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Wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Theologie - Historische Theologie, Kirchengeschichte, , Sprache: Deutsch, Abstract: Seit alters her hat das Schicksal der „zehn verlorenen Stämme“ des Nordreichs Israel die Phantasie beschäftigt und Spekulationen ausgelöst. Sind die zehn verlorenen Stämme einfach in anderen Völkern aufgegangen, was die wahrscheinlichste, einfachste und unspektakulärste Antwort ist? Konnten sie sich geschlossen in andere Weltgegenden absetzen und können ihre Nachfahren demnach aufgespürt werden? Bis heute finden sich Hobbyforscher und ernsthafte Ethnologen, die in verschiedenen Weltregionen die Nachfahren oder zumindest Spuren der verlorenen Stämme gefunden haben wollen. Die Falaschas in Äthiopien oder Bergstämme in Afghanistan, auch geschlossene Dorfgemeinschaften in Indien und Pakistan werden genannt. Eine eigenwillige und bizarre Theorie entwerfen die Anhänger der Christian-Identity-Bewegung. Demnach sind die weißen Europäer, in ihrer Sprache die weiße Rasse oder auch Arier, die Nachfahren zumindest der zehn verlorenen Stämme. Die heute lebenden Juden hätten dagegen überhaupt keine Beziehung zum „auserwählten Volk“ und täuschten die Welt. Die Angehörigen der „weißen Rasse“ sind somit wahre Israeliten und damit auch Träger der in der Bibel versprochenen Verheißungen. Diese skurrile Ansicht könnte als exzentrische Schrulligkeit betrachtet werden. Leider verbindet sich mit dem Anspruch, das wahre Israel zu sein, eine Abwertung der Juden und des Staates Israel bei gleichzeitiger Relativierung, auch offener Leugnung des Holocaust. Juden und der jüdische Staat gelten als geradezu dämonisch. Sie sind die Übeltäter in der Geschichte und das ihnen widerfahrene Leid erfunden oder doch maßlos übertrieben. In Deutschland behauptet der Freundeskreis um die Zeitschrift Morgenland die Herkunft der weißen Europäer zu den wahren Nachfahren der zehn, ja sogar aller zwölf Stämme.
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Nach dem Tod König Salomos 926 v. Chr. zerbrach das israelitische Großreich, das sich aus den bekannten zwölf Stämmen zusammensetzte. Unter den Stämmen gärte es schon lange, Streitigkeiten über die richtige Einhaltung des Jahwe-Kultes und Klagen über zu große Steuerlasten zur Aufrechterhaltung des Königshofes führten schließlich zur Sezession. Unter König Jerobeam I. bildeten die zehn nördlichen Stämme unter Beibehaltung des Namens Israel das Nordreich. Die Stämme Juda und Benjamin sammelten sich unter König Rehabeam und behielten die alte Hauptstadt Jerusalem. Die kommenden Jahre sahen Bruderkriege und Bündniszeiten zwischen Juda und Israel.1
Eine neue Großmacht im Osten, das expandierende Assyrerreich, überrannte 722 v. Chr. das Nordreich und verschleppte große Teile der Bevölkerung, u. a. alle politischen und religiösen Führer, in andere Gegenden Assyriens und siedelte verschiedene andere Volksgruppen in Israel neu an. Von den Deportierten schweigt die Bibel und erzählt nur noch von den verbleibenden Stämmen Juda und Benjamin. Dieses Südreich wurde um 586 v. Chr. von dem eroberungshungrigen Babylon überrannt, der Tempel in Jerusalem zerstört. Auch die Babylonier praktizierten eine Zwangsumsiedlung und verschleppten große Teile des Volkes nach Babylon. Zwischen 538 und 420 v. Chr. kehren viele Nachkommen der Vertriebenen wieder nach Israel zurück, unter ihnen die aus der Bibel bekannten Propheten Esra und Nehemia.
Seit alters her hat das Schicksal der „zehn verlorenen Stämme“ des Nordreichs die Phantasie beschäftigt und Spekulationen ausgelöst. Sind die zehn verlorenen Stämme einfach in anderen Völkern aufgegangen, was die wahrscheinlichste, einfachste und unspektakulärste Antwort ist? Konnten sie sich geschlossen in andere Weltgegenden absetzen und können ihre Nachfahren demnach aufgespürt werden? Bis heute finden sich Hobbyforscher und ernsthafte Ethnologen, die in verschiedenen Weltregionen die Nachfahren oder zumindest Spuren der verlorenen Stämme gefunden haben wollen. Die Falaschas in Äthiopien oder Bergstämme in Afghanistan, auch geschlossene Dorfgemeinschaften in Indien und Pakistan werden genannt. Aber auch afrikanische Stämme wie die Ibo in Nigeria behaupten, Nachkommen der verlorenen Stämme Israels zu sein, ebenso wie die Angehörigen der Hata in Japan. Als Beweise gelten mündliche Überlieferungen der Einheimischen und zum Teil verblüffend jüdisch anmutende Religionsbestimmungen wie Speiseverbote, die Einhaltung des Sabbats oder die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt.
Mit der Entdeckung Amerikas im späten 15. Jahrhundert und der Begegnung mit den Ureinwohnern („Indianer“), erhielt die Suche nach den verlorenen Stämmen neue Nahrung. Noch die Religionsgruppe der Mormonen behauptet die Abkunft der „Indianer“ von israelitischen Einwanderern.2
Eine eigenwillige und bizarre Theorie entwerfen die Anhänger der Christian-Identity-Bewegung. Demnach sind die weißen Europäer, in ihrer Sprache die weiße Rasse oder auch Arier, die Nachfahren zumindest der zehn verlorenen Stämme. Die heute lebenden Juden hätten dagegen überhaupt keine Beziehung zum „auserwählten Volk“ und täuschten die Welt. Die Angehörigen der „weißen Rasse“ sind somit wahre Israeliten und damit auch Träger der in der Bibel versprochenen Verheißungen. Diese skurrile Ansicht könnte als exzentrische
1In der Bibel berichten das 1. und 2. Buch der Könige sowie das 2. Buch der Chronik ausführlich über diese Zeit der Wirren.
2Vgl. Thiede 2001.