Dunkle Künste und ein Daiquiri - Annette Marie - E-Book
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Dunkle Künste und ein Daiquiri E-Book

Annette Marie

4,8

Beschreibung

Als ich mich plötzlich dem gruseligsten Schwarzmagier der Stadt gegenübersehe und ihn praktisch herausfordere, mich zu entführen, frage ich mich schon, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Alles begann damit, dass ich versehentlich einen Job als Barkeeperin ergatterte – allerdings nicht in einer Bar, sondern bei einer Gilde voller Magier, Zauberer, Alchemisten, Hexen und Medien. Einem schnöden Menschen fordert das ganz schön viel Anpassungswillen ab. Dann baten mich meine Lieblingsmitglieder – drei sexy, mächtige und gelegentlich charmante Magier – um Hilfe. Ging es um mein enzyklopädisches Fachwissen über Cocktails? Ach wo. Ich sollte lediglich den Lockvogel für einen mordlustigen Abtrünnigen spielen und ihn so aus der Deckung locken. Also haben wir das gemacht. Allerdings hat sich unser großartiger Plan zur sicheren Ergreifung des Kriminellen vor etwa zwei Minuten zerschlagen. Und nun?

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Mathilda

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

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Mabero

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Interessante Fortsetzung leider wieder viel zu schnell vorbei. Ich hoffe das Zak auch im nächsten Band wieder auftauchen wird.
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Beliebtheit




ANNETTE MARIE

DUNKLE KÜNSTE UND EIN DAIQUIRI

GUILD CODEX: SPELLBOUND 2

 

 

 

 

Aus dem Englischen von Jeannette Bauroth

Über das Buch

Als ich mich plötzlich dem gruseligsten Schwarzmagier der Stadt gegenübersehe und ihn praktisch herausfordere, mich zu entführen, frage ich mich schon, wie es überhaupt dazu kommen konnte.

Alles begann damit, dass ich versehentlich einen Job als Barkeeperin ergatterte – allerdings nicht in einer Bar, sondern bei einer Gilde voller Magier, Zauberer, Alchemisten, Hexen und Medien. Einem schnöden Menschen fordert das ganz schön viel Anpassungswillen ab.

Dann baten mich meine Lieblingsmitglieder – drei sexy, mächtige und gelegentlich charmante Magier – um Hilfe. Ging es um mein enzyklopädisches Fachwissen über Cocktails? Ach wo. Ich sollte lediglich den Lockvogel für einen mordlustigen Abtrünnigen spielen und ihn so aus der Deckung locken.

Also haben wir das gemacht. Allerdings hat sich unser großartiger Plan zur sicheren Ergreifung des Kriminellen vor etwa zwei Minuten zerschlagen. Und nun?

Über die Autorin

Annette Marie schreibt leidenschaftlich gern Fantasy mit starken Heldinnen und hat eine Schwäche für spannende Abenteuer und verbotene Liebesgeschichten. Auch Drachen findet sie faszinierend und baut sie deshalb in (fast) jeden ihrer Romane ein.

Sie lebt in der eisigen Winterwüste (okay, ganz so schlimm ist es nicht) von Alberta in Kanada, zusammen mit ihrem Mann und ihrem pelzigen Diener der Dunkelheit – alias Kater – Caesar. In ihrer Freizeit steckt sie oft ellbogentief in einem Kunstprojekt und vergisst dabei gern mal die Zeit.

Die englische Ausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Dark Arts and a Daiquiri« bei Dark Owl Fantasy.

Deutsche Erstausgabe August 2024

 

© der Originalausgabe 2018: Annette Marie

© Verlagsrechte für die deutschsprachige Ausgabe 2024:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,

Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Die Nutzung des Inhalts für Text und Data Mining

im Sinne von § 44b UrhG ist ausdrücklich verboten.

 

Umschlaggestaltung: Makita-Diandra Hirt

unter Verwendung von Motiven von roverto, pikisuperstar,

bestvector083, roiandroi, user5241384, brgfx, user4468087,

dgimstudio, alle www.freepik.com, und setory, www.stock.adobe.com,

sowie alit_design, www.elements.envato.com

 

Lektorat: Julia Funcke

Schlussredaktion: Daniela Dreuth

Satz & Layout: Second Chances Verlag

 

Druck: Print Group Sp.z.o.o. Szczecin (Stettin)

 

ISBN E-Book: 978-3-98906-033-3

ISBN Klappenbroschur: 978-3-98906-034-0

 

Auch als Hörbuch erhältlich!

 

 

www.second-chances-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorin

Impressum

Magieklassen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

 

Magieklassen

 

Spiritalis

Psychica

Arcana

Dämonica

Elementaria

 

Mythiker

Eine Person mit magischen Fähigkeiten

 

MPD/Magipol

Die Aufsichtsbehörde für Mythiker und ihre Aktivitäten

 

Abtrünniger

Ein Mythiker, der sich nicht an die MPD-Gesetze hält.

KAPITEL 1

»In diesem Haus«, verkündete der Vermieter, »spukt es nicht.«

Ich zog meine Sonnenbrille ein Stück herunter und betrachtete den schwitzenden Mann. Das weite Shirt klebte an seinem Bierbauch, und der haarlose Kopf glänzte in der Nachmittagssonne. Hatte ich irgendwie angedeutet, dass ich mir Sorgen wegen paranormaler Aktivitäten machte? Denn gefragt hatte ich ganz bestimmt nicht, ob es hier spukte.

Bei meinem zweifelnden Blick wurde ihm sein Fehler offenbar bewusst.

»Es gibt Gerüchte … Ich meine, einige Leute haben behauptet, dass …« Er hielt inne. »Es spukt hier nicht.«

Natürlich nicht. Ich schob mir die Sonnenbrille auf den Kopf und schaute mich auf dem Grundstück um. Wir standen im Garten hinter einem heruntergekommenen Bungalow, an dem die kürzlich durchgeführten Renovierungen wirkten wie Clownschminke an einer alten, würdevollen Dame. Der Zaun war weiß gestrichen worden, aber die abblätternde Farbe darunter ließ den neuen Anstrich bereits abplatzen. In dem winzigen Garten hatte man Rasen verlegt, und auf den gesprungenen Terrassenfliesen stand eine neue Pergola. Dominiert wurde der Platz jedoch von einer monströsen Fichte.

Ich blies mir den Pony aus den Augen und blickte auf den Ausdruck mit der Wohnungsanzeige in meiner Hand. »Teilt man sich den Garten mit den Leuten von oben?«

»Im Prinzip schon, ja.« Er wischte sich die Hände an seinen weiten Sportshorts ab. »Das Erdgeschoss ist vermietet, aber die Mieter verreisen viel.«

»Hmm.« Ich wartete einen Moment ab, ob er noch was sagen würde. »Können wir reingehen?«

»Oh ja!« Er machte eine enthusiastische Handbewegung. »Die Tür ist nicht abgeschlossen. Gehen Sie nur rein, und schauen Sie sich um.«

Ich warf meiner Wohnungssuchbegleiterin einen Blick zu. Sin verzog das Gesicht, die Arme über ihrem türkisen Kleid verschränkt, das beinahe denselben Farbton hatte wie ihre welligen Haare. Mit einem Schulterzucken ging ich zur Hintertür, und sie folgte mir. Der Vermieter, der sich das gerötete Gesicht mit einem zerknüllten Taschentuch abwischte, blieb im Garten.

Sobald wir uns im düsteren Hauseingang befanden, schnaubte Sin laut. »Wieso haben wir es heute mit so vielen Exzentrikern zu tun? Der erste Vermieter hat dich eingeladen, zu ihm ins Haus zu ziehen statt in das Apartment. Bei der zweiten Wohnung hat dich die Frau sieben Mal gefragt, ob die roten Haare echt sind. Und jetzt dieser Typ … Puh.«

Ich stieg die Treppe zum Kellergeschoss hinunter. »Du hast den gruseligen Mann an der Bushaltestelle vergessen, der dir die Handtasche klauen wollte.«

»Der, den du einen Sumpfesel genannt hast?« Sin grinste. »Und dem du damit gedroht hast, ihn in den Verkehr auf der Straße zu schubsen?«

»Schon lustig, dass er plötzlich gar nicht mehr mit dem Bus fahren wollte.« Unten angekommen blieb ich stehen. »Oh, hey. Das ist gar nicht so übel.«

Zu dem schlicht geschnittenen, offenen Raum gehörten eine einfache Küche mit billigen Geräten in einer Ecke, ein Wohnzimmer mit einem Kamin und einem großen Fenster, das überraschend viel Licht hereinließ, und Vinylboden in Holzoptik überall. Aufgeregt blickte ich ins Bad, ins Schlafzimmer und in die winzige Waschküche. Anschließend kehrte ich in das leere, hallende Wohnzimmer zurück und drehte mich im Kreis.

»Es ist wirklich hübsch«, schwärmte ich und ließ mich auch von der einfallslosen Einrichtung nicht runterziehen. In der Not frisst der Teufel Fliegen, und nachdem ich zehn Monate auf der Couch meines Bruders geschlafen hatte, war ich absolut bereit, über alles hinwegzusehen, sofern es nicht gerade Löcher in der Wand waren.

Die es leider in allen Wohnungen gegeben hatte, die wir bisher besichtigt hatten, außerdem kostenlose Zugaben wie Schimmel, Kakerlaken und verdächtige Gerüche. Von den supermerkwürdigen Vermietern ganz zu schweigen. Waren auf dem Immobilienmarkt keine normalen Menschen unterwegs, oder hatten die ausgeglichenen Vermieter alle schon Bewohner für ihre Apartments?

»Es ist sauber«, stellte Sin fest. »Es hat fließend Wasser. Und eine Heizung. Moment, hat es eine Heizung? Es ist kalt hier drin.«

»Na ja, es ist immerhin ein Keller.« Ich wedelte mit meinem Ausdruck. »Hier steht, dass alle Nebenkosten bereits in der Miete enthalten sind. Das ist doch super.«

Sin krauste misstrauisch die Nase. »Es ist zu billig. Irgendwas kann damit nicht stimmen.«

»Vielleicht wohnt ein Obdachloser im Kriechkeller?« Ich deutete auf eine halbhohe Tür in einer Ecke des Wohnzimmers. »Das ist doch so was, oder?«

Wir gingen hinüber, und ich hockte mich davor. Sin spähte mir über die Schulter. Mit einem Ruck zog ich die Tür auf. Dahinter war nichts als undurchdringliche Dunkelheit.

»Nimm die Taschenlampe an deinem Handy«, schlug Sin vor. »Da muss irgendwo ein Lichtschalter oder …«

Kühle Luft wehte über meine Haut, und alle Härchen an meinem Körper richteten sich auf. Dann blies mir ein arktisch kalter Wind ins Gesicht.

Ich zuckte zurück und fiel gegen Sins Beine. Sie landete auf dem Hintern, als der Wind aus dem Kriechkeller herauswehte und im Zimmer Staub aufwirbelte. Meine Ausdrucke flogen wie in einer Spirale kreisförmig Richtung Decke, und wir rutschten auf unseren Hintern rückwärts.

Die Dunkelheit floss aus der Tür und breitete sich wie Tinte auf dem Boden aus. Schatten wanden sich, und etwas Blasses materialisierte sich auf der Schwelle – die Gestalt einer Frau, dürr wie ein Skelett und auf allen vieren, mit offenem, zahnlosem Mund. Aus ihren leeren Augenhöhlen tropfte schwarzes Blut.

Beim ersten Blick auf das stöhnende Gespenst kreischte ich wie das Weichei, das ich bin.

Sin entfuhr ebenfalls ein entsetzter Schrei, als die Geisterfrau sich aus dem Kriechkeller wand. Ihre langen Haare schleiften über den Boden. Sie streckte eine Hand nach uns aus, krümmte die schwarzen Finger wie Klauen, und ein eisiger Windhauch traf unsere Gesichter. Immer noch schreiend packte Sin meinen Arm und krallte sich mit den Fingernägeln an mir fest. Scharfer Schmerz durchdrang meine Panik.

Ich schob eine Hand in die Tasche und holte meine Trumpfkarte heraus – jawohl, es war buchstäblich eine Karte.

Meine bewährte Pikdame war mehr, als sie auf den ersten Blick zu sein schien: das Artefakt eines Zauberers, mit einem eingewobenen Zauber, der Magie reflektierte. Gab es hier Magie zu reflektieren? Keine Ahnung. Würde die Karte bei einem Geist funktionieren? Ebenfalls keine Ahnung. Ich war keine Zauberin. Ich hatte eine günstige Gelegenheit genutzt, um die Karte zu stehlen, und hatte nur den Hauch einer Ahnung, wie man sie benutzte.

Aber es war die einzige magische Verteidigung, die ich hatte, also streckte ich sie dem Phantom entgegen und rief: »Ori repercutio!«

Die Luft erbebte, und der orkanartige Wind wechselte die Richtung. Er schlug der Frau entgegen und schleuderte sie zurück in den Kriechkeller. Mit einem lauten Knacken schlug ihr Kopf gegen den Türrahmen.

»Au!«, quiekte sie.

Sin hörte auf zu schreien. Wie auf Kommando sprangen wir gleichzeitig auf die Füße. Jetzt kreischten wir zwar nicht mehr, doch ich für meinen Teil war sogar noch verstörter als vorher. Die Frau war zu solide, um ein Geist zu sein, aber verdammt noch mal, dieser Körper gehörte zu keinem lebendigen Wesen – papierne Haut über Knochen, leere Augenhöhlen und strähnige Haare bis zu den Knien.

Die geisterhafte Frau sprang auf, die Hände zu Krallen gekrümmt. »Hinfort von diesem Ort«, stöhnte sie. »Hinfort … oder es passiert etwas!«

Ich neigte den Kopf in Sins Richtung, weil ich es nicht wagte, den Blick von dem Nicht-Geist zu nehmen. »Hey, Sin. Ist das … ein Vampir?«

»Nein.« Sie zog eine Handvoll Ampullen mit buntem, flüssigem Inhalt aus ihrer Handtasche. »Nicht mal annähernd.«

Sie wählte ein Fläschchen aus, ließ die anderen zurück in ihre Tasche fallen und drehte den Verschluss ab. Ein schrecklicher Geruch wie nach verbranntem Eisen stach mir in die Nase.

»Nein!«, kreischte die Frau – nur dass ihre Stimme nicht mehr wie die einer Frau klang. Sie war jetzt zwei Oktaven höher und schmerzhaft nasal. »Nicht!«

Sin hielt die Flasche drohend vor sich. »Zeig uns deine echte Form, oder ich schütte das auf dich!«

»Neeeeein! Verschwindet!« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Ihr dummen Menschen! Das ist mein Haus!«

Sin hob die Hand ein wenig höher und neigte die Flasche.

»Na schön.« Die Frau warf beide Hände in die Luft – und ihr Körper schmolz. Er verlor an Festigkeit, und sie schrumpfte, dann verwandelte sie sich in etwas Neues.

Die Kreatur war dunkelgrün, und ihre Haut hatte die wachsartige Textur von Piniennadeln. Selbst mit den dünnen Ästen, die statt Haaren aus ihrem großen Kopf wuchsen, reichte sie mir kaum bis zur Taille. Eine Mischung aus Fichtenzweigen und Pinienzapfen verbarg ihren Rumpf. Aus dem Chaos der Zweige ragten dünne Arme und Beine hervor, mit überproportional großen Händen und Füßen wie bei einer Comicfigur.

Das Gesicht wurde von wütend zusammengekniffenen Augen dominiert. Die kristallgrünen Iriden leuchteten unnatürlich, und es gab keine Pupillen – da waren lediglich große grüne Kreise.

Die Kreatur deutete anklagend mit einem Finger auf uns. »Das ist mein Haus! Verschwindet, oder ich verwandle euch in Bohnensprossen!«

Ich räusperte mich. »Okay, das ist also kein Vampir«, wandte ich mich an Sin. »Was ist es dann?«

»Das hier«, erwiderte Sin grimmig, »ist eine Fee. Eine Art Waldgeist.«

»Ah, ich verstehe.« Fee. Kapiert. Wieso hatte bisher niemand Feen erwähnt?

»Warum hört ihr nicht auf mich?«, blaffte die Fee. »Ich habe gesagt, ihr sollt verschwinden, ihr dummen, matschwerfenden Schimpansen!«

»Wow, Moment mal.« Ich stützte die Hände in die Hüften. »Wie hast du uns gerade genannt?«

»Schimpansen! Hunde! Schleimige Würmer! Haarlose Affen …«

Sin neigte die Flasche mit dem stinkenden Inhalt, und die Fee sprang nach hinten.

»Nein! Halt das von mir fern.«

»Wenn du nicht willst, dass ich das im ganzen Haus verteile«, drohte Sin, »dann erweist du uns ein wenig Respekt.«

»Respekt«, höhnte die Fee. »Wer respektiert denn sprechende Blattscheißer, die nicht mal … nein, nein, nein!«

Sie drückte sich gegen die Wand, als Sin mit ihrem Anti-Fee-Zaubertrank näher kam. Mit gerunzelter Stirn warf sie mir über die Schulter einen Blick zu. »Die Miete für die Wohnung ist vermutlich nur deshalb so niedrig, weil dieses Dingsda alle potenziellen Mieter mit seiner Der-Ring-Imitation verschreckt hat.«

Als ich mich an die Worte des Vermieters erinnerte, schüttelte ich ungläubig den Kopf. »Von wegen, hier spukt es nicht.«

»Ach, das ist schnell geregelt. Wir bringen einfach eine Hexe für einen Feen-Exorzismus her, und …«

»Nein!«, kreischte die Fee mit ihrer Reibeisenstimme. »Das hier ist mein Haus! Meins!«

»Es ist ein Menschenhaus!«, schoss Sin zurück. »Geh zurück in den Wald!«

Die Fee zog ihre grünen Lippen zurück und enthüllte spitze Eckzähne wie bei einer Katze. Dann sprang sie hoch.

Sie krachte gegen Sins Brust und warf sie zu Boden, während sie nach dem Fläschchen in ihrer Hand griff. Ich stürzte nach vorne, holte aus und trat dem kleinen grünen Giftzwerg direkt ins Gesicht. Jaulend stolperte die Fee gegen die Wand.

Sin setzte sich auf. Das Fläschchen und ihre Hand waren mit dünnen Baumwurzeln umwickelt, die verhinderten, dass die Flüssigkeit herausspritzte. Sie riss sich die Wurzeln von der Hand, warf der Fee einen mörderischen Blick zu und marschierte dann zur Treppe. »Komm, Tori.«

»Wir gehen?«

»Nur Hexen werden mit Feen fertig.«

Die Fee saß auf dem Boden, die Haarzweige auf einer Seite verbogen. Mit verschränkten dürren Armen starrte sie mich wütend an. Als ich Sin hinterhertrabte, streckte mir das Wesen seine grüne Zunge raus.

Ich streckte ihm meinerseits die Zunge raus, dann eilte ich die Treppe hinauf und schlug die Tür hinter mir zu.

Sin verkorkte ihr Anti-Fee-Gebräu wieder und verstaute es in ihrer Handtasche, während wir in den Garten gingen, wo uns die brütende Hitze überrollte. Ich seufzte und war erleichtert, aus der unnatürlichen Kälte herauszukommen. Der Vermieter wartete im Schatten der Fichte auf uns, wo er niedergeschlagen die Schultern hängen ließ.

Da hatte uns wohl jemand schreien gehört. Und wie er sich zum Helden gemausert hatte, indem er zu unserer Rettung geeilt war! Oder vielmehr: nicht.

Ich schob mir die Sonnenbrille auf die Nase. »Ich rufe im Laufe der Woche noch mal an, wegen eines Termins für eine zweite Besichtigung.«

Ruckartig fuhr sein Kopf hoch. »Sie … wollen noch mal herkommen?«

Da ich davon ausging, dass jeder Besucher die Horrorfilmvorstellung der Fee zu sehen bekam, würde ich einen ganzen Gehaltsscheck darauf verwetten, dass ich als Erste überhaupt nach einem zweiten Termin fragte. »Ja. Ich melde mich.«

Mit einem Winken verließ ich den Garten. Sin und ich marschierten zurück zur Hauptstraße.

»Nun, das war interessant«, kommentierte ich. »Bist du sicher, dass eine Hexe mit dem zapfigen kleinen Wicht fertig wird?«

»Das wird kein Problem sein. Es ist eine niedere Fee, nichts, was einer Hexe Schwierigkeiten bereiten könnte.«

»Ausgezeichnet.« Ich grinste verschlagen. »Ein kleiner Exorzismus, und dann kann ich die Wohnung mit Spukhausrabatt mieten.«

Sie erwiderte mein Grinsen. »Wie praktisch, dass du zufällig ein paar Hexen kennst.«

»Sehr praktisch sogar.« Ich blickte auf die Uhrzeit auf meinem Handy. In einer halben Stunde begann meine Schicht, und alles in allem betrachtet waren Hexen ein Kinderspiel im Vergleich zu einigen meiner anderen Kunden.

KAPITEL 2

Von außen machte das Crow and Hammer nicht viel her. Drei Stockwerke, Mauern in der Farbe von ausgebleichten Backsteinen, vergitterte Fenster und eine schwarze Tür in einem zurückgesetzten Eingang. Auf die Tür war eine Krähe mit weit gespreizten Flügeln gemalt, die auf einem Streithammer hockte. Die silbernen Buchstaben des Namens blätterten bereits ab.

Mit Sin hinter mir schob ich die Tür auf, wobei ich den angstauslösenden Abwehrzauber ignorierte, der die allgemeine Bevölkerung von hier fernhielt. Eine Geräuschwelle schlug mir entgegen.

Ich schob meine Sonnenbrille hoch und erfasste das Chaos. Die Bar war normalerweise aufgeräumt – weil ich dafür sorgte –, und das dunkle Holz und die schweren Balken an der Decke verliehen ihr die Atmosphäre eines alten britischen Pubs, was mir gefiel. Doch jetzt stand das Dutzend Tische herum wie vom Wind verwehter Abfall, und die Stühle waren noch gefährlicher platziert – die Hälfte von ihnen lag umgekippt auf der Seite.

»Aaaaroon!«

Eine Frau mit schwarzen Zöpfen, die zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden waren, jagte zwischen zwei Tischen ihrem Opfer hinterher. Die Hände beschwichtigend ausgestreckt, floh Aaron rückwärtsstolpernd vor ihr. Unerklärlicherweise war er völlig durchnässt. Die roten Haare klebten ihm im Gesicht.

»Es war wirklich keine Absicht, Laetitia!« Er hastete weiter rückwärts, stieß dabei noch einen Stuhl um und hinterließ eine Wasserspur. »Ich wusste ja nicht …«

»Ich habe es auf dem Board gepostet!«, brüllte sie und holte auf. »Drei Tage, Aaron. Drei Tage sorgfältige Planung, die du einfach so ruiniert hast.«

»Nun ja.« Er blieb stehen und neigte den Kopf. »Dein Plan hat zwar nicht funktioniert, aber wir haben den Kerl trotzdem geschnappt, richtig?«

Eine Woge des Schweigens schwappte durch den Pub. Die anderen Gäste, ungefähr ein Dutzend, die sich klugerweise an die Wand gepresst hatten, damit sie nicht in die Schusslinie gerieten, blickten zwischen den beiden Magiern hin und her wie bei einem Tennismatch. Sin murmelte etwas darüber, dass wir lieber den Hintereingang nehmen sollten, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte geradewegs zurück nach draußen. Zu schade, dass ich ihr nicht folgen konnte.

Laetitia kochte vor Wut. »Mein Plan hätte funktioniert, wenn du nicht reingeplatzt wärst und mit Feuerbällen um dich geworfen hättest, gerade als …«

»Aber wir haben ihn geschnappt, also spielt es nicht wirklich eine Rolle, dass …«

Mit einem hohen Geräusch, das an das Pfeifen eines Teekessels erinnerte, warf sie die Hände nach oben. Die Luft um sie herum verschwamm zu Nebel. Die Feuchtigkeit verband sich zu einer riesigen Kugel schimmernden Wassers, die sie Aaron entgegenschleuderte.

Der magische Wasserballon traf ihn an die Brust. Die Flüssigkeit spritzte auf den Boden, und Aaron fiel gegen die Bar, noch durchnässter als zuvor, wobei er weitere Stühle umwarf.

»Ach, ich bitte dich«, beschwerte er sich laut und wischte sich Wasser aus dem Gesicht. »Ich hab doch gesagt, es tut mir leid!«

»Du kennst ja nicht mal die Bedeutung des Wortes«, giftete sie und hob erneut die Hände. Nebel formte sich zu einer weiteren Wasserkugel.

Okay, ich hatte genug gesehen. Ich straffte die Schultern, hob das Kinn und brüllte: »Was zum Teufel macht ihr da mit meiner Bar?«

Alle Blicke richteten sich auf mich. Laetitia zögerte; das Wasser wirbelte um ihre Hände.

Aaron zuckte zusammen. »Oh, äh … Tori. Ist es schon vier Uhr?«

Ich marschierte hinüber zu ihnen, mein Pferdeschwanz wippte bei jedem Schritt. »Was ist hier los? Wenn ihr euch eine Wasserschlacht liefern wollt, macht das draußen!« Ich blieb vor Aaron und Laetitia stehen und funkelte sie böse an. »Erwartet ihr etwa, dass ich dieses Chaos von eurem Quatsch aufräume, während ich gleichzeitig meine Bar vorbereite?«

Laetitia senkte die Hände, und die Flüssigkeit verdunstete zu einer nebligen Wolke. »Ich kümmere mich um das Wasser.«

Sie machte eine Handbewegung zu den nahen Pfützen hin. Das Wasser flog in die Luft und sammelte sich zu einer wachsenden flüssigen Kugel zwischen ihren Handflächen. Nachdem auch die letzten Tropfen in der Superkugel verschwunden waren, hob sie sie an, drehte sich zu Aaron um und ließ das ganze Ding auf seinen Kopf knallen wie bei einem Slam Dunk beim Basketball.

Wassertropfen spritzten in alle Richtungen, doch kein einziger fiel zu Boden. Sie verdampften zu einem feinen Nebel, der sich in Sekundenschnelle auflöste. Grinsend marschierte Laetitia davon und ließ Aaron stehen. Wasser lief in Strömen an seinem Körper hinab und bildete eine Pfütze um seine Füße.

Vor sich hin murmelnd richtete er sein klatschnasses Shirt. Der weiße Stoff schmiegte sich an seine muskulöse Brust, und kleine Tropfen rannen verlockend seinen Bizeps und die festen Unterarme hinab. Als ich merkte, wohin meine Aufmerksamkeit abdriftete, rief ich mir in Erinnerung, dass ich sauer auf ihn war.

»Hey, Tori.« Er schob sich die roten Haare aus der Stirn und schenkte mir sein charmantestes Lächeln, als wäre es keine große Sache, wenn man von einer Wassermagierin angegriffen wurde. »Wie lief es heute mit der Wohnungssuche?«

»Komm mir nicht mit ›Hey, Tori‹«, entgegnete ich streng, immun gegen sein Charisma – oder zumindest immun genug, um so zu tun. »Mach Ordnung.«

»Was?«

Ich deutete hinter mich. »Alles ist umgeworfen. Kümmere dich darum.«

Er begann, die Stühle aufzurichten. Ich stellte mich vor die Bar und überwachte seine Bemühungen. Als er den letzten Stuhl ordentlich hingestellt hatte, wartete ich schon mit dem Wischmopp in der Hand. Er blickte von dem Mopp zu dem Wasser, das er über den gesamten Boden verteilt hatte, dann nahm er ihn mir grummelnd aus der Hand. Während er seine Wasserspuren aufwischte und die anderen Gäste an ihre Tische zurückkehrten, tauchten zwei Gestalten aus einer dunklen Ecke auf.

Ich zog die Brauen hoch, als sie sich zu mir gesellten. Ihre Unschuldsmienen kaufte ich ihnen auf gar keinen Fall ab. Wo Aaron hinging, da folgten ihm Kai und Ezra normalerweise auf dem Fuße, um den Pyromagier davon abzuhalten, Gebäude niederzubrennen oder sich kidnappen zu lassen … wieder einmal.

Kai lehnte sich lässig neben mir an den Tresen und richtete beiläufig seine Armbanduhr. Er war kühl wie Eis, beängstigend intelligent und das Hirn zu Aarons Fäusten. Nicht dass Kai sich nicht selbst behaupten konnte – er war nicht nur beeindruckend fit, sondern außerdem ein sehr geschickter Elektromagier –, doch bei seinem markanten guten Aussehen und seinem klassischen Stil war es leicht, ihn zu unterschätzen.

Den Platz an meiner anderen Seite nahm Ezra ein. Auch er war superheiß und mein liebster knallharter Aeromagier. Als er mir ein stilles Lächeln schenkte, spiegelte sich das Licht in seinem blassen linken Auge. Es war bei einem Angriff verletzt worden, der auf seinem Gesicht eine dicke Narbe von der Schläfe bis zur Wange hinterlassen hatte.

»Also«, begann ich, »was habt ihr drei diesmal angestellt?«

»Kai und ich sind völlig unschuldig«, protestierte Ezra. Trotz des gekränkten Tonfalls war seine schmelzend weiche Stimme so angenehm wie immer.

»Na klar. Also, was habt ihr gemacht?«

Kai wischte sich eine nicht existente Fussel von seinem Designershirt. »Wir haben einen abtrünnigen Beschwörer gejagt, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt war, ohne zu wissen, dass Laetitia bereits an dem Fall dran war.«

»Wir sind reingeplatzt, als sie ihn gerade überwältigen wollte«, gab Ezra zu. »Das hat ihr die Sache irgendwie ruiniert. Aber wir haben den Typen geschnappt.«

»Aaron hat es nicht leidgetan«, fügte Kai hinzu. »Das fand Laetitia nicht so gut.«

»Und während sie und Aaron sich einen Brüllwettkampf geliefert haben, seid ihr beide verschwunden«, riet ich.

Ezra zuckte mit den Schultern. »Es bringt ja nichts, wenn wir alle drei tropfnass sind.«

»Feiglinge«, beschwerte sich Aaron, der mit dem Wischmopp in der Hand zur Bar gestapft kam. »Was sie dir nicht erzählen, ist, dass sie wussten, dass Laetitia explodieren würde, sobald wir wieder zurück waren. Daher hat Kai sie angestachelt, sich zuerst mich vorzunehmen, während die beiden abgetaucht sind.«

»So was würde ich nie tun«, kommentierte Kai trocken.

Aaron knurrte. Er machte einen Schritt von uns weg und kniff konzentriert die Augen zusammen. Hitze strömte von ihm aus, und zischender Dampf stieg von seiner Kleidung auf. Ich ließ ihn mit seiner Trocknungsaktion allein, schnappte mir den Mopp und ging um den Tresen herum.

»Ich fange jetzt mit meinen Vorbereitungen an!«, rief ich. »Rührt euch nicht vom Fleck!«

Ich eilte durch die – unbesetzte – Küche, stellte den Wischmopp an seinen Platz zurück und öffnete die Tür zum Büro. Sie knallte geradewegs gegen etwas Festes.

»Au!« Clara stolperte rückwärts, und der Stapel Papiere auf ihren Armen wackelte gefährlich.

»Tut mir leid!« Ich packte ihren Arm, bevor sie die Dokumente fallen ließ. Meiner Chefin eins mit der Tür verpassen. Geschickt von mir. »Ist alles okay?«

»Ja, ja«, erwiderte sie atemlos. Ihre brünetten Haare lösten sich aus dem unordentlichen Knoten. »Wie geht es dir, Tori?«

»Gut. Brauchst du Hilfe?«

»Nein, ich hab es im Griff. Ich arbeite lediglich das übliche … alles ab.« Sie quetschte sich an mir vorbei, machte drei schnelle Schritte und blieb dann stehen. »Tori, hast du letzte Woche das MPD-Formular auf meinen Schreibtisch gelegt, wie ich dich gebeten hatte?«

»Na klar«, erwiderte ich fröhlich, ohne die offensichtliche Frage zu stellen.

»Oh.«

Jap, sie hatte es schon wieder verlegt.

»Wenn du noch ein Formular für mich hast, fülle ich es sofort aus«, bot ich an. »Und gebe es dir persönlich.«

Sie richtete sich auf. »Das wäre wunderbar, danke.«

Bevor ich antworten konnte, sauste sie davon, um den nächsten »Weltuntergangs«-Papierkram auf ihrer Liste abzuarbeiten. Wozu offenbar nicht das wichtige Dokument gehörte, das darüber entschied, ob ich meinen Job behalten konnte. Sie hatte das Formular jetzt insgesamt fünf Mal verlegt. Wie konnte man innerhalb von sechs Wochen so oft ein Blatt Papier verlegen?

Ich verstaute meine Handtasche, band mir die Barschürze um und holte die Putzsachen. Als ich mich durch die Saloontüren schob, die die Küche vom Gastraum trennten, fand ich die Bar viel ruhiger vor als bei meiner Ankunft. Kai, Ezra und der jetzt trockene Aaron saßen an der Theke. Vor Kai stand ein aufgeklappter Laptop.

Ich besprühte die Oberflächen mit Reinigungsspray, und Aaron hieß mich mit einem Grinsen willkommen. Mein Magen machte einen albernen kleinen Satz.

»Also«, begann er, »wie lief es mit der Wohnungssuche?«

»Ich habe eine anständige Wohnung gefunden«, berichtete ich und schrubbte gründlich jede Oberfläche in Reichweite. »Sie liegt innerhalb meines Budgets, und ich glaube, das könnte was werden. Sofern mit der Feen-Vertreibung alles glattläuft.«

Kai und Ezra blickten von dem Laptop auf.

»Feen-Vertreibung?«, wiederholte Ezra.

Ich erzählte ihnen von meiner und Sins Begegnung mit dem Horrorfilm-Fan. »Das gruselige kleine Ding hat alle verjagt, die sich die Wohnung angeschaut haben, doch Sin meinte, eine Hexe kann es vertreiben.«

»Ja, das sollte nicht allzu schwierig sein.« Aaron sah sich unter den anderen Gästen um, vermutlich auf der Suche nach einer Hexe. »Ich kann Philip anrufen, wenn du willst. Er kann dir helfen oder dir eine andere Hexe zuteilen.«

»Ich möchte keine Umstände machen.«

»Das ist kein Problem. Wahrscheinlich ist da sogar ein Bonus drin – MagiPol gefällt es nicht, wenn Feen Menschen belästigen.«

Obwohl ich gern einer Hexe zusätzliches Einkommen verschaffen würde, schickte jede Erwähnung von MagiPol einen Schauder meinen Rücken hinab. MagiPol, oder die MPD, wie die formelle Bezeichnung lautete, war die Aufsichtsbehörde, die das Leben aller Mythiker kontrollierte. Da ich nur ein lahmer Mensch ohne jegliche Magie war, gehörte ich streng genommen nicht zu ihrem Zuständigkeitsbereich. Allerdings waren das die Leute, die mich aus dem Crow and Hammer werfen würden, sobald sie meinen Papierkram in die Hände bekamen und von meiner Existenz erfuhren.

Vielleicht war es gar nicht so schlimm, dass Clara dauernd mein Formular verlegte.

»Ich kann es kaum erwarten, meine eigene Wohnung zu haben. Das wird himmlisch.« Ich überprüfte die Vorräte in meinem Arbeitsbereich und betrachtete stirnrunzelnd eine Rumflasche. »Die Möblierung könnte allerdings knifflig werden.«

»Kauf dir ein neues Bett und alles andere aus zweiter Hand«, riet Kai. »Ich kenne eine Frau, die nächsten Monat umzieht. Ich kann mich bei ihr erkundigen, ob sie ihre alten Möbel verkauft.«

»Ist das die, mit der du gestern Abend ausgegangen bist? Du hattest gestern doch ein Date, oder?«

Aaron und Ezra glucksten.

Kais Miene wurde merkwürdig ausdruckslos. »Nein … eine andere.«

»Frag ihn, wie sein Date lief«, schlug Aaron vor. Seine blauen Augen funkelten.

»Wie war dein Date?«, gehorchte ich sofort.

Kai, der außergewöhnlich gut aussah und die perfekte Mischung aus »mysteriös« und »desinteressiert« verströmte, zog Frauen an wie Licht die Motten. Sie warfen ihm praktisch ihre Handynummern hinterher, wenn er nur die Straße entlangging. Er traf sich ständig mit einer anderen und unterhielt uns mindestens einmal pro Woche mit einem Bericht über ein mieses Date.

Aber diesmal sagte er nichts und konzentrierte sich angestrengt auf seinen Laptop.

»Ach, komm schon, Kai«, lockte ich. »So schlimm kann es doch gar nicht gewesen sein.«

»Oh doch«, erwiderte Aaron fröhlich. »Erzähl es ihr, Kai.«

Der kauerte weiterhin über dem Laptop und ignorierte uns.

Ich überließ es Aaron, ihn weiter zu piesacken, und arbeitete meine Vorbereitungen ab – putzen, alles auffüllen und für die abendlichen Gäste bereit machen. Als ich gerade Orangen in Scheiben schnitt, öffnete sich die Hintertür, und Ramsey eilte in die Küche, die Arme voller Einkaufstaschen mit Lebensmitteln.

»Der Gefrierschrank ist schon wieder ausgefallen«, verkündete er und schüttelte sich die schwarzen Haare – rasiert auf einer Seite und kinnlang auf der anderen – aus den Augen. »Ich habe ein paar Packungen Burger und Tiefkühlpommes gekauft, aber mehr Angebot gibt es heute nicht.«

»Verdammt.« Ich schob die Orangen auf mein Tablett mit der Garnitur. »Brauchst du Hilfe?«

»Nein, ich komme klar.« Er stellte die Taschen auf die Arbeitsplatte. »Übrigens bietet der Sammler inzwischen fünfunddreißigtausend Dollar.«

Mir wurde flau im Magen. »Ich verkaufe meine Pikdame nicht. Du hättest ihm gar nicht sagen sollen, dass sie zum Verkauf steht.«

»Ich wollte ihn einwickeln, damit ich ihm ein Grimoire abkaufen kann. Er will unbedingt diese Karte.«

Trotz seines Jobs als Koch war Ramsey ein Lehrling, der kurz vor seinem Abschluss als Zauberer stand. Er war auf verzauberte Artefakte im Gegenmagie-Bereich spezialisiert.

»Wird nicht passieren«, antwortete ich. Nicht mal für – ich erschauderte – fünfunddreißigtausend Dollar. Obwohl ich das Geld wirklich brauchen konnte, brauchte ich meinen unversehrten Körper mehr. Das Pikdame-Artefakt war meine einzige magische Verteidigung, und ich würde sie höchstens gegen einen Zauberstab tauschen, der all meine Feinde in Frösche verwandelte.

Nicht, dass ich Feinde hatte – zumindest keine, die meinen Tod wollten –, doch wenn es um Mythiker ging, wusste frau nie, wann sie vielleicht einen übermächtigen Knallkopf ausschalten musste.

Das war das Besondere an diesem Job. Eigentlich hätte ich nie einen Fuß in das Gebäude setzen sollen, doch durch eine Kombination aus Sturheit und Zufall hatte ich eine Stelle am letzten Ort erhalten, an dem ein Mensch arbeiten sollte: bei einer Gilde.

Und hier war ich nun.

Bis ich mit meinen Vorbereitungen fertig war, platzte der Pub beinahe vor Gästen. Ich hatte schon in wirklich vielen Restaurants gearbeitet, doch noch nie in einem Etablissement, das eine so bizarre Mischung von Leuten anzog. Allerdings aus gutem Grund: Das hier war keine typische Bar, und das Crow and Hammer war keine typische Gilde.

Heute Abend befanden sich unter meinen Gästen die ewig aufbrausende Zauberin Sylvia, ein altes Biest, das mich mit Inbrunst hasste, und ihre bananenhaarfarbige Schülerin Alyssa, außerdem Bryce und Drew, die aussahen wie schlagwütige Türsteher, aber tatsächlich Psychica-Mythiker waren – ein Telepath und ein Telekinetiker –, Laetitia, die wasserkugelwerfende Hydromagierin, und Rose, eine großmütterliche Wahrsagerin mit türkiser Brille und einem endlosen Vorrat an bunten Strickmützen.

Sin, die dem ganzen Gebrüll bei unserer Ankunft erfolgreich aus dem Weg gegangen war, tauchte mit ihrer Alchemistenfreundin Riley auf. Die junge Frau mit den lockigen Haaren und der dunklen Haut hatte seit unserer letzten Begegnung merkwürdigen gelben Glitzer an einem Arm dazubekommen. Alchemie war knifflig, das hatte ich jedenfalls gehört.

Ich servierte drei Rum Cola für Aaron, Kai und Ezra, dann machte ich mich an die Arbeit, nahm Essensbestellungen auf und mixte Drinks. Die Gespräche füllten den Pub mit einem angenehmen Geräuschpegel, und die Zeit des großen Andrangs zum Abendessen verging wie im Flug.

Als sich alles ein wenig beruhigte, kam Kai mit drei leeren Gläsern herüber. Er, Aaron und Ezra hatten sich zum Arbeiten in eine ruhige Ecke verzogen und ihren üblichen Platz an meiner Theke leer gelassen.

»Noch eine Runde, bitte.«

»Klar.« Ich holte drei neue Gläser. »War dein Date gestern Abend wirklich so schrecklich?«

Er seufzte. »Nie kannst du etwas auf sich beruhen lassen.«

»Ach komm schon. Ich lebe das quasi durch dich mit.«

»Warum gehst du nicht einfach selbst aus?«, fragte er trocken.

Ich hob einen Finger. »Erstens, ich bin nicht der James-Bond-Typ wie du.« Er setzte zum Reden an, doch ich hielt einen zweiten Finger hoch. »Zweitens, ich habe kein Geld für Dates. Ich spare für meine neue Wohnung.« Ein dritter Finger. »Und drittens, es macht viel mehr Spaß, mir die Berichte von deinen Dates anzuhören, als mich selbst anzustrengen.«

»James Bond?«, wiederholte er amüsiert.

»Dunkel, gut aussehend, mysteriös. Gefährlich. Akzeptier es einfach, Kai.«

»Wirke ich gefährlich auf dich?«

»Anfangs nicht, aber ich habe gesehen, was du kannst.« Ich winkte ab. »Wie auch immer, ich will darauf hinaus, dass Dating momentan nichts für mich ist.«

»Du hättest ein williges Opfer, das dich sehr gerne einladen würde«, hob er hervor.

Auf der anderen Seite des Pubs gestikulierte Aaron vor dem Laptop, während Ezra mit zweifelndem Blick die Stirn runzelte. Aaron hatte mich vor einigen Wochen zu einem Date eingeladen, aber aufgrund seines und meines Terminplans hatten wir bisher lediglich vier Absagen im letzten Moment geschafft, ein Nichterscheinen seinerseits, als die Gilde ihn in letzter Minute einberufen hatte, und ein Lunch-Date, das überraschend gut gelaufen war, bis uns zwei Mitglieder einer Konkurrenzgilde störten.

Das war meine erste Erfahrung mit rivalisierenden Mythikern gewesen. Keine lustige. Andere Gilden hielten nicht allzu viel vom Crow and Hammer, und die beiden Magier hatten Aaron herausgefordert, wohl wissend, dass er in der Öffentlichkeit nicht darauf reagieren konnte. Sie hatten uns genervt, bis ich einen von ihnen schließlich gefragt hatte, ob sein Hintern manchmal neidisch wäre auf all den Scheiß, der aus seinem Mund kam, und an diesem Punkt war Aaron der Meinung gewesen, dass wir verschwinden sollten.

»Nun ja«, murmelte ich. »Wir haben es versucht …«

»Versucht es noch mal«, schlug Kai vor. »Es sei denn, du möchtest, dass stattdessen ich dich ausführe. Ich zeige Aaron, wie das geht.«

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Überrascht fragte ich mich, ob er Witze machte.

Er nahm die drei Drinks. »Komm rüber zu uns, wenn du einen Moment Zeit hast.«

»Okay.«

Er ging, und ich schüttelte den Kopf. Spaß. Er hatte nur Spaß gemacht. Da war ich mir ziemlich sicher. Kai mangelte es nicht an willigen Frauen für Dates, und in den zwei Monaten, die ich ihn kannte, hatte er nicht mal ansatzweise mit mir geflirtet. Die einzige Person, bei der ich noch überraschter wäre, wenn sie mich zu einem Date einladen würde, war Ezra. Ich schickte Kais Rücken einen bösen Blick hinterher. Er hatte ein bisschen zu viel Spaß daran, seine Freunde aufzuziehen.

Meine verärgerte Miene verwandelte sich in ein Lächeln. Ich summte vor mich hin und wischte weiter Tropfen und verschüttete Flüssigkeiten vom Tresen.

Eine Stunde später, als ich aus der Küche kam, hatten Aaron, Kai und Ezra wieder ihre üblichen Plätze an der Theke eingenommen. Ich goss Sekt in ein Glas und füllte es mit Orangensaft auf, dann schob ich Alyssa den Mimosa hin. Anschließend steckte ich mir mein Geschirrtuch in die Schürze und trat zu den Männern, die Theke zwischen uns.

»Endlich«, beschwerte sich Aaron im Spaß. »Hast du ein paar Minuten?«

Ich hatte geglaubt, Kai hätte mich zu ihnen rübergebeten, damit wir ein bisschen plaudern konnten, oder vermutlich eher, damit ich Aaron ablenkte, sodass Kai und Ezra arbeiten konnten. Doch offenbar steckte mehr dahinter. Neugierig zog ich einen Hocker heran und setzte mich ihnen gegenüber. »Was gibt’s?«

Die drei Magier tauschten einen düsteren Blick, als würden sie entscheiden, wer zuerst sprechen sollte, und aus meiner Neugier wurde Unbehagen.

»Also.« Aaron räusperte sich. »Es gibt da einen Job, den wir übernehmen wollen, aber … dafür brauchen wir deine Hilfe.«

Mir blieb der Mund offen stehen. »Meine Hilfe? Meine?«

»Ja, deine.«

»Äh, falls ihr es vergessen habt, ich bin Barkeeperin, kein Gildemitglied. Außerdem bin ich ein Mensch. Also, im Sinne von ›Kein Tropfen magisches Blut in den Adern und wusste bis vor zwei Monaten nicht mal, dass Mythiker existieren‹.«

Kai lächelte, doch es wirkte irgendwie schaurig. »Ganz genau.«

Ich kniff die Augen zusammen. »Um was für einen Job geht es?«

Aaron stützte die Ellbogen auf die Theke. »Wir sollten erst was trinken. Mach dir auch was.«

Ich machte eine weitere Runde Rum Cola zurecht – wenigstens waren sie einfache Kunden –, bevor ich überlegte, was ich wollte. Einen Moment später gab ich Eis in einen Shaker, fügte hellen Rum, Limettensaft und meinen Lieblingssirup hinzu, dann schüttelte ich die Mischung einmal kräftig durch. Anschließend goss ich sie in eine Cocktailschale, steckte ein Stück Limette als Verzierung dran und kehrte an meinen Platz zurück.

»Ein Daiquiri? Gute Wahl.« Aaron drehte den Laptop so, dass ich den Bildschirm sehen konnte. »Der perfekte Drink für einen kleinen Plausch über die dunklen Künste.«

KAPITEL 3

Vom Laptop leuchtete mir das Bild eines Mädchens entgegen – mausbraune Haare in einer Kurzhaarfrisur, blasse Haut, eingefallene Wangen und große blaugraue Augen, die leer in die Kamera blickten.

Mein Herz zog sich zusammen. Obwohl ich dieses Bild nur einmal zuvor gesehen hatte, erinnerte ich mich an das Gesicht. Vor vier oder fünf Wochen hatte Aaron mir das MPD-Archiv gezeigt – eine Online-Datenbank für alles, was im Zusammenhang mit Mythikern stand, von den verschiedenen Gilden über Auftragsangebote bis hin zu Kopfgeldern für kriminelle Abtrünnige. Er hatte dabei auf eine Anzeige über ein verschwundenes Mädchen geklickt – dieses Mädchen.

Während ich den Blick vom Monitor nahm, realisierte ich erst, was er gesagt hatte. »Was, dunkle Künste?«

»Jap.«

»Oh, endlich etwas, was ich verstehe. Ich habe alle Harry-Potter-Bücher gelesen.«

Ezra schnaubte, und seine verschiedenfarbigen Augen – eins in einem warmen Braun, das andere wie blasses Eis – funkelten vor unterdrücktem Lachen. »So ungern ich dich enttäusche, Verteidigung gegen die Dunklen Künste wird dir nicht weiterhelfen.«

»Verdammt.«

»Reale schwarze Magie ist nicht so cool wie die dunklen Künste bei Harry Potter«, warf Kai ein. »Allerdings erschreckender.«

Mein Blick wanderte zurück zu dem Foto. »Ich traue mich kaum zu fragen, was dunkle Künste mit ihr zu tun haben. Wird sie immer noch vermisst?«

Aaron wirkte jetzt ernst und nickte. »Als wir uns die Anzeige neulich angesehen haben, wurde sie als ›seit Kurzem vermisst mit mutmaßlicher mythischer Beteiligung‹ geführt. Wie ich dir damals gesagt habe, sind wir für Ermittlungen zu vermissten Personen nicht aufgestellt und mussten es einer anderen Gilde überlassen.«

»Aber keine andere Gilde hat den Job angenommen?«

»Zu dem Zeitpunkt war es kein Job. Es war eine Suchanzeige, ein Eintrag über eine verdächtige Aktivität, die jeder untersuchen kann, in der Hoffnung, dass am Ende ein Bonus rausspringt. In diesem Fall haben einige Mythiker sich das näher angeschaut, aber es sieht nicht gut aus.«

Kai holte sein Handy heraus, tippte auf das Display und streckte es mir hin. Darauf war ein weiteres Foto von dem Mädchen, diesmal zusammen mit einem strahlenden älteren Paar, das sie in die Mitte genommen hatte. Der Mann, mit schütterem Haar und etwas breiter um die Mitte, hatte einen Arm um seine Frau gelegt, eine schlanke Lady mit Krähenfüßen. Das Foto einer glücklichen Familie. Vielleicht bildete ich es mir ein, aber das Lächeln des Mädchens wirkte hohl, der Blick aus den blaugrauen Augen genauso leer wie auf dem anderen Foto.

»Ihr Name ist Nadine River«, erklärte Kai. »Das sind ihre Eltern. Letzte Woche haben sie Kontakt zur Gilde aufgenommen.«

»Aber … sind das nicht Menschen?«, fragte ich verwirrt. Von meinem eigenen zufälligen Auftritt mal abgesehen, interagierten Menschen nicht mit Gilden.

Er steckte das Handy wieder ein. »Ja, allerdings haben sie genug Fragen gestellt und so viele Leute wegen ihrer verschwundenen Tochter angesprochen, dass jemand sie am Ende mit uns zusammengebracht hat. Sie halten uns für Privatdetektive.«

»Darum haben wir uns die Anzeige zu dem Mädchen noch mal angeschaut«, erklärte Aaron und schob mir den Laptop zu. »Lies mal die Notizen.«

Unter der kurzen Anzeige mit Nadines Foto und den Einzelheiten ihres Verschwindens fanden sich datierte Kommentare. Ein Mythiker hatte den Vermisstenbericht der Polizei gepostet. Einige Tage später hatte jemand ergänzt, dass sie Nadines Zuhause auf mythische Beteiligung untersucht hatten. Ein Psychica-Mythiker hatte eine Lesung gemacht und riet, eine persönliche Tragödie als möglichen Grund für ihr Verschwinden mit einzubeziehen. Jemand anders hatte ein Update zur Schule des Mädchens gepostet, wo keine verdächtigen Aktivitäten festgestellt worden waren.

So ging es weiter. Alle paar Tage kam eine neue Aktualisierung dazu, während verschiedene Mythiker einen Teil der Ermittlung übernahmen und die Ergebnisse mit den anderen teilten, um dieses Mädchen, eine völlig Fremde, wieder heil nach Hause zu bringen. Ich schluckte und scrollte weiter nach unten, wo die Mythiker zu der Schlussfolgerung gelangt waren, dass Nadine von zu Hause weggelaufen, in einer Obdachlosenunterkunft untergekommen und dann … verschwunden war. Das letzte Update war drei Wochen alt.

»›Bestätigt‹«, las ich laut vor. »›Nadines letzte bekannte Interaktion war eine mit dem Geist. Untersuchung eingestellt.‹ Wer ist der Geist?«

Aaron griff über den Laptop und wechselte zu einem anderen Reiter. Eine neue Webpage im schrecklich überholten weißen Layout des MPD erschien. Der Bereich für das Foto war leer, doch die Seite war voller Text: Verbrechen, Strafanzeigen, vermutete illegale Aktivitäten, weitere Verbrechen. Statt eines Namens stand dort »Der Hungrige Geist«.

Kai starrte düster auf den Bildschirm. »Er ist nach einer chinesischen Legende über tote Seelen benannt, die sich der Sünde der Habgier schuldig gemacht haben und dazu verdammt sind, ewig Hunger zu leiden und unermüdlich andere verlorene Seelen zu verschlingen. Alles, was man über ihn weiß, ist, dass er ein Abtrünniger ist, der hilf- und schutzlose Mythiker ›sammelt‹. Wer in seiner Nähe verschwindet, taucht nie wieder auf.«

Gänsehaut überzog meine Arme. Ich nahm lustlos einen Schluck von meinem Daiquiri, doch als der süße Geschmack auf meine Zunge traf, verjagte er den düsteren Schatten, den die Beschreibung des Abtrünnigen erzeugt hatte. »Dieser Geist hat Nadine entführt? Wenn wir wissen, wer sie festhält, warum haben dann alle die Ermittlungen eingestellt?«

»Niemand kann den Geist fangen«, murmelte Ezra. »Wir wissen nicht, welcher Magieklasse er angehört, wie er aussieht, wie er arbeitet … nichts. Niemand hat je sein Gesicht gesehen. Niemand kennt seinen Namen.«

»Es ist eine Sackgasse.« Kai rührte seinen Rum Cola mit dem Strohhalm um. »Die Mythiker, die nach Nadine gesucht haben, haben die Ermittlungen eingestellt, weil sie, selbst wenn sie den Geist aufspüren könnten, Angst hätten, ihm gegenüberzutreten.«

»Das … war’s also?« Ungläubig blickte ich zwischen ihnen hin und her. »Alle geben auf? Wir überlassen Nadine einfach dem Geist?«

»Alle anderen«, korrigierte Aaron. »Du glaubst doch nicht, dass wir dir das hier nur zeigen, um dich zu deprimieren, oder?«

»Aber ihr habt gesagt, es ist eine Sackgasse. Niemand hat den Geist je geschnappt.«

»Niemand hat ihn bisher geschnappt. Das Kopfgeld für ihn ist unfassbar hoch. Selbst wenn man es innerhalb eines Teams aufteilt, müsste es noch reichen, um die Miete für deine Wohnung für, oh … Wie hoch ist deine Miete?«

»Äh.« Ich kniff die Augen zusammen. »Meine Miete?«

»Du musst das Geld nicht für die Miete ausgeben. Du kannst damit machen, was immer du willst.« Als ich ihn verwirrt ansah, fügte er hinzu. »Falls du uns helfen willst, natürlich.«

Richtig. So waren wir ja überhaupt zu diesem Gespräch gekommen, nicht wahr? »Wie soll ich euch helfen können?«

»Der Geist taucht nur aus wenigen, ganz bestimmten Gründen auf«, erklärte Kai. »Hauptsächlich für Geschäfte mit illegalen Zaubertränken und Artefakten, um alle zu vernichten, die ihm in die Quere kommen, und um Mythiker zu entführen. Bei Ersterem können wir ihn nicht schnappen, dafür müssten wir tief in den örtlichen Schwarzmarkt eintauchen. Wir wollen ihn auch nicht mit dem Zweiten provozieren, uns zu töten. Also bleibt nur Option Nummer drei.«

Ezra nickte. »Er sucht sich verletzliche, gefährdete Mythiker aus – Ausreißer wie Nadine, obdachlose Abtrünnige, Kinder von Mythikern, die …«

»Moment«, unterbrach ich ihn. »Nadine ist ein Mensch.«

»Das dachten alle«, bestätigte Ezra. »Und das glaubt Nadine selbst. Doch wir haben ein wenig nachgeforscht, und es sieht so aus, als wäre Nadine adoptiert. Wenn der Geist sie entführt hat, stehen die Chancen gut, dass sie mythisches Blut in sich hat und gar nichts davon weiß.«

»Der Geist hat eine Vorliebe für junge, in Not geratene Mythiker, die nirgendwo hinkönnen.« Aaron nahm einen Schluck von seinem Drink. »Allerdings ist der Mistkerl vorsichtig. Er hat Kontakte auf der Straße, die die Augen nach potenziellen Opfern offen halten. Wir könnten seine Kontakte ins Visier nehmen – MagiPol hat im Laufe der Jahre beinahe ein Dutzend aufgegriffen –, aber sie hatten nie irgendwelche brauchbaren Informationen. Und der Geist schaut Ausreißer mit dem geringsten Hauch von Gildenzugehörigkeit nicht mal an. Zu riskant.«

»Und da kommst du ins Spiel«, sagte Kai.

»Ich?«

»Du bist für das System unsichtbar«, erklärte Aaron. »Du bist nicht registriert, gehörst keiner Gilde an und existierst praktisch gar nicht, wenn man die MPD-Aufzeichnungen zugrunde legt. Auf dem Papier hast du keinerlei Verbindung zu Gilden oder Mythikern.«

»Ja, das liegt daran, dass ich keine Mythikerin bin.«