauberei-Artefakten ausgestattet war, und zuletzt Alistair, der einen schweren, mit Runen verzierten Bo-Stab dabeihatte. Seine Lederweste ließ die tätowierten Arme unbedeckt – ihm als Vulkanomagier machten Regen und Kälte vermutlich nichts aus.
»Wir brechen auf«, verkündete Darius. »Felix, du hast das Kommando. Halte mich über alle Entwicklungen auf dem Laufenden.«
»Ja, Sir. Viel Glück.«
Alistair gluckste. »Glück ist was für Anfänger.«
Nachdem sie sich Sticker auf die Schultern geklebt hatten, marschierten sie nach draußen. Die Tür schlug hinter ihnen zu.
»Das ist das furchteinflößendste Team, das ich je gesehen habe«, bemerkte Felix so leise, dass ich es beinahe nicht gehört hätte. »Ich habe Mitleid mit dem Dämon, der versucht, es mit ihnen aufzunehmen.«
Während der nächsten Minuten brachte Ezra zwei Fernseher herunter, und Felix schloss sie an die Laptops an. Auf jedem präsentierte sich ein anderes Bild. Auf einem war eine Karte zu sehen, die ein Quadrat von zwanzig Häuserblocks zeigte. Das Crow and Hammer befand sich am nordöstlichen Rand davon. In der Mitte leuchtete ein großes, rotes X, und ringsherum blinkten Punkte. Rote Quadrate markierten verschiedene Abschnitte, und bei zwei Quadraten hatte sich das Rot in ein kräftiges Grün verwandelt.
»Die Punkte sind Teams aus allen Gilden. Das GPS wird alle paar Sekunden aktualisiert.« Felix nahm am Tisch Platz und setzte sich ein Headset mit Mikrofon auf. Er deutete auf den anderen Bildschirm. »Die grünen Bereiche wurden von einem Team überprüft. Seht ihr das Update?«
Auf dem zweiten Fernseher liefen Meldungen durch wie ein stockender Filmabspann. Die letzten beiden lauteten »OE T2: Raster 6 ist sauber« und »GG T1: Raster 2 ist sauber«.
»OE«, murmelte ich. »Odin’s Eye?«
»GG ist Grand Grimoire. Die sind vermutlich in voller Besetzung unterwegs, da die gesamte Gilde aus Kontraktoren und Champions besteht.«
»Champions?«
»Das sind … Moment.« Felix drückte einen Knopf an seinem Headset. »Verstanden, geht nach Osten zu Raster 11. Over.«
Seine Finger flogen über die Tastatur, und eine Sekunde später erschien »CH T3: Raster 8 sauber« im Update-Feed. Zwanzig Sekunden darauf wurde ein weiteres Feld auf der Karte grün.
Clara kam die Treppe heruntergeeilt, drehte ihre fliegenden Haare zu einem Dutt auf und band ihn mit einem Gummiband zusammen. »Also gut, wir wissen nicht, wie lange das dauern wird. Tori, kannst du Kaffee aufsetzen und Tee kochen? Danach machst du bitte so viele Sandwiches, wie wir Zutaten dafür haben. Ezra, du könntest ihr helfen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sie sich den anderen herumstehenden Mythikern zu und gab weitere Anweisungen – Aufräumen hier, Einrichten da. Felix saß an der Kommandostation und betreute das Headset und die Laptops.