Bound by Flames - Liane Mars - E-Book

Bound by Flames E-Book

Liane Mars

0,0
12,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Prinzessin wird zur Drachenreiterin! Einen Drachen fliegt man nur zu zweit. Es ist eine Ehre – und ein Todesurteil, zumindest für den schwächeren der beiden Drachenreiter, dessen Lebenskraft von der Magie des Drachen verschlungen wird. Um einer Zwangsheirat zu entgehen, meldet sich Prinzessin Caja dennoch freiwillig, eine Drachenreiterin zu werden. Aber nur einer erklärt sich bereit, ihr Partner zu werden: der viel zu starke Reiter Sy mit seinem Drachen Eleni. Damit Caja überlebt, müssen sie ihre Kräfte ins Gleichgewicht bringen, und kommen sich dabei näher als gedacht. Doch Liebe ist unter Drachenreitern strengstens verboten … Band 1: Bound by Flames Band 2: Freed by Fire

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum E-Book

Entdecke die Welt der Piper Fantasy!

www.Piper-Fantasy.de

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Bound by Flames« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2025

Redaktion: Michaela Retetzki

Karte: Liane Mars

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Karte

Prolog

Kapitel 1

Drei Jahre später

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Glossar

Personenverzeichnis

Die fünf Arten der Untiere und ihre Unterschiede

Die wichtigsten Länder und ihre Herrscher

Die Geschichte der Drachenreiter

Die Gruppen der Drachenreiter

Die Runen

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Widmung

Für Renate

Du bleibst immer in unseren Herzen!

Karte

Prolog

»Dubhar«, hörte ich einen Wächter von den Zinnen unseres Schlosses so laut rufen, dass ich es bis in mein Turmzimmer vernehmen konnte und seine Warnung mich sogar aus dem Tiefschlaf riss. Gleich darauf läutete die Glocke auf dem höchsten Wehrturm Sturm, und ganz Avion erwachte mit einem Ruck.

Dubhar. Sie kamen wie immer mitten in der Nacht. Sobald sich die Menschheit zum Schlaf bettete und der rötlich schimmernde Blutmond am Firmament seine Bahnen zog, flogen sie in dichten, tödlichen Schwärmen los.

Wenn die Untiere die Hauptstadt meines Landes Altara angriffen, war das übel. In meiner Kindheit hatten sie das ein einziges Mal getan. Dreihundert Tote, darunter der König selbst. Mein Vater war über Nacht auf den Thron gesetzt worden. Ich erinnerte mich kaum an die damalige Attacke, da ich erst drei Jahre alt gewesen war, doch die Schreckgeschichten sorgten dafür, dass ich innerhalb eines Lidschlags aus meinem gemütlichen Bett sprang und mir hastig ein Kleid und die Stiefel anzog. Zeitgleich öffnete sich die Tür, und mein Leibwächter Leiad stürmte herein.

Im Gegensatz zu mir war er längst angezogen und schwer bewaffnet. An einem Gürtel um die Hüften trug er sein Schwert, und an zwei vor der Brust gekreuzten Lederschlaufen hatte er sich noch zusätzlich jede Menge Waffen gespannt. Dolche, Messer und Wurfsterne steckten darin. Über seine rechte Schulter hinweg entdeckte ich einen Pfeilköcher samt Bogen. Eindeutig. Leiad rechnete damit, heute Nacht um unser Leben kämpfen zu müssen. Anders als ich hatte er die Gefahr bereits vor der ersten Warnung des Wachtmagiers bemerkt.

Niemand wusste wirklich, was die Dubhar überhaupt waren oder woher sie stammten. Eines Tages hatte sich der Mond rot gefärbt, und sie hatten die Menschheit angegriffen.

Tödlich, präzise und alles vernichtend.

Das war vor einhundertfünfzig Jahren geschehen. Seitdem waren wir sie nicht mehr losgeworden. Im Gegenteil. Ihre Angriffe nahmen an Härte zu, und die Attacken folgten immer dichter aufeinander.

Anders als die übrigen Untiere wie die Drachen oder die Wyvern waren die Dubhar unsichtbar, sodass wir Menschen ihnen hilflos ausgeliefert waren. Wie sollten wir einen Gegner töten, wenn wir ihn nicht mal erkennen konnten?

Einzig düstere, knisternde Wolken voller Magie kündigten ihr Herannahen an. Doch kaum hatten unsere Magier diese Anzeichen entdeckt, war es eigentlich auch schon zu spät.

Endlich hatte ich die Stiefel angezogen und sah hoch. Leiad war kurz vor mir stehen geblieben und hatte dabei reichlich Dreckspuren auf meinem geliebten selbst geknüpften hellen Teppich hinterlassen. Eher achtlos kickte er einen leeren Tontopf zur Seite, ein Überbleibsel meiner gestrigen Pflanzaktion. Ich liebte Blumen, Kräuter oder Büsche, allerdings nahmen sie auch reichlich Platz in meinem Zimmer ein.

»Wir müssen runter in die Kellergewölbe«, erklärte mir Leiad und packte mich am Handgelenk, um mich Richtung Tür zu ziehen. Ich sträubte mich gegen diesen Griff.

»In die Gewölbe dürfen die Bediensteten nur in Begleitung der königlichen Familie. Wir müssen Eny holen.« Auf keinen Fall würde ich meine liebste Zofe und Freundin im Schloss zurücklassen, wenn die Dubhar hierher unterwegs waren.

In Leiads Blick flackerte etwas auf. Eny und er waren seit zwei Jahren heimlich ein Liebespaar, und natürlich sorgte er sich um seine Freundin, aber seine Pflicht, mich unverzüglich in Sicherheit zu bringen, stand ihrer Rettung im Weg.

»Wir haben keine Zeit, sie zu suchen. Im Trakt der Bediensteten herrscht völliges Chaos, da finden wir sie nie«, protestierte er, doch ich befreite mich aus seinem Griff und rannte an ihm vorbei, raus aus meinen luftigen Gemächern und auf den dunklen Gang. Früher hatte der gesamte Bereich zu den privaten Räumlichkeiten der königlichen Familie gehört. Als mein Vater gekrönt worden war, musste er in den Herrscherbereich umsiedeln. Ich war als Einzige nicht umgezogen, da ich mein Zimmer so sehr liebte.

Die von mir bemalten Wände. Meine vielen Blumen. Die selbst bestickten Vorhänge und vor allem der ausreichende Platz, um heimlich mit Leiad zu trainieren. Hoffentlich würde mein kleines Reich den Angriff der Dubhar heil überstehen.

Zu den Kellergewölben ging es nach links, doch den dazugehörigen Treppenabgang ignorierte ich. Stattdessen hielt ich auf die Räumlichkeiten der Bediensteten zu, Leiad dicht hinter mir.

Die ersten ängstlich greinenden Frauen hasteten mir entgegen. Zofen meiner Mutter. Gehilfinnen. Mägde. Sie alle versuchten, sich in den unteren Etagen in Sicherheit zu bringen, denn die fliegenden Dubhar vernichteten in der Regel zuallererst die Wehrtürme und die größeren Gebäude. Dazu gehörte bestimmt auch das Zentrum des Palastes. Wir mussten hier weg. Dringend.

Und was machte ich stattdessen? Ich rannte in die falsche Richtung und brüllte dabei: »Eny! Eny? Wo steckst du?«

Leiad hielt mich am Arm fest und versuchte, mich mit körperlicher Gewalt zur Umkehr zu bewegen. Da er mir jedoch nicht wehtun wollte, war das ein für ihn schwieriges Unterfangen.

»Eny ist da vorn«, half mir schließlich eine von Mamas Zofen weiter. Zu dritt riefen wir nach der Gesuchten, bis sich eine junge Frau verwirrt umdrehte. Als sie uns erkannte, quetschte sie sich winkend und fluchend durch die panische Menge zu uns. Sie trug ein schlichtes Nachtgewand, bestehend aus einem weißen Kleid, das ihr bis zu den Knien reichte. Ihre blonden offenen Haare flossen ihr in sanften Wellen bis zum Po, und in ihren blauen Augen stand nackte Todesangst.

»Was macht Ihr hier, Prinzessin?«, keuchte sie entsetzt. »Ihr müsst runter in die Katakomben. Die Dubhar greifen an!«

»Ich geh nicht ohne euch zwei«, erwiderte ich hitzig, schnappte sie an der Hand und zog sie hinter mir her. Leiad schirmte uns mit seinem breiten Rücken vor rempelnden Hektikern ab, bis wir zum rettenden Treppenabsatz gelangten. Diesmal war es jener, der uns in die Sicherheitsbereiche der Königsfamilie bringen würde. In einem Strom von Menschen eilten wir die Stufen hinunter.

Ein Krachen ertönte. Instinktiv duckten wir uns und sahen ängstlich zur hohen Decke hinauf. Dass die Kronleuchter schwankten und leise klirrten, war ein beängstigendes Detail. Zumal jetzt auch die Erde bebte.

Die Dubhar kamen nicht allein.

Meistens waren sie die Vorhut für eine ganze Armee tödlicher Untiere. Unter normalen Umständen hielten Bannrunen an den Schutzmauern die gigantischen Wyrm davon ab, sich darunter durchzuwühlen, doch sobald die Dubhar die ersten Sicherungen zerstört hatten, gab es kein Halten mehr.

Schlangenartige Wyrm. Drachenähnliche Drakon ohne Schwingen. Fliegende Wyvern. Sie alle kamen im Schutz der mordenden Dubhar, um in die Städte einzufallen, Vieh zu fressen, Menschen zu töten und ihre Zerstörungswut auszuleben. Ein einziger Angriff von allen vieren konnte ganze Hauptstädte in die Knie zwingen. So hektisch, wie die Glocke geschlagen wurde, waren bei dieser Attacke alle Untiere mit dabei.

»Wir müssen hier weg«, stellte Leiad besorgt fest. Diesmal packte er nicht nur mich, sondern auch Eny, um uns aus dem Gedränge zu einer kleineren Verbindungstür zu ziehen.

»Die führt nach draußen auf den Innenhof«, protestierte ich.

»Das weiß ich, aber wenn wir nicht zu den Katakomben durchkommen, nützt uns Eure gehobene Stellung rein gar nichts. Ihr hättet längst in den Schlafbereich der Königsfamilie umziehen müssen, dann hätte ich Euch viel besser evakuieren können. Sollten wir das hier überleben, werde ich diesen Fehler umgehend korrigieren.«

Leiad war vor Ärger über sich selbst ganz rot im Gesicht. Gleichzeitig ging er konzentriert unsere Möglichkeiten durch. »Wir versuchen es außenrum und beten, dass uns noch genügend Zeit bleibt«, bestimmte er.

Umgehend stieß ich die Tür auf und stolperte in den dahinterliegenden offenen Bogengang, der den Innenhof des Schlosses umspannte. Fackeln beleuchteten die Nacht. Auf den Wehrgängen liefen die Soldaten hektisch hin und her, riefen einander Befehle zu oder beteten. Ein Sirren war zu hören. Seltsam hoch und schrecklich laut. Direkt danach folgte ein Krachen.

»Die äußere Wehrmauer der Stadt ist gefallen«, brüllte ein Wachmann. »Sie sind drin! Bogenschützen! Pfeile auflegen!«

Es war wie mit Erbsen auf Drachen zu schießen. Ein Dubhar konnte nicht mit einem Pfeil erlegt werden. Da half nur Magie – oder ein Drache. Um sich aber nicht so dermaßen hilflos zu fühlen, legten die Menschen dennoch ihre Waffen an.

Wo blieben denn bloß die Drachenreiter, die bei solch einem großen Angriff grundsätzlich alarmiert wurden? Hier ging es um die Hauptstadt von Altara, verdammt. Da mussten die doch schneller reagieren!

Der Himmel flammte auf. Rötlich. Orangefarben. Feuerschein. Gleichzeitig wurde es stürmischer. Es roch nach Schwefel und wie nach einem Blitzeinschlag.

Pure Magie, die auf uns zuraste.

Leiad warf sich in der Sekunde auf Eny und mich, als die Schutzmauer rechts von uns in Stücke gerissen wurde. Der Soldat, der sich darauf befunden hatte, verschwand in einem schauerlichen Donnern zusammenbrechender Steine und Geröll. Auch uns erwischte die magische Energie und schleuderte uns gut zwei Meter in die Luft. Leiad und Eny krachten heftig an den linken Wall des Schlosses, während ich ein ganzes Stück höher getragen wurde. Der Innenhof entwickelte dabei eine Art Sogwirkung. Halb flog, halb rutschte und schleifte ich quer über die Wiese. Mauerstücke, Büsche, Äste und sogar zwei Kaninchen flogen rechts und links an mir vorbei durch die Luft. So mancher Schutt erwischte mich, doch meine Panik sorgte dafür, dass ich keine Schmerzen empfand.

Ich wusste nur, dass ich mich irgendwo festhalten musste.

Da! Ein Bogengang. Ich bekam den Rand zu fassen und schaffte es, mich erst festzuklammern und dann näher zum Stein zu ziehen, bis mich die Überreste der weggesprengten Mauer vor dem Sog schützten. Tief gebückt, um weniger Angriffsfläche zu bieten, schob ich mich die Treppe hoch zum Wehrgang hinauf, der nur noch zur Hälfte existierte.

Die Festung von Avion samt dazugehörigem Schloss im inneren Bereich war auf einem Berg errichtet worden, sodass man von hier aus bis weit über die gesamte Stadt und das Tal sehen konnte. Ich brauchte einen Überblick und musste herausfinden, was los war. Wenn ich schon draufging, dann wollte ich zuvor einen Blick auf die Wesen werfen, die soeben meine Welt aus den Angeln hoben.

Mit einem Ächzen schob ich mich hoch auf den bröckelnden Wehrgang und nahm meinen ganzen Mut zusammen, um über eine halb zusammengebrochene Zinne zu schauen. Was ich sah, ließ mich innerlich erbeben.

Unter mir ergossen sich die dunkelroten Häuserdächer von Avion. Dicht an dicht gedrängt, eine Stadt innerhalb der äußeren Festungsmauer, eingequetscht zwischen dem alles überragenden Schloss und den verschiedenen Wällen, die die Stadt in einzelne Bereiche teilte. Handelsviertel. Armenbereich. Adelsvillen. Handwerkergebiet. Und auf all das schob sich pure Dunkelheit zu. Ein Leben vernichtender Tod.

Die unsichtbaren Dubhar waren tatsächlich nicht erkennbar. Ich sah einzig ihre Magie, die sie wie eine Gewitterwolke vor sich herschoben. Blitze zuckten darin, die krachend auf sämtliche Mauern der Stadt niedergingen. Das Sirren war magische Zerstörungswut. Momentan konzentrierten sich unsere Angreifer auf den westlichen Bereich der Festung. Unser Glück, denn dadurch blieben wir von weiteren Böenwalzen der Dubhar verschont.

Sämtliche noch bestehende Schutzrunen leuchteten in allen Farben des Regenbogens, um die Wälle vor den Angriffen zu bewahren. Vergebens. Im Zentrum und auch im Westen der Stadt waren sie bereits erloschen, sodass der Luftraum über mir ungeschützt blieb.

Eine schwarze Nebelwand nutzte das und schob sich etwa zehn Meter über den Häuserdächern ins Innere der Festung. Ob der Nebel ein Körperbestandteil der Dubhar oder eine Art Waffe war, wusste niemand. Mittendrin verbargen sich die unheimlichen Wesen und ließen gleißende Blitze auf Mauern, Häuser, Menschen und Tiere niederregnen. Das Krachen und Bersten zusammenstürzender Gebäude nahm mir beinahe den Atem und vor allem meinen Mut.

Wie sollten wir diese Attacke jemals überleben? Insbesondere, weil mittlerweile auch die restlichen Untiere die Stadt erreicht hatten.

Ich entdeckte einen Lindwurm, der sich neben einem schlangenartigen Wyrm durch eine Lücke im Wall presste. Das Wesen war so groß wie ein ganzes Pferd und so lang wie fünf Gespanne. Offenbar war es direkt vor den Mauern aus der Erde herausgekommen. Und wo einer war, gab es meist noch viele weitere.

Magier feuerten von den Zinnen Zauber auf die Giganten hinab, um sie zu stoppen, während die dunkle Wolke der Dubhar an Höhe gewann und über die Stadt hinwegstrich. Das Manöver kannte ich bereits aus den Erzählungen. Sie holten Schwung, um die nächste Mauer in Angriff zu nehmen. Eine mörderische Front, die jeden Moment den Westwall zu Fall bringen würde.

Bevor es jedoch dazu kam, mischte sich ein Brüllen in das Sirren. Drachen. Sieben an der Zahl. Sie flogen in einer V-Formation dicht beieinander. Genau wie die Dubhar schoben sie eine magische Welle vor sich her, um sie frontal gegen die ihrer Gegner zu schleudern.

Ich duckte mich, als die verschiedenen Zauber aufeinanderprallten. Das Krachen war so laut, dass ich mir die Hände auf die Ohren pressen musste, um es aushalten zu können. Die Nacht wurde taghell erleuchtet, als die Energie der Drachenreiter auf die der Dubhar prallte.

Ein epischer Machtkampf entbrannte, der seltsam schaurig und faszinierend zugleich aussah. Den Gerüchten nach konnte man die Dubhar nur an einer einzigen Stelle mit einem gezielten Schlag töten. Wenn man sie woanders traf, schwächte sie das lediglich.

Die Drachenformation löste sich auf. In zwei Gruppen griffen sie die nun vereinzelt fliegenden Dubhar an, die ich undeutlich als einen Schimmer in der Luft identifizierte. Sobald ein Blitz durch sie hindurchzischte, meinte ich Krallen zu erkennen. Ein Kopf mit Fang- und Reißzähnen, ähnlich geformt wie bei den Drakon oder den Drachen, nur etwas massiger. Sie waren definitiv artverwandt, weswegen man sie zur fünften Art der Untiere zählte.

Drache, Dubhar, Drakon, Wyvern, Wyrm.

Rufe ertönten. Jemand brüllte einen Männernamen. Ein Soldat, der nach seinem Freund suchte. Die Überlebenden krochen aus ihren Verstecken hervor, um sich in Sicherheit zu bringen. Wo auch immer. Momentan waren die Dubhar mit den Drachen beschäftigt, doch sobald sie sich freigekämpft hätten, würden sie die Wehrtürme wieder in Angriff nehmen.

Ich musste hier weg! Dringend!

Leider war ich so fasziniert, dass ich mich kaum von dem Anblick der kämpfenden Wesen über mir lösen konnte. Die Drachenreiter griffen mit magischen Speeren an. Mit Pfeilen. Mit schimmernden Wurfsternen. Viele der Waffen gingen geradewegs durch ihre Gegner hindurch, doch manchmal trafen sie.

Ein Grollen ertönte, als sie einen Dubhar an einer empfindlichen Stelle erwischten. Das Wesen krümmte sich, zumindest glaubte ich, das in dem wilden Blitzgewitter erkennen zu können. Ein hellgrüner Drache flog daraufhin einen weiten Bogen und ließ einen Feuerstoß auf seinen Gegner regnen, direkt gefolgt von einem rot glühenden Speer, der offenbar sein Ziel fand. Der Dubhar zuckte erneut und implodierte. Es sah so aus, als würde sich die Wolke in sich selbst zurückziehen. Ein letztes Aufflackern, dann war es vorbei. Die Drachen hatten sich bereits längst ihrem nächsten Gegner zugewandt, der …

»Caja!« Dass jemand meinen Namen ohne Titel rief, kam eigentlich nie vor. Das tat Leiad nur in höchster Not. Sein Ruf riss mich aus meiner Betrachtung und ließ mich herumwirbeln. Mein Leibwächter wühlte sich durch den Schutt und schrie nach mir. »Prinzessin! Caja!«

»Hier«, rief ich zurück und kroch mehr oder weniger die bröckeligen Stufen des zusammengefallenen Wehrgangs hinunter.

Leiad entdeckte mich, als ich etwa auf halber Höhe ankam, und winkte hektisch. »Rauf, rauf, rauf«, brüllte er und sprintete so schnell los, wie ich ihn noch nie hatte laufen sehen. In der gleichen Sekunde erscholl ein Horn. Das Zeichen für einen Wyrmangriff.

Ich verstand sofort. Wenn Leiad mich raufschickte, tauchte die verdammte Riesenschlange wahrscheinlich unter der Wiese auf. Hastig wollte ich die Stufen wieder hochlaufen, kam aber nur einen halben Schritt weit, dann brach hinter mir die Hölle los.

Die Erde bebte, als sich ein gigantisches Etwas aus dem Boden direkt neben dem Wall herauswühlte. Schlangenkopf. Gewaltige Giftzähne und ein langer, geschuppter Körper. Die Schlange hatte so viel Schwung, dass sie erst mal drei Meter in die Höhe schoss.

Leiad wich ihr hastig seitlich aus und wollte zu mir rüber zur Wehrmauer sprinten, lenkte dadurch aber die Aufmerksamkeit der Bestie auf sich. Knurrend schnappte sie nach ihm. Er hielt den Biss mit einem Schwerthieb auf und trieb das Untier damit zurück.

Zischend richtete es sich erneut zu seiner vollen Größe auf. Die Hälfte steckte noch in der Erde, doch auch der obere Teil war beeindruckend, allem voran das gigantische Maul und die geschlitzten Augen.

Leiad war geliefert, wenn ich ihm nicht half.

Ein Bogen! Hier hatte irgendwo ein verdammter Bogen samt Pfeilköcher rumgelegen. Ein Überbleibsel seines ehemaligen Besitzers, der tief vergraben im Schutt der Mauer liegen musste. Da!

Auf allen vieren kroch ich rüber, während ich Leiad wild brüllen hörte. Vermutlich versuchte er, die Aufmerksamkeit des Untiers auf sich zu lenken. Ganz der Leibwächter.

Mir verschaffte das die Zeit, den Bogen an mich zu reißen. Nein! Er war zerbrochen. Frustriert ließ ich ihn fallen und sah mich um. Denk nach, Caja, dachte ich und tastete hektisch meinen Körper ab. Mit meinem kleinen Dolch kam ich nicht weit, wohl aber mit …

… meiner Steinschleuder!

Leiad hatte mir stets eingetrichtert, sie bei mir zu tragen. Eigentlich bestand sie lediglich aus einem Hanfseil, in dessen Mitte eine breitere Lederschlaufe eingeflochten war. Eine Waffe, so klein und unscheinbar, dass sie bei den meisten körperlichen Durchsuchungen übersehen wurde. Laut Leiad hatte ihm das zweimal das Leben gerettet.

Hoffentlich war das auch ein drittes Mal der Fall.

Hektisch schnappte ich mir den dicksten Stein, der noch so gerade eben in die Schlaufe passte, und wirbelte das Seil herum, während ich aufstand. Atmete aus. Zielte … und ließ das eine Ende der Schlaufe los, sodass der Stein mit viel Schwung aus der Schlinge schoss. Tatsächlich fand er sein Ziel: das Auge der Bestie. Stein gegen Schuppen war sinnlos. Das weiche Sehorgan hingegen lud mich geradezu ein, dort treffen zu wollen. Es war riesig und befand sich im perfekten Winkel zu mir.

Das Vieh brüllte auf vor Schmerz und wirbelte zu mir, wobei es Augenglibber und Blut überall verspritzte. Hastig legte ich den nächsten Stein auf und bemerkte schaudernd, dass es dunkler um mich wurde. Der Schatten des Wyrms fiel auf mich.

Ein Pfeil flog. Diesmal kam er aus Leiads Richtung. Leider war sein Winkel deutlich ungünstiger, da er am Boden stand und nicht hoch genug zielen konnte, um das Auge effektiv zu erwischen. Der Pfeil schlitterte klappernd am Schuppenpanzer ab und bohrte sich irgendwo in den Schutt neben mir. Ich hörte Leiads Fluch und blickte Sekunden später genau in das unverletzte Auge der Schlange. Sie hatte sich seitlich gedreht, um mich aus ihrem noch gesunden Auge mustern zu können.

Ihre gespaltene Zunge zischelte an mir vorbei. So lang wie ein Mann und so breit wie ein ganzer Ochse. Ihr Maul öffnete sich, und sie holte aus.

Ich ließ den nächsten Stein, ohne zu zielen, fliegen und warf mich zur Seite, um dem Biss der Schlange auszuweichen. Nur mit dem Schwanz hatte ich nicht gerechnet. Wann war das Mistvieh denn bitte ganz aus der Erde gekrochen? Jetzt hieb sie mit ihrem Ende in meine Richtung.

Vermutlich hätte sie mich einfach platt gehauen und mich geradewegs in den Schutt getrieben, doch dazu kam es nicht. Ein zweiter Schatten senkte sich brüllend auf das Wesen, und Krallen legten sich um seinen Körper. Rauschen erfüllte die Luft, als der zur Rettung eilende Drache die Schlange meterhoch anhob. Ehe sie erbost zubeißen konnte, hatte er sie bereits direkt neben der Burgmauer zu Boden fallen lassen, sodass sie mindestens zwanzig Meter in die Tiefe stürzte. Der Aufprall klang dumpf und knochenzerschmetternd. Zur Sicherheit ließ sich der Drache noch mal hinterherfallen. Ich hörte, wie er Schuppen aufriss und dem Wyrm den Gnadenstoß gab.

Diesmal war ich schlauer und sah nicht zu, sondern beeilte mich, dass ich von diesem Wall runterkam. Leiad kam mir bereits entgegen, packte mich am Handgelenk und rannte dann neben mir her zu einem schmalen Eingang, der ins Innere des Schlosses führte.

Kurz bevor wir dort angekommen waren, änderte er die Richtung und hielt sich dicht an der Mauer auf. »Warum gehen wir nicht ins Gebäude?«, schrie ich ihn an.

»Da brennt es. Eine Todesfalle. Außerdem hat es mindestens ein Lindwurm reingeschafft und zerlegt da drin alles.«

Ein Wurm. Blind und ohne tödliche Fangzähne, schuppenlos und scheinbar wehrlos gehörte er nicht zu den Untieren. Trotzdem konnte ein Lindwurm schweren Schaden anrichten, sobald er mal durch eine Schutzmauer gebrochen war. Er fraß dabei so ziemlich alles, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Schutt, Möbel und besonders gern Lebewesen.

Halb stolpernd, halb rennend hielten wir uns dicht an der Schlossmauer, ehe wir endlich ein Kellergewölbe erreichten. Hier wurden Weinfässer gelagert. Wir schlitterten die paar Stufen runter und landeten geradewegs in Enys Armen, die mich schluchzend an sich presste.

»Ich dachte wirklich, Ihr wärt umgekommen«, rief meine Zofe mit zittriger Stimme. »Den Drachen sei Dank, dass es Euch gut geht.«

Ja. Den Drachen sei Dank. Ohne ihr Eingreifen wäre ich jetzt definitiv tot. Trotzdem wollte sich keine Erleichterung einstellen, denn tief in meinem Inneren spürte ich, dass dieser Angriff vermutlich nur einer von vielen weiteren sein würde.

Das Zeitalter der Dubhar war angebrochen, und der Kampf der Menschheit ums pure Überleben wurde immer schwieriger. Unser einziger Schutz waren dabei die Drachen.

Und ihre Reiter.

Kapitel 1

Drei Jahre später

»Du wirst dich heute auf dem Ball benehmen, Caja«, erklärte mir meine Mutter zum bestimmt fünften Mal an diesem Tag. »Hörst du mich? Keine finsteren Blicke. Keine unpassenden Bemerkungen. Du bist die Prinzessin dieses Landes. Also verhalte dich auch so.«

Bloß dass die Prinzessin wie eine Kuh an den Schlachter verkauft wird, dachte ich bitter. Diesmal verkniff ich es mir allerdings, gegen meine bevorstehende Verlobung zu protestieren. Das brachte ohnehin nichts. Meine Eltern hatten mir einen Ehemann besorgt, und ich hatte zu gehorchen.

Jetzt stand ich vor einem mannshohen Spiegel und wurde verschnürt wie eine Gans für den Festtagsbraten. Das Korsett saß so eng, dass ich kaum zu atmen wagte, und betonte meine Brüste auf eine Weise, die man wirklich nur noch als aufreizend bezeichnen konnte. Ich schauderte, sobald ich das sah.

Ware auf einem Heiratsmarkt. Nicht mehr und nicht weniger.

Wobei ich längst verhökert worden war – und zwar an König Illian von Banain. Der grausamste Herrscher der gesamten Welt. Despot. Eroberer. Machtgieriger Mistkerl. Ich hatte ihn noch nie persönlich getroffen, doch sein Ruf eilte ihm voraus. Wenn auch nur die Hälfte davon wahr war, stand mir ein sehr kurzes, sehr schmerzhaftes Leben bevor.

Als er per Brief um meine Hand angehalten hatte, war ich mir absolut sicher gewesen, dass mein Vater ablehnen würde. König Illian galt als tollwütiger Choleriker, der Frauen lediglich als Zeitvertreib in seinem Bett betrachtete. Wurde es ihm dabei zu langweilig, entledigte er sich seines Spielzeugs auf grauenhafte Weise. So jemandem gab man seine Tochter nicht zur Frau. Aber nein. Vater hatte genau diesen Mann zu einem Fest aufs Schloss eingeladen.

Um die Hochzeitsdetails zu klären.

Allein beim Gedanken daran gruselte es mich dermaßen, dass ich am liebsten schreiend davongelaufen wäre. Damit ich das nicht tat, hatte ich mich von sämtlichen meiner Gefühle losgekoppelt und mich mit Gleichmut umhüllt. Als ginge mich das alles nichts an.

Nur war leider das Gegenteil der Fall, denn immerhin war das mein Leben, das verschachert wurde.

Möglichst gelassen starrte ich in den Spiegel, während mir die Zofe meiner Mutter ein funkelndes Diadem aufsetzte. Mein dunkelbraunes Haar mit den sonst widerspenstigen Locken darin hatte sie mit sehr vielen Nadeln zu einem kunstvoll geflochtenen Dutt gebändigt. Nur eine einzige Strähne war entkommen und kringelte sich direkt vor meinem rechten Ohr. Ich mochte sie sehr und hoffte, dass sie den kritischen Blicken aller Anwesenden entging.

Eine zweite Zofe war mit meinem Gesicht beschäftigt und verteilte reichlich Puder auf meinen Wangen, um die Blässe meiner Haut zu übertünchen. Normalerweise war ich von der Sonne braun gebrannt, doch heute sah man mir die Panik an.

Ich sollte den Schlächter heiraten. Wem wäre da nicht sämtliches Blut aus dem Gesicht entwichen?

»Die wievielte Ehefrau wäre ich für König Illian?«, fragte ich meine Mutter tonlos. Natürlich kannte ich die Antwort darauf, doch ich hatte die Hoffnung, dass meine Eltern irgendwann zur Vernunft kommen würden, wenn ich es nur oft genug betonte. Mein potenzieller Gatte war ein Mörder. Das mussten sie doch einsehen!

»Die sechste«, antwortete Mama ungerührt. Sie stand seitlich hinter mir, um die Arbeit der Zofen genau zu überwachen. Die beschäftigten sich mit meinem extravaganten Reifrock, den sie geschickt mit dem Mieder und den seidenen Strümpfen verbanden. Ich hasste das Teil jetzt schon.

»Und was geschah mit meinen fünf Vorgängerinnen?«, hakte ich unbarmherzig nach. Offenbar konnte ich es doch nicht lassen und meinen Untergang schweigend hinnehmen.

Mama schob kämpferisch das Kinn vor. Anders als ich hatte sie helles blondes Haar, stechend blaue Augen und wohl akzentuierte Gesichtszüge. Ihre scharfen Wangenknochen und das hervorstechende Kinn galten als aristokratisch und die perfekt geschwungenen Lippen und die spitze Nase als königlich.

Ich war das komplette Gegenteil. Mein Haar war schlammbraun, genau wie meine Augen. Der Rest von mir wirkte insgesamt wie abgerundet. Weiches Kinn, kleine Stupsnase, kaum sichtbare Wangenknochen. Böse Zungen bezeichneten mich als langweilig aussehend und fad. Ich hingegen war froh darum, denn dank meiner fehlenden Schönheit ging ich normalerweise in der Menge unter. Niemand hielt mich auf den ersten Blick für die Prinzessin des zweitgrößten Landes, zumal der Rest meiner Statur auch nicht so viel hermachte.

Mir fehlten schlicht die wichtigsten Merkmale einer guten Heiratspartie: große Brüste, breite Hüften, schmale Taille. Stattdessen war ich eher kompakt. Weder zierlich noch zu korpulent. Auch von der Größe her war ich der absolute Durchschnitt. Mit meinen ein Meter achtundsechzig war ich weder groß noch klein.

Bislang hatte mich meine Schlichtheit vor wirklich interessierten Verehrern bewahrt, nur rächte sich das jetzt. Mit einundzwanzig wurde es langsam Zeit für einen Ehemann. Aber musste das ausgerechnet Illian sein?

»Der König von Banain hatte Pech mit seinen Ehefrauen. Eine starb im Kindbett, eine kam bei einem Reitunfall ums Leben«, antwortete mir meine Mutter mit einiger Verspätung und schüttelte herrisch den Kopf, als meine persönliche Zofe Eny das dunkelblaue und eher unauffällige Kleid aus dem Schrank holte. »Wir nehmen das rosafarbene mit der weißen Schleife.«

Ja, prima. Jetzt wurde ich auch noch wie ein sehr auffälliges Geschenk verpackt. Dass meine Kleidung von meiner Mutter bestimmt wurde, hatte ich mittlerweile akzeptiert und diskutierte nicht weiter darüber. Ihre Ausflüchte bezüglich meines zukünftigen Ehemanns konnte ich jedoch nicht unkommentiert lassen.

»Und die anderen drei Frauen von Illian?«, bohrte ich nach und erntete lediglich Schweigen. Stattdessen beschäftigte sich Mama viel zu intensiv mit dem Kleid, befühlte den kunstvoll bestickten Saum und die viel zu überdimensionierte Schleife. Mit dem Zeigefinger zeichnete sie kurz eine einfache Rune, um das Weiß der Schleife zu intensivieren. Alltagsmagie, wie wir sie alle beherrschten, mal mehr, mal weniger gut. Irgendwann musste Mama jedoch aufsehen. Unsere Blicke trafen sich im Spiegel.

»Du ignorierst das Schicksal der anderen drei«, stellte ich mit fester Stimme klar. »Doch das wird meins sein. Eine starb in der Hochzeitsnacht aus ungeklärten Gründen, obwohl fünfzig Edelleute drum herumstanden, um dem Beischlaf zuzusehen. Eine fiel aus dem Fenster, nachdem sie einen verzweifelten Hilferuf an ihre Eltern geschickt hatte, dass ihr Mann sie ständig schlug. An einen freiwilligen Sprung glaubt niemand. Und die dritte? Die verreckte elendig an fünf gebrochenen Rippen, einem eingeschlagenen Schädel und sämtlichen gebrochenen Gliedmaßen.« Ich fixierte Mama möglichst eindringlich.

»Alles nur Hörensagen«, antwortete sie.

»Nein, Mama. Das sind keine Gerüchte. Das ist die Wahrheit. Und ob die vierte Ehefrau wirklich bei einem Reitunfall oder die fünfte bei der Geburt eines auf mysteriöse Weise verschwundenen Mädchens verstarb, ist nicht bewiesen. Fünf tote Prinzessinnen. Soll ich wirklich Nummer sechs werden?«

Für einen winzigen Moment sah ich Unsicherheit über die strengen Gesichtszüge meiner Mutter gleiten, dann hatte sie ihre Miene geglättet. Einzig das drohende Funkeln in ihren Augen blieb zurück. »Du bist die Prinzessin von Altara. Es ist deine Aufgabe, dieses Königreich zu beschützen. Deine Pflicht, um einen Krieg zu verhindern. Willst du etwa, dass Altara ein ähnliches Schicksal ereilt wie Wogdland? Dass wir zu einem Protektorat werden unter der Führung einer fremden Macht? Wenn König Illian dich zur Frau will, werden wir seinen Wunsch akzeptieren. Für den Frieden dieser Welt und um einen Krieg zu verhindern. Die vielen Angriffe der Dubhar haben unser Land geschwächt. Unser Nachbarland könnte das ausnutzen und uns den Rest geben. Du hast die Macht, uns zu retten.«

Ich schnaubte verächtlich. »Ihr opfert mich, um eure eigene Macht zu festigen. Nichts weiter. Wenn König Illian in Altara einmarschieren will, wird er das tun, ob ich jetzt seine Frau bin oder nicht. So wie er das mit Wogdland getan hat. Ich glaube eher, dass er euch testet. Wie weit kann er gehen, bis ihr ihm die Stirn bietet? Er spielt mit euch. Wie eine Katze mit der Maus – oder die Dubhar mit der Menschheit.«

Einen Moment hielt meine Mutter meinem anklagenden Blick stand, dann sah sie fort und wandte sich ab. »Zieh dich fertig an und komm danach runter. Illian wird in einer Stunde erwartet. Die Drachenreiter bringen ihn. Und Caja?«

»Ja?«

»Wenn du diese Hochzeit verhindern willst, dann solltest du etwas weniger kämpferisch auftreten. König Illian mag Herausforderungen. Sobald er deinen rebellischen Blick sieht, wird er dich brechen wollen. Also sei die brave Prinzessin, die du niemals sein wolltest, und er verliert womöglich sein Interesse.«

Mit diesen Worten ließ sie mich einfach stehen und verließ den Raum. Die Tür schloss sie sorgfältig und sehr leise, beinahe liebevoll. Ich zuckte trotzdem zusammen, als das Schloss mit einem Klicken einrastete. Das Gespräch mit meiner Mutter war vorüber. Meine letzte Chance, meinem Schicksal durch die Hilfe meiner Eltern zu entkommen, verronnen. Selten zuvor hatte ich mich derart allein gelassen gefühlt. Was sollte ich denn jetzt tun?

Ratlos blickte ich meine liebste Zofe Eny an, die genau wie ich fassungslos wirkte. »Und nun?«, fragte ich sie.

»Jetzt ziehen wir Euch dieses grässliche rosa Kleid aus und hüllen Euch in unauffällige Gewänder«, erwiderte sie möglichst vehement, doch ich hörte das Zittern in ihrer Stimme. Sie wusste genau, wie ernst die Lage war. Wenn Illian mich wirklich heiraten wollte, war ich so gut wie tot.

Mamas noch anwesende Zofen setzten zum Protest an, woraufhin ich sie aus dem Raum schickte. Einzig Eny und mein Leibwächter Leiad blieben zurück. Er hatte mich mittlerweile schon so oft nackt gesehen, dass mir vor ihm nichts mehr peinlich war. Kaum waren wir allein, trat er nach vorn und lockerte entschlossen die Korsage, sodass sich meine herausquellenden Brüste auf normale Höhe absenkten.

»Ich hab mich über Illian noch mal genauer erkundigt – und über die Frauen, die er geheiratet hat. Drei waren politische Allianzen. Eine hat er wahrscheinlich nur geheiratet, um ihre Eltern zu reizen. Das war die Prinzessin von Wogdland. Wir wissen alle, was aus dieser Heirat wurde. Kaum war sie tot, marschierte Illian dort ein und eroberte Stück für Stück erst die Provinz Ebhin und danach das gesamte Land. Die Prinzessin von Wogdland galt ebenfalls als Wildfang. So wie Ihr.« Er sah mich ernst an. »Ich fürchte, Eure Mutter hat mit ihrer letzten Bemerkung nicht ganz unrecht. Illian liebt Herausforderungen. Wenn er Euch als ungezähmten Freigeist betrachtet, werdet Ihr ein Problem haben.«

So besorgt hatte Leiad seit dem Angriff der Dubhar aufs Schloss vor drei Jahren nicht ausgesehen. Seine Aufgabe war es seit meiner Kindheit, mich vor Schaden zu bewahren. So wie es aussah, stand uns beiden eine schwierige Prüfung bevor.

»Und wenn ich mich weigere?«, fragte ich überlegend.

»Dann wird er erst recht auf diese Hochzeit bestehen und Euch zur Not zum Altar schleifen. Wäre nicht das erste Mal.«

Eny reagierte so, wie ich gern reagiert hätte. Mit einem Schluchzen. Mit Tränen in den Augen und mit Händen, die sie sich verzweifelt vor den Mund presste, um nicht laut zu schreien. Doch ich war die Prinzessin von Altara. Für Weinen oder Wüten hatte ich keine Zeit.

Ich brauchte Ideen, um die nächsten Wochen zu überleben.

»Wie ist der Plan?«, fragte ich Leiad. Er hatte immer einen Plan, egal wie schwierig es für mich aussah. Um mir aus der Patsche zu helfen, wurde er in der Regel ausgesprochen ideenreich.

Als ich mich Hals über Kopf in den Stalljungen verliebt und ihn um ein Haar geküsst hätte, konnte er einen Skandal verhindern. Als eine meiner Zofen grässliche Gerüchte über mich streute, fand er die Schuldige heraus. Als mein Vater mir eine prügelnde Lehrerin aufs Auge drückte, die mich mit Gewalt zähmen sollte, regelte er das.

Doch diesmal wirkte er ratlos, was mir nur erneut bewies, in was für einer Klemme ich steckte. »Ihr müsst Euch so unscheinbar wie möglich geben. Kein böses Anfunkeln. Kein stolz hervorgerecktes Kinn. Kein durchgedrückter Rücken. Verwandelt Euch in ein Mauerblümchen. Das ist Eure einzige Chance.«

Alles in mir sperrte sich gegen diesen Vorschlag. Mein Leben lang hatte ich dafür gekämpft, meinen freien Willen zu behalten. Mich nicht vom Titel und der Rolle, die ich auszufüllen hatte, verändern zu lassen. Und jetzt sollte ausgerechnet das die einzige Möglichkeit sein, um einer tödlichen Zwangsehe zu entgehen?

Es ging mir gegen den Strich, doch ich war klug genug, mich zu fügen. Denn mein rebellischer Geist war nicht das Einzige, was mich ausmachte. Ich war eine Überlebenskünstlerin – und verdammt: Diese Sache würde ich genauso überstehen wie die dritte Vergiftung, die fünfte Messerattacke oder ein Herz, das erst vom Stalljungen, danach von meiner über mich tratschenden Zofe und soeben von meiner Mutter gebrochen worden war.

Ich würde es überstehen.

»Dann lasst uns mich mal in ein Mauerblümchen verwandeln«, sagte ich und schnappte mir höchstpersönlich das triste blaue Kleid, um es mir vehement überzuziehen. Dass meine kunstvolle Frisur durcheinandergeriet und sämtliche Locken den goldenen Klammern entkamen, störte mich wenig. Eny zupfte bereits darin herum, um mir das auffällige Diadem herauszuholen und durch ein schlichtes Stirnband zu ersetzen. Direkt im Anschluss reichte mir Leiad einen Lappen, damit ich mir den Puder aus dem Gesicht wischen konnte.

Tatsächlich benötigte ich lediglich fünf Minuten, um mich von einer glitzernden Prinzessin in ein unscheinbares graues Menschenmädchen zu verwandeln, das man in ein teures, aber völlig fades Gewand gesteckt hatte.

»Perfekt«, erklärte ich zufrieden, und auch Leiad und Eny nickten bestätigend. Dabei fielen mir durchaus die besorgten Blicke auf, die sie miteinander tauschten. »So, ihr beiden. Dann gebe ich euch fünf Minuten für eure Zweisamkeit. Im Anschluss versuchen wir einen König dazu zu bringen, das Interesse an mir zu verlieren.«

Ich klopfte meinem Leibwächter aufmunternd auf die Schultern und ging an ihm vorbei in Richtung der Latrinen, um Eny und ihn allein zu lassen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Leiad bereits seine Hand ausstreckte, um Eny zaghaft an sich zu ziehen. Rücksichtsvoll, wie die zwei nun mal waren, warteten sie mit dem ersten Kuss, bis ich den Raum verlassen hatte.

Normalerweise störte mich ihr kleines Glück überhaupt nicht. Seit fünf Jahren waren sie zusammen. Dass sie ihre Liebe einzig durch meine Rücksichtnahme ausleben durften, war ausgesprochen lästig für uns drei, doch sobald wir sie publik machten, würde sich unser Trio auflösen müssen.

Der Leibwächter der Prinzessin durfte sich auf keinen Fall von der Zofe ablenken lassen. Wen würde er bei einem Angriff eher schützen: mich oder Eny?

Seit dem Dubhar-Angriff kannte ich die Antwort, selbst wenn sie mir nicht gefiel: Für Leiad stand die Pflicht über der Liebe. Er würde mich schützen, egal was geschah. Dabei war das gar nicht nötig, denn ich konnte mich dank seiner jahrelangen Ausbildung sehr gut selbst verteidigen. Eny hingegen wäre einem Angriff schutzlos ausgeliefert. Dennoch würde er im Zweifel mich in Sicherheit bringen und Eny zurücklassen.

Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, lehnte ich mich dagegen und versuchte, meine flatternden Nerven zu beruhigen. Nach außen hin bemühte ich mich immer um eine kühle Fassade, doch innerlich starb ich tausend Tode. Das Gefühl, nicht über mein eigenes Leben bestimmen zu können, war schrecklich. Ausgeliefert zu sein. Weder vor noch zurück zu können. Vor allem, wenn sich die eigenen Eltern von einem lossagten, um ihre Haut zu retten, immer unter dem Deckmantel, dass es ihnen nur um das Überleben des Landes ging. Von wegen. Sie wollten nur sich selbst in Sicherheit bringen.

Jetzt bloß nicht weinen, Caja, dachte ich streng, als mir die Tränen in die Augen stiegen. Du schaffst das! Du bist stark! Du bist klug! Du lässt dich nicht brechen. Von niemandem!

Trotz meiner mentalen Anfeuerungen blieb ich wie schockgefroren an die Tür gelehnt stehen, bis Leiad vorsichtig klopfte. »Wir müssen los, Eure Hoheit«, sagte er leise.

Ich brauchte meine gesamte Willenskraft, um mich aus meiner Position zu lösen und die Tür zu öffnen. Leiad sah aus wie immer. Kurz geschorene Haare, buschige Brauen, krumme Nase und ein aufmerksamer Blick, der nie stillstand. Mit seinen dunklen Augen blickte er mich in der Regel sanft, Eny liebevoll und den Rest der Welt misstrauisch an. Einzig dass seine Lippen dezent gerötet waren, unterschied sich von seiner sonst üblichen Ausstrahlung.

Verdammt. Ich wollte auch diese Leidenschaft fühlen, die zwischen den beiden unübersehbar seit Jahren knisterte. Diese Blicke. Die heimlichen Berührungen. Ein liebevolles Augenzwinkern. Sie lebten das aus, was ich mir wünschte: eine Liebe, die nicht an Bedingungen geknüpft war. Mit der man nicht das eigene Land oder seine Eltern schützen musste. Liebe um der Liebe willen.

Die beiden waren unendlich süß miteinander. So grausam verliebt, dass es mein Herz bluten ließ. Sie waren mein Sinnbild für Loyalität, Achtsamkeit und Leidenschaft. Das perfekte Paar.

Für beide wäre es eine Katastrophe, wenn ich Illians Frau werden musste, denn um nichts auf der Welt würde ich Leiad mitnehmen können. Er würde versuchen, mich vor meinem Ehemann zu schützen, was sein sicheres Todesurteil bedeuten würde. Doch auf Enys Rückendeckung konnte ich auf keinen Fall verzichten. Sie würde mitkommen, so leid mir das auch tat.

»Wir müssen diese Heirat verhindern«, sagte ich entschlossen zu Leiad. »Für euch und für mich.«

Mein Leibwächter nickte dazu lediglich und trat zur Seite, damit ich ihn passieren konnte. Eny zupfte sich ihr Kleid zurecht und nahm anschließend ihre gewohnte Position hinter mir an meiner rechten Seite ein. Ihre Wangen waren dezent gerötet. Selbst nach den vielen Jahren war es ihr mir gegenüber peinlich, dass sie sich ausgerechnet in meinen Leibwächter verliebt hatte.

Für mich hingegen war ihre Liebe das Symbol, dass Glück existierte, solang man nicht aufgab.

Von meinen beiden liebsten Menschen begleitet, verließ ich meine Räume, um mich weiteren Edelleuten anzuschließen, die allesamt Richtung Innenhof strebten.

Mittlerweile sah man ihm den Dubhar-Angriff von vor drei Jahren nicht mehr an. Die Büsche waren wieder groß und breit gewachsen, die Mauern neu errichtet und die Wiesen geflickt worden. Einzig der Durchgang zu einer weiteren, noch größeren Rasenfläche war neu. Der Landeplatz für die Drachen. Nicht dass sie uns häufig besuchten.

Seit dem Angriff hatten sie die Hauptstadt gemieden, um die politischen Spannungen zwischen Banain und Altara zu umgehen. Die Wiese war daher eher ein Symbol, um die Verbundenheit zur Drachennation darzustellen. Eine Verbundenheit, die in Wahrheit gar nicht existierte.

Ich selbst hatte einen Drachen erst ein einziges Mal aus der Nähe gesehen, als uns die Kunde vom Tod meines Großvaters überbracht worden war. Ab da hatte mein gesamtes Leben auf dem Kopf gestanden. Mein Vater war plötzlich der König, mein Bruder der Kronprinz und ich eine Prinzessin geworden, die bestmöglich verheiratet werden musste. Damals war ich drei gewesen. Mit achtzehn hatte ich die Drachen beim Angriff erlebt. Seitdem waren sie für mich lediglich Punkte am Horizont gewesen. Das würde sich jetzt wohl ändern.

Meine Eltern standen bereits wartend auf der obersten Treppenstufe, mit dem Gesicht zur freien Fläche. Hinter ihnen erhob sich das beeindruckende Schloss. Ganz in Weiß gehalten, mit vergoldeten Türmchen und silbernen Ornamenten. Imposante Säulengänge sorgten für ein luftiges Gefühl, genau wie die hohen Decken und die vielen Kronleuchter, die dicht nebeneinanderhingen und Helligkeit und Freiheit vermittelten. Damit nur ja nicht das Gefühl von Enge und Bedrohung aufkam.

Rechts und links von meinen Eltern versammelte sich der Hofstaat, dahinter die Ehrengarde mit den glutroten Standarten und den Posaunenbläsern. Mein Bruder teilte soeben die Menge, um neben meine Eltern zu treten. Ich folgte ihm dichtauf und drängelte mich neben ihn. Er warf mir lediglich einen verächtlichen Blick zu und ignorierte mich weitestgehend, während meine Mutter entsetzt das blaue Kleid musterte.

Zum Umziehen war es nun zu spät. Sieben kleine Punkte am Himmel näherten sich zügig und wurden immer größer und größer. Die Drachen, die König Illian samt seiner Leibgarde zu uns brachten.

Normalerweise waren sich Drachenreiter für solche Aufträge zu schade. Sie hatten anderes zu tun, als einen König von einem Ort zum anderen zu bringen. Da es im Moment aber zwischen den Ländern Altara und Banain schwelte und ein Krieg drohte, hatten sie sich dazu herabgelassen. Zumal sie als Gegenleistung für ihre Dienste innerhalb der Schlossmauern neue Rekruten anwerben durften.

Ein Drachenreiter zu werden war Fluch und Segen zugleich. Hohes Ansehen, finanzielle Sicherheit für die Angehörigen und Macht waren ihnen sicher. Allerdings starben Drachenreiter auch verdammt jung, von daher überlegten es sich viele Männer und Frauen dreimal, ob sie sich der Auswahl stellten.

Erneut gab es Gerangel auf den Treppenstufen. Vier wichtig aussehende Männer und eine Frau in rot-orangefarbenen Roben traten vor uns, verbeugten sich kurz und stellten sich dann mit den Rücken zu uns auf die untere Stufe. Ein eingestickter grauer Drache machte deutlich, dass sie zur Drachennation gehörten. Um genau zu sein, zur Elite. Hier warteten die Angehörigen des Drachensenats, darunter Gerwen, der neu gewählte Hohepriester und damit das Staatsoberhaupt der Drachenwelt.

Anders als man annehmen würde, wurde der Senat nicht von den eigentlichen Drachenreitern gestellt. Wie erwähnt: Drachenreiter starben jung. Viele überlebten nicht mal das zweite Jahr, selten wurden es vier oder fünf. Der älteste war angeblich seit acht Jahren dabei, eine absolute Ausnahme. Damit die Führungselite nicht ständig ausgetauscht werden musste, bestand der Drachensenat aus den ranghöchsten Priestern, den Vorständen der einzelnen Zünfte und natürlich den Hoheiten und Militärangehörigen der Länder. Sie entschieden über das Wohl und Wehe sämtlicher Drachenreiter, ohne selbst unter ihnen zu leben.

War das seltsam? Absolut. Den Drachenreitern blieb jedoch nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Befehl war Befehl. Sie waren lediglich der ausführende Arm, ohne selbst bestimmen zu dürfen. Sobald sie Drachenreiter wurden, verloren sie ihre Staatszugehörigkeit und wurden Teil der Drachennation. Im Anschluss stellten sie ihre Dienste allen Ländern zur Verfügung und wurden dafür fürstlich entlohnt. Eine Söldnerarmee, wenn man so wollte.

Würde es König Illian irgendwann gelingen, die Drachenreiter auf seine Seite zu ziehen, sah es für den Rest der Menschheit übel aus. Immer wieder gab es entsprechende Gerüchte, doch bislang war die Machtstruktur erhalten und die Drachenreiter neutral geblieben. Fragte sich nur, wie lange noch. Angeblich sollte Illian selbst über eine Menge Drachenmagie verfügen, nur war das nie offiziell überprüft worden.

Mein Herz begann schneller zu schlagen, je näher die Punkte kamen. Die Schuppen des vordersten Drachen waren bereits zu erkennen, genau wie seine seltsam glühenden Augen. Ein Merkmal sämtlicher Magiewesen, genau wie die Funken, die bei jeder Bewegung um sie herum aufflammten. Es sah aus, als würde der Drache im Takt seines Herzschlags in Flammen aufgehen. Schön und unheimlich zugleich.

Anders als die schlangenartigen Wyrm oder die geflügelten Wyvern hatten die Drachen vier Beine, die in Füßen mit messerscharfen Krallen endeten. Ihre Schwingen saßen oberhalb ihrer mächtigen Vorderbeine, direkt am Rückenansatz. Je nach Lichteinfall sah die Membran fast durchsichtig aus. Dunkelgrüne Schuppen, die in Stacheln, Höckern oder Hörnern endeten, sorgten für den perfekten Schutz. Sie überlappten einander, was beim Wyrm angeblich anders war. Hier lagen die Schuppen eng aneinander. Letztlich war das aber auch egal. Sowohl Drache, Wyrm, Wyvern oder die drachenähnlichen, aber flügellosen Drakon gehörten zu den Untieren, jenen mächtigen Wesen, die uns Menschen das Fürchten lehrten.

Im Gegensatz zu den anderen Arten hatte sich der Drache jedoch mit dem Menschen verbündet. Ein Umstand, der unser Überleben sicherte, denn ohne die Drachen wären wir längst vom Antlitz dieser Erde verschwunden. Vor allem, seitdem die Dubhar als tödliche Gegner dazugekommen waren.

Ich schauderte, als ich an diese Wesen dachte. Wann immer die Rede auf die Dubhar kam, wurde es still um einen herum. Jeder, selbst der hartgesottenste Kerl, hatte Angst vor ihnen.

Einzig die Drachenreiter nahmen den Kampf gegen sie auf.

»Caja! Steh gerade«, riss mich mein Bruder Taran aus der Betrachtung. Erst durch seine Worte fiel mir auf, dass ich mich tatsächlich etwas nach vorn gelehnt hatte, um die Drachen besser sehen zu können. Seufzend richtete ich mich wieder auf und wartete, bis die Magiewesen so nahe heran waren, dass ich sie, auch ohne Tadel zu riskieren, sehen konnte.

Der vorderste Drache war etwas kleiner als der Rest. Vermutlich ein Weibchen. Dahinter flogen drei direkt nebeneinander, wobei der mittlere graziler wirkte und sehr viel größere Schwingen besaß. Er war etwas heller als der Rest, wodurch er herausstach, zumal die Funken um ihn herum besonders hell leuchteten. Der mächtigste Magieträger der Formation.

Er war auch der einzige, der nicht heroisch erst noch einen Überflug über uns startete, sondern direkt zur Landung überging. Anders als geplant setzte er keineswegs auf der weit entfernten Wiese auf, um dann zu uns herüberzuschreiten. Nein. Er landete kaum zwanzig Meter von uns entfernt auf dem marmornen Vorplatz, ließ sämtliche Schleier davonwehen, die Standarten flattern und sorgte für erschrockene Aufschreie. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, brüllte er uns an, dass uns die Ohren klingelten.

Ein Raunen mischte sich unter die Angstlaute, und so mancher trat unauffällig einen Schritt zurück oder duckte sich sogar. Auch mein Bruder. Ich hingegen war viel zu fasziniert von diesem majestätischen Wesen, um mich auch nur zu rühren.

Es war imposant. Gewaltig. Einzigartig. Jede Schuppe schimmerte in einem anderen Grün, beleuchtet von blitzenden Funken. Pure Magie. So etwas hatte ich noch nie aus der Nähe gesehen, geschweige denn gespürt. Das hier war vermutlich das schönste Wesen, das mir je untergekommen war. Und das tödlichste.

Kapitel 2

 

Grollend schlug der Drache mit den gewaltigen Schwingen, und mir fiel sofort auf, dass die rechte einen Hauch anders geformt war als die linke. Eine wulstige Narbe zog sich vom oberen Ansatz bis ganz nach unten, als hätte etwas den Flügel um ein Haar zweigeteilt. Trotzdem konnte der Drache fliegen – und sämtliche Anwesende in Angst und Schrecken versetzen. Gerade senkte er seinen gewaltigen Kopf mit den zwei Hörnern rechts und links am Schädel. Von der Stirn an zog sich ein kleinerer Hornkamm bis über den Kopf, den Hals bis zum Rücken, und dort, wo bei vielen Tieren Ohren waren, entdeckte ich lediglich mehrere unterschiedlich große Stacheln. Die Augen wurden von dunkleren Schuppen umrandet, wodurch sie die feurigen Iriden noch klarer betonten. Die Pupillen waren wie bei einer Katze geschlitzt. Und der Drache blickte mich direkt an.

Mich. Niemand anderen.

Instinktiv wusste ich, dass ich jetzt nicht fortsehen durfte. Anders als bei einem Bären war das hier keine Herausforderung zum Kampf. Es war ein Test. Auf Tapferkeit. Auf Mut. Auf Entschlossenheit. Also erwiderte ich den starrenden Blick stoisch, während um mich herum die Menschen versuchten, ihre durchgehenden Nerven einzufangen.

Erst als das Starren an Intensität zunahm, begann ich an meiner ursprünglichen Annahme zu zweifeln. Forderte ich das Magiewesen womöglich doch heraus? Musste ich meinen Blick senken? Einen Knicks machen?

»Caja«, murmelte mir Taran prompt zu. »Was tust du?«

Gute Frage. So richtig wusste ich das auch nicht, also tat ich das, was eine Prinzessin vermutlich in dieser Situation von Anfang an hätte tun müssen: Ich sank in einen Knicks und richtete meinen Blick ehrfürchtig gen Boden. Der Drache antwortete mit einem Grummeln, das ich bis in die Knochen spürte. Ob es Zustimmung oder Verärgerung war, ließ sich leider nicht erkennen.

Auch der gesamte Rest des Hofstaates ahmte meine Geste nach, wobei die Männer hastig eine Verbeugung andeuteten. Selbst die Standarten senkten sich einen Hauch, als sich die Träger bewegten.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich Taran bereits wieder aufrichtete, und ich beeilte mich, es ihm gleichzutun. Diesmal achtete ich allerdings darauf, dem Drachen nicht erneut direkt in die Augen zu sehen. Der hatte sich längst seitlich gestellt, sodass ich nun einen Blick auf die Reiter werfen konnte.

Der bulligere von beiden kletterte soeben geschickt vom Rücken des Untiers und sprang die letzten eineinhalb Meter zu Boden. Er trug eine glänzende Rüstung mit Schulterplatten, Brustpanzer und reichlich goldenen Verzierungen. Eindeutig Schutzrunen aller Art. Seine Hose war ähnlich verstärkt, und selbst über seinen Stiefeln entdeckte ich Panzerung. Das verwirrte mich, da Drachenreiter sich für gewöhnlich in Leder hüllten, um leichter und beweglicher zu sein.

Dieser hier wirkte eher wie …

… ein König auf Kriegszug.

Soeben setzte er sich seine Krone auf, die er wegen des vermutlich rasanten Drachenflugs in den Händen gehalten hatte. Sie sah schwer und kostbar aus, mit Diamanten und Juwelen besetzt, die in Rot und Orange funkelten. Da er sie sehr tief herunterzog, reichte sie ihm fast bis zu den buschigen dunklen Brauen, die sich über finster blickenden Augen wölbten. Dass sich seine dunkelblonden Haare in sanften Wellen bis zur Schulter wanden, war vermutlich das einzig Freundliche an seiner Aufmachung. Der Vollbart betonte seine kräftigen Gesichtszüge und vor allem seine gesamte Ausstrahlung.

Düster. Einfach nur düster.

Dass da König Illian von Banain vor mir stand, musste mir niemand mehr bestätigen. Auch ohne die Krone hätte ich es sofort gewusst. Er strahlte Gefahr und Tod aus. Allein wie er sich bewegte, jagte mir eine Gänsehaut quer über den gesamten Körper.

Trotzdem huschte mein Blick erneut zu dem Drachen, der Illian mindestens genauso verächtlich musterte wie den Rest der Menschenansammlung vor sich. Unwillig schüttelte er sein Haupt und bewegte sich unruhig, als wollte er sich abwenden. Fortgehen. Allerdings hatte sein verbliebener Reiter offenbar andere Pläne. Er sprang direkt vom Rücken runter, landete leichtfüßig wie eine Katze auf den Füßen und musste sich dabei nicht mal großartig abfedern.

Als er sich aufrichtete, überragte er sogar den hochgewachsenen König vor sich, und um ehrlich zu sein, hielt seine Ausstrahlung locker mit der von Illian mit.

Nicht ganz so finster. Nicht ganz so unheimlich, aber definitiv ausgesprochen mächtig. Schon allein durch seine Körperhaltung machte er klar, dass er sich eher selten unterordnete. Nicht einmal einem König.

Ich blinzelte und bemühte mich, ihn nicht anzustarren und mich auf Illian zu konzentrieren, der soeben seinen stechenden Blick über die Menschenmenge gleiten ließ. Er kräuselte die Lippen zu so etwas wie einem Lächeln, als er meine Eltern erblickte. Die senkten ganz leicht ihre Häupter, um den Gast zu empfangen, während der Rest des Hofstaates in eine tiefe Verbeugung oder in einen Knicks sank.

Auch mein Bruder.

Nur ich nicht. Ich war etwa drei Sekunden später dran, weil ich den Drachenreiter noch kurz zu Ende hatte mustern müssen. Dunkelbraune Haare, die er zu einem unordentlichen Zopf gebunden hatte, wobei mehr als die Hälfte der Strähnen daraus entkommen waren. Ein Dreitagebart, geschwungene Augenbrauen und die breitesten Schultern, die ich je gesehen hatte, ohne gleichzeitig bullig und unbeweglich zu erscheinen. Statt Rüstung trug er ein schwarzes Wollhemd mit einer grauen Tunika darüber, lederne Hosen und hellbraune Armstulpen.

Doch vor allem faszinierten mich die vielen dunklen Tattoos, die sich überall auf seiner Haut befanden und sich je nach Bewegung zu verändern schienen. Magische Zeichen, die sich ständig erneuerten. Ich hatte davon gehört, sie allerdings noch nie gesehen.

Leider hatte ich drei Sekunden zu lange benötigt, um sie zu betrachten. Viel zu spät sank ich in einen Knicks und hatte dadurch längst die Aufmerksamkeit des Königs auf mich gezogen.

Trotz meines gesenkten Hauptes sah ich aus den Augenwinkeln, wie er auf mich zutrat. Langsam und betont erhaben.

»Königin Alissa, König Ultar, Prinz Taran. Wie erfreulich, Euch zu sehen«, sagte er mit der dunkelsten Stimme aller Zeiten und einem darin mitschwingenden falschen Lächeln. Er hatte die Länderkennung weggelassen. Ein Fehler, den er gewiss absichtlich gemacht hatte, um direkt am Anfang aufzuzeigen, dass er uns überlegen war.

Altara gab es nur noch, weil er das gestattete.

Meinem Vater war es garantiert ebenfalls aufgefallen, doch er schluckte die Beleidigung kommentarlos. »König Illian von Banain. Willkommen«, würgte er hervor. Ärgerlicherweise hörte ich ein leichtes Zittern in seiner Stimme.

Rückgrat, Vater, dachte ich im Stillen. Sonst schickt Illian schon morgen sein Heer!

Wenn Illian etwas nicht leiden konnte, dann Schwäche. So viel wagte ich bereits jetzt über diesen Mann zu sagen. Ein zittriger König war bestimmt nicht nach seinem Geschmack.

Als ich sicher war, dass sich meine Familie wieder aufgerichtet hatte, tat ich das ebenfalls – und begegnete prompt dem kühlen Blick meines möglichen Ehemannes. Er musterte mich von den Zehenspitzen bis zum Scheitel. Dabei zog er die Stirn kraus und kniff die Augen zusammen.

»Prinzessin Caja«, erklärte er mit einem gewissen Charme in der Stimme, trat auf mich zu und nahm meine Hand. Ich konnte nichts anderes tun, als die Berührung zuzulassen. Normalerweise deuteten Edelmänner lediglich den Handkuss an, doch Illian interessierte das nicht. Seine schwieligen Finger schloss er viel zu fest um meine und bohrte seinen Daumen in meinen Handrücken, um sich galant darüber zu beugen. Gleich darauf spürte ich die Feuchte seiner Lippen und …

Nein! Das hatte er nicht getan!

Seine Zunge strich wie zufällig über meine Haut. Er hatte mich angeleckt. Der verdammte König von Banain hatte mich angeleckt und mir damit klar zu verstehen gegeben, dass er alles mit mir machen konnte. Kein angedeuteter Handkuss. Kein vorsichtiges Berühren meiner Haut. Nein. Er ging direkt zum Angriff über.

Dass er dabei unterhalb von mir auf der letzten Stufe stand, symbolisch selbstverständlich verheerend, schien ihn nicht zu stören. Im Gegenteil. Mit herausfordernd funkelnden Augen sah er zu mir hoch, meine Hand noch immer fest in seinem Griff.

Erst als mir mein Bruder seinen Ellbogen in die Rippen stieß, wurde mir klar, dass Illian auf die Erwiderung seiner Begrüßung wartete.

Mein Herz donnerte in der Brust, während ich ihn anstarrte. Er hatte tiefe Falten im Gesicht und noch mehr Narben. Eine ging quer über sein Auge, sodass er es nicht vollständig öffnen konnte und es halb geschlossen blieb. Dadurch war sein Alter schwer einzuschätzen, doch ich hatte mich erkundigt. Illian war Mitte fünfzig und hatte ein Leben voller Kämpfe geführt. Das sah man seinem Körper an. Seine Nase war krumm und schief und seine untere Lippe gespalten. Ein Gesicht wie aus einem Horrormärchen.

Den Gerüchten nach war seine gesamte Familie durch einen Angriff der Untiere umgekommen. Eine durchgehende Herde Drakon hatte die Reiterei seiner Eltern überrannt. Sie starben, er selbst überlebte nur knapp. Sein älterer Bruder wurde bei einer Hetzjagd auf Wyvern in Fetzen gerissen, wodurch Illian schon mit vierzehn Jahren auf den Thron gelangte. Er hatte ihn mit allen Mitteln verteidigt. Bis heute.

Mit diesem Mann legte man sich nicht an. Niemals.

Und trotzdem sagte ich so freundlich, wie ich es vermochte: »König Illian. Willkommen in Altara.«

Wenn er die Länderkennung wegließ, konnte ich das auch.

Einen winzigen Moment wirkte er verdutzt, dann schlich sich ein Grinsen auf sein Gesicht, das seine Züge schärfer und seine Aura noch gruseliger machte. Gleichzeitig zog er an mir, sodass ich eine Stufe nach unten stolperte, während er eine hinaufging und seitlich neben mir stehen blieb, um den Abstand zwischen uns zu verringern.

»Ah«, sagte er seltsam zufrieden. »Eine Prinzessin, die sich nicht alles bieten lässt. Wie erfrischend.« Als er sich nun vorbeugte, strich sein Atem heiß über mein Ohr und in meinen Nacken hinein. »Es wird mir eine Freude sein, Euch diese Widerborstigkeit in meinem Bett auszutreiben und Euch zu brechen«, flüsterte er. Zeitgleich ließ er mich endlich los, um an mir vorüberzutreten und meinen Vater auffordernd anzusehen.

»Wir sollten die Hochzeitsformalitäten klären«, sagte er zu ihm und überrumpelte damit nicht nur mich.

»Aber … Ihr wolltet meine Tochter doch erst kennenlernen«, widersprach Vater erschrocken.