Completely - Immer diese Hexen - Mej Dark - E-Book

Completely - Immer diese Hexen E-Book

Mej Dark

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Beschreibung

Neuerscheinung +++ Der junge Millionärssohn Percy sucht die ganz große Liebe mit Hilfe seiner besonderen Gabe. Für wen soll er sich nur entscheiden? Da gibt es zum Beispiel die wunderschöne Grace aus Manhattan und die mysteriöse Gaya. Was hat das alles mit einer alten Legende, einem Fluch und Vampirblut zu tun? Und wieso muss er unbedingt eine echte Hexe finden? Das ungewöhnliche Abenteuer bietet so manche mysteriöse Überraschung. Jeder Band ist eigenständig.

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Mej Dark

Completely - Immer diese Hexen

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Autorin

Buch

Prolog

Meine Mission

Wer ist schon vollkommen

Das kann doch nicht wahr sein

Seltener Besuch

Die seltsame Wahrsagerin

Die lange Reise

Ringlein, Ringlein, du musst wandern

Immer diese Hexen

Der Schamanenopa

In Trance

Das Mädchen Gaya und die Zwillinge

Ein Brief von Grace

Große Gefahr

Der Überfall

Wie kann man das nur überleben

Die hilfreiche Alte

Hilfe, mein Blut wird geklaut

Was für eine Nacht

Jeder Abschied ist ein kleines Sterben

Fortsetzung folgt

Weitere Bücher

Impressum neobooks

Autorin

Mej Dark veröffentlicht seit vielen Jahren unter verschiedenen Pseudonymen beliebte Bücher und Reihen, die in das Reich der Abenteuer, der Leidenschaft, der Geschichte als auch der Fantasy entführen. Completely ist ihr neuestes Werk und wendet sich an die Freunde von origineller Fantasy. Die Reihe wurde im Mai 2018 vom Verlag zum Monatsfavorit gewählt.

Buch

 Der junge Millionärssohn Percy sucht die ganz große Liebe mit Hilfe seiner besonderen Gabe. Für wen soll er sich nur entscheiden? Da gibt es zum Beispiel die wunderschöne Grace aus Manhattan und die mysteriöse Gaya. Was hat das alles mit einer alten Legende, einem Fluch und Vampirblut zu tun? Und wieso muss er unbedingt eine echte Hexe finden? Das ungewöhnliche Abenteuer bietet so manche mysteriöse Überraschung. 

Prolog

Normalität und gewöhnlicher Verstand sind wahre Hindernisse für die große Liebe.

Es gibt keine Auswirkungen ohne Ursachen.

Meine Mission

Das Jahr 1927 neigte sich. Vor meinen nachdenklichen Blicken wiederholte sich draußen ein ewiger Zyklus. Der Herbst ließ erste Blätter von den Bäumen und Sträuchern zu Boden fallen, gelbe, rote und braune. Der Wind formte sie zu bunten Häufchen. Wenn Kinder diese mit den Füßen auseinander stießen, raschelten sie zärtlich. Das knisternde Geräusch und der lustige Anblick erinnerten jeden erwachsenen Menschen an die vergangene eigene Kindheit. Die unbeschwerte Freude an diesem natürlichem Spiel erstarb jedoch mit jedem Lebensjahr.

Für mich war es noch immer eine wunderschöne Jahreszeit, denn ich war erst achtzehn Jahre jung. Allerdings verbrachte ich sie inzwischen doch lieber daheim.

„Percy, was ist nur mit dir los?“, drang eine zuckersüße Stimme bestimmt in meine träumerischen Gedanken vor.

Ertappt zuckte ich zusammen. Etwas brauner Tee ergoss sich dabei ungewollt auf die Untertasse. 

„Ich habe mich verliebt!“, gestand ich errötend die Wahrheit. Es wurde Zeit. Ein innerer Zwang zum Teilen dieses wundervollen Zustandes hatte mich verleitet. Geteilte Freude verdoppelt sich nun einmal.

„Wie wunderbar!“, hauchte meine Besucherin.

Grace sah mich mit ihren warmen Augen geradezu inniglich an. Die Hübsche sah sich offenbar am Ziel ihrer Wünsche. Aufgeregt kratzte ihr abgespreizter kleiner Fingernagel in den blonden Locken, die einen minimalen Rotstich aufwiesen. Gerade dieser verlieh ihr eine ganz besondere Note. Sie war eine gottesfürchtige hellhäutige anglikanische Schönheit, aus guter Familie, reich und somit der Traum eines jeden Heiratswilligen. Die bezaubernde Grace war die Tochter einer mit Mama befreundeten Unternehmergattin. Ihr wohlproportionierter Anblick brachte bei jungen Männern das Blut zum Kochen. Aus einer eigenwilligen Laune heraus hatte sie sich vor einiger Zeit in mich verguckt und anscheinend in den Kopf gesetzt, mich mit ihrer Zuneigung zu beglücken.

Seit drei Monaten besuchte sie uns daher auffällig oft. Mehrmals in der Woche schaute sie angeblich zufällig vorbei. Als Vorwand dafür dienten zumeist kleine Einkäufe, die sie meiner Mutter und auch zunehmend mir präsentierte. In der Nähe unseres Domizils gab es glücklicherweise einige Geschäfte, die sie regelmäßig beehrte. Mama schickte den hübschen Gast dann jedes Mal aus irgendeinem fingierten Grund zu mir. Heute war es eine Tasse Tee und etwas frisches Gebäck.

Der sinnliche Busen meiner Besucherin sprengte fast die Enge der weißen Bluse. Grace wusste natürlich genau um ihre erotische Ausstrahlung, gab sich äußerlich jedoch für gewöhnlich züchtig und naiv. Dies fesselte Männer noch mehr. Schalkhaft ließ sie in manchen Momenten diese Hülle fallen und verdeutlichte so, welche reizvollen Möglichkeiten sie einem Auserwählten bieten konnte. Ihr Auftritt wirkte jedoch immer vollkommen natürlich und nett. Grace war einfach ein Kind des Glückes. Reichtum, Schönheit und Grazie hatten sich in ihrem Wesen natürlich vereint. Auch ich fühlte mich in ihrer Nähe ausgesprochen wohl und genoss sogar die Momente unseres Beisammenseins auf gewisse Art.

Grace erhob sich und trat nun jeden Schritt bewusst wählend ganz dicht an mich heran. Ihr blumiges Parfüm erfüllte kraftvoll die Luft meiner Umgebung. Sacht berührte sie mit ihren weichen Fingern meinen Arm. Ich empfand dies als sehr angenehm und war zugleich erstaunt darüber.

„In wen?“ Die Frage war kurz und prägnant.

Die Neugierige wollte unbedingt die Wahrheit wissen. 

„Sie ist einfach vollkommen!“, erklärte ich begeistert mit leuchtenden Augen.

Die Schöne kam noch näher. Ihr Atem roch etwas nach Kaviar. Sogar das wirkte bei ihr nicht unangenehm, obwohl ich Fisch nicht mochte. Es war nur eine kleine Brise, so als stände man am Rand des Ozeans und ließ dessen erhabenen Odem ganz bewusst auf sich wirken.

„Wer ist sie?“, flüsterte sie sinnlich und erhoffte dabei eine ganz bestimmte Antwort.

Ich entfernte mich kurz und holte geschwind ein Blatt von meinem Schreibtisch.

Grace sah es sich mit einem äußerst verblüfften Ausdruck im Gesicht an. Sie verstand rein gar nichts. Mathematik gehörte nicht zu den Dingen, mit denen die Hübsche sich gern beschäftigte. 

„Was ist das?“ Ihre blauen Augen musterten unverständig und geradezu geringschätzig die langen Zahlenreihen.

„Das ist der Beweis, dass es sie geben muss?“ Ich war innerlich euphorisch. Das Ergebnis stellte einen Durchbruch dar und bewies, dass meine Theorie absolut richtig war.

„Wen?“ Meine Besucherin war schockiert und riss ihre großen Augen noch erstaunter auf. Diese schienen fast aus den Höhlen zu fallen. Ihre Augäpfel waren mir noch nie so groß erschienen.

„Na die Vollkommenste!“, stieß ich abermals enthusiastisch hervor. 

„Percy, das sind doch nur ganz blöde Zahlen!“, brachte es Grace gekonnt auf den Punkt. Man sah, dass das Mädchen in diesem Augenblick maßlos von mir enttäuscht war. Ich ahnte unterbewusst, dass sie offenbar etwas anderes erwartet hatte, doch ich wollte sie keinesfalls belügen oder ihr falsche Hoffnungen machen. Mit uns konnte es nun leider nichts werden, obwohl sie mir keineswegs unsympathisch war. Nein es war noch mehr, ich mochte sie. Es war Grace sogar gelungen, ein Teil meines Lebens zu werden. Mich konnte mit ihr aber nur eine platonische Freundschaft verbinden, da ich mein Herz urplötzlich an eine Andere vergeben hatte. Was kann man schon gegen machtvolle Gefühle tun? Sie sich aus dem Herz reißen? 

Die inzwischen äußerst aufgebrachte Besucherin tat mir in diesem Moment natürlich sehr leid. Sie rang um Beherrschung. Wie hatte ich nur denken können, dass sie sich über diese Offenbarung freuen würde.

Ich lächelte tapfer.

„Das sind nicht nur Zahlen!“, erklärte ich bestimmt. Ein wenig gekränkt war ich schon, dass sie dahinter nicht das erkannte, was mein junges Herz zum Klopfen brachte.

„Du musst vollkommen verrückt sein!“, brach es aus ihr heraus.

Wütend warf sie das Blatt auf die Erde, trat symbolisch mit ihrem feinen Schuh darauf und brachte demonstrativ ihre bezaubernde weibliche Figur in Erscheinung

„Hallo, bist du blind?“ Sie reckte ihre großen prallen Brüste vor. Ja, die waren sehenswert. In ihren Augen standen erste kindliche Tränen. Das leicht geschminkte Gesicht wirkte vollkommen fassungslos, als hätte sie den Boden unter den Füßen verloren.

„Du siehst selbstverständlich wundervoll aus!“, gestand ich ihr stammelnd zu.

„Was heißt denn das? Percy, ich mag dich wirklich, besonders deinen merkwürdigen Humor!“, murmelte sie. Noch immer hoffte sie wohl, dass alles sich als ein dummer jungenhafter Scherz entpuppen würde.

Das machte es noch schwerer. Nun wurde es mir sogar etwas peinlich.

„Tut mir leid, ich liebe eben eine andere!“, zog ich mutig den Schlussstrich. Gerade, weil wir Freunde waren und ich Grace schätzte, musste ich vollkommen ehrlich zu ihr sein.

Eine Trennung ist immer dann schwierig, wenn eine Seite Gefühle entwickelt, die andere jedoch nicht. Das war mir schon klar. Was sollte ich aber sonst tun? Mir blieb nur Aufrichtigkeit.

Die Aufgebrachte nahm fassungslos und von Zorn erfüllt ihren Mantel. Sie fühlte sich gekränkt und zudem ihrer weiblichen Würde beraubt.

„Mein Gott, ich verliere gegen eine Zahlenreihe!“

Tränen liefen ihre Wangen hinunter. 

Einen kurzen Moment hielt sie inne und zog ein kleines Päckchen heraus. Sie warf es in meine Richtung. Es verfehlte mich jedoch. 

„Fast hätte ich dein Geschenk vergessen!“ 

Ohne Gruß schmetterte sie wütend die Tür hinter sich zu. Das Mädchen besaß viel Temperament. Für eine Sekunde bereute ich meine Offenheit. Ich hatte sie keineswegs aus meinem Leben vertreiben wollen.

Vielleicht war das aber am besten für uns beide. Es gibt vielleicht keine platonische Freundschaft zwischen einem richtigen Mann und einer Frau. Nur Dummköpfe halten so etwas offenbar für möglich.

Wer ist schon vollkommen

Den Kopf voll wirrer Gedanken und noch immer aufgewühlt ging ich in meinen Sportraum und schlug wütend immer wieder auf den Punchingball ein. Körperliche Betätigung half mir in solchen Momenten, wieder zu mir zu finden. Ich war nicht nur ein guter Mathematiker, sondern auch ein ziemlich guter Faustkämpfer, Pistolenschütze und Reiter. Schon manches sportliche Turnier hatte ich zur Freude meiner Mutter auf dem Pferderücken oder im Ring für mich entschieden. Auf einem Sideboard standen einige Pokale und an der Wind hingen mehrere Urkunden als Zeugnis meiner Siege. Wie heißt es so schön? Gegensätze ziehen sich an. Meine ganze Persönlichkeit war dafür ein Beispiel. 

Ich galt gemeinhin als ein ganz besonderes Wunderkind, so etwas wie ein mathematisches Genie. Das Schicksal oder der Zufall hatte mich mit einem sogenannten eidetischen Gedächtnis gesegnet. Unter Milliarden Menschen besaß dieses Talent meist nur einer. Ganze Buchseiten speicherte ich binnen Sekunden für immer in meinem Gehirn ab. Das Wissen war dort jederzeit abrufbar, wie aus einem Lehrbuch. 

Trotz meiner wissenschaftlichen Interessen und des fotografischen Merkvermögens war ich also kein bleicher Bücherwurm oder einer dieser mit dicken Gläsern bebrillten Klugscheißer. Mein fröhliches Lachen, die muskulöse, aufrechte Gestalt, mein Witz und die schalkhaften Augen wirkten wie der Zauber einer Fee auf die Menschen. Das hatte anscheinend auch bei Grace zu Gefühlen für mich geführt. Die Welt liebte und bewunderte mich zumeist. Durch diese Fähigkeiten, meine vornehme Erscheinung und das große Erbvermögen galt ich im Moment als eine gute Partie. 

Wir zählten zu den zehn reichsten Familien in Manhattan. In etwa drei Jahren, zum 21. Geburtstag, würde ich zudem große Reichtümer erben. Mein Vater hatte sie mir als einzigem Nachkommen zugedacht. Er war seit drei Jahren verschollen und ich sein einziger Sohn. Man vermutete, dass Banditen ihn auf einer Geschäftsreise getötet hatten. Sein spurloses Verschwinden blieb ein Rätsel und konnte bisher nicht aufgeklärt werden. Von einem auf den anderen Tag war er einfach aus unserem Leben verschwunden. Fast so, als hätte es ihn niemals gegeben und sein Leben wäre nur eine dieser Geschichten. 

Unser Domizil befand sich im Zentrum von Manhattan. Zusammen mit Mama und unseren Bediensteten lebte ich in einem repräsentativen Penthouse. Das gesamte marmorverkleidete Hochhaus gehörte uns allein. Unter der riesigen Wohnung, die sich über zwei Stockwerke erstreckte, befanden sich die zahlreichen Büroräume unserer Handelsfirma. Man munkelte, dass ihn vielleicht ein Konkurrent entführt und ermordet hatte. Die Polizei tappte jedoch noch immer im Dunklen. Wir hatten uns inzwischen mit dieser Situation arrangiert. 

Im Nachhinein erschien es mir als ein Fehler, dass ich Grace mein besonderes Geheimnis offenbart hatte. Mir war klar, dass ich sie verletzt hatte und sie mein Vorhaben vielleicht für verrückt hielt. Besonders nach der Lektüre ihres Geschenkes. Es handelte sich um eine in Leder gebundene Ausgabe von Gogols Die Nacht vor Weihnachten. Der Teufel, Hexen und durchtriebene Dorfbewohner lieferten sich darin eine geradezu verrückte Partie an Hinterhältigkeiten und Lügen. Grace wollte mir damit scheinbar aufzeigen, dass es noch eine andere Seite als die der Wissenschaft gab, etwas Magisches, das hinter der Realität verborgen war. Lustig war das Ganze schon, doch wer nahm Geschichten von Hexen und Pferdefüßlern denn ernst? Dergleichen existierte genauso wenig wie Werwölfe und Vampire. Solche Geschichten waren etwas zum wohligen Gruseln und kein wahrer Gegenpart zu meinem Vorhaben.

In den nächsten Tagen stürzte ich mich noch intensiver auf weitere Berechnungen. Ich musste Grace, mir und der Welt beweisen, dass es die ideale Gefährtin oder den idealen Partner für jeden - also auch für mich und Grace - gab und dass man sie mit Hilfe der Mathematik finden konnte. Es gab die ganz große Liebe wirklich. Sie war nicht nur ein Zufall der Gefühle und unserer gewöhnlichen Biologie. Die intensive Arbeit bewahrte mich auch vor den unangenehmen Schamgefühlen. Ich unterbrach sie nur durch gelegentliche Ausritte und sportliche Betätigungen mit dem Punchingball.

Ich versank regelrecht in das erhabene Vorhaben und lebte zunehmend in meiner entrückten Welt. Diese Tätigkeit wollte ich bald nicht einmal zum Essen unterbrechen, denn ich hatte das Gefühl kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Mein Herz pochte wild gegen die Brust, da es nun von der Gewissheit angetrieben wurde, dass es möglich war, das Alter meiner Vollkommenen einzugrenzen. 

Das erste Zwischenergebnis lautete: Es gab sie. Das zweite: Sie wäre zwischen 13 und 99, sofern sie ein weibliches und zudem menschliches Wesen war! 

Dieses mit langer Formel errechnete Wissen erschien mir geradezu genial. Ein fiebriger Sinnenrausch erfasste mich wie ein reißender Strom. Oh, wie gern hätte ich meine Vollkommene schon jetzt in meine Arme genommen und ihr Gesicht mit wilden Küssen bedeckt. Wie sah sie nur aus? Aus welchem Land stammte sie? War sie überhaupt ein Mensch? Sie war schon jetzt meine Göttin.

„Oh Liebste“, hauchten meine Lippen voller Inbrunst.

Ein unscharfes Bild füllte meine Gedanken und nahm Gestalt an. Das musste sie sein!

„Grace?“, murmelte ich verblüfft. 

Das konnte nicht sein. Meine Fantasie hatte sich da etwas zusammengewischt und das Trugbild zu Grace geformt. Wütend schmiss ich den Federhalter aus der Hand beiseite. Unglücklicherweise landete er auf auf meiner Berechnung und hinterließ einen dicken blauen Klecks, der das Ergebnis verdeckte.

Sollte das etwas bedeuten? War es vielleicht falsch? Wir Amerikaner haben einen Hang zum Aberglauben.

Das kann doch nicht wahr sein

Ich hatte das Gefühl kurz vor dem endgültigen Durchbruch zu stehen. Mein Herz pochte in Vorfreude bereits wild gegen die Brust.

Das erste Zwischenergebnis lautete: Es gab sie mit fünfundneunzigprozentiger Sicherheit irgendwo. Das zweite: Sie wäre mit sechsundachtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen zwölf und neunundneunzig Jahren alt. Was für ein Resultat!

Dieses mit langer Formel errechnete Wissen erschien mir in diesem Moment einzigartig. Ein fiebriger Sinnenrausch erfasste mich wie ein reißender Strom. Oh, wie gern hätte ich meine Vollkommene schon jetzt in meine Arme genommen und ihr Gesicht mit wilden Küssen bedeckt. Wie sah sie nur aus? Aus welchem Land stammte sie? War sie überhaupt ein Mensch? Sie war schon jetzt meine Göttin. Es wurde Zeit, eine Flasche Champagner zu köpfen.

„Oh Liebste“, hauchten meine Lippen zärtlich voller Inbrunst. Nur ein Liebender kann nachempfinden was ich gerade fühlte.

Ein unscharfes Bild füllte meine Gedanken und nahm Gestalt an. Das musste sie sein!

„Grace?“, murmelte ich verblüfft. Ich sah sie ganz deutlich.

Das konnte nicht sein. Meine überschießende Fantasie hatte sich da etwas zusammengewischt und das Trugbild zu Grace geformt. Wütend schmiss ich den Federhalter aus der Hand. Unglücklicherweise landete er direkt auf auf meiner Berechnung und hinterließ einen dicken blauen Klecks, der das erhabene Ergebnis verdreckte.

Sollte das etwas bedeuten? 

Ungewöhnliche Laute drangen aus dem Schlafzimmer meiner Mutter und störten den aufgewühlten Fluss meiner Gedanken und Gefühle. Was ging dort unten nur vor? Neugier erfasste mich. Also schlich ich auf leisen Sohlen durch den altehrwürdigen Treppensaal und den langen Flur zum Gemach entlang. Dicke Teppiche dämpften die Schritte, jedoch knarrte ab und an eine der hölzernen Dielen, die darunter lagen.

Durch den leicht geöffneten Türspalt des Schlafzimmers sah ich, wie ein merkwürdiges dürres Männchen, das ein Monokel an der riesigen roten Nase festgeklemmt hatte, mit knochigen Händen meine halb nackte Mutter untersuchte. Ihre prallen Brüste waren vollkommen bloß.

Es handelte sich bei dem Wicht offenbar um den neuen Arzt, von dem sie mir bereits vor einigen Tagen etwas vorgeschwärmt hatte. Angeblich war die Gesellschaft, besser gesagt ihre geschwätzige Bekanntschaft, von dem Medikus aus Europa begeistert. Er sollte sogar mit der Kunst der Hypnose heilen. Der Kerl mit der roten Nase wollte offenbar in besseren Kreisen Fuß fassen und ließ sich unter den Frauen fleißig weiterempfehlen. 

Der Mediziner sah im Leben viel hässlicher aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Vollkommen ungeniert griff er meiner Mutter an ihr volles Mieder.

„Oh, wie straff Ihre Kugeln noch sind, wie wunderbar die helle Haut duftet!“, verkündete der Dreiste und schnüffelte mit seinem überdimensionalen Zinken genüsslich an ihrem Hals. Seine flinken Hände machten sich daran, ruchlos weitere körperliche Gefilde meiner geliebten Mama zu erkunden. Zorn und Abscheu erfassten mich zugleich. Hätte ich nur einen Stock dabei gehabt. Instinktiv verabscheute ich den Kerl. Mir gefiel das, was der Gnom dort tat, gar nicht. Er war mir zutiefst unsympathisch.

„Sie scherzen!“, gluckste diese wie ein Täubchen bei der Balz. „Seit dem Verschwinden meines Mannes bin ich so einsam, dass ich glatt verwelke!“

„Meine Ärmste, die Blume muss unbedingt begossen werden, damit sie in jugendlicher Frische erblüht. Beugen Sie mal den Oberkörper über das Bett!“, wies der Arzt sie an und schob ihren Rock erfahren hoch.

Empört wollte ich mich beinahe bemerkbar machen und diesen unsittlichen Vorgang unterbrechen. Waren das überhaupt medizinische Untersuchungen? Das sah mehr so aus, als ob er die willige Patientin verführte.

Doch der lieben Mama gefielen die obszönen Griffe und Komplimente. Sie kicherte lustvoll bei jeder Berührung des dürren Nasenbären. So kokett hatte ich sie noch nie erlebt. Hatte der Kerl sie vielleicht schon hypnotisiert, um sie willig zu machen? 

Um vollkommen ungestört weitere Orte untersuchen zu können, stand der Unverschämte auf und eilte zur Doppeltür. Sicher wollte er die angelehnten Holzflügel ganz schließen, um sein anzügliches Tun vor anderen zu verbergen.

Unruhig atmend versteckte ich mich instinktiv hinter einem weißen Pfeiler, der neben der Tür emporragte. Ich wollte keinesfalls als Spanner ertappt werden und hatte auch keinerlei vorzeigbaren Beweis für meinen Verdacht. Mein Davonhuschen blieb nicht unbemerkt. Sein vergrößertes Auge, das hinter dem Monokel riesig wirkte, funkelte neugierig den Flur ab.

„Mir war, als hätte ich jemanden gehört“, murmelte er gnomenhaft.

„Keine Sorge, das war bestimmt nur ein Mäuschen“, beruhigte ihn seine willige Patientin. „Wir haben leider Gottes viel zu viele davon. Lassen Sie uns rasch die Untersuchung fortsetzen!“

Meine Mama ermunterte diese verabscheuungswürdige Riesennase sogar noch. Konnte man das fassen?

„Ich bringe das nächste Mal etwas Arsen mit, da verrecken die Viecher schnell!“ Aus dem Mund des Arztes klangen die Worte äußerst bösartig und herzlos. Rasch wechselte der widerliche Kerl von seinen Mordgedanken zu erwartungsvoller Vorfreude, schloss den Türflügel und kicherte schrill wie ein Transvestit.

Das Weitere wollte ich gar nicht hören oder anderswie mitbekommen. Mir wurde schon bei dem Gedanken an dieses unschickliche Tun übel. Als Sohn sieht man die eigene Mutter nicht gerne nackt und ganz besonders nicht mit einem fremden, boshaften Mann zusammen. Die Vorstellungen, welche in mir zu den beiden aufstiegen, waren geradezu gruselig. Angewidert wandte ich mich kopfschüttelnd ab. Das unzüchtige Beisammensein der beiden erinnerte mich noch deutlicher daran, wie allein ich nach dem Tod meines Vaters eigentlich in der Welt war. Nur eine bestimmte Person konnte mir die Einsamkeit nehmen. Wie gut, dass ich verliebt war. Ein Seufzer entrang sich mir. Schmerzen der Liebe krampften mein junges Herz zusammen. 

Komischerweise dachte ich plötzlich wieder an Grace. Vielleicht sollte ich mich bei ihr entschuldigen? Sie war klug, sah gut aus und hatte das Herz am rechten Fleck. Nein, ich durfte keinen Kompromiss machen. Das wäre ein Verrat, ja ein Betrug an der wahren Liebe.

Seltener Besuch

Mama hielt meine gegenwärtige Beschäftigung für nutzlose Zeitverschwendung, für eine Art Krankheit. Aus Sicht meiner Mutter wurde es Zeit, eine geeignete Braut zu finden. Deshalb förderte sie die Besuche von Grace. Diese waren aus ihrer Sicht so etwas wie Therapie.

Sie ahnte ja nichts davon, dass ich schon längst verliebt war und nur an Liebeskummer litt. Ich hatte mich bis über beide Ohren in eine Unbekannte verliebt.

Aus Vorsicht erzählte ich niemandem im Hause von meiner außergewöhnlichen Liebe. Man sah ja bei Grace, wozu die Wahrheit führte. So litt ich weiter allein. Mein junges Herz schmachtete. Unruhe und Sehnsucht bestimmten seitdem mein Gemüt. Wie konnte man sich auch in eine Unbekannte verlieben, selbst wenn sie die Vollkommene war? 

Wer war sie nur und wo konnte ich sie finden? Wir waren Seelenverwandte und füreinander geschaffen. Das stand fest.

Mama befürchtete inzwischen sogar, dass ein merkwürdiges Fieber mich heimgesucht hatte und vielleicht meinen Verstand beeinträchtigte. 

Entschlossen, mich von niemandem aufhalten zu lassen, arbeite ich Stunde um Stunde und Tag für Tag. Ich bemerkte nicht, wie die Zeit verging und verlor jegliches Maß für sie.

Es klopfte.

„Was ist?“, rief ich ungehalten vom übergroßen Schreibtisch aus. Zwischen den bekritzelten Papierbergen war seine dunkle Mahagoniplatte nur noch zu erahnen.

Die Tür öffnete sich. Unser guter alter Hausdiener, der sein Gesicht mit überlangen, gekräuselte Koteletten verzierte, erschien in seiner blauen Uniform. Der inzwischen unmoderne krause Backenbart war scheinbar frisch gestutzt. Er hatte noch ein wenig Seifenschaum im Gesicht. Hingegen war seine Kleidung durch die vielen Dienstjahre an Knien und Ellbogen so abgeschabt, dass man seine gelbliche Haut hindurch schimmern sah. Er weigerte sich jedoch eine neue Uniform zu tragen. Zu sehr war ihm die alte ins Herz gewachsen. Da half kein Schimpfen oder Drohen. In der linken Hand balancierte er ein silbernes Tablett, auf dem Gläser und Schalen im russischen Stil standen.

„Guten Tag, Percy! Wie wäre es mit einem belegten Butterbrot, Schinken, Käse und einem Kännchen Tee mit Honig?“ Da der Hausdiener meine Wenigkeit von klein auf kannte, redete er mich als einziger vom Gesinde noch mit dem Vornamen an. Ich gestattete ihm dies, da er für mich fast zu einem Vaterersatz geworden war.

Der Geruch der Speisen wehte mir durch den Raum entgegen. Der Kamin knisterte und verbreitete Gemütlichkeit. Normalerweise hatte ich einen gesunden Appetit. Doch ich winkte ihm mit der Hand eine abweisende Geste zu. Er sollte verschwinden, denn ich war zu beschäftigt.

„Nimm das Zeug ruhig wieder mit. Du darfst alles selbst essen.“

Verblüfft starrte der treue Diener mich an. Sein Mund stand offen, als hätte er einen Geist gesehen. Er sah traurig aus. Kopfschüttelnd schloss der Bedienstete die Tür. Sein kahler Schädel verschwand zwischen den Flügeln.

Er tat mir leid, aber wie konnte der gute alte Tropf, der sicherlich niemals in seinem ganzen Leben verliebt gewesen war, mein grandioses Vorhaben und meine Gefühle verstehen? 

Eine Unterbrechung meiner Herzensaufgabe mit Schlaf, Essen und Toilette kostete nur wertvolle Zeit. Selbst die Haare waren mir inzwischen lang gewachsen und der erste dünne Bartflaum machte sich auf den Wangen breit. Ich vermied jede Zeitverschwendung, da der Durchbruch nahe war.

Alle Wände meines imposanten Zimmers waren mit Schmierblättern tapeziert. Ein ordnungsverliebter Bürokrat würde den Kopf schütteln und die Ansammlung für Chaos halten. Für mich war es aber keins. Auch auf dem Boden häuften sich kniehohe Papierberge und die alten Möbel erstickten unter den mathematischen Dekorationen.

Doch immer tauchten neue Probleme auf. Meine wahre Liebste entfloh mir wie ein Schneehase. Immer wieder schlüpfte sie durch die Löcher meiner Zahlennetze und das hübsche Gesicht von Grace tauchte statt dessen auf. Ich sah vertraute Bilder, in denen wir vertraut beieinander saßen. 

Nur wenige Minuten später klopfte es erneut.

Ein wenig Blut stieg mir vor Ärger zu Kopf. Genau diese Störungen waren es, die meinen Gedankenfluss und die mühsam geknöpften logischen Ketten unterbrachen. Man konnte wahnsinnig werden.

Abermals trat unser Diener ein.

„Kein Essen bitte!“, rief ich ungehalten, ehe er den Mund öffnen konnte. Trotzdem versuchte ich äußerlich die Beherrschung zu behalten. Streit und Auseinandersetzungen lenkten mich von meiner Aufgabe ab. Alles musste sich dem neuesten Ziel unterordnen, wirklich alles. Selbst der Weltuntergang musste warten.

„Der Sekretär des Finanzministers bittet um Einlass. Er fragt nach, ob das Lottosystem fertig ist“, rechtfertigte der gute Alte sein nochmaliges Erscheinen. Was sollte der arme Kerl auch tun?

Diese Lottosache also… Zum Glück hatte ich den Kleinkram schon erledigt, bevor mich Amors Pfeil getroffen hatte. Meine Hand zitterte für einen kurzen Moment vom inneren Ringen. Im Augenblick wollte ich eigentlich nicht einmal den Präsidenten selbst empfangen. Aber ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen. Hoffentlich wirkte es echt genug.

„Er soll eintreten“, entgegnete ich bemüht höflich, „auch wenn ich nur wenig Zeit habe …“ Den Nachtrag murrten meine Lippen so leise, dass es niemand außer mir hören konnte.

Unter einem Berg bekritzelter Blätter suchte ich nach dem Ordner und fand ihn. Welch ein Glück war das! So hatte ich wenigstens etwas Zeit gewonnen.

Der uniformierte und mit vielen klappernden Orden behängte Mann trat ein und warf einen Seitenblick auf die Unordnung. Er erwähnte sie jedoch nicht. Bei Wissenschaftlern sah es nun einmal anders als bei normalen Menschen aus. Man musste kein Hellseher sein, um diesen Gedanken zu erraten.

„Ich suche Mr. Percy Racliff, den Mathematiker“, erklärte er.

Unser Diener schmunzelte in seine gestutzten Koteletten hinein. Er war an solche Verwechslungen gewohnt.

„Ich bin der, den Sie suchen“, klärte ich den Besucher auf. „Nennen Sie mich einfach Percy!“

Meine Jugend verschlug dem Gesandten die Worte.

„Das System ist fertiggestellt“, füllte ich die sprachlose Lücke. „Es garantiert die gewünschte Gewinnquote und ist von einfachster Art, sodass selbst Dummköpfe es verstehen müssten.“ Ich drückte ihm die dreißig Blätter voller Zahlenmyriaden in die Hand und hoffte, dass er jetzt in einer perfekten Gerade zum Ausgang marschierte.

Doch der Mann begann in aller Seelenruhe die Unterlagen zu prüfen. Dazu setzte er sich wie selbstverständlich in einen Sessel.

Ich unterdrückte einen Fluch. Sein Beamtenhintern zerknitterte die darauf liegenden Papiere, was ihm jedoch völlig egal war.

Währenddessen trippelte unser Butler von einem Fuß auf den anderen und wusste nicht, ob er sich entfernen sollte. Da ich seine Entlassung vergessen hatte und er sich nicht nachzufragen traute, blieb er unruhig an seinem Platz stehen.

Ich zuckte mit den Schultern, überließ jeden sich selbst und huschte ungeduldig an meinen Arbeitsplatz zurück. Bald vergaß ich den Diener und den stummen Besucher ebenso. Im Nu war ich in eine neuerliche Berechnung vertieft. Einige Zeit verging auf diese Weise, ohne dass ich es eigentlich zur Kenntnis nahm. Wieder öffnete sich die Tür. Sie knarrte dabei. Mama trat zusammen mit dem dünnen, unsympathischen Kerlchen ein, das sich kürzlich mit ihren Brüsten und wer weiß was noch beschäftigt hatte. Der Wicht schaute gewichtig auf die Unordnung und machte sich dabei bedeutungsvoll Notizen in ein ledernes Büchlein. Das an der Gurkennase klemmende Monokel ließ sein dahinter liegendes Auge irrsinnig groß wirken. 

„Unglaublich!“, rief irgendwer.

Ich schaute endgültig von meinem neusten Zahlengerüst auf. Die Worte waren dem Gesandten des Ministers entglitten, der immer noch studierend in dem Sessel saß.

„Das konnte nur ein mathematisches Genie entwickeln!“ Jetzt hielt er den Papierpacken vor sich wie ein Porträt, als wollte er es wie eine Ikone küssen.

„Mein Gott!“, ertönte nun die Stimme meiner Mutter. 

„Ja, wirklich!“, sagte der Beamte. „Ihr Sohn ist ein Gott. Ich werde dem Präsidenten persönlich von ihm berichten.“ 

Der faszinierte Redner bewertete die plötzliche Bemerkung fälschlich als Begeisterung für seine letzten Worte. Er stand auf und verneigte sich höflich zu Mama. „Mr. Racliff übertrifft jeden Mathematiker, den ich kenne! Als ich hörte, jemand habe Poincarés Vermutung bewiesen, habe ich mit einem steinalten Kauz gerechnet.“

„Es ist es keine Vermutung mehr, sondern ein Fakt“, stellte ich bescheiden klar. „Jede n-Mannigfaltigkeit mit dem Homotopietyp einer n-Sphäre ist zur n-Sphäre homöomorph.“

Mama und der Arzt rissen erstaunt die Augen auf. Sie verstanden sicher nichts von allem.

Der Beamte schwärmte weiterhin in höchsten Tönen von mir. Wie verbale Goldmünzen regneten die Worte auf mich nieder. Ein wenig schmeichelte mir sein Lob doch. Außer uns beiden verstand aber niemand, wovon wir redeten – oder? Der Gnom mit der großen Nase machte sich weiter eifrig Notizen.

Hingegen hielt sich meine Mutter die Ohren zu. „Schweigen Sie bitte!“, herrschte sie den Boten bestimmt an. 

„In diesem Haus geht es immer nur um Zahlen, Zahlen und nochmals Zahlen!“