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Wovor fürchtet sie sich mehr? Vor ihrem Drachen, der ihr vorherbestimmt ist? Oder vor dem Mann, der ihr Seelengefährte sein soll? Eigentlich will Linnea nur in Ruhe als Dorfheilerin leben. Stattdessen wird sie an den Drachenhort gerufen, weil sie die wiedergeborene ASRAI sein soll. Leider weiß sie nichts mehr von ihren vergangenen Leben. Weder erinnert sie sich an Manila, den mächtigsten Drachen aller Zeiten, noch an den Mann, den sie einst unendlich liebte. Der hingegen weiß noch jedes Detail und setzt alles daran, seine frühere Seelengefährtin zurückzugewinnen. Doch Linnea ist nicht Elaja und will um ihrer selbst willen geliebt werden. Bis sie entdeckt, dass ihr Seelengefährte ein tödliches Geheimnis verbirgt. "Ein phantastisches Lesevergnügen für alle Fans von Fourth Wing und Iron Flame" - Christian Handel Die Asrai-Reihe von Fantasy Beststeller Autorin Liane Mars Band 1: Asrai - Das Portal der Drachen Band 2: Asrai - Die Magie der Drachen Band 3: Asrai - Das Herz der Drachen
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Seitenzahl: 627
Copyright © dieser Ausgabe 2024 by
Drachenmond Verlag GmbH
Auf der Weide 6
50354 Hürth
https://www.drachenmond.de
E-Mail: [email protected]
Lektorat: Michaela Retetzki
Korrektorat: Lillith Korn
Layout Ebook: Stephan Bellem
Umschlag- und Farbschnittdesign: Alexander Kopainski
www.kopainski.com
Bildmaterial: Shutterstock
Karte: Liane Mars
ISBN 978-3-95991-537-3
Alle Rechte vorbehalten
Die ASRAI-Reihe:
Band 1: Asrai – Das Portal der Drachen
Band 2: Asrai – Die Magie der Drachen
Band 3: Asrai – Das Herz der Drachen
Landkarten
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Epilog
Ein Jahr später
Danksagung
Namensverzeichnis
Drachenpost
Für alle Träumer,
die fest an ein Happy End glauben.
Hier wird der Hüftgurt eingeklinkt und an der Stelle die Oberschenkelsicherung. Warte. Nicht da.«
Meine Hände zitterten, während ich mich bemühte, die Anweisungen des Shetai zu befolgen. Ruhig bleiben, dachte ich dabei in einer endlosen Litanei. Du bist ganz lässig. Total entspannt. Alles ist in Ordnung. Alles wird gut. Du schaffst das!
Aber nichts war gut, denn ich war hoffnungslos überfordert und ehrlich gesagt von lässig ganz weit entfernt. Stattdessen näherte ich mich einer ausgewachsenen Panikattacke.
Kein Wunder. Immerhin war eine lebende Legende zu mir ins Haus geplatzt, um mir zu erklären, dass ich selbst eine wiedergeborene lebende Legende sein sollte. Das allein war bereits durchdreh-würdig, dicht gefolgt von der Information, dass ich zur Drachenreiterin ausgebildet werden sollte.
Ich. Die Dorfheilerin eines so kleinen Örtchens, dass es noch nicht einmal einen richtigen Namen trug.
Ich sollte Drachenreiterin werden?
Unfassbar.
Und als wäre das nicht alles schon schlimm genug, hatte mich besagte lebende Legende, im Übrigen niemand anderes als der Drachenfürst persönlich, so schnell auf den Rücken seines schwarzen Drachens befördert, dass ich kaum Zeit für Schnappatmung gehabt hatte.
Seitdem saß ich hier und sollte mich anschnallen. Bloß gaben mir die vielen Schnüre und Ösen ungefähr genauso viele Rätsel auf wie meiner kleinen Schwester die höheren Geheimnisse der Mathematik. Ich hatte keine Ahnung, was wohin sollte. Dass meine Finger zitterten, war natürlich auch nicht hilfreich für eine höhere Trefferquote.
Als ich auch beim zweiten Versuch die falsche Schnalle erwischte, gab ich auf. »Könnt Ihr das nicht machen?«, fragte ich erschöpft und sah in das Gesicht des Mannes, der vermutlich sämtliche Mädchenträume dieser Welt beherrschte. Inklusive meine.
Ihn heimlich im Kopf anzuschmachten, war jedoch etwas klitzeklein anderes, als sich leibhaftig mit ihm zu unterhalten. Normalerweise war ich total unempfänglich für männliches Testosteron oder attraktiv geformte Männerkörper. Dieser Kerl hingegen … der war eine Nummer für sich.
Er brachte mein Blut in Wallung, meine Knie zum Wackeln und mein Hirn zum Schmelzen. Etwas, das mir sonst nie passierte. Und wirklich, ohne Übertreibung: nie!
Der Drachenfürst war nun einmal weltberühmt – und ausgerechnet der bemühte sich redlich, mich zu sichern und mir gleichzeitig nicht allzu nahe zu kommen.
Wer wäre angesichts dieser Tatsache nicht durchgedreht?
Der Drache machte es auch nicht viel besser, da er sich immer wieder den Hals verrenkte, um zu sehen, was wir da trieben. Dadurch wurde ich ordentlich durchgerüttelt und ich hielt mich ausgerechnet krampfhaft an den Seilen fest, die ich eigentlich einhaken sollte.
Tief durchatmen, dachte ich erneut. Und nicht runtergucken! Verdammte Axt, war der Boden weit entfernt!
Dabei hatte ich mir bislang eingebildet, keine Höhenangst zu haben. So konnte man sich irren. Wobei … vielleicht hatte ich auch eher Angst vor dem Drachen unter mir als davor, hier runterzupurzeln. Generell bestand ich im Moment aus purer Angst. Die Informationen, die mir der Drachenfürst mal so eben innerhalb von fünf Minuten an den Kopf geworfen hatte, hätten bestimmt selbst eine hartgesottene Spezialkämpferin erschüttert.
Ich sollte die wiedergeborene Asrai sein. Jene Frau, die vor dreihundert Jahren diese Welt, die Welt der roten Drachen und ihr Volk aus Marani gerettet hatte. Die Asrai. Mit dem weißen Drachen. Kriegerin, Heldin, mächtige Magierin und Seelenverwandte des Shetai.
Wie, bei allen Schafhirten dieser Welt, sollte ich zu so etwas werden? Ich, die bislang nicht mal in der Hauptstadt gewesen war. Eigentlich hatte ich nur ein einziges Mal unser kleines Dorf verlassen, um eine Hochzeit zu besuchen. An mir war nichts legendär.
Und doch saß ich auf einem schwarzen Drachen und sah zu, wie der Shetai schweigend sämtliche Verschlüsse löste und alles neu sortierte. Dabei berührte er mich natürlich. Am Oberschenkel. An der Hüfte. An den Knien.
»Ich bringe dir das später in Ruhe bei«, verkündete er im Anschluss mit dieser Stimme, die mein Herz ein wenig schneller schlagen ließ. Vermutlich lag es daran, dass sie verdammt anziehend auf mich wirkte. Noch wahrscheinlicher war jedoch, dass ich mich irgendwie an sie erinnerte.
Allein die Überlegung sorgte für einen halben Herzinfarkt.
Ich wollte keine Legende sein, die ständig starb und wiedergeboren wurde. Heroisches Dahinscheiden klang in meinen Ohren nicht verlockend. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ein sehr langes, ausgesprochen langweiliges und zufriedenes, behütetes Leben zu führen.
So wie es aussah, konnte ich mir das allerdings abschminken.
Der Fürst zog sich mit einer bemerkenswert eleganten Bewegung hinter mich auf den Rücken seines Drachen. Die Wärme seines Körpers sorgte für ein Kribbeln in meinem Nacken. Als er dann auch noch näher rückte, um sich ebenfalls anzuschnallen, und mich dabei immer mal wieder berührte, stieg mir zusätzlich die Hitze in die Wangen.
Die Asrai und der Shetai. Das Liebespaar schlechthin. Was erwartete der Mann von mir? Was …
»Wohin bringt Ihr meine Tochter?« Das hysterische Geschrei meiner Mutter zerriss meine noch sehr viel hysterischeren Gedanken.
Von meiner erhöhten Position aus wirkte Mama seltsam klein, beinahe verloren. Das hielt sie aber nicht davon ab, ganz nahe an den Drachen zu treten, sodass sie sogar den Kopf in den Nacken legen musste, um zu uns hochzusehen. »Linnea! Was geschieht hier?«
Auch Vater stand neben ihr. Dahinter reihten sich fünf meiner Geschwister. Die zwei kleinsten wirkten aufgeregt, die älteren beunruhigt und aufgebracht. Wie immer, wenn sie vollzählig versammelt waren, vermisste ich sofort meine beiden ältesten Brüder, denn sie waren wie so viele vor zwölf Jahren umgekommen. Wenigstens war mir Mama geblieben, wobei ich mich fragte, ob sie den heutigen Tag überlebte. Die sah nämlich viel zu kämpferisch aus. Angesichts der Tatsache, dass sie sich gerade mit einem Drachen und einem Drachenfürsten anlegte, vermutlich keine gute Kombination. Eins war jedoch sicher: So schnell würde sie mich nicht ziehen lassen. Niemals!
Als ich in das aufgebrachte Gesicht meiner Mutter blickte, wurde mir erst richtig bewusst, was gerade mit mir geschah. Da war ein fremder Mann zu uns gekommen, um mich mitzunehmen. Mit in ein anderes Leben. Er hatte mir keine Sekunde Zeit gelassen, mich zu verabschieden.
Ich wusste nicht mal, wann wir uns wiedersehen würden. Oder … ob.
Mir brach der kalte Schweiß aus, woraufhin ich mich zu dem Mann hinter mir herumzudrehen versuchte. Vergebens. Er hatte mich so ordentlich verschnürt, dass ich mich kaum bewegen konnte.
»Deiner Tochter wird nichts geschehen«, rief der Shetai in der Sekunde meiner Mutter zu.
»Und was wollt Ihr von ihr?« So leicht ließ sich Mama nicht abspeisen.
»Sie wird Drachenreiterin.«
Das brachte Mama einen kurzen Moment zum Verstummen, allerdings durchblickte sie sofort die Zusammenhänge. Dass der Shetai persönlich eine Drachenreiterschülerin aus einem abgelegenen Bergdorf abholte, erschien ihr vermutlich zu seltsam. Seit Wochen hielten sich hartnäckig die Gerüchte, dass unser Drachenfürst seine Seelenpartnerin gefunden habe und sie bald zu sich holen würde. Unterstrichen wurde das von jeder Menge Aktivitäten der Drachenreiter. So oft waren sie noch nie über unser Dorf hinweggeflogen.
Mama erbleichte, als sie eins und eins zusammenzählte. »Ihr wollt nicht behaupten, dass meine sanfte Linnea die Asrai sein soll?«, empörte sie sich.
»Es ist bislang unbewiesen, doch die Möglichkeit besteht«, wich der Shetai aus und richtete sich gleichzeitig auf, sodass auch durch den schwarzen Drachen ein Ruck ging. Seitlich traten weitere Drachen an uns heran. Zwei grüne und ein blau-grüner. Sie sortierten sich hinter uns. Offenbar die Rückendeckung. Der rote Drache namens Shyla, der ebenfalls zum Shetai gehörte und nur nicht geritten wurde, positionierte sich rechts, während meine Familie mitsamt dem Rest des Dorfes links von uns Aufstellung genommen hatte.
Meine Mutter bekam die Aufbruchstimmung der Drachen natürlich mit, nur interessierte sie das nicht. Stattdessen trat sie dem Drachen des Fürsten entschlossen in den Weg.
»Sie ist nicht die Asrai«, stellte sie klar. »Lasst sie hier bei uns. Sie ist unsere Dorfheilerin. Keine Drachenreiterin.«
»Mama«, ermahnte ich sie sanft. Meinen Eltern gegenüber hatte ich nie verlauten lassen, dass ich mich insgeheim zu den mächtigen Geschöpfen am Himmel hingezogen fühlte. Meine Familie hatte eine ausgesprochen schwere Zeit hinter sich und brauchte mich. Wie hätte ich da eine Ausbildung zur Drachenreiterin anstreben können? Also hatte ich meine Wünsche verheimlicht. Jetzt rächte sich das.
»Mir wird nichts geschehen«, setzte ich hinzu, als ich das wilde Funkeln in den Augen meiner Mama erblickte. »Der Shetai passt gut auf mich auf. Das hat er mir versprochen.«
»So gut wie vor dreihundert Jahren?«, giftete Mama zurück. »Soviel ich weiß, ist die Asrai jung gestorben, während er steinalt geworden ist.«
Ach herrje. Mama trug die Wahrheit wie immer auf der Zunge.
»Das wird diesmal anders laufen«, versprach der Drachenfürst mit so finsterer Stimme, dass aus der Hitze in meinem Nacken ein Kälteschauer wurde. Mama war zu weit gegangen. Ich spürte es an der steifen Haltung des Drachen und an den fest zur Faust geballten Fingern des Mannes hinter mir. »Im Moment ist jedoch Eile geboten. Die Asrai wird gebraucht und wir haben keine Zeit, um alles in Ruhe zu organisieren. Normalerweise wäre ich behutsamer vorgegangen, doch leider überschlagen sich die Ereignisse. Ich muss sie mitnehmen. Bitte verzeiht.«
Erst jetzt bemerkte ich, dass er mich quasi umarmte, ohne mich zu berühren. Seine Hände schwebten seltsam nahe an meinen Oberschenkeln, als würde er noch überlegen, wohin sie gehörten.
Als der Drache einen Schritt nach vorn trat, wich Mama zum Glück zurück. »Linnea!«, brüllte sie zu mir hoch. »Die können dich zu nichts zwingen. Ich werde Beschwerde einlegen und denen die Hölle heiß machen. Wir haben Rechte. Wir …«
»Mama! Ich komme zurück, sobald ich das geklärt habe. Vermutlich ist das alles ein Missverständnis. Ich melde mich. Versprochen«, unterbrach ich sie rasch. »Pass auf Koja auf. Ihr Kind kommt bald und liegt vermutlich wieder in Steißlage. Hol die alte Hebamme bei der ersten Wehe aus dem Nachbardorf. Und wechsle die Verbände beim alten Bäckersmann. Du schaffst das. Genau wie ich!«
Was immer Mama daraufhin zurückschrie, hörte ich nicht mehr. Der Drache breitete die Flügel aus und rannte los, nutzte die kurze Länge der Schafswiese, um Schwung zu holen. Ein einziges Mal schlug er mit den mächtigen Schwingen – schon hoben wir ab.
Ich krallte mich instinktiv am Halteriemen fest und erwischte dabei den muskulösen Arm des Shetai. Wann hatte der denn meine Taille umschlungen? Und was machte er mit der Hand auf der Drachenschuppe?
»Beruhig dich. Fliegen ist schön. Das wirst du gleich feststellen«, sagte er über das Rauschen des heftiger werdenden Windes hinweg in mein Ohr.
Das Fliegen war nicht das Problem. Die Nähe des Mannes hinter mir hingegen schon.
Ich schluckte meine Unsicherheit herunter. Stattdessen sah ich nach links und beobachtete die Schwingen bei ihrem auf und ab. Die schwarze Membran funkelte geheimnisvoll. Unter mir spürte ich die mächtigen Muskeln arbeiten. Der Drache hatte ordentlich zu tun, um uns beide tragen zu können. Als hätte er meine Gedanken vernommen, hörte er damit auf und wir … segelten.
Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich wirklich flog. Auf einem Drachen. Hoch über der Landschaft.
Mein Dorf wurde kleiner und kleiner, verschwamm zu einem Punkt aus schlammroten Dächern. Einzig die Dorfwiese stach mit ihrem Grün hervor. Umrahmt war all das von dichten Wäldern, die sich auf den äußersten Felsmassiven des Kolossgebirges festklammerten. Die einzelnen Bäume erkannte ich schon lange nicht mehr. Stattdessen lag unter mir ein Flickenteppich aus grünen und braunen Blättern und Zweigen, dazwischen riesige Felsen und Abhänge. Eine unwirtliche, steinige Gegend.
»Nicht erschrecken. Wir ziehen hier unsere Kreise, bis alle Reitereien da sind. In der Zwischenzeit nutzen wir die Aufwinde, um kräftesparend an Höhe zu gewinnen. Auf die Weise können wir bis zu unserem Ziel gemütlich segeln«, erklärte mir der Shetai. Sobald ich einen leichten Schlag unter die rechte Schwinge des Drachen spürte, legte der sich steil in die Kurve. Mein Magen sackte kurz weg und machte einen Satz, als wir zeitgleich nach oben katapultiert wurden.
Der Schreckmoment wandelte sich in pure Freude und ich jauchzte. Was für ein Gefühl.
»Die Aufwindhose ist recht schmal. Makon wird steil reingehen. Los geht’s«, warnte mich der Fürst vor.
Der Drache korrigierte seine Position und legte sich voll in die Kurve. In engen Kreisen stiegen wir höher und höher. Ich hatte das Manöver schon oft bei Adlern gesehen, die sich mit den Aufwinden ohne Flügelschlag nach oben schraubten. Dass Drachen das auch taten, war mir neu.
Ich würde viel lernen müssen, wenn ich wirklich eine Drachenreiterin werden wollte.
Ein weiterer Schlag unter den Flügel. Zeitgleich ging es noch schneller nach oben und ich konnte ein begeistertes Quieken nicht unterdrücken. Einen Moment vergaß ich meine Scheu gegenüber dem Shetai. Ohne nachzudenken, streckte ich die Arme rechts und links aus, legte den Kopf in den Nacken und kreischte meine Begeisterung in die Welt hinaus. »Ich fliege«, jauchzte ich voller Euphorie. »Das ist der absolute Superwahnsinn!«
Das warme Lachen des Shetai verursachte ein Kribbeln in meinem Bauch, vor allem, weil er zeitgleich seine Arme fester um mich legte, um mich zu sichern. »Ich wusste, dass du begeistert sein wirst.«
»Begeistert? Ich liebe es«, rief ich und drehte meinen Kopf, um halb nach hinten linsen zu können. Durch die Bewegungen des Drachen waren wir gegeneinander gerutscht, sodass mein Rücken sich nun vollkommen an den kräftigen Oberkörper des Shetai schmiegte. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, wobei ich nicht allzu viel erkennen konnte. Sein Lächeln sah ich aber durchaus.
»Warte erst mal das Gefühl ab, wenn du alleine mit Manila fliegen darfst«, antwortete er und versetzte mir mit diesem einen Satz einen kräftigen Dämpfer.
Manila. Der stachelbewehrte Kriegsdrache war bis heute der Inbegriff dafür, wie mächtig und gefährlich Drachen sein konnten. Und das sollte meiner sein?
Der Mann hinter mir spürte meine veränderte Stimmung und reagierte darauf. Ganz kurz berührte er meine Hand mit seinen Fingern. »Ich lotse dich durch alles und bleibe dicht an deiner Seite. Keine Angst. Wir schaffen das zusammen.«
Bloß gruselte mich der Gedanke an meinen potenziellen Monsterdrachen ungefähr genauso wie die Vorstellung, dass mich der legendäre Shetai als seine Seelengefährtin erwählt hatte.
Eine entsprechende Bemerkung schluckte ich lieber herunter und konzentrierte mich auf meine Umgebung. Dadurch erhaschte ich einen Blick auf den roten Drachen, der ein winziges Stückchen unter uns seine Kreise zog. Noch ein wenig weiter Richtung Boden flog der Rest des Geschwaders.
»Vorsicht. Shyla will Makon überholen und der wird sie deswegen rüffeln. Das könnte ruckeln.«
Wie aufs Stichwort ertönte ein Grollen aus der Tiefe von Makons Brustkorb. Das hielt Shyla jedoch nicht davon ab, wie ein Blitz an ihm vorbeizuzischen und dabei eine vergnügte Umdrehung zu vollführen. Der schwarze Drachenbulle schnappte nach dem etwas kleineren und dennoch ausgesprochen beeindruckenden Weibchen, doch das ignorierte auch diese Drohgebärde. Kaum hatte Shyla uns vollständig passiert, breitete sie die Schwingen aus und warf sich in den Aufwind. Da sie ohne zwei Reiter auf dem Rücken wesentlich leichter war, gewann sie deutlich schneller an Höhe und vervierfachte den Abstand zwischen uns sekundenschnell.
Der Shetai seufzte hinter mir auf. »Ich weiß, Makon. Beruhig dich. Ich erkläre ihr heute Abend noch mal die Benimmregeln in einem Bart. Für jetzt ist es zu spät.«
Im ersten Moment dachte ich, er würde mit mir reden. Dann begriff ich, dass er sich gedanklich mit seinem Drachen unterhielt und seine Worte lediglich für mich laut ausgesprochen hatte, damit ich mithören konnte. Erneut verdrehte ich mir den Hals, um ihn ansehen zu können.
»Ein Bart?«
»So heißt die warme Lufthose, in der wir uns momentan befinden. Stell sie dir wie ein Tau mit einem Loch darin vor. Wir bewegen uns am äußeren Rand nach oben in den Himmel. Das Drehen nennt man ›kurbeln‹. Keine Sorge. Die Fachsprache lernst du schnell. Seitdem die Heimatpforten geschlossen sind, brauchen die Drachen derartige Techniken, um die weiten Strecken zwischen den Horten hinter sich bringen zu können.«
Wieso nur hatte ich den Eindruck, dass er mich mit dem letzten Satz testen wollte? Den Begriff Heimatpforte hatte ich vor Urzeiten mal in einer Unterrichtsstunde gelernt, doch erinnerte ich mich kaum daran. Damals hatte es mit meinen eigenen Lebensumständen so gut wie nichts zu tun gehabt. Was interessierte mich ein Problem, das vor dreihundert Jahren bei den Drachenreitern aufgetaucht war? Jetzt hingegen wurde mir bewusst, dass ich besser aufgepasst hätte.
Bevor ich jedoch nachfragen konnte, zeigte der Shetai nach rechts. »Die erste Reiterei stößt zu uns. Nicht wundern. Sie haben ebenfalls einen schwarzen Drachen mit dabei, nur ist der arme Kerl in Wirklichkeit ein angemalter grüner Drache. Er hat es gehasst, sich anpinseln zu lassen.«
Mit zusammengekniffenen Augen suchte ich die auf uns zufliegende Reiterei nach dem angekündigten Drachen ab. Als ich ihn entdeckte, blinzelte ich verwirrt. »Aber … warum habt ihr das getan?«
»Das erkläre ich dir, sobald wir Riata und damit die Sicherheit des Hortes erreicht haben. Wichtig ist nur, dass du gleich mit den anderen angeblichen Asrai in einem Pulk mitgehst. Eine Frau mit einem strengen Dutt und einem Klemmbrett wird dir zunicken und dich unauffällig auffordern, mit ihr zu kommen. Du musst dich absondern, ohne dass das jemand merkt. Bekommst du das hin?«
Mein Herz schlug schneller, als ich seine so nachdrücklich hervorgebrachten Worte direkt an meinem rechten Ohr vernahm. Er klang viel ernster als bisher. Als würde es um meine Sicherheit gehen. Als wäre ich in Gefahr.
»Natürlich«, brachte ich mühsam hervor und hätte womöglich noch eine Frage hinterhergeschossen, doch da sah ich ihn.
Den Vulkankrater des Kolossgebirges. Den Horror meines Lebens.
Wie ein Gigant ragte der Berg vor mir in die Höhe. Seine Spitze berührte einige Wolkenfelder, die sich um ihn herum legten. Nach Süden hin wirkte alles so friedlich. Beinahe absurd schön. Nur gen Westen hin gewährte er den Blick auf meinen schlimmsten Albtraum.
Hier war der Krater zur Hälfte weggesprengt worden. Schwarze, dunkle Stränge, die sich wie gefräßige Würmer in die Umgebung schlängelten, begannen dort und wanden sich bis weit ins Landesinnere. Lava, die mittlerweile längst erkaltet war. Im Umkreis von mehreren Kilometern hatte sie alles unter sich begraben. Wälder, Wiesen, Dörfer, Tiere und Menschen. Die Königreiche Yorinston und Xentis hatten beinahe ein Viertel ihrer Ländereien an die tödlichen Lavaströme verloren. Damals. Vor zwölf Jahren. Die Asche hatte sich wie ein Grabtuch über die Umgebung gelegt. Die südlicher gelegenen Länder Arlynn und Norlin waren relativ glimpflich davongekommen. Zwar hatten bei ihnen riesige Gesteinsbrocken ganze Schneisen geschlagen, doch der Wind hatte die Asche nach Norden getrieben. Weil der nord-westliche Teil des Vulkankraters weggesprengt worden war, verlief dort auch die tödliche Lavaschneise.
Der Drachenhort Riata, obwohl direkt am Vulkan gelegen, war wie durch ein Wunder beinahe unversehrt geblieben. Auf den fiel nun mein Blick. Ein riesiges Monument im Felsen, mit Höhlen, Steinbauten und aus Lehm erbauten Häusern. Es thronte auf einem Felsvorsprung am Kolossgebirge. Unser Ziel. Meine neue Heimat. Sie lag noch näher am Vulkankrater als mein Dorf.
Das folgende Schaudern ging mir durch sämtliche Gliedmaßen, was dem Fürsten natürlich nicht entging.
»Wir müssen dir einen Kälteschutz besorgen«, murmelte er und zog mich etwas dichter an sich, sorgte mit seinem Körper für ein wenig Schutz vor dem eisigen Wind in luftiger Höhe.
Ich sparte mir die Erklärung, dass mein Frösteln keineswegs mit der Temperatur, sondern mit dem Anblick zusammenhing. Der Ausbruch des Vulkans war für viele eine Zeitenwende gewesen. Ein Trauma, das sich in die Köpfe der Menschen eingegraben hatte. Meine Mutter hatte ursprünglich so weit wie möglich vom Vulkan wegziehen wollen, nur war das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Zu viele Flüchtlinge, die alle in dieselbe Richtung strebten: Weg aus Yorinston, rüber nach Arlynn. Das damalige Königspaar des Landes hatte schließlich den Zug der Menschenmasse mit Gewalt gestoppt und sie entweder zur Umkehr oder zum Siedeln in die Nähe von Zamm bewegt. So waren wir in dem Bergdorf gelandet.
Viel zu nahe am Vulkan. Viel zu nahe an der Gefahr.
Zwei weitere Reitereien stießen zu uns und rissen mich aus meiner düsteren Vergangenheit. Auch sie hatten jeweils einen schwarzen Drachen mit dabei. Einer davon wirkte mittlerweile eher grau, denn die Farbe blätterte ab. Schließlich gesellte sich die letzte zu uns und der Shetai gab den Befehl, den Aufwind zu verlassen und zum Haupthort der Drachenreiter zu segeln.
Es wäre ein wunderschöner, entspannter Flug gewesen, wenn ich durch die Blickrichtung nicht ständig zum Vulkankrater hätte hinsehen müssen. Wir befanden uns so weit oben, dass ich problemlos bis weit über Yorinston blicken konnte. Der Bergrücken, der das Land von Xentis trennte, war durch die Wucht der Detonation zum Teil eingestürzt, sodass der Blick ungehindert schweifen konnte.
Schwarze Erde. Verbrannte Böden. Verendete Bäume. Erkaltete Lava.
»Die Reitereien nehmen uns und die anderen schwarzen Drachen in die Mitte, um zu landen. Wir müssen zügig ins Gebäude gehen, daher schnall ich dich ab, sobald wir unten sind. Der Landeanflug wird recht unangenehm. Bereit?«
Ich nickte, dankbar für die Ablenkung. Gleich darauf sackte mein Magen ab, als das Magiewesen tiefer ging. Es sah so leicht aus, wie sich die gesamte Formation erst auflöste und dann neu sortierte. Die schwarzen Drachen flogen nun dicht gestaffelt über und nebeneinander, die anderen drum herum, bis sie sich schließlich zu einer Art Perlenschnur aufreihten, sodass sie hintereinander landen konnten.
Viel von Riata bekam ich zunächst nicht mit, denn dazu war ich zu aufgeregt und die Eindrücke zu gewaltig. Es gab eine lange Landebahn für die größeren Geschwader, an deren Stirnfront sich die Gebäude anschlossen. Einige waren direkt mit den Felsen verbunden, andere standen frei. Nur zu gerne hätte ich mir die Architektur genauer angesehen, doch das musste warten. Makon setzte in der Sekunde butterweich auf dem Boden auf und stapfte einem zweiten schwarzen Drachen hinterher, der auf das größte der imposanten Bauwerke zuhielt.
Dabei blieb mein Blick an einem gewaltigen schneeweißen Monument aus Stein hängen. Eine Frau auf einem Drachen. Sie wirkte sanftmütig und freundlich, während das Magiewesen nur aus Stacheln und tödlichen Zähnen zu bestehen schien.
Eine Gänsehaut kroch mir über die Haut, während ich die Statue musterte. Ohne es erklärt zu bekommen, wusste ich sofort, wen oder was ich da sah.
Die Asrai.
Dem Shetai schien meine Blickrichtung nicht entgangen zu sein, denn er seufzte leise. »Manila und Elaja. Ich habe die Skulptur vor dreihundert Jahren errichten lassen, damit niemand ihre Heldentaten vergisst. Sie haben die Welt der roten Drachen vor dem Untergang bewahrt, das Volk aus Marani gerettet und dafür ihre Leben geopfert. Trotz meiner Bemühungen gerieten sie in den Hintergrund, da ich achtzig Jahre lang Zeit hatte, mein Vermächtnis auszubauen. Ich wünschte, die beiden hätten den Ruhm bekommen, den sie verdient haben.«
Instinktiv spürte ich, dass der Fürst damit noch mehr meinte, als er jetzt aussprach, allerdings kam ich zu keiner Rückfrage. Er ließ mich abrupt los und ich hörte das Klicken von Halteriemen. Zunächst schnallte er sich ab, im Anschluss griff er an mir vorbei, um meine Verschlüsse zu lösen. Die meisten hatte ich bereits selbst geöffnet, während ich von den Bewegungen des dahinschreitenden Drachen geschaukelt wurde.
»Wir treffen uns gleich in meinen Räumlichkeiten zu einer Besprechung. Fay bringt dich hin. Das ist die junge Frau mit dem strengen Dutt und dem Klemmbrett. Du wirst sie gut erkennen. Ihr selbst habe ich genau beschrieben, wie du aussiehst. Sie weiß, was du für Kleidung trägst, und wird dich problemlos identifizieren können.«
Unwillkürlich fragte ich mich, wie er in der kurzen Zeit die Information an die ominöse Fay hatte weitergeben können, da hatte er mich bereits weitergeschoben und ich vergaß meine Verwunderung. Wie schon in der Luft versammelten sich die grünen, blauen und roten Drachen rund um die schwarzen. Kurz darauf blieben sie stehen und eine seltsame Ruhe senkte sich über alle. Jetzt erhaschte ich Blicke auf die anderen jungen Frauen, die angeblich die Asrai sein sollten. Sie sahen mir erstaunlich ähnlich. Blond mit langen Haaren. Eher schlank. Recht hoch gewachsen.
Und wir alle waren aufgewühlt und völlig überfordert.
Der erste Reiter half seiner Mitreiterin vom Drachen und auch der Shetai rutschte an der Seite auf den Boden. Anschließend hob er auffordernd die Arme, damit ich ihm das Manöver nachmachte.
Bevor ich das tat, atmete ich tief durch und legte dann meine Hand auf eine der warmen Schuppen. »Danke für den schönen Flug«, sagte ich leise und erntete ein freundliches Brummen. Dass Drachen den Menschen verstanden, fand ich noch immer unheimlich. Sie waren keine Tiere, sondern Magiewesen. Das durfte ich nie vergessen.
Ein weiteres Mal sammelte ich mich, dann rutschte ich tapfer an Makons Seite nach unten und landete sicher in den starken Armen des Fürsten. Dass mein Rücken bei der Landung mit dumpfen Pochen und einem scharfen Schmerz reagierte, verbarg ich hastig vor der Welt. Meine alten Verletzungen behinderten mich normalerweise nicht mehr allzu schlimm, allerdings befand ich mich nun in einer ganz anderen Welt mit neuen Herausforderungen. Unter anderem ein Mann, den ich noch immer nicht so recht einordnen konnte.
Der Shetai hielt mich für den Bruchteil einer Sekunde etwas zu lange an sich gedrückt, ehe er mich freigab und einen großen Schritt zurücktrat. Zum ersten Mal seit Beginn des Fluges wirkte er wieder so aufgewühlt wie bei unserem Zusammentreffen in meinem Elternhaus. Sein Blick flackerte kurz, als er mich von oben bis unten musterte. Sobald er bemerkte, dass ich seinen prüfenden Blick durchaus mitbekommen hatte, rang er sich ein müdes Lächeln ab.
»Wird schon werden«, sagte er und winkte, ehe er sich abrupt abwandte und sich einer Reihe Drachenreiter anschloss, die sich prompt um ihn herum versammelte. Mit einem letzten Nicken verschwand er aus meinem Sichtfeld und ließ mich zurück.
Auf Riata. Auf einem Drachenhort.
Hilfe!
»Meine Damen. Wenn ihr mir bitte folgen würdet«, mischte sich eine Frauenstimme in meine Gedanken. Eine junge Drachenreiterin zeigte mit dem Finger in Richtung des Hauptgebäudes. »Bitte lasst uns zügig hineingehen. Dort erfahrt ihr alles weitere.« Sie ging voraus und wir folgten ihr in einer dichten Traube. Insgesamt waren wir sechs angebliche Asrai. Für einen winzigen Moment erfüllte mich die wahnsinnige Hoffnung, dass vielleicht eine der anderen die richtige Auserwählte war und sich der Fürst geirrt hatte.
Aber nein. Tief in mir drin wusste ich absolut sicher, dass ich mir da nur was vormachte. Ich hatte auf dem Drachen des echten Shetai gesessen. Irrtum ausgeschlossen. Seine Magie war deutlich spürbar gewesen, genau wie seine gesamte Aura. So viel Macht. So viel Ausstrahlung. Da gab es keinen Zweifel. Und so wie er mich angesehen hatte, war zumindest er sich absolut sicher, dass ich die Asrai war.
Wir kamen in einer weiträumigen Halle an, von der verschiedene Gänge abführten. Eine langgezogene Treppe wand sich nach oben. »Das Haupthaus des Hortes. Im Erdgeschoss befinden sich die Essensbereiche der Drachenreiter, darunter die Küchen und die Vorratsräume. Im ersten Stock gibt es Besprechungs- und Unterrichtsräumlichkeiten. Den Flur runter würden wir zu den privaten Gemächern der Führungselite gelangen. Die Drachenreiteranwärter leben im zweiten Gebäude direkt hier hinter. Wenn ihr mir bitte folgen würdet.« Die Drachenreiterin erzählte noch weitere Details, die ich jedoch überhörte, da ich in dieser Sekunde die besagte junge Frau mit dem Dutt bemerkte. Sie hatte tatsächlich ein überdimensionales Klemmbrett dabei und erspähte mich eine Sekunde später. Die Frau namens Fay.
Vollkommen unauffällig setzte sie sich hinter mich, und ich ließ mich etwas zurückfallen, um an ihre Seite zu kommen. Wie nebenbei legte sie ihre Hand auf meinen Rücken und als die Drachenreiterin gerade ausschweifend die Architektur der Halle beschrieb und damit die Aufmerksamkeit der anderen Auserwählten nach rechts lenkte, huschten wir nach links in einen Gang hinein. Dort öffnete meine Begleiterin die erste Tür, die uns in einen weiteren Flur führte, der an einem Treppenaufgang endete. Mittlerweile lief Fay vor mir her und rannte mehr oder weniger die Stufen hinauf. Als ich zu gemächlich folgte, winkte sie mir hektisch.
»Rasch. Die Führungselite wartet bereits auf Euch.«
Auf mich? Meine Schritte wurden statt schneller eher langsamer, während ich mich um innere Gelassenheit bemühte. Was gerade mit mir geschah, fühlte sich surreal und verrückt an. Wie ein Traum, der immer seltsamer und schräger wurde.
Oben angelangt blieb ich kurz stehen, um meine Umgebung zu mustern. Statt grauem Stein lag hier ein dunkelroter Teppich, der den kalten Gang etwas wärmer gestaltete. Bilder hingen an den weiß getünchten Wänden. Sie zeigten Drachen in den verschiedensten Farben und Posen.
Meine Begleiterin war an der zweiten Tür stehen geblieben. Sie erschien mir breiter als die anderen. Zweiflügelig mit geschwungenen Klinken. Auffordernd sah sie mich an. »Bereit?«, fragte sie mich überflüssigerweise und öffnete die Tür, ehe ich antworten konnte. Offenbar legte sie auf meine Meinung ohnehin keinen Wert.
Ich folgte ihr notgedrungen und stoppte, kaum dass ich über die Schwelle getreten war. Das Zimmer, in dem ich mich befand, war wunderschön eingerichtet. Edel und geschmackvoll zugleich. Eindeutig ein Wohnraum, denn ich entdeckte mehrere Polstermöbel, die um einen gigantischen Kamin herum gruppiert worden waren. Die Bilder an den Wänden zeigten neben Drachen viele Sonnenaufgänge, genau wie weite Wiesen und Flusslandschaften. Da sie alle im gleichen Stil gehalten waren, schienen sie vom selben Künstler erstellt worden zu sein. Rechts an der Seite führte eine Treppe mit drei Stufen zu einer zweiten Ebene, auf der ein riesiger Tisch aufgebaut war. Der bog sich unter der Last unzähliger Karten, Unterlagen und Bücher und bot Platz für ein Dutzend Stühle.
Die meisten davon waren besetzt, wobei sich so ziemlich alle Männer und Frauen im Raum erhoben, sobald sie mich sahen. Fay war schon halb auf der Empore, als sie mein Zurückbleiben registrierte. »Ian ist gleich bei uns«, sagte sie zu mir und verwirrte mich damit noch mehr.
Ian. Der Shetai. Bislang hatte er sich mir nicht mit seinem Namen vorgestellt. Dass er genauso hieß wie in seinem letzten Leben war ein Aspekt, der selbst bei mir im Dorf diskutiert worden war. Angeblich hatte er schon mit drei Jahren erklärt, dass er einen anderen Namen trug als der von seinen Eltern ihm gegebene.
Weil Fay hektisch winkte, setzte ich mich wieder in Bewegung, kam aber nur drei Schritte weit. An der gegenüberliegenden Seite des Raumes öffnete sich abrupt eine schmale Tür und der Shetai tauchte auf.
Zu meinem Erstaunen entspannte ich mich tatsächlich bei seinem Anblick. Als hätte ich nur auf ihn gewartet und mich ohne ihn verloren gefühlt. Ein weiterer Pluspunkt war natürlich, dass die Aufmerksamkeit aller im Raum Versammelten von mir zu ihm hinüber glitt.
Mit großen Schritten kam er auf mich zu und lächelte dabei beruhigend. Trotz des stahlgrauen Tons wirkte sein Blick freundlich. Vertraut und seltsam fremd zugleich. Sobald er neben mir angekommen war, legte er eine Hand auf meinen Rücken und schob mich mehr oder weniger die drei Stufen zu den anderen hoch. Die verbeugten sich wie auf ein geheimes Stichwort.
Beim Barte meiner Großmutter. Sie verbeugten sich vor mir!
Asrai. Es ist uns eine Ehre«, sagte der älteste der Anwesenden. Er hatte dichtes, krauses Haar und einen schlohweißen Bart, der ihm bis zur Brust hing. Ich kannte ihn. Hatte ihn schon mal irgendwo gesehen, nur fiel mir partout nicht ein, wann und wo. Abrupt legte er seine Hand auf Herzhöhe und schickte eine zweite Verbeugung hinterher.
Ich war völlig überfordert – und zwar so dermaßen, dass ich ihn lediglich verdattert anstarrte und mich schließlich in einen improvisierten Knicks rettete. Was sollte man auf so etwas erwidern?
Dass ich die Asrai sein sollte, war für mich noch immer absolut unglaublich.
Nacheinander verbeugten sich sämtliche Drachenreiter, nannten mir ihren Namen und ihren Rang und versicherten mir, wie überaus erfreut sie über meine Auferstehung seien.
Von den neben Ian vier weiteren Hortanführern waren drei anwesend. Der von Janara sah müde und abgekämpft aus. Kein Wunder. Immerhin war der Landstrich, in dem sein Hort lag, noch immer vom Ausbruch des Vulkans gebeutelt. Yorinston kämpfte ums Überleben. Jeden Tag. Er stellte sich als Kesten vor und wirkte von meiner Anwesenheit eher genervt. Der Hortanführer von Lark war zugleich der älteste vom Drachenrat. Roar. Endlich fiel mir ein, woher ich ihn kannte. Ihn hatte ich irgendwann mal auf einer Festivität gesehen. Zwar aus weiter Ferne, doch der lange Bart in Verbindung mit den weißen Haaren war unverkennbar. Die Hortanführerin von Goldin hatte sich entschuldigen lassen, während mich die von Embra so akribisch musterte, dass mir ganz unwohl wurde. Sturmgraue Augen, schwarzes Haar, das sie zu einem strengen Knoten hochgebunden hatte, extrem durchtrainiert und mit scharfkantigen Gesichtszügen. Ein wenig erinnerte sie mich an einen Adler, was vermutlich an ihrem verkniffenen Mund und der doch sehr langen Nase lag. Sie war auch die Einzige, die sich nicht vorstellte. Als hätte sie das nicht nötig. Hastig notierte ich mir in Gedanken, ihren Namen so schnell wie möglich zu erfahren. So wie sie guckte, war sie über meine Anwesenheit alles andere als erfreut.
Der Hort Xana war bereits vor Jahrhunderten verlassen worden, da es in den Eisbergen zu kalt und unwirtlich war. Goldin war es ähnlich ergangen, nur war es dort zu heiß gewesen. Nachdem die blauen Drachen nach Arandor gekommen waren, hatte man den Hort wieder in Betrieb genommen. Seitdem gab es fünf Horte: Embra, Goldin, Lark, Janara und Riata, wobei der Hortanführer von Riata zugleich der Drachenfürst war. Ian.
Im Anschluss stellten sich die Patrouillenführer vor und schließlich die Obersten der verschiedenen Gilden. Kaum hatte sich der letzte verbeugt, riss Ian das Gespräch an sich. Er stand weiterhin so dicht an meiner Seite, dass wir ab und zu an den Oberarmen gegeneinanderstießen.
»Wie sieht es aus mit den unechten Asrai? Gab es Probleme?«, fragte er Fay, die sich ans Ende der Tafel vor einen leeren Stuhl in der Ecke gestellt hatte.
»Nein. Sämtliche Mädchen denken, sie wären mit dem Shetai mitgeflogen und könnten die Asrai sein. Eine unserer Reiterinnen hat Linneas Posten eingenommen, damit es weiterhin sechs sind. Noch heute Abend werden sie auf Drachenmagie getestet, keine besteht und alle kehren wieder in ihre Dörfer zurück. Das offizielle Ende der Wiederaufstehung der Asrai.«
Sofort entspannte sich Ian neben mir. »Gut.« So richtig zufrieden wirkte er trotzdem nicht. Fragend blickte er den Hortanführer von Lark an, der als Erstes das Wort an mich gerichtet hatte. »Wann kommt das Drachenei?«
»Es sollte jeden Moment hier sein. Aber mit Verlaub, mein Fürst, seid Ihr Euch sicher, dass die Asrai und das Ei hier am sichersten sind?«
»Wo denn sonst, wenn nicht bei mir? In diese Räume kommt niemand rein oder raus, ohne dass ich es weiß. Shyla und Makon werden sich damit abwechseln, auf der Terrasse Wache zu halten. Kein Mensch wird deswegen Fragen stellen, da ich stets auf meine Privatsphäre bestanden habe.«
»Sie wird also wirklich nicht mit den anderen Drachenreitern ausgebildet?«
Augenblicklich wandten sich alle Blicke mir zu, woraufhin ich mich um ein Haar geduckt hätte. Bevor ich das tun konnte, spürte ich Ians Hand auf meinem Rücken, der dagegenhielt und dafür sorgte, dass ich aufrecht stehen bleiben musste.
»Wenn wir das Märchen der unerbittlichen, gefährlichen und mächtigen Asrai erhalten wollen, müssen wir Linnea so lange von der Außenwelt abschirmen, bis sie den Anforderungen genügt. Solange das nicht der Fall ist, bilde ich sie selbst aus. Hoffen wir, dass Manila bald schlüpft.«
Bitte was?
Ich bemühte mich wirklich um eine neutrale Miene, doch gelang mir das vermutlich ausgesprochen schlecht. Die Nachricht war zu unglaublich, als dass ich sie unkommentiert lassen konnte.
»Ich soll hier bei Euch wohnen?«, rutschte es mir heraus. »Aber …«
»Wir sind nach außen hin das größte Liebespaar, das die Welt je gesehen hat. Es würde seltsam aussehen, wenn du woanders unterkämst, zumindest in der Sekunde, in der wir deine Anwesenheit öffentlich machen. Außerdem bist du nur hier wirklich sicher.«
»Sicher? Wer oder was bedroht mich denn?« Ich starrte Ian in Grund und Boden, sodass er recht schnell verstand, dass ich mich diesmal nicht auf später vertrösten lassen würde. Diese Antwort war er mir definitiv schuldig.
Er zögerte, woraufhin Hortanführer Roar das Wort an sich riss. »Auf den Shetai wurden in den letzten fünf Jahren sieben Mordanschläge verübt. Zwei mit Gift, drei von Attentätern und zweimal wurde auf ihn mit Pfeilen geschossen. Bei einem Angriff vor zwölf Jahren ist er fast gestorben. Es gibt so einige, die die Macht der Pfortenwächter fürchten und sie mehr als ein Fluch als ein Segen betrachten. Da hilft es nicht, dass seit seinem Auftauchen ein Vulkan ausgebrochen ist und es überall Unruhen gibt. Die Welt brodelt – und so manch böse Zunge hält den Shetai, die Asrai und den Rai dafür verantwortlich.«
Der Rai. Bislang hatte ich das Wort in Verbindung mit den Pfortenwächtern immer als Namen aufgefasst. Offenbar war es Titel und Name in einem. Da der dritte Wächter von allen am Unbekanntesten war, wusste das anscheinend niemand ganz genau.
Ian wartete, bis ich meinen fassungslosen Blick von dem älteren Herrn zu ihm gelenkt hatte. »Es tut mir leid«, sagte er ruhig. »Nur zu gerne hätte ich dich in dem Bergdorf gelassen, um dir ein entspannteres Leben fernab jeglicher Weltenkriege zu ermöglichen, allerdings brauche ich die Unterstützung der Asrai. Deshalb haben wir dich geholt. So unauffällig und gleichzeitig auffällig, wie es eben ging.«
»Unauffällig? Ihr seid in meinem Dorf gelandet. Warum habt ihr nicht eine Patrouille geschickt und mich wie eine normale Anwärterin abgeholt?«
»Was glaubst du, habe ich versucht? Leider warst du spurlos verschwunden, sobald wir im Dorf nach neuen Rekruten gesucht haben. Ganz offenbar wolltest du nicht getestet werden. Es wäre zu auffällig gewesen, dich gegen deinen Willen wegzuschleppen. Außerdem gab es längst Gerüchte. Ich bin wohl einmal zu oft über euer Dorf hinweggeflogen. Mir blieb nichts anderes übrig, als bei dir vorbeizuschauen und dich selbst abzuholen. Daher die aufwändige Finte.«
Mist. Da hatte ich ihn mit meiner Angewohnheit, rasch das Weite zu suchen, sobald Drachen am Himmel aufgetaucht waren, ordentlich ins Schwitzen gebracht. Damals war es mir unmöglich erschienen, meine Familie allein zu lassen. Selbst nach zwölf Jahren in der Dorfgemeinschaft hatten wir unseren Flüchtlingsstatus nie richtig ablegen können.
Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg, und sah rasch weg. Den neugierigen Augen der Drachenreiterelite zu begegnen, war bloß auch nicht viel besser.
»Wir glauben, dass der Shetai und die Asrai unsere beste Möglichkeit sind, um den Frieden in dieser Welt zu wahren«, sagte ein junger Mann, der sich als Patrouillenführer vorgestellt hatte. Wo er stationiert war, wusste ich ärgerlicherweise nicht mehr. »Ihr habt vor dreihundert Jahren das Unmögliche vollbracht und das Drachenvolk aus Marani in dieser Welt integriert. Ihr habt den roten Drachen das Überleben ermöglicht. Da werdet ihr diesen beginnenden Krieg zu verhindern wissen.«
Krieg? Dass ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach, fühlte sich schlimm an. Um mein Unwissen zu vertuschen, setzte ich hastig eine neutrale Miene auf.
Eine unangenehme Stille entstand, die durch das Knarren einer Tür unterbrochen wurde. Zwei Männer kamen herein. Sie trugen zwischen sich eine riesige Truhe. So wie sie sich abmühten, wog der Inhalt ausgesprochen schwer.
»Das Ei«, erklärte mir Ian auf meinen fragenden Blick hin. »Da steckt dein Drache drin. Manila.«
Ach. Du … mir fehlten die Worte.
Schweigend sah ich dabei zu, wie die Männer auf Geheiß des Shetai ihre Last vor einem zweiten Kamin abluden, der etwas versteckt neben einer Kochecke in die Wand eingelassen war. Vermutlich war er für die Essenszubereitung gedacht. Stattdessen wurde nun das Ei in die Glut gelegt.
Wir alle beobachteten die Drachenreiter dabei und niemand sagte ein Wort, bis die beiden wieder gegangen waren.
»Dann wäre alles an seinem Platz«, bemerkte Ian schließlich. »Ich schlage vor, dass erst mal jeder seinen Angelegenheiten nachgeht. Die Asrai ist erschöpft. Geben wir ihr einen Moment, um sich zu sortieren.«
»Sollte sie nicht zunächst ihre Hand aufs Ei legen und damit ihre Drachenmagie bestätigen?«, hielt der Älteste dagegen.
»Das wird sie tun, allerdings alleine. Wir treffen uns in vier Stunden im Audienzzimmer nebenan. Bis gleich.«
Das kam einem Rausschmiss schon ziemlich nahe und wurde auch so aufgefasst. Umgehend leerte sich das Zimmer, wodurch mir erneut bewusst wurde, wie mächtig der Mann war, der … mit dem ich zusammen leben sollte?
»Auf keinen Fall werde ich mir mit Euch eine Wohnung teilen«, erklärte ich im Brustton der Überzeugung, sobald die Tür zugeklappt war.
Ian blinzelte. Mit diesem Satz hatte er eindeutig nicht gerechnet. »Äh. Doch?«
Na, immerhin formulierte er es als Frage und nicht als festgelegten Fakt.
»Shetai!«, fuhr ich ihn erbost an. »Ich bin eine unverheiratete Frau! Da kann ich nicht in wilder Ehe mit einem Mann zusammenleben, Pfortenwächter, Drachenfürst und lebende Legende hin oder her. Meine Mama dreht durch, wenn sie das hört! Und ich auch!«
Ian schien einen winzigen Moment amüsiert über meinen Zorn zu sein, dann wurde ihm klar, dass ich es bitterernst meinte. »Bei den Drachenreitern wird das nicht so streng gesehen«, versicherte er mir.
»Schön für die Drachenreiter, nur sehe ich das so streng! Beim Barte meiner Großmutter! Ich kenne Euch nicht mal einen halben Tag lang. Da kann ich unmöglich mit Euch zusammenziehen!«
»Ich versichere dir, dass deine Tugend nicht in Gefahr ist«, erwiderte er mindestens genauso scharf. Offenbar hatte ich seine Gefühle verletzt. »Da ist mein Zimmer.« Er zeigte nach rechts auf eine Tür. »Und da ist deins!« Nun deutete er auf die gegenüberliegende Seite, quer durch den gesamten Raum, wo sich eine weitere Tür befand. »Entfernt genug voneinander?« Er sah mich herausfordernd an, und ich seufzte.
»Darum geht es nicht. Ich … das hier … Ihr … Magie …« Ich brach ab und ließ mich auf einen freien Stuhl sinken.
Jetzt mal ehrlich, dachte ich still. Was machte ich hier? Wieso war ich überhaupt mitgegangen? Wo ich mal eine Sekunde Zeit hatte, darüber nachzudenken, fragte ich mich das wirklich. Ich liebte mein Dorf und mein beschauliches Leben.
Das hier war einfach zu kurios.
Ian schien durchaus bemerkt zu haben, dass ich einen Moment für mich brauchte. Lange Zeit stand er reglos vor mir und sah mich an. Schließlich hockte er sich vor mich hin und wollte eindeutig meine Hand nehmen, stoppte sich aber zum Glück selbst. Ich war ihm sehr dankbar dafür. Wie hätte ich auf so viel Nähe reagieren sollen?
»Linnea, ich versichere dir, dass du mir vertrauen kannst. Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten und ich garantiere dir auch, dass ich mich dir keinen Schritt nähern werde, wenn du das nicht willst. Mir ist bewusst, dass du mit den vielen Informationen überfordert bist. Lass es erst mal sacken. Sortier die Eindrücke, nur eins ist sicher: Du musst hierbleiben.«
Den letzten Satz hatte er so intensiv und eindringlich betont, dass er tief in mich hineinsickerte. Der unausgesprochene Zusatz war eindeutig.
Ich hatte keine Wahl.
Zum ersten Mal seit dem Auftauchen des Shetai in meinem Zuhause war mir wirklich nach Heulen zumute. Tapfer kämpfte ich gegen die Tränen an und bemühte mich, Ian dabei nicht anzusehen. Mir war sein trauriger, seltsam hilfloser Blick nur allzu bewusst.
»Was kann ich tun, um es dir leichter zu machen?«, fragte er leise.
»Mich nachhause bringen?« Ich meinte es nur halb ernst und das kam auch so rüber. Ian verzog lediglich resigniert das Gesicht und enthielt sich jeden Kommentars.
Eine Weile blieben wir in dieser seltsamen Stellung. Er hockte direkt vor mir, ohne mich zu berühren, ich war in mich zusammengesunken und bemühte mich, nicht durchzudrehen. Als die Stille zäher und unangenehmer wurde, räusperte sich Ian.
»Darf ich dir etwas zeigen, das dich vielleicht beruhigen wird?«
Vermutlich konnte mich momentan nichts wirklich beruhigen, doch ich nickte tapfer. Als Ian aufstand, tat ich das ebenfalls und folgte ihm rüber zu der Tür, die in mein Zimmer führte.
»Es ist der schönste Raum in ganz Riata«, versicherte er mir und drückte die Klinke hinunter. Gleich darauf stand ich in dem behaglichsten und vermutlich gemütlichsten Zimmer, das ich je gesehen hatte. Ein cremefarbener Baldachin überspannte ein Bett, das mit bunten Kissen überhäuft war. Dazu die passenden Gardinen und ein Lesesessel, der mir schon allein beim Ansehen Freude bereitete. Der Schrank war kunstvoll mit Drachenzeichnungen verziert, genau wie die zwei Nachttischschränkchen. Und überall entdeckte ich Blumen. Sie rankten von den Möbeln, hingen an der Decke oder standen auf den vielen Simsen. Besonders der Erkerbereich wirkte dadurch ausgesprochen heimelig.
Langsam drehte ich mich um mich selbst und bestaunte mein neues Reich. »Das ist wirklich wunderschön«, hauchte ich und setzte traurig in Gedanken hinzu: Nur hat es leider die falsche Ausrichtung der Fenster.
Allein bei der Vorstellung, auch nur eine Nacht hier zu verbringen, stieg Panik in mir auf. Mühsam unterdrückte ich sie und straffte mich.
Ian bemerkte natürlich meine fehlende Begeisterung. »Du darfst es gerne neu einrichten«, schlug er zaghaft vor.
Ich schüttelte den Kopf und lief an ihm vorbei zurück in den Wohnraum. Erst jetzt begriff ich den Aufbau. Unten gab es die gemütlichen Bereiche zum Sitzen und Ausruhen. Oben war der Arbeitsbereich mit dem riesigen Tisch. Dank einer langgezogenen Fensterfront, die fast die gesamte Wandbreite einnahm, war es hier hell und luftig. Tatsächlich konnte ich den kompletten Hort überblicken. Drachen starteten und landeten. Andere wurden für Missionen aufgezäumt. Eine Gruppe Rekruten zog zügig laufend ihre Runden um einen Übungsplatz und weiter hinten entdeckte ich mehrere junge Frauen und Männer, die Schwertkampf trainierten.
Das volle Leben. Und ich sollte es von hier oben aus beobachten.
»Ihr wollt mich verstecken, bis ich den Ansprüchen der Asrai gerecht werde«, sprach ich die unfassbare Wahrheit aus. »Damit die Legende keinen Schaden nimmt wegen meiner Unzulänglichkeiten.«
»Nein. Du bist gut so, wie du bist. Da bin ich mir sicher. Wir müssen dich nur auf das vorbereiten, was auf uns zukommt – und das braucht Zeit. Es gibt so viel, was du momentan nicht weißt. Nicht wissen kannst. Und das müssen wir ändern.«
Langsam drehte ich mich zu dem Mann um, der mich mit diesem speziellen Blick ansah, der mir durch und durch ging. Der meine Haut kribbeln und meinen Magen revoltieren ließ. »Ich bin nicht Eure Geliebte«, stellte ich klar, weil ich es endlich aussprechen musste, sonst würde ich platzen. »Ich bin Linnea, die Euch nicht kennt und die Euch ausgesprochen unheimlich findet.«
Er wirkte von meinen deutlichen Worten tief betroffen. Unverzüglich trat er einen großen Schritt zurück und brachte Abstand zwischen uns. »Wir haben Zeit, einander kennenzulernen. Nimm dir so viel du brauchst.«
»Und dennoch bleibt es dabei. Ich. Bin. Nicht. Sie. Und mit Verlaub: Ich möchte eigentlich gerne ich bleiben! Linnea, die Dorfheilerin. Keine Legende, nur jemand, der auf ganz eigene Art und Weise Leben retten konnte.« Möglichst tapfer begegnete ich seinem tieftraurigen Blick. Vermutlich war ich so ziemlich das Gegenteil von dem, was er sich all die Jahre über erträumt hatte. So leid mir das auch tat.
Er fing sich zum Glück recht schnell und straffte sich. »Mir ist bewusst, dass du nicht Elaja bist.«
»Dafür habt Ihr mich in meinem Elternhaus recht häufig so genannt«, warf ich ein.
»Ja, ich weiß. Das tut mir auch sehr leid. Ich wollte dir nicht das Gefühl geben, dich … dass ich … dass …« Er brach ab und seufzte tief. »Dieses Gespräch läuft noch schiefer als das erste von uns. Nicht nur du bist offenbar überfordert. Ich bin es ebenfalls. Du darfst mir das nicht vorwerfen. Für mich ist es das reinste Gefühlschaos.«
»Ich weiß«, sagte ich leise. »Und ich sehe, wie sehr Ihr Euch quält. Auch mir tut es leid und ich wünschte, ich könnte es für Euch einfacher und besser machen. Vielleicht seht Ihr mich fürs Erste nicht mehr so an, wie Ihr das gerade tut.«
»Wie gucke ich denn?«
»Als hätte Euch die Liebe Eures Lebens eine saftige Ohrfeige verpasst.«
Einen kurzen Moment wirkte er wie erstarrt, dann musste er lachen. Er lachte! Ich brauchte noch ein paar Sekunden länger und fiel schließlich mit ein. Es war ein erlösendes, wenn auch ein hysterisches Kichern. »Erwischt«, sagte er, als er sich halbwegs beruhigt hatte. Abrupt wurde er ernst. »Ich bemühe mich, dich nicht mehr so anzustarren und meine Gefühle besser zu kontrollieren. Abstand zu wahren. Und bitte sag Du zu mir. Ich bin Ian.«
Ich zögerte, denn das fühlte sich noch zu früh an. Viel zu früh. Das war der verdammte Shetai! Wie sollte ich den jemals so vertraulich ansprechen? Allerdings sah ich ein, dass ich einen kleinen Schritt auf ihn zumachen musste, um nicht bockig zu wirken. »In Ordnung«, gab ich nach. »Ian.« Den Namen auszusprechen, fiel mir erstaunlich schwer – und gleichzeitig half er mir, den Krieger vor mir nicht mehr ganz so überwältigend zu finden.
Da stand Ian vor mir. Kein Drachenfürst. Nur Ian.
Der müde lächelte und nickte. »Sehr viel besser. Danke. Und nur fürs Protokoll: Du bleibst Linnea, selbst wenn du dich wieder an dein vergangenes Leben erinnerst. Elaja hatte damals hart mit der Asrai namens Freya zu kämpfen gehabt. Nachdem sie ihr klargemacht hat, dass sie das Sagen hat, zog sich Freya zurück und überließ Elaja ihren Körper.«
Mir entgleisten sämtliche Gesichtszüge. »Du machst Scherze, oder?«
Ian erkannte seinen Fehler und ruderte hastig zurück. »Ich wollte damit nur verdeutlichen, dass dich die Erinnerungen an deine vergangenen Leben nicht verändern werden. Es bildet lediglich deinen Charakter weiter.«
»Oder die Asrai schmeißt mich aus meinem Körper?«, hakte ich unbarmherzig nach.
»Nein. Was das angeht, war Elaja sehr überzeugend. Ich gehe davon aus, dass Freya das nicht erneut versuchen wird. Die Wut der Asrai ist verraucht.«
»Du gehst davon aus?« Meine Stimme quiekte leicht hysterisch. »Garantieren kannst du es nicht?«
Pause. Eine definitiv zu lange Pause. »Nein. Garantieren kann ich es nicht«, gab er leise zu. »Allerdings kann ich dich vorbereiten. Um genau so etwas zu verhindern.«
Verdammt. Das war noch viel, viel schlimmer als erwartet. Die Sache mit der Seelenpartnerschaft und der Wiedergeburt nahm mich bereits mit, aber eine wilde, gefährliche Magie, die meinen Körper übernehmen wollte?
Hilfe!
»Gibt es noch etwas, das ich wissen sollte?«, fragte ich schwach. »Weitere Haken, die mir die Haare zu Berge stehen lassen werden? Die Gefangenschaft in deinen Räumen muss ich wohl akzeptieren. Was kommt als nächstes? Eine Zwangsehe?«
Jetzt sah Ian wirklich so aus, als hätte ich ihm nicht nur eine schallende Ohrfeige, sondern auch noch einen Kinnhaken und einen Stoß in die Weichteile verpasst.
»Nein … Das … Weißt du was, Linnea? Wir beenden dieses unsägliche Gespräch. Mach dir keinen Kopf wegen unserer Seelenpartnerschaft oder der Asrai-Magie. Bis die dich findet, dauert es. In der Zwischenzeit haben wir dich stark genug gemacht, damit sie kein Problem für dich sein wird. Und weißt du, wer dir dabei helfen wird?« Ich schüttelte den Kopf, weil er es von mir erwartete. Mit einer ausholenden Armbewegung deutete er auf das Ei im Kamin. »Manila. Dein Drache wird die beste Abwehrwaffe gegen jegliche Übernahmeversuche der Asrai sein. Manila und die Asrai hatten am Ende eine recht zwiegespaltene Meinung übereinander. Manila wird alles tun, damit die Asrai keine Gelegenheit hat, dich zu übernehmen.«
Herrje! Dieser Mann hatte wirklich eine Gabe, unheimliche und entsetzliche Dinge so ganz nebenbei in einem Satz zu formulieren. Als Ian meinen geschockten Gesichtsausdruck bemerkte, ließ er die Schultern hängen. »Was hab ich denn jetzt schon wieder gesagt?« Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, hob er die Hand. »Makon sagt, wir sollen zu ihm rauskommen, damit ich mich nicht um Kopf und Kragen rede. Ein guter Vorschlag. Bevor du also deine Hand auf dieses Ei legst und womöglich Manila erweckst, die auf deine Gefühlswelt so gar keine Rücksicht nehmen wird, sollten wir uns erst mal mit meinem Drachen unterhalten.«
»Ich? Mich unterhalten?«, rief ich verwirrt und wurde zeitgleich vehement von Ian vorangeschoben. Seltsamerweise nicht Richtung Gangtür, sondern zu seinem Zimmer.
»Du bist eine mächtige Magieträgerin und warst vor dreihundert Jahren Makons Mitreiterin – oder wie auch immer man das nennen mag. Jedenfalls hattet ihr eine enge magische Verbindung. Sie wiederzubeleben, ist vermutlich eine gute erste Übung.«
Weil mir ohnehin nichts anderes übrig blieb, ließ ich mich schieben. Kurz bevor wir mit der Tür kollidierten, trat Ian an mir vorbei und öffnete den Durchgang. Dahinter befand sich das schmuckloseste und tristeste Zimmer, das ich je gesehen hatte. Ein einfaches Doppelbett. Ein schlichter Nachttisch daneben und ein Kleiderständer mit fünf Drachenreiteruniformen daran, die alle mehr oder weniger abgetragen aussahen.
»Hatte die Inneneinrichterin bei dir keine Lust mehr?«, rutschte es mir heraus, bevor ich drüber nachdenken konnte.
Ian ignorierte meinen Einwand und zog mich quer durch den sehr großen und sehr leeren Raum. Vor einer riesigen Glastür endete unser Weg, die er mit Schwung öffnete und gleichzeitig den Blick frei machte, indem er zur Seite trat.
Direkt dahinter befand sich eine gigantische Terrasse, auf der man ernsthaft ein Tanzfest hätte abhalten können. Vom Prinzip her war es ein glatter Felsen, der seitlich vom Gebirge bis zum Fenster heranragte. Als hätte jemand das Gebäude daran festgebaut und nicht umgekehrt. Darauf hockten zwei Drachen, die mich mit leisem Brummen begrüßten. Ein lediglich fußhohes Geländer trennte den Felsvorsprung vom Abgrund. Es ging etwa zehn Meter in die Tiefe und mündete im Vorplatz des Hauptgebäudes.
»Du parkst deine Drachen im Vorgarten?«, fragte ich amüsiert und erntete dafür ein herzliches Lächeln von Ian.
»Einer der vielen Vorteile, ein Drachenfürst zu sein. Ich habe mir das genialste Zimmer gesichert. Also ja. Meine Drachen sitzen fast immer an dieser Stelle, wenn sie nicht gerade Schafe erschrecken oder in der Gegend herumstreunen. Jetzt, wo sie auf dich aufpassen sollen, wird mindestens einer hier hocken und vor Langeweile vergehen.«
Shyla unterstrich seine Worte, indem sie betont gähnte. Daraufhin näherte ich mich ihnen eher vorsichtig und blieb ein Stück entfernt stehen. Der rote Drache war wesentlich kleiner als Makon und drückte sich vertrauensvoll an ihn. Vielleicht wollte er sich auch nur nach vorn drängeln, so genau ließ sich das nicht sagen. Der schwarze Drache hielt stoisch dagegen. Seine Augen funkelten, als er mich musterte.
»Ich soll dir von Makon ausrichten, dass ich ab sofort die Klappe halten muss, damit ich nicht noch mehr Unsinn von mir gebe. Er ist erbost, weil ich dir Angst gemacht habe.«
Zur Untermalung grummelte das Magiewesen und warf seinem Reiter einen bösen Blick zu. Ich machte daraufhin einen weiteren Schritt nach vorn und der Drache senkte den Kopf.
»Du darfst Makon gerne berühren. Das ist vertrauensbildend, behauptet mein psychologisch hervorragend geschulter Drache.« Lächelnd trat Ian an mir vorbei und führte es kurz vor. »Soeben beschwert er sich, dass ich Platz für dich machen und mich im Hintergrund halten soll. Ja, ich weiß. Wie soll ich den Mund halten, wenn ich für dich übersetzen muss?« Er seufzte und drehte sich zu mir um. »Das Einfachste wäre, wenn Makon mit dir Kontakt aufnehmen würde. So wie ihr … wie Elaja das vor dreihundert Jahren getan hat. Allerdings hat er Angst, dass dich das überfordern könnte.«
»Ich bin generell völlig überfordert. Da macht eine weitere Herausforderung nichts mehr aus.« Entschlossen trat ich neben Ian und legte meine Hand auf Makons Kopf. »Muss ich die Augen schließen, um mich zu konzentrieren?«, erkundigte ich mich mit immer wilder klopfendem Herzen.
»Eigentlich nicht, bloß ist es gerade für Anfänger manchmal leichter. Mach es so, wie du dich sicherer fühlst.«
Also schloss ich die Augen und lauschte. Nichts geschah.
»Makon sagt, du musst lockerlassen. Deine Gehirngänge sind schlimmer als ein Labyrinth aus festem Stein.«
Aha. Lockerer lassen. Wie ein Ringer vor dem Boxkampf schüttelte ich meine Hände und Arme aus und ließ den Kopf kreisen. »Locker genug?«
Ian lachte leise. »Nein. Nicht sehr viel. Makon könnte deine mentalen Schutzmauern durchbrechen, will das aber nicht mit Gewalt tun. Das könnte eure Beziehung auf Dauer schädigen. Er schlägt vor, es ein andermal zu versuchen.«
Enttäuscht öffnete ich die Augen und starrte dabei in die dunklen Pupillen des Drachen. »Du spürst, wie aufgewühlt ich bin, nicht wahr?«
»Das muss er nicht spüren, denn es ist offensichtlich. Alles wird gut, Elaja.«
Sein Tonfall klang dabei schrecklich liebevoll, ein Umstand, der alles nur noch komplizierter machte. »Ich heiße Linnea«, korrigierte ich leise und ging wieder rein, ehe Ian etwas dazu sagen konnte.
* * *
IAN
»Ich habe es vergeigt.«
»Oh, ja. Das hast du. Und wie!«
»Solltest du mich nicht aufbauen?«
»Würde ich gerne, nur gibt es nichts zu beschönigen. Du hast es voll versaut. Schlimmer ging eigentlich nicht.«
Ich stöhnte und rieb mir genervt den Nacken. Dabei blickte ich Linnea durch das Fenster hinterher, die soeben aus meinem Blickfeld verschwand. Ich konnte sie verstehen. Einen Moment der Ruhe genießen. Sich sortieren. Die Gedanken ordnen. Das hätte ich ebenfalls ganz gut vertragen können, nur stand mir eine Ratssitzung bevor, auf die ich mich null vorbereitet hatte.
Auch das würde noch warten müssen. Erst mal brauchte ich eine Idee, was ich mit Linnea anstellen sollte. »Und jetzt?«
»Gib ihr Zeit. Gib dir Zeit. Es wäre schon hilfreich, wenn du aufhörst, sie Elaja zu nennen und sie mit diesem verliebten Jungmänner-Blick auszuziehen. Das könnte womöglich ihre Abneigung gegen dich schmälern.«
Abneigung. Ich schauderte. Derart hart hätte ich es nicht ausgedrückt, aber wenn ich so weitermachte, schlitterte ich tatsächlich auf eine Katastrophe zu. Wieso nur erzählte ich in ihrer Anwesenheit so seltsame Dinge? Ich wusste eigentlich, wie ich mich eloquent auszudrücken hatte, von taktischen Gesprächen ganz zu schweigen. Ich hatte ein halbes Jahrzehnt die größte Lüge aller Zeiten jongliert, zwei sich gegenseitig anflunkernde Völker vereint und den Tod meiner Seelenpartnerin verkraftet.
Und dann setzte ich alles in den Sand.
»Offenbar funktioniere ich nur, wenn ich mit dem Rücken zur Wand stehe«, brummte ich schlecht gelaunt.
»In dem Fall kann ich dich beruhigen. Wenn wir nicht bald die Asrai als Rückendeckung bekommen, wird genau das geschehen. Vielleicht kriegst du in dem Fall die Kurve und überzeugst Linnea, dass du eigentlich ein ganz liebenswerter Kerl bist.«
Ich schickte Makon einen mentalen Stinkefinger, der amüsiert schnaubte. »Heute so empfindlich?«, spottete er und wurde mit einem Schlag ernst. »Jetzt mal ehrlich, Ian. Du musst dich in den Griff bekommen. Keine unangemessenen Berührungen mehr. Keine tiefgründigen Blicke. Keine seltsamen Bemerkungen über die Liebe deines Lebens oder dein Herzeleid. Lass es stecken, Mann, und werd wieder normal.«
»Und wie?«, fuhr ich ihn an. »Da steht die Frau vor mir, nach der ich mich ein ganzes Leben gesehnt habe, und sie fragt mich in ihrem Elternhaus nach Tee. Nach Tee! Weil sie mich nicht mehr erkennt. Und wenn ich versuche, ihr alles zu erklären, dann guckt sie mich mit diesem Reh-totgeschossen-Blick an und hält mich für verrückt. Wie zur Hölle soll ich mit so etwas klarkommen?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass eine Menge Leben davon abhängen. Also reiß dich zusammen und versuch, Linnea wie eine Normalsterbliche zu behandeln – und nicht wie die Frau, in die du seit Jahrhunderten verliebt bist. In einer Sache hat sie nämlich recht. Ihr kennt euch bislang nicht. Du siehst aktuell nur Elaja in ihr, doch Linnea verhält sich völlig anders. Es kann sein, dass sie Elaja ähnlicher wird, sobald sie sich erinnert. Womöglich erinnert sie sich nie. Du musst anfangen, zwischen den beiden Frauen einen Unterschied zu machen. Lern die wahre Linnea kennen. Zeig ihr den normalen Ian und dann hofierst du sie. Immer schön langsam. Diesmal ist wenigstens deine Ausgangsposition wesentlich besser.«
»Ach? Ich hab nicht den Eindruck.«
»Na ja, du willst sie nicht umbringen. Ist definitiv ein Fortschritt, oder?«
Da hatte er tatsächlich recht. Ich tätschelte ihn zum Dank und machte dann, dass ich nach drinnen kam, um mir zumindest die notwendigen Unterlagen grob zusammenzusuchen.
* * *
Wie sich in der anschließenden Ratssitzung herausstellte, hatte ich die Falschen erwischt. Von daher hielt ich mich ungefähr genauso schlecht über Wasser wie bei den Gesprächen mit Linnea. Es half auch nicht, dass ich ständig bei Makon nach ihrem Befinden nachfragte.
»Ist sie immer noch in ihrem Zimmer?«, fragte ich meinen Drachen lautlos.
»Nein. Sie durchwühlt gerade deine Sachen nach Hinweisen, ob du nicht doch ein armer Irrer bist.«
»WAS?« Die Frage hatte ich leider laut ausgesprochen und erntete dementsprechend verwirrte Blicke vom Rest des Drachenreiterrates. »Entschuldigung. Fahrt fort«, beeilte ich mich zu sagen und winkte so huldvoll, wie ich es in dieser Situation zustande brachte.