Daddy auf Bewährung - Nicole S. Valentin - E-Book

Daddy auf Bewährung E-Book

Nicole S. Valentin

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Beschreibung

Mit allem hätte Oliver Behrens gerechnet, jedoch nicht mit dem 5-jährigen Mädchen, das unerwarteterweise vor seiner Tür steht. Und plötzlich wird behauptet, dass er ihr Vater sei. Lächerlich. Er hat keine Kinder. Und überhaupt … Sein Job kostet ihn schon genug Nerven und an den Wochenenden genießt er die Gesellschaft schöner, williger Frauen. Was, bitte, soll er da mit einem Kind anfangen? ~oOo~ Dieser verantwortungslose Kerl von nebenan hat tatsächlich eine Tochter. Dieses entzückende Geschöpf hat seine Mutter durch einen tragischen Autounfall verloren, die eigene Tante schiebt sie ab und selbst ihr Vater weiß nichts mit ihr anzufangen. Oh ja, ich bin stinkwütend über meinen selbstverliebten, promiskuitiven Nachbarn. Doch ich halte ihm zugute, dass er bis vor einigen Stunden nichts von Matildas Existenz gewusst hat. Aber sollte er tatsächlich in Erwägung ziehen, sich vor dieser Verantwortung zu drücken, dann Gnade ihm Gott. So wahr ich Lara Paulus heiße, aber Gott wird ihm dann wahrscheinlich auch nicht mehr helfen können ...

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Daddy auf Bewährung

Nicole S. Valentin

Impressum

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2021 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

M. Kluger

Fort Chambray 

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

Coverdesign: Casandra Krammer

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Bücher von Nicole S. Valentin

Über OBO e-Books

Prolog

~oOo~

Er schlägt die Augen auf und braucht einige Sekunden, um sich zu orientieren. Es riecht ungewohnt und die Geräuschkulisse ist ihm fremd. Nur spärlich wollen die Geschehnisse des gestrigen Abends zurück in seine Erinnerung. Der Club, die Blondine an der Bar. Wie hieß sie doch gleich?

Dieser verfluchte Tequila.

Das pelzige Gefühl auf seiner Zunge wird er wohl bis zu Hause behalten müssen. Verdammt, er wird wirklich zu alt für diesen Scheiß.

Eine Bewegung unmittelbar neben ihm lässt ihn die Luft anhalten. Der Arm, der ihn plötzlich umfängt, ist nicht sonderlich willkommen.

Oliver kneift die Lider zusammen. Mit spitzen Fingern schiebt er die fremde Hand über seine Mitte. Mit einem leisen Seufzen dreht sich der schlafende Körper auf die andere Seite des Bettes. Er nutzt die Gunst des Augenblicks, um aufzustehen. Landet auf einem Berg Klamotten, die er als die seinen identifiziert.

Zumindest etwas Erfreuliches.

Fast lautlos klaubt er seinen Kram vom Boden auf, klemmt sich einen Teil unters Kinn, um bloß nicht noch mal umkehren zu müssen.

Seine Schuhe … wo sind seine verschissenen Schuhe?

Womöglich noch nebenan. Es ging ziemlich heiß her heute Nacht. Mit einem schiefen Grinsen im Gesicht, fällt sein Blick auf die Frau, deren Bett er gewärmt hat. Ihre langen Haare umrahmen das Kissen, auf dem sie liegt.

Nett war‘s, Herzchen.

Doch genug davon. Sein Fokus liegt bereits einzig und allein auf der lediglich angelehnten Tür dieses Schlafzimmers. Nur schnell weg, ehe sie noch auf den Gedanken kommt, er hätte Lust auf Frühstück.

Oliver Behrens frühstückt nicht. Weder allein und schon gar nicht am Morgen danach mit einer Frau.

Auf Zehenspitzen verlässt er das Zimmer. Leise kann er. Das hat er perfektioniert und es hat sich bereits mehr als einmal als ziemlich nützlich erwiesen.

Er braucht keine dreißig Sekunden, um sich anzuziehen und die Wohnungstür hinter sich zu schließen.

Alles, wonach er sich jetzt sehnt, ist ein starker Kaffee und eine heiße Dusche. Und zwar in genau dieser Reihenfolge.

~oOo~

1

Bässe wummern durch die Wände und ich halte mir die Ohren zu. Das kann doch nicht sein Ernst sein, dass er jetzt schon mittags anfängt, mir auf die Nerven zu gehen?

Wütend schiebe ich mir extra hierfür zugelegte Stöpsel in schickem Quietschgrün in die Ohren. Doch leider bringen sie nicht die erhoffte Ruhe.

„Ernsthaft jetzt?“ Heftiger als üblich schiebe ich meinen Stuhl zurück und hämmere mit der Faust gegen die Wand. Wie erwartet bekomme ich keinerlei Reaktion von meinem Nachbarn. Das wäre ja auch zur Abwechslung mal was gewesen.

Aber was soll man von einem Idioten schon erwarten? Seitdem er vor einem halben Jahr in dieses Haus gezogen ist, ist es mit meiner Ruhe zu Ende.

Ich bin Schriftstellerin. Und ich brauche Ruhe!

Außerdem ist heute Sonntag. Ein heiliger Ruhetag. Hat ihm seine Mutter das nicht beigebracht? Ich gestehe, es interessiert mich eigentlich nicht sonderlich, solange man mich nur in Frieden schreiben lässt …

Ich atme tief ein, begebe mich auf den Flur. Zeit, dem Kerl mal gehörig die Meinung zu geigen.

„Halloooo.“ Mir schmerzen bereits die Knöchel von meinem Geklopfe, also parke ich meinen Daumen regelrecht auf dem Klingelknopf unter dem Namen Behrens. Herankommende Schritte kündigen an, dass ich erhört wurde. Das wurde aber auch Zeit! Genervt verschränke ich die Arme vor der Brust und lasse meine Fußspitzen im wilden Stakkato auf die Flurfliesen tippen.

Breit grinsend erscheint sein Gesicht im Türrahmen. Das Haar hängt ihm feucht im Gesicht und ein Handtuch bedeckt äußerst unvermögend den Bereich um seine Hüften. Der maskuline Duft seines Duschgels findet den Weg zu mir in den Hausflur und aus einem Impuls heraus beginnt meine Nase zu schnuppern und mein Kopf es für äußerst anziehend zu befinden.

Entsetzt schnappe ich nach Luft, während sein Grinsen nur noch unverschämter wird. „Nicht so ungeduldig. Ich musste mir wenigstens etwas überziehen.“

Etwas überziehen?

Seine breite, haarlose Brust glänzt nass. Einzelne Wassertropfen suchen ihren Weg über seinen Bauchnabel, ehe sie der Stoff des Handtuchs aufsaugt. Seine imposanten Muskeln beginnen zu tanzen, als er die Tür ein wenig weiter öffnet, um sich gegen die Zarge zu lehnen. „Was kann ich denn für dich tun? Dein Schellen klang ein wenig dringend.“

Mein Schellen?

Kurzzeitig habe ich den Faden verloren. Mein Blick schnellt zurück in sein Gesicht. Tiefblaue Augen betrachten mich belustigt und ich kann wirklich nichts dagegen tun, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Mit den Zähnen knirschend besinne ich mich augenblicklich wieder.

„Du könntest die Freundlichkeit besitzen, die Musik ein wenig leiser zu stellen. Es gibt Menschen, die um diese Tageszeit arbeiten müssen.“

Seine linke Braue schnellt nach oben. „So empfindlich, Honey?“

Honey?

Ich habe mich wohl verhört. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich damit aus der Reserve locken will, also überhöre ich es mit der mir von Gott gegebenen Ignoranz. „Allerdings. Also stell die Musik gefälligst ab!“

Ohne auf eine weitere Erwiderung von ihm zu warten, verschwinde ich wieder in meiner Wohnung. Und lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür.

Mein Herz klopft mir bis in den Hals und ich schließe die Augen.

Das ist es also, was man unter Inspiration versteht. Sich Anregungen holen … Heilige Scheiße. Der Kerl ist Sünde. Und doch …, mein Autorenherz frohlockt. Plötzlich habe ich meinen aktuellen Protagonisten im Sinn und lecke mir über die Lippen.

Ich hasse Oliver Behrens dafür, dass er genau der Arsch ist, den solche Kerle eben verkörpern.

Arrogant, Adjektiv. Synonym: selbstverliebt, blasiert, überheblich. Kurz und gut – ekelhaft.

Kopfschüttelnd lasse ich mich wieder vor dem Laptop nieder. Ich kann jedoch nicht abstreiten, dass die Wörter nur so aus mir heraussprudeln. Vielen Dank, mein Freund!

~oOo~

Noch immer vor sich hin grinsend schließt Oliver die Tür und macht seiner Nachbarin die Freude, die Musik auf Zimmerlautstärke zu drehen. Wenn sie nicht so eine spröde Aura hätte, wäre sie einen zweiten Blick wert. Obwohl … er steht nicht so auf Rothaarige. Jedoch … allein die Vorstellung, dass sie im Bett eine ebensolche Furie abgibt wie gerade eben. Wer wäre er denn, dass er seinen Standpunkt nicht noch einmal überdenkt?

Vor sich hin pfeifend verschwindet er im Bad und hätte fast das erneute Schellen überhört. Mit gerunzelter Stirn zieht er sich das Shirt über den Kopf. Was hat sie denn jetzt wieder auszusetzen?

Sich keiner Schuld bewusst, öffnet er die Tür. „Was denn, Honey? Ist mein fließendes Wasser dir jetzt schon zu …?“

Ohne seinen Satz zu beenden, starrt er auf die Frau, die in der Tür erscheint, ihn regelrecht zur Seite drängt, um in seine Wohnung zu gelangen. Viel zu perplex, um sie daran zu hindern, tritt er einen Schritt zur Seite.

Aber das allein ist es nicht, was ihn irritiert in der Bewegung innehalten lässt. Sie hat ein kleines Mädchen an der Hand. Zerrt es regelrecht hinter sich her. „Und ich dachte schon, Sie würden die Tür niemals öffnen. Ich bin schon zum dritten Mal hier und meine Zeit ist sehr beschränkt.“

Oliver fährt sich durchs Haar. „Entschuldigen Sie, aber wer sind Sie und was wollen Sie hier?“

Unschlüssig, ob er die Wohnungstür weiterhin offen hält oder lieber schließen sollte, fällt ihm der Koffer auf, der nunmehr verwaist auf seiner Fußmatte steht. Was geht hier vor?

Die dunkelhaarige Frau dreht sich wütend zu ihm um. Er forscht in seinem Gedächtnis nach Anhaltspunkten, ob und woher er sie kennen könnte, doch es will ihm nicht einfallen. Da sie ihn siezt, ist davon auszugehen, dass sie sich noch nicht näher kennengelernt haben.

Das Kind sieht ihn mit großen blauen Augen an, ein Stoffpferd an ihre Brust gedrückt. Die Gedanken überschlagen sich regelrecht in seinem Kopf.

„Keine Sorge. Wir zwei kennen uns nicht näher. Zum Glück, wie ich behaupten möchte. Sie waren mit meiner Schwester bekannt.“ Dabei presst sie das Wort bekannt verächtlich durch ihre Zähne. „Es ist an der Zeit, dass Sie Verantwortung übernehmen. Ich bin leider nicht mehr länger Willens noch in der Lage, auf Matilda zu achten, und da Sie sich bisher sämtlichen Pflichten erfolgreich entzogen haben, lege ich es ab sofort in ihre Hände, was mit Matilda geschieht. Ich werde heiraten und mein zukünftiger Mann möchte eigene Kinder.“

Sie rasselt diese Litanei an Informationen herunter, ohne Luft zu holen, und Oliver will nicht einleuchten, welche Rolle er hierbei spielt.

„Verzeihen Sie bitte, aber ich fürchte, Sie haben sich in der Tür geirrt. Ich habe noch zu tun, von daher …“ Er weist ihr den Weg zurück in den Flur.

Sie wedelt mit ihren Fingern vor seinem Gesicht. „Herr Behrens, auch ich habe zu tun. Ich habe eine Hochzeit zu organisieren. Und Sie werden sich ab sofort selbst um Ihre Tochter kümmern.“

Tochter?!

Diese Frau sollte dringend einen Arzt aufsuchen. Er kann das Lachen nicht aufhalten, das sich in seiner Brust zusammenbraut. Irgendwo ist doch eine versteckte Kamera. Diese Frau kann von Glück sagen, dass er so ein geduldiger Mensch ist. Dann fällt sein Blick auf das blonde Geschöpf und ihm wird schlagartig klar, dass diese Frau keine Witze macht. Zumindest keine, über die er lachen sollte.

„Hier muss ein Missverständnis vorliegen. Ich habe keine Tochter, geschweige denn überhaupt irgendwelche Kinder. Ich habe ja noch nicht mal eine Freundin, Frau …, wie war doch gleich Ihr Name?“

„Seidel, Svea Seidel.“

Irgendetwas an dem Namen lässt ihn aufhorchen. Es gab da mal eine Kira …

„Sie haben meine Schwester Kira sitzen lassen, Herr Behrens“, bestätigt sie auch direkt seine Vermutung. Wieder sieht er das Kind an, das noch keinen Pieps von sich gegeben hat. Eingeschüchtert versteckt sie sich halb hinter ihrer Tante. Oliver schätzt sie auf vielleicht fünf oder sechs.

Allerdings könnte er sich auch irren. Was versteht er schon von Kindern?

Jedoch aktiviert sich unverzüglich seine Zeitrechnung. Wenn es stimmt, was die Frau sagt und es sich um Kiras Tochter handelt, ist sie höchstens sechs. Zumindest, wenn er irgendetwas mit ihr zu tun haben soll. Er kratzt sich über den Hinterkopf. Aber das ist doch nicht möglich …

„Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen, Frau Seidel. Warum fragen wir nicht Kira, wie sie dazu steht? Ich habe kein Kind.“

„Und ob Sie eines haben. Und glauben Sie mir, wenn ich Kira fragen könnte, was sie sich dabei gedacht hat, Sie derart außen vor zu lassen, ich würde ihr ins Gesicht schreien.“ Sie holt Luft. „Wie dem auch sei, Herr Behrens. Meine Schwester kam vor einem Jahr bei einem Autounfall ums Leben und ich habe mich um Matilda gekümmert. Jetzt sind Sie dran. Und seien Sie sich gewiss, hätte ich ihren Brief früher in die Hände bekommen, wäre ich bereits im letzten Jahr hier aufgetaucht.“ Noch während sie spricht, hilft sie dem Mädchen dabei, die Jacke auszuziehen und aufzuhängen.

Er kann die Szene nur fassungslos beobachten. Autounfall … Brief … seine Tochter ... Ihm wird ein wenig schwindelig.

„Was immer Sie jetzt vorhaben, hier können Sie nicht bleiben.“ Er greift nach der kleinen Jacke, um sie auch direkt wieder von der Garderobe zu verbannen.

„Ohhh, ich habe auch nicht vor, zu bleiben, Herr Behrens.“ Sie beugt sich hinab, um dem Mädchen den Pullover zu richten. „Matilda-Schatz, Tante Svea muss gleich wieder gehen, aber dein Vater kümmert sich jetzt um dich.“

Die Augen des Kindes glänzen tränenfeucht, als sie nickt, und Oliver fühlt sich wie in einem schlechten Film.

Irgendetwas läuft hier mächtig an ihm vorbei. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Sie können doch nicht hier auftauchen und behaupten, dieses Kind wäre meine Tochter. Ich habe Ihre Schwester vielleicht vier Mal getroffen und das liegt schon so lange zurück, dass …“ Er spürt die Wut überhandnehmen und zwingt sich zur Ruhe, als ihr Zeigefinger erneut vorschnellt.

„Herr Behrens, Matilda ist Ihr Kind. Machen Sie einen Test oder was weiß denn ich. Ich habe es sowieso nie verstanden, warum Kira ein solches Geheimnis daraus gemacht hat. Immerhin haben Sie Ihren Senf dazugegeben, oder nicht?“ Sie lacht freudlos. „Und ich würde meine Schwester gern selbst ohrfeigen, aber das ist ja nun nicht mehr möglich. Alles was Matilda braucht, ist in dem Koffer. Ich melde mich bei Ihnen. Ihre Adresse scheint ja wohl zu stimmen.“ Ein Umschlag landet auf seinem Sideboard. Nachdem sie das Mädchen flüchtig auf die Wange geküsst hat, rauscht sie hinaus. Nicht ohne dem Koffer vor der Tür noch einen Tritt zu verpassen, der ihn in die Wohnung rutschen lässt.

Oliver klappt die Kinnlade hinunter. Er sollte vielleicht die Polizei rufen. Die Feuerwehr? Oder das Jugendamt? Irgendwer wird doch sicherlich zuständig sein.

Ein leises Wimmern unterbricht seine Gedanken. Matilda hat ihr Gesicht in ihrem Stoffpferd begraben und weint leise vor sich hin.

Das arme Ding ist genauso überrumpelt wie du, du Idiot.

Aber wie beruhigt man denn ein Kind? Er hat doch keine Ahnung von Kindern. Du hast keine Ahnung von deinem Kind! Doch den Gedanken weigert er sich, zuzulassen. Er hat keine Kinder.

„Hey, Kleine. Bitte nicht weinen. Ich tu dir nichts.“ Toll, Oliver! Wenn sie das jetzt beruhigen soll …?

Doch was sagt man sonst zu einem weinenden Kind? Er würde sie ja tröstend in die Arme nehmen, wie seine Mutter das bei ihm ständig gemacht hat.

Seine Mutter. Er könnte seine Mutter … Nein, lieber nicht. Sie würde hier einfallen wie das SEK und ihn als unzulänglich und dämlich beschimpfen, weil er auf eine solch niederträchtige Masche hereinfällt. Und er könnte noch nicht mal widersprechen.

Hilflos streichelt er Matilda über den Scheitel. „Ich bin Oliver, Matilda. Möchtest du dich nicht hinsetzen?“

Sie schüttelt ihren Kopf und ihr Zopf wippt hin und her. „Ich möchte nach Hause.“

Ihr Stimmchen zittert und ist derart dünn, dass er schon genau zuhören muss, um sie zu verstehen. Eine unbändige Wut auf Svea Seidel nimmt von ihm Besitz.

Wie kann diese Frau sie bei ihm abladen, ohne überhaupt zu wissen, ob es das Beste für das Kind ist? Ohne sich davon zu überzeugen, dass Matilda bei ihm überhaupt gut aufgehoben ist? Er könnte immerhin ein … ein Triebtäter sein, oder so was.

Was muss in der Frau nur vorgehen, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse vor die eines kleinen Wesens stellt, das gerade erst seine Mutter verloren hat?

Und ganz unabhängig davon, ob er nun der Vater ist oder nicht – in erster Linie ist er mal ein absolut fremder Mann und sie ist gerade mal sechs …, wenn überhaupt. Er kann gar nicht anders, als Matilda in den Arm zu nehmen. Wie einsam und verlassen sie sich fühlen muss.

Der kleine Körper versteift sich, doch sie lässt seine Umarmung zu. Er fühlt sich selbst ein wenig steif, doch die Schluchzer, die Matilda in ihr Stoffpferd weint, lassen ihn sie hochnehmen und an sich drücken.

Er schließt die Augen. Besteht denn, rein hypothetisch gesehen natürlich, die Möglichkeit, dass Matilda tatsächlich seine Tochter ist?

„Verrätst du mir, wie alt du bist, Matilda?“

„Im September werde ich sechs.“ Sie klingt bereits ein wenig gefasster und er atmet tief ein. September … Oliver rechnet zurück. Verdammt, das könnte hinkommen. Vor dieser Zeit hatte er eine kurze, wenn auch ziemlich leidenschaftliche Liaison mit Kira Seidel. Sie waren jedoch kurz darauf übereingekommen, dass sie ihre Beziehung nicht vertiefen wollen und wieder getrennte Wege gegangen. Er hatte niemals wieder etwas von ihr gehört und hätte wohl auch nicht mehr daran gedacht, bis … ja bis eben heute.

Das Mädchen noch immer auf dem Arm, sieht er sich in seiner Wohnung um. Was mache ich denn jetzt nur mit ihr? Ihre bekloppte Tante hat ihm noch nicht mal eine Telefonnummer hinterlassen, wo er sie zur Not erreichen könnte. Ich melde mich bei Ihnen. Soll er sich etwa darüber freuen? Der Umschlag fällt ihm ins Auge, der noch immer auf dem Sideboard liegt. Er macht zwei Schritte und versucht, ihn mit einer Hand zu öffnen.

Die Versichertenkarte einer Krankenkasse, ein Impfausweis und ein Kinderreisepass, das ist alles. Und doch alles, was er benötigt, um mit diesem Kind auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, wenn er denn wollte.

Olivers Kiefer beginnen zu mahlen. Ihm fällt kein anderes Wort als verantwortungslos dafür ein. Wie auch immer diese Geschichte ausgehen mag, dieser Frau sollte man das Mädchen auf keinen Fall wieder in die Obhut geben.

„Was meinst du, Matilda, sollen wir mal nachsehen, wo wir deine Sachen unterbringen?“ Er spricht mehr zu sich selbst als zu dem Kind, doch er spürt ihr Nicken an seiner Schulter. Also setzt er sie ab, nimmt Matildas Koffer und marschiert in sein Arbeitszimmer. Dort steht ein Gästebett. Das wird für eine Nacht schon reichen. Morgen ist Montag und dann wird er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um diese mehr als unglückliche Situation aufzuklären.

Zur Not muss er sich einen Tag Urlaub nehmen. Den brauchst du sowieso, oder willst du das Kind mit ins Büro schleppen? So weit hat er noch gar nicht gedacht. Er hat einen ziemlich durchgeplanten Tagesablauf. Da ist überhaupt kein Platz für ein Kind. Oliver seufzt.

~oOo~

2

Ziemlich zufrieden mit meinem Tagespensum klappe ich den Laptop zu. Wenn das so weitergeht, bin ich noch vor Abgabetermin mit der ersten Rohfassung fertig.

Fantastisch!

Mein Magen macht sich bemerkbar. Wie immer, wenn ich in einen Schreibrausch verfalle, vergesse ich zu essen. Ich schiebe meine völlig zerzausten Haare zurück und reibe mir über die müden Augen. Eigentlich habe ich jetzt auch keine Lust mehr, irgendwas zu kochen, aber vielleicht gibt der Brotkasten noch was her.

Ich sollte unbedingt einkaufen.

Miss Marple schleicht schnurrend um meine Beine. O Gott, selbst sie habe ich völlig vergessen. Ihre grünen Augen treffen mich vorwurfsvoll und ihr grauer Schwanz formt sich zu einem ziemlich eingeschnappten S, während sie, mir voran, in die Küche entschwindet. Ich habe sie vor vier Jahren als Kitten aus dem Müllcontainer zwei Häuser weiter gefischt, aber dankbarer hat sie das nicht unbedingt werden lassen. Manchmal gibt sie mir das Gefühl, als wäre ich ihr Haustier und nicht andersherum. „Ja, ja, ich komme ja schon. Sei nicht immer beleidigt, nur weil das Essen nicht pünktlich auf den Tisch kommt.“ Ich lächle, als sie meine Worte mit einem klangvollen Maunzen beantwortet. Versöhnlich öffne ich ihr eine Dose Tunfisch und sie akzeptiert diese Entschuldigung. Zumindest für den Moment.

Resigniert betrachte ich die gähnende Leere meines Brotkorbes, als es verhalten an meiner Tür klopft. Kurz überlege ich, ob ich überhaupt darauf reagieren soll. Ich erwarte niemanden und habe keine Lust auf Konversation. Ich habe mich mit meinen Protagonisten bereits genug unterhalten.

„Lara, mach schon auf. Ich weiß, dass du da bist.“

Meine Augenbrauen wandern in die Stirn, als ich Oliver Behrens Stimme erkenne. Sieh an … Die Neugier siegt über meinen Unmut. In der Regel gehen wir aneinander vorbei. Dass wir uns duzen, hat wirklich nichts mit einer tiefergehenden Freundschaft zu tun. Er hat sich mir als Oliver vorgestellt, als er in das Haus gezogen ist, und ich habe es ihm durchgehen lassen. Das ist aber auch schon alles.

Gut, hin und wieder muss ich ihn darauf hinweisen, dass er nicht der einzige Mensch auf Erden ist und ihn daran erinnern, dass Rücksichtnahme eine Tugend ist, die er offensichtlich nicht besitzt. Aber ansonsten …? Er ist mir zu … schön und ich spiele definitiv nicht in seiner Liga. Immerhin konnte ich bereits den einen oder anderen Blick auf die Frauen werfen, mit denen er sich umgibt und ich falle offensichtlich nicht in sein Beuteschema.

Ich kann gut damit umgehen, nutze ihn lediglich als Inspiration, so wie heute. Und meistens klappt es hervorragend, denn die Männer, die meiner Fantasie entspringen, bekommen den Charakter, den ich ihnen angedeihen lasse. Oliver Behrens und ich leben somit in einer mehr oder weniger friedlichen Co-Existenz zueinander.

Ich öffne die Tür. „Hast du keinen Zucker mehr, oder warum klopfst du an?“

Er wirkt irgendwie … ein wenig aus der Form geraten. Seine Haare sind nicht gestylt und selbst sein Shirt wirkt etwas mitgenommen. Diesen Oliver habe ich noch niemals zu Gesicht bekommen.

„Lara, ich brauche deine Hilfe.“

Was ihn dieser Satz wohl an Überwindung gekostet haben mag?

Das Grinsen schleicht sich in mein Gesicht, ohne dass ich etwas dagegen machen könnte. „Jetzt bin ich aber mal gespannt, bei was genau du meine Hilfe benötigst.“

Er fixiert mich und ich schlucke. Heilige Scheiße, diese Augen sind wirklich …

„Mir ist nicht nach Spaßen zumute. Es tut mir leid, das war eine blöde Idee.“ Er macht Anstalten, sich wieder umzudrehen, als ich aus einem Impuls heraus nach seinem Oberarm greife. Hitze durchfährt mich und ich ziehe die Hand unverzüglich wieder zurück. Berühren geht gar nicht, Lara. Merk dir das fürs nächste Mal.

„Was war eine blöde Idee?“ Ich hasse mich dafür, dass meine Stimme an Selbstbewusstsein verloren hat und atme einmal durch, um mich wieder zu fangen.

Er kratzt sich über den Hinterkopf, bringt seine Haare nur noch mehr in Aufruhr und mein Hals wird ganz trocken bei dem Anblick.

Schnösel, Substantiv! Definition: Nimmt sich selbst gern zu wichtig.

„Eigentlich war es ein Gefallen, um den ich dich bitten wollte.“ Zögerlich wendet er sich mir wieder zu. „Ich habe längerfristigen Besuch und gestehe, ich komme an meine Grenzen. Ich war nicht einkaufen und habe nichts da. Ich könnte mit ihr in einen Fast Food-Laden gehen, habe aber keinen Kindersitz fürs Auto. Andersherum möchte ich sie auch nicht allein lassen, um etwas zu essen zu besorgen. Würdest du vielleicht auf sie aufpassen, bis ich wieder hier bin?“

Ich verstehe immer nur sie und Kindersitz und aufpassen. „Ist es schon so weit gekommen, dass deine Freundinnen jetzt einen Kindersitz benötigen?“

Das ist doch ein wenig zu viel der Nachbarschaftshilfe. Eine meiner Locken verflüchtigt sich in meine Stirn und ich schiebe sie mir hinters Ohr.

„Lara, ich würde dich nicht bitten, wenn ich eine andere Lösung hätte. Ich weiß, dass wir beide uns nicht immer ganz grün sind. Und ich rede weiß Gott nicht von meiner Freundin, sondern von meiner Tochter.“

Okay, das habe ich jetzt nicht erwartet. „Von deiner Tochter?“

„Ich sagte bereits, es war eine blöde Idee dich zu fragen, also vergiss es wieder.“

Mein Schriftstellerherz hüpft euphorisch auf und ab. Tausend Ideen gehen mir gleichzeitig durch den Kopf. Diese Chance werde ich mir doch nicht entgehen lassen. „Klar, ich pass auf sie auf. Ich habe selbst noch nichts gegessen, aber Fast Food muss es wirklich nicht sein. Ich kann ein paar Pfannkuchen machen.“

Die Erleichterung ist ihm regelrecht anzusehen und das Lächeln, welches er mir schenkt, scheint zum ersten Mal völlig echt zu sein.

Nein, nein, nein, auf gar keinen Fall hinsehen! Du musst dich davor verschließen, Lara. Das wäre wirklich nur unnötiger Ballast.

„Dann hol mal deine Tochter, und ich zaubere ein paar Pfannkuchen.“ Ich schiebe meinen Haustürschlüssel von außen in die Tür, um ihm zu suggerieren, dass er reinkommen kann, wenn er will. Würde ich die Tür nur anlehnen, wäre Miss Marple dieser Einladung gefolgt und ich müsste mir die Nacht um die Ohren schlagen, weil das Fräuleinchen mir nach draußen entwischt.

„Danke, Lara. Du bist wirklich meine Rettung.“

Ich winke ab, weise mich gedanklich bereits selbst in eine Klinik für geistig schwache Menschen ein. „Schon gut. Bis gleich.“

Auf dem Weg zurück in die Küche erhasche ich einen Blick in den Spiegel. Meine Locken stehen zu allen Seiten ab und meine Wangen sind leicht gerötet. Die Yogahose ist ziemlich ausgebeult und ein Kaffeefleck ziert den Ausschnitt meines Tops. Herrlich. Der Traum eines jeden Mannes. Ich verdrehe die Augen. Wem willst du denn heute gefallen? Etwa Oliver Behrens? Lächerlich! Ich fasse meine Haare zum Zopf zusammen und mache meinen Frieden damit, dass sich auch noch Pfannkuchenteig neben den Kaffee platzieren darf. Ich bin eben ein kreativer Mensch und habe Mut zur Lücke.

Genau, rede dir das nur immer wieder ein. Irgendwann glaubst du dir dann selbst.

~oOo~

Oliver hat wirklich gezögert, Lara um Hilfe zu bitten, aber sie war die einzige Anlaufstelle, die für ihn infrage kam. Er war nicht darauf vorbereitet. Auf Matilda.

Gemeinsam haben sie ihr Hab und Gut in den kleinen Schrank in seinem Arbeitszimmer verstaut. Es ist nicht sonderlich viel, was Matilda ihr Eigen nennt. Jetzt sitzt sie auf dem Sofa, das Stoffpferd fest in den Händen. Er hat einen Zeichentrickfilm angeschaltet. Das ist pädagogisch fragwürdig, aber so hatte er zumindest die Gelegenheit, diese völlig surreale Situation für sich zu verarbeiten.

Nicht, dass ihm das bisher gelungen wäre.

In Matildas Koffer war der besagte Brief von Kira. Die Abschrift einer notariellen Urkunde, die bestätigt, dass Oliver Behrens der biologische Vater von Matilda Victoria Seidel ist. Für den Fall, dass ihr irgendetwas zustößt und niemand sonst sich um ihre gemeinsame Tochter kümmern kann.

Oliver reibt sich über den Mund, betrachtet das Mädchen. Ihr blonder Zopf hat sich gelockert und ihre Augen sind starr auf den Fernseher gerichtet. Sie steht wohl noch immer unter Schock.

Hilflos atmet er ein. Was hat sich Kira nur dabei gedacht, sie vor ihm zu verheimlichen? Jetzt wird er keine Antwort mehr auf diese Frage bekommen. Jetzt hat er also eine Tochter. Na super!

Aus welchem Grund Svea nicht zum Jugendamt gegangen ist, ist ihm schleierhaft. Das hätte Matilda und ihm eine andere Basis des Kennenlernens verschafft. Sie hätten sich aneinander gewöhnen können. Stattdessen wurden Vater und Tochter mit der Tatsache konfrontiert, dass sich ihrer beider Leben von jetzt auf gleich ändern wird.

Oliver setzt sich neben seine Tochter. Sie sieht ihn jedoch noch nicht mal an. „Matilda, hast du Hunger? Lara, meine Nachbarin, hat angeboten, Pfannkuchen zu machen.“

Leben kommt in das Kind und der Ansatz eines Lächelns zeigt sich auf ihrem Gesicht. „Ich mag Pfannkuchen.“ Ihre blauen Augen bekommen ein wenig Glanz. Er lächelt und streicht ihr durch das wirre Haar.

„Dann komm. Ich habe auch Hunger.“ Er registriert, dass sie nach seiner Hand greift, während er seinen Haustürschlüssel in die Hosentasche schiebt. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das ihn beschleicht, als ihre warme, kleine Hand die seine umfasst. Sie blickt zu ihm auf und er wird sich der ganzen Verantwortung mit einem Schlag bewusst, die nun auf seinen Schultern lastet.

Das ist deine Tochter.

Gewisse Ähnlichkeiten konnte er bereits feststellen. Die Farbe ihrer Haare, Kira hatte eher dunkles Haar. Form und Farbe der Augen, der feingeschwungene Mund.

Plötzlich geben seine Knie leicht nach und er hat das Bedürfnis, sich hinzusetzen. Stattdessen hockt er sich vor sie. „Es tut mir leid, dass du heute so traurig warst, als deine Tante Svea dich hergebracht hat. Aber ich freue mich sehr, dich kennenzulernen, Matilda. Und ich hoffe, dass du mir nicht böse bist, dass ich mich niemals vorher gemeldet habe.“

Matildas Augen ruhen auf seinem Gesicht, dann schüttelt sie langsam den Kopf. „Nein. Mama hat gesagt, dass du meine Telefonnummer nicht hast und nicht weißt, wo ich wohne.“

Oliver stutzt. Diese Antwort hat er nicht erwartet. Was soll man darauf antworten?

„Das stimmt. Aber zum Glück habt ihr mich ja gefunden.“

Sie lächelt ihn verhalten an und er ringt mit dem Wunsch, sie an sich zu drücken. Da er sie nicht verschrecken will, steht er wieder auf und nimmt erneut ihre Hand.

„Die Pfannkuchen sind bestimmt schon fertig.“

~oOo~

3

Die fertigen Pfannkuchen stapeln sich bereits eindrucksvoll. Ich habe wohl ein wenig übertrieben mit der Menge des Teigs.

Ach egal, ich habe sowieso kein Brot mehr.

Miss Marple beobachtet mich mit Argusaugen. Es könnte ja schließlich ein Tropfen auf dem Boden landen, den sie sich gönnen könnte.

„Sieh mich nicht so an. Du hattest bereits dein Nachtmahl.“

Sie zwinkert noch nicht mal und ihr Blick drückt nichts anderes als Langeweile aus. Ich schnaube und stelle den Teller mit unserem Abendbrot auf meinen Küchentisch. Direkt neben die Nuss-Nougat-Creme, den Apfelmus und den Puderzucker. Ich habe keine Ahnung, wie meine Gäste ihre Pfannkuchen bevorzugen.

„Kannst du dir vorstellen, dass er eine Tochter hat? Ich gestehe, mir wäre das im Traum nicht eingefallen.“ Miss Marple senkt ihre Augenlider. „Ich kann ihn mir wirklich nicht als Vater vorstellen.“ Vor meinem inneren Auge spiele ich eine Szene durch, in der Oliver am frühen Morgen abgehetzt Frühstücksbrote schmiert, seine Tochter drängelt, endlich aufzustehen, nur um schließlich auf den letzten Drücker das Haus zu verlassen. Ich muss lachen. Nein, dieses Bild passt überhaupt nicht zu Oliver Behrens, der jeden Morgen wie aus dem Ei gepellt in seine tiefrote Giulia steigt, um seinem Tagesgeschäft nachzugehen, nur um abends mit einer Barbie am Arm wieder durch den Hausflur zu tänzeln. Jetzt muss er sich wohl mit anderen Barbies rumschlagen. Mein Grinsen reicht von einem Ohr zum anderen.

Ich höre den Schlüssel in der Tür. „Showtime, Missi.“

Das Haustier scheint sich an irgendwelche Instinkte zu erinnern, also lässt Missi sich tatsächlich dazu herab, wenigstens mal nachzusehen, wer ihr Refugium betritt. Mit hocherhobenen Schwanz tippelt sie in den Flur.

Ich lege derweil Servietten auf den Resopaltisch und versuche, meine eigene Neugier noch einen klitzekleinen Augenblick im Zaum zu halten.

Ein erfreutes Gequietsche. „Eine Katze! Kann ich sie auf den Arm nehmen, Oliver?“

Oliver? Ich dachte, er wäre ihr Vater. Nenn mich bloß nicht Papa. Was sollen die Leute denken? Das sieht ihm ähnlich. Snob, Substantiv. Definition: Andere Personen herablassend behandeln, weil er etwas Besseres ist.

„Ich weiß nicht, Matilda. Vielleicht mag sie das nicht.“ Seine Stimme klingt hingegen wenig snobistisch. Im Gegenteil. Warm und liebevoll. Ein Schauer rieselt über meine Wirbelsäule und ich bin ziemlich froh, noch in meiner Küche zu verweilen. Uiuiui, Lara, immer die Ruhe bewahren. Du suchst lediglich Impulse, immer schön daran denken!

Erst nachdem ich mich selbst in die Schranken gewiesen habe, trete ich ebenfalls in den Flur.

„Hallo, ihr zwei.“ Ich lasse meinen Blick zwischen Vater und Tochter hin- und herwandern. Matilda kniet neben der Katze und diese schnurrt genüsslich, ob der kraulenden, kleinen Hand. Oliver schenkt mir ein halbseitiges Lächeln. „Danke für die Einladung.“

Ich erwidere sein Lächeln, knie mich hin. „Das ist Miss Marple. Aber sie hört auch auf Missi.“

Das Mädchen blickt auf und strahlt mich an. Wow, die Augen habe ich doch schon mal gesehen.

„Darf ich sie auf den Arm nehmen?“

„Mmh, vielleicht später? Sie lernt dich ja gerade erst kennen. Wer weiß, manchmal kommt sie von ganz allein auf den Schoß.“

Sie nickt verstehend und widmet sich wieder meiner besseren Hälfte. Missi hat sich bereits auf den Rücken gelegt, damit Matilda sich auch um ihren Bauch kümmern kann. Dieser Katze ist nicht mehr zu helfen.

„Habt ihr Hunger? Also ich könnte einen ganzen Berg verdrücken.“

Matilda erhebt sich und sieht zu Oliver hoch. Er lächelt sie an und nimmt ihre Hand, während mir beide in die Küche folgen.

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Diese Küche ist ein zusammengewürfelter Haufen Mobiliar. Nichts gehört zusammen und dient anscheinend nur einem Zweck: Stell- und Liegefläche für Schnickschnack. Fotos und Postkarten aus den verschiedensten Städten und Urlaubsregionen sind mit Magneten an den Kühlschrank gepinnt. Das Geschirr auf dem Tisch scheint aus einer anderen Zeit zu stammen und die Servietten blenden ihn förmlich mit ihren grellen Farben. Genau so hat er es sich vorgestellt.

Nichts an dieser Frau ist im herkömmlichen Sinne konventionell. Selbst das Händewaschen vor dem Essen erledigt sie mit Matilda an der Spüle.

Er hat noch nie eine uneitlere Frau kennengelernt.

Welche, der ihm bekannten Damen, würde sich in einer Yogahose und mit bekleckertem Oberteil zu ihm an den Tisch setzen? Ihm fällt nicht eine einzige ein.

Doch es hat auch etwas herrlich Unkompliziertes. Und sein Leben ist seit einigen Stunden verdammt kompliziert.

Er betrachtet Laras Profil, die gerade damit beschäftigt ist, Matildas Pfannkuchen mit Nuss-Nougat-Creme zu bestreichen, weil sie der Meinung ist, dass das Mädchen noch niemals etwas Besseres gegessen hätte als das.

Ihr ovales Gesicht ist gesprenkelt mit Sommersprossen, die wilden schulterlangen Locken hat sie mit einem Haargummi gebändigt. In der Regel fliegen sie um ihren Kopf. Ihre Finger sind lang und schlank, ihre Nägel kurz und unlackiert, ganz im Gegensatz zu ihren Fußnägeln. Diese leuchten in fünf verschiedenen Farben. Er hat sie eigentlich noch nie in Schuhen gesehen. Jedenfalls kann er sich nicht daran erinnern.

Oliver atmet durch. Wenn ihm heute Morgen jemand erzählt hätte, dass er bereits zur Abendzeit Vater einer fast sechsjährigen Tochter sein wird und sich zum Essen mit seiner nervigen Nachbarin verabredet, er hätte laut gelacht und denjenigen für verrückt erklärt.

Lara sieht ihn fragend an und er muss zugeben, dass er für einen Augenblick geistig nicht anwesend war.