Bin hexen - Liane Mars - E-Book

Bin hexen E-Book

Liane Mars

4,0

Beschreibung

Es wird weitergehext! Prim geht in die zweite Runde! Hexe Prim will die Magie endlich mögen. Leider ist das schwieriger als erwartet. Zaubern ist noch immer gefährlich und völlig unberechenbar. Als jedoch ein Mitglied ihres Zirkels ermordet wird, erkennt Prim die unfassbare Wahrheit: Die Magie ist nicht nur chaotisch und frech. Sie kann auch töten. Prim will den Mörder fassen, bringt damit aber auch den ehemaligen Hexenjäger Liam in Lebensgefahr. Kann sie ihn retten? Oder ist der Preis dafür zu hoch?Eine Hexe, die für ihre Liebe kämpft.Ein Mörder, der sein Unwesen treibt.Und eine Magie, die alles nur noch schlimmer macht. Teil 1: Bin hexen Wünscht mir Glück Teil 2: Bin hexen Geht in Deckung

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Bin Hexen

Geht in Deckung

Liane Mars

Copyright © 2019 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

http: www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Nina Bellem

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout: Michelle N. Weber

Umschlagdesign: Marie Graßhoff

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-816-9

Alle Rechte vorbehalten

Für Papa

Ohne dich gäbe es dieses Buch nicht.

Du wirst immer in unseren Herzen leben.

Inhalt

Die Magiegesetze

1. Wenn das Zauberpüppchen tanzt

2. Rosa Zettel nerven

3. Mörder kommen immer nachts

4. Tote Hexen reden Stuss

5. Sobald der Habicht dreimal klingelt

6. Zaubern will gelernt sein

7. Der Wahlkampf mit Kuh

8. Je blöder der Reim, desto wilder die Magie

9. Drum prüfe gut, was du so zauberst

10. Eins plus eins ergibt magisch bedingt eine Drei

11. Der Feind hat doofe Ohren

12. Der guckt so schuldig

13. Drama ohne Lama, dafür mit Kuh

14. Trainieren ist besser als genieren

15. Den falschen Mörder überführt

16. Wähle weise, niemals Prim

17. Ducken und weg

18. Showdown mit Habicht

19. Katze zum Quadrat

20. Epiloge sind Pflicht

Glossar

Danksagung

Über die Autorin

Die Magiegesetze

Magiegesetz 1

Die Magie macht noch immer ihre eigenen Gesetze.

Je verrückter ein Zauberspruch ist, desto besser funktioniert er.

Außer wenn Prim hext. Da geht eh alles schief.

Magiegesetz 2

Hexen müssen zaubern. Sonst langweilt sich die Magie und es passiert das, was ihr aus Teil eins kennt.

Magiegesetz 3

Eine Hexe ist verpflichtet, ihren menschlichen Hexenzwilling

kennenzulernen. Sonst … siehe Punkt 2.

Magiegesetz 4

Mit Magie kann man nicht töten. Zumindest theoretisch.

Kapitel 1

Wenn das Zauberpüppchen tanzt

Ich starrte fassungslos das Hula-Mädchen an, das auf meiner Türschwelle herumzappelte. Das handtellergroße Püppchen klapperte wild mit seinem Kokosnuss-BH und ließ die Hüften so heftig kreisen, dass sein ohnehin schon viel zu kurzes Baströckchen in unanständige Höhen wirbelte. Dabei giggelte und kicherte es. Der laszive und gleichzeitig herausfordernde Blick aus sturmgrauen Augen war eindeutig eine Kriegserklärung. An mich.

Ich schluckte.

Der Tanz des Püppchens allein war schlimm genug. Sobald das Magiewesen zu hüpfen begann, zeigte es mir eindringlich an, dass ich dringend zaubern musste. Etwas, das ich möglichst vermied, da ich darin nach wie vor eher unbegabt war. Aber dass das Zaubermädchen vor meiner Haustür tanzte – das war das eigentliche Problem. Es hatte hier nichts zu suchen. Bisher hatte es bei meiner Mutter gewohnt. Was machte es also vor meiner Haustür?

In der gleichen Sekunde klingelte mein Festnetztelefon. Okay. Es muhte vielmehr. Seitdem ich ein einziges Mal ohne Zirkelunterstützung daheim gezaubert hatte, waren sämtliche elektrischen Geräte defekt. Mein Toaster spielte die französische Nationalhymne, meine Kaffeemaschine gab Milch und mein Fernseher zeigte nur noch Dokumentationen über Kühe.

Das Muhen des Telefons wurde intensiver, je länger ich wartete. Aber das Hula-Mädchen! Was machte ich denn jetzt mit dem? Ich durfte es unmöglich allein vor der Tür lassen. So was konnte in einer Katastrophe enden.

Das Püppchen nahm mir die Entscheidung ab, sauste an mir vorüber und hielt auf die Treppe zu. Sofort geriet ich in Panik. Liam war oben im Bad und sang wie immer lauthals unter der Dusche. Das Hula-Mädchen hatte das gehört und erklomm bereits jede Stufe einzeln, das Ziel fest vor Augen. Liam.

Jener Hüne, der panische Angst vor magischen Dingen hatte.

Dem ich fest versprochen hatte, ihn vor den Belästigungen verzauberter Gegenstände, insbesondere verliebter Hula-Püppchen, zu beschützen.

Und der mir die Hölle heiß machen würde, sollte er Besuch von ebenjenem Zaubermädchen bekommen. In der Dusche.

Hektisch schmiss ich die Tür zu und wollte hinterher, da muhte mich das Telefon so laut an, dass ich meine Meinung änderte. Besser ich nahm den Anruf an. Klang dringend.

»Was?«, schrie ich in den Hörer und brüllte gleichzeitig in Liams Richtung: »Achtung, das Hula-Mädchen kommt.«

»Genau. Deswegen rufe ich an«, sagte meine Mutter am anderen Ende der Leitung. Zeitgleich fing Liam an zu quieken.

»Scheiße«, hörte ich und weitere Flüche folgten. Dann kam das, was ich bereits erwartet hatte. »Prim! Prim, komm her und schaff das verflixte Hula-Püppchen aus meiner Dusche.«

»Vermisst du was?«, seufzte ich in den Hörer. Das Püppchen terrorisierte normalerweise Mamas Haushalt. Jeder Hexenzirkel besaß ein mehr oder weniger nerviges Exemplar. Es zeigte mit seinem Getanze an, wenn der magischste Hexer des Kreises zaubern musste. In meiner Runde war das ich.

»Die freche Göre muss durchs Fenster getürmt sein«, erklärte meine Mutter und ich stutzte. Nanu? Meine Mutter klang gestresst. Das war sie noch nicht einmal beim bevorstehenden Weltuntergang gewesen. Hervorgerufen durch ihre eigene Tochter.

»Ja, aber was will sie denn hier?«, fragte ich verwirrt. Ihre Antwort über Liams deftiges Gefluche hinweg zu hören war leider unmöglich. Ich vernahm nur Wortfetzen wie ›Änderung‹ und ›neu‹ und ›Zirkel‹.

Was ich ziemlich gut hörte, war Liams Gebrüll. »Prim, Prim, Prim«, rief er immer wieder. »Das Püppchen entblättert sich. Es legt einen Striptease aufs Parkett. Hilfe!« Da der Mann ein überaus geachteter, richtig gut ausgebildeter Hexenjäger war, nahm ich seine Not nicht wirklich ernst. Ja, er hatte Angst vor Hula-Püppchen. Das konnte ich sogar verstehen. Aber die Dinger waren normalerweise nur nervig und eher ungefährlich. Viel beunruhigender war Mamas unverständliche Plapperei.

Die Haustürklingel bimmelte erneut. Ich ignorierte sie zunächst, doch leider konnte ich dadurch Mamas Erklärung noch viel weniger verstehen.

»Mama, ich rufe gleich zurück«, unterbrach ich ihren Redeschwall, warf den Hörer auf die Gabel und hetzte zur Tür. Bevor ich dort ankam, polterte Liam die Treppe runter und sah mich erzürnt an. Er war allein.

»Wo ist das Püppchen?«, fragte ich entsetzt. Das Mädchen durfte man ähnlich wie einen Zweijährigen niemals unbeaufsichtigt lassen. Die Folgen konnten verheerend sein. Für die Wohnung, das eigene Wohlbefinden und sämtliche Nachbarn dieser Welt.

Ein Pfiff ertönte und ein lasziv die Hüften schwingendes Püppchen erschien auf dem Handlauf der Treppe. Das Baströckchen und der Kokosnuss-BH hatten sich in Luft aufgelöst. Nur die Blümchenkette hielt es noch in den Händen und ließ sie wie eine Peitsche durch die Luft sausen.

»Es wollte mit mir duschen. Nackt.« Liams Empörung war unübersehbar. Seine sonst bronzene Haut hatte jetzt einen Hauch von Rot und in seinen dunkelblauen Augen funkelte die reine Wut. Er fand die Avancen des Zaubermädchens überhaupt nicht lustig. Kein Wunder. Liam hasste nach wie vor alles Magische. Er ertrug den Toaster, die Kaffeemaschine und das Telefon nur mir zuliebe. Beim Hula-Püppchen hörte seine Geduld jedoch auf.

Meine Haustürklingel starb inzwischen den Heldentod, sodass ich mir eine Antwort sparte. Stattdessen riss ich die Tür auf, um das Geklingel zu beenden.

Ich blickte in zwei riesige grüne Augen. »Hey, Primadonna. Wie geht’s?« Zu den grünen Augen gehörten ein freches Grinsen, wildes Kaugummikauen und jede Menge Piercings.

»Gut. Und wer fragt das?«

Eine Kaugummiblase verdeckte kurz den schwarz geschminkten Mund. Ich wartete, bis sie platzte. »Ich bin Nao und freu mich voll, dass ich dich als Zirkelmutti zugeteilt bekommen habe. Endlich gehöre ich zu einer richtig coolen Truppe. So wie die da.« Sie deutete lässig über ihre Schulter und meinte damit drei Männer, die ich erst jetzt wahrnahm. Sie waren groß, schlank und attraktiv. Mehr registrierte ich nicht, bevor ich der Kaugummisüchtigen abrupt die Tür vor der Nase zuschlug.

Langsam drehte ich mich zu Liam um, der mich entsetzt anstarrte. Vor ihm stand noch immer das Hula-Püppchen und warf ihm Luftküsschen zu, doch vergebens. Liam ignorierte es gekonnt.

»Hat sie Zirkelmutti gesagt? Und dich damit gemeint?«, fragte er tonlos.

Ich brachte nur ein gequältes Würgen hervor und wählte in Windeseile Mamas Nummer. »Da stehen drei Typen und ein Teenager vor meiner Tür und behaupten, ich sei jetzt ihre Zirkelmutter«, quiekte ich.

»Jaaaaaa«, sagte meine Mutter gedehnt. »Das habe ich mir schon gedacht, als dein Hula-Püppchen abgehauen und ein etwas lethargisches neues hier aufgetaucht ist. Die Mädels verschwinden nur, wenn der mächtigste Zauberer im Zirkel tot oder selbst zur Zirkelmutter geworden ist. Und da du ganz offensichtlich noch lebst, gilt in deinem Fall Letzteres. Herzlichen Glückwunsch, Prim. Du führst jetzt einen eigenen Zirkel.«

Mir gaben die Beine nach, und ich sackte vor der Tür zusammen. Ich? Zirkelmutti? Bestimmt nicht!

»Wer ist tot?« Liam war schneller als der Schall bei mir und hatte meinen Zusammenbruch falsch verstanden. Besorgt legte er seine große Hand auf meine Schulter, rüttelte an mir.

»Niemand«, krächzte ich. Wobei das relativ war. Ich würde bald tot sein. Umgebracht von Liam, sobald er die Neuigkeiten hörte. »Aber das da draußen … das sind meine neuen Zirkelangehörigen. Liam … Ich bin jetzt Zirkelmutter.«

Liam blinzelte mich an. »Guter Witz.«

»Kein Witz. Echt wahr.«

Er blinzelte erneut und schnippte dabei das Hula-Mädchen von seiner Schulter, das unaussprechliche Dinge mit seinem Ohr tat. »Prim«, knurrte er mich in einem Tonfall an, den er schon lange nicht mehr bei mir verwendet hatte. Das letzte Mal hatte er so mit mir gesprochen, als ich ihm gestehen musste, dass ich eine Hexe bin. Jene Hexe, die ihn in seiner Kindheit versehentlich verhext und damit sein Leben zerstört hatte. Die zahlreichen Narben, die er dadurch davongetragen hatte, waren unübersehbar in seine nackte Haut eingebrannt. Sobald er sich bewegte, waren sie offensichtlich. Ein Sinnbild für alles, was mit Magie schiefgehen konnte. Und wie gefährlich sie war. »Bring das wieder in Ordnung.«

Ich raufte mir meine kurzen Haare, die momentan silbern waren. Eigentlich hatte ich den Fluch gebrochen, der meinen Haaren jede Woche eine neue Farbe verpasste. Die Magie hatte jedoch weiterhin Spaß an der Verwandlung und quälte mich trotzig weiter mit wilden Farbkombinationen.

Leider waren meine Haare aktuell mein kleinstes Problem.

Zirkelmutter. Das musste ein verdammter Fehler sein. Wer vertraute mir schon einen eigenen Zirkel an? Mir, die Magie ablehnte? Niemand bei Verstand tat so etwas!

Niemand bei Verstand. Aber jemand mit Hang zum absoluten Chaos. Die Magie selbst.

Ich knirschte mit den Zähnen. »Ich versuche das mit den Leuten vor meiner Haustür zu regeln«, sagte ich zu Liam. »Geh du hoch und zieh dir was an.«

Erst jetzt registrierte er, dass er komplett nackt und tropfend neben mir stand. Das Wasser perlte dabei durchaus ansehnlich an seiner gebräunten Haut entlang, folgte seinen breiten Schultern, auf denen das Hula-Püppchen längst wieder Platz genommen hatte, und kullerte an seinem hübschen Sixpack runter. Ich hatte schon lange gelernt, die vielen Narben zu übersehen. Heute fiel mir das jedoch schwerer als sonst.

Magie. Sie drängelte sich erneut in unser gemeinsames Leben.

Ein letzter mahnender Blick in meine Richtung, dann drehte sich Liam wortlos um und pflückte das überraschte Hula-Püppchen von seiner Schulter. In der Küche angekommen sah er sich kurz um, öffnete die Mikrowelle und warf das quiekende und zappelnde Zaubermädchen hinein. Um jeden Ausweg zu versperren, sicherte er die Tür sogar noch mit einem Löffel, den er in die Ritze klemmte. Das Püppchen kreischte frustriert auf und trommelte gegen die geschlossene Klappe, doch vergebens. Es war gefangen. Sofort entspannte ich mich.

Zumindest die Chaos-Gefahr war gebannt.

Liam lief bereits drei Stufen auf einmal nehmend die Treppe rauf. Fast lautlos. In Momenten wie diesen erinnerte ich mich wieder an seine Ausbildung. Hexenjäger. Den Job hatte er an den Nagel gehängt, trainierte aber weiter. Klar, dass mir das natürlich gefiel. Unter normalen Umständen hätte ich den Anblick seines muskulösen Hinterteils genossen, doch momentan hatte ich für derlei Schwärmerei keine Zeit. Es galt, eine Katastrophe abzuwenden.

Ich öffnete die Tür und stutzte. Nanu. Aus den vier Leuten waren fünf geworden. Eine Frau Mitte dreißig hatte sich nach vorne geschoben und lächelte mich gewinnend an. Ihre Augen wirkten freundlich und jede einzelne ihrer wenigen Fältchen musste durch Lachen entstanden sein. Sie erinnerte mich an eine jüngere Version von Mary Poppins, zumal sie tatsächlich einen Regenschirm dabeihatte und einen adretten Hut samt buntem Schal trug. Ihr langer schwarzer Mantel raschelte, als sie mir die Hand hinstreckte.

»Ich bin Melly. Du wurdest mir als neue Zirkelmutter zugeteilt.«

Normalerweise erwachte meine Magie bei der Nennung eines Namens zum Leben. Dass sie in diesem Fall vollkommen reglos blieb, zeigte, dass mir Melly ihren wahren Namen verschwieg. Sofort wurde ich misstrauisch. Wer Namen unterschlug, war verdächtig. Bevor ich jedoch eine spitze Bemerkung fallen lassen konnte, kam sie mir zuvor.

»Selbstverständlich ist Melly nur eine Abkürzung für meinen richtigen Namen. Bitte verzeih die Heimlichtuerei, aber deine Fähigkeiten der Namensanalyse sind weithin bekannt. Es ist schwierig, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der alles über einen weiß. Daher nur der Spitzname. Sobald es sich ergibt, verrate ich dir meinen vollständigen Namen.«

Sie lächelte so charmant, dass ich ihr augenblicklich verzieh und sie sympathisch fand. Das gab den Ausschlag. Ich trat zur Seite und winkte die Meute herein. »Lasst uns drinnen weiterreden.« Liams Zorn würde ich später besänftigen. Zunächst hatte meine Neugierde die Oberhand gewonnen.

Als Erste betrat Melly meine Wohnung, danach folgten Nao und zuletzt die drei Zauberer, die ich heimlich Schön, Schöner und am Schönsten nannte. Woher kamen die? Aus einem Modelkatalog für Hexer?

Liams und mein Wohnzimmer wirkte winzig, sobald alle drin waren. So viel Besuch hatten wir noch nie gehabt. Um ehrlich zu sein, besuchte uns eher selten jemand. Die meisten meiner Hexen-Freunde hatten Angst vor Liam und Liam … na ja. Er war nicht der Typ Mann, der Kumpel zum Biersaufen mit nach Hause brachte. Wobei er sich wirklich bemühte, weniger bedrohlich zu erscheinen. Doch als fast zwei Meter großer Kerl mit dunkler Haut, strengem Blick und Muskeln wie ein Möbelpacker hatte man es schwer, normale Freunde für den Alltag zu finden.

Melly hatte sich den blauen Einersessel ausgesucht und ihre kleine Handtasche akkurat neben sich gestellt. Fehlte nur noch, dass sie die Hände artig im Schoß faltete. Ihre steife Haltung stand im krassen Kontrast zu ihrem strahlenden Lächeln. Auch ihre Stimme war angenehm. Hell und freundlich. »Mein Chauffeur bringt gleich mein Gepäck«, erklärte sie sanft.

Ich gab einen erstickten Laut von mir. Bitte WAS?!

»Ich habe bereits mein gesamtes Hab und Gut dabei«, sagte Nao stolz. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie einen abgeranzten Rucksack auf den Knien balancierte. Er platzte aus allen Nähten, was durchaus wortwörtlich zu nehmen war. Der Großteil eines fleckigen Kapuzenpullis lugte hervor und der Bommel einer Wollmütze hatte sich in einem Reißverschluss verfangen. Nao hatte eindeutig in großer Eile gepackt.

Im Gegensatz zu Schön, Schöner und am Schönsten. Neben ihnen stand jeweils ein Lederkoffer Marke sehr teuer. Auch sie entsprangen einem Modekatalog. Vielleicht sollte ich sie in Schick, Schicker und am Schicksten umtaufen.

Mir sackte der Magen weg, als mir ihr Gepäck bewusst wurde. Nein! Das hatte ich ganz verdrängt. Jeder Hexer, der neu in einen Zirkel kam, wohnte zunächst bei der Zirkelmutter. Und zwar für …

»Das Jahr wird garantiert bombastisch«, beendete Nao meinen angefangenen Gedanken.

Bombastisch. Garantiert. Wie wahr.

Ich bemühte mich um gute Miene zum bösen Spiel, dennoch brach mir der Schweiß aus. Sollte Liam das herausfinden, war ich geliefert. Er litt so schon unter meinen kruden Magieanwandlungen. Aber wenn sich das mit sechs multiplizierte … Ich wagte kaum weiterzudenken.

Eine Katastrophe, dachte ich panisch und die Ziegel auf dem Dach klapperten dramatisch zur Untermalung.

»Prim! Das Wetter«, tönte es prompt aus der obersten Etage. Natürlich hatte Liam sofort die Anzeichen bemerkt. »Es stürmt auf einmal.«

Ich atmete tief durch. Versuchte mich zu beruhigen. Es war leider ein verdammter Fakt: Wenn mir etwas wortwörtlich den Tag verhagelte, hagelte es in der realen Welt dicke Körner. Das konnten durchaus golfballgroße Exemplare sein. Der Grund lag in meiner magischen Wetterkopplung. War ich gut drauf, schien die Sonne. War ich zu Tode betrübt, gab es Sturm. Mittlerweile verstand ich es meisterhaft, äußerlich total cool zu wirken und innerlich zu platzen. Zum Glück fiel die Magie genau wie der Rest meiner Gesprächspartner auf diesen einfachen Trick rein. Zumindest meistens.

Liam hatte ich meine Wetterverbundenheit zunächst verheimlicht. Mit der Zeit war er jedoch dahintergekommen und erinnerte mich sanft an mein sonniges Gemüt, sobald es drei Tage durchgeregnet hatte. So wie jetzt.

Kaum atmete ich tief ein und lächelte, hörte das Geklapper auf dem Dach auf.

»Wie genau kommt ihr denn auf die Idee, dass ihr zu meinem neuen Zirkel gehört?«, fragte ich mit einem gequälten Grinsen auf den Lippen.

Melly zog eifrig ein ordentlich gefaltetes Blatt aus dem mit reichlich Seide bestickten Hemdsärmel und reichte es mir. »Diesen Brief haben alle von uns bekommen.«

Ergeben las ich: »Liebe Hexe, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie ab sofort einem neuen Zirkel angehören. Begeben Sie sich unverzüglich zu Primadonna Nimbifera in die Wallabeestreet. Sie ist Ihre eingeteilte Zirkelmutter und wird sich um alles kümmern. Mit freundlichen Grüßen, Paul Handman.«

O Gott! Das war noch viel schlimmer als erwartet. Das war kein Versehen, wie ich insgeheim gehofft hatte. Es war offiziell. Mein Blick blieb am Namen des Unterzeichnenden hängen. Paul. Der Geringe. Er tat stets, was man ihm auftrug. Und das absolut korrekt und pedantisch. Dass er Fehler machte, war so gut wie ausgeschlossen.

Ich stand mit dem Brief in den Händen auf und eilte zu meinem Telefon. Anders als normale Erdenbürger benutzte ich noch ein altes Modell mit Wählscheibe. Es war deutlich weniger störanfällig. Mal abgesehen davon, dass es muhte statt zu klingeln, funktionierte es einwandfrei. Etwas, das in einem Hexenhaushalt nicht selbstverständlich war.

Ich wählte und wartete, bis sich Paul meldete.

»Hier ist Primadonna Nimbifera. Ich habe in meinem Wohnzimmer eine Horde Hexen und Hexer sitzen, die behaupten, ich sei ihre Zirkelmutti. Sind Sie verrückt geworden?« Den letzten Satz schrie ich. So viel zur äußerlichen Ruhe. Sofort pfiff der Wind bedrohlich um die Hausecke. Ein Dachziegel stürzte mit einem leisen Schrei in den Tod und zerschellte unten auf dem Gehweg. Der fünfte in diesem Monat. Ein Zeichen, dass ich innerlich schon lange aufgewühlter war als üblich. Hatte ich womöglich geahnt, was die Magie plante?

Paul schwieg einige Sekunden. Vermutlich, um mich zuordnen zu können. Dann seufzte er tief auf. »Ich dachte mir bereits, dass die Zuteilung Ärger geben wird. Die Information kam von oberster Stelle und war eine direkte Order. Ich musste die Briefe noch heute verschicken und Ihrer ist zurückgekommen. Benutzen Sie einen Abwehrzauber gegen Rathausbriefe? Eine Unart, kann ich Ihnen sagen. Wie dem auch sei: Wer immer Sie auserwählt hat, muss kurzzeitig verwirrt gewesen sein. Im Moment sind ja alle wegen der Zirkelmorde in Panik. Oder aufgrund des politischen Umbruchs.«

»Welche Zirkelmorde?«, fragte ich irritiert.

Wieder ein dramatisches Seufzen. Offenbar hatte Paul das perfektioniert. »Das Rathaus hat die Probleme nicht an die große Glocke gehängt, aber seit einem Jahr gibt es ein paar … ungeklärte Todesfälle in verschiedenen Zirkeln.«

»Nicht an die große Glocke gehängt? Sie meinen, Sie wollen ominöse Morde einfach vertuschen?«

»Ihre Worte. Nicht meine.«

Na toll. Ein ganz kluger Klugscheißer. »Und was mache ich jetzt mit den Zauberern in meiner Wohnung? Ich kann unmöglich eine Zirkelmutter sein. Auf keinen Fall!«

»Sie haben die Welt gerettet und sind eine A-Hexe. Wer sonst wäre prädestiniert genug, um die Elite unserer Hexenwelt anzuführen?«

Die Elite? Ich musterte den Haufen Magier skeptisch. Die Einzige, die halbwegs kompetent aussah, war Melly. Die anderen lümmelten gelangweilt auf der Couch herum. Waren Schön, Schöner und am Schönsten neben schön etwa auch noch talentiert? Das wäre zu viel des Guten. Und Nao? Die wirkte eher wie ein gruftiger Teenager. Doch der erste Eindruck konnte trügen. Bei mir war das jedenfalls definitiv der Fall. Die meisten hielten mich für aufgeweckt, extrovertiert und voller Lebensfreude. In Wirklichkeit ärgerte ich mich mehr über Kleinigkeiten als der Durchschnittsmensch, benutzte Sarkasmus als Waffe und hasste die Magie nach wie vor, obwohl ich mich wahrhaftig bemühte, es sein zu lassen.

Und ich konnte ungemütlich werden. Sehr. Das ließ ich Paul natürlich auch spüren. »Holen Sie diese Hexen aus meinem Wohnzimmer. Ich will zurück in meinen alten Zirkel«, knurrte ich wie ein Alpha-Wolf in den Hörer. Oder wie Liam in seinen schlimmsten Hexenjägerzeiten.

»Bedaure. Ihr Hula-Püppchen ist bereits gewechselt. Die Magie hat sich verschoben und die Veränderung damit unabänderlich gemacht. Da sind wir machtlos. Sie sollten aufhören zu schmollen, sondern sich geschmeichelt fühlen. Nur auserwählten Hexen wird die Ehre zuteil, die Anführerin eines SM-Zirkels zu sein.«

Das wurde ja immer schlimmer. SM stand für Supermega, ein Name magischen Ursprungs. Diese speziellen Hexen waren sehr selten, weil sie mit Magie umgehen konnten. »Aber ich bin keine SM-Zauberin«, protestierte ich entsetzt. »Von so was bin ich meilenweit entfernt. Neunundneunzig Prozent meiner Zauber gehen schief.«

»Sie haben als einzige Zauberin auf der Welt mit der Magie gesprochen. Sie hat durch Sie kommuniziert. Seien Sie selbstbewusster. Vertrauen Sie auf Ihr Können und die Magie.«

»Welches Können denn?«, rief ich panisch.

Der Kerl klang so, als glaube er selbst an seine Worte. »Sie machen das schon«, sagte er gelassen – und legte auf.

Ich starrte den Hörer fassungslos an. Dann knallte ich ihn auf die Gabel und drehte mich um.

»Also gut, ihr Hübschen. Wie es ausschaut, hab ich euch vorerst am Hals. Die Magie will, dass ich euch aufnehme. Zumindest so lange, bis sich eine Lösung für diesen Schlamassel aufgetan hat. Sprich: Bis wir diesen Zirkel auflösen können, ohne die Magie zu verärgern.« Wie mir das gelingen sollte, war mir schleierhaft. Leider war das nur eines meiner vielen kleinen Probleme, die im Hinterhalt lauerten. Apropos Probleme. »Wisst ihr zufällig was von vertuschten Zirkelmorden?«

Die fünf wechselten untereinander Blicke, dann räusperte sich am Schönsten. Er war der größte unter den Männern und der mit den meisten Muskeln. Seine schwarzen Haare trug er stylisch in die Höhe gegelt und dank der Nerdbrille sah er klug und gleichzeitig freundlich aus. So in etwa hatte ich mir immer Superman in seiner natürlichen Gestalt vorgestellt. Also wie der nette Nachbar ohne seinen hässlichen Strampler für die Weltrettung. »In meinem Zirkel ist ein junger Zauberer ermordet worden. In seiner eigenen Wohnung erstochen. Da es der Sohn meiner Zirkelmutter war, hat sie den Zirkel aufgelöst. Daher bin ich hier.«

»Bei mir wurde die Zirkelmutter selbst ermordet. Ebenfalls erstochen. Es fehlt noch jede Spur von dem Mörder. Alles sehr rätselhaft. Dass ich aber so schnell einen neuen Zirkel bekomme, hatte ich nicht erwartet«, meldete sich Schöner zu Wort. Seine blonden Haare harmonierten perfekt mit seinen unfassbar blauen Augen. Nur die komische Haartolle auf seiner Stirn lenkte ein wenig von den dramatischen Worten aus seinem Mund ab.

Wow. Das war definitiv schlimmer als gedacht. Ich sah Schön fragend an. »Und du?« Aus dem Bauch heraus mochte ich ihn von den dreien am wenigsten. Er wirkte wie ein Mann, der kaum was sagte, dafür alles mitbekam und als ordinär einstufte. Vielleicht lag diese Einschätzung aber auch nur an der etwas zu spitzen Nase in seinem sonst makellosen Gesicht. Als Einziger des Trios trug er einen ordentlich gepflegten, kurz gehaltenen Vollbart, extrem enge Blue-Jeans und Krawatte mit Hemd. Ein Hipster wie aus dem Bilderbuch.

Schön zog eine hübsch gezupfte Augenbraue in die Höhe, als ich die Frechheit besaß, ihn anzusprechen. Aber wenigstens antwortete er mir. »Ich wollte wechseln. Meine Zirkelmutter hatte sich in mich verliebt und es kam zu Spannungen. Keine Toten. Von Morden höre ich das erste Mal.«

Na, immerhin etwas.

»Meine Zirkelmutter war meine richtige Mutter«, erzählte Nao ganz ohne Nachfrage im typisch gelangweilten Teenagertonfall. »Auf die Dramen hatte ich keinen Bock mehr. Einerseits hat sie mich überbehütet, andererseits total gestresst. Ich habe an den Rat geschrieben und um einen neuen Zirkel gebeten. Hier bin ich also.« Sie machte das Peace-Zeichen und angelte gleichzeitig nach der Fernbedienung. Ehe ich sie daran hindern konnte, flimmerte eine Kuh-Dokumentation über die Leinwand und fesselte ihre Aufmerksamkeit. Es ging um eine Schönheitsshow und um die äußerst essentielle Frage, welche Dame den schönsten Euter hatte.

Ich eilte zum Fernseher und schaltete ihn hastig aus. »Ein fehlgeschlagener Zauber meinerseits«, erklärte ich mit rotem Kopf. »Seitdem werde ich von Kühen verfolgt. Wo wir direkt beim Thema sind: Seid ihr wirklich SM-Magier?«

Als alle nickten, wurden meine Beine weich wie Pudding. »Das ist … überraschend. Meine Zaubersprüche gehen meistens in die Hose.«

»Aber du bist extrem magisch«, mischte sich Melly ein. »Jeder Zauberer auf dieser Welt kennt deinen Namen.«

Das stimmte, leider machte mich das keineswegs zu einer guten Hexe. Durch meinen Zusammenprall mit der Magie konnte ich sie durchaus besser verstehen, aber dennoch nicht besser beherrschen. Das war wohl nur den SM-Hexern vorbehalten. Warum die das vermochten und es dem Rest von uns verwehrt blieb, war der gesamten Zaubergemeinschaft ein Rätsel.

»Und was ist mit deinem Zirkel?«, lenkte ich Melly von meinem mangelnden Magietalent ab.

»Ich habe vorher keinen zugeteilt bekommen. Als SM-Hexerin konnte ich auf solch eine Gemeinschaft ganz gut verzichten.«

Ich erinnerte mich vage an diese Besonderheit. Wir Hexen schlossen uns nur zu Zirkeln zusammen, weil gemeinsam zaubern sicherer war. Die richtig guten SM-Magier hielten das Zirkelleben für Zeitverschwendung. Einsame Wölfe und so.

Und solch ein Exemplar hatte ich jetzt vor mir sitzen?

Melly erriet meine Gedanken, denn sie lächelte milde. »Keine Sorge, Prim. Ich bin freiwillig zu dir gekommen. Seitdem ich aus den FFF ausgetreten bin, suche ich magischen Anschluss.«

»Du warst ein Fieser-Verbrecher-Fänger?«, rief Nao aufgeregt. »Die sind voll cool! Ich will mich da auch bewerben.«

Melly warf ihr einen Blick zu, der eine Mischung aus geschmeichelt sein und Groopie-Genervtheit war. Die FFF waren so was wie unsere Zaubererpolizei. Sie schritten ein, wenn Leute absichtlich durch Zauber verletzt wurden. Wobei Absicht relativ war. Magie zu steuern war extrem schwierig. In meinem Fall schnitt, verbrannte oder verbrühte ich mich zum Glück meist selbst und selten meine Zirkelmitglieder. So was passierte den FFF niemals. Sie galten als die Elitetruppe unter den SM-Magiern.

Melly war also etwas ganz Besonderes unter den Besonderen. Na super. Warum konnte sie nicht Zirkelmutter sein?

Die Zauberin lächelte Nao freundlich an. »Ich kann dir mal bei Gelegenheit mehr über die Arbeit der FFF erzählen.«

Nao überschlug sich augenblicklich vor Aufregung. Ich überhörte das absichtlich, denn Liam kam die Treppe runter, wie immer gewohnt lautlos. Seine geheimnisvolle Art zu Gehen hatte er nach wie vor beibehalten. Sie erinnerte mich stets daran, wer er war. Der Oberste Hexenjäger. Auch er war einst ein Besonderer unter den Besonderen gewesen. Vor allem, weil er sich in eine Hexe verliebt hatte.

Wir waren ein echtes Chaospaar. Und wie es aussah, verfolgte uns das Drama erneut.

Liam blieb auf der untersten Stufe stehen und betrachtete die Versammlung in seinem Wohnzimmer mit ausdruckslosem Gesicht. Ich kannte ihn aber gut genug und wusste genau, was er tat. Er analysierte die Anwesenden bis auf die Nanopartikel. Seine Gabe des Hexenzwillingszaubers. Ich erfuhr unangenehme Details über Leute, sobald ich ihre Namen gehört hatte. Liam dagegen durchschaute sie durch bloße Betrachtung ihres Äußeren.

Was er sah, beunruhigte ihn. Er kniff die Augen leicht zusammen. Ein Zeichen höchsten Misstrauens. Sofort sackte mir der Magen in die Knie. Da kamen harte Zeiten auf mich zu.

Auch Schön, Schöner und am Schönsten hatten Liam gesehen und musterten ihn unverhohlen. So wie ich, war auch mein Verlobter eine Legende unter den Zauberern. Er war als erster und letzter Oberster Hexenjäger in die Geschichtsbücher eingezogen.

Nao hatte ihn ebenfalls gesehen und verstummte mitten im Satz. Ganz kurz sah sie ängstlich aus. Aber nur kurz. Dann glühten ihre Wangen vor Aufregung. Selbst unter der dicken Schminke konnte ich das problemlos erkennen. »Krass. Dass ich mal Liam Amun leibhaftig sehe, ist der absolute Wahnsinn. Und dann in seinem Wohnzimmer. Unfassbar.« Sie winkte ihm zu. »Hey, Zimmergenosse. Voll cool, dass wir hier wohnen dürfen.«

Autsch. Das mit der WG-Sache hätte ich Liam gerne vorsichtiger beigebracht. Seine Gesichtszüge entgleisten prompt, als ihm die Bedeutung von Naos Worten klar wurde. Anstatt auszurasten, wie er es früher wohl getan hätte, sah er mich lediglich fragend an. Sein autogenes Training, zahlreiche Besuche bei der Psychologin und Yoga mit Uroma zeigten wohl endlich Wirkung.

Bevor er doch noch seine Contenance verlor, lief ich zu ihm rüber, packte ihn an der Schulter und dirigierte ihn mit sanfter Gewalt raus aus der Haustür. Ich hatte nur Socken an, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Zum Glück war der Winter vorbei und es war merklich wärmer geworden.

»Wohnen?«, fragte Liam, noch ehe die Tür ins Schloss gefallen war.

»Jetzt bleib ganz cool. Die Leute da drin sind mein neuer Zirkel und in unseren Kreisen ist es üblich, dass sich die Mitglieder erst einmal kennenlernen. So ein Jahr lang.«

»Ein Jahr?«, rief Liam entsetzt.

Ich wedelte hektisch mit den Händen. »Da lässt sich bestimmt nachverhandeln. Jetzt keine Panik schieben. Es gibt für alles eine Lösung.«

Liams Miene sagte mehr als jedes Wort. Er kannte meine Lösungen und wusste, dass sie ihm fast nie gefielen. »Regel das«, wiederholte er. »Ich gehe erst einmal arbeiten.« Damit meinte er leider selten seinen Aushilfsjob als Street Worker. Sein großer Traum, Jugendlichen in Not zu helfen, war nur zum Teil in Erfüllung gegangen. Dazu war er bei Zaubereiproblemen zu gefragt. Noch immer riefen ihn Regierungen, Behörden und Universitäten an, um zu vermitteln, zu analysieren oder einzuschätzen. Das hatte meist oberste Priorität. Sobald Liam ablehnte, um sich auf andere Dinge zu konzentrieren, wurden die Auftraggeber ungemütlich. Wenn sie riefen, hatte man zu folgen. Ähnlich wie es die Magie handhabte.

»Aber heute ist Sonntag«, protestierte ich schwach.

»Das ist mir klar. Während du jedoch dem Chaos Tür und Tor unserer Wohnung öffnest, habe ich einen Anruf bekommen. Jemand tötet Zauberer. Der Verdacht liegt nahe, dass es ein durchgeknallter Hexenjäger auf Abwegen sein könnte, daher hat man mich ins Rathaus bestellt.«

»In das menschliche oder in das von uns?«

»In beide.«

Ich war überrascht, denn seit es in der Zauberergemeinschaft einen leichten Rechtsruck gegeben hatte, gab es Spannungen zwischen den normalen Menschen und uns. Viele Hexer hielten es für unverzeihlich, dass uns die Menschen gejagt und einige von uns entmagifiziert hatten. Sie sprachen sich dafür aus, Zaubererstädte zu bilden und sich deutlich von den Magielosen zu distanzieren. Unser aktueller Hexen-Bürgermeister hatte die verschiedenen Lager noch halbwegs unter Kontrolle. Leider standen die Wahlen an und es sah keineswegs gut für ihn aus.

Mir missfiel die Entwicklung. Sollte der rechte Flügel an die Macht kommen, würde es ungemütlich für uns werden. Weltretterin hin oder her: Ich war mit einem Hexenjäger zusammen. Das kam Hochverrat nahe.

Liam stockte, als ihm etwas an unserem Gespräch bewusst wurde. Sofort musterte er mich misstrauisch. »Dich überrascht die Nachricht über die Zirkelmorde nicht besonders.«

»Nö. Ich wurde vor wenigen Minuten darüber informiert. Drei meiner Zirkelmitglieder sind von den Morden betroffen.« Zu spät bemerkte ich meinen Fehler.

»Deine Zirkelmitglieder? Ich dachte, du willst sie loswerden?«

»Ich sagte, dass ich nach einer für uns akzeptablen Lösung suchen werde. Von Loswerden habe ich nichts gesagt. Liam, ein Unbekannter im Ministerium traut mir zu, eine Zirkelmutter zu sein. Das ist eine große Ehre. Wenn ich das kategorisch ablehne, heißt es wieder, ich sei primadonnenhaft und egozentrisch. Alternativ denkt sich die Magie etwas besonders Fieses aus, um mich zur Raison zu bringen. Womöglich betrifft das dann die gesamte Welt. Die Hexengemeinschaft braucht mich.«

»Ist klar.« Liam zog spöttisch eine Augenbraue hoch. »Dich hat noch nie interessiert, was die Hexengemeinschaft braucht oder nicht. Vielmehr hat dich jetzt der Ehrgeiz gepackt. Du willst allen beweisen, dass du tatsächlich eine gute Zirkelmutter sein kannst. Ich unterstütze dich gerne darin, solange das woanders als in unserer Wohnung geschieht.«

Mist. Ich hatte vergessen, wie gut mich Liam kennt. Er hatte mich sofort ertappt. Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt. Und natürlich wollte ich auf keinen Fall scheitern. Die Sache mit dem Zirkel hatte meinen Ehrgeiz geweckt. Das wurde mir erst jetzt richtig bewusst. Leider drohte genau dieser Ehrgeiz an Liams schlechter Laune zu zerschellen. Ich musste ihn dringend milde stimmen. Aber wie? Da kam ein schwieriger Balanceakt auf mich zu.

Ein Blinken lenkte uns von unserem heiklen Gespräch ab. Ich blickte nach unten und sah mein ledernes Hexenbändchen an, das in allen Farben leuchtete. In letzter Zeit tat es das fast doppelt so häufig wie sonst.

»Du musst hexen«, sagte Liam leise. »Viel Glück dabei.«

Er gab mir einen deutlich distanzierten Kuss auf die Wange und sah zu, dass er Land gewann. Wann immer ich zaubern musste, verzog er sich. Das war nur allzu verständlich, denn mit einem einzigen Zauberspruch hatte ich sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Da wäre ich auch auf Abstand gegangen.

Ich sah ihm nach und versuchte, die Panik zu unterdrücken. Ich musste zaubern. Das war schon schlimm genug. Doch diesmal war ich gezwungen, auf die beruhigende Präsenz meiner Mutter zu verzichten. Ich hatte das allein zu schaffen. Gemeinsam mit meinem neuen Zirkel.

Als ich die Wohnung betrat, fiel in der gleichen Sekunde die Mikro­welle vom Regal. Das Hula-Mädchen hatte so lange darin herumgeturnt, bis es sich samt Gefängnis über den Rand geschoben hatte. Es polterte und krachte und die Klappe sprang auf.

Darauf hatte das Püppchen nur gewartet. Es flitzte in Sekundenschnelle quer durch den Raum und hinterließ eine Spur der Verwüstung: Bilderrahmen stürzten zu Boden, meine Lieblingsvase zerschellte, der Fernseher wackelte bedenklich und sämtliche Bücher in den Regalen polterten durcheinander.

Meine Zirkelmitglieder duckten sich erschrocken und schützten ihre Köpfe, während das Zaubermädchen den Zorn über seine Gefangen­schaft an meiner Möbelgarnitur ausließ. Merke: Sperre niemals Hula-Püppchen ein.

»Ist ja gut«, schrie ich über den Lärm zerreißender Polster. »Ich entschuldige mich für meine Missetat und gelobe Besserung.«

Das Püppchen hielt inne, mein Lieblingshäkelkissen zwischen den winzigen Händchen. Wir sahen uns an. Maßen einander mit Blicken.

»Wehe«, sagte ich warnend und wusste doch, dass ich auf verlorenem Posten stand. Hilflos musste ich mit ansehen, wie das fiese Püppchen ganz langsam und genüsslich das Kissen aufribbelte. Meine verstorbene Oma hatte es für mich gehäkelt. Es war hässlich, aber es hatte Erinnerungswert. Die Betonung lag auf ›hatte‹.

»Ist das Hula-Mädchen außer Rand und Band, muss der Mächtigste aus dem Zirkel hexen«, bemerkte Melly. Sie sah sich suchend um, musterte die Talismane der anderen. »Wer von euch ist es?«

Ich hob eher widerwillig mein blinkendes Hexenbändchen in die Höhe. »Ich.«

Das schockierte nicht nur mich. Dass ich zwischen einer Horde SM-Hexer die größte Magieträgerin sein sollte, war seltsam. Die konnten im Gegensatz zu uns Otto Normalhexen richtig gut hexen. Auf der anderen Seite hatte die Magie seit meiner Geburt einen Narren an mir gefressen und suggerierte, dass ich als A-Hexe in der gleichen Liga wie die SM-Magier spielte. Warum auch immer.

Schöner fing sich als Erster und lächelte mich aus extrem blauen Augen etwas verkrampft an. »Ja, dann lasst uns anfangen. Das ist doch eine hübsche Übung für uns. Ein wenig zaubern, um uns aufeinander einzustellen. Wir könnten zum Beispiel das Kissen reparieren.«

Ich starrte ihn an, als sei er verrückt geworden. Dann fiel mir ein, dass er ein SM-Zauberer war. Für ihn mochte es völlig unproblematisch sein, ein Kissen ganz zu machen. Für mich war es ähnlich kompliziert wie eine Landung auf dem Mond.

»Ich denke nicht, dass wir in meiner Wohnung zaubern sollten. Sie liegt mitten in der Stadt. Viel zu gefährlich«, gab ich zu bedenken. »Lasst uns schnell alles zusammenpacken und zu meiner Mama aufs Land fahren.«

Mein Zirkel sah mich an, als wären mir drei Hörner gewachsen.

»Du wirst ja wohl ein blödes Kissen reparieren können«, sagte Nao irritiert und in so einem Tonfall, dass ich tief einatmen musste. Ruhig Blut, dachte ich. Sie hatte es nur leichtfertig dahergesagt. Hochbegabte Magier konnten generell nicht verstehen, was talentfreie Magier für Zauberprobleme hatten.

In dieser Sekunde sehnte ich mich nach der Sicherheit meines alten Zirkels zurück. Die Truppe wusste in solchen Momenten ganz genau, was auf dem Spiel stand, immerhin besaßen die Familienmitglieder jahrelange Übung, meine chaotischen Zaubersprüche auszubügeln und so abzumildern, dass die Welt es überlebte.

Auf der anderen Seite war ich jetzt Zirkelmutter. Zeit, meinen Wert unter Beweis zu stellen.

»Okay«, sagte ich möglichst lässig. »Dann gib mal her.«

Das war das Letzte, an das ich mich erinnerte, ehe ich im Streckverband im Krankenhaus erwachte.

Kapitel 2

Rosa Zettel nerven

Habe ich dir nicht immer gesagt: kein Zaubern in einer Menschenwohnung?«

»Ja, Mama.«

»Und was habe ich dir über Zaubersprüche gesagt, die einen durch Magie zerstörten Gegenstand reparieren? Die müssen umso sorgfältiger gewoben werden. Ein Fehler – und schon fliegt es dir um die Ohren.«

»Ja, Mama.«

»Und überhaupt: Wo war denn dein nichtsnutziger Zirkel? Denen werde ich noch ordentlich die Leviten lesen.«

In letzter Sekunde stoppte ich mein lethargisches ›Ja, Mama‹ und wechselte zu einem empörten: »Nein, Mama!« Dabei drehte ich mich im Autositz, um meine Mutter anzustarren, die vor Wut kochend auf dem Rücksitz von Liams Wagen saß.

»Ich regle das selbst«, konkretisierte ich.

»So, wie du das mit deinem letzten Zauberspruch selbst geregelt hast? Deine ganze Wohnung ist ausgebrannt. Dein Hab und Gut verloren. Vom Hula-Püppchen ganz zu schweigen. Das stinkt penetrant nach Rauch und hat sich noch immer keine neuen Klamotten zugelegt. Alles verbrannt. Du hättest tot sein können.« Den letzten Satz schrie sie derart laut, dass selbst unser Fahrer Liam erschrak.

Ich sah den SM-Zauberer unseres alten Zirkels verzweifelt an. Der saß auf dem Mittelsitz, eingequetscht zwischen Mama und Oma, und sah mehr als unglücklich aus. Seine Knie reichten ihm fast bis zu den Ohren, so sehr musste er sich zusammenkrümmen. Um meinetwillen hatte er den Platz freiwillig eingenommen: Oma und Mama hätten sich sonst darin übertrumpft, mich fertigzumachen.

Erschöpft setzte ich mich wieder richtig in den Sitz und starrte nach draußen. Dank des SM-Zauberers tat mir dabei nicht mehr alles weh. Er hatte, sobald ich aus dem Menschenkrankenhaus raus war, einen Heilungszauber angewendet.

»Können wir die Wohnung bitte einfach wieder wie neu zaubern?«, fragte ich in die Runde. Ein Fehler. Großer Fehler!

»Hast du Bohnen in den Ohren? Die Wohnung ist magisch ausgebrannt. Sie instand zu setzen würde das Höllenfeuer heraufbeschwören und den ganzen Wohnblock abfackeln«, schimpfte Oma.

Ich vermisste Uroma. Sie hätte gegackert und was total Lächerliches gesagt, um wieder Ruhe ins Gespräch zu bringen. Ärgerlicherweise saß sie im Wagen hinter uns und fuhr bei meinem neuen Zirkel mit. Ein gruseliger Gedanke. Uroma war richtig sauer. Noch mehr als Mama und Oma. Hoffentlich überlebten Melly und die Schön-Truppe die Fahrt.

»Es tut mir leid«, sagte ich in die Runde und meinte damit eigentlich jeden einzelnen und alles drum herum. In letzter Zeit hatte ich mich wirklich oft entschuldigen müssen.

Für die verschobene Hochzeit.

Für meine merkwürdigen Launen, die immer schlimmer wurden.

Für mein Versagen, die Magie nicht endlich so zu lieben wie der Rest meiner Familie.

Immerhin entschuldigte ich mich neuerdings für meine Missetaten. Das war noch vor drei Jahren anders gewesen.

Liam sah mich zum ersten Mal seit meinem Unfall an und tat dann etwas Überraschendes: Er nahm meine Hand und drückte sie fest. Seine bislang vollkommen versteinerten Gesichtszüge wurden sanfter, freundlicher. Zärtlicher. Er ließ zu, dass ich das bemerkte, dann konzentrierte er sich wieder auf die Straße.

»Ich weiß, dass es dir leidtut«, sagte er leise und der zugängliche Ausdruck im Gesicht verschwand und wurde durch gewohnte Strenge und leichte Verärgerung ersetzt. »Aber die Wohnung ist trotzdem Kernschrott.«

Mitsamt unseren Sachen. Ich schluckte mühsam. Meine Kehle war von zu viel schlechtem Gewissen und dem Gefühl, in der Klemme zu stecken, blockiert. In meinem Bauch rumorte es dafür umso lauter. Ich hatte Hunger. Aber hauptsächlich lag mir der Klumpen einer dunklen Vorahnung schwer im Magen. Wieso hatte ich nur mein Bauchgefühl ignoriert? Ich wusste doch, wie grottig ich zauberte.

»Ich wollte es meinem neuen Zirkel beweisen.« Ich schniefte und wischte mir eine Träne von der Wange. »Das Gerede von SM-Magiern und A-Hexen hat mich unvorsichtig werden lassen. Kommt nicht wieder vor.«

»So viel ist sicher«, bestätigte Oma trocken. »Eure Wohnung kannst du garantiert nicht noch mal abfackeln. Da brennt nichts mehr. Alles weg.«

Ich verdrehte die Augen und zog Kraft aus Liams festem Griff. Er stand zu mir. Wie immer. Selbst wenn er mein Tun bestimmt genauso wenig guthieß wie der Rest meiner Mitfahrer. Mir war außerdem klar, dass ich von ihm noch eine Standpauke zu erwarten hatte. Aber solange mich Oma und Mama derart angifteten, war er auf meiner Seite.

Gleich darauf stutzte ich. Nanu? Wir ließen Mamas Anliegerstraße links liegen und fuhren stattdessen weiter geradeaus.

»Wohin bringt ihr mich?«, fragte ich ängstlich und sah mich schon einem Kreuzverhör beim Ministerium gegenüber. Was das anging, wusste man nie. Immerhin hatte ich mit Magie eine Menschenwohnung zerlegt. In einem Wohnblock mitten in der City. Öffentlicher ging nicht.

»Zu unserem neuen Zuhause. Einen Hof, nur zwei Einfahrten von dem deiner Mutter entfernt«, erklärte mir Liam. »Er ist rein zufällig frei geworden.« Er warf mir einen Blick zu, der deutlich machte, was er von solch einem Zufall hielt. Entweder war da Magie am Werk gewesen oder Mama mit ihren Überredungskünsten. Oder beides.

Ich starrte Liam schockiert an. Unser neues Zuhause? Wir mussten echt umziehen? Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, was die Zerstörung unserer Wohnung für Auswirkungen hatte. Auf uns beide. Gleichzeitig überschwemmte mich pure Erleichterung. Unser neues Zuhause. Er hatte ›unser Zuhause‹ gesagt. Offenbar wollte er bei mir bleiben. Zirkel hin oder her.

»Wir können das auch abblasen und die Zirkelmitglieder nach Hause schicken«, sagte ich zaghaft und erntete prompt einen Sturm der Entrüstung vom hinteren Teil des Wagens.

»Hast du es immer noch nicht kapiert, Prim? Als Hexe gehorcht man der Magie. Wahrscheinlich hat sie gespürt, wie halbherzig du gezaubert hast. Prompt kam die Rechnung. Eine dicke Rechnung übrigens. Ihr werdet noch lange an den Schulden zu knapsen haben.« Meine sonst so tiefenentspannte Mama war wirklich in Rage. Sie hatte schon immer kritisiert, wie wenig ich von der Magie hielt. Nachdem ein magischer Teil mit mir geredet hatte, hatten alle gedacht, ich würde sie jetzt lieber mögen. Nö. Sie war mir nur noch unheimlicher geworden.

Dass eine Urkraft wie die Magie tatsächlich so was wie einen Verstand besaß, machte mir Angst. Vor allem, da dieser Verstand einzig und allein auf Chaos ausgerichtet war.

Ich versteifte mich, als mir die Bedeutung von Mamas Worten klar wurde. Die Magie spielte also wieder Schicksal. Wobei sie das nur in begrenztem Maße tun konnte, wie ich nach meiner letzten Begegnung mit ihr gelernt hatte. Mir einen Zirkel nur mit SM-Hexern aufs Auge zu drücken sah ihr ähnlich. Verdammt!

Ich schwieg den Rest der Fahrt und musterte stattdessen den Hof, dem wir uns näherten. Es war eine Bruchbude, hatte aber genügend Scheunen, um fehlgeschlagene Zaubereien zu verstecken. Auf den Wiesen davor hoppelten ein paar Häschen herum und eine Katze hüpfte über einen halb zerfallenen Zaun. Über den bröckelnden Dachziegeln drehte ein Raubvogel seine Runden auf der Suche nach extrem lebensmüden Mäusen.

Wir parkten vor der Veranda, die mich auf unheimliche Weise an Mamas Zuhause erinnerte. Schloss sich hier der Kreis? Ich hatte niemals eine Zirkelmutter werden wollen. Die mussten stets daheim bleiben, falls ein Zirkelmitglied zaubern wollte. Dabei trugen sie immense Verantwortung, waren ständig dabei, Streit zu schlichten und hatten eigentlich nur selten ihre Ruhe.

Das klang alles wenig nach meiner Persönlichkeit. Aber vielleicht war die Zeit reif für die zynischste, Magie hassendste und eigenbrötlerischste Zirkelmutter dieser Welt.

Ich atmete tief ein und wollte endlich der stickigen Luft im Auto entkommen, als ich den komischen Typen bemerkte, der sich rechts im Garten herumdrückte und wirkte, als wolle er übersehen werden. Ich brauchte ein bisschen, um ihn zu erkennen.

Theo Ortis. Ein früherer Mitarbeiter von Liam, Hexenjäger und ein fieser Möpp. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er mich verhaftet und Liam als Betrüger abgestempelt. Weil er sich auf eine Hexe eingelassen hatte. Wegen ihm waren wir in große Schwierigkeiten geraten.

»Was will der denn hier?«, fragte ich schlecht gelaunt.

Auch Liam hatte ihn entdeckt. Sein Gesicht wirkte äußerlich gelassen, doch ich spürte seine Beunruhigung. »Keine Ahnung.«

»Ist das nicht ein Hexenjäger von der ganz üblen Sorte?« Oma lehnte sich nach vorne, um besser sehen zu können. Ich bemühte mich, ihr die Sicht zu versperren, denn sobald sie herausgefunden hatte, wer da wartete, würde es Stunk geben. In Weltuntergangsqualität.

»Liam regelt das«, sagte ich hastig. Unvorstellbar, wenn mein alter Zirkel auf Konfrontationskurs ging.

Und dennoch … es war äußerst merkwürdig, dass Ortis an diesem Ort auftauchte. Soviel ich wusste, hatten Liam und er sich vor langer Zeit aus den Augen verloren. Absichtlich. Sonst hätten sie sich womöglich gegenseitig umgebracht.

Ich stieg aus und sah zu, wie Liam zu Ortis eilte. Es brannte mir unter den Nägeln, mitzugehen, doch die Männer würden mich ohnehin davonscheuchen. Was immer sie zu bereden hatten: Sie wollten das unter vier Augen tun.

Blieb mir also nur, mir die Zeit mit der Besichtigung meines neuen Heimes zu vertreiben. Ich huschte die Veranda hoch, hinein ins Haus.

Magie, dachte ich Sekunden später. Was hast du mir jetzt wieder eingebrockt? Ein schäbiges Zuhause, beantwortete ich mir die Frage gleich selbst. Das Haus war komplett dunkel verkleidet, jeder Raum winzig und wo kein Holz war, klebte eine hässliche Blümchentapete an der Wand. Der Teppich roch ranzig, die uralte Küche hatte noch einen Bollerofen und das Telefon schien aus den Dreißigern zu sein.

Von der Designerwohnung zur Bruchbude abgestiegen und das nur wegen eines einzigen Zauberspruches. So war die Magie eben.

Kaum hatte ich die Türschwelle betreten, streunten schon drei Katzen um meine Beine. Landstreicher, die begeistert über meine Anwesenheit waren. Katzen liebten Hexen über alles und verhielten sich entsprechend anhänglich. Wir waren wie Drogen für sie. Ich streichelte die drei geistesabwesend und zuckte zusammen, als der Rest meines alten und neuen Zirkels ins Zimmer polterte.

»Mannomann. Was für eine Absteige«, beschrieb Nao das, was wir wohl alle dachten.

Schön, Schöner und am Schönsten schien die Behausung am wenigsten zu stören. Sie zeigten ihr Zahnpastalächeln und brachten ihre Designerkoffer die termitenzerfressene Treppe rauf. Melly berührte mich zunächst sanft am Arm, als wolle sie sich versichern, dass alles in Ordnung war, dann stöckelte auch sie mit einem adretten kleinen Köfferchen hinauf. Nur Nao verpasste den Abgang.

»Nicht mal einen Fernseher gibt es hier«, nölte sie.

Auch Liam hatte sich mittlerweile zu uns gesellt. Er hielt ihr schweigend den Autoschlüssel vor die Nase. »Hol mal Prims Gepäck aus dem Wagen, ja?«

Ich hätte schwören können, dass sie sich teenagerlike weigern würde, aber nein: Sie trollte sich. Sekunden später waren wir allein im Zimmer. Liam, ich und mein alter Zirkel.

»Welches Gepäck denn? Ich dachte, alle meine Sachen seien verbrannt«, merkte ich verwirrt an.

Liam grinste zufrieden. »Irgendwie musste ich sie loswerden. Es wird eine Weile dauern, bis sie die Verriegelung gelöst hat. Das Auto hat so seine Macken. Eigentlich …«

Nao kam zurück. Hinter ihr tanzten wie von Zauberhand geführt drei Koffer. »Liam, dein Kofferraum klemmt. Außerdem waren da keine Sachen von Prim drin. Ich hab ihr neue besorgt. Ihr wollt bestimmt das größte Zimmer haben, oder? Dann sichere ich euch das schnell. Oh! Und da war ein Brief für dich im Briefkasten. Sieht wichtig aus.«

Sie drückte mir einen pinken Umschlag mit dem Logo des Kanzlers in die Hand und schlenderte an uns vorüber. Sprachlos beobachteten wir, wie die Koffer ganz von selbst die Treppenstufen hinaufhüpften.

»So also sieht richtige Zauberei aus«, stellte Oma fest. Sie sah unseren alten SM-Hexer strafend an. »Offenbar bist du eingerostet, mein Guter. Das junge Dingelchen lässt dich total lächerlich aussehen.«

»Das junge Dingelchen zaubert gerne. Ich hingegen zaubere nur, wenn es notwendig ist. Sonst knirscht ihr sofort mit den Zähnen und fühlt euch minderbemittelt. Ich muss euch nicht jeden Tag vor Augen führen, wie wenig ihr könnt.«

Bumm. Das saß. Oma zog hastig den Kopf ein und mied den Blick des SM-Zauberers. Ich verbiss mir in letzter Sekunde ein leises Lachen. Das hätte nur wieder für Zunder gesorgt.

Bevor die Stille unangenehm wurde oder ich den Brief öffnen konnte, nahm Uroma Liam aufs Korn. »Und? Was wollte der fiese Möpp?«

Liam war kurz verwirrt, dann verstand er, wer mit fieser Möpp gemeint war. »Theo Ortis wollte lediglich mit mir reden.«

»Worüber?«

»Privat.«

»Jungchen. Wenn ein Hexenjäger hier auftaucht und konspirative Treffen mit einem anderen Hexenjäger abhält, der inmitten zweier Hexenzirkel lebt, dann ist das niemals privat. Also raus mit der Sprache.«

Liam seufzte. »Ortis denkt, dass er verfolgt wird. Von den FFF. Er will wissen, warum.«

»Vielleicht, weil er jede Menge Hexen entmagifiziert hat und dafür nicht zur Rechenschaft gezogen worden ist?«

Uiuiui. Das war ein heikles Thema. Auch Liam hatte so manche Hexe verhaftet und noch viel mehr entmagifizieren lassen. So ganz hatte das mein Zirkel noch immer nicht verziehen. Sie unterschieden aber seltsamerweise zwischen Liam, dem Hexenjäger, und Liam, meinem Verlobten. Dennoch hütete ich mich stets, das Thema anzusprechen.

»Lasst Ortis mein Problem sein. Es gibt viel dringendere«, lenkte Liam geschickt ab. Er sah mich an. »Was können wir tun, um so etwas wie mit unserer Wohnung zukünftig zu verhindern?«

»Prim könnte besser zaubern«, schlug Uroma vor und grinste mich frech mit ihrem zahnlosen Mund an.

Ich streckte ihr die Zunge heraus. »Du hast gut reden. Du musst auch nur zweimal im Jahr hexen, du Glückliche. Ich muss im Moment sogar zweimal pro Woche zaubern.«

»Das ist doppelt so häufig wie sonst«, mischte sich der SM-Magier ein. »Hast du die Magie wieder genervt, Prim?«

»Nein. Ich war ganz brav.«

»Puh«, machte Oma. »Gut, dass Prim jetzt das Problem von jemand anderem ist. Ab sofort muss sich ihr neuer Zirkel mit ihr herumschlagen.«

Ich warf ihr einen bösen Blick zu. Weil sie immer noch meine Oma war und damit eine Respektsperson, verzichtete ich auf einen fiesen Spruch und sah mich stattdessen im Kühlschrank nach etwas Essbarem um. Offenbar bekam ich Hunger, wenn ich Wohnungen abgefackelt hatte. Leider herrschte dort gähnende Leere. Dann musste eben die Weingummi-Packung auf der Anrichte herhalten. Ich angelte mir eine rote Kirsche heraus und aß im Stehen, während ich meinem Zirkel beim Streiten zusah. Den pinken Briefumschlag auf der Ablage ignorierte ich, was ihm sehr missfiel. Er blinkte in Grellrosa vor sich hin.

Melly war mittlerweile wieder zu uns gekommen. Fleißig wie sie war, hatte sie bereits ausgepackt und wagte sich unter meinen alten Zirkel. Ich bewunderte ihren Mut. Okay. Als frühere FFF war sie wahrscheinlich schlimmere Szenarien gewohnt. Wobei Oma und Uroma zusammen durchaus zum Fürchten waren.

Die hatten sich bereits auf sie eingeschossen und überhäuften sie mit Vorwürfen.

»Wir werden zukünftig besser auf sie aufpassen«, unterbrach sie die Standpauke sanft und hielt dabei Uromas verächtlichem Blick stand. »Wir haben uns verschätzt. Das kommt nie wieder vor.«

»Der Zirkel muss sich erst finden«, bekräftigte Mama. Wie immer sah sie positiv in die Zukunft. Sie lächelte mich und Melly beruhigend an. »Sobald ihr euch aufeinander eingestellt habt, könnt ihr euch untereinander beschützen. Das war einfach ein Unglück.«