Circle of Night - Die magische Bibliothek - Michelle C. Paige - E-Book

Circle of Night - Die magische Bibliothek E-Book

Michelle C. Paige

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Beschreibung

Das spannende Finale der YA Urban Fantasy Reihe von Michelle C. Paige!

Jason verbringt mit seiner Schwester Josie und seinem Freund Niklas die Weihnachtsferien in Paris. Doch statt die Zeit zu genießen, kämpft Jason mit Schuldgefühlen: Denn seit seine Kräfte geschwunden sind, kann er niemanden mehr beschützen - und Niklas wäre deswegen fast gestorben.

Als sich die Möglichkeit ergibt, in der berühmten magischen Bibliothek von Paris eine Heilung zu finden, mit der er seine Kräfte wieder aufbauen kann, ergreift er sie sofort.

Doch wo es Magie und Hexende gibt, sind magische Schwierigkeiten nicht weit. In den Katakomben der Bibliothek erwachen unruhige Geister ...

Der dritte Band der spannenden YA Urban Fantasy Reihe »Circle of Night« um die jungen Hexen und Hexer, die sich den Mächten des Bösen entgegenstellen und für Freundschaft, Liebe und eine bessere Welt alles riskieren.

ONE. Wir lieben Young Adult. Auch im eBook!

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Seitenzahl: 416

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Titel

Trigger

Widmung

Kapitel 1 – Jason

Kapitel 2 – Matteo

Kapitel 3 – Jason

Kapitel 4 – Matteo

Kapitel 5 – Jason

Kapitel 6 – Matteo

Kapitel 7 – Jason

Kapitel 8 – Matteo

Kapitel 9 – Jason

Kapitel 10 – Matteo

Kapitel 11 – Jason

Kapitel 12 – Matteo

Kapitel 13 – Jason

Kapitel 14 – Matteo

Kapitel 15 – Jason

Kapitel 16 – Matteo

Kapitel 17 – Gizem

Kapitel 18 – Jason

Kapitel 19 – Matteo

Kapitel 20 – Jason

Kapitel 21 – Gizem

Kapitel 22 – Jason

Kapitel 23 – Jason

Kapitel 24 – Matteo

Kapitel 25 – Jason

Kapitel 26 – Louisa

Kapitel 27 – Matteo

Kapitel 28 – Jason

Kapitel 29 – Matteo

Epilog

Inhaltsinformation

Nachwort der Autorin

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

Über dieses Buch

Das spannende Finale der YA Urban Fantasy Reihe von Michelle C. Paige!

Jason verbringt mit seiner Schwester Josie und seinem Freund Niklas die Weihnachtsferien in Paris. Doch statt die Zeit zu genießen, kämpft Jason mit Schuldgefühlen: Denn seit seine Kräfte geschwunden sind, kann er niemanden mehr beschützen – und Niklas wäre deswegen fast gestorben.

Als sich die Möglichkeit ergibt, in der berühmten magischen Bibliothek von Paris eine Heilung zu finden, mit der er seine Kräfte wieder aufbauen kann, ergreift er sie sofort.

Doch wo es Magie und Hexende gibt, sind magische Schwierigkeiten nicht weit. In den Katakomben der Bibliothek erwachen unruhige Geister ...

Der dritte Band der spannenden YA Urban Fantasy Reihe »Circle of Night« um die jungen Hexen und Hexer, die sich den Mächten des Bösen entgegenstellen und für Freundschaft, Liebe und eine bessere Welt alles riskieren.

Michelle C. Paige

Die magische Bibliothek

Eine YA-Urban-Fantasy-Reihe um die Hexen von Hamburg

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Dazu findet ihr genauere Angaben am Ende des eBooks.

ACHTUNG: Sie enthalten Spoiler für das gesamte Buch.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer Team vom ONE-Verlag

Für Rosi, die leider keins meiner Bücher mehr lesen konnte. Aber ich weiß, dass du stolz auf mich wärst.

Und für alle, die es nie gesagt bekommen haben: Ich bin stolz auf euch. Gebt nicht auf. It’s gonna get better. Promise.

Kapitel 1 – Jason

Was, wenn man einfach springt?

Jason konnte nicht der Erste sein, der sich über die Brüstung des Eiffelturms lehnte und darüber nachdachte.

Natürlich war das ein total absurder Gedanke. Immerhin gab es genug Gitter, die einen davon abhalten würden. Und wer dachte schon einfach mal so daran, sich von dieser Höhe zu stürzen?

Na ja, laut Jasons Therapeutin tatsächlich mehr Leute, als man erwarten würde, wie sie ihm vor einer Weile mal erklärt hatte. »Call of the Void« nennt man dieses Phänomen – den Wunsch, von einer Klippe oder vor ein Auto zu springen. Einen Wunsch, der nichts mit der Realität zu tun hat und nichts damit, dass man sein Leben beenden möchte. Vielmehr ein Kurzschluss im Gehirn, ein winziger Gedanke, der da gar nicht hingehört.

Dass das bei Jason allerdings seit einer Weile manchmal mehr war, so was wie eine fremde Stimme in seinem Kopf, die nicht aufhören wollte zu meckern, die ihm einreden wollte, dass das vielleicht doch gar nicht so absurd war, hatte er aber nicht mit ihr besprochen. Das wollte er sich nicht einmal selbst eingestehen.

Jason machte einen Schritt zurück, weg von der Brüstung, schloss kurz die Augen und sammelte sich, atmete tief durch.

Er hatte das im Griff.

Würde er seiner Therapeutin davon erzählen, würde die ein großes Drama daraus machen, obwohl sie ziemlich sicher genug andere Patienten hatte, denen es weit schlechter ging als ihm.

Ganz so schlimm war das alles dann doch nicht. Immerhin ließ er sich von dieser Stimme ja nicht überreden. Die rationale Seite seines Gehirns siegte jedes Mal. Es ging ihm gut. Kein Grund zur Sorge.

Kein Grund für Drama, obwohl Jason sich überaus bewusst war, dass er sich üblicherweise als Dramaqueen gab. Nur weil man das von ihm erwartete. Weil er sich selbst über so viele Jahre so etabliert hatte. Aber manchmal hatte er es satt, diese Person zu spielen, mit der er sich gar nicht mehr identifizierte. Manchmal fühlte er sich zu schwer, um zu schauspielern.

Nur wollte er vor allem auch stark für Josie sein, die mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen hatte, und für Niklas, der nichts mehr verdient hatte als Ruhe und Frieden nach so vielen Jahren der Tortur mit seiner Mutter.

Da konnte er nicht noch eine weitere Quelle für Sorgen sein.

Also ja, kein Grund zur Sorge. Jason würde sich ganz sicher nicht vom Eiffelturm stürzen.

Dennoch ließ der Gedanke allein ihn kurz frösteln.

Oder es lag einfach daran, dass es arschkalt war. Wer war noch mal auf die Idee gekommen, Weihnachten in Paris zu verbringen? Wer hatte seine ganze Familie und Niklas davon überzeugt, mitzumachen?

Ach ja, richtig, das war Jason höchstpersönlich gewesen.

Er verschränkte die Arme, rieb sie sich und nickte, um sich selbst zu überzeugen, dass es das alles wert war.

Denn die Aussicht auf die prachtvolle Architektur der Pariser Innenstadt, die in alle Himmelsrichtungen nicht enden zu wollen schien, war fantastisch und seine eiskalten Hände und Fußzehen definitiv wert.

Er atmete eine kleine Dunstwolke aus.

»Fall nicht.«

Niklas stieß Jason sanft mit der Schulter an, was ihn kurz aufschrecken und dann die Augen rollen ließ. Insgeheim genoss Jason jedoch die Wärme, die in ihm aufblühte in dem Moment, in dem Niklas ihn berührte.

Jedes Mal.

Niklas machte das jedes Mal mit ihm. Irgendwie.

»Sooooo romantisch, hm?« Niklas lehnte sich vor, stützte den Kopf auf die Hände und grinste genüsslich.

Das Lächeln auf seinen Lippen war so verdammt schön, es gab Jason einen Kick, der seinen vorher so verkrampften Magen entspannen ließ.

Und das Beste daran war: Niklas hatte keinen blassen Schimmer, was das eigentlich mit Jason machte.

»Wir sollten hier oben rumknutschen und rummachen, oder? Macht man doch so auf dem Eiffelturm.« Er wackelte schelmisch mit den Augenbrauen, berührte genüsslich sein eigenes Gesicht mit seiner Hand und stöhnte leise auf.

Jap. Dieser derbe Typ war es, der Jason dieses warme Gefühl bescherte. Warum auch immer. Wenn ihm das jemand vor einem Jahr erzählt hätte, hätte er denjenigen ausgelacht.

Und doch war da noch mehr.

Eine ganz besondere Bande zwischen ihnen, die sie enger zusammenschweißte als alles, was Jason vorher gekannt hatte.

Eine Verbindung, die Niklas mehr als nur diesen Schönling sein ließ, den er stundenlang einfach nur anschmachten konnte. In dem Moment, in dem Jason nicht direkt reagierte, musterte Niklas ihn nämlich eingehend, die übliche Schamlosigkeit überschattet von einem Funken Sorge. Als wüsste Niklas, dass da irgendwas unter Jasons Oberfläche brodelte.

»Oh, halt die Klappe!« Jason erwiderte sein Grinsen und stupste ihn an der Schulter. Er wich Niklas' Blick aus und lehnte sich an ihn, griff nach seiner Hand. Die wiederum war so kalt, dass Jason kurz zusammenzuckte. Sein Blick wanderte zu Niklas' Gesicht, zu der roten, schniefenden Nase. Überraschend war die aber auch nicht, weil Niklas natürlich nicht die richtigen Klamotten für kaltes Winterwetter eingepackt hatte. Typisch.

Dann wiederum war Jason sich gar nicht sicher, ob Niklas überhaupt Winterklamotten besaß, denn er hatte ihn nie danach gefragt. Seine Mutter hatte sich sicher nie darum gekümmert, dass er welche hatte, und dass Niklas nicht besonders gut darin war, sich um sich selbst zu kümmern, war allgemein bekannt. Also wollte er ihn dafür nicht verurteilen.

Jason atmete tief ein und beschwor den Bruchteil eines Feuer-Zaubers in seinen Händen, nahm Niklas' andere Hand ebenfalls und hielt sie beide, wärmte sie mit dem Zauber.

Niklas' Gesichtszüge wurden augenblicklich etwas weicher. Er schloss kurz die Augen, atmete auf. Wirkte friedlich.

Süß.

Jason lächelte in sich hinein.

Hände wärmen. Zumindest dafür bin ich gut genug.

Ihm entging nicht die feine, kaum sichtbare Narbe an Niklas' Augenbraue, die es vor ein paar Monaten noch nicht gegeben hatte. Die es nur gab, weil Jason nicht schnell genug, nicht gut genug gewesen war, um diesen Jungen, der ihm so viel bedeutete, davor zu bewahren.

Die entging ihm seitdem nie.

Niklas würde ihm das niemals vorhalten. Jason war sogar überzeugt davon, dass er die Narbe längst vergessen hatte und nicht einmal bemerkte, wenn er sich selbst im Spiegel sah. Doch für Jason war sie jedes Mal da, wenn er ihn anschaute. Das Erste sogar, was er bemerkte. Weil sie ihn daran erinnerte, wie sehr er dabei versagt hatte, ihn zu beschützen, als die untoten Wesen im Oktober London überrannt hatten. Jason schluckte.

»Kein Winter mehr ohne dich«, murmelte Niklas, schien förmlich dahinzuschmelzen und schmunzelte.

In dem Moment aber ließ Jason seine Hände los und stöhnte, als wäre er genervt, als meinte er das auch wirklich so.

Weil das die Rolle war, die er spielte. Weil er dieser leichtherzige Typ war, »der immer aussprach, was er denkt«, auch wenn es eigentlich das Gegenteil von dem war, was er dachte.

Edgy. Judgy.

Das war, was »Jason« definierte.

»Pack dir nächstes Mal einfach die richtigen Klamotten ein!« Jason ließ seinen Rucksack auf den Boden gleiten und öffnete ihn. Er zog einen Schal und eine Mütze heraus, die er Niklas in die Hand drückte, und dann noch ein Paar Handschuhe. Natürlich hatte er die Sachen heute Morgen alle wohlwissend für ihn eingepackt. Nicht, weil er nicht wusste, ob Niklas die besaß, sondern weil er wusste, dass Niklas sich nicht genug um diese Dinge kümmerte.

Am Ende des Tages würde Jason nämlich alles für ihn tun.

»Oho, ich sehe, du bist vorbereitet.« Niklas hängte den Schal total unnütz um seinen Hals, und die Mütze zog er falsch herum und halbherzig über seine Haare.

»Wenn man so einen unvorbereiteten Freund hat, muss man eben vorbereitet sein.« Jason baute sich etwas auf und stellte sich auf Zehenspitzen. Er richtete Niklas den Schal, damit er ihn auch wirklich warmhielt, und dann nahm er die Mütze, doch ehe er ihm die über die Haare stülpen konnte, griff Niklas nach seinen Handgelenken, suchte Jasons Blick und kam ihm dabei gefährlich nahe. Nicht, dass Jason diese Art »Gefahr« nicht guthieß. Niklas' Atem auf seiner Haut war wie eine Droge, von der er nicht genug bekommen konnte. Niklas leckte sich über die Lippen und richtete schnell den Blick auf seine eigenen Haare.

»Junge, nicht die Frisur!«, beschwerte er sich, woraufhin Jason schnaubte.

»Welche Frisur?« Er stellte sich noch etwas höher auf die Zehenspitzen und wuschelte ihm durch die sowieso schon strubbeligen Haare. Und Niklas ließ ihn. Wie immer.

Niklas holte theatralisch Luft. »Und das von Mr Zwiebellook!«

»Hey!« Jason hob mahnend den Zeigefinger und streckte die Arme aus, um seinen dreifach geschichteten grau-schwarzen Look, vollendet mit einem violetten Mantel, offen mit der Welt zu teilen. »Mein Zwiebellook ist classy und praktisch gleichzeitig! Du bist ja nur neidisch.«

»Total neidisch.«

Doch ehe Niklas sich dagegen wehren konnte, zog Jason ihm die Mütze über die Haare und schob die Strähnen, die ihm regelmäßig im Gesicht hingen, so zur Seite, dass es gewollt aussah. So, dass Jason zumindest behaupten konnte, die umstehenden Menschen würden neidisch auf ihn sein mit seinem gut aussehenden, klassischen Hollywood Sportsy High School Boyfriend.

Niklas verschränkte die Arme, tat beleidigt, sodass Jason ihm zufrieden die Handschuhe hinhielt.

»Leute, ich unterbreche nur ungern, aber ...«, piepste es auf einmal von hinten.

»Ich unterbreche nur ungern, aber was?« Stöhnend wandte sich Jason an seine Schwester, die über beide Wangen grinsend zwischen ihnen hin und her sah.

»Ihr seid echt so niedlich«, kommentierte sie, sodass Niklas ihr das Stirnband runter ins Gesicht zog. »Hey! Ist halt so!« Sie schubste ihn sanft und räusperte sich, als hätte sie etwas total Wichtiges zu sagen. Da war Jason gespannt. »Also, ich habe grade mit Matteo telefoniert –«

»Schon wieder?« Jason stöhnte. Nicht, weil es ihn tatsächlich nervte, eher aus Gewohnheit.

Immerhin war er Jason.

Und das war schlicht, was Jason tat.

Sie ignorierte ihn eiskalt. So wie es sich für eine Zwillingsschwester gehörte, die wusste, dass die Hälfte der Dinge, die er jeden Tag tat, Bullshit war. »Er hatte noch eine Idee, wo wir nach der Bibliothek schauen könnten. Unterwegs können wir uns die Stadt noch weiter ansehen. Und solange Mom und Dad selbst in ihrem Paris-Rausch sind, stört es sie auch nicht, wenn wir was anderes machen.«

Richtig.

Sie wollte unbedingt die Hexerei-Bibliothek von Paris finden. Die sagenumwobene, jahrhundertealte Großbibliothek der Hexerei-Gesellschaft, in der man angeblich jeden Zauber in einem der unzähligen Bücher finden würde, den man sich vorstellen konnte.

Das hätte er ahnen sollen, als er ausgerechnet Paris für die Weihnachtsferien vorgeschlagen hatte. Nur hatte er alles tun wollen, um nicht noch einmal nach London gehen zu müssen, was der ursprüngliche Plan ihrer Eltern gewesen war.

Aber von London brauchte er erst mal eine gewaltige Pause.

Allein der Gedanke an die Geschehnisse dort um Halloween ließ seinen Puls ansteigen.

»Gott, Josie, du bist echt besessen von dieser Hexerei-Bibliothek«, murrte er. »Können wir den Urlaub hier nicht einfach genießen? Oder bist du jetzt die zweite Louisa?«

Uff. Der saß.

Louisa hatten sie nämlich seit Monaten nicht mehr gesehen. Nach dem Wiederauftauchen von Noah war sie in die Niederlande zu ihren Tanten gegangen und hatte den Kontakt zu ihrer Gruppe abgebrochen. Und keiner von ihnen wusste so recht, ob sie etwas falsch gemacht hatten oder ob das einfach Louisas Ding war. Dafür kannten sie sich alle dann doch nicht lange genug.

Josie runzelte die Stirn, schien kurz erstaunt und musterte ihren Bruder, als hätte er ihr gerade eine leichte, mentale Backpfeife verpasst.

Shit. Das war gemein. Super gemacht, Jason ...

»Ey, ich hab keine Ahnung, was in letzter Zeit mit dir los ist, aber wir haben das zusammen geplant. Es ist nicht so, als wäre ich die Einzige, die diese Bibliothek finden will. Du wolltest doch auch –«

»Lass einfach gut sein, Josie, okay?«

Sie hatte recht. Natürlich hatte sie recht. Ursprünglich hatte er es für eine gute Idee gehalten, dort ein paar Bücher zu elementarer Hexerei zu suchen. Seit dem Kampf in London hatte er das Gefühl, seine Kräfte ganz und gar nicht mehr unter Kontrolle zu haben, obwohl er sie kurz davor mithilfe seines Mentors regeneriert hatte. Es dämmerte ihm zwar, dass das womöglich mehr mit ihm als mit seinen Kräften selbst zu tun hatte, aber wenn er in der Bibliothek eine Möglichkeit finden konnte, sie dennoch zurückzubekommen, dann musste er sie ergreifen. Er wollte einen Weg finden, sich mit seiner Hexerei wieder gut und »normal« zu fühlen. Was auch immer das am Ende bedeutete.

Doch jetzt, wo sie wirklich in Paris waren, hatte er schlicht und ergreifend Angst davor, es überhaupt zu versuchen.

Denn was, wenn ihm das nicht gelang?

Was, wenn er das nie in den Griff bekam?

Was, wenn er gar kein Hexer sein sollte?

Josie zog ungläubig eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme. Jason kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie fertig damit war, hinzunehmen, wie er sie hier gerade anging. Und er tat ihr tatsächlich unrecht, wusste sich jedoch nicht besser zu behelfen.

Aus einem Reflex heraus wollte er einen weiteren bissigen Kommentar ablassen. Wollte alles dafür tun, das Gespräch lieber in einem Streit eskalieren zu lassen, statt über das zu sprechen, was ihn wirklich beschäftigte.

Doch Niklas kam ihm zuvor.

»Ich verstehe immer noch nicht, warum Matteo nicht weiß, wo der Eingang ist«, warf Niklas unvermittelt ein, kratzte sich irritiert am Kopf, als wäre das ein ganz zufälliger Einwurf, als versuchte er hier nicht gerade, die Situation zu entschärfen.

Josies Schultern entspannten sich etwas, und sie atmete sichtbar auf, als sie sich an Niklas wandte. »Ich denke mal, um den Eingang geheim zu halten.«

»Aber vor wem? Wenn sie die ›Zivilisten‹ abhalten wollen, würde es doch reichen, wenn sie einen Zauber drauflegen. Schwupps, und die halten sich von dem Eingang fern.« Er runzelte die Stirn.

»Ist vielleicht so ein Exklusivitäts-Ding«, grummelte Jason. »Die wollen da ja vermutlich nicht jeden Hexenden drin haben.«

Josie sah ihn einen langen Moment an, schien das Kriegsbeil von ihrer Seite zu begraben. »Na ja, oder es ist ein Schutz gegen global gesuchte Verbrecher wie Noah.«

Noah.

Allein seinen Namen auszusprechen, bereitete Jason Gänsehaut.

Er war es immerhin gewesen, der seine Kräfte mit seiner Aktion so ins Ungleichgewicht gebracht hatte. Vor seinem Versuch, ihm und Gizem die Kräfte zu nehmen, hatte Jason diese sogar für eine Weile genossen. Hatte das Gefühl gehabt, einen Teil in sich selbst entdeckt zu haben, der ihm immer gefehlt hatte, der aber endlich da war.

Vielleicht sogar einen Weg, seine Zukunft zu formen, nachdem er so absolut gar keine Ahnung hatte, was er mit dieser anstellen sollte.

Es hatte ihn auf merkwürdige Weise erfüllt.

Hatte ihm das Gefühl gegeben, dass er wertvoll war.

Und nachdem ihm dieses Gefühl wieder genommen worden war, wollte er es unbedingt zurück. Aber gleichzeitig war die Angst zu groß, wirklich danach zu greifen.

Vielleicht sollte er komplett damit aufhören. Willow in London besuchen und seine Kräfte aufgeben. Diese ganze Hexerei hinter sich lassen ...

»Jedenfalls ...«, fing Josie noch einmal etwas vorsichtiger an und suchte den Blick ihres Bruders erwartungsvoll, der schnell zu Boden blickte. »... willst du wirklich nicht?« Ihre Stimme war jetzt sanfter.

»Ist spannender, als hier auf dem Turm rumzuhängen«, kommentierte Niklas. »Was treiben eure Eltern nur, dass sie den ganzen Tag hier verbringen wollen?«

»Puh, willst du gar nicht wissen.« Josie schmunzelte.

Jason schloss kurz die Augen, atmete tief durch.

Josie hatte die letzten beiden Tage bereits mit der Suche verbracht und nichts gefunden.

»Okay, von mir aus ...«

»Yeeeees!« Josie schmiss begeistert die Arme nach oben.

»Aber einer von euch muss mir was ausgeben.« Er grinste selbstgefällig. Fühlte sich auch fast wirklich so.

Jap. Das war's. Das war die Version von ihm, die gerade benötigt war, also warum nicht dieser Jason sein?

Bewaffnet mit einem Gingerbread Latte pro Person, die Josie ihnen spendiert hatte, ließen sie sich von ihrer Maps-App durch die Stadt navigieren. Die Straßen waren gesäumt von pompösen, einheitlich gestalteten hellen Sandstein-Fassaden von Wohnhäusern und aneinandergereihten Bäumen, die alle mit bunten, weihnachtlichen Lichtern geschmückt waren. Ein Restaurant reihte sich an das nächste. Wohin man blickte, waren Menschen, Einheimische und Touristen, die sich damit vergnügten, durch die Straßen zu laufen und Paris zu bestaunen.

Sie streiften mitten hinein ins Zentrum, überquerten eine der unzähligen Brücken über die Seine, vorbei am Palais de Chaillot, in den Stadtteil Chaillot und dann Richtung Triumphbogen – Matteos neuste Vermutung als Eingang zur Hexerei-Bibliothek.

Jason ging wie automatisch in den Selfie-Modus und ließ sich von der Stadt mitreißen. Immerhin waren sie wirklich hierhergekommen, um raus aus ihrem Alltag und Hamburg zu kommen und die Ferien zu genießen. Warum also nicht TikTok spammen, Niklas auf seine Fotos und Videos zwingen und so tun, als wäre Social Media die Wahrheit?

Außerdem konnte Jason somit eine weitere Attraktion von Paris abhaken, die er sich vor dem Urlaub rausgesucht hatte.

Der Triumphbogen und das Drumherum waren schon ziemlich cool. Er war riesig, so viel größer, als Jason ihn sich vorgestellt hatte. Die aus Stein gemeißelten Figuren, die ihn zierten, waren so detailliert, dass Jason beinahe die Augen vor Erstaunen aus dem Kopf fielen. Er hatte noch nie begriffen, wie solche Kunstwerke geschaffen wurden, wie viel Arbeit das gewesen sein musste. Aber sie waren definitiv wunderschön. Seiner Meinung nach war das hier Kunst, nicht die komischen Striche aus weißen Leinwänden, die heutzutage als »Kunst« verkauft wurden.

Mehrere Straßen liefen dort zusammen und bildeten einen Kreisel um die Sehenswürdigkeit herum. Um tatsächlich zu dem Gebilde zu gelangen, sollte man eine Unterführung unter den Straßen nehmen.

Zugegeben: Das war wahrhaftig das perfekte Versteck für einen Eingang in solch eine mysteriöse Bibliothek. Doch sobald Jason das bewusst wurde, stellten sich seine Nackenhärchen auf. Was, wenn dort tatsächlich der Eingang war? Dann gab es keine Ausflüchte mehr.

Doch ehe sie die Unterführung überhaupt betraten, stockten Josie und Niklas neben ihm.

Irritiert stoppte auch Jason. »Was?«, wollte er wissen.

Josie war auf einmal ganz ruhig.

Überhaupt war es vollkommen ruhig um sie. Sie waren ganz allein hier. An einem Ort, der voller Touristen sein sollte. Das hier war ein Pariser Wahrzeichen.

Menschenleer.

Jason schluckte.

Seit sie die Hexerei entdeckt hatten, hatten menschenleere Straßen noch nie etwas Gutes bedeutet.

Das ungute Gefühl in Jasons Magengegend wurde schlimmer.

»Das muss es sein.« Josie kniff die Augen ein wenig zusammen, um den Bogen genauer zu inspizieren. »Oder? Es muss ein Zauber auf dem Eingang liegen. Deshalb ist niemand hier.«

Sie tat bereits einen Schritt, um die leere Straße zu überqueren, als Jason sie schlagartig an der Hand packte.

»Warte!« Er starrte sie mit großen Augen an. »Da könnte auch sonst was dahinterstecken! Bisher hatten wir noch nie Glück mit diesen Dingen!«

Josie runzelte die Stirn, schaute zum Triumphbogen und dann wieder zurück zu ihrem Bruder. »Lass uns zumindest mal schauen.« Sie zuckte die Schultern. »Ich sehe hier nichts Bedrohliches. Ihr?«

Niklas zuckte mit den Schultern. »Von mir aus ...«

Jasons Herz sank. »Leute ...«

»Du kannst sonst hier warten?«, schlug Josie ihm vor.

Auf keinen Fall würde er allein hierbleiben!

»Schon gut.« Er stöhnte.

Trotz der Tatsache, dass bisher noch nichts Bedrohliches zu sehen war, wollte Jason am liebsten wegrennen, und das, obwohl er Hexer war und ein Zauber laut den »Regeln« der Hexerei ihn ganz und gar nicht abschrecken sollte, nur die Nicht-Hexenden.

Immer wieder schaute er sich nervös um, während sie die Straße überquerten und sich dem potenziellen Eingang der Pariser Hexerei-Bibliothek näherten.

Direkt neben dem Wahrzeichen stehend wirkte dieses noch so viel gigantischer. Massiv und mächtig.

Josie tastete sich an dem Stein entlang. »Okay, haltet die Augen auf. Wo könnte dieser Eingang sein?«

Die Gänge des Triumphbogens waren gesäumt mit metallenen Zäunen, wie man sie auch bei Konzerten fand, vermutlich, um üblicherweise die Touristen zu lenken.

Aber von einem Eingang war keine Spur.

Jason bekam Gänsehaut.

Um sie war es schauderhaft still. Unnatürlich still.

»Vielleicht brauchen wir einen Zauber, um den Eingang zu sehen.« Josie sah die Jungs zweifelnd an. »Spürt ihr irgendwas?«

»Ich spüre nur, dass wir hier abhauen sollten«, stieß Jason angespannt hervor. Ihm wurde kälter und kälter, das Bedürfnis in ihm, zu rennen, wuchs an.

Immer wieder sah er sich um. Es war keine direkte Gefahr zu erkennen. Keine Schattendämonen. Keine Zombies.

»Vielleicht hat Matteo noch einen Tipp?«, warf Niklas ein, nahm dann Jasons Hand und drückte sie fest. Fast so, als verstände er, wie sehr Jason das gerade brauchte. Fast so, als könnte er dieses ungute Gefühl ebenfalls in sich spüren.

»Gute Idee!« Josie streckte begeistert einen Finger aus und fummelte ihr Handy aus der Jackentasche. »Vielleicht hat er ja auch eine Idee, wie wir –«

Ein lautes Rumpeln ließ sie alle zusammenfahren.

Jason sah erschrocken hoch – wo der riesige Kopf einer der Steinfiguren sich wie von selbst löste.

Seine Augen weiteten sich.

Das Ding würde auf sie krachen!

Er hatte keine Ahnung, was er tat.

Ein Reflex.

Im Bruchteil einer Sekunde.

Er packte Josie und Niklas, riss sie mit sich zur Seite.

Mit aller Kraft, die er in sich trug.

Nur einen Wimpernschlag später schlug der steinerne Kopf auf dem Boden auf – wo sie eben noch gestanden hatten.

Jasons Herz explodierte in seiner Brust.

Sie alle starrten fassungslos.

Was. Zur. Hölle.

Niklas war der Erste von den dreien, der sich rührte, der Jason und Josie an den Armen auf die Beine zog.

»Lauft, Leute, wir müssen hier weg!«

Doch als sie sich umdrehten, um loszurennen, schwangen die metallenen Ketten der Absperrpoller, die sich um das ganze Gebilde schlangen, gefährlich hin und her.

Lösten sich heraus. Zogen sich um ihnen zusammen.

Wie von Geisterhand.

Und versperrten ihren Ausweg.

Kapitel 2 – Matteo

Als der Feueralarm losplärrte, presste Matteo sich die Hände auf die Ohren. Er fluchte laut dem höllischen Piepen entgegen, schaltete den Ofen aus und zog ihn mit dem Fuß auf, sodass sich noch mehr Rauch in seiner schmalen Küche ausbreitete.

Mit einer schnellen Handbewegung ließ er einen Wasserstrahl durch einen Zauber aus dem Wasserhahn in den Ofen spülen, um ihn abzukühlen, und zog das Wasser dann wieder mit derselben Hand zurück, um den Ofen zu trocknen. Mit einer weiteren Geste ließ er eine milde Brise durchs Fenster ziehen, die den Rauch nach draußen trug.

Fast so, als wäre nichts passiert.

Puh ...

Ohne seine Zauberei wäre er echt aufgeschmissen.

Matteo lächelte amüsiert in sich hinein und lehnte sich gegen einen der Unterschränke der winzigen Küche, in der er sich wie ein Riese fühlte. Auf so engem Raum zu leben, war er nicht gewohnt, nachdem er seit seiner Kindheit in der Akademie endlos viel Platz gehabt hatte.

Aber was anderes konnte er sich allein in Hamburg nicht leisten. Und auch wenn Josie und Jason angeboten hatten, dass er bei ihnen unterkommen könnte, wäre ihm das zu unangenehm gewesen. Immerhin war er ein paar Jahre älter als Josie. Und ehrlicherweise fürchtete er sich deshalb förmlich vor ihren Eltern, auch wenn diese angeblich kaum zu Hause waren. Man wusste nie. Ein Abendessen hatten sie zusammen verbracht, und er hatte sich wie in einem Verhörraum gefühlt.

Er fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht. Ja, er war müde und erschöpft. Aber irgendwie auf eine ... gute Weise?

In Hamburg hatte er endlich etwas, das er so vorher nicht gekannt hatte: ein ruhiges Leben.

Eins ohne komplett strukturierte Tage, Übungen und echte Vorfälle, um die er sich kümmern musste. Jeder Tag war von vorn bis hinten gefüllt gewesen. Er hatte nie Zeit gehabt, sich überhaupt ein anderes Leben auszumalen. In seinem Kopf hatte er dieses Leben komplett angenommen und nicht erwartet, jemals etwas anderes zu machen.

Doch jetzt war er auf einmal hier. Und das war so befreiend, dass es manchmal fast beängstigend war.

Vorsichtig griff er nach dem Blech, beschwor dabei einen Eiszauber um seine Hände, damit er sich nicht verbrannte, sodass die Resthitze in kleine Dunstwölkchen verpuffte. Vielleicht war es nicht die klügste Idee gewesen, mit Anfang zwanzig und kaum Erfahrung ganz spontan ein Café in einem anderen Land zu übernehmen, aber zumindest wusste er sich mit diesen kleinen Tricks zu helfen. Immerhin war er ein voll ausgebildeter Krieger, bereit, es mit jeglichen übernatürlichen Wesen aufzunehmen. Dagegen war der perfekt aufgegossene Kaffee doch gar nichts.

Der geborene Bäcker war er offensichtlich nicht. Nur nahm er sich dennoch vor, beim Gebäck nicht zu schummeln. Das wollte er so meistern, ganz ohne Hexerei.

Erschöpft lehnte er sich an die Arbeitsplatte, begutachtete die schwarz verbrannten und jetzt auch noch vom Wasser aufgeweichten Cookies auf dem Blech, die er eigentlich hatte mit ins Café bringen wollen, um sie den Kunden als »Goodies« mitzugeben. Er hatte Stunden damit verbracht, sie ordentlich hinzubekommen, handgemacht und so, weil sonst alles im Café aus gefrorenen Teigen bestand, die er sich liefern ließ. Und eigentlich war das bisher auch gut genug gewesen. Aber jetzt, so kurz vor Weihnachten, wollte er eben noch einen obendrauf setzen.

So wie immer.

Sein erster Impuls war damals sogar gewesen, das Café als seine neue Herausforderung zu sehen. Sein Projekt, auf das er sich stürzen konnte. Mittlerweile war es mehr. Fast sein ganzes Leben, was ihm auf eine merkwürdige Weise innere Ruhe gab.

Klar, das Backen hatte er noch nicht so drauf, aber irgendwie wollte er glauben, dass das noch kommen würde. Und zum ersten Mal seit Jahren hatte er das Gefühl, genau da zu sein, wo er gerade sein sollte. Für Josie war er hier ursprünglich hergekommen, und jetzt war es zu so viel mehr geworden.

Normalerweise sah er Josie zumindest einmal am Tag. Und das gab ihm Mut, dass das, was er hier machte, tatsächlich genau richtig war. Denn natürlich beschwerte sich der innere Perfektionist in ihm oft genug darüber, dass er das ganz und gar nicht gut genug machte.

Jetzt, wo sie mit ihrer Familie für eine Woche nach Paris gegangen war, fühlte er sich manchmal ein wenig hilflos. Das Sicherheitsnetz fehlte ihm. Aber vielleicht war das sogar gut so. Immerhin war es nie eine gute Idee gewesen, für Josie, die er gerade einmal für zwei Wochen kannte, seine Heimat zu verlassen. Er musste hier sogar ganz allein mit sich selbst bestehen, wenn das nun sein neues Leben sein sollte.

Matteo schloss die Augen, ging das Telefonat von vorhin noch einmal in seinem Kopf durch und schmunzelte, als er daran dachte, dass er Josie so intensiv lachen gehört hatte, dass sie gegrunzt hatte. Die beste Art ihres Lachens.

Seiner Meinung nach das beste Lachen der Welt.

Eine angenehme Wärme überkam ihn, denn trotz allem konnte er es einfach nicht erwarten, dass sie zurück nach Hause kam.

Hamburg war bereits seit Wochen eklig grau und verregnet – fast so wie London –, aber zumindest war die Innenstadt beleuchtet mit bunten Weihnachtslichtern, die etwas Farbe in den öden Alltag brachten. Josie und die anderen hatten außerdem geholfen, dieses Feeling auch ins Café zu bringen, mit lauter bunten Ornamenten und Lichterketten.

Jeden Mittag, wenn er aus der kleinen Wohnung runter zum Café kam, sah er sich zögerlich in dem noch düsteren Raum um, jederzeit bereit, zu kämpfen, sollte es nötig sein. Nicht, dass er einen Grund dafür hätte. Bisher war hier nie etwas passiert. Trotz der Tatsache, dass Noah zurück in Hamburg war. Er hatte sein Wort gehalten und hatte seit der Begegnung mit ihm am Hauptbahnhof damals keinen von ihnen aufgesucht.

Dennoch hatte Matteo ein waches Auge, war sich sogar ziemlich sicher, dass er ihn ab und an auf dem Platz draußen vor dem Café gesehen hatte. Immer mal wieder und nur für kurze Momente. Wie ein Schatten, der kam und ging. Aber es war ziemlich sicher er. Das spürte Matteo, denn es schien, als fiele es ihm immer schwerer, seine magische Aura zu verbergen.

Auch jetzt betrachtete Matteo den verregneten Platz draußen, der heute aber fast menschenleer war. Keine Spur vom Schatten Noahs.

Natürlich war das Café auch an diesem Mittag ruhig und leer. Niemand lauerte in den dunklen Ecken. Er knipste die Lichter an und verschwand dann in die Küche für die täglichen Vorbereitungen.

Dass Niklas, der sonst im Café aushalf, aktuell fehlte, merkte Matteo leider besonders jetzt in der Woche vor Weihnachten.

Und alles, was damit einherging. Die Spezialanfragen. Alles mit Zimt und die Gingerbread Lattes. Die Angebote von Bäckereien und Konditoreien, die verführerisch klangen, die aber auch teuer waren, wenn er sie annahm. Die ganze Buchhaltung, mit der ihm Josies Eltern zwar halfen, die ihn dennoch nervös machte.

Jetzt war er auf einmal ganz auf sich allein gestellt. Wenn das nicht mal die perfekte Herausforderung war, um sich selbst zu beweisen, dass er das jederzeit hinbekommen würde, wenn er sich da jetzt durchschlug.

Die ersten Gäste warteten bereits ungeduldig an der Tür, Minuten vor der eigentlichen Öffnungszeit.

Die üblichen Verdächtigen. Fast schon wie Fangirls.

Eine dreiköpfige Gruppe junger Frauen, die hier in Hamburg studierten und ihre Lernsessions gerne in diesem Café verbrachten – so viel hatte er in den letzten Wochen über sie herausgefunden. Deren »das Übliche« war mittlerweile in seinem Kopf verankert.

»Wo ist denn deine Freundin so kurz vor Weihnachten?«, wollte eine der Studentinnen wissen, als er ihnen ihre Swiss Mokkas brachte. Sie musterte ihn interessiert.

Und auch wenn er sich natürlich immer mal wieder mit ihnen unterhalten hatte, überraschte es ihn, dass sie ihn so darauf ansprach. Sonst waren sie nie so direkt. War das wirklich nur, weil Josie nicht da war?

»Paris.« Er stellte die Tassen mit den mit unterschiedlich viel Sahne und Kakaopulver versehenen Getränken vor die jeweilig passende Studentin. »Das war die coolere Alternative zu Hamburg.« Er zuckte mit den Schultern und grinste schief. »Bin schon etwas neidisch.«

»Ach und du musstest das Café hüten und konntest deshalb nicht mit?«, fragte eine andere junge Dame. »Schade.«

»Jep.« Er klemmte sich das Tablett unter den Arm. »Macht ja aber auch Spaß.«

Zwei der Studentinnen schmunzelten miteinander.

»Was darf's denn heute als Besonderheit geben?«, fragte er schließlich neugierig, weil das mittlerweile der Standard war. Was die Stückchen betraf, wollten sie nie zweimal hintereinander dasselbe.

»Überrasch uns.« Eine schmunzelte. Matteo verstand.

Oh, und wie er verstand. Natürlich gestand er ihnen das niemals zu. Natürlich tat er weiter so, als wäre er total unwissend und blind, als verstände er die Blicke nicht, die sie ihm zuwarfen. Immerhin waren sie seine Kundinnen. Da konnte er schon mal kalkuliert so tun, als wäre er einer dieser Typen, die nicht checkten, wenn man mit ihnen flirtete.

Und darauf gingen die zwei, die das immer wieder taten, total ein. Waren sich womöglich sogar schon sicher, dass sie ihn in der Tasche hatten. Dass auf der nächsten Serviette vielleicht endlich seine Nummer stand.

Wenn sie nur wüssten, wer er wirklich war ...

Natürlich durften sie das nie erfahren. Es war sogar seine Pflicht, seine Identität als Hexer geheim zu halten. Die Hexerei-Gesellschaft geheim zu halten. Auch wenn es keine besonders große in Deutschland gab. Er würde niemals vor ihnen zaubern dürfen, ansonsten müsste er ihre Erinnerungen verändern. Und das waren düstere Zauber, von denen er lieber die Finger ließ.

Ein lautes Donnern ließ Matteo, aber auch die jungen Frauen aufschrecken.

Ihn überkam ein ekliges Gefühl. War das ... könnte das ... ein Zauber sein? Er schluckte, hielt kurz den Atem an. Seit er in Hamburg lebte, gab es keine hexerischen Zwischenfälle, was wohl hauptsächlich daran lag, dass es in Deutschland kaum Hexende gab. Aber was, wenn ...

Er strich sich nervös über den Nacken und ging langsam auf die Tür des Cafés zu.

Bestimmt war das gar nichts ... bestimmt war das nur ...

Ein weiteres Donnern bebte durch die Luft, und für den Bruchteil einer Sekunde war Matteo wieder in London. Inmitten einer Schlacht. Flammende Säulen rasten auf ihn zu, seine Freunde schrien, er war wie erstarrt, er ...

Ein Blitz zuckte durch die Regenwolken.

Jemand hinter ihm lachte auf.

Sein Herz sank.

»Ein Gewitter?« Eine der Studentinnen stimmte ins Lachen mit ein. »Mitten im Winter? Wow.«

»Ja, Klimawandel lässt grüßen«, stimmte die andere zu. »Ist eh krass, wie warm es so kurz vor Weihnachten mal wieder ist.«

Da war noch ein Donnern, und Sekunden später zuckte ein weiterer Blitz am Himmel.

Matteo schüttelte den Kopf, wollte die Augen über sich selbst verdrehen.

Es war ein Gewitter. Ein banales Gewitter. Keine Monsterinvasion, keine bösartigen Hexenden, die die Stadt überfielen. Ein Gewitter, nichts weiter. Wow ...

Plötzlich überkam ihn eine Scham, die er so gar nicht von sich kannte.

Hoffentlich hatte niemand seine Überreaktion bemerkt.

Es dauerte ein paar Augenblicke, bis er die Energie, die seinen Körper unbewusst elektrisiert hatte, wieder mit seiner Atmung beruhigte.

Alles war gut. Er musste heute nicht kämpfen. Heute nicht und womöglich nie wieder.

Trotz allem stand er immer noch etwas unter Strom.

Aber vielleicht war das gar nicht so schlimm, denn das plötzliche Gewitter trieb weitere Gäste ins Café, und ihm wurde immer bewusster, dass das einzige »Monster«, dem er sich hier stellen musste, ein ganz anderes war: dieses Café am Laufen zu halten. Das war der Endgegner. Einer, dem er sich stellen wollte.

»Hey, Erde an Matteo!« Gizems erhobene Stimme riss ihn aus den Gedanken. Sie stand vor ihm am Tresen, halb durchnässt und vermutlich eben gerade kurz nach den ganzen anderen Gästen reingekommen.

»Nicht ganz wach?«, rätselte sie, woraufhin Matteo zaghaft schmunzelte.

»Vermutlich.« Er lehnte sich über den Tresen, gab Gizem ein Handtuch und ließ sich erschöpft auf den Hocker neben der Theke nieder. »Wollte heute Morgen backen, ums mit ins Café zu bringen.«

Gizem zog sich die nasse Mütze vom Kopf und drückte das Wasser aus. Sie hob neugierig eine Augenbraue. »Und?«

»Was wohl?« Er lachte auf. »Hab fast die Küche abgefackelt.« Dann grinste er. »Aber nur fast.«

Gizem stimmte in das Grinsen mit ein, zuckte dennoch galant mit den Schultern. »Weißt du, du kannst auch einfach die Meisterin der Backkünste fragen.« Sie zog sich die nasse Jacke aus und wrang die Haare mit dem Handtuch aus. »Ich kann dir da bestimmt was ... zaubern.« Sie zwinkerte amüsiert.

»Das hättest du wohl gerne.« Er lehnte sich zurück. »Ich muss es doch irgendwie lernen.«

»Kann es dir ja zeigen.«

»Ich habe schon immer besser für mich allein gelernt.« Er zuckte mit den Schultern.

»Matteo, du weißt, dass ich dir gerne –«

»Ich weiß, aber ich weiß auch, dass du Nachtschicht um Nachtschicht schiebst. Da werde ich dir kaum noch mehr aufladen.« Auf keinen Fall würde er die Hilfe von jemandem annehmen, der sich selbst viel zu viel auflastete.

»Wie du meinst.« Sie lehnte sich neben ihn an die Theke, beobachtete die Kunden. »Aber ich hab mir sagen lassen, Hilfe anzunehmen, ist keine Schande.« Sie zuckte die Schultern. »Und ich backe gerne. Das entspannt mich.«

»Ich weiß ...« Er seufzte. »Ich weiß.« Er musterte Gizem verwundert, nachdem sein Blick auf die Uhr im Café gefallen war – gerade mal 14 Uhr. »Was machst du eigentlich hier? Und um die Zeit? Bist du nicht sonst den ganzen Tag unterwegs?«

Gizem seufzte, setzte sich auf den Stuhl neben ihm und lehnte sich entnervt dagegen. »Hab frei bis übermorgen.« Sie schluckte kaum merklich. »Der Chef hat gesagt, ich muss eine Pause einlegen, damit ich nicht wieder so einen Mist baue wie Anfang Oktober.« Sie biss sich kurz auf die Lippe. »Lange Geschichte. Egal. Jedenfalls wurde ich quasi zu eineinhalb Tagen Freizeit verdonnert.«

Matteo runzelte die Stirn. »Und das ist was Schlechtes?«

»Wenn du versuchst, jede freie Minute deines Tages mit Arbeit zu füllen, damit du keine Freizeit hast, in der du dir Gedanken um andere Dinge machen kannst, dann ja ...« Sie sah ihm fest in die Augen. »Dann ist das was Schlechtes.«

Matteo musterte Gizem eingehend. Sie hatte deutliche dunkle Ringe unter den Augen und wirkte erschöpft, aber er wusste, dass sie so viele Schichten schob, weshalb ihn das nicht gewundert hatte. Das war ja mehr oder weniger, was er in den Jahren an der Akademie selbst gemacht hatte. Dass sie das allerdings freiwillig tat, um sich von anderen Dingen abzulenken? Das war ihm nicht bewusst gewesen.

Gizem war immer mal wieder auf einen Besuch beim Café vorbeigekommen. Meist nur in ihrer Mittagspause oder kurz vor Schluss auf einen Kaffee vor ihrer nächsten Schicht. Doch weder im Café noch damals in London hatte er je die Gelegenheit gehabt, sie so richtig kennenzulernen. Vermutlich war sie sogar die aus der Gruppe, die er am wenigsten gut kannte. Niklas und Jason waren durch Josie schon Teil seines Alltags geworden. Gizem hingegen blieb ein Buch mit sieben Siegeln. Und vielleicht war es an der Zeit, etwas dagegen zu tun, nachdem sie nun quasi zu zweit allein in Hamburg »zurückgeblieben« waren.

Er nickte, weil er verstand, was sie meinte, weil er auch ihr das Gefühl geben wollte, dass er verstand. Er setzte bereits an, weiterzubohren, herauszufinden, was dahintersteckte, als ein Kunde nach ihm winkte. Und noch einer.

Matteo sprang auf. »Die Arbeit ruft!« Er wandte sich noch einmal an Gizem. »Sorry!«

Die winkte ab und nahm sich die Menükarte, die sie bereits auswendig kennen musste.

»Dass die Arbeit ruft, versteht keiner so gut wie ich.« Sie lächelte müde, doch zu Matteos Überraschung blieb sie am Tresen sitzen, statt kurz danach wieder zu verschwinden, auch wenn Matteo von einem Tisch zum nächsten eilte. Aber sie beobachtete ihn. Er konnte ihren Blick in seinem Rücken förmlich spüren.

Und erst als er mehrere Bestellungen auf einmal versuchte, zu balancieren, sprang sie von ihrem Stuhl auf und nahm ihm grinsend eine davon ab.

Matteo zog scharf die Luft ein. »Nein, Gizem, das ist dein freier Tag, du –«

»Ach komm.« Sie nahm ihm eine weitere Bestellung ab, die drohte, zu kippen. »Lass mich helfen. Ich will doch die Beschäftigung. Und als Bezahlung schuldest du mir einfach deine Freizeit heute Abend, damit ich nicht allein in meiner Wohnung sitzen muss.« Sie grinste. »Deal?«

Matteo blickte sich im komplett gefüllten Café um, dass quasi danach verlangte, ihre Hilfe anzunehmen.

Ein paar Stunden später, nachdem Gizem sich eine kurze heiße Dusche bei ihm gegönnt hatte, saßen sie vor seinem Laptop und verbrachten viel zu viel Zeit damit, einen Netflixfilm rauszusuchen.

Gizem schlürfte gemütlich an dem Tee, den Matteo ihr gemacht hatte, und schien sich gar nicht so sehr über die schier unmögliche Filmauswahl zu ärgern wie er.

Schließlich lehnte er sich erschöpft gegen die Rückenlehne der Couch. »Boah ...«, fing er zögerlich an. »Und du hast auf nichts Bestimmtes Lust?«

Gizem zuckte mit den Schultern. »Normal bin ich nicht die, die aussucht.«

»Hmm ...« Matteo musterte sie interessiert. »Sondern?«

Gizem grinste, als fühlte sie sich ertappt, sah ihn aber nicht an. »Meine Mutter.« Sie leckte sich über die Lippen. »Oder Louisa.«

»Aha.« Matteo schlürfte an seinem eigenen Tee.

»Was, ›aha‹?« Sie stierte zu ihm rüber.

»Nichts.« Er schmunzelte. »Du hast sie immer noch nicht erreicht?«

Gizem seufzte. »Nope. Scheint so, als wollte sie nicht erreicht werden. Vielleicht will sie auch einfach nur nicht von mir erreicht werden, keine Ahnung.«

»Josie hat es auch schon versucht«, versicherte er ihr. »Kein Erfolg.«

»Hm.« Gizem nickte, stellte die Tasse zurück auf den Tisch, wich seinem Blick aber aus und verschränkte die Arme. »Gut zu wissen.«

»Wirklich komisch, dass sie einfach so weggegangen ist ...« Er schüttelte irritiert den Kopf.

»Vielleicht hat sie keine Lust mehr auf die Hexerei?« Gizem legte den Kopf schief. »Sollte ich ja eigentlich am besten von uns allen verstehen. Aber ...«

»Ihr wart enge Freunde.« Matteo und ihr Blick trafen sich endlich, und in Gizems Augen war eine gewisse Traurigkeit eingekehrt.

»Ja. Enge Freunde«, bestätigte sie und seufzte. »Was glaubst du, warum ich so viel arbeite? Ich muss mich echt ablenken, damit ich nicht ständig an sie denke.«

»Oh.« Matteo wusste nicht, wo er hinschauen sollte. Natürlich hatte er die zwei bereits zusammen erlebt. Und da war etwas zwischen den beiden gewesen, das er nie hatte komplett greifen können. War da mehr als nur Freundschaft zwischen ihnen gewesen?

»Ach komm. Ich weiß schon, dass es offensichtlich ist.« Gizem lachte. »Für alle außer Louisa zumindest.«

»Also bist du in sie ...«

Gizem hielt sich etwas fester an ihrem Tee fest. »Jap.« Sie nickte resignierend. »Ich bin in Louisa verknallt. So richtig. Vermutlich tut der Abstand sogar gut. Weil das Interesse nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Ich sollte mich eigentlich woanders umschauen.« Sie schlürfte noch etwas von ihrem Tee.

»Und sie empfindet ganz sicher nicht dasselbe für dich?«, hakte Matteo nach, wagte es nicht, nach dem Popcorn zu greifen. »Vielleicht ist sie nicht ...«

»Nein. Ich glaube tatsächlich nicht, dass sie das für irgendjemanden empfindet.«

»Oh, also ist sie Ace?«

»Vielleicht. Ich weiß es natürlich nicht genau, aber es könnte gut sein. Vermutlich weiß sie es selbst gar nicht.«

»Verstehe ... Mist.«

»Mist?« Gizem lachte auf und zuckte dann mit den Schultern. »Immerhin ist sie meine beste Freundin. Das ist vielleicht das Beste, was mir je passieren konnte. Wenn ich sie denn jemals wiedersehe.« Sie schluckte. »Shit.« Seufzte. »Lass uns mal nicht so viel über Gefühle reden.« Sie wedelte mit der Hand, deutete auf den Laptop. »Mach einfach irgendwas an.«

Matteo beobachtete Gizem für einen langen Moment. Er fühlte sich schlecht für sie, obwohl sie das vermutlich auf gar keinen Fall wollte. Immerhin hatte sie recht. Über Gefühle zu reden, war normalerweise auch nicht so Matteos Ding. Josie hatte ihm dahingehend etwas »beigebracht« – wie man das so machte und so. Aber wenn es nicht sein musste, würde er es ganz sicher nicht extra heraufbeschwören.

»Hast du eine Lieblingsschauspielerin?«, fragte Matteo und wackelte mit den Augenbrauen.

Gizem setzte sich sofort etwas auf. »Du?«, wollte sie wissen. Beide lachten.

»Okay, lass mal sehen ...« Matteo scrollte durch die Filmauswahl – als Gizems Handy auf dem Tisch losging.

Beide schauten drauf, Gizem vielleicht insgeheim mit dem Wunsch, dass es Louisa war, doch dann ploppte der Name »Josie« auf, und Matteo stockte.

Überrascht nahm Gizem den Anruf an, hielt dabei Blickkontakt mit Matteo und grinste.

»Hey Josie, du musst dir echt keine Sorgen machen, ich stehe nicht auf –«

Eine aufgeregt sprechende Josie am anderen Ende der Leitung, die Matteo nur leise hörte, brabbelte auf Gizem ein.

»Okay, okay, ganz ruhig«, versuchte Gizem zu beschwichtigen. Ihr Gesicht war auf einmal ernst, anders, abgeklärt. »Josie? Hey, Josie! Atme mal kurz durch, okay? Wo seid ihr denn? Das klingt ... was? Ihr habt was? Hey, Josie?« Matteo hatte mittlerweile die Augen aufgerissen, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Ein hastiger Blickkontakt mit Gizem, und sie legte das Handy auf den Tisch, machte den Lautsprecher an.

»Ich ... ich, keine Ahnung. Irgendjemand hat uns angegriffen und wir ...« Josies Stimme zitterte. Matteo hielt die Luft an.

»Josie?« Er sagte ihren Namen klar und deutlich. »Wo genau seid ihr? Was ist passiert?«

»Matteo?« Ihre Stimme war panisch. »O Gott! Wir ... der Triumphbogen! Wir haben ... Ah!« Sie stieß einen Schrei aus. »Ich wollte –«

Ein lauter Knall.

Das Geräusch eines fallenden Handys.

Ein Schrei irgendwo im Hintergrund.

Dann Stille.

Freizeichen.

Matteo fuhr in die Höhe.

Kapitel 3 – Jason

Sie waren eingekesselt.

Von einer unsichtbaren Kraft, die die metallene Kette immer enger und höher um sie schlang. Und da war noch mehr. Eine Energie umgab diese Kette, die sich unüberwindbar anfühlte. Die sie dort einpferchte. Als wäre da jemand, der sie in eine Falle gelockt hatte. Sie konnten diesen Jemand nur nicht sehen.

Oder doch?

Jason blinzelte irritiert, als er das Gefühl hatte, etwas bei den Ketten flimmern zu sehen. Nur für einen kurzen Moment, dann war es wieder verschwunden. Hatte er sich das nur eingebildet?

»Was zur Hölle?« Josie richtete sich auf, als hätte sie so gar keine Angst. Als wäre sie völlig unerschrocken. Vielleicht war sie das auch. Immerhin hatte sie ihre Kräfte im Griff.

Jason machte einen Minischritt zurück, traf dabei auf Niklas' Körper, was ihn sofort ein wenig beruhigte.

»Was geht hier ab?«, wollte der wissen und blickte sich wie Jason irritiert um. Denn sie waren offensichtlich ganz allein hier draußen. Da war niemand, der diesen Zauber kontrollierte. Zumindest niemand, den sie sehen konnten.

Josie machte mutig einen Schritt nach vorn, war drauf und dran, an den Ketten zu rütteln, zuckte jedoch zurück, bevor sie sie erreichte. »Heiß! Die sind ultraheiß!«

»Scheiße!«, murmelte Niklas. Er breitete die Hände vor sich aus, konzentrierte sich. »Da ist irgendwas ...« Er schüttelte den Kopf. »Ich bekomm die Energie nicht zusammen für einen Schild. Als wäre da was in der Luft.«

»Wie ein weiterer Zauber?«, wagte Jason, zu fragen, was Niklas mit einem missmutigen Nicken bestätigte.

»Vermutlich.«

Die Kette schloss sich enger um sie. Keiner von ihnen war auf so einen plötzlichen Angriff vorbereitet. Aber sie mussten etwas tun.

Jason musste etwas tun!

Doch er konnte sich einfach nicht rühren. Als wäre da ein Zauber, der ihn absolut machtlos machte. Oder war das nur er selbst?

»Dann bleibt uns wohl keine Wahl!«, murrte Niklas schließlich neben ihm und ballte die Hände fest zusammen.

Er atmete tief ein, richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die Ketten. Sein Körper schien auf einmal unter Strom und zitterte dabei unter Anstrengung.

»Was hast du vor?« Jason griff panisch nach Niklas' Hand, die dieser fest drückte.

»Zaubern, was sonst? Mit der Energie, die hier innerhalb der Kette vorhanden ist. Vielleicht kann ich die Ketten explodieren lassen, wenn ich ...« Niklas ließ einen angestrengten Laut heraus.

»Brauchst du unsere –«

»Nein! Ihr lauft einfach los, wenn das Ding stoppt!« Seine Hände leuchteten, zitterten dabei noch deutlicher, als wären alle Muskeln seines Körpers angespannt. Kurz passierte gar nichts. Niklas schnaufte schwer, und Jason konnte förmlich spüren, wie sehr ihn das anstrengte.

Doch ehe er nach seiner Schulter greifen konnte, nahm Josie Jasons Hand in ihre und nickte ihm zu.

Und dann stoppte die Kette plötzlich, nein, stoppte nicht nur, sie wurde weggedrückt.

Niklas drückte sie weg!

»Los! Jetzt!«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. »Springt drüber! Lauft!«

Jason starrte ihn perplex an. »Aber ...« Was wenn du nicht rauskommst ...? Das wagte er nicht, auszusprechen.

»Geh schon!«, brüllte Niklas.

Jason zuckte zusammen, doch Josie zerrte an seiner Hand. Sie zerrte ihn mit sich, sprang über die Kette und nahm Jason weiter mit sich. Lief ein Stück, hielt Jason dabei weiter fest an der Hand. Schließlich blieb sie stehen und starrte zurück zu Niklas.

Während Jason einfach nur mitmachte.

Als wäre das gar nicht sein Körper. Als hätte er vollkommen die Kontrolle darüber verloren. Und irgendwie hatte er auch genau das.

Aber Niklas ... er war immer noch da drin.

Was wenn ...

Nein!

Jason war drauf und dran, zu ihm zurückzusprinten, doch Josie hielt ihn fest.

Das darf nicht schon wieder passieren! Feuer! Ich muss Feuer machen! Jason ballte die Hände zusammen.

Nur wozu? Wozu denn eigentlich? Da war niemand, den sie angreifen konnten. Außer dieser verdammten Kette war da niemand.

Niklas brüllte laut auf, sein ganzer Körper mittlerweile gehüllt in ein gleißendes Licht. Er brauchte seine gesamte Energie auf, um die Kette im Zaum zu halten, während er vorsichtig drüberkletterte.

Josie atmete neben ihm auf.

Niklas überwand die lebendig gewordene Kette, lief ein paar wacklige Schritte. Dann entglitten ihm das Licht und sein Zauber, und er stolperte beinahe über seine eigenen Füße. Sein ehemals gebrochener Fuß schien zu schmerzen.

Jason versuchte, zurück in seinen eigenen Körper zu gelangen, die Kontrolle zurückzugewinnen. Er riss sich von Josie los, lief Niklas entgegen, fing ihn auf, als er in sich zusammensank.

Während die metallene Kette hinter ihnen mit einem lauten Klirren komplett zusammenschnappte und sich brutal selbst in Teile zerlegte.

Für einen Moment starrten sie alle einfach nur.

»Verfluchter Mist!«, knurrte Niklas schließlich. Jason hielt weiterhin an ihm fest. »Ich dachte, wir wären durch mit dem Scheiß!« Er griff nach seinem Fußgelenk und schloss erschöpft die Augen.

»Was zur Hölle war das überhaupt?« Josie starrte sie an, als könnte ihr das einer von beiden beantworten. Sie schluckte und zog ihr Handy aus der Hosentasche. »Ich ruf Matteo an, vielleicht weiß er was.« Ihre zitternden Finger tippten nervös auf dem Display rum.

Niklas atmete schwer.