Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
1657 veröffentlichte Angelus Silesius seine berühmten Epigramme "Geistreiche Sinn- und Schlussreime", die seit der zweiten, um ein sechstes Buch vermehrten Ausgabe den Titel "Cherubinischer Wandersmann" tragen, meist zweizeilige Sprüche in gereimten Alexandrinern.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 223
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Cherubinischer Wandersmann
Angelus Silesius
Inhalt:
Angelus Silesius – Biografie und Bibliografie
Cherubinischer Wandersmann
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Cherubinischer Wandersmann , A. Silesius
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849636241
www.jazzybee-verlag.de
Eigentlich Johann Scheffler, bekannter Mystiker und geistlicher Liederdichter, geb. 1624 in Breslau von protestantischen Eltern, gest. daselbst 9. Juli 1677 im Matthiasstift, studierte seit 1643 die Heilkunde in Straßburg, dann in Leiden und Padua, war 1649–52 Leibarzt des Herzogs von Öls, trat 1653 in Breslau zur katholischen Kirche über und wurde 1654 zum kaiserlichen Hofmedikus ernannt. 1661 trat er in den Minoritenorden, empfing die Priesterweihe und wurde 1664 Geistlicher Rat des Fürstbischofs in Breslau. Schefflers ursprüngliche Anlage zur Beschaulichkeit war durch das Studium der ältern mystischen Schriftsteller (von Tauler bis auf Jak. Böhme) sowie durch den Umgang mit dem Mystiker Abraham von Frankenberg mächtig gefördert und entwickelt worden. Die Mystik führte ihn zum Pantheismus, dieser zum Katholizismus. Sein erstes Hauptwerk, die »Geistreichen Sinn- und Schlußreime« (Wien 1657), in der folgenden Ausgabe betitelt »Cherubinischer Wandersmann« (Glatz 1675 u. ö.; Neudruck von Ellinger, Halle 1895, hrsg. von W. Bölsche, Jena 1905; Auswahl von O. E. Hartleben, 2. Aufl., Berl. 1904), enthält eine Sammlung meist zweizeiliger Sprüche in Alexandrinern, die einen tiefsinnigen mystischen Pantheismus atmen, daneben aber bereits eifrige Huldigungen für das katholische Dogma darbieten, die sich schwer mit dem übrigen Inhalt des Buches vereinigen lassen. In seinen geistlichen Liedern, gesammelt in »Heilige Seelenlust, oder geistliche Hirtenlieder der in ihren Jesum verliebten Psyche« (Bresl. 1657; Neudruck von Ellinger, Halle 1901), bildet die unaussprechliche Sehnsucht nach dem Heiland und Gott den Grundzug. Mehrere davon (z. B. »Mir nach, spricht Christus, unser Held«, »Liebe, die du mich zum Bilde«) sind in protestantische Gesangbücher übergegangen. Andre sind durch jenen spielenden, tändelnden Ton entstellt, zu denen das Vorbild der italienischen Lyrik viele deutsche Dichter des 17. Jahrh. verleitete. Beide Gedichtsammlungen haben sich bis auf die Gegenwart lebendig erhalten (wertvolle Vertonungen von Peter Cornelius); dagegen sind die zahlreichen Streitschriften des Dichters mit Recht vergessen. Eine Gesamtausgabe der poetischen Werke Schefflers lieferte Rosenthal (Regensb. 1862, 2 Bde.). Vgl. W. Schra- der, Angelus Silesius und seine Mystik (Halle 1853); Kahlert, Angelus Silesius (Bresl. 1853); F. Kern, Joh. Schefflers Cherubinischer Wandersmann (Leipz. 1866); Lindemann, Angelus Silesius, Bild eines Konvertiten, Dichters und Streittheologen (Freiburg 1876); Seltmann, Angelus Silesius und seine Mystik (Bresl. 1896); Kralik, Angelus Silesius und die christliche Mystik (Frankf. a. M. 1902).
1. Was fein ist, das besteht
Rein wie das feinste Gold, steif wie ein Felsenstein,
Ganz lauter wie Kristall soll dein Gemüte sein.
2. Die ewige Ruhestätt
Es mag ein andrer sich um sein Begräbnis kränken
Und seinen Madensack mit stolzem Bau bedenken,
Ich sorge nicht dafür: mein Grab, mein Fels und Schrein,
In dem ich ewig ruh, solls Herze Jesu sein.
3. Gott kann allein vergnügen
Weg, weg, ihr Seraphim, ihr könnt mich nicht erquicken,
Weg, weg, ihr Heiligen und was an euch tut blicken.
Ich will nun eurer nicht, ich werfe mich allein
Ins ungeschaffne Meer der bloßen Gottheit ein.
4. Man muß ganz göttlich sein
Herr, es genügt mir nicht, daß ich dir englisch diene
Und in Vollkommenheit der Götter vor dir grüne.
Es ist mir viel zu schlecht und meinem Geist zu klein;
Wer dir recht dienen will, muß mehr als göttlich sein.
5. Man weiß nicht, was man ist
Ich weiß nicht, was ich bin; ich bin nicht, was ich weiß;
Ein Ding und nit ein Ding, ein Stüpfchen und ein Kreis.
6. Du mußt, was Gott ist, sein
Soll ich mein letztes End und ersten Anfang finden,
So muß ich mich in Gott und Gott in mir ergründen
Und werden das, was er: ich muß ein Schein im Schein,
Ich muß ein Wort im Wort,1 ein Gott in Gotte sein.
7. Man muß noch über Gott
Wo ist mein Aufenthalt? Wo ich und du nicht stehen.
Wo ist mein letztes End, in welches ich soll gehen?
Da, wo man keines findt. Wo soll ich denn nun hin?
Ich muß noch über Gott in eine Wüste ziehn.2
8. Gott lebt nicht ohne mich
Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben;
Werd ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben.3
9. Ich habs von Gott und Gott von mir
Daß Gott so selig ist und lebet ohn Verlangen,
Hat er sowohl von mir als ich von ihm empfangen.
10. Ich bin wie Gott und Gott wie ich
Ich bin so groß wie Gott, er ist als ich so klein;
Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.
11. Gott ist in mir und ich in ihm
Gott ist in mir das Feur und ich in ihm der Schein;
Sind wir einander nicht ganz inniglich gemein?
12. Man muß sich überschwenken
Mensch, wo du deinen Geist schwingst über Ort und Zeit,
So kannst du jeden Blick sein in der Ewigkeit.
13. Der Mensch ist Ewigkeit
Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse
Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.
14. Ein Christ so reich als Gott
Ich bin so reich als Gott, es kann kein Stäublein sein,
Das ich (Mensch, glaube mir) mit ihm nicht hab gemein.
15. Die Über-Gottheit
Was man von Gott gesagt, das gnüget mir noch nicht,
Die Über-Gottheit ist mein Leben und mein Licht.
16. Die Liebe zwingt Gott
Wo Gott mich über Gott nicht sollte wollen bringen,
So will ich ihn dazu mit bloßer Liebe zwingen.4
17. Ein Christ ist Gottes Sohn
Ich auch bin Gottes Sohn, ich sitz an seiner Hand:
Sein Geist, sein Fleisch und Blut ist ihm an mir bekannt.
18. Ich tue es Gott gleich
Gott liebt mich über sich; lieb ich ihn über mich,
So geb ich ihm so viel, als er mir gibt aus sich.
19. Das selige Stillschweigen
Wie selig ist der Mensch, der weder will noch weiß,
Der Gott, versteh mich recht, nicht gibet Lob noch Preis.5
20. Die Seligkeit steht bei dir
Mensch, deine Seligkeit kannst du dir selber nehmen,
So du dich nur dazu willst schicken und bequemen.
21. Gott läßt sich, wie man will
Gott gibet niemand nichts, er stehet allen frei,
Daß er, wo du nur ihn so willst, ganz deine sei.
22. Die Gelassenheit
So viel du Gott geläßt, so viel mag er dir werden;
Nicht minder und nicht mehr hilft er dir aus Beschwerden.
23. Die geistliche Maria
Ich muß Maria sein und Gott aus mir gebären,
Soll er mich ewiglich der Seligkeit gewähren.
24. Du mußt nichts sein, nichts wollen
Mensch, wo du noch was bist, was weißt, was liebst und hast,
So bist du, glaube mir, nicht ledig deiner Last.
25. Gott ergreift man nicht
Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier:6
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.
26. Der geheime Tod
Tod ist ein selig Ding: je kräftiger er ist,
Je herrlicher daraus das Leben wird erkiest.
27. Das Sterben macht Leben
Indem der weise Mann zu tausendmalen stirbet,
Er durch die Wahrheit selbst um tausend Leben wirbet.
28. Der allerseligste Tod
Kein Tod ist seliger als in dem Herren sterben
Und um das ewge Gut mit Leib und Seel verderben.7
29. Der ewige Tod
Der Tod, aus welchem nicht ein neues Leben blühet,
Der ists, den meine Seel aus allen Töden fliehet.
30. Es ist kein Tod
Ich glaube keinen Tod; sterb ich gleich alle Stunden,
So hab ich jedesmal ein besser Leben funden.
31. Das immerwährende Sterben
Ich sterb und lebe Gott: will ich ihm ewig leben,
So muß ich ewig auch für ihn den Geist aufgeben.8
32. Gott stirbt und lebt in uns
Ich sterb und leb auch nicht:9 Gott selber stirbt in mir,
Und was ich leben soll, lebt er auch für und für.10
33. Nichts lebt ohne Sterben
Gott selber, wenn er dir will leben, muß ersterben;
Wie, denkst du, ohne Tod sein Leben zu ererben?
34. Der Tod vergöttet dich
Wenn du gestorben bist und Gott dein Leben worden,
So trittst du erst recht ein der hohen Götter Orden.
35. Der Tod ists beste Ding
Ich sage, weil allein der Tod mich machet frei,
Daß er das beste Ding aus allen Dingen sei.
36. Kein Tod ist ohne ein Leben
Ich sag, es stirbet nichts; nur daß ein ander Leben,
Auch selbst das peinliche, wird durch den Tod gegeben.
37. Die Unruh kommt von dir
Nichts ist, das dich bewegt, du selber bist das Rad,
Das aus sich selbsten lauft und keine Ruhe hat.
38. Gleichschätzung macht Ruh
Wenn du die Dinge nimmst ohn allen Unterscheid,
So bleibst du still und gleich in Lieb und auch in Leid.
39. Die unvollkommne Gelassenheit
Wer in der Hölle nicht kann ohne Hölle leben,
Der hat sich noch nicht ganz dem Höchsten übergeben.
40. Gott ist das, was er will
Gott ist ein Wunderding: er ist das, was er will,
Und will das, was er ist, ohn alle Maß und Ziel.
41. Gott weiß sich selbst kein Ende
Gott ist unendlich hoch. Mensch, glaube das behende;
Er selbst findt ewiglich nicht seiner Gottheit Ende.
42. Wie gründet sich Gott?
Gott gründt sich ohne Grund und mißt sich ohne Maß;
Bist du ein Geist mit ihm, Mensch, so verstehst du das.
43. Man liebt auch ohne Erkennen
Ich lieb ein einzig Ding und weiß nicht, was es ist;
Und weil ich es nicht weiß, drum hab ich es erkiest.
44. Das Etwas muß man lassen
Mensch, so du etwas liebst, so liebst du nichts fürwahr.
Gott ist nicht dies und das, drum laß das Etwas gar.
45. Das vermögende Unvermögen
Wer nichts begehrt, nichts hat, nichts weiß, nichts liebt, nichts will,
Der hat, der weiß, begehrt und liebt noch immer viel.
46. Das selige Unding
Ich bin ein seligs Ding, mag ich ein Unding sein,
Das allem, was da ist, nicht kund wird noch gemein.
47. Die Zeit ist Ewigkeit
Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit,
So du nur selber nicht machst einen Unterscheid.
48. Gottes Tempel und Altar
Gott opfert sich ihm selbst: ich bin in jedem Nu
Sein Tempel, sein Altar, sein Betstuhl, so ich ruh!
49. Die Ruh ists höchste Gut
Ruh ist das höchste Gut: und wäre Gott nicht Ruh,
Ich schlöße vor ihm selbst mein Augen beide zu.
50. Der Thron Gottes
Fragst du, mein Christ, wo Gott gesetzt hat seinen Thron?
Da, wo er dich in dir gebieret, seinen Sohn.
51. Die Gleichheit Gottes
Wer unbeweglich bleibt in Freud, in Leid, in Pein,
Der kann nunmehr nicht weit von Gottes Gleichheit sein.
52. Das geistliche Senfkorn
Ein Senfkorn ist mein Geist; durchscheint ihn seine Sonne,
So wächst er Gotte gleich mit freudenreicher Wonne.
53. Die Tugend sitzt in Ruh
Mensch, wo du Tugend wirkst mit Arbeit und mit Müh,
So hast du sie noch nicht, du kriegest noch um sie.
54. Die wesentliche Tugend
Ich selbst muß Tugend sein und keinen Zufall wissen,
Wo Tugenden aus mir in Wahrheit sollen fließen.
55. Der Brunnquell ist in uns
Du darfst zu Gott nicht schrein, der Brunnquell ist in dir;
Stopfst du den Ausgang nicht, er fließet für und für.
56. Das Mißtraun schmäht Gott
So du aus Mißvertraun zu deinem Gotte flehest
Und ihn nicht sorgen läßt, schau, daß du ihn nicht schmähest.
57. In Schwachheit wird Gott gefunden
Wer an den Füßen lahm und am Gesicht ist blind,
Der tue sich dann um, ob er Gott irgends findt.
58. Der eigen Gesuch
Mensch, suchst du Gott um Ruh, so ist dir noch nicht recht:
Du suchest dich, nicht ihn, bist noch nicht Kind, nur Knecht.
59. Wie Gott will, soll man wollen
Wär ich ein Seraphin, so wollt ich lieber sein,
Dem Höchsten zu gefalln, das schnödste Würmelein.
60. Leib, Seele und Gottheit
Die Seel ist ein Kristall, die Gottheit ist ihr Schein;
Der Leib, in dem du lebst, ist ihrer beider Schrein.
61. In dir muß Gott geboren werden
Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren
Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.
62. Das Äußre hilft dir nicht
Das Kreuz zu Golgatha kann dich nicht von dem Bösen,
Wo es nicht auch in dir wird aufgericht, erlösen.
63. Steh selbst von Toten auf
Ich sag, es hilft dir nicht, daß Christus auferstanden,
Wo du noch liegen bleibst in Sünd und Todesbanden.
64. Die geistliche Saeung
Gott ist ein Ackersmann, das Korn sein ewges Wort,
Die Pflugschar ist sein Geist, mein Herz der Saeungsort.
65. Armut ist göttlich
Gott ist das ärmste Ding, er steht ganz bloß und frei:
Drum sag ich recht und wohl, daß Armut göttlich sei.
66. Mein Herz ist Gottes Herd
Wo Gott ein Feuer ist, so ist mein Herz der Herd,
Auf welchem er das Holz der Eitelkeit verzehrt.
67. Das Kind schreit nach der Mutter
Wie ein entmilchtes Kind nach seiner Mutter weint,
So schreit die Seel nach Gott, die ihn alleine meint.
68. Ein Abgrund ruft dem andern
Der Abgrund meines Geists ruft immer mit Geschrei
Den Abgrund Gottes an: Sag, welcher tiefer sei?
69. Milch mit Wein stärket fein
Die Menschheit ist die Milch, die Gottheit ist der Wein;
Trink Milch mit Wein vermischt, willst du gestärket sein.
70. Die Liebe
Die Lieb ist unser Gott, es lebet alls durch Liebe:
Wie selig wär ein Mensch, der stets in ihr verbliebe!
71. Man muß das Wesen sein
Lieb üben hat viel Müh: wir sollen nicht allein
Nur lieben, sondern selbst, wie Gott, die Liebe sein.
72. Wie sieht man Gott
Gott wohnt in einem Licht, zu dem die Bahn gebricht;
Wer es nicht selber wird, der sieht ihn ewig nicht.
73. Der Mensch war Gottes Leben
Eh ich noch etwas ward, da war ich Gottes Leben:11
Drum hat er auch für mich sich ganz und gar gegeben.
74. Man soll zum Anfang kommen
Der Geist, den Gott mir hat im Schöpfen eingehaucht,
Soll wieder12 wesentlich in ihm stehn eingetaucht.
75. Dein Abgott, dein Begehren
Begehrst du was mit Gott, ich sage klar und frei,
(Wie heilig du auch bist) daß es dein Abgott sei.
76. Nichts wollen macht Gott gleich
Gott ist die ewge Ruh, weil er nichts sucht noch will;
Willst du ingleichen nichts, so bist du eben viel.
77. Die Dinge sind geringe
Wie klein ist doch der Mensch, der etwas groß tut schätzen
Und sich nicht über sich in Gottes Thron einsetzen!
78. Das Geschöpf ist nur ein Stüpfchen
Schau, alles, was Gott schuf, ist meinem Geist so klein,
Daß es ihm scheint in ihm ein einzig Stüpfchen sein.
79. Gott trägt vollkommene Früchte
Wer mir Vollkommenheit, wie Gott hat, ab will sprechen,
Der müßte mich zuvor von seinem Weinstock brechen.
80. Ein jedes in dem Seinigen
Der Vogel in der Luft, der Stein ruht auf dem Land,
Im Wasser lebt der Fisch, mein Geist in Gottes Hand.
81. Gott blüht aus seinen Zweigen
Bist du aus Gott geborn, so blühet Gott in dir
Und seine Gottheit ist dein Saft und deine Zier.
82. Der Himmel ist in dir
Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir;
Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.
83. Wie kann man Gottes genießen
Gott ist ein einges Ein; wer seiner will genießen,
Muß sich nicht weniger als er in ihn einschließen.
84. Wie wird man Gott gleich
Wer Gott will gleiche sein, muß allem ungleich werden,
Muß ledig seiner selbst und los sein von Beschwerden.
85. Wie hört man Gottes Wort
So du das ewge Wort in dir willst hören sprechen,
So mußt du dich zuvor von Unruh ganz entbrechen.
86. Ich bin so breit als Gott
Ich bin so breit als Gott, nichts ist in aller Welt,
Das mich, o Wunderding, in sich umschlossen hält.
87. Im Eckstein liegt der Schatz
Was marterst du das Erz? der Eckstein ists allein,
In dem Gesundheit, Gold und alle Künste sein.
88. Es liegt alles im Menschen
Wie mag dich doch, o Mensch, nach etwas tun verlangen,
Weil du in dir hältst Gott und alle Ding umfangen?
89. Die Seele ist Gott gleich
Weil meine Seel in Gott steht außer Zeit und Ort,
So muß sie gleiche sein dem Ort und ewgen Wort.
90. Die Gottheit ist das Grüne
Die Gottheit ist mein Saft; was aus mir grünt und blüht,
Das ist sein heilger Geist, durch den der Trieb geschieht.
91. Man soll für alles danken
Mensch, so du Gott noch pflegst um dies und das zu danken,
Bist du noch nicht versetzt aus deiner Schwachheit Schranken.
92. Wer ganz vergöttet ist
Wer ist, als wär er nicht und wär er nie geworden,
Der ist, o Seligkeit, zu lauter Gotte worden.
93. In sich hört man das Wort
Wer in sich selber sitzt, der höret Gottes Wort,
Vernein es, wie du willst, auch ohne Zeit und Ort.
94. Die Demut
Die Demut ist der Grund, der Deckel und der Schrein,
In dem die Tugenden stehn und beschlossen sein.
95. Die Lauterkeit
Wenn ich die Lauterkeit durch Gott geworden bin,
So wend ich mich, um Gott zu finden, nirgends hin.
96. Gott mag nichts ohne mich
Gott mag nicht ohne mich ein einzigs Würmlein machen;
Erhalt ichs nicht mit ihm, so muß es stracks zukrachen.
97. Mit Gott vereinigt sein ist gut für ewige Pein
Wer Gott vereinigt ist, den kann er nicht verdammen,
Er stürze sich denn selbst mit ihm in Tod und Flammen.
98. Der tote Wille herrscht
Dafern mein Will ist tot, so muß Gott, was ich will;
Ich schreib ihm selber vor das Muster und das Ziel.
99. Der Gelassenheit gilts gleich
Ich lasse mich Gott ganz; will er mir Leiden machen,
So will ich ihm sowohl als ob den Freuden lachen.
100. Eins hält das Andere
Gott ist so viel an mir, als mir an ihm gelegen,
Sein Wesen helf ich ihm, wie er das meine hegen.
101. Christus
Hört Wunder! Christus ist das Lamm und auch der Hirt,
Wenn Gott in meiner Seel ein Mensch geboren wird.
102. Die geistliche Goldmachung
Dann wird das Blei zu Gold, dann fällt der Zufall hin,
Wenn ich mit Gott durch Gott in Gott verwandelt bin.
103. Auch von derselben
Ich selbst bin das Metall, der Geist ist Feur und Herd,
Messias die Tinktur, die Leib und Seel verklärt.
104. Noch von ihr
Sobald durch Gottes Feur ich mag geschmelzet sein,
So drückt mir Gott alsbald sein eigen Wesen ein.
105. Das Bildnis Gottes
Ich trage Gottes Bild: wenn er sich will besehn,
So kann es nur in mir, und wer mir gleicht, geschehn.
106. Das Ein ist in dem Andern
Ich bin nicht außer Gott und Gott nicht außer mir:
Ich bin sein Glanz und Licht und er ist meine Zier.
107. Es ist noch alles in Gott
Ists, daß die Kreatur aus Gott ist ausgeflossen:
Wie hält er sie dann noch in seiner Schoß beschlossen?
108. Die Rose
Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht,
Die hat von Ewigkeit in Gott also geblüht.13
109. Die Geschöpfe
Weil die Geschöpfe gar in Gottes Wort bestehn,
Wie können sie dann je zerwerden und vergehn?
110. Das Gesuche des Geschöpfes
Vom ersten Anbeginn und noch bis heute zu
Sucht das Geschöpfe nichts als seines Schöpfers Ruh.
111. Die Gottheit ist ein Nichts
Die zarte Gottheit ist ein Nichts und Übernichts:
Wer nichts in allem sieht, Mensch, glaube, dieser sichts.
112. In der Sonnen ists gut sein
Wer in der Sonnen ist, dem mangelt nicht das Licht,
Das dem, der außer ihr verirret geht, gebricht.
113. Jehova ist die Sonne
Nimm hin der Sonnen Licht; Jehova ist die Sonne,
Die meine Seel erleucht und macht sie voller Wonne.
114. Die Sonn ist schon genug
Wem seine Sonne scheint, derselbe darf nicht gücken,
Ob irgendwo der Mond und andre Sterne blicken.
115. Du selbst mußt Sonne sein
Ich selbst muß Sonne sein, ich muß mit meinen Strahlen
Das farbenlose Meer der ganzen Gottheit malen.
116. Der Tau
Der Tau erquickt das Feld; soll er mein Herze laben,
So muß er seinen Fall vom Herzen Jesu haben.
117. Nichts Süßes in der Welt
Wer etwas in der Welt mag süß und lieblich nennen,
Der muß die Süßigkeit, die Gott ist, noch nicht kennen.
118. Der Geist bleibt allzeit frei
Schließ mich, so streng du willst, in tausend Eisen ein,
Ich werde doch ganz frei und ungefesselt sein.
119. Zum Ursprung mußt du gehn
Mensch, in dem Ursprung ist das Wasser rein und klar,
Trinkst du nicht aus dem Quell, so stehst du in Gefahr.
120. Die Perle wird vom Tau
Die Schnecke leckt den Tau und ich, Herr Christ, dein Blut:
In beiden wird geborn ein kostbarliches Gut.
121. Durch die Menschheit zu der Gottheit
Willst du den Perlentau der edlen Gottheit fangen,
So mußt du unverrückt an seiner Menschheit hangen.
122. Die Sinnlichkeit bringt Leid
Ein Auge, das sich nie der Lust des Sehns entbricht,
Wird endlich gar verblendt und sieht sich selbsten nicht.
123. Gott klagt um seine Braut
Die Turteltaube klagt, daß sie den Mann verloren,
Und Gott, daß du den Tod für ihn dir hast erkoren.
124. Du mußts hinwieder sein
Gott ist dir worden Mensch; wirst du nicht wieder Gott,
So schmähst du die Geburt und höhnest seinen Tod.
125. Die Gleichheit hat nicht Pein
Wem alles gleiche gilt, den rühret keine Pein,
Und sollt er auch im Pfuhl der tiefsten Höllen sein.
126. Begehren erwartet Gewähren
Mensch, wenn du noch nach Gott Begier hast und Verlangen,
So bist du noch von ihm nicht ganz und gar umfangen.
127. Es gilt Gott alles gleich
Gott hat nicht Unterscheid, es ist ihm alles ein;
Er machet sich soviel der Flieg als dir gemein.
128. Alles liegt an der Empfänglichkeit
Vermöcht ich Gotts so viel als Christus zu empfangen,
Er ließe mich dazu im Augenblick gelangen.
129. Das Böse entsteht aus dir
Gott ist ja nichts als gut: Verdammnis, Tod und Pein,
Und was man böse nennt, muß Mensch in dir nur sein.
130. Die Bloßheit ruht in Gott
Wie selig ruht der Geist in des Geliebten Schoß,
Der Gotts und aller Ding und seiner selbst steht bloß.
131. Das Paradeis in Pein
Mensch, bist du Gott getreu und meinest ihn allein,
So wird die größte Not ein Paradeis dir sein.
132. Bewehrt muß man sein
Mensch, in das Paradeis kommt man nicht unbewehrt,
Willst du hinein, du mußt durch Feuer und durch Schwert.
133. Gott ist ein ewges Nun
Ist Gott ein ewges Nun, was fället dann darein,
Daß er nicht schon in mir kann alls in allem sein?
134. Unvollkommene Gestorbenheit
Wo dich noch dies und das bekümmert und bewegt,
So bist du noch nicht ganz mit Gott ins Grab gelegt.
135. Bei Gott ist nur sein Sohn
Mensch, werd aus Gott geborn: bei seiner Gottheit Thron
Steht niemand anders als der eingeborne Sohn.
136. Wie ruht Gott in mir
Du mußt ganz lauter sein und stehn in einem Nun,
Soll Gott in dir sich schaun und sänftiglichen ruhn.
137. Gott verdammt Niemand
Was klagst du über Gott? Du selbst verdammest dich!
Er möcht es ja nicht tun, das glaube sicherlich.
138. Je mehr du aus, je mehr Gott ein
Je mehr du dich aus dir kannst austun und entgießen,
Je mehr muß Gott in dich mit seiner Gottheit fließen.
139. Es trägt und wird getragen
Das Wort, das dich und mich und alle Dinge trägt,
Wird wiederum von mir getragen und gehegt.
140. Der Mensch ist alle Dinge
Der Mensch ist alle Ding; ists, daß ihm eins gebricht,
So kennet er fürwahr sein Reichtum selber nicht.
141. Es sind viel tausend Sonnen
Du sprichst, im Firmament sei eine Sonn allein;
Ich aber sage, daß viel tausend Sonnen sein.
142. Je mehr man sich ergibt, je mehr wird man geliebt
Warum wird Seraphin von Gotte mehr geliebt
Als eine Mück? Es ist, daß er sich mehr ergibt.
143. Die Selbheit, die verdammt
Dafern der Teufel könnt aus seiner Seinheit gehn,
So sähest du ihn stracks in Gottes Throne stehn.
144. Der Schöpfer kanns alleine
Was bildest du dir ein, zu zähln der Sternen Schar?
Der Schöpfer ists allein, der sie kann zählen gar.
145. In dir ist, was du willst
Der Himmel ist in dir und auch der Höllen Qual:
Was du erkiest und willst, das hast du überall.
146. Gott liebt nichts außer Christo
So lieb Gott eine Seel in Christi Glanz und Licht,
So unlieb ist sie ihm, im Fall er ihr gebricht.
147. Die Jungfernerde
Das feinest auf der Welt ist reine Jungfernerde;
Man saget, daß aus ihr das Kind der Weisen werde.
148. Das Gleichnis der Dreieinigkeit
Der Sinn, der Geist, das Wort, die lehren klar und frei,
So du es fassen kannst, wie Gott dreieinig sei.
149. Es läßt sich nicht bezirken
So wenig, als dir ist die Weite Gottes kund,