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Wie weit gehst du, um deine beste Freundin zu retten? Ein berührend schöner Roman über eine schicksalhafte Freundschaft zweier junger Frauen im Zweiten Weltkrieg Oktober 1943: Ein britisches Flugzeug stürzt im von den Nazis besetzten Frankreich ab. Maddie, die Pilotin, und Geheimagentin »Verity«, die mitfliegt, sind beste Freundinnen. Während Maddie entkommen kann, wird Verity von der Gestapo entdeckt. Sie erlebt den schlimmsten Albtraum einer Spionin, die im feindlichen Gebiet gefasst wurde, denn ihre Verhörer stellen sie vor die Wahl: Entweder sie verrät freiwillig ihre Mission oder die Informationen werden grausam aus ihr herausgefoltert. Verity ist sicher, dass sie selbst nicht überleben wird. Doch wird sie ihre Geheimnisse preisgeben, um so vielleicht das Leben ihrer besten Freundin zu retten? »Dieses Buch hat mich zerstört. Man will die Charaktere ganz nah bei sich tragen, um sie zu beschützen, und weiß, dass man es nicht kann.« Leigh Bardugo, Bestsellerautorin
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Seitenzahl: 521
Eine Freundschaft, die ihresgleichen sucht, und ein Schicksal, das zu Tränen rührt
In Friedenszeiten wären die Pilotin Maddie und die Geheimagentin Verity sich wahrscheinlich nie begegnet, doch als sie im Zweiten Weltkrieg derselben Royal-Air-Force-Einheit unterstehen, entwickelt sich zwischen ihnen eine unvergleichliche, tiefe Freundschaft.
Dann wird ihr Flugzeug bei einem gemeinsamen Einsatz abgeschossen und Verity als Spionin von der Gestapo gefasst. Man gibt ihr zwei Wochen für ein schriftliches Geständnis im Austausch für einen gnädigen Tod. Sie weiß, dass sie wahrscheinlich nicht überleben wird, doch auf jedem beschriebenen Fetzen Papier kämpft sie um ihr Leben, konfrontiert sich mit ihren Ansichten über Mut, Versagen und ihrer verzweifelten Hoffnung, es doch irgendwie nach Hause zu schaffen. Aber wird der Verrat ihrer Geheimnisse ausreichen, um sich und Maddie vor einem gnadenlosen Feind in Sicherheit zu bringen?
Elizabeth Wein
Roman
Aus dem Englischen von Petra Koob-Pawis
Für Amanda
Wir sind ein sensationelles Team
Für meine Freundinnen und Freunde
In einem könnt ihr euch sicher sein: Ob ihr dieses Buch als neue Lektüre entdeckt oder als ein altbekanntes Lieblingsbuch lest, ihr seid meine Freundinnen und Freunde. Ihr nehmt mein Herz in die Hand und blickt hinein, und wir werden uns anfreunden, auch wenn ich euch nie treffen oder eure Namen erfahren werde.
Indem ihr dieses Buch zum ersten oder fünfzehnten Mal lest, feiert ihr mit mir die Freundschaft. Ich bin euch so dankbar, denn es ist, als ob wir damit unser Lachen, unsere Tränen, unsere Geheimnisse und unsere Liebe für den Rest unseres Lebens teilen würden – und in gewisser Weise tun wir das auch.
Zwischen Oktober 2009 und Mai 2010 haben meine ersten Leserinnen und Leser Code Name Verity als eine Serie erlebt. Ich schrieb zwanzig oder dreißig Seiten (ja, ich habe den ersten Entwurf mit Bleistiftstummeln und alten Kugelschreibern und einem Montblanc-Füllfederhalter geschrieben, genau wie meine Romanfiguren). Anschließend tippte ich die Arbeit der letzten Tage ab und schickte sie an eine kleine Gruppe von Freunden und Fachleuten aus der Branche, woraufhin sie sofort Nachschub verlangten – ein bisschen wie die Romanfigur Anna Engel, die ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch trommelt, während sie auf die nächste Portion wartet. In Windeseile schrieb eine Leserin mir zu einem bestimmten Wendepunkt des Romans:
Oh
Mein
Gott
Elizabeth
Für mich als Schriftstellerin war Code Name Verity ein Geschenk. Ich kann fast nicht glauben, dass mir das Glück beschieden war, diese Geschichte zu Papier zu bringen. Nun, da sie den Weg hinaus in die Welt gefunden hat, ist sie ein Geschenk, das auch weiter Glück spendet, denn immer wieder verbindet mich die Geschichte von Liebe und Tapferkeit mit meiner Leserschaft. In Briefen, Skizzen, Playlists, selbst geschriebenen Songs, gestrickten Kleidungsstücken, Skulpturen und natürlich im persönlichen Kontakt teilen meine Leserinnen und Leser ihre Liebe zu diesem Buch mit mir. Ich habe einmal einen Leser getroffen, der mir erzählte, wie er wegen unangepasster Fahrweise, ausgelöst durch das Hörbuch, von der Polizei angehalten wurde; als der Polizist ins Auto spähte und eine in Tränen aufgelöste Familie vorfand, war sein erster Gedanke, dass er in einen Familienstreit geraten war! Menschen haben fliegen gelernt, sind buchstäblich Piloten geworden wegen dieses Buches. Mehr als einmal war ich erstaunt – und selbst zu Tränen gerührt –, als ich erfuhr, dass meine Leser und Leserinnen ihre neugeborene Tochter Verity genannt hatten.
Obwohl das Buch in Kriegszeiten spielt und die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Aufbrechen geschlechtsspezifischer Rollen wichtige Aspekte sind, habe ich bewusst Freundschaft als grundlegendes Thema für Code Name Verity gewählt. Aber ich möchte allen, die das Buch lesen, auch sagen: Wenn ihr euch in diesem Buch in irgendeiner Weise wiederfindet, ganz gleich, in welcher, dann ist das eine gültige Interpretation. Wenn ihr euch selbst als Feigling seht, der Tapferkeit lernt, als Pilotin, die fliegen lernt, als Liebende, die eine komplizierte Beziehung navigieren, als Arbeiter, die von ihrer Verantwortung niedergedrückt werden, oder auch als Autorin, die beim Schreiben ihres ersten Buches mehr als einmal improvisieren muss (das fiktive Manuskript in Code Name Verity ist ganz sicher das einer Improvisationskünstlerin), dann sage ich euch: Was ihr aus diesem Buch herauslest, gehört euch. Ich habe diese Worte in die Welt hinausgeschickt. Schlafend und still stehen sie auf dem Papier. Ihr, die Leserinnen und Leser, erweckt sie zum Leben und macht sie zu euren eigenen.
Das Fenster ist immer offen.
Danke, dass ihr dieses Buch lest – und dass ihr meine Freundinnen und Freunde seid.
Fliegt das Flugzeug.
Mit Liebe und Dankbarkeit
Perth, Schottland
2022
Passive Widerstandskämpfer müssen sich darüber bewusst sein, dass sie genauso wichtig sind wie Saboteure.
Handbuch für geheime Operationen der SOE,
»Methoden des passiven Widerstands«
ICHBINEINFEIGLING.
Ich wollte heldenhaft sein und habe so getan, als wäre ich es. Ich war schon immer gut darin, mich zu verstellen. Ich habe die ersten zwölf Jahre meines Lebens damit verbracht, mit meinen fünf großen Brüdern die Schlacht von Stirling Bridge nachzuspielen, und obwohl ich ein Mädchen bin, durfte ich William Wallace sein – angeblich einer unserer Vorfahren –, denn mit meinen anfeuernden Schlachtrufen übertrumpfte ich sie alle. Gott, wie habe ich mich letzte Woche angestrengt! Mein Gott, ich habe es versucht. Aber jetzt weiß ich, dass ich ein Feigling bin. Nach der lächerlichen Abmachung, die ich mit SS-Hauptsturmführer von Linden getroffen habe, weiß ich, dass ich ein Feigling bin. Und ich werde ihnen alles geben, was sie verlangen, alles, woran ich mich erinnern kann. Absolut alles. Bis ins kleinste Detail.
Hier ist unsere Vereinbarung: Ich schreibe sie auf, damit ich sie immer im Kopf behalte. »Na, dann wollen wir doch mal sehen«, sagte der Hauptsturmführer. »Wie kann man Sie bestechen?« Ich sagte ihm, ich wolle meine Kleider zurück.
Das kommt mir jetzt erbärmlich vor. Ich bin mir sicher, dass er von mir eine trotzige Antwort erwartet hatte – »Geben Sie mir die Freiheit!« oder »Sieg!« – oder etwas Großmütiges wie »Hören Sie auf, mit diesem armseligen französischen Widerstandskämpfer herumzuspielen, und gewähren Sie ihm einen würdigen und barmherzigen Tod«. Oder zumindest etwas, das unmittelbar mit meiner gegenwärtigen Situation zu tun hatte, wie »Bitte lassen Sie mich schlafen« oder »Geben Sie mir etwas zu essen« oder »Nehmen Sie mir endlich diese verdammte Eisenstange ab, die sie vor drei Tagen an meine Wirbelsäule gebunden haben«. Aber ich war bereit, noch eine ganze Weile schlaflos, hungrig und starr aufrecht zu bleiben, wenn ich es nur nicht in meiner Unterwäsche tun müsste, die manchmal ziemlich schmutzig und feucht war – SOPEINLICH. Die Wärme und Würde meines Flanellrocks und meines Wollpullovers waren mir jetzt mehr wert als Patriotismus oder Integrität.
Also verkaufte von Linden meine Kleidung Stück für Stück an mich zurück. Mit Ausnahme meines Schals und meiner Strümpfe natürlich, die mir schon früh weggenommen worden waren, um zu verhindern, dass ich mich damit stranguliere (ich hatte es versucht). Der Pullover kostete mich vier komplette Funkcodes – Verschlüsselungsgedichte, Passwörter und Frequenzen. Von Linden gab mir den Pullover unverzüglich zurück, als eine Art Vertrauensvorschuss. Als sie mich nach diesen schrecklichen drei Tagen endlich losbanden, lag der Pullover in meiner Zelle für mich bereit, und auch wenn ich es anfangs nicht schaffte, das verdammte Ding anzuziehen, reichte es mir schon, ihn nur wie einen Schal um die Schultern zu legen, um mich sofort ein bisschen wohler zu fühlen. Jetzt, wo ich es endlich geschafft habe, ihn über den Kopf zu streifen, glaube ich nicht, dass ich ihn jemals wieder ausziehen werde. Der Rock und die Bluse haben etwas weniger gekostet als der Pullover und für meine Schuhe musste ich nur ein einziges Codeset herausgeben.
Insgesamt sind es elf Sets. Mit dem letzten sollte ich meine Unterhose kaufen. Er hat es so eingerichtet, dass ich die Kleidung von außen nach innen zurückbekomme, sodass ich mich jedes Mal vor allen anderen ausziehen muss, wenn ich ein weiteres Teil erhalte. Er ist der Einzige, der nicht zuschaut – er hat sogar angedroht, mir alles wieder wegzunehmen, als ich andeutete, er würde eine tolle Show verpassen. Es war das erste Mal, dass die mir im Laufe der Zeit zugefügten Verletzungen für alle sichtbar waren, und ich wünschte, er hätte sich sein Meisterwerk angesehen – vor allem meine Arme –, und auch das erste Mal, dass ich wieder etwas länger auf meinen Beinen stehen konnte, was ich ihm ebenfalls stolz zeigen wollte. Jedenfalls habe ich beschlossen, auf meine Unterhose zu verzichten, was mir auch die Mühe erspart, mich wieder auszuziehen, um sie anzuziehen. Stattdessen habe ich mir für den letzten Code einen Vorrat an Tinte und Papier erkauft – und etwas Zeit.
Von Linden hat gesagt, ich hätte zwei Wochen und bekäme so viel Papier, wie ich bräuchte. Als Gegenleistung muss ich lediglich alles ausspucken, was ich über die britischen Kriegsanstrengungen weiß. Und das werde ich tun. Von Linden ähnelt Captain Hook, auch er ist eine Art Gentleman, obwohl er ein brutaler Kerl ist, und ich bin ein bisschen wie Peter Pan in meinem naiven Vertrauen, dass er sich an die Regeln hält und nicht wortbrüchig wird. Bis jetzt war das auch so. Zu Beginn meines Geständnisses hat er mir dieses schöne cremefarbene geprägte Briefpapier aus dem Château de Bordeaux geschenkt, dem Schlosshotel von Bordeaux, denn genau das befand sich ehemals in diesem Gebäude. (Ich hätte nicht gedacht, dass ein französisches Hotel so abschreckend düster sein kann, wenn ich nicht mit meinen eigenen Augen die vergitterten Fenster und verriegelten Türen gesehen hätte. Aber Sie haben es ja auch geschafft, die schöne Stadt Ormaie düster aussehen zu lassen.)
Als Gegenleistung für ein einziges Codeset ist das eine ganze Menge, aber zusätzlich zur Preisgabe von Informationen habe ich von Linden auch meine Seele versprochen, obwohl ich nicht glaube, dass er mein Angebot ernst genommen hat. Jedenfalls wird es eine Erleichterung sein, irgendetwas zu schreiben, das nicht mit Codes zu tun hat. Ich habe es so furchtbar satt, Funkcodes auszuspucken. Erst nachdem wir diese vielen Listen zu Papier gebracht hatten, wurde mir klar, was für einen riesigen Vorrat an Codes ich in meinem Kopf habe.
Es ist wirklich ganz erstaunlich.
IHRSCHEISSNAZIS.
Ich bin verdammt. Ich bin hoffnungslos verdammt. Sie werden mich am Ende erschießen, egal was ich tue, denn das ist es, was sie mit feindlichen Agenten machen. Das ist es, was wir mit feindlichen Agenten machen. Wenn ich dieses Geständnis niederschreibe und sie mich nicht erschießen und ich es jemals bis nach Hause schaffen sollte, werde ich sowieso als Kollaborateurin verurteilt und hingerichtet werden. Aber wenn ich mir all die dunklen und verschlungenen Wege ansehe, die vor mir liegen, dann ist dies der einfache, der offensichtliche Weg. Was hält die Zukunft für mich bereit – eine Dose Kerosin, die man mir in die Kehle schüttet, und ein Streichholz an meinen Lippen? Skalpell und Säure, wie bei dem Jungen aus dem Widerstand, der nicht reden will? Als lebendes Skelett mit zweihundert anderen Verzweifelten in einen Viehwaggon verfrachtet werden, um noch vor Erreichen des Zielbahnhofs im Nirgendwo zu verdursten? Nein. Diese Wege werde ich nicht gehen. Das hier ist der einfachste. Die anderen sind zu furchterregend, um auch nur einen Blick in ihre Richtung zu riskieren.
Ich werde meinen Bericht auf Englisch verfassen. Ich habe nicht das Vokabular für einen Kriegsbericht auf Französisch und Deutsch kann ich nicht fließend genug schreiben. Jemand wird für Hauptsturmführer von Linden übersetzen müssen. Fräulein Engel kann das übernehmen. Sie spricht sehr gut Englisch. Sie ist diejenige, die mir erklärt hat, dass Paraffin und Kerosin das Gleiche sind. Wir nennen es zu Hause Paraffin, aber die Amerikaner sagen dazu Kerosin, und so ähnlich heißt es auch bei den Franzosen und den Deutschen.
(Ein Wort zu dem Paraffin, Kerosin oder was auch immer: Ich glaube nicht, dass Sie einen Liter Kerosin auf mich verschwenden können. Oder besorgen Sie es auf dem Schwarzmarkt? Wie rechnen Sie die Kosten ab? 1 Liter hochexplosiver Treibstoff für die Hinrichtung einer britischen Spionin. Wie auch immer, ich werde mein Bestes tun, Ihnen die Kosten zu ersparen.)
Einer der ersten Punkte auf der sehr langen Liste, die ich in mein Geständnis aufnehmen soll, sind die Standorte der britischen Flugplätze für die Invasion auf dem Kontinent. Fräulein Engel wird bestätigen, dass ich in Gelächter ausgebrochen bin, als ich das gelesen habe. Glauben Sie wirklich, ich wüsste auch nur das Geringste darüber, wo die Alliierten ihre Invasion des von den Nazis besetzten Europa starten wollen? Ich bin bei den Spezialeinheiten, weil ich Französisch und Deutsch spreche und gut darin bin, mir Geschichten auszudenken, und ich bin eine Gefangene im Gestapo-Hauptquartier in Ormaie, weil ich keinerlei Orientierungssinn habe. Abgesehen von der Tatsache, dass die Leute, die mich ausgebildet haben, größtes Interesse daran hatten, dass ich keine Flugplätze kenne und somit auch keine Standorte verraten kann, falls man mich erwischt – weshalb mir nicht einmal der Name des Flugplatzes genannt wurde, von dem wir hierher gestartet sind –, möchte ich Sie daran erinnern, dass ich noch keine achtundvierzig Stunden in Frankreich war, bevor Ihr zuvorkommender Agent mich davor bewahren musste, von einem französischen Lieferwagen mit einer Ladung französischer Hühner überfahren zu werden, weil ich beim Überqueren der Straße in die falsche Richtung geschaut hatte. Das zeigt, wie gerissen die Gestapo ist. »Die Person, die ich sozusagen unter den Rädern des Lieferwagens hervorgezogen und vor dem sicheren Tod bewahrt habe, ging davon aus, dass der Verkehr auf der linken Straßenseite verläuft. Sie muss also Britin sein und ist wahrscheinlich mit einem Fallschirm aus einem alliierten Flugzeug in das von den Nazis besetzte Frankreich abgesprungen. Ich werde sie jetzt als Spionin verhaften.«
Ich habe also keinen Orientierungssinn, und das ist in unseren Reihen eine FATALESCHWÄCHE, daher hat es auch keinen Sinn zu versuchen, Ihnen irgendwelche Standorte von Flugplätzen zu nennen. Nicht, ohne dass mir jemand die entsprechenden Koordinaten gibt. Ich könnte sie vielleicht erfinden und dabei möglichst überzeugend sein, um mir mehr Zeit zu verschaffen, aber Sie würden irgendwann dahinterkommen.
Flugzeugtypen im operationellen Einsatz ist auch einer der Punkte, zu denen ich Ihnen etwas sagen soll. Gott, was für eine lustige Liste. Wenn ich irgendetwas über Flugzeugtypen wüsste oder mich dafür interessierte, würde ich Flugzeuge für die Air Transport Auxiliary fliegen, wie Maddie, die Pilotin jener Lufttransportunterstützung, die mich hier abgesetzt hat, oder ich würde als Monteurin oder Mechanikerin arbeiten. Statt völlig eingeschüchtert Fakten und Zahlen für die Gestapo herauszurücken. (Ich werde meine Feigheit nicht noch einmal erwähnen, denn ich fange an, mich dabei unanständig zu fühlen. Außerdem möchte ich nicht, dass Sie sich langweilen und mir dieses schöne Papier wegnehmen und mein Gesicht wieder in ein Becken mit Eiswasser halten, bis ich ohnmächtig werde.)
Nein, warten Sie, ich kenne einige Flugzeugtypen. Ich werde Ihnen alle nennen, die ich kenne, angefangen mit der Puss Moth. Das war das erste Flugzeug, das meine Freundin Maddie je geflogen ist. Es war sogar das erste Flugzeug, in dem sie jemals mitgeflogen ist, und sogar das erste, das sie jemals aus der Nähe gesehen hat. Denn die Geschichte, wie ich hierhergekommen bin, beginnt mit Maddie. Ich werde wohl nie erfahren, wie es dazu kam, dass ich ihren Ausweis und ihre Pilotenlizenz anstelle meines eigenen Ausweises bei mir trug, als man mich erwischte, aber wenn ich Ihnen von Maddie erzähle, werden Sie verstehen, warum wir zusammen hierhergeflogen sind.
Maddie heißt eigentlich Margaret Brodatt. Sie haben ihren Ausweis, Sie kennen ihren Namen. Brodatt ist kein nordenglischer Name, es ist ein russischer Name, glaube ich, denn ihr Großvater kam aus Russland. Aber Maddie ist durch und durch aus Stockport. Im Gegensatz zu mir hat sie einen ausgezeichneten Orientierungssinn. Sie kann sich an den Sternen orientieren oder nach Kompass fliegen, aber ich glaube, sie hat gelernt, ihren Orientierungssinn richtig einzusetzen, als ihr Großvater ihr zum sechzehnten Geburtstag ein Motorrad geschenkt hat. Damit fuhr Maddie aus Stockport hinaus und über die unbefestigten Wege der Hochmoore hinauf zu den Pennine Hills. Rund um die Stadt Stockport kann man die Pennines sehen, grün und kahl, mit schnell ziehenden Wolkenstreifen und wanderndem Sonnenlicht wie in einem Technicolorfilm. Ich weiß das, weil ich an einem meiner Wochenenden bei Maddie und ihren Großeltern übernachtete und sie mich auf ihrem Motorrad mit auf den Dark Peak nahm – einer der schönsten Nachmittage meines Lebens. Es war Winter und die Sonne kam nur für etwa fünf Minuten heraus und selbst dann hörte der Schneeregen nicht auf. Weil sich das Wetter laut Vorhersage nicht zum Fliegen eignen sollte, hatte Maddie drei Tage frei. Aber in jenen fünf Minuten erschien Cheshire grün und funkelnd. Maddies Großvater besitzt ein Motorradgeschäft und besorgte extra anlässlich meines Besuchs etwas Schwarzmarktbenzin für sie. Ich schreibe das hier auf (auch wenn es nichts mit Flugzeugtypen zu tun hat), um zu zeigen, dass ich genau weiß, wie es für Maddie gewesen sein muss, hoch über der Welt, Wind von allen Seiten, dazu das ohrenbetäubende Dröhnen von zwei Zylindern und unter ihr die weite Ebene von Cheshire mit den grünen Feldern und roten Schornsteinen, die aussahen wie eine ausgebreitete Picknickdecke mit Karomuster.
Maddie hatte eine Freundin namens Beryl, die von der Schule abgegangen war. Im Sommer 1938 arbeitete Beryl in der Baumwollspinnerei in Ladderal und die beiden machten gerne sonntägliche Picknicks und unternahmen Spritztouren auf Maddies Motorrad, denn das waren die einzigen Gelegenheiten, bei denen sie sich noch sahen. Beryl schlang ihre Arme stets ganz fest um Maddies Taille, so wie ich auch. Keine Schutzbrille für Beryl und mich, nur Maddie besaß eine. An einem Junisonntag bretterten sie über die schmalen, von Steinwällen gesäumten Landstraßen – Beryls Arbeiterfamilie hatte die Trockenmauern einst errichtet –, den ganzen Weg hinauf bis zur Anhöhe von Highdown Rise, sodass am Ende ihre nackten Schienbeine voller Schlamm waren. Beryl ruinierte an diesem Tag ihren besten Rock, und als Strafe ließ ihr Vater sie einen neuen von ihrem nächsten Wochenlohn bezahlen.
»Ich liebe deinen Großvater«, rief Beryl in Maddies Ohr. »Ich wünschte, er wäre meiner.« (Das wünschte ich mir auch.) »Stell dir nur vor, er schenkt dir tatsächlich eine Silent Superb zum Geburtstag!«
»Von wegen silent – so leise ist sie gar nicht«, rief Maddie über ihre Schulter zurück. »Sie war nicht neu, als ich sie bekommen habe, und jetzt ist sie schon fünf Jahre alt. Ich musste dieses Jahr den Motor komplett überholen.«
»Hätte dein Großvater das nicht übernehmen können?«
»Er wollte sie mir gar nicht erst geben, bevor ich nicht den Motor zerlegt hatte. Ich muss es selbst machen können, sonst darf ich sie nicht behalten.«
»Ich liebe ihn trotzdem«, rief Beryl.
Sie rasten über die grünen Wege von Highdown Rise, gerieten dabei immer wieder in die Traktorspuren und hatten Glück, dass sie nicht über die Steinwälle katapultiert wurden und mitten zwischen Moortümpeln, Brennnesseln und Schafen landeten. Ich kenne die Strecke und kann mir vorstellen, wie es gewesen sein muss. Ab und zu, wenn man um eine Ecke biegt oder einen Hügelkamm erreicht, kann man die kahle grüne Kette der Pennines sehen, die sich still und majestätisch Richtung Westen erstreckt, oder die Fabrikschornsteine im Süden von Manchester, die den blauen Nordhimmel mit schwarzem Rauch vollkritzeln.
»Und du hast dir eine Fähigkeit erworben«, rief Beryl.
»Eine was?«
»Eine Fähigkeit.«
»Motoren reparieren?«, brüllte Maddie.
»Das ist eine Fähigkeit. Besser als Webstuhlschiffchen bestücken.«
»Du wirst wenigstens dafür bezahlt«, rief Maddie zurück. »Ich kriege keinen Penny.« Die Fahrbahn war mit Schlaglöchern übersät, in denen das Regenwasser stand. Der Weg sah aus wie eine Miniaturlandschaft der Highland-Seen. Maddie drosselte das Tempo, bis das Motorrad nur noch leise tuckerte, und musste schließlich sogar anhalten. Sie setzte ihre Füße auf festen Boden, den Rock bis zu den Oberschenkeln hochgerafft, und spürte mit ihrem ganzen Körper noch immer das zuverlässige und vertraute Brummen der Superb. »Wer stellt schon ein Mädchen ein, damit es Motoren repariert?«, fragte Maddie. »Grandma will, dass ich Maschinenschreiben lerne. Wenigstens verdient man damit Geld.«
Sie mussten vom Motorrad absteigen und es über die holprige Straße schieben. Nach einer weiteren Steigung erreichten sie das Gatter an einer Feldgrenze und Maddie lehnte das Motorrad gegen die Steinmauer, damit sie ihre Sandwiches essen konnten. Sie sahen sich an und lachten über den Schlamm.
»Was wird dein Dad sagen?«, rief Maddie aus.
»Was wird deine Gran sagen?«
»Sie ist daran gewöhnt.«
Beryls Wort für Picknick war baggin, das weiß ich von Maddie. Es bestand aus türschwellengroßen Scheiben jenes Vollkornbrots, das Beryls Tante jeden Mittwoch für drei Familien buk, dazu eingelegte Zwiebeln so groß wie Äpfel. Maddies Sandwiches bestanden aus Roggenbrot von der Bäckerei in Reddyke, zu der ihre Großmutter sie jeden Freitag schickte. Die eingelegten Zwiebeln hinderten Maddie und Beryl daran, ein Gespräch zu führen, denn beim Kauen knirschte es so sehr in den Ohren, dass sie kein Wort verstanden, und beim Schlucken mussten sie vorsichtig sein, damit sie nicht aus Versehen an einem Schwall Essig erstickten. (Womöglich entdeckt Hauptsturmführer von Linden eingelegte Zwiebeln als ein nützliches Überredungsmittel. Und die Gefangenen würden gleichzeitig etwas zu essen bekommen.)
(Fräulein Engel fordert mich auf, an dieser Stelle für Hauptmann von Linden zu vermerken, dass ich zwanzig Minuten der mir bewilligten Zeit verschwendet habe, weil ich an diesem Punkt meiner Geschichte über meinen eigenen dummen Zwiebelwitz gelacht und die Bleistiftspitze abgebrochen habe. Wir mussten warten, bis jemand ein Messer zum Anspitzen brachte, weil Fräulein Engel mich nicht allein lassen darf. Und dann habe ich noch fünf Minuten geweint, weil ich die neue Spitze gleich wieder abgebrochen hatte und Fräulein E. den Stift daraufhin ganz nah an meinem Gesicht spitzte und mir die Späne in die Augen schnippte, während SS-Scharführer Thibaut meinen Kopf festhielt, und das machte mich furchtbar nervös. Ich lache oder weine jetzt ganz bestimmt nicht mehr und ich werde versuchen, nicht mehr so stark aufzudrücken.)
Stellen Sie sich also Maddie vor Ausbruch des Krieges vor, zu Hause und frei, mit dem Mund voller eingelegter Zwiebeln – deshalb konnte sie auch nur mit dem Finger zeigen und heftig schlucken, als ein stotterndes, rauchendes Flugzeug über ihren Köpfen auftauchte und über jenem Feld kreiste, auf das sie hinausblickten, während sie auf dem Torgatter saßen. Dieses Flugzeug war eine Puss Moth.
Ich kann Ihnen ein wenig über Puss Moths erzählen. Sie sind schnelle, leichte Eindecker – Sie wissen schon, nur ein Flügelpaar –, die Tiger Moth ist ein Doppeldecker und hat zwei Flügelpaare (ein anderer Flugzeugtyp, der mir gerade einfällt). Man kann die Flügel der Puss Moth zurückklappen, um die Maschine zu transportieren oder zu verstauen. Vom Cockpit hat man eine tolle Aussicht, außerdem bietet sie neben dem Piloten auch zwei Passagieren Platz. Ich bin schon ein paarmal in einer Puss Moth mitgeflogen. Ich glaube, die verbesserte Version heißt Leopard Moth (jetzt habe ich schon drei Flugzeugtypen in diesem Absatz erwähnt!).
Diese Puss Moth, die über dem Feld bei Highdown Rise kreiste, die erste Puss Moth, die Maddie je zu Gesicht bekam, war dabei, abzuschmieren. Maddie erzählte später, das Gatter sei wie ein Sitzplatz in einer Zirkusmanege gewesen. Bei einer Höhe von dreihundert Fuß konnten sie und Beryl jedes Detail der Maschine erkennen: jeden Draht, jede Verstrebung der beiden Segeltuchflügel und das Wirbeln der hölzernen Propellerblätter, die sich wirkungslos im Wind drehten. Große blaue Rauchwolken quollen aus dem Auspuff.
»Die Maschine brennt!«, schrie Beryl in einem Anfall von entzückter Panik.
»Nicht die Maschine. Das Öl«, sagte Maddie, weil sie sich mit solchen Dingen auskennt. »Wenn der Pilot vernünftig ist, schaltet er alles ab. Dann hört es auf und er kann in den Gleitflug übergehen.«
Sie sahen zu. Maddies Vorhersage bewahrheitete sich: Der Motor erstarb, der Rauch verzog sich und nun wollte der Pilot offensichtlich seine beschädigte Maschine auf dem Feld direkt vor ihnen absetzen. Es war eine Wiese, ungepflügt, ungemäht und ohne Weidetiere. Für eine Sekunde verdunkelten die Tragflächen über ihren Köpfen die Sonne wie ein vom Wind aufgeblähtes Schiffsegel. Als das Flugzeug ein letztes Mal über sie hinwegflog, wirbelten die Picknickreste auf das Feld hinaus, braune Krusten und braunes Papier, das im blauen Rauch tanzte wie Konfetti des Teufels.
Maddie sagte, es wäre eine gute Landung gewesen, wenn sie auf einem Flugplatz stattgefunden hätte. Auf dem Feld hüpfte die beschädigte Maschine jedoch ungefähr dreißig Yards weit unkontrolliert über das ungemähte Gras. Dann kippte sie anmutig nach vorn auf die Nase.
Spontan fing Maddie an zu klatschen. Beryl ergriff ihre Hände und versetzte ihr einen Klaps.
»Du dusselige Kuh! Er könnte verletzt sein! Ach, was sollen wir nur tun!«
Maddie hatte nicht vorgehabt zu klatschen. Sie hatte es getan, ohne nachzudenken. Ich sehe sie vor mir, wie sie sich die lockigen schwarzen Haare aus den Augen pustete und die Unterlippe vorschob, bevor sie vom Tor heruntersprang und über die grünen Grasbüschel zu dem notgelandeten Flugzeug lief.
Es waren keine Flammen zu sehen. Maddie kletterte auf die Nase der Puss Moth, um zum Cockpit zu gelangen, und dabei bohrte sich ein Nagel ihrer Motorradschuhe durch den Stoff des Rumpfs (so heißt ja wohl der Flugzeugkörper); ich wette, sie ist erschrocken zusammengezuckt, denn auch das hatte sie eigentlich nicht vorgehabt. Als sie schließlich die Tür öffnete, war ihr sehr heiß und mit einem flauen Gefühl im Magen erwartete sie eine Standpauke des Piloten. Daher war sie geradezu beschämend froh, als sie ihn kopfüber in halb geöffneten Gurten hängend und ganz offensichtlich bewusstlos vorfand. Maddie warf einen Blick auf die ihr fremde Steuerung. Kein Öldruck (das hat sie mir alles erzählt). Drosselklappe geschlossen. So weit, so gut. Maddie löste den Gurt und ließ den Piloten auf diese Weise hinabgleiten.
Beryl war da, um das Gewicht des reglosen Piloten aufzufangen. Das Verlassen des Flugzeugs gestaltete sich einfacher als der Einstieg – ein kurzer Sprung, und Maddie stand wieder auf dem Boden. Sie schnallte den Helm und die Brille des Piloten ab; sie und Beryl hatten beide Erste-Hilfe-Kurse bei den Pfadfinderinnen absolviert und wussten, was zu tun war, damit der Verletzte ausreichend Luft bekam.
Beryl begann zu kichern.
»Und wer ist jetzt die dusselige Kuh?«, rief Maddie.
»Es ist ein Mädchen!« Beryl lachte. »Es ist ein Mädchen!«
Beryl blieb bei der bewusstlosen Pilotin, während Maddie mit ihrer Silent Superb zum nächstgelegenen Bauernhof fuhr, um Hilfe zu holen. Dort fand sie zwei große, starke Jungs in ihrem Alter vor, die Kuhmist schaufelten, und eine Bäuerin, die gerade die ersten Frühkartoffeln sortierte und nebenbei eine Schar Mädchen ausschimpfte, die auf dem alten steinernen Küchenboden ein riesiges Puzzle zusammensetzten (es war Sonntag, sonst hätten sie die Wäsche gekocht). Ein Rettungstrupp wurde losgeschickt und Maddie sollte mit ihrem Motorrad weiter die Straße entlang bis zum Fuß des Hügels fahren, wo sich ein Pub und eine Telefonzelle befanden.
»Sie wird einen Krankenwagen brauchen, Liebes, so viel steht fest«, hatte die Bäuerin freundlich zu Maddie gesagt. »Sie muss ins Krankenhaus, wenn sie ein Flugzeug geflogen ist.«
Die Worte schwirrten in Maddies Kopf herum, bis sie die Telefonzelle erreicht hatte. Nicht »Sie muss ins Krankenhaus, wenn sie verletzt ist«, sondern »Sie muss ins Krankenhaus, wenn sie ein Flugzeug geflogen ist«.
Ein fliegendes Mädchen!, dachte Maddie. Ein Mädchen, das ein Flugzeug fliegt!
Nein, korrigierte sie sich: Kein Mädchen, das ein Flugzeug fliegt, sondern ein Mädchen, das eine Bruchlandung hingelegt hatte.
Aber zuerst war sie das Flugzeug geflogen. Sie musste in der Lage sein, es zu fliegen, um es zu landen (oder zum Absturz zu bringen).
Diese Schlussfolgerung erschien Maddie logisch.
Ich habe noch nie einen Unfall mit meinem Motorrad gebaut, dachte sie. Ich könnte bestimmt auch ein Flugzeug fliegen.
Es gibt noch ein paar andere Flugzeugtypen, die ich kenne, aber im Moment fällt mir nur die Lysander ein. Das ist das Flugzeug, mit dem Maddie mich hierhergebracht hat. Eigentlich sollte sie das Flugzeug landen und mich nicht einfach in der Luft absetzen. Auf dem Hinflug wurden wir beschossen, eine Zeit lang stand das Heck in Flammen und sie hatte keine Kontrolle mehr über die Maschine, weshalb sie mich vorsichtshalber herausspringen ließ, bevor sie zur Landung ansetzte. Ich habe nicht gesehen, wie sie gelandet ist. Aber Sie haben mir Fotos gezeigt, die vor Ort gemacht wurden, also weiß ich, dass auch sie jetzt ein Flugzeug zum Absturz gebracht hat. Trotzdem kann man der Pilotin kaum die Schuld geben, wenn die Maschine von der Flugabwehr beschossen wird.
Die Puss Moth war an einem Sonntag abgestürzt. Beryl musste am nächsten Tag wieder in der Fabrik in Ladderal arbeiten. Mein Herz verkrampft sich und schrumpft vor Neid, der so schwarz und schmerzhaft ist, dass ich bereits die Hälfte dieser Seite mit meinen Tränen ruiniert habe, bevor mir klar wird, dass ich bei dem Gedanken an Beryls langes Leben weine, das aus dem Bestücken von Webschiffchen besteht und den rotzverschmierten Babys, die sie mit einem trinkfreudigen Kerl in einem industriellen Vorort von Manchester großzieht. Natürlich war das 1938 und seitdem sind sie alle bombardiert worden, also sind Beryl und ihre Kinder vielleicht schon tot, und in diesem Fall sind meine Tränen des Neides sehr egoistisch. Das mit dem Papier tut mir leid. Fräulein E. schaut mir über die Schulter, während ich schreibe, und sagt, ich solle meinen Bericht nicht mit weiteren Entschuldigungen in die Länge ziehen.
Im Laufe der nächsten Woche reimte Maddie sich die Geschichte der Pilotin aus einer wahren Flut von Zeitungsausschnitten zusammen und sie tat es mit der geradezu wölfischen Gier einer Lady Macbeth. Die Pilotin hieß Dympna Wythenshawe (ich erinnere mich an den Namen, weil er so albern klingt). Sie war die verwöhnte jüngste Tochter von Sir Wie-heißt-er-doch-gleich Wythenshawe. Am Freitag war in der Abendausgabe der Zeitung von einem wahren Aufschrei der Empörung zu lesen, denn kaum war die Pilotin aus dem Krankenhaus entlassen worden, unternahm sie in ihrem anderen Flugzeug (einer Dragon Rapide – wie schlau von mir!) sofort wieder Spritztouren, während die Puss Moth repariert wurde. Maddie saß im Schuppen ihres Großvaters neben ihrer geliebten Silent Superb, an der immer viel herumgebastelt werden musste, um sie für Wochenendausflüge zu rüsten, und kämpfte mit der Zeitung. Es gab seitenweise düstere Meldungen über die akute Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen Japan und China und die wachsende Wahrscheinlichkeit eines Krieges in Europa. Die auf der Nase liegende Puss Moth auf dem Feld des Bauern von Highdown Rise hatte längst keinen Neuigkeitswert mehr; am Freitag gab es keine Bilder des Flugzeugs, sondern nur ein Foto der Fliegerin, wie sie breit grinsend in die Kamera blickte, glücklich und vom Wind zerzaust und viel, viel hübscher als dieser faschistische Idiot Oswald Mosley, dessen höhnische Fratze Maddie vom oberen Rand der Seite anglotzte, der Stelle, die für die Aufreger des Tages reserviert ist. Maddie deckte ihn mit ihrer Tasse Kakao zu und überlegte, wie sie am schnellsten zum Flugplatz von Catton Park kommen könnte. Es war ein ziemlich weiter Weg, aber morgen war wieder Samstag.
Tags darauf bereute Maddie, dass sie dem Artikel über Oswald Mosley nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Er war da, in Stockport, und sprach vor den Stufen von St. Mary’s am Rande des Samstagsmarktes. Seine idiotischen Faschistenanhänger hatten eigens einen Marsch organisiert, der am Rathaus begann und vor St. Mary’s endete und ein Verkehrs- und Zuschauerchaos verursachte. Inzwischen hatten diese Leute ihren Antisemitismus ein wenig abgeschwächt und die Kundgebung sollte im Namen des Friedens stattfinden – ob Sie es glauben oder nicht, diese Leute wollten alle davon überzeugen, dass es eine gute Idee wäre, mit den idiotischen Faschisten in Deutschland freundschaftlich zu verkehren. Die Mosley-Anhänger durften ihre geschmacklosen, symbolisch-schwarzen Hemden nicht mehr tragen – es gab jetzt ein Gesetz, das das öffentliche Marschieren in politischen Uniformen verbot, hauptsächlich um zu verhindern, dass diese Leute Krawalle verursachten wie mit ihren Märschen durch die jüdischen Viertel in London. Aber sie zogen trotzdem los, um Mosley anzufeuern. Es gab eine ausgelassene Schar seiner Anhänger und eine wütende Schar seiner Hasser. Es gab Frauen mit Körben, die versuchten, ihre Einkäufe auf dem Samstagsmarkt zu erledigen. Es gab Polizisten. Es gab Tiere – einige der Polizisten saßen auf Pferden, eine Schafherde wurde auf dem Weg zum Markt durch die Straßen getrieben und mitten unter den Schafen steckte ein pferdegezogener Milchwagen fest. Es gab Hunde. Wahrscheinlich gab es auch Katzen, Kaninchen, Hühner und Enten.
Maddie konnte die Stockport Road nicht überqueren. (Ich weiß nicht, wie sie wirklich heißt. Vielleicht heißt sie tatsächlich so, weil sie die Hauptstraße ist, die von Süden kommt. Aber verlassen Sie sich lieber nicht auf meine Richtungsangaben.) Maddie wartete und wartete am Rande der aufgepeitschten Menge und suchte nach einer Lücke. Nach zwanzig Minuten begann sie sich zu ärgern, denn jetzt drängten auch noch Leute von hinten an sie heran. Sie packte ihr Motorrad am Lenker, um es zu wenden, und stieß dabei mit jemandem zusammen.
»He! Pass auf, wo du das Motorrad hinschiebst!«
»Tut mir leid!« Maddie blickte auf.
Sie stand einer Horde von Schlägern gegenüber, die wegen der Kundgebung schwarze Hemden trugen, obwohl sie dafür verhaftet werden konnten; ihre Haare hatten sie mit Brylcreem nach hinten gegelt, als wären sie Flieger. Sie musterten Maddie genüsslich von oben bis unten, in der Annahme, dass sie eine leichte Beute sein würde.
»Hübsches Motorrad.«
»Hübsche Beine!«
Einer von ihnen schnaubte kichernd durch die Nase. »Hübsche …«
Er benutzte ein hässliches, unaussprechliches Wort, aber ich werde mir nicht die Mühe machen, es aufzuschreiben, weil ich nicht glaube, dass irgendjemand hier weiß, was es auf Englisch bedeutet, und die französische oder deutsche Entsprechung kenne ich gar nicht. Der ungehobelte Klotz benutzte das Wort wie einen Schlagstock, und es zeigte Wirkung. Maddie wollte das Vorderrad an dem jungen Kerl vorbeischieben, den sie zuvor angerempelt hatte, und stieß dabei erneut mit ihm zusammen. Mit seinen großen Fäusten griff er nach dem Lenker zwischen ihren Händen und hielt ihn fest.
Maddie umklammerte die Griffe. Einen Augenblick lang kämpften sie um das Motorrad. Der Junge weigerte sich loszulassen und seine Kumpels lachten.
»Was macht ein Mädchen wie du mit so einem großen Spielzeug? Woher hast du das?«
»Aus dem Motorradladen, was glaubst du denn?«
»Von Brodatt«, sagte einer von ihnen. Es gab nur den einen Laden auf dieser Seite der Stadt.
»Der verkauft Motorräder an Juden, das ist klar.«
»Vielleicht gehört das Motorrad einem Juden.«
Sie wissen es wahrscheinlich nicht, aber Manchester und seine verrußten Vororte haben eine ziemlich große jüdische Bevölkerung, und niemand stört sich daran. Nun ja, abgesehen von einigen idiotischen Faschisten, aber ich denke, Sie verstehen, was ich meine. Sie kamen aus Russland und Polen und später aus Rumänien und Österreich, überall aus Osteuropa, das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch. Der Laden, um dessen Kunden es ging, war zufällig das Motorradgeschäft von Maddies Großvater, das er seit dreißig Jahren führte. In all der Zeit war er recht erfolgreich gewesen, zumindest erfolgreich genug, um Maddies stilvoller Großmutter das zu bieten, was sie gewohnt war, denn sie leben in einem großen alten Haus in Grove Green am Rande der Stadt und haben einen Gärtner und ein Mädchen, das sich täglich um den Haushalt kümmert. Als die Kerle anfingen, über das Geschäft des Großvaters herzuziehen, nahm Maddie unvorsichtigerweise den Kampf mit ihnen auf. Spöttisch fragte sie: »Braucht es immer drei von euch, um einen Gedanken zu Ende zu führen? Oder schafft ihr es auch jeder für sich allein, wenn ihr genug Zeit habt, vorher darüber nachzudenken?«
Sie stießen das Motorrad um und brachten auch Maddie zu Fall. Leute schikanieren ist das, was idiotische Faschisten am liebsten tun.
Irgendwo auf der belebten Straße herrschte plötzlich helle Aufregung. Der Lärm lenkte das Interesse der Schlägerbande von Maddie ab. Johlend zogen sie weiter. Maddie konnte das unverwechselbare nasale Wiehern des einen noch hören, als er ihr schon längst den Rücken zugekehrt hatte und in der Menge verschwunden war.
Nun kamen ihr Leute zu Hilfe, es waren sogar mehr als die Rüpel, die sie zu Boden gestoßen hatten – ein Arbeiter, eine junge Frau mit einem Kinderwagen und einem Kleinkind sowie zwei Frauen mit Einkaufskörben. Sie hatten nicht protestiert oder sich eingemischt, aber sie halfen Maddie aufzustehen und wischten ihr den Staub ab. Der Arbeiter fuhr mit seinen Händen liebevoll über den Kotflügel der Silent Superb. »Die Maschine ist noch heil, Miss.«
»Hübsches Motorrad!«
Das war der kleine Junge. Seine Mutter sagte: »Pst, sei still«, denn genau das waren auch die Worte des schwarz gekleideten Schlägers gewesen, der Maddie angegriffen hatte.
»Ist aber wirklich hübsch«, sagte der Mann.
»Schon etwas in die Jahre gekommen«, erwiderte Maddie ebenso bescheiden wie erfreut über das Lob.
»Rücksichtslose Kerle.«
»Du solltest deine Knie verarzten lassen, Liebes«, riet eine der Frauen mit Einkaufskorb.
Maddie dachte an Flugzeuge und schwor sich im Stillen: Wartet nur ab, ihr idiotischen Faschisten. Ich werde mir ein größeres Spielzeug als dieses Motorrad besorgen.
Maddies Glaube an die Menschheit war wiederhergestellt und sie zwängte sich aus der Menge heraus und machte sich auf den Weg durch die gepflasterten Seitengassen von Stockport. Hier gab es niemanden außer ein paar kreischenden Kindern, die Straßenfußball spielten, und entnervten großen Schwestern, die ihre Haare mit breiten Tüchern hochgebunden hatten und mürrisch Teppiche ausklopften und Türstufen schrubbten, während ihre Mütter beim Einkaufen waren. Ich verspreche, ich werde vor Neid weinen, wenn ich weiter an sie denke, ob sie nun zerbombt sind oder nicht.
Fräulein Engel hat mir wieder einmal über die Schulter geschaut und mich gebeten, nicht mehr »idiotische Faschisten« zu schreiben, weil sie denkt, dass es dem Hauptsturmführer nicht gefallen wird. Ich denke, sie hat ein bisschen Angst vor Hauptmann von Linden (wer kann es ihr verdenken), und ich denke, Scharführer Thibaut fürchtet sich ebenfalls vor ihm.
Ich kann kaum glauben, dass ich Ihnen tatsächlich sagen muss, wo der Flugplatz von Catton Park liegt – nämlich in Ilsmere Port –, weil er in den letzten zehn Jahren der verkehrsreichste Flugplatz in Nordengland gewesen ist. Dort werden auch Flugzeuge gebaut. Vor dem Krieg gab es einen noblen zivilen Fliegerclub und seit Jahren ist dort auch ein Stützpunkt der Royal Air Force. Die örtliche Royal-Air-Force-Staffel fliegt seit 1936 Bomber von diesem Platz aus. Sie können sich genauso gut denken wie ich, wahrscheinlich sogar noch besser als ich, wofür der Platz jetzt genutzt wird (jede Wette, dass er von Sperrballons und Flugabwehrgeschützen umgeben ist). Als Maddie an jenem Samstagmorgen dort vorfuhr, stand sie einen Moment lang da und starrte dusselig (ihre Wortwahl) zuerst auf den Parkplatz, auf dem sich die größte Ansammlung teurer Autos befand, die sie je an einem Ort gesehen hatte, und dann zum Himmel hinauf, an dem die größte Ansammlung von Flugzeugen zu sehen war. Sie lehnte sich gegen den Zaun und staunte. Nach ein paar Minuten fand sie heraus, dass die meisten Flugzeuge nach einer Art Muster flogen, um abwechselnd landen und sofort wieder durchstarten zu können. Eine halbe Stunde später stand sie immer noch da und hatte erkannt, dass einer der Piloten ein Anfänger war, da seine Maschine bei der Landung zuerst immer sechs Fuß hohe Hüpfer machte, bevor sie richtig auf dem Boden aufsetzte; ein anderer übte absolut verrückte Kunstflugmanöver und ein weiterer bot den Leuten Flüge an – einmal um den Platz, fünf Minuten in der Luft, dann wieder runter, zwei Schilling zahlen und die Brille an den nächsten weitergeben, bitte.
Es war ein überwältigender Ort in dieser unruhigen Friedenszeit, in der Militär- und Zivilpiloten die Startbahn abwechselnd nutzten, aber Maddie folgte entschlossen den Schildern zum Fliegerclub. Sie fand die Person, die sie suchte, durch Zufall – was eigentlich ganz einfach war, denn Dympna Wythenshawe war die einzige untätige Fliegerin auf dem Platz. Sie hatte es sich auf einem der in einer Reihe aufgestellten, schon etwas ausgeblichenen Liegestühle vor dem Clubhaus bequem gemacht. Maddie erkannte sie kaum wieder. Sie sah weder dem glamourösen Foto aus den Zeitungen noch dem bewusstlosen Unfallopfer vom vergangenen Sonntag ähnlich, dessen Gesicht von einem Helm verdeckt gewesen war. Dympna erkannte Maddie ebenso wenig, aber sie rief gut gelaunt: »Lust auf eine Spritztour?«
Sie sprach mit einem kultivierten Akzent, der von Geld und Privilegien zeugte. So ähnlich wie meiner, nur ohne das R typisch schottisch zu rollen. Wahrscheinlich nicht so privilegiert wie ich, aber dafür wohlhabender. Jedenfalls fühlte sich Maddie sofort wie ein Dienstmädchen.
»Ich bin auf der Suche nach Dympna Wythenshawe«, sagte sie. »Ich wollte nur sehen, wie es ihr geht nach der letzten Woche.«
»Es geht ihr gut.« Das elegante Geschöpf lächelte ausgesprochen freundlich.
»Ich habe sie damals gefunden«, platzte Maddie heraus.
»Es geht ihr blendend«, sagte Dympna und streckte träge ihre lilienweiße Hand aus, die sicher noch nie einen Ölfilter gewechselt hatte (nur damit Sie es wissen: meine lilienweißen Hände schon, wenn auch nur unter strenger Aufsicht). »Es geht ihr blendend. Denn ich bin es selbst.«
Maddie schüttelte die Hand.
»Setz dich doch«, sagte Dympna in einem schleppenden Tonfall (stellen Sie sich ungefähr eine Version von mir vor, aufgewachsen in einem Schloss und ausgebildet in einem Schweizer Internat, nur sehr viel größer und nicht ganz so wehleidig). Sie deutete auf die leeren Liegestühle. »Da ist jede Menge Platz.«
Dympna war gekleidet, als wollte sie auf Safari gehen und dabei auch noch glamourös aussehen. Sie bot sowohl Privatunterricht als auch Rundflüge an. Sie war die einzige Pilotin auf dem Flugplatz und mit Sicherheit die einzige Fluglehrerin.
»Wenn meine geliebte Puss Moth repariert ist, nehme ich dich mit«, bot sie Maddie an, und Maddie, die ihre Chancen wahrlich zu nutzen weiß, fragte, ob sie das Flugzeug sehen könne.
Sie hatten es in seine Einzelteile zerlegt und von Highdown Rise hierhergekarrt, jetzt arbeitete ein Team von Jungen und Männern in verschmierten Overalls daran, es in einer der vielen hohen Werkstatthallen wieder zusammenzusetzen. Der prachtvolle Motor der Puss Moth (hier spricht Maddie; sie ist ein bisschen verrückt) hatte nur HALBSOVIELPS wie Maddies Motorrad. Mit Drahtbürsten schrubbten sie die Grasreste aus dem auseinandergenommenen Motor. Er lag auf einem viereckigen Wachstuch, in tausend glänzenden Stücken. Maddie wusste sofort, dass sie hier am richtigen Ort war.
»Oh, darf ich zusehen?«, fragte sie. Dympna – die sich nie die Hände schmutzig machte, aber trotzdem jeden Zylinder und jedes Ventil benennen konnte, das auf dem Boden lag – gestattete Maddie, den neuen Stoff (für den Rumpf, den sie eingetreten hatte) mit einem Spannlack zu bestreichen, den sie »Dope« nannten und der aussah wie Plastikschleim und nach eingelegten Zwiebeln roch. Als Maddie eine Stunde später immer noch unermüdlich fragte, wozu all die Teile dienten und wie sie hießen, drückten die Mechaniker ihr eine Drahtbürste in die Hand und ließen sie mithelfen.
Maddie sagte, sie habe sich danach immer sehr sicher in Dympnas Puss Moth gefühlt, weil sie selbst mitgeholfen hatte, den Motor wieder zusammenzubauen.
»Wann kommst du wieder?«, fragte Dympna sie vier Stunden später bei einer öligen Tasse Tee.
»Es ist zu weit weg, allzu oft kann ich nicht kommen«, gestand Maddie traurig. »Ich wohne in Stockport. Unter der Woche helfe ich meinem Großvater in seinem Büro, er bezahlt mir das Benzin, aber ich werde ganz sicher nicht jedes Wochenende hier sein können.«
»Du bist ein Glückspilz«, sagte Dympna. »Sobald die Puss Moth wieder flugtüchtig ist, verlege ich meine beiden Flugzeuge auf den neuen Platz in Oakway. Er liegt direkt bei der Fabrik in Ladderal, in der deine Freundin Beryl arbeitet. Nächsten Samstag gibt es in Oakway eine große Gala zur offiziellen Eröffnung des Flugplatzes. Ich hole dich ab, dann kannst du dir den Spaß von der Pilotenkanzel aus ansehen. Beryl kann ebenfalls mitkommen.«
Jetzt habe ich Ihnen bereits die Standorte von zwei Flugplätzen genannt.
Ich bin allmählich ein bisschen wackelig auf den Beinen, weil ich seit gestern nichts mehr essen und trinken durfte und seit neun Stunden schreibe. Deshalb riskiere ich es jetzt, den Bleistift auf den Tisch zu werfen und mich auszuheulen
Diesr Stift funktnert ncht. Tintnkleckse, tut mr leid. Ist ds n Test odr Bestrafng ich will mnen Bleistift zrück
[Notiz an SS-Hauptsturmführer Amadeus von Linden, aus dem Deutschen übersetzt:]
Die englische Flugoffizierin sagt die Wahrheit. Die Tinte, die man ihr gegeben hat, war zu alt/zu dick und klumpte an der Schreibfeder. Sie ist jetzt verdünnt worden und ich teste sie hier, um sicherzustellen, dass man damit schreiben kann.
Heil Hitler!
SS-Scharführer Etienne Thibaut
Sie ignorantes französisches Nazischwein, SS-Scharführer Etienne Thibaut, ICHBINSCHOTTIN!
Die Komödianten Laurel und Hardy, ich meine untergebener Offizier Thibaut und Engel, Wachhund vom Dienst, haben sich auf meine Kosten über die minderwertige Tinte lustig gemacht, die Thibaut für mich aufgetrieben hat. Er musste sie mit Kerosin verdünnen, das war ja klar. Er war verärgert, als ich mich über die Tinte beschwerte, und er schien mir nicht zu glauben, dass die Feder verstopft war, weshalb ich mich auch ziemlich aufregte, als er wegging und mit einem Liter Kerosin zurückkam. Als er die Dose brachte, wusste ich sofort, was es war, und Fräulein E. musste mir einen Krug Wasser ins Gesicht schütten, damit ich nicht hysterisch wurde. Jetzt sitzt sie mir gegenüber und zündet ihre Zigarette immer wieder an und schnippt die Streichhölzer in meine Richtung, um mich zu erschrecken, aber sie lacht dabei.
Gestern Abend war sie besorgt, weil sie dachte, ich hätte nicht genug Fakten ausgeplaudert, um als richtiger kleiner Judas durchzugehen. Ich glaube, sie hat sich wieder einmal Gedanken um von Lindens Reaktion gemacht, denn sie ist diejenige, die übersetzen muss, was ich für ihn schreibe. Wie sich herausstellte, hielt er es für »einen interessanten Überblick über die Situation in Großbritannien auf lange Sicht« mit einer »kuriosen individuellen Perspektive« (er testete mein Deutsch ein wenig, während wir darüber sprachen). Ich glaube, er hofft auch, dass ich etwas über Monsieur Laurel und Mademoiselle Hardy ausplaudere. Er traut Thibaut nicht, weil Thibaut Franzose ist, und Engel nicht, weil sie eine Frau ist. Ich soll den ganzen Tag über Wasser bekommen, während ich schreibe (zum Trinken und um hysterische Anfälle zu vermeiden) und eine Decke. Für eine Decke in meinem kleinen, kalten Raum, SS-Hauptsturmführer Amadeus von Linden, würde ich ohne Gewissensbisse und ohne zu zögern meinen heldenhaften Vorfahren William Wallace, den obersten Hüter Schottlands, verraten.
Ich weiß, dass Ihre anderen Gefangenen mich verachten. Thibaut hat mich mitgenommen, um … Ich weiß nicht, wie Sie es nennen, wenn Sie mich zwingen zuzuschauen – eine erzieherische Maßnahme? Vielleicht, um mich daran zu erinnern, wie glücklich ich mich schätzen darf? Nach meinem gestrigen Wutanfall, als ich aufgehört hatte zu schreiben und bevor ich essen durfte, machte Scharführer Thibaut auf dem Rückweg in meine Zelle halt, damit ich sah, wie Jacques erneut verhört wurde. (Ich weiß nicht, wie er wirklich heißt; Jacques ist der Name, mit dem sich die Franzosen in Eine Geschichte aus zwei Städten anreden, und das passt irgendwie). Dieser Junge hasst mich. Es macht keinen Unterschied, dass auch ich mit Klaviersaiten oder so etwas Ähnlichem an meinen eigenen Stuhl gefesselt bin und seinetwegen vor Schluchzen keuche und die ganze Zeit wegschaue, außer wenn Thibaut meinen Kopf festhält. Jacques weiß, sie alle wissen, dass ich eine Verräterin bin, der einzige Feigling unter ihnen. Keiner von ihnen hat auch nur ein einziges Stückchen Code herausgegeben, geschweige denn ELF, und schon gar nicht ein schriftliches Geständnis abgelegt. Als sie ihn rausschleppen, spuckt er mich an.
»Kleines schottisches Stück Scheiße.«
Das klingt so schön auf Französisch, p’tit morceau de merde écossaise. Im Alleingang habe ich das siebenhundert Jahre währende Alte Bündnis zwischen Frankreich und Schottland zu Fall gebracht.
Es gibt noch einen anderen Jacques, ein Mädchen, das »Scotland the Brave« pfeift, wenn wir aneinander vorbeigeführt werden (meine Zelle ist ein Vorzimmer zu dem Raum, den sie für Verhöre benutzen), oder irgendeine andere Schlachthymne, die mit meiner Herkunft verbunden ist, und sie spuckt mich ebenfalls an. Sie alle verabscheuen mich. Das ist nicht dasselbe wie ihr Hass auf Thibaut, den rückgratlosen Kollaborateur, der ihr Landsmann ist und für den Feind arbeitet. Ich bin auch Ihre Feindin, also sollten die mich so wie ihn behandeln. Aber ich bin nicht einmal Verachtung wert. Ein kleines schottisches Stück Scheiße.
Fürchten Sie nicht, es könnte diese Leute nur bestärken, wenn Sie ihnen jemanden geben, den sie verachten können? Sie sehen mich wehleidig in der Ecke stehen und denken: »Mon Dieu. Lasst mich nie so werden wie die da.«
Diese Überschrift sieht furchtbar offiziell aus. Jetzt fühle ich mich schon besser. Wie ein richtiger kleiner Judas.
Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Mädchen in Stockport im Jahr 1938, aufgewachsen bei liebevollen und nachsichtigen Großeltern und ziemlich besessen von Motoren. Stellen Sie sich vor, Sie wollten fliegen lernen: richtig fliegen. Echte Flugzeuge fliegen.
Ein dreijähriger Kurs beim Air Service Training hätte Sie über tausend Pfund gekostet. Ich weiß nicht, was Maddies Großvater damals in einem Jahr verdiente. Wie ich schon sagte, kam er mit seinem Motorradgeschäft ganz gut zurecht, während der Depression nicht ganz so gut, aber nach unseren damaligen Maßstäben hätte ihm jeder ein recht ordentliches Auskommen bescheinigt. Auf jeden Fall hätte es ihn den größten Teil seines Jahreseinkommens gekostet, Maddie ein Jahr lang Flugstunden zu bezahlen. Ihren ersten Flug bekam sie umsonst, einen einstündigen Trip in Dympnas reparierter Puss Moth an einem herrlich klaren Sommerabend mit frischem Wind und tief stehender Sonne. So sah sie die Pennines zum ersten Mal von oben. Beryl durfte mitfliegen, da sie ebenso wie Maddie an Dympnas Rettung beteiligt gewesen war, aber Beryl saß ganz hinten, hatte keine so gute Sicht und musste sich in ihre Handtasche übergeben. Sie bedankte sich bei Dympna, flog aber nie wieder mit.
Und natürlich war es eine Spritztour, kein Unterricht. Maddie konnte sich keine Flugstunden leisten. Aber sie machte sich den Flugplatz von Oakway zu eigen. Oakway entstand etwa zur gleichen Zeit wie Maddies Schwärmerei für Flugzeuge – ich will ein größeres Spielzeug, hatte sie sich gewünscht, und siehe da, eine Woche später gab es Oakway. Dorthin war es nur eine fünfzehnminütige Fahrt mit dem Motorrad und alles war so neu, dass die Mechaniker froh waren, ein zusätzliches Paar geschickter Hände zu haben. In diesem Sommer war Maddie jeden Samstag unterwegs, bastelte an den Motoren, tüftelte an den Stoffflügeln herum und schloss Freundschaften. Dann, im Oktober, zahlte sich ihre Hartnäckigkeit plötzlich und unerwartet aus. Damals gründeten wir die Civil Air Guard, eine zivile Luftpatrouille.
Ich sage wir und meine damit Großbritannien. So gut wie jeder Flugverein im Königreich machte mit, es bewarben sich Tausende von Menschen – kostenlose Flugausbildung! –, sodass sie nur etwa ein Zehntel aufnehmen konnten. Und nur eine von zwanzig war eine Frau. Aber Maddie hatte erneut Glück, denn alle Ingenieure, Mechaniker und Fluglehrer in Oakway kannten und mochten sie und empfahlen sie wärmstens weiter, weil sie schnell und engagiert war und alles über Ölstände wusste. Sie war nicht von vornherein besser als jeder andere Pilot, der in Oakway bei der Civil Air Guard ausgebildet wurde. Aber sie war auch nicht schlechter. Ihren ersten Alleinflug absolvierte sie in der ersten Woche des neuen Jahres, inmitten von Schneegestöber.
Beachten Sie jedoch den Zeitpunkt. Maddie begann Ende Oktober 1938 mit der Fliegerei … Hitler (Sie werden bemerken, dass ich mir meine anschaulichen Bezeichnungen für den Führer gespart und sie alle wieder durchgestrichen habe) überfiel Polen am 1. September 1939 und Großbritannien erklärte Deutschland zwei Tage später den Krieg. Maddie absolvierte die praktische Prüfung für ihre A-Lizenz, die Grundlizenz für Piloten, sechs Monate bevor im August alle zivilen Flugzeuge aus dem Verkehr gezogen wurden. Danach wurden die meisten davon in den Dienst der Regierung gestellt. Beide Flugzeuge von Dympna wurden vom Luftfahrtministerium für die Nachrichtenübermittlung beschlagnahmt, weshalb sie stinksauer war.
Wenige Tage bevor Großbritannien Deutschland den Krieg erklärte, flog Maddie allein auf die andere Seite von England, überflog die Gipfel der Pennines und wich den Sperrballons aus, die den Himmel über Newcastle wie silberne Wälle schützten. Sie folgte der Küste nach Norden bis Bamburgh und Holy Island. Ich kenne diesen Abschnitt der Nordsee sehr gut, denn der Zug von Edinburgh nach London fährt dort entlang und während meiner Schulzeit bin ich das ganze Jahr über hin- und hergependelt. Als meine Schule dann kurz vor dem Krieg geschlossen wurde, bin ich, statt woanders meinen Abschluss zu machen, kurzerhand für ein Trimester an die Universität gegangen; um dorthin zu gelangen, habe ich ebenfalls den Zug genommen und fühlte mich dabei sehr erwachsen.
Die Küste von Northumbria ist der schönste Teil der ganzen Strecke. Im August geht die Sonne in Nordengland noch recht spät unter, und als Maddie tief über die langen Sandstrände von Holy Island flog, sah sie die dort versammelten Robben. Sie flog über die felsigen Anhöhen von Lindisfarne und Bamburgh, über die Ruinen des Klosters aus dem zwölften Jahrhundert und über all die Felder, die sich gelb und grün bis hin zu den niedrigen Cheviot Hills in Schottland ausdehnten. Auf dem Rückweg folgte sie dem siebzig Meilen langen, zweitausend Jahre alten Drachenrücken des Hadrianswall bis nach Carlisle und dann nach Süden durch die Lakeland Fells, entlang des Lake Windermere. Um sie herum Anhöhen und Berge, unter ihr die glitzernden Gewässer der Lake-District-Dichter in den Tälern der Erinnerung – goldene Narzissenteppiche, Romanabenteuer aus Schwalben und Amazonen, Peter Rabbit. Um dem Rauch aus den Kaminen von Manchester auszuweichen, kehrte sie über Blackstone Edge und die alte Römerstraße nach Hause zurück und landete schluchzend vor Schmerz und Liebe wieder in Oakway; Liebe zu ihrer Inselheimat, die sie an einem Nachmittag ganz und in all ihrer Verwundbarkeit aus der Luft gesehen hatte, von Küste zu Küste, eine Heimat, die wie unter einem Brennglas aus Sommer und Sonnenlicht ihren Atem anzuhalten schien. Und die in kommenden Nächten von Flammen und Verdunkelung verschluckt werden sollte. Maddie landete in Oakway, schaltete den Motor ab und weinte im Cockpit.
Mehr als alles andere, scheint mir, zog Maddie für die Robben von Holy Island in den Krieg.
Schließlich kletterte sie aus Dympnas Puss Moth. Die tief stehende Abendsonne beleuchtete die anderen Flugzeuge im Hangar, die Dympna benutzte, teure Spielzeuge, die ihre edelste Stunde erst noch erleben sollten. (In weniger als einem Jahr würde dieselbe Puss Moth von jemand anderem geflogen werden, um die in Bedrängnis geratene britische Expeditionsarmee in Frankreich mit Blutkonserven zu versorgen.) Maddie führte alle Kontrollen durch, die sie normalerweise nach einem Flug durchführte, und begann dann wieder mit denen, die sie vor einem Flug erledigte. So fand Dympna sie eine halbe Stunde später vor – wie sie im goldenen Abendlicht Mücken von der Windschutzscheibe entfernte, weil sie das Flugzeug noch nicht sich selbst überlassen konnte.
»Das brauchst du nicht zu tun.«
»Irgendjemand muss es machen. Ich werde sie nicht mehr fliegen, oder? Ab morgen nicht mehr. Das ist das Einzige, was ich noch tun kann – den Ölstand prüfen und die Käfer abkratzen.«
Dympna stand ruhig im Schein der abendlichen Sonne, zog an ihrer Zigarette und beobachtete Maddie eine Weile. Dann sagte sie: »In diesem Krieg wird es für Frauen Arbeit mit den Flugzeugen geben. Warte nur ab. Sie werden alle Piloten brauchen, die sie für die Royal Air Force bekommen können. Das werden junge Männer sein, einige von ihnen mit weniger Übung, als du jetzt hast, Maddie. Und dann bleiben die alten Männer und die Frauen übrig, um neue Flugzeuge auszuliefern, Nachrichten zu überbringen und Piloten zu lotsen. Das werden wir sein.«
»Meinst du?«
»Es wird eine Einheit für zivile Piloten gegründet, als Unterstützung bei Kriegseinsätzen. Die Air Transport Auxiliary, kurz ATA, zusammengesetzt aus Männern und Frauen. Es könnte jeden Tag so weit sein. Ich stehe bereits auf der Liste, Pauline Gower leitet die Frauensektion.« Pauline war eine Fliegerfreundin von Dympna; sie hatte Dympna dazu ermuntert, Rundflüge anzubieten. »Du hast nicht die nötige Qualifikation dafür, aber ich werde dich nicht vergessen, Maddie. Wenn sie die Ausbildung wieder für junge Frauen freigeben, schicke ich dir ein Telegramm. Dann bist du die Erste.«
Maddie kratzte weiter Mücken ab und rieb sich die Augen, viel zu unglücklich, um zu antworten.
»Wenn du mit deiner Arbeit fertig bist, mache ich dir eine Tasse unseres besten öligen Earl Grey und morgen früh schleppe ich dich zum nächsten WAAF-Rekrutierungsbüro.«
WAAF ist die Abkürzung für Women’s Auxiliary Air Force, eine Hilfsabteilung der RAF, der Royal Air Force. In der Women’s Auxiliary Air Force fliegt man nicht, aber so, wie die Dinge jetzt stehen, kann man fast jeden Beruf übernehmen, den sonst Männer machen, alles, was mit dem Fliegen und Kämpfen zu tun hat: Elektriker, Techniker, Monteur, Überwacher von Sperrballons, Fahrer, Koch, Friseur … Da läge es doch nahe, dass unsere Maddie sich für einen Job bei den Mechanikern entscheiden würde, oder? Aber in den Anfängen des Krieges waren diese Berufe noch nicht für Frauen zugänglich. Es spielte keine Rolle, dass Maddie schon viel mehr Erfahrung hatte als viele junge Männer; es gab keine Stelle für sie. Aber sie hatte im Rahmen ihrer Ausbildung für die Pilotenlizenz A bereits das Morsealphabet und ein wenig über den Funkverkehr gelernt. Im August 1939 herrschte im Luftfahrtministerium Aufregung, man suchte händeringend nach Frauen für den Funkdienst, da den Verantwortlichen langsam dämmerte, wie viele Männer sie für die Fliegerei brauchen würden. Maddie trat der WAAF bei und wurde schließlich Funkerin.
Es war wie in der Schule. Ich weiß nicht, ob Maddie das auch so sah; sie war nicht auf ein Schweizer Internat gegangen, sondern auf eine höhere Schule in Manchester, und sie hatte sicher nie mit dem Gedanken gespielt, auf die Universität zu gehen. Selbst als sie in der Schule war, kam sie jeden Tag nach Hause, sie musste nie ein Zimmer mit zwanzig Mädchen teilen oder auf einer Strohmatratze schlafen, die aus drei Strohballen bestand, die wie Sofakissen aneinandergelegt waren. Wir nannten sie Kekse. Man war immer so müde, dass es einem egal war; jetzt würde ich mir die linke Hand abhacken, um eine davon dazuhaben. Und dann diese pingelige Kontrolle, bei der man all seine Habseligkeiten in wahlloser, aber nicht willkürlicher Reihenfolge auf einer gefalteten Decke auslegen musste wie ein Puzzle, und wenn irgendetwas auch nur einen Millimeter daneben lag, gab es Punkteabzug – wie in der Schule. Auch der ganze Jargon, die gnadenlosen Drillübungen, die faden Mahlzeiten und die Kleiderordnung – wobei Maddies Gruppe anfangs noch nicht einmal richtige Uniformen bekommen hatte. Sie trugen passende blaue Strickjacken, wie Pfadfinderinnen (Pfadfinderinnen tragen keine blauen Luftwaffenstrickjacken, aber Sie verstehen, was ich meine).
Maddie war zunächst in Oakway stationiert, praktischerweise ganz in der Nähe von ihrem Zuhause. Das war Ende 1939, Anfang 1940. Der Sitzkrieg. Es passierte nicht viel.
Jedenfalls nicht in Großbritannien. Wir kauten an unseren Nägeln. Übten. Warteten.
»Du da! Mädchen mit der blauen Strickjacke!«
Fünf junge Frauen mit Kopfhörern blickten von ihren Schalttafeln auf, zeigten auf ihre Brust und murmelten leise: »Ich?«
»Ja, Sie! Aircraftwoman Brodatt! Was machen Sie hier? Sie sind doch eine lizenzierte Funkerin!«
Maddie deutete auf ihren Kopfhörer und das Steckkabel, das sie gerade einstöpseln wollte.
»Nehmen Sie sofort das verdammte Ding ab und antworten Sie mir.«
Maddie wandte sich wieder ihrem Schaltbrett zu und steckte ungerührt das Kabel ein. Sie legte die entsprechenden Schalter um und sprach deutlich in das Mikrofon. »Der Oberst ist jetzt mit Ihnen verbunden, Sir. Sie können sprechen.« Sie nahm das Headset ab und drehte sich wieder zu dem seltsamen Kauz um, der auf eine Antwort wartete. Es war der Cheffluglehrer der RAF-Staffel von Oakway, der Mann, der Maddie vor fast einem Jahr die Flugprüfung abgenommen hatte.
»Entschuldigung, Sir. Ich bin hierherversetzt worden, Sir.« (Ich sagte es bereits – wie in der Schule.)
»Versetzt? Sie tragen ja nicht einmal eine Uniform!«
Fünf pflichtbewusste Aircraftwomen Erster Klasse zupften ihre luftwaffenblauen Strickjacken zurecht.
»Wir haben keine richtige Uniform erhalten, Sir.«
»Versetzt!«, wiederholte der Offizier. »Sie fangen morgen im Funkraum an, Aircraftwoman Brodatt. Die Assistentin des Funkers ist an Grippe erkrankt.« Er nahm den Kopfhörer von der Konsole und stülpte ihn über seinen zu großen Kopf. »Stellen Sie mich zur WAAF-Verwaltungseinheit durch«, sagte er. »Ich möchte mit Ihrem Abteilungsleiter sprechen.«
Maddie legte die Schalter um und steckte die Kabel ein, und er gab über Maddies Telefon Anweisungen zu ihrer Versetzung.
»Rekrut an Bodenkontrolle, Rekrut an Bodenkontrolle«, kam die Meldung aus dem Trainingsflugzeug. »Position unklar, über dreieckigem Gewässer östlich des Korridors.«
»Bodenkontrolle an Rekrut«, antwortete Maddie. »Ist es ein See oder ein Stausee?«
»Bitte wiederholen.«
»See oder Stausee? Ihr dreieckiges Gewässer.« Nach kurzem Schweigen ergänzte Maddie: »Ein Stausee hat an einem Ende einen Damm.«
»Rekrut an Bodenkontrolle. Bestätige Stausee.«
»Ist es Ladyswell? Manchester Sperrballons auf zehn Uhr, Macclesfield auf acht Uhr?«
»Rekrut an Bodenkontrolle, bestätige. Position lokalisiert. Über Ladyswell für Rückkehr nach Oakway.«
Maddie seufzte. »Bodenkontrolle an Rekrut, Freigabe für Endanflug.«
»Wilco.«
Maddie schüttelte den Kopf und fluchte halblaut. »Ach, du heilige Tante! Uneingeschränkte Sicht! Uneingeschränkte Sicht bis auf die dreckige große Stadt im Nordwesten! Und zwar die dreckige große Stadt, die in dreitausend Fuß Höhe von ein paar Hundert silbernen Wasserstoffballons umgeben ist, jeder einzelne so groß wie ein Bus! Wie, um Himmels willen, soll er Berlin finden, wenn er nicht einmal Manchester findet?«