Zwei Hexen und ein Whiskey - Annette Marie - E-Book
NEUHEIT

Zwei Hexen und ein Whiskey E-Book

Annette Marie

4,7

Beschreibung

Vor drei Monaten habe ich einen Job als Barkeeperin angenommen. Aber nicht in einer normalen Bar – in einer magischen Gilde. Ich bin kein mächtiger Magier wie meine drei heißen besten Freunde. Keine Zauberin, keine Alchemistin, nicht einmal eine Hexe. Nur ein Mensch, der Drinks mixt wie ein Profi und ansonsten seine nichtmagische Nase aus Mythiker-Angelegenheiten raushält. Ich kenne meine Grenzen. Warum stehe ich also gerade in einem Schwarzmagiekreis einem Feenlord gegenüber? Und mir bleiben nur ungefähr fünf Sekunden, um diesen sehr wütenden Meeresgott davon zu überzeugen, mich nicht wie eine Mücke zu zerquetschen. Das stand definitiv nicht in der Jobbeschreibung.

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Mir gefällt die Buchreihe, amüsant und leichter Lesestoff für zwischendurch. Es bleibt weiterhin ein Rätsel wie sich die Beziehung zwischen Tori und den Jungs entwickeln wird.
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Beliebtheit




ANNETTE MARIE

ZWEI HEXEN UND EIN WHISKEY

GUILD CODEX: SPELLBOUND 3

Aus dem Englischen von Jeannette Bauroth

Über das Buch

Vor drei Monaten habe ich einen Job als Barkeeperin angenommen. Aber nicht in einer normalen Bar – in einer magischen Gilde.

Ich bin kein mächtiger Magier wie meine drei heißen besten Freunde. Keine Zauberin, keine Alchemistin, nicht einmal eine Hexe. Nur ein Mensch, der Drinks mixt wie ein Profi und ansonsten seine nichtmagische Nase aus Mythiker-Angelegenheiten raushält. Ich kenne meine Grenzen.

Warum stehe ich also gerade in einem Schwarzmagiekreis einem Feenlord gegenüber? Und mir bleiben ungefähr fünf Sekunden, um diesen sehr wütenden Meeresgott davon zu überzeugen, mich nicht wie eine Mücke zu zerquetschen.

Das stand definitiv nicht in der Jobbeschreibung.

Über die Autorin

Annette Marie schreibt leidenschaftlich gern Fantasy mit starken Heldinnen und hat eine Schwäche für spannende Abenteuer und verbotene Liebesgeschichten. Auch Drachen findet sie faszinierend und baut sie deshalb in (fast) jeden ihrer Romane ein.

Sie lebt in der eisigen Winterwüste (okay, ganz so schlimm ist es nicht) von Alberta in Kanada, zusammen mit ihrem Mann und ihrem pelzigen Diener der Dunkelheit – alias Kater – Caesar. In ihrer Freizeit steckt sie oft ellbogentief in einem Kunstprojekt und vergisst dabei gern mal die Zeit.

Die englische Ausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Two Witches and a Whiskey« bei Dark Owl Fantasy.

 

Deutsche Erstausgabe Oktober 2024

© der Originalausgabe 2019: Annette Marie

© Verlagsrechte für die deutschsprachige Ausgabe 2024:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,

Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Die Nutzung des Inhalts für Text und Data Mining

im Sinne von § 44b UrhG ist ausdrücklich verboten.

 

Umschlaggestaltung: Makita-Diandra Hirt

unter Verwendung von Motiven von roverto, pikisuperstar,

bestvector083, roiandroi, user5241384, brgfx, user4468087,

dgimstudio, alle www.freepik.com, und setory, www.stock.adobe.com,

sowie alit_design, www.elements.envato.com

 

Lektorat: Julia Funcke

Schlussredaktion: Daniela Dreuth

Satz & Layout: Second Chances Verlag

 

ISBN E-Book: 978-3-98906-050-0

ISBN Klappenbroschur: 978-3-98906-051-7

 

Auch als Hörbuch erhältlich!

www.second-chances-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorin

Impressum

Glossar

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

 

Magieklassen

 

Spiritalis

Psychica

Arcana

Dämonica

Elementaria

 

Mythiker

Eine Person mit magischen Fähigkeiten

 

MPD/Magipol

Die Regulationsbehörde für Mythiker und ihre Aktivitäten

 

Abtrünniger

Ein Mythiker, der sich nicht an die MPD-Gesetze hält

KAPITEL 1

Darius war ein Mann von unerschütterlicher und unbestreitbarer Autorität.

Als Oberhaupt des Crow and Hammer war er ein beständiges Beispiel für Integrität und Gelassenheit. Für Würde.

»Persönliche Schutzausrüstung«, verkündete er dem Raum. »Jeder Job ist anders, und das bedeutet das Tragen von geeigneter PSA.« Um seinen Standpunkt zu unterstreichen, hielt er einen Ledertrenchcoat mit nietenbesetzten Manschetten hoch.

Ich blickte von dem Gothlord-Kleidungsstück zu Darius’ ernsten grauen Augen in seinem attraktiven Gesicht mit den markanten Konturen und dem kurzen Bart. Dann biss ich mir auf die Unterlippe, um ein Kichern zu unterdrücken.

»Wir hatten diesen Monat mehrere Vorfälle, die durch das Tragen von geeigneter PSA hätten verhindert werden können.« Er zog einen der glänzenden Ärmel glatt. »Euer persönlicher Stil muss hinter eurer Sicherheit zurückstehen. Leder ist im Sommer vielleicht nicht die bequemste Wahl, aber notwendig.«

Niemand sah mich an, doch vorsichtshalber nickte ich feierlich. Die fünfzig anderen Leute im Pub beobachteten Darius mit der gleichen Ernsthaftigkeit, und ihre ungebrochene Aufmerksamkeit spiegelte die Schwere der …

»Keanu Reeves hat angerufen«, flüsterte jemand laut. »Er will sein Matrix-Outfit zurück.«

Gelächter breitete sich aus, und ich schaute auf meine Uhr. Wir hatten es ganze sechs Minuten ohne Klugscheißerei geschafft. Ein neuer Rekord.

Darius’ Mundwinkel zuckten, aber er hatte sich im Griff. »Vampirbisse sind alles andere als lachhaft, was du ja bestätigen kannst, Cameron.«

Während Cameron unangenehm berührt hustete und weiteres Gekicher ausbrach, geriet meine Heiterkeit ins Wanken. Richtig. Vampire. Vielleicht war das Ganze am Ende doch nicht so lustig.

Der Mann, der mit dem Rücken zur Theke auf einem Hocker saß und die Ellbogen auf die Holzplatte gestützt hatte, neigte den Kopf, um mich anzusehen. Seine blauen Augen funkelten schelmisch; die Farbe wurde durch seine zerzausten kupferroten Locken noch verstärkt.

»Nur zu«, murmelte Aaron, während Darius seinen Vortrag zu PSA fortsetzte. »Frag.«

Ich blickte mich um, um mich zu vergewissern, dass niemand zuhörte. »Was passiert, wenn man von einem Vampir gebissen wird?«

»Du wirst natürlich selbst zum Vampir.«

Entsetzt riss ich die Augen auf.

Er grinste. »Ich mache nur Spaß. Vampirbisse sind kein Todesurteil. Ein ganzes Nest könnte an dir herumkauen, und es würde dir nichts ausmachen. Na ja, außer was das Angekautsein betrifft. Das wäre unschön.«

Warum war ich nicht überrascht, dass dieser ungerecht mächtige Pyromagier keinen Grund zur Besorgnis sah? Er konnte seine Angreifer schließlich zu kleinen Haufen untoter Asche rösten.

Der Typ, der auf dem Hocker neben Aaron saß, warf einen Blick in meine Richtung. »Aaron spielt die Gefahr herunter. Ein Vampirbiss erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Verwandlung auf vierzig Prozent.«

Man konnte sich immer darauf verlassen, dass Kai die Fakten kannte. Obwohl er ebenfalls nichts zu befürchten hätte. Ob er das verrottende Herz eines Vampirs mit seinen Elektromagier-Kräften anhalten konnte, wusste ich nicht, aber er könnte die Kreatur mit seinen Kampfkünsten in zwei Hälften teilen.

Der dritte Mann auf Aarons anderer Seite drehte sich auf seinem Hocker um. »Mach dir keine Sorgen, Tori. Falls dich ein Vampir beißen sollte, wissen unsere Heiler ganz genau, wie sie dich wieder gesund machen.«

Seine schmelzend weiche Stimme wirkte so beruhigend auf mich wie immer. Ernsthaft, Ezra könnte mich davon überzeugen, dass die Erde flach ist, wenn er lange genug redete.

Ich stützte den Arm auf die Theke. »Aaron, Kai, macht euch bitte Notizen.«

Die beiden sahen mich an. »Notizen worüber?«

»Wie man den magielosen Menschen beruhigt.« Ich strahlte Ezra an. »Wenn du nicht wärst, hätte ich ständig Albträume.«

Seine Augen, von denen eines braun und das andere blassweiß war – das Ergebnis einer Verletzung, die eine Narbe von seiner Schläfe bis zum Wangenknochen hinterlassen hatte –, leuchteten amüsiert auf.

»Ach ja, ständige Albträume, was?« Aarons Grinsen wurde durchtrieben. »Tori, hast du schon mal was von einem Allucinator gehört?«

»Äh … nein?«

»Das sind Traummanipulatoren. Sie können …«

»Aaron Sinclair.« Darius’ Stimme durchschnitt unser geflüstertes Gespräch. »Danke, dass du dich als Freiwilliger meldest.«

Alarmiert wirbelte Aaron auf seinem Hocker herum. »Freiwilliger wofür?«

Darius deutete auf die Frau neben sich. »Zora wird nun demonstrieren, wie man einem Vampir den Kiefer bricht, um den Biss zu verhindern. Du bist der Vampir.«

Aarons Blick schoss zu der zierlichen Zauberin und wurde noch erschrockener.

Bevor er protestierten konnte, schnippte Darius mit den Fingern. »Jetzt, Aaron.«

Grummelnd marschierte er nach vorne. Kai, Ezra und ich schauten uns schadenfroh an, dann machten wir es uns bequem für die Show.

Der Rest des einstündigen Meetings verging wie im Flug, und Aaron trug bei der Demonstration keine ernsthaften Verletzungen davon. Um zwanzig Uhr beendete Darius die Veranstaltung – und damit begann meine Arbeit, als fünfzig unruhige, durstige Leute meine Bar belagerten.

Während ich zwischen der Küche und dem Tresen hin- und hersauste, hob sich meine Stimmung. So liebte ich das: schnelles Tempo, Drinks zubereiten, mit den Kunden witzeln und gewinnend lächeln, während sich mein Trinkgeldglas füllte. So war es nicht immer gewesen, doch seit meinem ersten Arbeitstag hier vor dreieinhalb Monaten hatte sich, nun ja, alles verändert.

Das Crow and Hammer war nicht einfach nur eine Bar, und ich war nicht einfach nur eine Barkeeperin. Dieser Ort war eine Gilde, und jeder hier war ein Mythiker – jemand, der Magie benutzte und zu einer der fünf Magieklassen gehörte. Oder genauer gesagt: zu einer von vier Klassen, da unsere Mitglieder nicht das volle Spektrum abdeckten, was mir nur recht war. Wer wollte es schon mit echten Dämonen zu tun kriegen?

Ich war insofern etwas Besonderes, als ich eben nichts Besonderes war. In einer Gilde voller begabter Mythiker war ich ein Mensch. Ja, genau, ein normaler Mensch ohne einen einzigen Tropfen magisches Blut.

Während der nächsten Stunde verlor ich meine drei Lieblingsmagier aus den Augen, aber als es ruhiger wurde, entdeckte ich Aaron, Kai und Ezra bei einer Gruppe Zauberer. Sie hatten mehrere Tische zusammengeschoben und saßen in einem großen Kreis zusammen. In der Mitte standen Schnapsgläser und Whiskeyflaschen.

Ich kniff die Augen zusammen. Wann hatten sie sich diese Flaschen gemopst? Das verstieß total gegen die gesetzlichen Auflagen für Alkoholausschank, doch da eins der Gildemottos »Jede Regel kann gebrochen werden« lautete und einer der Gilde-Officer mit am Tisch saß, würde es vermutlich nichts bringen, sie herunterzuputzen. Natürlich würde ich es trotzdem tun, allerdings später.

»Tori!« Eine blonde Frau in meinem Alter ließ ihre Handtasche auf den Tresen fallen und glitt auf einen freien Hocker. »Wie geht es dir?«

»Sabrina!« Ich umarmte sie kurz über die Theke hinweg. »Wie war dein Ausflug? Du bist gerade zurückgekommen, richtig?«

»Gestern.« Sie holte ihr Handy heraus. »Sir Fluffle hat den ersten Platz belegt!«

Bevor ich nachfragen konnte, zeigte sie mir stolz ein Foto von einem Hasen mit Schlappohren, dem ein blaues Band umgelegt worden war. Rasch scrollte sie durch ein weiteres Dutzend Bilder von der Hasenzuchtausstellung.

»Ist er nicht wunderschön?«, schwärmte sie.

»Toll!«, pflichtete ich ihr bei, war mir allerdings nicht sicher, wie man einem Hasen Komplimente machte.

»Ich habe vorausgesehen, dass die Show gut laufen würde«, fügte sie hinzu. »Rose hat mich vor schlechtem Wetter und unseriösen Juroren gewarnt, aber ganz offensichtlich hatte sie nicht die geringste Ahnung.«

Ich nickte, entschlossen, neutral zu bleiben. Die Rivalität zwischen den beiden Wahrsagerinnen der Gilde war legendär, und ich hatte ihre widersprüchlichen Prophezeiungen aus erster Hand erlebt. Lustigerweise hatten sich am Ende beide auf ihre Weise als akkurat erwiesen.

»Egal.« Sabrina seufzte. »Wie war deine Woche? Ich habe gehört, du hast …«

Sie griff nach ihrer Handtasche, um ihr Handy wegzupacken. Dabei kippte die Tasche um, ein Stapel schwarz-goldener Tarotkarten glitt heraus und verteilte sich über die Bar. Zwei rutschten bis zum Rand und fielen neben mir zu Boden.

»Ich hab sie.« Ich hockte mich hin und hob die Karten auf. Als ich sie Sabrina entgegenhielt, erhaschte ich einen Blick auf die obere – und meine gute Laune verpuffte mit einem kalten Schauder. Ich ließ die Karten auf den Tresen fallen, betrachtete die detaillierte Darstellung des Sensenmanns und murmelte: »Du schon wieder.«

Sabrina nahm die Todeskarte in die Hand. »Das ist ein sehr auffälliges Verhalten für meinen Kartensatz. Warum zeigt sich dir diese Karte immer wieder?«

Hunde konnten verhaltensauffällig sein. Hasen konnten verhaltensauffällig sein. Ich würde sogar so weit gehen, zuzugestehen, dass Fahrzeuge verhaltensauffällig sein konnten. Karten nicht. Karten waren einfach Karten, Schluss, aus.

Sabrina griff nach der zweiten, die mit der Bildseite nach unten auf dem Tresen lag, und drehte sie um. Sie zeigte einen jungen Mann mit einem Rucksack, das Gesicht gen Himmel gerichtet und völlig ahnungslos, dass er im Begriff war, mit dem nächsten Schritt von einer Klippe zu stürzen. Unter der Zeichnung standen zwei Wörter: Der Narr.

Ich runzelte die Stirn. »Deine Karten haben nichts Nettes über mich zu sagen. Sie sind total voreingenommen.«

»Der Narr ist keine Beleidigung.« Sabrina betrachtete ihn. »Es geht um Chancen und Potenziale. Um den Beginn einer neuen Reise. Er bedeutet, dass man offen bleiben und seinem Abenteuersinn nachgeben soll.«

Ich verzog zweifelnd den Mund. »Damit ist die Karte ein bisschen zu spät dran. Ich bin ziemlich sicher, dass ich längst auf diesem ›Neue Reise‹-Ding unterwegs bin.«

»Hm, ja, da muss ich dir zustimmen. Es sei denn …« Sie neigte den Kopf und drehte die Karte dann langsam um einhundertachtzig Grad. »Lag sie richtig herum oder auf dem Kopf? Der umgekehrte Narr warnt dich davor, dass deine Reise scheitern wird.«

Ich versteifte mich. »Scheitern?«

»Mm.« Sie schob die Karten zu einem ordentlichen Stapel zusammen. »Entweder zögerst du, weil dich etwas zurückhält, oder du hast dir mehr aufgeladen, als du bewältigen kannst, und dein neues Unterfangen droht in sich zusammenzustürzen.«

»Das sind aber große Unterschiede.«

»Wenn du mich eine Lesung machen lässt, könnte ich das klarer vorhersagen.« Erfreut mischte sie die Karten. »Wie wär’s?«

»Äh …«

»Hey, Tori!«, rief Aaron durch den Pub. Seine Stimme dröhnte über das laute Gemurmel der anderen Gespräche hinweg. »Können wir noch eine Flasche Whiskey bekommen?«

Ach, jetzt fragte er mich plötzlich um Erlaubnis? Ich zwang mich, nicht die Augen zu verdrehen, winkte zustimmend und setzte dann eine enttäuschte Miene auf. »Tut mir leid, Sabrina. Ich muss wieder an die Arbeit zurück.«

Sie ließ die Schultern sinken. »Na klar. Vielleicht ein anderes Mal.«

Ich unterdrückte meine Schuldgefühle, hastete in die Küche und gab Ramsey, dem Koch, im Vorbeigehen einen High Five. Dann holte ich eine Flasche Whiskey aus dem Vorratsraum. Die Jungs würden noch all meine Vorräte aufbrauchen.

Als ich durch die Saloontüren in die Bar zurückkehrte, war Sabrina gerade damit beschäftigt, Sin und Riley, die jetzt bei ihr an der Theke saßen, lebhaft ihren Sieg bei der Hasenzuchtshow zu beschreiben. Als sie für eine neue Runde Fotos ihr Handy hervorzog, warf mir Sin einen gequälten Blick zu.

Lachend schenkte ich eine Cola ein und schob ihr das Glas in die wartende Hand, dann trat ich hinter dem Tresen hervor, die Whiskeyflasche unter den Arm geklemmt. Wie aus dem Nichts tauchten rechts und links von mir ein Mann und eine Frau auf.

Ich verkniff mir ein Stöhnen. »Hi, Zhi. Hi, Ming.«

Zhi starrte mich mit beängstigender Eindringlichkeit an. Er hatte kurze schwarze Haare und markante Wangenknochen, und da er nie lächelte, kam er immer etwas abweisend rüber und nicht unbedingt wie ein Kandidat für die Auszeichnung als freundlichster Nachbar. Seine Schwester Ming sah ihm sehr ähnlich, wirkte jedoch mit den langen, rabenschwarzen Haaren und den knallroten Kopfhörern ein wenig sanfter.

»Ich bin gleich wieder da für eure Getränke«, fuhr ich hastig fort. »Ich brauche nur rasch eine Minute, um …«

»Wir sind nicht zum Trinken hier«, unterbrach mich Zhi in seinem üblichen monotonen Tonfall. Einem intensiven monotonen Tonfall. Keine Ahnung, wie er das machte. »Wir sind wegen der Informationen hier, die du allen verweigerst.«

»Ja, wie schon gesagt, ich kann nicht …«

»Jeder Tag, an dem du schweigst, bietet dem Geist die Gelegenheit, ein weiteres Opfer zu entführen.«

Ich machte vorsichtig einen Schritt nach hinten, doch Ming versperrte mir den Weg. »Ich kann euch nichts erzählen. Wenn ihr damit ein Problem habt, müsst ihr zu Darius gehen.«

Versteckte ich mich hinter dem Gildemaster? Aber definitiv. Dieser Mensch hier wusste, dass man es sich mit einem Zauberer nicht verscherzte, erst recht nicht mit einem, der als Wunderkind galt und seine Ausbildung einige Jahre schneller abgeschlossen hatte als üblich.

»Wo liegt deine Loyalität, Tori?«, fragte Zhi kühl. »Hast du mit Darius auch darüber gesprochen?«

Ich schob mich an ihm vorbei und marschierte davon, wobei ich den sengenden Blick ignorierte, den ich im Rücken spürte. Er und seine Schwester konnten ihren Groll gegen den berüchtigten Geist auch ohne meine Hilfe pflegen. Selbst wenn ich es ihnen hätte erzählen wollen, ich konnte kein einziges Detail über den abtrünnigen Mythiker preisgeben, ohne dass es meinen Tod bedeutete. Er hatte mich gezwungen, einen Schwarzmagie-Eid zu leisten, um seine Geheimnisse zu wahren, und anschließend hatte ich auch noch schwören müssen, nichts über diesen Eid zu verraten.

Beim Gedanken daran wurde ich genervt. Alle paar Tage ärgerte ich mich so darüber, dass ich ihm eine beleidigende Nachricht übers Handy schickte, doch bisher hatte er nie geantwortet. Mistkerl.

Von Aarons Tisch drangen Schreie herüber, eine Mischung aus Triumph und Niederlage. Die Hälfte der Gruppe hob die Schnapsgläser und kippte den Inhalt hinunter, auch Aaron. Knurrend knallte er dann sein Glas wieder auf den Tisch.

»Das war unfair«, beschwerte er sich. »Lyndon, du bist dran.«

Ich betrachtete die Versammelten und entdeckte die meisten unserer besten Kampfmythiker unter ihnen – von Magiern wie Aaron, Kai und Laetitia bis hin zu Zauberern wie Andrew, Lyndon, Gwen und Zora. Selbst Girard, der Erste Officer, leistete ihnen Gesellschaft. Das hier war die Elitefraktion der Gilde – die Leute, die die härtesten Jobs übernahmen und sich den tödlichsten Gegnern stellten.

Ezra gehörte ebenfalls zu diesem Kreis, doch er hatte seinen Stuhl zurückgeschoben und hatte auch kein Glas vor sich. Er trank nie besonders viel und hörte immer auf, bevor er auch nur annähernd beschwipst war.

Mit der Whiskeyflasche in der Hand lehnte ich mich an seinen Stuhl. »Was ist hier los?«

»Ein Trinkspiel«, erklärte Ezra grinsend. »Jeder muss der Reihe nach etwas erzählen, was er bei einem Auftrag getan oder erlebt hat. Alle, denen so etwas oder etwas Ähnliches noch nicht passiert ist, müssen trinken.«

»Da Darius das Thema so gründlich mit uns durchgegangen ist«, begann Lyndon, »möchte ich es wissen: Wer wurde schon mal von einem Vampir gebissen? Falls nicht, dann prost!«

Stöhnend leerte Aaron sein nachgefülltes Glas. War er nicht glücklich über sein vampirbissfreies Dasein? Oder vielleicht hatte er bereits so viel trinken müssen, dass ihm die spitzen Zähne lieber gewesen wären als noch mehr Alkohol. Laetitia, Gwen, Andrew und zwei andere tranken ebenfalls, Kai jedoch nicht.

Zora schob ihren Ärmel hoch und enthüllte eine hässliche halbkreisförmige Narbe an ihrem Unterarm. »Der Mistkerl hat beinahe ein Stück aus mir rausgebissen. Das war noch bei meiner alten Gilde, wo der Heiler nicht so überragend war.«

Während mehrere Mythiker anerkennend pfiffen, zog Lyndon seinen Hemdkragen zur Seite. Eine ähnliche Narbe markierte die Stelle, wo Hals und Schulter ineinander übergingen. »Sie hat mir gut und gerne einen halben Liter ausgesaugt, bevor mein Team zur Verstärkung anrückte. Normalerweise freue ich mich nicht, wenn ich jemanden töten muss, aber in dem Fall hat es mich nicht belastet.«

Sie reichten den Whiskey herum und füllten ihre Gläser nach.

Andrew, ein geschickter Verteidigungszauberer und häufig Teamanführer, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich möchte sehen, wer nicht schon mal bei einem Kampf gestolpert und der Länge nach hingeschlagen ist. Wer jetzt trinkt, entlarvt sich eindeutig als Lügner.«

Während alle lachten, hob nur Kai sein Glas an und kippte den Inhalt hinunter. Als er es zurück auf den Tisch knallte, streckte er herausfordernd das Kinn vor. »Wer nennt mich hier einen Lügner?«

Ich kicherte, als niemand auch nur ein Wort sagte. Falls es je einen Mythiker gegeben hatte, dem so was bei einem Kampf nicht passierte, war es unser Superninja Kai.

Girard strich sich über den Bart. »Jetzt bin ich dran, oder?«

Aaron und Kai tauschten einen verzweifelten Blick.

Grinsend flüsterte mir Ezra zu: »Girard wird es darauf anlegen, dass alle trinken müssen.«

Der Officer grinste ihn an, dann hob er sein Glas zu einem gespielten Toast. »Sorry, dass es jetzt so makaber wird, aber Lyndon hat damit angefangen. Also, Tote. Wenn ihr nicht mindestens sechs Tote auf einmal gesehen habt, trinkt.«

»Was?« Gwen zeigte vorwurfsvoll auf ihn. »In was für einen üblen Scheiß hast du deinen fettigen Bart gesteckt, Girard? Wer stolpert denn bitte über sechs nach Pisse stinkende Leichen?«

Ach, Gwen. Jedes Mal, wenn ich ihr zuhörte, verspürte ich das Bedürfnis, zu lachen. Mit ihrem ordentlichen blonden Pferdeschwanz und ihrer Vorliebe für Designerbusinesskleidung wirkte sie wie eine hoch bezahlte Managerin – ein Eindruck, den sie komplett ruinierte, sobald sie den Mund aufmachte.

Girard drohte ihr spielerisch mit dem Finger. »Trink, Gwen.«

Grummelnd stürzte sie ihren Drink hinunter. Alle anderen hoben ebenfalls die Gläser – bis auf Aaron und Kai. Ihr Lächeln war verschwunden, und sie starrten grimmig ihre Gläser an, als wünschten sie sich, sie könnten mittrinken.

Ein unangenehmes Schweigen legte sich über den Tisch, dann packte mich Zora am Arm und zog mich vor Ezras Stuhl. »Tori, jetzt du!«

»Äh, ich?«

Aaron, dessen beschwipstes Grinsen mit voller Kraft zurückgekehrt war, nahm mir die Nachschub-Whiskeyflasche ab und drückte mir stattdessen ein gefülltes Glas in die Hand. »Was Gutes, Tori!«

Ich musterte die Runde am Tisch, gespickt mit den besten Kämpfern der Gilde. Was konnte ich kleiner Mensch da schon sagen? Was hatte ich getan, das noch niemand von ihnen je erlebt hatte? Nun ja, es gab da einige Optionen. Mit einem Drachen fliegen? Eine Dunkelfee zum Kreischen bringen wie ein kleines Kind? Einem abtrünnigen Druiden eins auf die Nase geben? Das Problem war nur, dass ich über nichts davon reden durfte.

Mein Blick fiel auf Aaron. »Wer von euch hat schon mal einen Drink gleichzeitig über drei Magier geschüttet?«

Lachen und Stöhnen wanderten um den Tisch. Selbst Girard musste sein Glas austrinken.

»Warte!« Laetitia senkte ihr Glas. »Ich habe mal einen Kaffee über Darius, Tabitha und mir verschüttet, zählt das?«

Die Runde debattierte und beschloss dann, es gelten zu lassen. Zora gab mir einen mitfühlenden Klaps auf die Hüfte, woraufhin ich rückwärts gegen Ezra stolperte, der immer noch auf seinem Stuhl saß. Stützend legte er mir eine Hand an die Taille.

»Guter Versuch!«, verkündete Zora. »Beinahe hättest du es geschafft, allerdings hat es bisher noch keiner fertiggebracht, dass alle trinken mussten.«

»Tori hatte es aber in der Hand«, warf Kai ein. »Sie hätte nur ›Wer hat schon mal Aaron geküsst?‹ sagen müssen, dann hätten wir alle verloren.«

Die Jungs brüllten vor Lachen, und Aaron schnaubte.

Zora wandte sich an Alistair, einen älteren Mann, den ich lediglich als den mächtigsten Magier der Gilde kannte. Er war kaum jemals hier, viel zu sehr damit beschäftigt, die furchterregendsten Bösewichte sowohl innerhalb der Stadt als auch außerhalb zu jagen.

»Letzte Runde, Alistair«, meinte sie. »Noch mehr Whiskey vertrage ich nicht, also ist das hier deine Chance auf den ultimativen Sieg. Go big or go home.«

Alistair zupfte nachdenklich an seinem schneeweißen Bart. Er war braun gebrannt und wettergegerbt, hatte Tätowierungen auf den sehnigen Armen und verströmte von Grund auf die Aura eines knallharten Typen. Ich lehnte mich vor, begierig auf seine Herausforderung.

»Hmm, in Ordnung. Hier kommt meine Frage: Wer von uns hat schon mal gegen den ultimativen Gegner gekämpft?« Sein dunkler Blick wanderte um den Tisch herum. »Wer ist gegen einen Dämonenmagier angetreten?«

Niemand rührte sich. Ein wortloses Schaudern wanderte durch die Reihen der Mythiker, als sie die Reaktionen ihrer Kameraden beobachteten. Kalte, greifbare Angst kroch durch die unheimliche Stille. Dann, beinahe in komplettem Einklang, hoben sie ihre Gläser und tranken. Nur Alistair regte sich nicht.

Andrew stellte lautstark sein Glas ab. »Das war nicht wirklich realistisch, Alistair. Wenn auch nur einer von uns schon mal einem Dämonenmagier begegnet wäre, könnten wir jetzt nicht mehr hier sitzen und darüber reden.«

Der eindrucksvolle Magier zog die Brauen hoch. »Ich sollte doch mein Bestes geben. Okay, fairerweise hätte ich fragen können, wer schon mal einem Dämon gegenüberstand und anschließend eine neue Hose gebraucht hat.«

Die Spannung brach, als alle lachten und ihre furchteinflößendsten Begegnungen schilderten. Während das Spiel in Geplauder überging, glitt ich zu Aaron hinüber.

»Was ist ein …«, begann ich.

Am anderen Ende der Kneipe entstand ein Schweigen, das sich im Raum ausbreitete und sämtliche Gespräche zum Verstummen brachte. Alle Köpfe drehten sich in Richtung Eingangstür.

Zwei Personen standen dort. Sowohl der Mann als auch die Frau trugen identische dunkle Anzüge. Sein Haar war kurz geschnitten, ihres zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden. Der Mann hielt eine lederne Dokumententasche unter dem Arm. Ich blinzelte und versuchte, sie einzuordnen. Das waren keine Gildemitglieder, die zu spät zur Party kamen.

Mist, waren das womöglich Kontrolleure von der Alkoholaufsicht, die mich dafür drankriegen wollten, dass ich die Gäste eigenständig Alkohol ausschenken ließ?

Der Mann machte einen halben Schritt nach vorn, zog sich ein weißes Namensschild vom Aufschlag und hielt es hoch. Seine ernste Stimme war leise, durchdrang jedoch die gesamte Bar.

»Agent Harris von der MPD. Wo ist der Gildemaster?«

KAPITEL 2

Bei dem Wort »MPD« setzten sich die Leute ruckartig auf, einige sprangen sogar auf. Ich starrte die beiden regungslos an. Da wären mir Alkoholkontrolleure deutlich lieber gewesen. Das hier war schlimmer. Viel schlimmer.

Die MPD. MagiPol. Die allmächtige Organisation, die über Mythiker und Gilden herrschte. Bisher hatte ich noch keinen Agenten in echt gesehen, aus gutem Grund. Ich als Mensch hatte keine Erlaubnis, bei einer Gilde zu arbeiten. Mein Arbeitsverhältnis hing ausschließlich davon ab, dass die MPD meine Existenz ignorierte.

Während ungefähr vierzig Mythiker vom Erscheinen der Agenten aus dem Konzept gebracht waren, legten sich zwei Hände um meine Taille. Ezra riss mich zu Boden und schob mich unter den Tisch, dann duckte er sich mit mir darunter. Er hielt einen Finger an seine Lippen.

Ich atmete lautlos ein, den Kopf unter der Tischplattezur Seite gebogen. Verstecken. Ja. Das war eine kluge Idee. Gut, dass Ezras Reflexe besser waren als meine. Ich blickte ihn stirnrunzelnd an. Warum versteckte er sich auch?

»Der Gildemaster?«, wiederholte Agent Harris.

»Guten Abend, Brennan«, sagte Girard gelassen über das unruhige Raunen im Pub hinweg. »Darius ist vielleicht oben, allerdings glaube ich eher, dass er für heute schon gegangen ist.«

Schritte hallten über den Boden, auf Girard zu – und damit auch auf mich und Ezra. Die polierten Schuhe von Agent Harris tauchten in meinem Sichtfeld auf, nur wenige Meter entfernt.

»Und Sie sind?«, fragte Agent Harris mit tiefer Stimme.

»Girard Canonach, Erster Officer der Gilde.« In seiner Stimme mischte sich Belustigung mit einem scharfen, unmutigen Unterton. »Es wundert mich, dass Sie sich nicht mehr an mich erinnern, wenn man bedenkt, wie oft wir im Laufe der Jahre miteinander kommuniziert haben.«

»Ich habe mit vielen Officern zu tun«, entgegnete Agent Harris herablassend. »Falls Darius hier ist, möchte ich unverzüglich mit ihm sprechen.«

»Laetitia, könntest du bitte oben nachsehen?«

Sie schob ihren Stuhl zurück und eilte zur Treppe in der Ecke. Der Rest der Mythiker am Tisch blieb sitzen. Ihre Stühle und Körper bildeten einen Sichtschutz um Ezras und mein Versteck.

»Wie geht es Ihnen, Brennan?«, erkundigte sich Girard im Plauderton, obwohl die scharfe Note noch nicht aus seiner Stimme verschwunden war. »Sie arbeiten heute noch spät.«

»Ich habe einen anspruchsvollen Job.«

»Ihr Timing ist ausgezeichnet. Normalerweise sind an einem Samstagabend um zehn nicht so viele Leute hier.«

Mein fragender Blick schoss zu Ezra, und er nickte bestätigend. Die MPD-Agenten waren ganz bewusst heute aufgetaucht, weil es ein Versammlungsabend war.

Leise, nervöse Gespräche begannen im Raum. Stühle knarrten, als Gäste aufstanden.

»Girard«, sagte Agent Harris. »Sagen Sie Ihren Leuten, dass niemand gehen darf, bevor wir hier fertig sind.«

»Bitte setzt euch alle hin, bis wir wissen, was die werten MPD-Agenten von uns benötigen. Danke.« Dann wandte sich Girard mit gesenkter Stimme wieder an Harris. »Wenn Sie uns schon hier festhalten, würde ich gerne wissen, warum.«

Papiere raschelten. »Wir sind bezüglich Fall Nummer 18-3027 hier, der Untersuchung in Sachen Albert und Martha River und zur Beteiligung des Crow and Hammer an deren Einschüchterung.«

Eiseskälte breitete sich in meinen Adern aus. Diese Namen waren mir nur allzu vertraut. Bei der Gefangennahme der beiden hatte ich eine Hauptrolle gespielt, doch das war vor vier Wochen gewesen. Ich war davon ausgegangen, dass das alles längst erledigt sei. Die MPD befasste sich erst jetzt damit?

»Wir ermitteln im Zusammenhang mit Fall Nummer 03-1622, dem Verschwinden von Nadine Emrys aus der Bellingham-Zauberergilde in England vor fünfzehn Jahren.« Agent Harris raschelte mit seinen Papieren. »Sie, Girard, müssen zu einer Anhörung im Hinblick auf die Einschüchterung der Rivers erscheinen. Ihre Vorladung habe ich hier, doch zur Einhaltung der korrekten Verfahrensrichtlinien muss ich sie zuerst Ihrem Gildemaster vorlegen.«

»Ich verstehe«, erwiderte Girard tonlos. »Haben Sie sonst noch Vorladungen für jemanden?«

»Aaron Sinclair und Kai Yamada, aufgrund ihrer Rolle bei der Befragung der Rivers.« Erneutes Papierrascheln. »Ezra Rowe wird ebenfalls vorgeladen und wegen der Anwendung unangemessener mythischer Gewalt gegen Menschen angeklagt.«

Entsetzt blickte ich Ezra an und formte mit den Lippen: Angeklagt?

Er beugte sich dicht an mein Ohr. »Nicht strafrechtlich«, hauchte er beinahe lautlos. »Sie werden mir ein Bußgeld aufbrummen, sofern wir sie nicht davon überzeugen können, die Rivers vor Gericht als Mythiker zu behandeln.«

Seine geflüsterten Worte beruhigten mich, aber nicht meinen Herzschlag. Im Gegenteil, der raste jetzt albernerweise noch mehr. Als hätte ich nicht schon genug andere Sorgen, hatten Ezras Lippen beim Streifen meines Ohrs lächerliche Schauer über meinen Hals und meinen Rücken gejagt.

»Warum braucht diese Frau so lange, um Darius zu holen?«, fragte Agent Harris.

»Laetitia wird sicher jeden Moment zurück sein«, antwortete Girard kühl. »Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie weiterhelfen?«

Ezra drehte sich ruckartig um und musterte den leeren Raum unter dem Tisch.

Agent Harris räusperte sich. »Es gibt eine weitere Sache, die ich untersuche.«

Ezra konzentrierte sich auf eine Stelle neben mir. Als er meinen Blick bemerkte, legte er sich erneut den Finger an die Lippen. Äh, ja, Kumpel. Ich wusste, dass ich still sein musste. Ich brauchte keine Ermahnung, um …

Ein Mann erschien links von mir.

Ich erschrak so sehr, dass ich umkippte, doch Ezra bekam meinen Ellbogen zu fassen, bevor ich gegen ein Tischbein stoßen konnte. Fassungslos starrte ich Darius an, der jetzt neben uns hockte, den Kopf unter dem Tisch gebeugt, die ausdrucksstarken Augenbrauen hochgezogen. Bitte was? Der Typ war aus dem Nichts aufgetaucht! Was für eine Art Mythiker war er?

»Wir haben eine Vorladung«, fuhr Agent Harris fort, ohne die wachsende Gruppe unter dem Tisch zu bemerken, »und eine anhängige Anklage aufgrund der Benutzung eines illegalen Artefakts gegen einen Menschen. Die Frau, um die es geht, nennt sich Patricia Erickson, aber wir halten das für ein Alias.«

Oh, Shit, das war ich.

»Haben Sie Mitglieder mit roten Haaren?«, fragte Agent Harris Girard.

Es folgte ein Moment der Stille.

»Einmal rote Haare hier«, meldete sich Aaron zu Wort. »Aber für mich haben Sie bereits eine Vorladung.«

»Ein weibliches Mitglied mit roten Haaren«, korrigierte sich Agent Harris gereizt. »Wir werden Sie und Kai Yamada ausführlich zu Ihrer Partnerin Patricia Erickson befragen.«

Oh-Shit-oh-Shit-oh-Shit.

Agent Harris machte ungeduldig ein paar Schritte. »Wir werden auch besprechen, in welcher Beziehung diese Frau zu dem Abtrünnigen steht, der als Geist bekannt ist. Die Rivers beharren darauf, dass sie angedeutet hat, sie arbeite für ihn.«

Ich presste mir beide Hände vors Gesicht. Warum hatte ich bloß nicht meine große Klappe gehalten? Bei der Befragung der Rivers hatte ich nicht mal in Erwägung gezogen, dass sie jedes meiner Worte und all meine Taten der MPD melden würden.

Darius griff an mir vorbei, berührte Ezras Schulter und deutete dann auf Aarons Beine. Ezra tippte Aaron ans Knie.

»Sie können sich Ihre Fragen für die offizielle Anhörung aufsparen«, schritt Girard entschlossen ein. »Wie es aussieht, ist Darius schon weg. Warum kommen Sie nicht zu einer angemesseneren Uhrzeit noch mal her?«

Während Girard sprach, zog Aaron leise seinen Autoschlüssel aus der Tasche und reichte ihn Ezra. Der umklammerte ihn fest, damit er kein Geräusch machte, und steckte ihn ein.

»Tatsächlich werden wir uns hier umschauen, bevor wir gehen«, verkündete Agent Harris. »Ich habe die entsprechenden Papiere bei mir.«

Neben Aaron hielt Kai drei ausgestreckte Finger unter den Tisch, dann knickte er einen ein. Zählte er? Drei, zwei, eins …

Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf.

»Das ist doch alles Bullshit!«, rief er deutlich lallend. »Warum zum Teufel kommen Sie einfach her und ruinieren uns den Abend?«

Beinahe hätte ich laut aufgekeucht. Kai war definitiv nicht der Typ, der einen Streit vom Zaun brach – und er war auch auf keinen Fall betrunken genug, um so zu lallen.

»Beruhig dich …«, begann Girard.

Doch Kai schlug so fest mit den Händen auf den Tisch, dass die Schnapsgläser wackelten. »Bullshit! Für wen hält sich dieser Mistkerl? Er befolgt nicht mal die korrekte Vorgehensweise! Das hier ist ein Einschüchterungsversuch, genau das ist es …«

»Halt die Klappe!«, rief Aaron und kam stolpernd und taumelnd auf die Füße. »Du machst es bloß noch schlimmer!«

Darius nahm mich am Ellbogen und lenkte mich damit ab, sodass mir Kais geknurrte Erwiderung entging. Während sich die beiden Magier anbrüllten, schob mich der Gildemaster auf eine Öffnung zwischen zwei Stühlen zu. Panik durchzuckte mich, aber ich sperrte mich nicht dagegen, dass er mich dorthin lotste. Darius wusste sicher, dass ein lautstarker Streit die MPD-Agenten nicht daran hindern würde, uns zu entdecken.

Ich kroch zwischen den Stühlen hindurch, Darius dicht hinter mir. Einen halben Meter entfernt stritten Kai und Aaron miteinander, während Girard erfolglos versuchte, die beiden zu trennen. Harris und die Agentin betrachteten das Schauspiel mit genervten Mienen.

Keine einzige Person blickte in unsere Richtung.

Ezra verließ als Letzter unser Versteck. Die Hände auf meine Schultern gelegt, führte mich Darius zwischen den Tischen hindurch. Niemand bemerkte uns. Wir umrundeten den Tresen, dann bedeutete mir Darius, dass ich mich unter den Saloontüren durchducken sollte, die in die Küche führten. Ich kroch darunter hindurch und richtete mich auf der anderen Seite wieder auf.

Darius glitt als Nächster unter den Türen hindurch, gefolgt von Ezra, und gemeinsam hasteten wir durch die leere Küche. Darius schob die Hintertür auf, und laue Nachtluft strömte herein.

Ezra atmete aus. »Nun ja, das war lustig.«

Ich blickte zwischen ihm und Darius hin und her. »Äh, warum hat niemand was mitgekriegt?«

Darius zwinkerte. »Berufsgeheimnis, Schätzchen.«

Ich starrte ihn fassungslos an. Schätzchen?

»Er ist ein Luminamagier«, erklärte Ezra. »Verstecken ist seine Spezialität.«

Darius runzelte die Stirn, als hätte Ezra ihm die Vorstellung verdorben, dann schaute er zur Tür. »Zeit für meinen Auftritt für den lieben Agent Harris. Ihr beiden solltet los.« Er drückte mir sanft eine Schulter. »Du musst aktuell eine kleine Arbeitspause einlegen, Tori. Wir melden uns, sobald sich die Lage hier entspannt.«

»Aber …«

»Bring sie nach Hause, Ezra. Du solltest dich auch eine Weile nicht blicken lassen.«

»Ja, Sir.«

Während Darius zurück in die Küche ging, verschränkte Ezra seine Finger mit meinen und zog mich über den kleinen Parkplatz auf Aarons alten roten Sportwagen zu. Er holte den Schlüssel hervor, ließ ihn in seiner Hand auf und ab hüpfen und fragte: »Du kannst Auto fahren, oder? Ich versuche, meine Fahrerei auf Notfälle zu beschränken.«

»Das hier zählt nicht dazu?« Zögerlich nahm ich den Schlüssel. »Dann hoffen wir mal, dass ich nicht allzu sehr eingerostet bin.«

Wir stiegen ein. Ich passte die Spiegel an und erwartete mehr oder weniger, jeden Moment die MPD-Agenten durch die Tür stürmen zu sehen. Dann parkte ich aus und fädelte mich in den gemächlichen Verkehr ein. Es fühlte sich komisch an. Ich hatte seit über einem Jahr nicht mehr hinterm Steuer gesessen, und meine Kack-Karre hatte sich im Vergleich mit diesem alten, aber eifrigen Flitzer wie ein altersschwacher Kahn gefahren.

Wenigstens ließ ich Aaron nicht einfach gestrandet bei der Gilde zurück. In Anbetracht der Menge an Whiskey, die er getrunken hatte, wäre er sowieso zu Fuß nach Hause gegangen.

Nachdem das dreistöckige Gebäude aus dem Rückspiegel verschwunden war, versuchte ich, das ungute Gefühl in meinem Magen zu unterdrücken. Interessanterweise war es nicht die drohende MPD-Anklage, die meine Hände zittern ließ.

»Es ist vorbei, oder?«, flüsterte ich.

Ezra drehte sich auf dem Beifahrersitz, sodass er mich mit seinem unverletzten Auge anschauen konnte. »Was ist vorbei?«

»Alles.« Ich schluckte schwer. »Die MPD hat das mit mir herausgefunden. Darius wird mich feuern müssen, und ich darf nie mehr zurück …«

Ich hatte von meinem ersten Arbeitstag an gewusst, dass meine Beschäftigung bei der Gilde ein Ablaufdatum hatte. Die MPD erlaubte keine Menschen bei Gilden, außer unter ganz bestimmten Voraussetzungen – die auf das Crow and Hammer nicht zutrafen. Meine Anstellung hatte höchstens einige Wochen dauern sollen, doch irgendwie waren daraus Monate geworden, und es war mir wirklich gut gelungen, nicht über die Zukunft nachzudenken.

»Nein«, erwiderte Ezra scharf. »So leicht gibt Darius nicht auf. Er wird um dich kämpfen, Tori.«

»Was bleibt ihm schon übrig? Er kann nicht ewig die Regeln brechen.«

»Keine Ahnung, aber Darius findet einen Weg. Vertrau ihm.« Er strich mir behutsam über die Schulter. »Selbst wenn du deinen Job verlieren solltest, uns verlierst du nicht.«

Ich krampfte meine Finger um das Steuer. Mein Herz tat so weh, dass ich Angst hatte, es würde zerreißen. Wie gern würde ich ihm glauben, doch ich hatte dieses Szenario bereits zu oft erlebt. Ganz egal, wie freundschaftlich mein Verhältnis zu Kollegen oder Kunden gewesen war, sobald ich meine Stelle verlor und unsere Verbindung gekappt war, waren die Freundschaften innerhalb weniger Wochen im Sande verlaufen.

Ezra musterte mich und lehnte sich dann zurück. »Die MPD weiß lediglich, dass eine rothaarige Frau namens Patricia Erickson an einer Befragung teilgenommen hat. Wir denken uns eine Erklärung aus, die dafür sorgen wird, dass sie woanders nach ›Patricia‹ suchen.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Kai hat da einige Ideen.« Auf meinen überraschten Blick hin fügte er hinzu: »Wir haben das erwartet. Deshalb hab ich mich ebenfalls versteckt. Darius hat es nicht gern, wenn wir in Gewahrsam genommen werden. Es macht Verhandlungen unnötig kompliziert.«

Ich hielt am Bordstein vor meiner Wohnung an und erkannte, dass das womöglich gar nicht das richtige Ziel war. »Oh! Soll ich dich lieber erst nach Hause bringen?«

»Nein, das passt schon so. Ab hier kann ich fahren – jetzt geht es nur noch durch ruhige Straßen.«

Ich ließ den Schlüssel im Zündschloss stecken und stieg aus.

»Wir müssen eventuell wieder deine Kontaktdaten löschen«, warnte er mich, als wir uns vor dem Auto trafen. »MagiPol ist für spontane Handyüberprüfungen bekannt.«

»Ja. Klar.«

»Wir geben dir Bescheid, sobald die Gefahr vorüber ist. Das wird hoffentlich nicht lange dauern.«

»Okay.«

»Tori«, sagte er seufzend. Dann kam er einen Schritt näher und zog mich in eine Umarmung. Ich vergrub mein Gesicht in seinem Shirt. Verdammt, er roch gut. Welches Duschbad oder Rasierwasser auch immer er benutzte, es war jeden Cent wert.

»Es ist nur vorübergehend, das verspreche ich.« Seine Stimme vibrierte durch seine Brust und durch meine. Viel zu früh für meinen Geschmack ließ er mich los. »Ich muss mich auf den Weg machen. Kommst du klar?«

»Darauf kannst du wetten«, erwiderte ich fröhlich.

Er musterte mich, und ich bezweifelte, dass mein optimistischer Ton ihn überzeugt hatte. Doch nur für den Fall, dass es so war, strahlte ich weiter, als er einstieg. Der Motor erwachte röhrend zum Leben, und nach einem letzten Winken durchs Fenster fuhr Ezra davon. Ich sah den Rücklichtern nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren.

Ganz egal, was er gesagt und was er versprochen hatte, im Herzen war ich sicher, dass dies unsere letzte Umarmung gewesen war. Heute Abend hatte ich den letzten wortlosen Scherz mit Kai geteilt, mit nichts als einem Blick. Heute Abend hatte ich den letzten Kuss von Aaron bekommen, schnell über die Theke hinweg, als niemand hingeschaut hatte.

Sabrinas Tarotkarten schossen mir durch den Kopf. Der Narr, wie er ahnungslos auf den Abgrund zuspazierte. Die Warnung war deutlich gewesen, aber viel zu spät gekommen.

Jetzt stand ich allein auf dem Bürgersteig, starrte auf die Stelle, wo das Auto eben noch gewesen war, und wünschte mir, dieser magische Traum hätte länger angehalten.

KAPITEL 3

Kalte Luft aus der Klimaanlage blies über mich hinweg, als ich den Coffeeshop betrat. Während ich in der Schlange stand, betrachtete ich interessiert die Baristas. Hm. Ausprobiert hatte ich diesen Job noch nicht, aber bestimmt konnte ich das lernen. Nach drei Tagen Funkstille seitens der Jungs und der Gilde machte sich eine gewisse Verzweiflung in mir breit. Die Miete zahlte sich schließlich nicht von selbst.

Mit einem Eiskaffee und einem Cranberry-Muffin in den Händen suchte ich mir einen Platz am Fenster. Während ich geistesabwesend die Passanten draußen beobachtete, knabberte ich an meinem Muffin und wartete.

Die Türglocke ertönte, und ein Mann kam herein. Seine dunkelblaue Uniform und die Waffe an seinem Gürtelholster zogen die Aufmerksamkeit aller Gäste auf sich. Ich winkte, und er nickte mir knapp zu, dann stellte er sich an. Eine Minute später ließ er sich auf den Stuhl neben mir fallen und packte eine dicke Scheibe Bananenbrot aus.

Ich stupste ihn mit dem Ellbogen an. »Sag wenigstens erst mal Hallo, bevor du dir den Bauch vollschlägst.«

»Hawwo, Towi«, brachte er mit vollem Mund hervor, dann schluckte er hastig. Das schien eine ziemliche Herausforderung zu sein. »Tut mir leid. Ich hatte kein Mittagessen.«

»Wie läuft deine Schicht?«

Als er die Schultern sinken ließ, erfasste mich Sorge. Justin war nicht einfach nur ein Cop. Er war mein großer Bruder, und alles, was ihn bedrückte, bedrückte auch mich.

»Ich habe die Beförderung nicht gekriegt«, murmelte er. »Sie haben sich für jemand anders entschieden.«

»Mistkerle«, knurrte ich und knallte meinen Eiskaffee auf den Tisch. »Wie können die das machen? Du warst einer der Besten in der Ausbildung, du arbeitest wie ein Tier, du übernimmst jede Schicht, die sie dir zuteilen, ganz egal, wie bekackt …«

»Danke, Tori«, unterbrach er mich mit einem schwachen Lächeln, weil er wusste, dass meine Tirade sich nur noch steigern würde, je länger sie andauerte. »Ich werde einfach auf die nächste Gelegenheit warten.«

Ich zerknüllte mein Muffinpapier. »Warum haben sie dich einfach so übergangen? Weißt du das?«

Beinahe versteckt hinter seinem kurzen Bart, verzog er den Mund. »Vermutlich habe ich zu viele Fragen gestellt.«

»Fragen? Worüber denn?«

»Über … bestimmte Regeln. Dinge, von denen ich erst erfahren habe, seitdem ich bei der Polizei bin.« Er blickte sich um und wirkte plötzlich angespannt. »Ich kann nicht wirklich darüber sprechen, ich habe eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben.«

Ein Schaudern lief über mich hinweg. Sonderregeln. Etwas, worüber er nicht sprechen durfte. Oh.

Die mythische Gemeinschaft hielt sich weitgehend vor der Öffentlichkeit versteckt, doch Strafverfolgungsbehörden waren die große Ausnahme. Die MPD hatte … besondere Verfahren für Mythiker durchgesetzt. In ihren Ausweisen stand eine MID-Nummer, und die Polizei durfte solche Personen nicht verhaften. Stattdessen musste sie die Personalien aufnehmen und an die MPD übermitteln.

Ich hatte mich zwar gefragt, wie viel normale Polizisten über Mythiker wussten, aber aus irgendeinem kuriosen Grund hatte ich überhaupt nicht bedacht, dass mein Bruder als Polizist in dieses Geheimnis eingeweiht sein könnte. Wie viel wusste er genau?

Justin zwang sich zu einem Lächeln. »Genug über mich geredet. Wie läuft’s bei der Arbeit? Hast du heute Abend Dienst?«

Ich wollte das Gespräch zurückdrehen und ihn darüber aushorchen, was er über Magie wusste, aber dann würden bei ihm alle Alarmglocken läuten. Es war besser, das Thema für den Augenblick ruhen zu lassen.

Allerdings bedeutete das, dass wir jetzt über meine Arbeit redeten.

»Ich habe frei«, behauptete ich leichthin. »In der Bar wird renoviert, daher habe ich einen Kurzurlaub.«

»Urlaub? Schön. Ich hoffe, er wird bezahlt.«

»Jap«, log ich schuldbewusst.

»Und was ist mit … dem Typen?« Justin verzog das Gesicht, als würde er sich nach meiner Verdauung erkundigen. »Aaron?«

»Was soll mit ihm sein?«

»Seid ihr nicht zusammen?«

Ich erstarrte, setzte aber rasch ein Lächeln auf. »So was in der Art. Eher locker. Nicht ernsthaft.«

Justin runzelte die Stirn. »Du hast in den letzten Wochen immer mal Dates mit ihm erwähnt.«

Ich nickte.

Er wartete einen Moment, dann hakte er nach. »Also?«

»Also was?«

Schnaufend lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. »Ich weiß, ich habe keine Eierstöcke und bin daher zu echten Frauengesprächen nicht fähig, aber kannst du nicht wenigstens von seiner Männlichkeit schwärmen oder von deinem letzten Date oder dir deine zukünftige Hochzeit ausmalen oder so?«

»Reden Frauen deiner Meinung nach so miteinander?«

»Das ist eine sehr fundierte Vermutung. Hast du denn gar nichts zu erzählen über diesen Kerl?«

»Du willst doch überhaupt nichts vorgeschwärmt bekommen – du willst Klatsch, um mich dann davon zu überzeugen, dass ich mit ihm Schluss machen soll. Das tust du immer.«

»Das tue ich normalerweise, weil du in der Regel irgendwelche Mistkerle datest, die das Schlussmachen verdient haben. Dieser Typ kommt mir anständig vor, aber …«, er zog betont eine Braue hoch, »wenn er dich einfach nur hinhält, ist das uncool, und du solltest darüber nachdenken, ob …«

Ich unterbrach ihn, indem ich eine Hand hochhielt. »Du kannst schon aufhören. Aaron hält mich nicht hin. Wir sind nur unverbindlich zusammen, weil wir das so wollen. So einfach ist das.« Als er den Mund öffnete, fragte ich schnell: »Wie geht es Sophie?«

Justin schloss den Mund langsam wieder und senkte den Blick auf seinen Kaffee. »Wir haben uns getrennt.«

Mir fiel beinahe mein Glas aus der Hand. »Wie bitte?«

»Sie …« Er räusperte sich. »Sie ist vor zwei Wochen ausgezogen.«

»Warum hast du denn nichts gesagt?« Mitgefühl wallte in mir auf. Er und Sophie hatten kurz vor ihrem einjährigen Jahrestag gestanden, und soweit ich wusste, waren sie überglücklich miteinander gewesen. »Was ist passiert?«

»Sie ist kurz nach deinem Auszug bei mir eingezogen. Eine Weile war es toll, dann …« Er sank in sich zusammen. »Keine Ahnung. Plötzlich habe ich in ihren Augen nichts mehr richtig gemacht. Sie hatte von allem bestimmte Vorstellungen, und ich habe mich bemüht, die zu erfüllen, allerdings …«

Ich tätschelte ihm die Schulter und kochte innerlich. Justin war ein unkomplizierter Mitbewohner. Um ihn so unglücklich zu machen, musste sich Sophie wie eine kontrollsüchtige Harpyie aufgeführt haben. Sollte ich sie jemals wiedersehen, würde ich ihr eine Schlammgesichtsmaske in der nächsten Pfütze verpassen.

Nachdem ich ihn einige Minuten lang getröstet hatte, brachte ich das Gespräch auf Sport und ließ ihn begeistert über Rookie Camps und Draft Picks plappern, bis wir unseren Kaffee ausgetrunken hatten und seine Pause vorbei war. Ich begleitete ihn zu seinem Streifenwagen, umarmte ihn zum Abschied und ging dann nach Hause.

Selbst an einem Dienstagnachmittag war der Fußverkehr auf der Robson Street die Hölle, und ich wich Passanten aus, bis ich in eine Seitenstraße abbiegen konnte. Ich marschierte am Rande von Chinatown vorbei und kam in mein Viertel, dessen Straßen von kleinen Wohnhäusern und einigen Bungalows gesäumt waren und wo alte Bäume willkommenen Schatten auf den Gehweg warfen.

Das Haus, in dem ich zur Miete wohnte, stand auf seinem Stück Rasen und sah abgewohnt, aber gemütlich aus. Ich durchquerte den Garten und schloss die Außentür auf, dann die Innentür, die zum Keller führte. Unüberhörbares Gelächter schallte die Treppe herauf.

Wie oft hatte ich meinem Mitbewohner schon gesagt, er solle den Fernseher nicht lauter stellen? Meine Nachbarn aus dem oberen Stockwerk waren die meiste Zeit des Jahres über unterwegs, aber ich wollte nicht, dass sich jemand fragte, warum mein Fernseher vierundzwanzig Stunden am Tag lief.

Ich trottete die Treppe hinunter, verstaute meine Handtasche und schlenderte ins Wohnzimmer. »Twiggy! Was hab ich dir über die Lautstärke gesagt?«

Riesige blattgrüne Augen wandten sich vom Bildschirm ab und blickten in meine Richtung. Die sechzig Zentimeter große Fee machte einen Schmollmund und richtete dann die Fernbedienung auf den Flachbildschirm. Ihr großer grüner Kopf, der anstelle von Haaren mit krummen Ästen geschmückt war, wippte, als sie die Lautstärketaste genau zweimal drückte. Der Geräuschpegel änderte sich praktisch gar nicht.

Ein Flachbildfernseher war in meinem mageren Budget nicht vorgesehen gewesen, aber Aaron war eines Tages mit dem Gerät auf dem Rücksitz aufgetaucht. Angeblich hatte es unbenutzt in seinem Keller gestanden. Doch ich hatte mich trotzdem so lange gegen seine Spende gesträubt, bis ich begriff, dass der Fernseher gleichermaßen für ihn wie für mich war. Er wollte die Möglichkeit haben, hier fernzusehen, wenn er bei mir war, was jede Woche vorkam – er und Kai und Ezra.