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Folge 39 der britischen Erfolgsserie
Jedes Jahr öffnet Lady Repton ihr großes Anwesen, um das "Cherringfest" zu veranstalten - das beliebteste Musikfestival der Cotswolds. Und dieses Jahr wird besonders: Nicht nur die Rückkehr der legendären und berüchtigten Hard-Rockband "Lizzard" steht auf dem Programm, sondern auch das Heimdebüt der jungen und überaus erfolgreichen neuen Gruppe "Unlost". Aber was ein Sommerwochenende mit fantastischer Musik, Essen und Spaß für alle sein sollte, kippt ins Bedrohliche, als einer der Musiker fast getötet wird. Jack und Sarah nehmen die Ermittlungen auf und versuchen fieberhaft, ein Netz aus Eifersucht, übersteigerten Egos und Rache zu entwirren, damit dieses Cherringfest nicht mit einem tödlichen Höhepunkt endet ...
Über die Serie: "Cherringham - Landluft kann tödlich sein" ist unsere erfolgreichste Cosy-Crime-Serie. Jede Folge ist unabhängig lesbar und geeignet, in die Welt von Cherringham einzusteigen. Cherringham ist ein beschauliches Dorf in den englischen Cotswolds. Doch mysteriöse Vorfälle, eigenartige Verbrechen und ungeklärte Morde halten die Bewohner auf Trab. Zum Glück bekommt die örtliche Polizei tatkräftige Unterstützung von Sarah und Jack. Die alleinerziehende Mutter und der ehemalige Cop aus New York lösen jeden noch so verzwickten Fall. Und geraten das ein oder andere Mal selbst in die Schusslinie ...
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
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Seitenzahl: 177
Cover
Cherringham – Landluft kann tödlich sein – Die Serie
Über diese Folge
Die Hauptfiguren
Über die Autoren
Titel
Impressum
1. Willkommen zum Cherringfest!
2. Planänderung
3. Feueralarm
4. Besuch zur Mittagszeit
5. Uneingeschränkte Zugangsberechtigung
6. Tee zu zweit
7. Auf der Suche nach einem Hinweis
8. Mondschein und Motive
9. Mondscheingeplauder
10. Funkenflug
11. Phönix
12. Samstag
13. Spuren und Schwindeleien
14. Der Phönix aus der Asche?
15. Countdown bis zum Beginn der Show
16. Der wahre Phönix
17. Die letzte Chance, um zu morden
18. Endlich – ein Pouilly
»Cherringham – Landluft kann tödlich sein« ist eine Cosy- Crime-Serie, die in dem vermeintlich beschaulichen Städtchen Cherringham spielt. Regelmäßig erscheinen sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch spannende und in sich abgeschlossene Fälle wie auch Romane mit dem Ermittlerduo Jack und Sarah.
Jedes Jahr öffnet Lady Repton ihr großes Anwesen, um das »Cherringfest« zu veranstalten – das beliebteste Musikfestival der Cotswolds. Und dieses Jahr wird besonders: Nicht nur die Rückkehr der legendären und berüchtigten Hard-Rockband »Lizzard« steht auf dem Programm, sondern auch das Heimdebüt der jungen und überaus erfolgreichen neuen Gruppe »Unlost«. Aber was ein Sommerwochenende mit fantastischer Musik, Essen und Spaß für alle sein sollte, kippt ins Bedrohliche, als einer der Musiker fast getötet wird. Jack und Sarah nehmen die Ermittlungen auf und versuchen fieberhaft, ein Netz aus Eifersucht, übersteigerten Egos und Rache zu entwirren, damit dieses Cherringfest nicht mit einem tödlichen Höhepunkt endet …
Jack Brennan hat jahrelang für die New Yorker Mordkommission gearbeitet – und fast genauso lange von einem Leben in den englischen Cotswolds geträumt. Mit einem Hausboot im beschaulichen Cherringham ist für ihn ein langgehegter Traum in Erfüllung gegangen. Doch etwas fehlt ihm. Etwas, das er einfach nicht sein lassen kann: das Lösen von Kriminalfällen.
Sarah Edwards ist Webdesignerin. Nachdem ihr perfektes bürgerliches Leben in sich zusammengefallen ist, kehrt sie mit ihren Kindern im Schlepptau in ihre Heimatstadt Cherringham zurück, um dort neu anzufangen. Das Kleinstadtleben ist ihr allerdings oft zu langweilig. Gut, dass sie in Jack einen Freund gefunden hat, mit dem sie auch in der vermeintlichen Idylle echte Abenteuer erleben kann!
Matthew Costello ist Autor erfolgreicher Romane wie Vacation (2011), Home (2014) und Beneath Still Waters (1989), der sogar verfilmt wurde. Er schrieb für verschiedene Fernsehsender wie die BBC und hat dutzende Computer- und Videospiele gestaltet, von denen The 7th Guest, Doom 3, Rage und Pirates of the Caribbean besonders erfolgreich waren. Er lebt in den USA.
Neil Richards hat als Produzent und Autor für Film und Fernsehen gearbeitet sowie Drehbücher verfasst, für die er bereits mehrfach für den BAFTA nominiert wurde. Für mehr als zwanzig Videospiele hat der Brite Drehbuch und Erzählung geschrieben, u. a. The Da Vinci Code und, gemeinsam mit Douglas Adams, Starship Titanic. Darüber hinaus berät er weltweit zum Thema Storytelling. Bereits seit den späten 90er Jahren schreibt er zusammen mit Matt Costello. Inzwischen haben die beiden mit »Cherringham. Landluft kann tödlich sein« und »Mydworth. Ein Fall für Lord und Lady Mortimer« zwei Serien erfolgreich ins Leben gerufen.
Matthew CostelloNeil Richards
CHERRINGHAM
LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN
Song für einen Mord
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
beTHRILLED
Deutsche Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Titel der englischen Originalausgabe: »Killer Track«
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dr. Arno Hoven
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: Guter Punkt, München
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-0270-6
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Jess Miles nahm sich kurz Zeit, um von der großen Bühne zu schauen, wobei sie ihre Augen mit einer Hand vor der Nachmittagssonne abschirmte.
Rechts und links gab es zwei deutlich kleinere Bühnen, alle zu dem Feld ausgerichtet, auf dem sich morgen um diese Zeit Tausende von Menschen einfinden würden, um das Cherringfest zu besuchen.
Sie konnte nach wie vor nicht recht fassen, dass sie hier war – eine junge Frau aus Cherringham, die bald auf dem Festival auftreten würde, zu dem sie selbst so oft als faszinierte Zuschauerin gekommen war.
Und sie würde nicht etwa auf einer der kleineren Bühnen stehen, wo neuere Bands, Comedians und sogar Zauberer auftraten, um zur entspannten Partyatmosphäre des Festivals beizutragen. Oh nein! Sie und die beiden anderen Mitglieder ihrer Band würden genau hier spielen: auf der riesigen Talbühne, auf der sie sich so klein vorkam, umgeben von Lichtern, Lautsprechern und dem Equipment für andere große Nummern.
Sie blickte hinüber zu Ryan Crocker, der einige Meter entfernt auf der großen Bühne stand und ebenfalls alles in sich aufsog.
Ryan hatte die Songs zusammen mit ihr geschrieben – und seine Stimme harmonierte perfekt mit ihrem hohen Sopran. Für Jess war er die wahrhaft treibende Kraft hinter Unlost, ihrer Band. Doch jetzt stand er einfach nur still da, was typisch für ihn war.
Sie schaute wieder nach vorn. Vor ihr am Bühnenrand, wo die Techniker unter einer Überdachung die Mischpulte aufstellten, hockte Alfie Parker, ihr Gitarrist. Er war das dritte Mitglied ihres Trios, und seine geradezu magischen Finger entlockten der uralten Gitarre sagenhafte Klänge.
Jess fühlte, wie die Härchen auf ihren Armen kribbelten. Zu gern würde sie all ihre Empfindungen in diesem bahnbrechenden Moment festhalten. Die Reise ihrer Band hierher war so plötzlich, so unerwartet und so intensiv gewesen.
Andererseits war Unlost für Jess auch von Anfang an mehr gewesen als nur eine Band.
Dies war ihre Familie. Eine Künstlerfamilie.
Und was sie selbst und Ryan betraf … Nun, ihre Beziehung war sogar noch enger.
Heute kam ihr das Leben eher wie ein Traum vor – von dem sie sich wünschte, er würde nie enden.
Sie ging ein paar Schritte auf Ryan zu. Trotz seiner ernsten, verschlossenen Haltung vermutete sie, dass es auch ihn schlichtweg umhaute.
»Das ist echt mal etwas, oder, Ryan? Cherringfest, diese Bühne?«
Er drehte sich zu ihr um.
Und sie fragte sich, wie viel von ihrem Erfolg sich der Tatsache verdankte, dass Ryan und sie nicht nur als Künstler zusammen waren, sondern auch als ein Paar.
Und sie hoffte, dass auch das nie enden würde.
Lächelnd nickte er. Doch weil Ryan nun mal Ryan war, blickte er wieder zurück zur Bühne.
»Groß, so viel steht fest. Aber der ganze Kram hier? Das sieht wie ein bescheuerter Flohmarktstand aus. Vor morgen müssen wir noch eine Menge organisieren. Die Playlist festlegen, an den neuen Stücken arbeiten, einige Zeit für Proben einschieben …«
Jess grinste. Trotz der Songs, die Ryan schrieb, war er stets der Praktiker. Sie wandte sich zu Alfie um, der so schmal und ernst war. Seine Eltern hatten gewollt, dass er Arzt wurde, aber Alfie hatte sich nie etwas anderes gewünscht, als seine Fender Stratocaster fantastisch zum Klingen zu bringen.
Bisher hatte Jess’ Beziehung mit Ryan die Band nicht beeinträchtigt. Drei Amigos! Drei Künstler. Und jetzt schwangen sie sich mit dieser Buchung für das Cherringfest und dem riesigen Erfolg ihrer ersten Single zu neuen Höhen auf.
Cherringfest war bei Weitem nicht das größte Sommerfestival, doch jeder wusste, dass es wichtig war.
Ein Gig hier konnte Bands aus den winzigen Clubs auf die großen Touren katapultieren. Was bereits etliche Male passiert war: Jess konnte die Liste der Preisträger fast vollständig aufsagen, die ihren Durchbruch auf der berühmten Talbühne gehabt hatten.
Sie bemerkte, dass Ryan zu einem großen Schlagzeug sah, das auf einem mobilen Podest stand und auf dessen großer Basstrommel ein Name prangte, den jeder hier nur zu gut kannte: Lizard. Die berüchtigte Metalband – angeführt von Leadsänger Alex King – hatte in den 1990ern die Charts dominiert. Jess wusste sogar, wie der Drummer hieß: Will Dumford, der nun an den Stellschrauben der Trommeln drehte, sich vorbeugte und das Fell der Snare-Drum berührte, dann das der Toms … als würde er nach einem Puls fühlen.
Will war von hier – ebenfalls in Cherringham geboren und aufgewachsen –, und seinem Können war es zu verdanken gewesen, dass die Lizard-Hymnen ganze Stadien weltweit zum Brodeln brachten.
Allerdings war jene Ära inzwischen vorbei.
Was Lizard gewiss auch klar war. Genau genommen war neben Nostalgie der einzige Grund, dass sie noch ein »Name« waren, der Mord an ihrem Leadsänger vor fünf Jahren. Seither waren sie auf Welttournee gewesen.
Die Alex King Memorial Tour.
Eine Tour, die nie enden würde, vermutete Jess. Jedenfalls nicht, solange sie noch Geld einbrachte.
Lizard war immer noch groß genug, um zum Abschluss des Festivals am Sonntagabend zu spielen.
Jess dachte an den Kontrast zu ihrer eigenen Band. Ihr kreatives Leben, so hoffte sie, fing gerade erst an. Das von Lizard hingegen? Es war, als würde man einem Mammutstern beim langsamen Verblassen zuschauen.
»Ja, Soundcheck gleich morgen früh«, sagte Ryan und zog ein zerfleddertes Blatt Papier hervor, auf dem die wesentlichen Infos für ihren Auftritt am Freitagabend standen. »Hoffentlich schafft die Produktionsleiterin bis dahin den ganzen Lizard-Kram hier weg.«
In diesem Moment fiel Jess auf, dass jemand links hinten auf der Bühne stand, halb im Schatten des Backstagebereichs, und sich mit einer kleinen Gruppe von der Crew unterhielt.
Ein schlaksiger Mann mit wilder Mähne, der eine Lederhose trug. Eine Bierflasche in einer Hand. Das Gesicht von tiefen Furchen gezeichnet, die zu viel durchgemachte Nächte, zu viel Alkohol und Drogen in seine Haut gegraben hatten. Zu viel von allem.
Jess erkannte ihn auf Anhieb. Es war LizardsLeadgitarrist Nick Taylor.
Seit Alex King tot war, leitete er die Band, wie Jess wusste.
Und sie sah ihm an, dass er nicht froh war. Als er Jess und ihre beiden Bandkollegen bemerkte, hob er eine Hand, damit die anderen bei ihm still waren.
Dann setzte er sich raubkatzenartig in Bewegung und kam auf Jess zu.
Oder vielmehr … direkt auf Ryan.
Es dauerte eine Sekunde, ehe Ryan von dem Zettel aufschaute und den Bandleader von Lizard kommen sah.
Jess wollte zurückweichen.
Stattdessen trat sie näher zu Ryan.
Nick Taylor baute sich vor ihnen auf, und jetzt lächelte er komisch. Es war alles andere als herzlich.
»Na, wenn das nicht die verdammten Unlost sind.«
Er musste schon einiges getrunken haben, stellte Jess fest. Offenbar blieb er bei dem Lebensstil, für den die Band verschrien war.
Sie versuchte zu begreifen, was los war. Warum war er zu ihnen gekommen? Irgendetwas ging hier vor. Und es fühlte sich unangenehm an.
Sie blickte zu Ryan auf, von dem sie wusste, dass er auch bisweilen auf der Kippe stehen konnte, je nachdem, wie die Dinge liefen.
Daran arbeitete sie mit ihm.
Und es war noch nicht abgeschlossen. Aber inzwischen war er seit beinahe einem Jahr clean und nüchtern.
»Nick Taylor«, sagte Ryan, ohne auf den verärgerten Tonfall des anderen zu reagieren.
Jess sah einen anderen Mann hinter Nick auftauchen. Auch ihn erkannte sie. Karl Thorp, einst der Leadsänger einer Lizard-Coverband, der dann gebeten worden war, für Alex King zu übernehmen.
Große Fußstapfen, in die er da getreten war.
Und glaubte man den Lizard-Fans, war seine Stimme nur ein blasser Abklatsch des Originals.
Ryan streckte seine Hand vor. Nick sah sie an, als handelte es sich um eine auf seinen Bauch gerichtete Waffe.
»Echt, Leute, euer Name? Unlost? Ändert den lieber in Get Lost.« Nick schwankte und hielt seine beinahe leere Bierflasche höher. »Denn ich würde wirklich gerne sehen, wie ihr verschwindet, ihr Loser!«
Jess sah von Nick Taylor – hager, drahtig und eine riesengroße Wut ausstrahlend – zu Ryan, dessen Züge sich verfinsterten.
Alfie näherte sich Ryan von hinten und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Doch Ryan schüttelte ihn ab und machte einen Schritt auf den Lizard-Gitarristen zu.
»Hast du ein Problem, Alter? Denn falls ja, tja, dann wirst du wohl …«
Jess versuchte einzugreifen. »Ryan, lass es gut sein!«
Taylor nickte. »Ah, verstehe! Großer Mann auf der großen Bühne. Weißt du, was ich von eurer Band halte? Von eurem Kitschtrio? Ihr seid ein Strohfeuer. Heute hier, morgen jedoch …«
Jess befürchtete, dass dies reichen könnte, um Ryan zu einer unbedachten Tat zu provozieren. Und als wollte Nick Taylor unbedingt diesen Effekt erreichen, schwenkte er seine Bierflasche direkt vor Ryans Gesicht hin und her.
»Hör lieber auf das kleine Frauchen, Bübchen. Wäre ja ein Jammer, wenn du verletzt wirst, bevor du zum Spielen kommst!«
Hinter ihm machte Thorp mutig einen Schritt nach vorn. »Hey, Nick, das reicht jetzt. Komm …«
Nick drehte sich um und rammte seinen Ellbogen in die Brust des Ersatzsängers, sodass der gegen einen Kistenstapel krachte.
»Halt verflucht noch mal den Mund, Karl!«, beschied er ihm und schwenkte erneut höhnisch seine Bierflasche.
Dann, während Nick noch seinen Kopf abgewandt hatte und die Flasche nur Zentimeter von Ryans Gesicht entfernt war, bewegte Ryan sich.
Seine rechte Hand schnellte vor und stieß Nick Taylor gegen die Brust, worauf der rückwärtstorkelte und um ein Haar hinfiel, aber von einigen großen Monitoren auf einem Podest abgefangen wurde.
»Jetzt wollen wir wohl ein bisschen Spaß haben«, sagte Nick hämisch und richtete sich auf.
Alles ging sehr schnell. Jess sah jemanden aus der Lizard-Crew an dem zusammengekrümmten Karl Thorp vorbeieilen und Nicks Arm packen.
»Ist ja gut, Nick, chill mal«, sagte er, doch Nick riss sich von ihm los und knallte die Bierflasche auf den Bühnenboden. Sie zerbarst vor Jess’ Füßen.
Jess sah Ryan über die Glasscherben auf den fies grinsenden Nick zugehen.
Die Situation schien außer Kontrolle.
Doch plötzlich tauchte jemand zwischen den beiden Männern auf. Es war eine bestenfalls einen Meter sechzig große Frau mit aufgesetztem Headset und einem Klemmbrett in der Hand. Sie blickte Ryan herausfordernd an, als wollte sie sagen: Wag ja nicht, mich zur Seite zu schieben!
Es grenzte an ein Wunder, doch Ryan hielt in seinen Bewegungen inne, die Hände zu Fäusten geballt. Nick Taylor stand nun hustend etwas seitlicher und lachte immer noch hämisch.
»Lizard!«, rief die Frau. »Runter von der Bühne, sofort! Du!« Sie zeigte auf den Roadie, der versucht hatte, Nick zurückzuhalten. »Schaff die Band hier weg!« Mit einem Blick zu Nick ergänzte sie: »Besonders den hier.« Sie schaute zu den Technikern und anderen Künstlern auf der Bühne. »Die Show ist vorbei.«
Nun drehte sie sich wieder zu Ryan um und sah erst ihn, dann Alfie und schließlich Jess an.
Und Jess dachte: Sie muss die Produktionsleiterin sein.
»Wie wäre es, wenn ihr drei einen Spaziergang mit mir macht? Mal schauen, wie die Bühne aussieht.« Sie nickte zum offenen Feld, auf dem bisher kein Publikum war. »Von da draußen.«
Jess nickte prompt. »Klar, gute Idee.«
»Japp«, kam von Alfie.
Sie warteten auf Ryan, der noch sichtlich kochte vor Wut, sich aber hoffentlich wieder beruhigte.
Schließlich schaute auch er die Frau an. »Okay. Und du bist?«
Die Frau mit dem Headset und dem Klemmbrett lächelte, eindeutig froh, die ungeplante Show auf der Bühne beendet zu haben.
Während sie das Trio wegführte, antwortete sie: »Becky Wade, Produktionsleiterin des Cherringfest. Und ich schätze, ihr wollt wissen, was das eben sollte – mit Lizard. Die sind angefressen. Tja, sobald wir ein Stück weg sind, erkläre ich es euch.«
Sie stiegen die Stufen von der Talbühne hinunter, und Jess dachte: Sehr gut, denn ich habe nicht den blassesten Schimmer.
Becky schritt energisch vorweg bis zur Mitte des leeren Felds.
»Euer erstes Mal, was? Tja, wartet ab, bis ihr da oben seid, auf der Bühne. Und hier das gesamte Feld voll ist! Überall schwenken die Leute die Arme, und es ist kein Quadratzentimeter mehr frei. An einem klaren, warmen Sommerabend geht da nix drüber!«
»Ich weiß«, sagte Jess.
Becky Wade sah sie an. »Ach ja?«
Jess nickte. »Ich bin aus Cherringham und war oft auf dem Festival.«
»Eine Einheimische? Na, dann wird es für dich ja erst recht aufregend«, sagte Becky.
Jess antwortete nicht, denn sie dachte an das letzte Mal, dass sie hier gewesen war – vor zwei Jahren mit Declan, ihrem Ex.
Diese Beziehung war toxisch gewesen, wie ein Gefängnis. Und ihre heutige – sie blickte zu Ryan, der neben ihr ging – fühlte sich wie Freiheit an.
Becky führte sie an einer Ansammlung von Mischpulten vorbei, wo die Techniker Kabel abwickelten und einstöpselten, und wies zum Rand des Zuschauerbereichs.
»Holen wir uns einen Kaffee, ja?«, schlug sie vor.
»Klar«, sagte Jess, und die drei folgten der Produktionsleiterin an Reihen von Zelten und Verkaufsständen vorbei, die gerade aufgebaut wurden und wo Kunsthandwerker ihre Waren auslegten. Außerdem wurden in diesem Bereich Massagen, ganzheitliche Behandlungen und Tee, Gin und Bier angeboten.
Zu einer Seite waren ein aufwendiger Kinderspielplatz und eine Erlebniswelt errichtet worden. Cherringfest war von jeher ein familienfreundliches Festival.
Und auf jeden Fall etwas wirklich Besonderes.
Das Arrangement der Foodtrucks und Essensstände war größtenteils noch nicht fertig, dennoch hatte Becky kein Problem, ein Tablett mit Kaffees zu bekommen. Anschließend standen sie im warmen Sonnenschein und beobachteten das geschäftige Treiben.
Jess rechnete damit, dass sich die Produktionsleiterin wieder Ryan zuwenden würde, weil er eben kurz davor gewesen war, sich auf eine Prügelei mit Nick Taylor einzulassen.
Doch sie drehte sich zu Alfie Parker.
»Alfie Parker, ich muss sagen, ich liebe echt, was du machst, Mann. Ein Gitarrenspiel wie deins ist klassisch im besten Sinne.«
Der allzeit zurückhaltende Alfie brachte ein kleines Lächeln und ein leises »Danke« zustande.
Erst jetzt richtete Becky ihren Blick auf Ryan.
»Okay, wenden wir uns der wichtigsten Sache zu. Habt ihr euren Plan?«
Ryan nickte. »Ja, den habe ich. Ich …«
Jess sah, wie er wieder das gefaltete Blatt aus der Tasche zog.
»Tja, den braucht ihr nicht mehr. Es hat einige Änderungen gegeben.«
Jess verstand nicht, was los war, als Becky ein zusammengefaltetes Blatt aus ihrer Gesäßtasche holte, das dem von Ryan ähnelte.
»Die Festivalleitung, also ich und einige andere aus dem Komitee, haben einiges umgestellt.«
Becky reichte Ryan das Blatt, und er nahm es sehr zögerlich an, als könnte es vergiftet sein.
Und Jess wurde urplötzlich schlecht. Wir sind gestrichen worden. Sie haben zu viele Bands, und einige müssen wieder rausfliegen.
Mit anderen Worten: Kein Bühnendebüt auf dem Cherringfest für das Mädchen aus dem Dorf.
Sie sah Ryan an, von dem sie vermutete, dass er dasselbe dachte.
Doch dann riss er die Augen weit auf, und völlig überraschend erstrahlte ein Lächeln auf seinem Gesicht. Wie bezaubernd Ryan lächeln konnte, wenn es mit einem aufrichtigen Gefühl verbunden war!
»Ist das … echt jetzt?«
Jess wurde zappelig, und sogar Alfie, der sich gewöhnlich für nichts interessierte, was nicht mit seinem Gitarrenspiel zu tun hatte, trat einen kleinen Schritt vor.
Ryan gab Jess den neuen Plan.
Sie überflog das Blatt auf der Suche nach der Änderung. Dann sah sie zu der Produktionsleiterin auf, wobei sie fast platzen wollte vor Begeisterung.
»Warte mal. Augenblick! Hier steht ›Samstag‹! Aber wir sollen doch morgen spielen – am Freitag, oder nicht?«
»Stimmt«, antwortete Becky grinsend. »Und jetzt seht euch das Line-up an.«
Wieder starrte Jess auf das Blatt und wollte es kaum glauben. »Wir sind der große Act am Samstagabend? Der Headliner?«
»Was ist mit Kindred?«, fragte Ryan. »Das war doch ihr Slot.«
Jess konnte nach wie vor nicht glauben, was hier geschah.
»Kindred musste passen«, antwortete Becky. »Die ganze Band hat die Grippe und musste die Englandtour absagen.«
»Und wir spielen anstelle von Kindred. Wow!«, sagte Alfie. Jess sah ihm an, dass er von dieser Nachricht genauso benommen war wie sie.
»Die Fans werden es klasse finden«, sagte Becky. »Und wir sind überzeugt, dass Unlost bereit für den Slot ist – und das Rampenlicht.«
Hier schüttelte Jess unwillkürlich den Kopf. »Was ist mit Lizard? Sie haben den Abschluss am Sonntag. Hätten sie nicht erwartet, auf den Slot am Samstag zu wechseln?«
»Kann sein, passiert aber nicht.«
Aha, dachte Jess. Das erklärt alles.
Warum Nick Taylor auf Ryan losgegangen war. Die wütenden Blicke vom Drummer der Gruppe, Will, und dem Bassisten, Charlie Wickes … sogar die frostigen Mienen der Roadies.
Es waren gigantische Neuigkeiten!
Leider machten sie auch einige sehr namhafte, richtig legendäre Künstler sehr wütend.
Ryan brachte als Erster wieder einen Ton hervor. »Danke! Wir werden die beste Show unseres Lebens abliefern.«
»Oh, davon gehe ich aus.«
Einen Moment lang bewegte sich niemand. Es waren schlicht zu unglaubliche Neuigkeiten. Dann fiel Jess etwas ein. »Von unseren Fans kommen viele nur morgen hierher. Die haben Tagestickets. Und es sind Jugendliche, die wenig Geld haben. Sie werden enttäuscht sein.«
»Stimmt, das haben wir uns auch schon gedacht«, sagte Becky. »Und so sind wir auf die Idee gekommen, dass ihr morgen richtig spät ein Geheimkonzert auf einer der kleinen Bühnen spielt.«
»Wir spielen zweimal?«, fragte Alfie sehr ernst.
»Schafft ihr das nicht?«, erwiderte Becky.
»Ich kann es gar nicht erwarten«, antwortete Alfie, und ausnahmsweise grinste er.
Danach sagte Becky: »Tja, ich habe noch tausendvierzig Sachen auf dem Zettel. Vergesst nicht – ihr habt morgen früh euren Soundcheck!«
Sie ging einige Schritte weg, drehte sich dann aber noch einmal zum Trio um. »Davon abgesehen möchte ich noch sagen: Entspannt euch heute Abend, trinkt ein paar Biere, quatscht mit Leuten. Oh, und danach schlaft bitte richtig – das werdet ihr brauchen.«
Während sie zurück zur Bühne ging, drehte Jess sich zu den anderen beiden Mitgliedern von Unlost um.
Ryan nickte ihnen beiden zu. »Ich schätze, Leute, wir haben’s geschafft!«