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„Das ist ein Cold Case!“, flüstert Hannah ihrer Tochter Viola Blumenstengel zu. Auf dem Küchentisch steht eine abgewetzte, alte Reisetasche voller Blüten, noch aus D-Mark-Zeiten. Das Geld stammt aus dem Keller von Hannahs verstorbener Cousine, die sich ihr kurz vor dem Tod noch anvertraut hatte. Nun erfährt Viola von dem Geheimnis aus den Wirren der Wendezeit. Beide sind sich einig: Damals kann es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein! Verschwand Marias Mann wirklich spurlos? Und starb er tatsächlich in der Spree? Man hatte nur seinen Freund Gandolf gefunden. Während der Morgen in Nikolassee dämmert, beschließt Floristin Viola, der Sache gemeinsam mit Tochter Iris auf den Grund zu gehen.
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Seitenzahl: 372
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„Humor ist der Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt.“Joachim Ringelnatz
Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Die Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2023 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.com EPub Produktion durch CW Niemeyerbuchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-9787-0
Andrea GereckeCold Case –Blütenrausch
Der zeitweilige Mindener Hauptkommissar Alexander Rosenbaum gastiert auch im blumigen Berlin-Krimi, der 2022 mit Fall Nummer eins startete. Hier agieren in erster Linie Viola Blumenstengel, Inhaberin des Ladens „Floreal“ in Nikolassee, und ihre Tochter Iris als Hobbydetektivinnen-Duo. Beide können es nicht lassen, haben sie doch ein Faible für kriminelle Machenschaften beziehungsweise die Auflösung solcher Fälle – gern im TV oder als Lektüre, noch lieber aber im echten Leben. Zumal die Kriminalpolizei nicht unbedingt durch Tatendrang glänzt – ganz anders als in der Wirklichkeit. Schließlich ist das hier nur ein Roman und zwar ein heiterer.
Katastrophen in unserem näheren und weiteren Umfeld gibt es leider genug, die habe ich absichtlich ausgespart. Niemand infiziert sich auf den folgenden Seiten mit Corona oder trägt Masken, es fallen keine Bomben und fahren keine Panzer in der gar nicht so weit entfernten Nachbarschaft, und die Preise dümpeln einfach so vor sich hin, ohne in exorbitante Höhen zu schnellen und Otto Normalverbraucher den allerletzten Schlaf zu rauben.
Wie stets habe ich die vorliegenden Fakten nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert. Und da ich seit einem Vierteljahrhundert journalistisch-beruflich den Floristen und Gärtnern eng verbunden bin, fundiert alles auf einer soliden Basis.
Sollten private Geschichten und Verwicklungen eventuelle Ähnlichkeiten mit tatsächlichem Geschehen aufweisen, so sind diese natürlich rein zufällig zustande gekommen. Das Leben schreibt sowieso die spannendsten Storys, das kann sich unsereins gar nicht alles ausdenken ...
Einige Sehenswürdigkeiten dürfen wie immer mit dabei sein, schließlich liegt mir meine Geburtsstadt Berlin am Herzen, und schon früher habe ich als Reisejournalistin Ausflugstipps vermittelt. Sollte es also etwa jemanden geben, der noch nicht auf dem Fernsehturm war, dem sei ein Abstecher in die luftige Höhe unbedingt empfohlen. Super Aussicht!
Nikolassee, wo Viola Grünes und Blühendes verkauft, ist seit 2001 Ortsteil des Bezirks Steglitz-Zehlendorf und seit dem Dezember 2020 um ein größeres Stück dezimiert, das dem neu gebildeten Ortsteil Schlachtensee zugeteilt wurde und einiges an der Zahl der Einwohner kostete. Was die Bürokratie nicht so alles fertigbringt! Dennoch glänzt die Ecke nicht nur durch umwerfend schöne Villen, sondern auch durch das Museumsdorf sowie die Gartenstadt Düppel auf dem Gelände des gleichnamigen und ehemaligen Ritterguts.
Und meine Wahlheimat in Ostwestfalen darf ebenso erneut mit von der Partie sein. Auch da gibt es jede Menge zu entdecken – immer wieder und stets aufs Neue. Eine Tour in die Gegend rund um die Porta Westfalica lohnt sich allemal. Das kann ich jedenfalls versichern.
Nun viel spannend-humorvolle Unterhaltung auf den folgenden Seiten.
Viola zog die Augenbrauen in die Höhe und starrte ungläubig auf den Küchentisch. Soeben hatte ihre Mutter eine ziemlich schäbige Reisetasche in verblichenem Russischgrün mit Schwung so darauf platziert, dass er ins Wackeln kam, und nun schaute sie auffordernd auf ihre Tochter. Nur kurz überlegte Viola, ob sie das aussprechen sollte, was ihr da auf der Zunge lag. Ob es denn richtig wäre, so ein Drecksding auf den Essenstisch mit der schönen Decke zu stellen. Eigentlich ein No-Go in dieser Familie. Einkäufe und Ähnliches wanderten stets auf die großzügige Arbeitsfläche neben der Spüle, die man schließlich problemlos abwischen konnte. Das war doch alles eine Frage der Hygiene. Und vor der jeweiligen Speisenaufnahme landeten selbstverständlich schützende Platzdeckchen an den passenden Orten, um Urgroßmutters besticktes Kunstwerk nicht zu verderben. Jetzt hatte das gute Stück bestimmt Schaden genommen!
„Nun sag schon was“, drängte Hannah und wirkte äußerst aufgeregt. Sie hatte sogar vor lauter Anspannung feine Schweißperlen auf der Stirn.
„Ähm.“
Nur die Wanduhr tickte laut und unbeeindruckt.
„Das gibt es doch nicht. Seit wann bist du denn auf den Mund gefallen? Hier.“
Hannah gestikulierte wild mit den Händen und öffnete dann mit einem geräuschvollen Rutsch den Reißverschluss, griff in die Tasche und holte ein Päckchen Geldscheine heraus, das sie triumphierend wedelnd in die Höhe hielt.
„Hast du etwa eine Bank überfallen?“, erkundigte sich jetzt Viola mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht. Was anderes fiel ihr partout nicht ein. Eine gewisse Sprachlosigkeit hatte sich ihrer bemächtigt.
„Wo denkst du denn hin?“, entrüstete sich die Mutter, um gleich fortzufahren: „Schau doch mal genauer hin. Du siehst wohl den Wald vor lauter Bäumen nicht.“
Jetzt hielt sie ihrer Tochter das Bündel direkt vors Gesicht. Es roch ziemlich muffig. Eklig, dachte Viola, bremste sich aber. Komisch, war der nächste Brocken in ihrer Gedankenwelt. Das sah irgendwie so altbacken aus.
„Sind das etwa …?“
„Ja, du Dummerchen, das sind noch die guten alten Scheine aus D-Mark-Zeiten. Aber mit diesen hier hättest du eigentlich nicht bezahlen dürfen.“
Das klang einigermaßen kompliziert.
„Aha“, gab Viola etwas schwerfällig von sich, ihr Gehirn befand sich offensichtlich im Ruhemodus und kam nicht in die Gänge.
„Willst du denn nicht wissen, wie ich zu denen gekommen bin?“, drängte die Mutter.
„Doch.“
Viola erstaunte sich selbst über ihre Wortkargheit. Es hatte ja durchaus Vorteile, dass die Familie hier in Nikolassee unter einem Dach wohnte und sich das gemeinsame Unternehmen „Floreal“ direkt anschloss, aber eben auch Nachteile. Man konnte sich nie aus dem Weg gehen und hockte mehr oder weniger immer zusammen, ob man wollte oder nicht. Höchstens das Ausweichen in die Blumenladen-Filiale am Ku’damm war möglich. Aber dort war man natürlich auch nicht allein, und es gab das Telefon für weitere Anweisungen. Viola seufzte kaum hörbar.
„Nun gut, mein Kind. Dann will ich dir mal die Geschichte von diesem Fund erzählen. Das braucht etwas länger und bedarf keiner weiteren Zuhörer. Deshalb habe ich abgewartet, bis unsere Familie auf Achse ist. Hat sich heute hervorragend gefügt. Unsere beiden besseren Hälften auf Einkaufstour in den Niederlanden und die Große über Nacht bei ihrer Freundin …“
Hannah saß jetzt gemütlich auf einem der Stühle, vor sich die prallvolle Tasche. Sie verschränkte die Arme, nachdem sie sich ihre graumelierten Haare mit beiden Händen zurechtgerückt hatte.
„Ein Glas Rotwein wäre nicht verkehrt“, schlug sie nun vor, womit sie sich auf einen längeren Abend einstellte.
„Wenn du meinst, Mama, dann hole ich uns mal eine Flasche.“
Viola erhob sich und lief zur Speisekammer, öffnete die Tür und verschwand in dem gut gefüllten Vorratsraum.
„Halbtrocken oder trocken?“, ertönte eine Frage in die Küche.
„Trocken natürlich, wieso fragst du eigentlich? Du kennst doch meine Vorlieben.“
Hannah schüttelte den Kopf. Ob das heute überhaupt Sinn machte, ihrer Tochter etwas zu erklären, die schien ja ausgesprochen schwer von Kapee zu sein. Aber wenn sie ihr nicht umgehend etwas erzählte, dann würde sie platzen, dessen war sie sich absolut sicher. Es hatte schon reichlich Nerven gekostet, überhaupt bis zu diesem Augenblick abzuwarten und nicht vorher gewisse Details zu verraten.
„So, Mama“, zog Viola den Korken mit einem gekonnten Ruck aus der Flasche und begutachtete das Etikett. „Der sollte eigentlich noch ein Weilchen atmen dürfen, ehe wir ihn trinken.“
Aus dem Hängeschrank griff sie sich zwei einfache Gläser und stellte sie neben der Flasche auf den Tisch, allerdings erst nachdem sie ein Deckchen hingelegt hatte. Nicht noch Rotweinflecken in dem handgearbeiteten Stück!
„Keine Zeit“, antwortete Hannah. „Schenk einfach mal ein.“
Viola tat wie ihr geheißen. Inzwischen saßen beide einander gegenüber und prosteten sich zu. „Worauf wollen wir eigentlich trinken?“, erkundigte sich die Tochter.
„Auf die Lösung eines spannenden Falls, du hast ja da schon die besten Erfahrungen ... Ich muss dir nämlich von einem großen Familiengeheimnis berichten.“
Violas Arbeitstag hatte zeitig in der Früh begonnen. Sie war auf dem Großmarkt gewesen, hatte festgestellt, dass es keinen Bedarfsartikelgroßhändler dort mehr gab, und sich darüber geärgert, aber wenigstens die nötigen Blumen und Pflanzen sowie einiges an Beiwerk für die nächsten Tage eingekauft, dann erst in der Filiale am Ku’damm einen Teil bei Lisa und Renata abgeliefert, die sich sofort darum kümmerten. Dort hatte sie auch Benjamin den Auftrag gegeben, nach alternativen Bezugsmöglichkeiten für Bindedraht, Scheren, Messer, Steckschaum, Strohkränze, Klebeband & Co. zu schauen.
„Nichts leichter als das“, war nur seine Antwort gewesen, was sie mit Erleichterung aufgenommen hatte. Dann war sie mit dem zweiten Schwung an frischer Ware nach Nikolassee gefahren, wo Swenja schon wartete. Sie wusste ja, dass sie sich auf ihren Azubi verlassen konnte. Im Anschluss überschlugen sich die üblichen Tagesereignisse im Geschäft, sodass sie nicht einen Moment zur Ruhe kam. Eigentlich wollte sie an diesem Abend mal zeitig ins Bett gehen und höchstens noch ein paar Seiten in ihrem aktuellen Kriminalroman schmökern. So war ihr Plan gewesen. Aber ihre Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie nun hellwach war und an deren Lippen klebte.
„Du glaubst es nicht, Kind“, fing Hannah an, „was sich hinter diesen Blüten verbirgt!“
„Falschgeld also? Auch das noch!“
Die Frage stand einen ziemlich langen Moment im Raum.
„Aber natürlich. Das sieht man doch auf Anhieb. Hier und da.“
Hannah wies mit Kennermiene auf unterschiedliche Stellen eines Fünfzig-Mark-Scheines, den sie herausgezogen hatte und zusätzlich noch gegen das Licht der Deckenlampe hielt.
„Also, ich würde das nicht bemerken, wenn ich mal ehrlich bin“, bekannte Viola. „Ist wohl auch schon zu lange her. Beim Euro kann mir da keiner was vormachen.“
„Klar, damit gehst du auch jeden Tag um. Aber nun zu der Geschichte mit dieser Riesensumme. Es sind alles in allem nämlich ganze siebenhundertfünfundachtzigtausend D-Mark.“
„Auch nach dem aktuellen Kurs nicht schlecht, die Summe“, warf Viola ein.
„Du sagst es. Jede Menge Schotter, wofür es sich schon lohnt, ein paar Dummheiten zu begehen.“
„Also, Mama, ich wäre dir dankbar, wenn du mal auf den Punkt kommen würdest. Ich verstehe nur Bahnhof.“
Hannah blickte etwas entrüstet, aber die Freude überwog, nun endlich ihr Geheimnis loszuwerden, das sie lange genug gehütet hatte.
„Na gut, dann werde ich dich mal nicht länger auf die Folter spannen“, schlug sie nun vor und erhob erneut ihr Glas, um sich einen größeren Schluck zu genehmigen.
Dann folgte die Geschichte von ihrer älteren Lieblingscousine Maria, von allen nur Mia genannt, die gerade verstorben war, und deren Mann Heinz, der in der Nachwendezeit auf mysteriöse Art und Weise verschwunden war. Nur dessen Freund hatte man damals aus der Spree gefischt, wobei Fremdverschulden ausgeschlossen wurde, wie es hieß.
Viola ließ ihre Mutter erzählen und lauschte gebannt. Das war ja ein Ding! Diese scheinbar so harmlose Ostverwandtschaft hatte es faustdick hinter den Ohren. Eine Bande von Geldfälschern offensichtlich. Man sollte wirklich niemandem trauen.
„Du kannst dich doch noch an Onkel Heinz erinnern, Liebes?“, erkundigte sich Hannah zwischendurch.
„Aber selbstverständlich. Der ist doch mit mir auf dem Fußboden rumgeturnt und hat aus Bausteinen super Schlösser für meine Barbie-Puppe und den Ken gezaubert. Von Lego wie zu Hause waren die nicht, das weiß ich noch genau, farblich auch recht blass, wie hieß bloß die Firma? Ich glaube, Piko stand drauf und der Begriff Klemmbausteine. Auf dem Kasten war ein fröhliches Kind abgebildet …“
Viola bekam einen verträumten Gesichtsausdruck, der sich aber schlagartig in puren Ernst verwandelte.
„ … und dann war mein Onkel eines Tages auf und davon. Ihr habt hinter vorgehaltener Hand was von einer Liebschaft erzählt. Ich habe das genau gehört, mich aber nicht getraut, weiter nach den Gründen zu bohren. Dabei war ich längst alt genug, um die Wahrheit zu erfahren.“
Hannah schüttelte traurig den Kopf.
„Das hat keiner von uns wirklich geglaubt, insofern weiß ich gar nicht, welche Wahrheit wir dir hätten erzählen sollen. Wahrscheinlich war die Frau auch nur eine Komplizin von ihm, wenn ich jetzt mal eins und eins zusammenrechne. Jedenfalls hat mir Mia im Krankenhaus, als es mit ihr jetzt zu Ende ging, alles offenbart. Zumindest so weit, wie ihre Erkenntnisse reichten. Sie hat mir dann den Wohnungsschlüssel gegeben und das Versteck dieser Tasche verraten. Im Fußraum ihrer großen Nähmaschine, die sie eigentlich gar nicht mehr benutzte und die in der Abstellkammer unter einem Berg von Kartons mit einem Sammelsurium von Weihnachtsdekoration stand: Lametta, eine Pyramide mit Schäfern und Schafen, mehrere Schwibbögen, Christbaumkugeln, Zapfen, Schleifen. Also, was die Leute so alles aufheben, ich kann dir sagen …“
Hannah schien kurz den Faden zu verlieren, hatte ihn aber gleich wieder aufgegriffen.
„Und als ich ihr tags darauf den Schlüssel zurückbrachte, hat sie nur erleichtert aufgeatmet und gemeint, irgendwann würden wir schon die Wahrheit ans Tageslicht bringen. Für sie sei die Sanduhr abgelaufen, sie müsste wohl abschließen und mit der Ungewissheit ins Jenseits gehen. Das wird schon, habe ich ihr daraufhin versichert und die Hand gestreichelt, die war ganz schmal und eiskalt. Ich habe ja nicht im Traum daran gedacht, dass es so schnell mit ihr zu Ende gehen würde. In der Nacht ist sie dann gestorben …“
Jetzt fing Hannah an zu weinen. Viola stand auf, umrundete den Tisch und schloss ihre Mutter tröstend in ihre Arme.
„Ich habe es doch quasi Mia auf dem Sterbebett versprochen, dieses Rätsel zu lösen“, schluchzte Hannah.
„Ach Mama, du hast doch nur gesagt, dass das schon werden würde. Also eher eine allgemeine Formulierung deinerseits. Wofür hat man denn Familie? Da sollte ich mich wohl mal in die Spur begeben, wenn es dir recht ist. Iris hilft mir garantiert, die hat eine echte Spürnase.“
„Wirklich?“
Hannah schniefte und klang dabei, als wäre ihr eine schwere Last von der Seele genommen, obwohl ja überhaupt noch nichts geklärt, sondern nur ein Hilfsangebot gekommen war. Dann fügte sie an: „Ach was, im Grunde habe ich ja damit gerechnet und dir genau deshalb alles berichtet.“
„Wir kriegen das hin. Da bin ich sicher.“
Viola wirkte außerordentlich zuversichtlich, als der letzte Schluck vom Rotwein ausgetrunken war und der Morgen schon zu dämmern begann.
„Eigentlich brauchen wir jetzt auch gar nicht mehr ins Bett zu gehen“, stellte Viola fest und rieb sich die Augen.
„Ein, zwei Stunden Schlaf tun uns beiden bestimmt noch gut, Kindchen“, legte Hannah gähnend fest und war im selben Augenblick verschwunden, während Viola noch nachdenklich aus dem Fenster schaute, wo langsam Umrisse von Bäumen und Sträuchern deutlich wurden.
Als die Ladenklingel ertönte, schaute Viola in Richtung Tür und ließ das halb fertige Gesteck für die bestellte Tischdekoration sinken, das sie gerade in Arbeit hatte. Daran konnte sie auch etwas später weitermachen, das wurde erst am folgenden Tag abgeholt. Ihre Mitarbeiterin Swenja hatte sich kurz davor in den Feierabend verabschiedet.
„Ach, das ist super, dass du vorbeikommst, Alex.“
Alexander zog verwundert die Stirn kraus.
„Das freut mich natürlich zu hören. Aber es ist doch mein Standardtag für einen schönen Blumenstrauß. Man darf Frauen schließlich nicht enttäuschen, wenn sie solche Gaben von einem gewöhnt sind.“
Ihm waren natürlich die Ringe unter den Augen der Floristin aufgefallen. Offensichtlich hatte Viola schlecht geschlafen oder definitiv zu wenig, aber eine Frage seinerseits verbot sich, so befand Alexander. Das wäre unhöflich oder eher noch indiskret.
„Ja, schon klar, ist schließlich auch in meinem Sinne“, antwortete Viola, gähnte breit und hielt sich erst verspätet die Hand vor den Mund. „Sorry, gestern hatte ich ein längeres Gespräch mit meiner Mutter, und genau darüber möchte ich unbedingt mit dir reden.“
„Ein offensichtlich aufregender Disput mit deiner Mama? Und das kannst du nicht intern klären, mit deiner Familie? Soso!“
„Ach, Alex, doch nicht bei solchen Dingen. Das hat alles viel größere Dimensionen.“
„Nachtigall, ick hör dir trapsen“, sagte Alex und hatte sein verschmitztes Lächeln drauf.
Viola musste unwillkürlich lachen.
„Eben. Es geht um was Kriminalistisches. So viel sei schon mal verraten.“
„Wobei du da ja in deiner Tochter einen optimalen Ratgeber hast, wie ich aus gut unterrichteten Quellen weiß“, sagte Alex und grinste weiter. „Die Mädels hatten sich gestern beim Abendbrot über die Lösung von Kriminalfällen ausgetauscht und haben heute hoffentlich einen erfolgreichen Tag. Ich wünsche mir nur sehnlichst, dass sie bald mal in die Spur kommen. Nichts gegen ein Freiwilliges Soziales Jahr und dann auch noch in der Jugendbetreuung bei den Maltesern, das ist schon eine schöne Sache, bei der man unbedingt menschlich dazulernt und reift. Aber man muss doch in dem Alter wissen, wohin die Reise gehen soll. Dabei hatten die beiden so ein tolles Abi hingelegt und hätten im Anschluss mit dem Studium durchstarten können. Adieu ihr grandiosen Studienplätze! Ich verstehe die jungen Leute manchmal nicht, wahrscheinlich werde ich alt. Aber Spaß beiseite, unsere Kinder wären ja auch ein abendfüllendes Thema, das sollten wir uns ein andermal vornehmen. Dann rück mal raus mit der Sprache.“
Alex fuhr sich mit einer Hand über sein kurz geschnittenes, graues Haar.
„Du bist gut. Doch nicht hier so mitten im Tagesgeschäft. Kommt wahrscheinlich oder eher glücklicherweise gleich wieder ein Kunde, den ich nicht warten lassen kann. Dann würde eine Unterbrechung der nächsten folgen. Aber das Thema erfordert volle Konzentration und auch keine unfreiwilligen Zuhörer. Wir müssen uns dazu selbstverständlich gesondert verabreden. Wann passt es dir denn am besten und zwar möglichst zeitnah?“
„Das klingt sehr konspirativ, genau mein Ding. Aber spann mich doch nicht so auf die Folter! Rück wenigstens einen kleinen Tipp raus, in welche Richtung es mit dem Kriminellen geht. Gespräch mit deiner Mutter als Ausgangspunkt ist arg wenig.“
„Ein bisschen Geduld tut jedem gut. Also: Wann wäre es recht?“
Alexander überlegte kurz.
„Na schön. Morgen ist schlecht, da bin ich schon total verplant. Übermorgen muss ich nur bis mittags arbeiten. Soll ich im Anschluss bei dir vorbeikommen? Wir könnten ja zur Konditorei an der Ecke gehen, wenn du dein dir zustehendes gewerkschaftliches Päuschen einlegst, haha. Ich lade dich gern ein.“
Viola ging nicht auf die Pausenbemerkung ein, ihr war nicht nach Scherzen zumute.
„Musst du nicht, ich übernehme die Zeche. Hauptsache, du hörst mir zu und kannst mir ein paar Tipps geben.“
„Oh, mein Fachwissen als Hauptkommissar ist gefragt. Wie wunderbar. Damit stehe ich dir natürlich liebend gern zur Verfügung. Freue mich immer, wenn meine Polizeischüler bei meinen Ausführungen gebannt vor mir sitzen. Das hat was. Hätte ich mir gar nicht träumen lassen.“
Alex’ Augen strahlten.
Ein nächster Kunde betrat den Laden, grüßte freundlich und schaute sich die Schnittblumen an, zog da und dort mal einen Stängel heraus und ließ die Blume nicht gerade feinmotorisch wieder ins Gefäß zu den anderen sinken.
„Ich bin gleich bei Ihnen“, erklärte Viola mit leicht gerunzelter Stirn, sie mochte es nicht sonderlich, wenn die Kunden sich selbst bedienten und dabei meist mit ihrer Grobheit Spuren hinterließen. Rasch band sie den üppigen Strauß für Alexander zu Ende, den sie während ihrer Unterhaltung zusammengestellt hatte. Das angefangene Gesteck lag immer noch in Warteposition. Dann kassierte sie ab und sagte nur: „Bis übermorgen dann.“
„Tschüss, Viola.“
„Haben Sie sich denn schon entschieden?“, wandte sie sich mit einem freundlichen Lächeln dem jungen Mann zu, der jetzt ihre volle Aufmerksamkeit hatte.
An diesem Abend blieb nicht viel Zeit, um Iris in den Sachverhalt einzuweihen. Auf jeden Fall war das Mädchen sofort nach den ersten Stichworten Feuer und Flamme. Ein weiterer Krimi in echt und dann auch noch einer, der mit der Familie zusammenhing. Wie aufregend!
Viola hatte nach der Arbeit eine Sitzung vom Fachverband Deutscher Floristen, Schwerpunktthema mangelnder Berufsnachwuchs, und es war bei ihrer Diskussion recht spät geworden, aber immerhin brannte noch Licht im Zimmer ihrer Tochter, sodass ein Gutenachtkuss angebracht war. Eine schöne Tradition, an der die beiden trotz der voraneilenden Jahre noch festhielten. Sobald das Licht gelöscht war, hatte sich Iris mit einem gemurmelten: „Gute Nacht, Mama“, die Decke bis unters Kinn gezogen und war im Handumdrehen eingeschlafen. Beneidenswert, stellte Viola fest und zugleich: Wo war nur die Zeit geblieben? Hatte sie nicht eben die Wiege mit dem Baby darin geschaukelt, dann Bilderbücher durchgeblättert und später Grimms Märchen vorgelesen? Irgendwo musste sie doch noch die Dose mit den Milchzähnen haben!
Jetzt sputete sie sich, um selbst ins Bett zu kommen, in dem Cord bereits weit über die Besucherritze hinaus in ihrem Bereich lag und dabei war, die Bäume der Umgebung in handliche Stücke zu zersägen. Na super.
„Hallo, Schätzchen, wie war denn dein Tag“, erkundigte sich Viola tags darauf, nachdem sie in das Zimmer ihrer Tochter getreten war, die an ihrem Schreibtisch saß und auf den Bildschirm ihres Computers starrte. Dann riss Iris sich von dieser Blickrichtung los und schaute auf ihre Mutter. In der Rechten hielt sie einen Stift, an dessen Ende sie kaute.
„Iris, das geht doch gar nicht. Kannst du dir das nicht mal abgewöhnen? Du versaust dir noch die Zähne. Die bleiben nicht ewig so hübsch wie in deinem Alter!“
„Na, du musst es ja wissen“, nuschelte Iris vor sich hin.
„Ich habe dich schon verstanden! Und ja, ich weiß, was Schaden anrichten kann. Hängt mit meinen hart erarbeiteten Lebensjahren zusammen. Und so manche Erfahrung will ich dir einfach ersparen. Musst auch nicht in jedes Fettnäpfchen springen, in dem ich schon mal gelandet bin.“
Iris seufzte und verdrehte dabei die Augen.
„Du bist jetzt aber nicht zu mir gekommen, um mich zu erziehen?! Was du bis jetzt nicht geschafft hast, das wird auch nichts mehr …“
„Nee, ausnahmsweise nicht“, grinste Viola. „Für morgen habe ich mich mit Alexander verabredet, hatte ich das gestern schon erwähnt? Da kann ich mir ein paar Ratschläge in unserem Fall holen. Und eventuell kann er uns weiter behilflich sein, das weiß er nur momentan noch nicht …“
„Aha, nun ist es doch schon unser Fall“, konstatierte die Tochter zufrieden. „Ich dachte schon, das wird nichts mehr, weil es sich so hinzieht. Eigentlich muss man sofort durchstarten, wenn man von so was Kenntnis bekommt. Spuren bleiben doch nicht ewig heiß. Um aktiv zu werden, benötige ich entsprechenden Input. Namen, Zahlen, Daten, Fakten. Und wie willst du bei deinem Gespräch mit Alex vorgehen?“
Die Tochter klang überzeugend rational.
„Zunächst schildere ich ihm einfach den Sachverhalt“, gab Viola von sich.
„Haha, einfach im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit ist ein echter Witz. Aber du wirst das schon machen. Bin auf jeden Fall gespannt aufs Ergebnis. Und nun lass mir einfach noch die nötige Zeit für meine Aufgaben. Eben fällt mir nämlich ein, wo mein Denkfehler für unseren geplanten Projekttag lag. Ich habe doch glatt die Mittagspause vergessen.“
„Ach nee, und das hast du nicht etwa aus dem Ende deines Stiftes rausgekaut?“
„Mama!“, kam es entrüstet von Iris.
„Schon gut, meine Große. Erfolgreiches Schaffen. Möglicherweise können wir morgen zum Abend hin beziehungsweise am Wochenende aktiv werden.“
„Supi! Mit mir kannst du quasi jederzeit rechnen“, sagte Iris und wandte sich erneut ihrem Computer zu, um ein paar Stichpunkte festzuhalten.
Und schon war Viola wieder verschwunden, um sich in die Küche zu begeben. Aber dort wollte auch niemand Hilfe von ihr. Hannah stand vor dem Kühlschrank und räumte gerade Wurst und Käse heraus. Die Butter stand schon auf dem Tisch, ebenso ein Teller mit aufgeschnittenen und gewürzten Tomaten zwischen Mozarellascheiben sowie ein weiterer mit sauren Maiskölbchen und Gurkenstücken.
„Darf ich dir zur Hand gehen?“, erkundigte sich Viola, was durchaus ernst gemeint war.
„Eigentlich nicht“, kam es etwas barsch von Hannah, die aber gleich freundlicher nachlegte: „Mach ruhig noch die nötige Abrechnung. Kannst dich dann entspannt zu uns setzen. Ich schaffe das schon allein.“
Viola lief noch einmal in den Laden und zog sich das Buch mit den Bestellungen für den nächsten Tag heraus. Ein Blick genügte, um keine offenen Baustellen zu finden. Eigentlich hatte sie nichts anderes erwartet. Und die Abrechnung? War längst von ihrem Azubi Benjamin erledigt, der diese Woche nicht mehr in der Filiale am Ku’damm, sondern in Nikolassee eingesetzt war. Der Junge war wirklich auf allen Gebieten fit und toppte ihre festen Mitarbeiterinnen.
Also schlenderte sie durch das Geschäft, zog da etwas in der Dekoration gerade und schob dort ein paar Zweige zurecht. Im Grunde völlig überflüssig, aber sie wusste momentan nichts mit sich anzufangen. Nur ihre Gedanken tobten durcheinander. Kriminelle Ostverwandtschaft. Nicht schlecht. Darauf wäre sie nie gekommen. Da konnte sie ja von Glück reden, dass sie auf dieser Seite der Mauer geboren war und die taktischen Ermittlergene in die Wiege gelegt bekommen hatte. Geld fälschen! Wie verfiel man denn darauf? Das war schon recht speziell. Sofort purzelten ihr passende Filme aus der entsprechenden Gedankenschublade. Klar, die Idee war nicht sonderlich neu, und in jenen absurden Zeiten nach der Öffnung der Grenzen schien ja offensichtlich jeder Zweite getan zu haben, was ihm gerade in den Sinn kam. Warum also nicht mit Blüten seinen Reibach machen?
Aber was war mit Onkel Heinz passiert? Wenn er in die Spree gefallen war, wie sein Freund Gandolf, dann hätte man ihn doch längst gefunden. Das Wasser gab immer alles wieder her – irgendwann. Ihr gesamtes Bild von Heinz verrutschte bei diesen Hintergründen. Nicht mehr das liebe, nette Familienmitglied, sondern ein echter Gauner. Dabei hatte er immer so friedlich gewirkt, als könnte er keiner Fliege was zuleide tun. Was würde sie wohl alles zutage fördern, wenn sie gemeinsam mit Iris in die Spur ging?
Zeitweilig war der Kontakt innerhalb der Familie etwas ausgedünnt, obwohl ja gar keine Mauer mehr trennte, aber der Arbeitsalltag hielt alle in Ost und West gleichermaßen gefangen. Da blieb nicht viel Freiraum, den man gemeinsam gestalten konnte. Und das Bedürfnis nach Begegnungen war merkwürdigerweise nach einem Weilchen der Euphorie abgeebbt, vielleicht gerade, weil es jetzt immer möglich war, sich zu treffen. Kleine Geschenke wie Seife, Feinstrumpfhosen oder Kaffee kamen auch nicht mehr an wie zuvor.
„Sollten wir vielleicht doch die Finger davon lassen und das gesamte Paket mit allen Hinweisen lediglich der Polizei übergeben?“, hauchte Viola ins Halbdunkle. Aber die Blumen antworteten ihr nicht. Bist du denn deppert und doof, setzte umgehend ein Gedanke nach: Dbddhkp – doof bleibt doof, da helfen keine Pillen …
„Essen ist fertig!“, ertönte der Mahnruf von Hannah aus dem Hintergrund.
Viola riss sich aus ihren Gedanken, machte auf dem Absatz kehrt und begab sich in die Küche, in der im selben Augenblick sämtliche Familienmitglieder eintrudelten. Wenn Hannah zum Essen rief, dann gab es keine Entschuldigungen für eventuelles Zuspätkommen. Heute waren zwar Brot, Butter und Belag angesagt, bei denen man nicht auf die Minute achten musste. Aber es hatte schon Tobsuchtsanfälle gegeben, als Thüringer Klöße – nach einem traditionellen Rezept der östlichen Familienrichtung aus Eisenach – gemächlich zerkocht waren … „Klar wie Kloßbrühe“ hatte da eine völlig andere Bedeutung bekommen!
„Mahlzeit“, sagte Viola und setzte sich als Letzte auf ihren Platz. „Dann wollen wir es uns mal schmecken lassen. Danke schön, Mama.“
Der Rest der Familie langte zunächst wortlos zu, aber nach den ersten Bissen war der Heißhunger gestillt, und Gespräche über die Tagesereignisse entwickelten sich. Schäferhund Arnold lag friedlich in seiner Kiste in einer Ecke und beobachtete geduldig das Geschehen. Irgendwann würde auch er zum Zuge kommen. Da brauchte es nur Ruhe. Betteln half überhaupt nichts.
In den Ausstellungsräumen zu Füßen des Berliner Fernsehturms herrschte reges Treiben. Alle Mitwirkenden legten letzte Hand in ihren einzelnen Bereichen an, damit sich pünktlich zur Eröffnung jedes Teil an seinem vorgesehenen Platz befand.
„Sieh mal, Mia, da drücken sich schon die ersten Zuschauer die Nasen an der Fensterscheibe platt“, sagte Helga, zog die Stirn kraus und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Aus purer Eitelkeit verzichtete sie noch auf ihre Brille. „Du, wenn mich nicht alles täuscht, dann ist das deine Cousine aus dem Westen!“
„Was du nicht sagst?“
Maria erhob sich mit einem leichten Stöhnen aus ihrer unbequemen Position: auf allen vieren auf dem Fußboden. In Kniehöhe waren noch ein paar winzige Unebenheiten zu bereinigen gewesen, und etwas Erde war aus einem Pflanzgefäß gekrümelt. Jetzt war alles beseitigt, und man hätte vom Fußboden essen können, falls da jemand Bedarf hatte. Dann blickte sie Richtung Fenster. Von einigen Stellen aus konnte man Einsicht ins Innere des Objektes erlangen. Was das Publikum gern nutzte. Tatsache, das war Hannah, die da winkte und strahlte wie eine Leuchtreklame. Super, dann hatte sie es ja geschafft. Und bestimmt hatte Viola sich schon in der Schlange eingereiht, die sich wie immer vor dem Eingang aufgebaut hatte. Maria winkte zurück und strahlte ebenso wie ihre Verwandte.
„Genau. Das ist sie. Huhu.“
„Unverkennbar“, ergänzte Helga und zog sich gerade fürs Publikum einen frischen Kittel über. „Wie aus dem Ei gepellt. Und erst die schicke Frisur. So einen fantastischen Schnitt und so eine tolle Farbe kriegst du hier nicht. Man könnte direkt neidisch werden.“
„Hm.“
„Was soll das denn heißen?“, wollte Helga wissen, die mit einer Sprühflasche noch ein wenig Wassernebel auf der Blütenpracht verteilte. Nur ganz wenig, nicht zu viel.
„Na ja, neidisch vor allem, weil ich bedauerlicherweise eine Konfektionsgröße mehr habe und ihre schicken Sachen leider nicht auftragen kann. Das wäre auch zu schön! Ein paar Kilo hätte ich liebend gern abgenommen, aber ich kann ja nicht schrumpfen.“
„Gehst du eben zum Exquisit, da kriegst du genau so flottes Zeug.“
„Aber zu einem horrenden Preis … Ich habe mir gerade in den Rathauspassagen die schwarze Lederhose gegönnt“, bekannte Maria.
„Nein, etwa die, mit der du schon die ganze Zeit geliebäugelt hattest?“
Helga riss die Augen auf.
„Ja, genau die. Fünfhundert schwer erarbeitete Mark stecken jetzt drin. Und wenn ich mir mehr hätte leisten können, dann hätte ich auch noch bei dem schicken braunen Ledermantel zugeschlagen, aber da wären weitere tausendzweihundert Mark fällig gewesen. So viel verdiene ich ja nicht einmal im Monat …“
„Wow, da muss eine alte Oma lange für stricken. Aber du siehst bestimmt schick aus, wenn du in der Hose drin steckst“, griff Helga das Thema auf und lächelte nachdenklich. „Bei dem Mantel solltest du aber nicht zu lange warten. Irgendwann ist der auch weg. Soll ja Leute mit höheren Löhnen als unsereins geben. Frag doch mal deinen Heinz, vielleicht kann er dir einen Wunsch nicht abschlagen? Und vor einer Weile hat er doch bei den Stiefeln, die bis über die Knie reichen, auch nicht Nein gesagt. Darin siehst du wie ein Model aus, Chefin, wenn ich dir mal ein Kompliment von Frau zu Frau machen darf.“
Maria strahlte wie das sprichwörtliche Honigkuchenpferd.
Es war Schlag zehn Uhr und noch nicht wirklich hell an diesem Novembertag geworden. In dem Moment öffneten sich die Türen, die ersten Besucher brachten einen Schwall Kälte und Lautstärke mit herein, erwarben ihre Karten und strömten in die Blumenschau.
Maria, Helga und ein Lehrling – jetzt alle drei in einem flotten und frischen Kittel – waren damit beschäftigt, sich um ihren Stand zu kümmern und unzählige Fragen zu beantworten: nach der Sorte der Blumen, nach der Machart, nach der besten Pflege oder dem Standort für einzelne Exemplare … Zumindest zur Eröffnung wollten alle drei dabei sein, später würden sie sich abwechseln, und auch ein paar der anderen Mitarbeiter aus dem Laden an der Schönhauser Allee würden kommen. Eventuell waren Blumen auszuwechseln oder kleine Schäden zu beheben. Die Besucher gingen zum Teil ziemlich ruppig mit den Gestecken und Sträußen um. Manchmal verschwanden auch einzelne Blüten oder etwas Zierrat aus der Dekoration auf Nimmerwiedersehen.
„Ist die echt?“, erkundigte sich gerade eine rundliche Frau mit kompakter Dauerwelle, zog die Mundwinkel skeptisch herunter und fingerte an einer Pflanze herum.
Am liebsten hätte ihr Maria auf die Hände gehauen, aber das verbot sich. Wie konnte man nur so mit den grünen Lebewesen umgehen??? Es gab ja Leute, denen sollte man überhaupt keine Pflanzen anvertrauen! Zum Glück machte sich die Frau davon, als sie keine Antwort bekam, um am nächsten Stand ihre fachmännischen Kommentare loszuwerden.
„Tante Mia, endlich. Du hast mir so gefehlt!“
Jetzt umschlang ein hochgewachsenes Mädchen sie fest mit beiden Armen und ließ sie nicht mehr los.
„Ach, meine Süße. Das ist schön, dass ihr es geschafft habt. Und wie groß du geworden bist! Wächst du eigentlich stündlich? Wo ist denn die Mama?“
„Die trödelt wieder, du kennst sie ja“, gab Viola schulterzuckend von sich und staunte mit offenem Mund. „Ist das aber schön bei euch!“
„Kann ich nur bestätigen“, sagte nun Hannah, die sich inzwischen durch die Menge gedrängt hatte. „Hut ab, so von Kollegin zu Kollegin. Wie ihr das inszeniert habt! Äußerst prächtig. Könntet ihr glatt bei uns auf der Grünen Woche am Funkturm präsentieren.“
Maria, Helga und der Lehrling Monika strahlten um die Wette. So ein tolles Lob und dann aus fachkompetentem Westmund.
„Na ja, ist auch nicht so einfach, die Pläne umzusetzen, wenn du nicht weißt, ob du alle Ware bekommst, die du verwenden willst“, lenkte Maria bescheiden ein. „Man hat ja auch so seine Träume und Vorstellungen, wie man ein Thema floristisch am besten angehen kann.“
„Ich hätte ja behilflich sein und dir was rüberschicken können“, flüsterte Hannah ihrer Cousine zwinkernd zu, „aber ihr braucht das gar nicht, denn ihr könnt hier alle Stroh zu Gold spinnen.“
„Sag lieber, aus Scheiße Gold machen“, gab Maria ebenso leise zurück, zwinkerte gleichfalls und schloss noch verschwörerisch an: „Und wenn du mal an der Sache mit der Grünen Woche drehen könntest, wir stehen Gewehr bei Fuß!“
Bei der Geräuschkulisse hätte sie allerdings sowieso niemand verstanden, auch kein Spitzel von der Staatssicherheit, der hier vielleicht seinen Auftrag erledigte und die Ohren offenhielt. Dann fachsimpelten die beiden Frauen noch ein wenig miteinander, während Viola andächtig von einem Arrangement zum nächsten schritt und alles in sich aufzusaugen schien.
„Dein Kind wird bestimmt mal in deine beziehungsweise unsere Fußstapfen treten. Viola ist ja dermaßen interessiert und begabt. Das kann ich bezeugen. Wie sie mal kurz vor Silvester die Kleeblatttöpfchen mit Schornsteinfegern und Glücksschweinchen bestückt hat – ein Exemplar wie das andere. Sie hat ein Händchen für den Job.“
Maria verschränkte die Arme vor der Brust. So eine Tochter hätte sie auch gern gehabt. Der Lärm der Besucher schwoll an.
„Ich kann jetzt nicht weiterplaudern. Tut mir leid“, entschuldigte sich Maria nach einer kleinen Weile.
„Kein Problem“, entgegnete Hannah. „Ich wollte sowieso mit Viola auf den Fernsehturm. Das haben wir immer noch nicht geschafft. Wird endlich mal Zeit, sonst reißen sie das Ding noch ab.“
„Pst“, legte Maria einen Zeigefinger auf den Mund, „mal den Teufel nicht an die Wand und bring die Leute nicht auf dumme Ideen. Wo doch bei Sonnenschein ein Kreuzsymbol auf der Kugel spiegelt, was keiner von den Machern geahnt haben will. Und nun so viel plakative Gläubigkeit in unserem Land der Atheisten.“
Aber dann lachte sie.
„Macht euch ein paar schöne Stunden. Mir wird hier die Zeit ohnehin nicht lang.“
„Das glaube ich gern“, sagte Hannah, „bei dem tollen Umfeld. Eine echte Augenweide.“
„Unsereins steht sich meist an der Kasse die Beine in den Bauch, aber wenn ihr mit einem blauen Schein winkt, erscheint Sesam-öffne-dich“, meinte Maria mit leichter Enttäuschung in der Stimme.
„Eigentlich wollte ich ja mein zwangsumgetauschtes Geld loswerden. Bei euch ist immer alles so billig, da wird das meist schwierig. Aber wenn du meinst, unser Geld beschleunigt den Eintritt …“
„Da bin ich mir ja so was von sicher, das treibt noch ganz andere Dinge voran!“, warf Maria ein. „Ich muss dann auch mal wieder.“
„Bussi. Bis später“, verabschiedete sich Hannah, und Viola winkte noch zum Abschied.
Mutter und Tochter verließen untergehakt den Stand der Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft „Blühende Zukunft“, wie es auf einem kleineren Schild zu lesen stand. Dann schlenderten sie an den anderen Ausstellungsbereichen vorüber, widmeten diesen aber weitaus weniger Aufmerksamkeit. Mit Maria konnte sowieso keiner mithalten, davon waren sie felsenfest überzeugt und das nicht nur aus familiärer Voreingenommenheit. Ein blumiger Duft zog mit ihnen durch die farbenprächtigen Räume, und irgendwie wirkten die Leute so beschwingt, was ursächlich zusammenhängen musste.
Die wenigen Schritte im Freien bis zum Eingangsbereich des Fernsehturms hatten sie schnell zurückgelegt. An der Kasse beherzigte Hannah den Tipp ihrer Cousine, was die Wartezeit vor den beiden Besucherfahrstühlen auf ein Minimum dezimierte. Mit zwölf Personen war die Kabine gut gefüllt, und der Fahrstuhlführer erläuterte ihnen, dass der Fernsehturm am 3. Oktober 1969, kurz vor dem zwanzigsten Geburtstag der DDR eingeweiht worden und zu dem Zeitpunkt der zweithöchste Fernsehturm der Welt war: errichtet von der Deutschen Post der DDR, die zugleich fürs Telefonieren zuständig war. Weshalb er auch intern als Fernmeldeturm 32 bezeichnet wurde. Einige Sender von Funk und Fernsehen hätten hier ihren Standort … In nur vierzig Sekunden würden sie den Aussichtspunkt in einer Höhe von 203 Metern erreichen. Insgesamt seien es aber 368 Meter Höhe und damit rund 220 Meter mehr als der Funkturm im Westteil der Stadt. Die letzte Information hatte der Fahrstuhlführer relativ leise von sich gegeben, aber vielleicht war sie auch speziell für Hannah und Viola bestimmt. Für alle deutlich hörbar wurde er wieder bei dem Hinweis, dass das Objekt 1979 den Denkmalstatus erhalten hatte. Früher hätte hier das Marienviertel gestanden, aber das wäre aufgrund der Kriegseinwirkungen abrissreif gewesen, weshalb auch dieser schöne Park mit seinem markanten Wahrzeichen entstand …
Hannah versuchte sich abzulenken, indem sie ausrechnete, wie oft der Mann das in einer Schicht von sich geben musste, während sie einen heftigen Druck auf den Ohren verspürte und es ihr den Magen anhob, Viola schien es indes nichts auszumachen. Nur kurz genossen sie den Blick in die Ferne, als sie das Aussichtsgeschoss erreicht hatten, liefen dann aber noch die rund zwanzig Stufen nach oben ins Tele-Café. In einer Stunde drehte es sich mitsamt Stühlen und Tischen um 360 Grad, und sie waren danach wieder am Ausgangspunkt, wo man sie platziert hatte, angekommen.
„Das ist ja eine geniale Idee“, strahlte Viola. „Und bei dem minimalen Tempo bekommt man nicht mal einen Drehwurm. Sieht man ja kaum, dass da was passiert … Schau mal, Mama, jetzt reißen auch noch die Wolken auf.“
„Extra für uns. Ich hatte doch mit unserem Geld an der Kasse zugleich freie Sicht bestellt“, antwortete Hannah mit todernstem Gesicht. „Aber dann lass uns doch mal schauen, was wir von hier oben aus zuordnen können. Ich hätte da hinten schon mal unseren so sehr viel kleineren Funkturm im Angebot …“
Beide studierten in Ruhe die Karten und entschieden sich dann für eine Kleinigkeit, denn eigentlich hatten sie gar keinen Hunger, höchstens so einen winzigen Appetit, also: Geflügelsalat mit Toast.
„Zweimal, die Damen?“, wollte der gesprächige Kellner wissen, der stark sächselte. „Das ist eine gute Entscheidung. Kalte Speisen gehen auch schnell bei uns. Die Hauptküche befindet sich nämlich aus Gründen der Brandschutzsicherheit im unteren Bereich. Vielleicht kann ich Ihnen im Anschluss noch ein Halbgefrorenes mit Schlagsahne empfehlen? Das wird immer wieder gern genommen.“
„Ja, das bestellen wir auch, danke“, sagte Hannah und lehnte sich zurück.
Wenig später kam schon der naturtrübe Apfelsaft für sie und eine Vita-Cola für Viola. Sie prosteten sich zu und genossen den Aufenthalt.
Am Abend traf sich die Familie in Pankow, in der Zillertalstraße, bei Maria und Heinz, der fürs Essen gesorgt hatte, weil seine Frau auch erst relativ spät von der Blumenschau nach Hause kam.
„Ich war extra für euch im Delikatladen und habe mir in mehreren Spezialabteilungen die Beine in den Bauch gestanden“, betonte Heinz ziemlich zu Beginn der Unterhaltung, was ihm einen bösen Blick seiner Frau einbrachte.
„Musst du ihnen das auf die Stulle schmieren, dass du im Deli eingekauft hast?“
„Entschuldigung. Ich wusste nicht, dass ich daraus ein Geheimnis machen sollte.“
„Na, das machst du doch aus vielen Dingen …“
Maria hatte ein leicht grimmiges Gesicht aufgesetzt, während Heinz so tat, als ginge ihn die Angelegenheit nichts an, und Viola sich strahlend wiederholt bei der ungarischen Salami bediente.
„Oh, lecker, die mag ich besonders!“
Hannah beobachtete ihre Cousine. War nur der Tag sehr anstrengend gewesen und hatte deshalb das Nervenkostüm von Maria gelitten oder hing hier etwa der Haussegen schief? Gab es was zu klären, wo sie vielleicht behilflich sein konnte? Mit ihrem Harald war ja auch nicht immer alles eitel Sonnenschein. Männer hatten schon so ihre Eigenheiten, denen schwer beizukommen war. Da halfen nur hartnäckige Überzeugungsarbeit und außerordentliche Geduld oder ein unerschütterlicher Glaube. Außerdem musste man nicht gleich in eine Paartherapie, wenn doch die Hilfe familiär sehr nahe lag …
„Oh, Tante Mia, du hast wieder deine berühmte Götterspeise gezaubert“, jubelte Viola, als die Frau des Hauses zuletzt mit einem Tablett auftauchte, darauf die Nachspeise in schönen Gläsern, säuberlich geschichtet in Rot, Grün und obenauf Gelb mit der Vanillesoße.
„Ach, das geht einfacher, als du denkst“, erklärte Maria und freute sich sichtlich über das Lob. „Lasst euch den Wackelpudding einfach schmecken.“
Das taten auch alle sichtlich. Ohs und Ahs ertönten. Die Hausfrau schien zufrieden und strich mit den Händen sanft über ihre Oberschenkel.
„Das ist ja eine total schicke Hose, die du da anhast“, lobte daraufhin Hannah und nickte anerkennend.
„Eine Neuerwerbung“, gab Maria zu, und Heinz blickte kritisch zu ihr hin, sparte sich aber eine Bemerkung.
„War auch gar nicht so teuer“, behauptete Maria und klang erstaunlicherweise recht überzeugend.
„Kein Wunder, wo bei euch so vieles spottbillig ist“, bestätigte Hannah. „Bei uns hättest du für so ein flottes Teil auch einiges an Geld auf den Ladentisch legen müssen. Schätze mal, zweihundert Mark, vielleicht sogar mehr. Ist das wirklich Leder oder so ein täuschend echt wirkendes Imitat?“
„Na ja, nicht alles ist bei uns preisgünstig“, entschloss sich Maria für eine weniger verfängliche Richtung und ging auf die Frage nicht ein. „Nimm mal die Feinstrumpfhosen. Für die guten kannst du locker vierzehn Mark ausgeben, für die klassischen Dinger einen knappen Zehner. Dafür halten die auch nur von jetzt bis gleich. Und ehe du es nur ausgesprochen hast, rennt schon eine Laufmasche die Wade hinauf.“
„War es also gut, dass ich dir ein Päckchen mitgebracht habe?“, wollte Hannah zufrieden wissen.
„Aber klar. Und auch über die Lux-Seife freue ich mich immer wieder. Die lege ich eine Weile in den Schlafzimmerschrank, da duftet die Wäsche immer so schön. Geht ja mit unseren Kernseifenvarianten überhaupt nicht …“
Jetzt lachte Hannah und meinte nur: „Hauptsache, man wird richtig sauber!“
„Na, das ist ja sowieso das Wichtigste im Leben“, ergänzte Maria und schaute skeptisch auf Heinz.
Es klingelte an der Tür, und Maria zog die Stirn kraus. Wer mochte das um diese Tageszeit sein? Am liebsten wäre sie gar nicht aufgestanden und hätte die Störung ignoriert. Sie wollte doch einfach nur den Abend mit ihrer Familie genießen. Heinz machte keinerlei Anstalten, sich aus dem Sofa in die Höhe zu bequemen, also erhob sie sich schließlich, lief in den Flur und öffnete. Der Zorn war aber sofort verschwunden.
„Ach, Ines, du bist das nur. Dann ist ja gut. Komm doch rein.“
Die junge Frau schaute etwas entrüstet, weil ihr das mit dem „nur“ komisch vorkam, aber sie sagte nichts. So eine Bemerkung konnte man durchaus in den falschen Hals kriegen, dachte sie. Andererseits war das auch wieder der direkten Berliner Art geschuldet. Da wurde eben kein Blatt vor den Mund genommen und schon gar nichts beschönigt.
„Tante Mia, ich komme gerade von der Arbeit und wollte nur mit dir abstimmen, wie wir das am nächsten Wochenende machen. Wir wollten doch mit unseren Männern in den Tierpark. Das Wetter soll noch einmal schön werden, auf jeden Fall sonnig und nicht allzu kalt.“
Das mit den Männern überhörte Maria geflissentlich. Mit dem Freund der Kleinen konnte sie überhaupt nichts anfangen. Und wieso diese den so überaus charmanten Vorgänger hatte sausen lassen, war einfach nicht zu begreifen.
„Na klar, komm rein, ist nur gerade volles Haus, aber ihr kennt euch ja. Und ich habe rein zufällig eine Portion Götterspeise übrig. Die passte nicht mehr in die anderen Gläser.“
Jetzt strahlte Ines voller Vorfreude. „Oh, köstlich.“
Dann hörte sie aus dem Wohnzimmer die Stimmen und erkannte sowohl Hannah als auch Viola.
„Das freut mich aber, die beiden mal wieder zu treffen. Die könnten doch am Wochenende mitkommen“, sagte sie, während sie sich im Flurspiegel musterte. Er hing über einem schmalen Schuhschrank und war mit einem schmiedeeisernen Gitter umrahmt, das natürlich Blumenmotive aufwies. Kurz schob sich Ines eine Strähne hinters Ohr.
„Ich weiß nicht, ist ziemlich aufwendig. Wo sie sich doch gerade für heute und meine Blumenschau am Alexanderplatz freigeschaufelt hatten. Da bin ich ja jetzt auch fest eingebunden. Außerdem der Zwangsumtausch jedes Mal, das mag ich meiner Verwandtschaft nicht allzu oft zumuten.“
Letztendlich würden sich doch Heinz und der Neue von Ines sowieso nur in die Wolle kriegen, was ja nicht die gesamte Familie mitkriegen musste, aber das behielt Maria für sich.
„Weißt du was, ich schlage es ihnen einfach mal vor“, sagte Ines und trat endlich ins Wohnzimmer, wo sie mit großem Hallo empfangen wurde. Sofort wurde auf dem Sofa zusammengerückt, und sie nahm in der Mitte Platz. Heinz legte einen Arm um die junge Frau und strahlte. Wenig später stellte ihr Maria ein Glas mit dem Nachtisch hin, den Ines genüsslich verzehrte und natürlich gebührend lobte.
„Ach, da muss ich euch noch einen echten Witz erzählen, war mir glatt weggerutscht, fällt mir aber eben ein“, fing Maria an.
„Einen Witz oder was Echtes?“, erkundigte sich Hannah erwartungsfroh, die schon auf etwas Humoriges in dieser Richtung gewartet hatte. Schließlich war ihre Cousine ein Quell an Anekdoten.
„Kannst du entscheiden. Also: Eine gute Bekannte von mir ist doch die Chefin der Friedhofsgärtnerei, nicht weit von uns, in Niederschönhausen. Tja, und dort haben sie doch tatsächlich an die Mauer ein Transparent gehängt …“
Hannah kicherte.