City Spies 3: Gewagtes Spiel - James Ponti - E-Book

City Spies 3: Gewagtes Spiel E-Book

James Ponti

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Beschreibung

Aufregend und überraschend – das perfekte Spionage-Abenteuer! Als aus einer russischen Raketenbasis Kernmaterial verschwindet, denkt MI6 sofort an die kriminelle Organisation Umbra. Doch auch ein koreanischer Atomphysiker gerät unter Verdacht. Um den Mann unauffällig ins Visier zu nehmen, schleusen die City Spies ihren Top-Spieler Paris bei einem Jugend-Schachturnier in Moskau ein. Denn Star des Wettbewerbs ist der Sohn des Physikers. Doch seltsamerweise scheint auch die beliebte Boyband, die gerade durch China tourt, in den Raub verwickelt zu sein. Und so geht es für die fünf Spy Kids weiter nach Peking. Ihre Mission? Umbra endlich Schachmatt zu setzen! Band 3 der temporeichen Spionage-Serie, die es aus dem Stand auf die New-York-Times-Bestsellerliste schaffte – fünf smarte Kids und jede Menge Action!   Alle Bände der Serie: City Spies – Gefährlicher Auftrag (Band 1) City Spies – Tödliche Jagd (Band 2) City Spies – Gewagtes Spiel (Band 3) City Spies – Geheime Mission (Band 4)

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Seitenzahl: 364

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James Ponti: City Spies – Gewagtes Spiel

Aus dem Englischen von Wolfram Ströle

Bei einem Einsatz stoßen die City Spies auf brisante Unterlagen: Die kriminelle Organisation Umbra will einen nordkoreanischen Kernphysiker anwerben! Als kurz darauf aus einer russischen Raketenbasis Atomsprengköpfe verschwinden, sind die jungen Spione gefragt. Denn der Sohn des Wissenschaftlers nimmt am Jugend-Schachturnier in Moskau teil – und die City Spies sollen ihren eigenen Spieler beim Wettbewerb einschleusen. Doch auch die Boygroup KB5, die gerade um die Welt tourt, scheint Teil von Umbras Plan zu sein. Und so geht es für die Spy Kids weiter nach Peking. Ihr Ziel? Umbra schachmatt zu setzen!

Alle Bände der Serie:

City Spies – Gefährlicher Auftrag (Band 1)

City Spies – Tödliche Jagd (Band 2)

City Spies – Gewagtes Spiel (Band 3)

Wohin soll es gehen?

  Buch lesen

  Geheimakten

  Danksagung

  Viten

 

Für Courtney und Grayson

5. März 2022

Wie schön, dass ihr unsere Familie größer und besser macht. Ich liebe euch mehr, als Worte ausdrücken können.

1.

DIE MILLIARDÄRSZEILE

Es war Nacht, und als Paris auf den Verkehr hinausblickte, sah er in der Fensterscheibe sein eigenes Spiegelbild. Er hatte ein Durchschnittsgesicht, ohne besondere Merkmale, die anderen aufgefallen oder in Erinnerung geblieben wären. Geboren war er in Ruanda, aufgewachsen in Paris. Jetzt lebte er in Schottland, gegenwärtig befand er sich in London. Und überall hatte er gelernt, sich anzupassen, unterzutauchen. Das war eine wichtige Fähigkeit, denn Paris war nicht nur Schüler, sondern auch Spion. Nicht aufzufallen war von entscheidender Bedeutung.

Anders als die Spione in Filmen, deren Transportmittel vom Raketenrucksack und Mini-U-Boot bis zum kugelsicheren, mit Raketenwerfern ausgestatteten Aston Martin reichten, war er zu seinem neusten Einsatz in einem städtischen Bus unterwegs, genau genommen der Nummer Siebzig nach South Kensington. Das war das Problem, wenn man undercover ermittelte und noch nicht volljährig war: Man brauchte immer jemanden, der einen mitnahm.

»Es ist so absurd«, sagte er zu Kat, die neben ihm saß. »Wirklich.«

»Was?«, fragte sie.

Er sah sich um und vergewisserte sich, dass niemand zuhörte, dann beugte er sich vor und flüsterte: »Wir werden gleich in eine Londoner Superluxusvilla einbrechen, um ein unbezahlbares Kunstwerk zu stehlen, und unser Fluchtauto ist ein leuchtend roter Doppeldeckerbus, der nicht schneller als acht Stundenkilometer fährt.«

Kat lachte und er sah sie verständnislos an.

»Erstens stehlen wir das Kunstwerk nicht, wir bringen es zurück«, erwiderte sie genauso leise. »Oder hast du schon den kleinen Schatz vergessen, der in dein Jackenfutter eingenäht ist? Zweitens, warum sollte uns jemand verfolgen, wenn du es zurückgebracht hast? Insofern spielt das Fluchtauto überhaupt keine Rolle.«

Paris nickte widerstrebend. »Okay … vielleicht hast du recht.«

»Natürlich habe ich das«, sagte sie. »Dein Problem ist, du stellst dir Spione immer wie im Actionfilm vor.«

»Und das ist falsch?«

»Ja. Spionage ist mehr wie Essen gehen in der Schulmensa.«

»Wie das?«

»Man tut so, als gehöre man dazu, und hofft, dass niemand bemerkt, mit was man eigentlich beschäftigt ist«, sagte Kat. »Ganz zu schweigen davon, dass das Essen sehr wahrscheinlich vergiftet ist.«

Paris lachte leise. Dann sah er, dass sie sich ihrer Haltestelle Notting Hill Gate näherten. »Wir sind da.«

Er erhob sich, aber Kat blieb sitzen und versperrte ihm so den Weg.

»Ich steh erst auf, wenn du es sagst«, erklärte sie bestimmt.

Paris war der Alpha, was bedeutete, dass er den Einsatz vor Ort leitete. Und dass er den Satz sagen musste, der den Einsatz offiziell eröffnete. Es war nicht nur ein notwendiger Befehl, sondern auch ein Glücksritual.

»Hier?«, fragte er. »Im Bus?«

»Mach den Bus nicht schlecht«, sagte Kat. »Nach genau so einem Bus wurde James Bond benannt.«

»Wie bitte?«

»Als Ian Fleming den ersten Band der Serie schrieb, lebte er in Kent und musste immer mit dem Bus nach London pendeln.«

»Und?« Paris kapierte immer noch nicht, worauf sie hinauswollte.

»Der Bus von Kent zum Busbahnhof Victoria hatte die Nummer 007.«

»Das ist ein Scherz.«

»Nein. Daher der Name. Und wenn der Bus für Ian und James gut genug war, dann wohl auch für dich und mich.«

»Also, wenn das so ist.« Er lächelte verschmitzt. »Alles klar zum Einsatz. Legen wir los.«

Paris und Kat waren Mitglieder der City Spies, eines Teams, in dem zum ersten Mal fünf Undercoveragenten im Alter von zwölf bis fünfzehn ermittelten. Der MI6 setzte die Jugendlichen ein, wenn erwachsene Agenten zu sehr auffielen. In diesem Fall waren sie im Begriff, die Sweet-16-Party des Londoner Partygirls Tabitha Banks zu sprengen.

Der Geheimdienst interessierte sich weniger für das Geburtstagskind als vielmehr für den Vater. Reginald Banks war Multimilliardär und hatte geschäftlich immer wieder mit zwielichtigen Gestalten aus der Unterwelt und dubiosen Agenten ausländischer Geheimdienste zu tun. Der MI6 wollte unbedingt einen Agenten in seine Villa einschleusen, und die Geburtstagsparty bot dazu eine seltene Gelegenheit. Denn das Anwesen in den Kensington Palace Gardens, einem der weltweit exklusivsten Wohnviertel, ähnelte einem Hochsicherheitstrakt.

»Mikrofontest, eins, zwei, drei«, sagte Paris, als sie sich von der Bushaltestelle entfernten. »Könnt ihr mich hören?«

Er verständigte sich über ein unauffälliges Gerät, das aussah wie ein ganz normaler Ohrhörer, mit den Teammitgliedern, die den Einsatz von einem nahe gelegenen Safe House aus verfolgten.

»Ja!«, antwortete Mother, der Agent, der das Team leitete. »Wir hören dich laut und deutlich.«

»Und mich?«, fragte Kat, um auch ihr Mikrofon zu testen.

»Bestens«, sagte Mother. »Wir sind jedenfalls bereit, in Aktion zu treten. Brooklyn sitzt am Computer und Sydney ist …« Eine Pause entstand, in der Mother sich an Sydney wandte. »Was genau machst du eigentlich?«

Sydney sah ihn an, als liege die Antwort auf der Hand. »Ich stehe für den Notfall bereit«, sagte sie.

»Also Sydney steht bereit … für den Notfall«, fuhr Mother fort. »Obwohl sie technisch gesehen nicht steht, sondern auf und ab geht.«

»Entspann dich mal, Syd«, sagte Paris. »Wir haben alles im Griff.«

»Sie tigert hier nicht herum, weil der Einsatz ihr Sorgen macht«, mischte sich Brooklyn ein. »Sondern weil sie neidisch ist und am liebsten selbst dabei wäre.«

Alle lachten und Sydney machte sich nicht einmal die Mühe, es zu bestreiten. Sie wollte immer die Anführerin sein, und bei einem Einsatz nur zuzusehen, fiel ihr schwer.

»Denkt einfach dran, dass ich hier bin, wenn ihr mich braucht«, sagte sie. »Bereit zu helfen.«

»Gut zu wissen«, sagte Paris.

»Wir sind jetzt fast bei dem Wachtor am Ende der Straße«, sagte Kat. »Noch irgendwelche letzten weisen Worte?«

»Ja«, sagte Mother. Er räusperte sich und machte eine theatralische Pause. »Seid wachsam und klug, wenn Gefahr ist im Verzug.«

Er sprach gern in gereimten Zweizeilern, sogenannten Mother-Sprüchen, um das Team auf wichtige Elemente des Spionagehandwerks hinzuweisen. Diesen Spruch fanden Kat und Paris allerdings total fantasielos.

»Im Ernst?«, sagte Kat.

»Etwas Besseres fällt dir nicht ein?«, fragte Paris.

»Ich hätte auch sagen können, wenn ihr erwischt werdet, zieht das nicht nur Scotland Yard in die Sache hinein, sondern vermutlich auch den Premierminister, den Chef des MI6, den Außenminister, den französischen Botschafter und den Premierminister von Nepal«, sagte Mother. »Aber ich wollte euch keine Angst machen und so viele Personen kriegt man sowieso nicht in einem Zweizeiler unter.«

»Okay, verstehe«, sagte Paris.

»Eine Sache noch, Paris«, sagte Brooklyn.

»Was?«

»Vergiss bitte nicht, dass dein Mikrofon sehr empfindlich ist.«

»Gut, und warum genau?«

»Weil es uns die Kopfhörer zerschießt, wenn du zu kreischen anfängst, sobald KB5 auf die Bühne kommt«, sagte Brooklyn. Wieder lachten alle.

»Du bist ja so witzig«, sagte Paris. »Glaub mir, wenn ich schreie, dann weil ich die Musik so schrecklich finde. Das, was die machen, überhaupt Musik zu nennen, ist eine Beleidigung für alle Komponisten von Beethoven bis zu den Beatles.«

KB5 war eine topangesagte britische Boygroup, deren Bilder überall auf der Welt in den Zimmern von Teenagern hingen. Trotz Paris’ abschätziger Meinung zu ihren musikalischen Fähigkeiten spielte sie regelmäßig in ausverkauften Stadien vor hysterisch schreienden Fans. Und an diesem Abend gaben sie auf Tabithas Geburtstag ein Privatkonzert. Das war ein Vorteil, wenn man Reginald Banks zum Vater hatte. Er gehörte nicht nur zu den reichsten Menschen Großbritanniens, sondern hatte die Boygroup überhaupt erst geschaffen und besaß das Plattenlabel, das ihre Alben produzierte.

»Mir gefällt ihre Musik«, warf Sydney ein. »Wenn du mit mir tauschen willst, es ist noch nicht zu spät.«

»Würde ich ja gern, wenn die Australier ihre Botschaft in den Kensington Palace Gardens hätten.«

In den Kensington Palace Gardens, auch Milliardärszeile genannt, residierten Großunternehmer, Mitglieder der königlichen Familie, ausländische Botschaften und verschiedene Botschafter. Die Zeile war achthundert Meter lang und wurde an beiden Enden durch Tore mit bewaffneten Polizisten geschützt. Ortsfremde, die auch das nicht abschreckte, wurden durch Schilder darauf hingewiesen, dass fotografieren verboten war.

Allerdings konnte Sir Reg, wie er von der Boulevardpresse genannt wurde, nicht einfach ein Konzert im Garten veranstalten ohne die Zustimmung seiner prominenten Nachbarn, die größten Wert auf Privatsphäre legten. Er hatte deshalb den genialen Einfall gehabt, alle jungen Menschen, die in der Straße wohnten, ebenfalls zu der Feier einzuladen. Und da keine Eltern den Zorn eines wütenden Teenagers auf sich ziehen wollten, weil die Party des Jahrzehnts nicht stattfinden konnte, hatten sie die Erlaubnis gegeben.

Einladungen wurden auch an die Kinder der Botschaftsangestellten verschickt, und hier sah der MI6 seine Chance. Wie der Zufall es wollte, gehörten der Botschafter von Frankreich und die Botschaft von Nepal zu den Anwohnern der Zeile, und Frankreich und Nepal waren die Länder, aus denen Paris und Kat kamen. Einige Gefälligkeiten wurden eingefordert und zwei Namen zur Gästeliste hinzugefügt.

Für Paris bedeutete das, dass er wieder einmal die Identität wechseln musste, was er in seinen fünf Jahren beim MI6 inzwischen schon unzählige Male getan hatte. Als er sich der Wache näherte, legte er einen inneren Schalter um und wurde jemand anders, wie ein Schauspieler, der in einem Theaterstück im West End die Bühne betrat. Bis der Vorhang des kleinen Dramas fiel, würde er Antoine Tremblay sein, der fünfzehnjährige Sohn des zweiten Kulturattachés.

»Welche Botschaft?«, fragte der Wachmann.

»Frankreich«, antwortete Paris.

Der Mann zeigte auf eine Reihe von Tischen, auf denen Fahnen die jeweiligen Länder markierten. Hier wurden die jungen Gäste genauer überprüft, um zu verhindern, dass übereifrige KB5-Fans sich in die Party einschlichen. Paris ging zu dem Tisch mit der Trikolore und lächelte den in einen modischen schwarzen Anzug gekleideten Mann dahinter an.

»Einladung und Ausweis«, sagte der Mann.

Paris überreichte ihm zwei perfekte Fälschungen: eine offiziell wirkende Einladung zur Party inklusive Sicherheitshologramm und einen auf Antoine Tremblay ausgestellten französischen Diplomatenpass.

»Bonsoir, Antoine«, sagte der Mann auf Französisch, um ihn zu testen. »Ça va?«

»Oui, ça va bien«, antwortete Paris akzentfrei.

Der Mann setzte auf einem Klemmbrett einen Haken hinter seinen Namen.

»Comment vous aimez KB Cinq?«, fragte er noch. Er wollte wissen, ob Paris sich auf das Konzert freute.

Für die Arbeit undercover war es extrem wichtig, nicht unnötig zu lügen. Je ehrlicher man in einzelnen Details war, desto glaubhafter wirkte man insgesamt. Statt also so zu tun, als freue er sich wahnsinnig auf die Boygroup, sagte Paris wahrheitsgemäß: »Disons, j’aime beaucoup mieux le gâteau d’anniversaire.« Ich freue mich vor allem auf den Geburtstagskuchen.

Der Mann lachte und gab ihm ein rotes Armband. »Mach das um und nimm es erst ab, wenn du gehst.«

»Merci beaucoup«, sagte Paris.

An einem Tisch in der Nähe beantwortete Kat ähnliche Fragen in einer Mischung aus Nepali und Englisch.

Im Unterschied zu den anderen Jugendlichen, die zielstrebig in Richtung Party eilten, schlenderten Paris und Kat die Straße ganz gemächlich entlang. In ihrer Ausbildung hatten sie gelernt, sich bei jedem Einsatz die Umgebung genau anzusehen und sich wichtige Details einzuprägen wie die Standorte der Sicherheitskameras oder dass hier eine Straßenlaterne nicht brannte. Außerdem hielten sie nach Fluchtwegen und möglichen Verstecken Ausschau. Und sie bestaunten die herrschaftlichen Häuser.

»Wow!«, sagte Paris, als sie zur Villa von Sir Reg kamen. »Sieht sogar noch größer aus, als ich mir vorgestellt habe. Die Bilder werden ihr nicht gerecht.«

»Kein Scherz«, bestätigte Kat. »Um sich hier zurechtzufinden, braucht man ja GPS.«

Die beiden hatten sich ausführlich mit dem Haus beschäftigt und Fotos, Baupläne und Videoaufnahmen aus einer BBC-Sendung über die schönsten Häuser Londons studiert. Es war drei Stockwerke hoch, ein Musterbeispiel italienischer Renaissancearchitektur mit achtunddreißig Zimmern, darunter Hallenbad, Heimkino und Fitnessraum.

Außerdem beherbergte es Kunst in Museumsqualität. Im Eingangsflur wurde man von einem großen Picasso empfangen, im Wohnzimmer hingen zwei Zeichnungen Vincent van Goghs. Im Garten stand eine Statue von Rodin und auf dem Sims über dem Kamin in Sir Regs Arbeitszimmer ein prunkvolles Fabergé-Ei, die sogenannte Perle von Russland.

Oder zumindest glaubte er das.

In Wirklichkeit handelte es sich eine hochwertige Fälschung, in der ein kleines Mikrofon versteckt war, mit dem der britische Geheimdienst fast drei Jahre lang Sir Regs geschäftliche Besprechungen abgehört hatte. Das echte Fabergé-Ei, das fast fünf Millionen Pfund wert war, steckte gegenwärtig in einer geheimen, in Paris’ Jacke eingenähten Tasche.

Die Perle von Russland gehörte zu den zweiundfünfzig juwelenbesetzten Eiern, die über einen Zeitraum von dreißig Jahren für die Zaren Alexander III. und Nikolaus II. in Handarbeit angefertigt worden waren. Alljährlich hatten die Zaren ihren Frauen und Müttern zu Ostern ein solches Ei geschenkt. Paris hatte die Aufgabe, das echte Ei wieder in das Büro zu schmuggeln und die Fälschung mitzunehmen, bevor der Schwindel aufflog. Notwendig geworden war das, weil Sir Reg vor Kurzem angekündigt hatte, er wolle das Ei an ein Moskauer Museum ausleihen. Dort würde es zweifellos von Experten untersucht und das Mikrofon gefunden werden. Das durfte der MI6 nicht zulassen.

»Wir sind da«, gab Paris den anderen im Safe House durch.

»Wie sehen die Zugangspunkte aus?«, fragte Mother.

»Am Eingang für Fußgänger stehen Sicherheitsleute, die die Gäste um das Haus herum zur Party dahinter lotsen«, sagte Paris. »Aber das Tor der Einfahrt ist weit offen. Es wird durch den Tourbus und die Trucks mit dem Equipment für KB5 blockiert und geht deshalb nicht zu.«

»Und das Haus selbst?«, fragte Mother.

»An jeder Tür zwei Wachen«, sagte Kat. »Den Holsterbeulen unter den Jacken nach zu schließen alle bewaffnet.«

»Wenn nur eine an jeder Tür stehen würde, könntet ihr sie mit einem Manöver ablenken und schnell hineinschlüpfen«, sagte Mother. »Aber bei zweien scheidet das Erdgeschoss aus. Das heißt, ihr müsst den alternativen Weg wählen.«

Paris und Kat blickten zum Dach hinauf.

»Sieht aus, als müsste da jemand Weihnachtsmann spielen«, sagte Kat.

Paris sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ho-ho-ho.«

2.

OPERATION WEIHNACHTSMANN

Auf den Einfall, den Kamin zu benutzen, war Paris gekommen.

Als sie vor einem Monat überlegt hatten, wie sie in das Büro gelangen sollten, waren sie in einer Illustrierten auf einen Artikel über Reginald Banks gestoßen. Auf einem Foto hatte man im Hintergrund auf dem Sims eines großen, steinernen Kamins die Perle von Russland gesehen.

»Seht mal, wie groß der Kamin ist«, hatte Paris gesagt. »Geradezu riesig. Dann muss es auch einen entsprechend großen Abzug vom Büro zum Dach hinauf geben. Könnte ich den nicht einfach wie der Weihnachtsmann hinunterrutschen?«

»Kommt überhaupt nicht infrage«, hatte Mother entschieden abgelehnt. »Kamine sind viel zu gefährlich. Da kann alles Mögliche schiefgehen, und das meiste würde zu deinem vorzeitigen Ableben führen.« Er überlegte kurz und lächelte. »Obwohl das mit dem Dach ein vielversprechender Gedanke ist.«

Und so wurde die Operation Weihnachtsmann geboren.

Statt des Schornsteins sollte Paris den Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach benutzen, der in dem Artikel ebenfalls abgebildet war. Daneben war eine Tür zu sehen, die ins Haus führte. Damit Paris sie benutzen konnte, ohne Alarm auszulösen, musste das Team eine hochmoderne Sicherheitsanlage hacken – keine leichte Aufgabe. Das Büro wiederum konnte er nur betreten, wenn es ihm gelang, das biometrische Prüfsystem davon zu überzeugen, dass er Reginald Banks war. Anders ausgedrückt, bevor er zum Dach hinaufkletterte, musste er Sir Reg finden und seine Identität stehlen. Oder zumindest seinen Daumenabdruck.

»Wo bist du, Reg?«, sagte er leise und ließ den Blick über die Gesichter der Partygäste wandern. Mindestens zweihundert waren bereits eingetroffen und die Feier war in vollem Gang. Ein DJ mischte auf der Bühne Popsongs in verschiedenen Sprachen und sorgte für einen internationalen Groove, während Catering-Zelte Fusionsküche anboten, darunter koreanische Rindertacos, sibirische Pasta, chinesisches Barbecue und thailändische Curry-Makkaroni.

Musik und Essen passten zum Motto der Party, Around the World. Nicht zufällig war das auch der Name des neuen Albums von KB5, das demnächst erscheinen sollte. Sir Reg hätte es nie zugegeben, aber er hatte die Kinder der Botschaftsangestellten auch deshalb eingeladen, damit sein PR-Team Bilder machen konnte, die zeigten, wie beliebt KB5 bei Fans rund um den Globus war.

Einer der Schlüssel zu seinem finanziellen Erfolg war, dass er überall geschäftliche Möglichkeiten sah, sogar im Geburtstag der eigenen Tochter.

»Da ist er«, sagte Kat und nickte in Richtung eines Mannes mit wallenden rotblonden Haaren und einem struppigen Vollbart. Sein Outfit – schwarze Jeans, T-Shirt und Limited-Edition-Sneakers – wirkte lässig, hatte aber ein Vermögen gekostet. Er begrüßte Gäste, posierte bereitwillig für Bilder und zeigte dasselbe medienwirksame Lächeln, das auch in zahllosen Zeitungen und Magazinen abgebildet war.

»Er sieht mehr aus wie ein Bassist als ein Milliardär«, stellte Paris fest.

»Das ist vermutlich auch seine Absicht«, sagte Kat. »Vielleicht bekommst du ja ein Selfie mit ihm.«

»Geniale Idee. Wenn er das Bild macht, habe ich seinen Daumenabdruck auf meinem Handy.«

»Denkt an den kleinen Zweizeiler darüber, dass man wachsam und klug sein soll«, unterbrach Mother. »Für ein Foto mit der Person zu posieren, die wir ausspionieren, hieße für mich, sein Glück herauszufordern.«

Paris und Kat lachten. »Das war doch nur Spaß«, sagte Paris. »Ich weiß schon, was ich tun muss. In der Menge untertauchen, unsichtbar werden. Ist doch meine Spezialität. Ich habe seinen Daumenabdruck in null Komma nichts und bleibe dabei völlig anonym.«

»Schön und gut«, ließ Brooklyn sich hören. »Aber das nützt alles nichts, solange ich keinen Zugang zur internen Videoüberwachung habe.«

»Gib uns einen Moment«, sagte Kat ein wenig gereizt. »Wir sind eben erst angekommen.«

»Sorry, ich wollte euch nicht drängen. Ich brauche dafür nur so viel Zeit wie möglich. Weil es einfach schwierig ist.«

»Verstanden«, sagte Kat. »Ich denk dran.«

Brooklyn war eine phänomenale Hackerin, aber selbst nach einer Woche harter Arbeit war es ihr immer noch nicht gelungen, in Sir Regs System einzudringen. Laut ihr hatte es »eine absolut undurchlässige Firewall mit hyperparanoiden Verschlüsselungsstufen«. Da sie es nicht von außen hacken konnte, hoffte sie darauf, es von innen zu schaffen. Dafür musste sie allerdings die Bühnentechniker von KB5 dazu bringen, ihr zu helfen.

»Also«, sagte Kat, »ich sehe jetzt das Mischpult. Es steht mitten auf dem Rasen mit Blick zur Bühne. Ich geh mal näher ran und schicke dir ein paar Bilder.«

»Danke«, sagte Brooklyn. »Möglichst eins mit dem Firmenzeichen des Herstellers, dann kann ich mir die technischen Daten besorgen.«

Das Mischpult stand im Zentrum ihres Plans. Es handelte sich um ein großes elektronisches Pult mit vielen Reihen von Knöpfen, Schiebe- und Drehreglern, die von der Lautstärke der Musiker und Sänger bis zur Klangqualität der verschiedenen Instrumente alles steuerten.

Entscheidend war, dass Mischpulte immer im Publikum platziert waren, damit die Person, die sie bediente, hören konnte, wie die Band dort klang. Was auch bedeutete, dass Kat die Möglichkeit hatte, nahe heranzukommen. So nah, hoffte sie, dass sie einen kleinen Sender daran befestigen konnte, der mit Brooklyns Computer verbunden war. Das war deshalb wichtig, weil das Mischpult wiederum über Wi-Fi mit dem Rest der Anlage verbunden war. Wenn die Anlage das gleiche Netz wie das Sicherheitssystem nutzte, konnte Brooklyn sich vielleicht dort einklinken und gewissermaßen durch die Hintertür hineinschlüpfen.

Am Pult saß ein schwarz gekleideter Mann, ein sogenannter »Front of House«-Mischer, der dafür sorgen sollte, dass KB5 perfekt klang. Er justierte gerade einige Regler, als Kat heimlich drei Fotos schoss und sie dem Team im Safe House schickte.

»Hab sie bekommen«, sagte Brooklyn und öffnete die Bilder auf ihrem Computer. »Perfektes Bild vom Logo, Kat. Das ist ein Digico Quantum Seven.« Sie suchte kurz und öffnete einen Schaltplan des Pults. »Auf der linken Seite befindet sich ein USB-Anschluss.«

»Dann muss ich jetzt wohl meinen Charme spielen lassen«, sagte Kat trocken.

Das war einerseits als Scherz gemeint, andererseits Selbsterkenntnis. Kat löste lieber mathematische Probleme, als sich mit Leuten zu unterhalten, zumal mit Fremden. Aber sie musste den Tontechniker so lange ablenken, bis sie den Sender in den USB-Anschluss gesteckt hatte. Dass der Mann dicke Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung trug, half nicht. Die ersten beiden Male, als sie versuchte, ihn auf sich aufmerksam zu machen, hörte er sie gar nicht. Schließlich klopfte sie ihm zaghaft auf die Schulter.

Er drehte sich um und zog den Kopfhörer von einem Ohr ab. »Ja?«

Das war ihre Gelegenheit, ihn ganz schnell in ein Gespräch zu verwickeln. Sie musste charmant sein und interessant klingen. Leider brachte sie nur ein »hi« heraus.

Es war so leise, dass man es über der Musik, die der DJ spielte, kaum hörte. Im Safe House wechselten Brooklyn und Sydney einen besorgten Blick.

»Hi«, sagte der Mann kurz angebunden. Sosehr Kat soziale Kontakte hasste, Tontechniker hassten es noch viel mehr, wenn sie von Fans der Band bei ihrer Arbeit gestört wurden. »Wenn du was Privates über KB5 wissen willst, kann ich dir nicht wirklich helfen. Die Jungs sind nett, aber ich hänge nicht mit ihnen ab und weiß keinen Tratsch.«

»Nein … ich will gar nicht …« Kat verstummte und stieß einen frustrierten Seufzer aus. Alles schien verloren. Dann fragte sie unvermittelt: »Finden Sie den Quantum Seven gut?« Sie meinte das Mischpult.

Der Mann sah sie neugierig an. »Du interessierst dich für Mischpulte?«

»Viel mehr als für Boygroups.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Was findest du an ihm gut?«

»Was finde ich nicht gut?«, spielte sie auf Zeit.

Brooklyn im Safe House las rasch ein paar Daten vor. »Endlos viele Kanäle, gigantische Rechenleistung.«

»Er hat endlos viele Kanäle«, sagte Kat. Sie versuchte so zu klingen, als wüsste sie, was das bedeutete. »Und eine wirklich gigantische Rechenleistung.«

»Nicht nur das«, sagte der Mann begeistert. »Der Gesang klingt unglaublich klar, egal in welchem Frequenzbereich.«

Er begann von der Anlage zu schwärmen und Kat hörte ihm zu und nickte immer wieder. Als er auf den rechten Rand des Pults zeigte, steckte sie rasch Brooklyns Sender in den USB-Anschluss.

»Gut gemacht, Kat!«, sagte Brooklyn, als sie das Signal empfing. Wenige Momente später hatte sie das Wi-Fi aufgerufen und die damit verbundenen Geräte gefunden. Darunter war auch das Sicherheitssystem des Hauses. »Ich bin drin und du bist entlassen.«

»Das war genial!«, fügte Sydney stolz hinzu.

Kat blieb noch kurz stehen und hörte dem Mann weiter zu, dann sagte sie: »Danke, ich lasse Sie jetzt lieber wieder arbeiten.«

Inzwischen ließ Brooklyn die Finger über die Tasten tanzen und begann, auf das Sicherheitssystem zuzugreifen.

Während sie sich einhackte, stalkte Paris weiter Sir Reg. Er folgte ihm in sicherem Abstand über das Partygelände und beobachtete, wie der Milliardär Gäste begrüßte und für Bilder posierte.

»Das ist ja seltsam«, sagte er.

»Was?«, fragte Mother.

»Sir Reg hat jetzt schon dreimal Geschenke für seine Tochter entgegengenommen.«

»Was ist daran seltsam?«, fragte Sydney. »Sie hat schließlich Geburtstag.«

»Schon, aber er kann sie ja nicht tragen, weil er ständig Hände schüttelt, also muss er sie einer Assistentin geben, die ihn begleitet. Und die trägt sie mit sich herum, obwohl es auch einen riesigen Tisch gibt, auf den andere Gäste ihre Geschenke legen. Warum tut sie das nicht?«

Im Safe House versuchte Mother sich die Szene vorzustellen. »Bekommt er die Geschenke von den jugendlichen Gästen?«

»Nein, von Erwachsenen«, sagte Paris. »Das sind, glaube ich, alles Botschaftsangestellte.«

»Warum sind die überhaupt da?«, fragte Mother. »Ich dachte, nur ihre Kinder seien eingeladen.«

»Schon, aber neben den Tischen mit Essen stehen auch Tische, auf denen die Botschaften des Viertels sich vorstellen. Das gehört alles zum Around the World-Thema.«

»Welche Länder?«, fragte Mother, der zunehmend neugierig wurde.

»Welche Länder Tische haben?«, fragte Paris.

»Nein, welche Länder haben ihm Geschenke gegeben?«

Paris überlegte und betrachtete die Tische. »Russland … und Indien … die beiden auf jeden Fall. Und dann noch Saudi-Arabien oder Rumänien, glaube ich.«

Noch während er sprach, sah er, dass Sir Reg leise etwas zu seiner Assistentin sagte. Die Assistentin nickte und entfernte sich mit den Geschenken.

»Jetzt werden die Geschenke weggebracht«, fuhr er fort. »Aber statt sie auf den Tisch zu legen, bringt die Frau sie ins Haus.«

Mother überlegte kurz. »Wenn es sich um Geschenke der Botschaften handelt, will er vielleicht nicht, dass seine Tochter sie vor den anderen Gästen öffnet. Es bestünde immer das Risiko, dass ein Land sich beleidigt oder zurückgesetzt fühlt, weil sein Geschenk nicht so schön ist wie das eines anderen Landes.«

»Die gute Nachricht ist, dass Reg endlich mal stehen geblieben ist«, sagte Paris. »Das heißt, ich kann loslegen.«

Reg nahm sich einen Drink und ging zu Tabitha, die mit einigen anderen Gästen um einen Tisch in dem durch Seile abgetrennten VIP-Bereich in der Nähe der Bühne stand. Um diesen Bereich betreten zu können, brauchte man als Gast ein blaues Armband, kein rotes, wie Paris es hatte. Doch das war kein Problem. Er huschte einfach in eine der sechs Fotokabinen, die man für die Party aufgestellt hatte. Hier konnten die Gäste Bilder von sich machen lassen, vor einer internationalen Kulisse wie zum Beispiel dem Eiffelturm oder der Golden Gate Bridge.

Paris wollte kein Bild, er wollte sich nur rasch umziehen. Es war eng, aber er hatte zu Hause auf der FARM in einem Schrank geübt. Er zog die Jacke über den Kopf und hielt dabei die Ärmelmanschetten fest, sodass die Jacke sich umdrehte, als er die Arme herauszog. Ein Schneider des MI6 hatte eine Wendejacke für ihn angefertigt, die auf der Innenseite genau wie die Jacken der Angestellten vom Catering-Service aussah. Kaum war Paris hineingeschlüpft, hatte er sich auch schon vom Gast in einen Abräumer verwandelt. Wieder legte er einen mentalen Schalter um. Eine neue Person konnte die Bühne betreten.

Er nahm ein leeres Tablett von einem Desserttisch mit französischem Gebäck und begann, hinter den Leuten aufzuräumen. Dabei behielt er ständig den VIP-Bereich im Auge, und als er sah, dass Sir Reg austrank und sein Glas auf einen Tisch stellte, ging er sofort hin und sammelte es ein.

»Geschafft«, informierte er die anderen, während er sich wieder entfernte. »Auf dem Glas ist ein großer, fetter Daumenabdruck. Perfekt, um ihn abzunehmen und zu kopieren.«

»Und das Selfie?«, sagte Sydney zum Scherz. »Hast du das auch bekommen?«

»Nein, ich war vollkommen unsichtbar. Wer bemerkt auf einer solchen Party schon einen Abräumer?«

Paris hatte recht. Im allgemeinen Trubel hatte niemand im VIP-Bereich seine Anwesenheit überhaupt zur Kenntnis genommen. Er verschmolz einfach mit dem Hintergrund, sodass niemand sich an ihn erinnerte. Dass er vollkommen unsichtbar gewesen wäre, stimmte allerdings nicht.

Er hatte nicht bemerkt, dass die Fotokabinen so eingestellt waren, dass sie automatisch Bilder aufnahmen. Auch von ihm war eins gemacht worden, als er sich umzog. Er hatte den Blitz nur nicht gesehen, weil seine Arme und die Jacke ihm den Blick versperrt hatten.

Auf dem Foto war von seinem Gesicht zwar kaum etwas zu erkennen, aber es war immerhin ein bildlicher Nachweis dafür, dass er auf der Party war. Und jetzt lag es in einem Fach der Fotokabine und wartete darauf, dass sich womöglich plötzlich jemand dafür interessierte.

3.

DIE PERLE VON RUSSLAND

Bei der Vorbereitung des Einsatzes hatte Mother Paris eine Seitenansicht von Reginald Banks’ Villa gezeigt und gefragt: »Kommst du da rauf?«

»Ganz leicht«, hatte Paris geantwortet und das Bild betrachtet. »Backsteine, Kamin, Fallrohr und ein Rankgitter bieten genügend Halt für Hände und Füße. Es wird kein Problem sein, zum Dach hinaufzukommen.«

»Gut«, sagte Mother. »Aber glaubst du, du schaffst es auch in einundzwanzig Sekunden?«

»Hm.« Paris überlegte. »Das ist nicht viel Zeit.«

»Leider hast du nicht mehr.«

»Warum nicht?«

»Weil es so lange dauert, Happy Birthday zu singen. Zumindest als ich mich selbst gestoppt habe. Die von KB5 singen hoffentlich nicht schneller. Wenn ja, wäre das schlecht.«

»Ich kann dir nicht folgen«, sagte Paris. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«

»Um die Erlaubnis für das Konzert auf seinem Grundstück zu bekommen, musste Banks seinen Nachbarn und den Behörden von Westminster einen Ablaufplan geben, der auch auf Beleuchtung und Lautstärkepegel eingeht«, erklärte Mother. »Die Behörden nehmen das sehr ernst. Als im Vorfeld der Londoner Olympiade Bruce Springsteen und Paul McCartney nebenan im Hyde Park ein Konzert gaben und die Sperrstunde überschritten, zog die Verwaltung ganz buchstäblich den Stecker. Die Mikrofone gingen aus, noch während die Künstler auf der Bühne standen. Wenn sie das mit dem Boss und einem Beatle tun, dann …«

Paris unterbrach ihn mit erhobener Hand. »Versteh ich immer noch nicht«, sagte er. »Was genau hat das damit zu tun, dass ich aufs Haus klettere?«

»Hier«, sagte Mother und zeigte ihm den Ablaufplan. »Den entscheidenden Teil habe ich unterstrichen.«

Paris begann laut vorzulesen. »KB5 wird auf der Bühne Happy Birthday für Tabitha singen. In dieser Zeit werden alle Scheinwerfer ausgeschaltet sein mit Ausnahme eines Spots auf der Gruppe.«

»Das bedeutet, einundzwanzig Sekunden lang kann dich niemand sehen«, sagte Mother. »Reicht das?«

Paris betrachtete das Foto erneut und überlegte sorgfältig. Dann sagte er: »Ja.«

»Sicher?«

»Ja«, sagte Paris überzeugt.

Er hatte das damals auch wirklich geglaubt, aber seit er hier auf dem Gelände war, schwand seine Zuversicht. Jetzt, wo er davorstand, wirkte die Villa höher und die Herausforderung furchteinflößender. Er wollte gar nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn das Licht wieder anging, während er noch an der Mauer hing. Zum Glück hatte er nicht viel Zeit, sich Sorgen zu machen.

»Es geht los«, sagte Brooklyn von ihrem Platz im Safe House. »Der Kuchen steht bereit und KB5 ist auf dem Weg zur Bühne.« Sie wusste das, weil sie sich nicht nur in das Sicherheitssystem eingehackt hatte, sondern auch die Funkfrequenz abhörte, die die Bühnenarbeiter auf ihren Walkie-Talkies verwendeten.

Immer noch in der Jacke des Catering-Service, stand Paris an der Seite des Hauses und lud schmutziges Geschirr auf ein Gestell in einem Catering-Truck. Den Fingerabdruck von Sir Reg hatte er bereits mit einem speziellen Klebeband von dem Glas abgenommen und in ein raffiniertes kleines Gerät eingescannt, das der MI6 gebaut hatte. Es handelte sich um einen winzigen 3-D-Drucker, der eine genau für Paris’ Daumen passende gummiartige Kappe mit einem Duplikat des Fingerabdrucks herstellte.

»Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten«, sagte Sir Reg. Er stand mit einem Mikrofon in der Hand neben seiner Tochter auf der Bühne. »Ich freue mich, euch alle bei uns willkommen zu heißen zur Feier dieses ganz besonderen Tages – des sechzehnten Geburtstags meiner lieben Tabitha.« Er machte eine kurze Pause, während die Gäste klatschten. »Normalerweise singt an dieser Stelle Tabs Mutter, meine Exfrau, etwas für sie. Aber da sie zurzeit ein exklusives Engagement in Las Vegas hat, habe ich jemand anders für diese Aufgabe gefunden.«

Wie auf ein Stichwort kamen die Jungs von KB5 auf die Bühne. Sie schoben einen riesigen Geburtstagskuchen vor sich her. Die Gäste kreischten entzückt und Sir Reg musste seine Rede unterbrechen, weil man ihn im Lärm nicht mehr hörte. Die fünf Bandmitglieder lächelten, winkten und zogen dann den für sie typischen Schmollmund, als sie mit Tabitha neben dem Kuchen posierten. Tabitha strahlte vor Stolz und in der Menge ging ein Blitzlichtgewitter los, weil alle mit ihren Handys Fotos machen wollten.

Während alle Blicke auf die Bühne gerichtet waren, trat Paris an die Wand, betrachtete sie und versuchte sich den schnellsten und sichersten Weg zum Dach einzuprägen. Kat stand nicht weit entfernt Schmiere. Als sie sicher war, dass niemand sie beobachtete, sagte sie: »Alles klar.«

Paris hob die Hand, hielt sich an einem Backstein fest und stellte den Fuß auf den Rand eines Pflanzkübels, um wie ein Läufer, der sich in Startposition begibt, sofort loslegen zu können.

Auf der Bühne forderte Sir Reg die Menge auf: »Also, wenn ihr alle mitmacht …«

Es wurde dunkel, ein Spot richtete sich auf KB5 und die Jungs begannen zu singen. Paris kletterte los und am Anfang klappte auch alles hervorragend. Er ließ das Erdgeschoss rasch hinter sich, doch dann geschah etwas Unvorhergesehenes: Er klemmte sich an einem Fenstersims des ersten Stocks den Daumen ein.

»Autsch!« Schmerzen durchfuhren seine Hand.

»Alles okay?«, fragte Mother.

Paris antwortete nicht, sondern biss die Zähne zusammen und kletterte die Mauer weiter hinauf. Als er beim zweiten Stock ankam, hatte er plötzlich nicht mehr vor Augen, wie er von dort hatte weiterklettern wollen. In anderen Worten, er musste sich von jetzt an weitertasten. Das Lied war inzwischen bei der letzten Zeile angelangt.

»Ich schaffe es vielleicht nicht rechtzeitig«, sagte er und streckte die Hand nach dem Rankgitter aus.

Im Safe House hielten Mother und Sydney die Luft an, während Brooklyn auf ihrem Computer die Beleuchtungsanlage des Konzerts aufrief. Sie hatte sich schon früher Zugang dazu verschafft, um im Notfall einen Blackout fabrizieren zu können.

»Wenn es sein muss, fahre ich alles runter«, sagte sie.

»Bitte erst, wenn ich es sage«, erwiderte Paris.

Zum Glück begann einer der Jungs der Band, das Lied für das Publikum ein wenig auszuschmücken, und es dauerte schließlich fast dreißig Sekunden. Paris schaffte es, sich am Rankgitter vollends hochzuziehen, das zwar ein wenig schwankte, aber hielt. Als das Licht wieder anging und Tabitha sich bereit machte, den Kuchen anzuschneiden, war von Paris nichts mehr zu sehen.

Kat ließ den Blick unruhig über den Boden wandern, um sicherzugehen, dass er nicht abgestürzt war.

»Alles in Ordnung?«, fragte Mother nervös.

Es folgte eine längere Pause, dann kam die Antwort. »Das war knapp.« Paris klang mitgenommen, aber erleichtert. Er lag lang ausgestreckt oben auf dem Dach, mit einigen Schrammen an den Händen und im Gesicht, aber ansonsten wohlbehalten und unsichtbar. »Ich muss nur kurz verschnaufen.«

»Gut, aber nur kurz«, sagte Brooklyn bestimmt.

Im nächsten Teil des Einsatzes führte sie das Kommando. Vor ihr waren drei Computerbildschirme aufgebaut, auf denen sie alle Elemente des Sicherheitssystems im Blick hatte. Dazu gehörten auch die Überwachungskameras, mit denen sie verfolgen konnte, was im Haus vor sich ging.

»Im Augenblick befindet sich in den oberen beiden Stockwerken niemand, du hast also freie Bahn«, sagte sie. »Ich habe die Tür beim Hubschrauberlandeplatz aufgesperrt und die Alarmanlage abgestellt.«

»Gut«, sagte Paris und stöhnte leise, als er seinen verletzten Daumen streckte. Er beugte ihn ein paarmal, um ihn zu testen. »Es kann losgehen.«

Im Garten hinter dem Haus begann das Konzert von KB5 und die Musik übertönte jedes Geräusch, das er auf dem Dach machte. »Wer hätte gedacht, dass ich mich mal so freuen würde, die zu hören«, sagte er.

»Du bist doch der totale Fan«, witzelte Sydney.

»Gib mir Bescheid, bevor du die Tür öffnest«, sagte Brooklyn. »Dann stoppe ich die Kameras.«

»Alles klar«, sagte Paris.

Der Mond war nur eine dünne Sichel. Das war hilfreich gewesen, als Paris es dunkel gebraucht hatte. Jetzt dagegen erschwerte es die Orientierung auf dem Dach. Der Hubschrauberlandeplatz war ein wenig erhöht. Als er ihn erreicht hatte, tastete er sich am Rand entlang bis zur Tür. Hinter der Tür kam eine Treppe, die ins Haus hinunterführte.

Er streckte die Hand zum Griff aus. »Also«, sagte er, »ich bin bereit.«

»Denk dran, sobald ich die Kameras stoppe, bin ich total blind«, erinnerte Brooklyn ihn. »Je länger du brauchst, desto gefährlicher wird es.«

»Ja, schon kapiert«, sagte er, bemüht, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen.

»Also dann, drei, zwei, eins.« Brooklyn drückte auf einen Knopf, der alle Kameraübertragungen aus dem oberen Stock einfror. »Viel Glück.«

Da die Flure und Zimmer dort in diesem Augenblick leer waren, würden sie auf den Monitoren im Wachhaus auch weiter leer aussehen, obwohl Paris sich durch sie hindurch bewegte.

Leise öffnete er die Tür und stieg die Treppe zum »Spielzimmer« hinunter, wie Sir Reg es in der BBC-Sendung über das Haus genannt hatte. An der Wand hingen von Rockstars signierte E-Gitarren, in der Mitte des Zimmers stand ein Snookertisch und in einem Schränkchen waren alte Schachfiguren und -bretter ausgestellt.

Paris teilte die Liebe zum Schach mit dem Milliardär, der selbst ein Großmeister war und ein so glühender Fan, dass er seine Firma Caïssa genannt hatte, nach der Gestalt aus der griechischen Mythologie, die als »Göttin des Schachs« galt. Sogar die schwarzen und weißen Fliesen des Bodens erinnerten an ein großes Schachbrett.

Paris hatte sich den Grundriss des Hauses eingeprägt und wusste genau, wohin er musste. Er öffnete die Tür einen Spalt, spähte hinaus und vergewisserte sich, dass der Flur leer war. Dann eilte er ihn auf Zehenspitzen und Fußballen entlang, wie er es im Tanzunterricht gelernt hatte, den das ganze Team auf Mothers Anordnung hatte absolvieren müssen, um Körperbeherrschung und fließende Bewegungen zu lernen.

Er passierte drei weitere Räume, bis er zuletzt vor dem Büro und der Tür mit dem Biometriescanner stand. Sein eingeklemmter Daumen war geschwollen und pochte schmerzhaft, als er die Gummikappe darüberzog. Es tat weh, aber es funktionierte und das Türschloss sprang mit einem Klicken auf.

»Ich bin jetzt im Büro«, sagte er leise in sein Mikrofon. Als Antwort kamen aus dem Safe House erleichterte Seufzer.

Der Raum hatte weder Kameras noch Fenster, es gab nicht einmal einen Computer. So etwas zog nur neugierige Augen und Ohren an und Reg wollte sichergehen, dass niemand von seinen Geschäften erfuhr. Er witterte überall Spione, war andererseits aber nicht so paranoid, dass er sein Fabergé-Ei, nachdem er es bei einer Auktion erworben hatte, noch einmal hätte untersuchen lassen. In seiner Begeisterung über die Neuerwerbung hatte er die Perle von Russland gleich auf den Kaminsims gestellt.

Es war die perfekte Ergänzung für ein Büro, das Besucher, die mit ihm verhandeln wollten, beeindrucken und einschüchtern sollte. Zusätzlich zu diversen Kunstwerken war eine Wand vom Boden bis zur Decke mit Fotos bedeckt, die Reg zusammen mit führenden Politikern und anderen Prominenten zeigte, und eine weitere mit gerahmten Titelseiten von Zeitschriften, Ehrungen und Auszeichnungen, die ihm galten.

Paris schenkte all dem keine Beachtung, sondern steuerte geradewegs auf den mächtigen Kamin zu, der fast eine ganze Wand einnahm. Er holte die echte Perle von Russland aus der Geheimtasche seiner Jacke und wollte sie gerade an ihren rechtmäßigen Platz stellen, da erregte etwas seine Aufmerksamkeit.

»Die Geschenke«, sagte er.

»Was?«, fragte Brooklyn.

»Die Geschenke, die die Botschaftsleute Sir Reg überreicht haben. Sie liegen auf seinem Schreibtisch.«

Brooklyn ließ einen ungeduldigen Seufzer hören. »Kannst du die vielleicht mal vergessen und dich beeilen?«

»Schon gut«, sagte er. »Mach ich ja.«

Er wandte sich wieder den Eiern zu, tauschte sie aus und steckte das falsche ein. Während er damit beschäftigt war, meldete sich Kat von der Party.

»Nur damit ihr Bescheid wisst, Leute, Sir Reg ist, gleich nachdem der Kuchen angeschnitten wurde, ins Haus zurückgekehrt«, sagte sie. »Ihr habt ihn im Blick, oder?«

Brooklyn schaute prüfend über die Bilder auf den Monitoren.

»Nein«, sagte sie dann, »ich sehe ihn nirgends. Bist du sicher, dass er nach drinnen gegangen ist?«

»Ganz sicher.«

Es dauerte kurz, bis bei Brooklyn der Groschen fiel. »Ich habe die Kameras ja gestoppt«, sagte sie in Panik.

Sie drückte auf einen Knopf und die Bilder aus dem dritten Stock erwachten wieder zum Leben. Im selben Moment sahen sie Reg den Flur entlanggehen und direkt auf sein Büro zusteuern.

»Ich habe das Ei ausgetauscht und verlasse das Büro jetzt«, gab Paris durch.

»Nein!«, riefen Brooklyn, Sydney und Mother gleichzeitig.

»Warum nicht? Stimmt was nicht?«

»Reg ist auf dem Weg zum Büro«, sagte Brooklyn. »Er wird gleich da sein.«

»Was soll ich tun?«, fragte Paris verzweifelt.

Im Safe House konnten sie nur hilflos zusehen, wie Reginald Banks den Daumen auf den Scanner drückte, die Tür zu seinem Büro öffnete und hineinging.

4.

APFELSCHNAPS

Alle im Safe House waren in Panik, als Sir Reg sein Büro betrat. Da der Raum nicht an das Überwachungssystem angeschlossen war, konnten sie nicht sehen, was dort vorging. Eines machte ihnen allerdings Hoffnung. Sie hörten keine lauten Stimmen, kein Poltern und keinen Kampflärm. Sir Reg rief nicht empört »Wer bist du denn?« oder »Was hast du hier zu suchen?«. Durch den Lautsprecher kamen nur Paris’ flache, aufgeregte Atemzüge.

»Ich weiß, dass du nicht sprechen kannst«, flüsterte Mother. »Aber wenn du im Moment sicher bist, tippe zweimal an dein Mikrofon, dann wissen wir Bescheid.«

Sie lauschten angestrengt und ein doppeltes leises Klopfen kam durch den Lautsprecher.

»Sehr gut«, sagte Mother in einem beruhigenden Ton. »Wir hören jetzt auf zu reden, damit du dich auf die Situation konzentrieren kannst, aber wenn du unsere Hilfe brauchst, sag einfach …«

Er suchte noch nach einem Sicherheitswort, da zischte Sydney: »Apfelschnaps.« Dieses Codewort hatten sie erst vor Kurzem bei einem Einsatz verwendet.

»Perfekt«, sagte Mother. »Wenn du uns brauchst, sag einfach ›Apfelschnaps‹.«

Paris antwortete mit einem weiteren doppelten Klopfen zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

Im Büro hatte Reginald Banks keine Ahnung von dem Eindringling. Er war in Feierlaune, weil die Party ein voller Erfolg war und seine Tochter im siebten Himmel schwebte. Und weil er drei so aufregende Geschenke bekommen hatte, dass er es gar nicht erwarten konnte, sie zu öffnen. Seine Ungeduld war so groß geworden, dass er das Konzert heimlich verlassen hatte, um rasch einen Blick darauf zu werfen.

Weniger als zwei Meter von ihm entfernt kauerte Paris bewegungslos im Kamin. Er hatte gerade so Platz, wenn er den Kopf einzog und sich mit dem Rücken seitlich gegen die Feuerkammer drückte. Ganz unsichtbar war er nicht, aber es war unter den Umständen das beste Versteck.

Hilfreich war, dass Sir Regs Aufmerksamkeit ganz den Geschenken galt. Er strahlte, als er das erste öffnete, eine Schachtel, die eine streng geheime Akte des FSB enthielt, des russischen Pendants zum MI6 und der CIA. Entzückt blätterte er durch die Seiten. Auch die anderen beiden Päckchen enthielten Geheimdienstakten, eine des R&AW – des indischen Nachrichtendiensts Research & Analysis Wing – und eine des GIP – des saudi-arabischen Nachrichtendienstes General Intelligence Presidency.

Dass er drei solcher streng geheimer Akten beschaffen konnte, von denen es keine Kopie gab, war ein Beweis seiner enormen Macht. Agenten, die heimlich für ihn arbeiteten, hatten sie aus den sichersten Geheimdiensteinrichtungen ihrer Länder geschmuggelt und ihm über die Londoner Botschaften dieser Länder zukommen lassen. Tabithas Feier war der perfekte Deckmantel. So konnten die Agenten ihn aufsuchen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, und ihm die Akten übergeben. Wem wären auch unter den vielen Geschenken, die seine Tochter zum Geburtstag bekommen hatte, drei weitere in Geschenkpapier eingewickelte Päckchen aufgefallen?

»Happy birthday to me«, sang er vor sich hin und zog die Noten genießerisch in die Länge, während er die Akten auf seinem Schreibtisch aufeinanderstapelte.

Paris hatte Mühe, stillzuhalten. Der beißende Gestank nach Rauch trieb ihm das Wasser in die Augen und er musste durch den Mund atmen, um ein Niesen zu unterdrücken. Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte er Reg endlich aufstehen und gehen. Als die Tür ins Schloss fiel, flüsterte er in das Mikrofon: »Er ist weg.« Er hustete ein paarmal und stieg aus dem Kamin.

»Sieht aus, als würde er zur Party zurückkehren«, sagte Brooklyn, die auf den Bildschirmen verfolgte, wie Reg die Treppe hinunterstieg.

»Was hat er in seinem Büro gemacht?«, fragte Sydney.

»Das konnte ich vom Kamin aus nicht sehen«, antwortete Paris. »Aber dem zerknüllten Geschenkpapier auf seinem Schreibtisch nach zu schließen, ist er raufgekommen, um die Geschenke auszupacken.«

»Im Ernst?«, fragte Sydney. »Er schwänzt die Party, um die Geschenke seiner Tochter zu öffnen, ohne dass sie dabei ist?«

»Wenn die Sachen hier für Tabitha sind, dann sind es die schlechtesten Geburtstagsgeschenke aller Zeiten«, sagte Paris. »Das sind nur Akten.« Er blickte auf die oberste hinunter und erstarrte. »Vergesst, was ich gesagt habe. Das sind keine gewöhnlichen Akten. Das sind Geheimdienstakten.«

»Woher weißt du das?«, fragte Mother.

»Auf dem Deckel der ersten sind zwei Stempel. Einer für den FSB und der andere ziemlich sicher für streng geheim auf Russisch.«

»Kannst du sagen, um was es geht?«, fragte Mother.

Paris blätterte durch die Akte. »Ich kann es nicht lesen, aber es handelt sich um eine Art Dossier mit vielen Fotos derselben Person.«

»Und die anderen?«, fragte Mother.

»Die zweite ist vom saudi-arabischen Geheimdienst. Sie enthält Bilder desselben Mannes.«

»Irgendeine Ahnung, wer der Mann ist?«, fragte Sydney.

»Vielleicht kann diese Frage ja der indische Geheimdienst beantworten«, sagte Paris. »Er war so freundlich, seine Akte auf Englisch abzufassen. Na bitte. Der Mann heißt Park Jin-sun und ist ein Atomwissenschaftler aus Nordkorea.«

»Das klingt nicht gut«, sagte Mother. »Was hat Sir Reg vor?«