Von Autos und Prinzen - Nicole S. Valentin - E-Book

Von Autos und Prinzen E-Book

Nicole S. Valentin

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Beschreibung

Isabell Holzer hat wirklich genug um die Ohren. Als Automechanikerin mit eigener Werkstatt in einer Männerdomäne zu bestehen, ist nicht ganz einfach. Erst recht nicht, wenn man Rechnungen bezahlen muss. Dann hat frau selbstverständlich nur darauf gewartet, dass arrogante, selbstgefällige Idioten, wie Niklas Baringhaus einer ist, plötzlich vor einem stehen. Herablassend der Meinung sind, Frauen können so was nicht. Als sie ihm auf einer Party ihres besten Freundes Martin Zimmermann wieder begegnet, möchte sie ihm am liebsten gehörig den Marsch blasen. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Die Tatsache, dass die Bank ihr kurz darauf ein Ultimatum stellt und Niklas daran nicht ganz unbeteiligt zu sein scheint, lässt sie an seinen Motiven zweifeln … Und was hat Martins Schwester mit all dem zu tun?

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Von Autos und Prinzen

Nicole S. Valentin

Impressum

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2019 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

OBO e-Books

M. Kluger

Fort Chambray 

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

[email protected]

Coverdesign: Rebecca Wild

Inhalt

Von Autos und Prinzen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

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Über OBO e-Books

Von Autos und Prinzen

1

„Ich brauche mehr Licht hier unten! Wer hat den zweiten Strahler schon wieder …?“

„Chef? Hier ist jemand für dich.“

Ich atme tief in den Brustkorb. Es ist zum Verrücktwerden. In dieser Werkstatt zu arbeiten ist manchmal eine Zerreißprobe für meine Nerven.

„Kannst du das nicht für mich erledigen? Ich stehe unter der Bühne.“ Ich drehe den mir verbliebenen Strahler hoch, mitten in Karls Gesicht. Er kneift die Augen zu und zuckt lediglich mit den Schultern.

„Er verlangt ausdrücklich den Chef. Tut mir leid. Du musst wohl da rauskommen.“ Verlegen schiebt er seine Hände in die Taschen seines Overalls. „Wirklich, Kleines, und du solltest dich beeilen. Der sieht aus, als würde er gleich explodieren.“

Mit einem tiefen Seufzer fische ich nach meinem Handtuch und klettere nach oben. Ein Blick auf meine schwarzen und rissigen Fingernägel lässt meine Mutter vor meinem inneren Auge erscheinen. Kind, du bist ein Mädchen. Wasch dir gefälligst die Hände und feile deine Nägel. Wie sieht das denn aus?

Nach Arbeit, Mama! Das sieht verdammt noch mal nach Arbeit aus.

Halbherzig wische ich mir die Schmiere von den Händen.

Ich sehe ihn sofort. Tiefrot, glänzende 4,5-Zoll-Leichtmetallfelgen, Ledersitze, soviel ich von hier aus erkennen kann, verfügt er über ein Holzlenkrad, bestimmt 69er Baujahr, 91 kW, 124 PS.

Ich bemerke, wie sich meine Schritte verlangsamen.

Verflucht, sieht der gut aus.

Und es qualmt eindrucksvoll unter seiner Motorhaube.

Ich schnuppere kurz. Der beißende Geruch lässt mich vermuten, dass die Öffnung des Öleinfüllstutzens nicht ordentlich verschlossen ist.

Da kann man nur beten, dass der Wagen schnell genug hierhergefunden hat.

Ich unterdrücke den Impuls, dem armen Volvo sofort zu Hilfe zu eilen, und folge stattdessen Karls Blick zu dem Mann, der nicht weit entfernt mit dem Rücken zu mir ungeduldig auf und ab läuft und in ein Handy spricht.

Die Schuhspitze seiner teuren Oxford-Schnürer treten die weißen Kiesel meiner Einfahrt wütend in das liebevoll angelegte und gepflegte Blumenbeet meiner Großmutter.

Na, Freundchen, dann bete mal zum lieben Gott, dass sie nicht hinter der Gardine lauert.

Etwas ungehalten räuspere ich mich, unterbreche sein Telefonat.

Zumindest versuche ich es.

„Sie wollten mich sprechen?“

Ein erhobener Zeigefinger gebietet mir, still zu sein, ohne dass er sich überhaupt die Mühe macht, sich zu mir umzudrehen.

Ich bemerke den Knoten aus Wut in meinem Magen.

Das ist doch wohl das Letzte …

Gerade als ich Karl andeute, dass er sich selbst um diesen arroganten Arsch kümmern soll, schiebt der Typ das Handy in die Innentasche seines dunkelblauen Jacketts und wendet sich mit einem süffisanten Lächeln in meine Richtung.

„Entschuldigen Sie bitte vielmals. Das war ein wichtiges … Telefonat.“ Seine graugrünen Augen scannen mich abschätzend und das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht. Er deutet auf mich und fährt Karl an: „Sagte ich nicht, ich will den Chef sprechen?“

Karl zuckt stoisch die Schultern und verschwindet in der Garage.

„Der Chef steht vor Ihnen.“ Ich beiße die Zähne fest zusammen, zähle innerlich langsam bis zehn.

Der Kunde ist immer König, Isa.

Obwohl ich fest daran glaube, dass selbst mein Vater diesen hier direkt vom Gegenteil überzeugt hätte.

„Aber Sie sind eine Frau?“

Ach nee? Sieh an …

„NEIN!“ Gespielt entsetzt blicke ich an mir herab, mein Blick bleibt auf meinen Brüsten hängen. „Oh Mist, verdammter. Das sind ja tatsächlich Titten! Da habe ich wohl heute Morgen glatt vergessen, sie in meine Hose zu stecken.“

Ich verschränke meine Arme vor der Brust und funkele ihn an. „Das ist wohl gleichzeitig Ihr Glück. Denn sonst wären sogar meine Eier größer als Ihre. Und jetzt wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie hier verschwinden.“

Er kratzt sich am Hinterkopf, schließt kurz die Augen. „So war das nicht gemeint. Ich wollte Sie nicht …“

Dieses Mal fahre ich ihm über den Mund. „Es interessiert mich nicht, was Sie NICHT wollten. Ein geringes Maß an Höflichkeit ist sicherlich nicht zu viel verlangt. Und jetzt steigen Sie in diesen bemitleidenswerten Volvo und bemühen Sie den ADAC oder besser noch …“ Mit einem Fingerzeig deute ich auf die roten Nummernschilder. „… bringen Sie ihn zurück zum eigentlichen Besitzer.“

Mein Blick wandert erneut zu diesem Traum von Auto und es fällt mir schwer, nicht hinzuhechten und mich um sein Wehwehchen zu kümmern.

„Sie können mich doch jetzt nicht hier stehen lassen …?“

„Und ob ich das kann. Ich drehe mich einfach um und weg bin ich.“ Ich lasse meinen Worten Taten folgen und höre ihn kurz darauf hinter mir herlaufen. „Bitte, es war nicht so gemeint. Ich zahl auch das Doppelte, wenn Sie ihn nur wieder …“

Jetzt reicht es!

Mit einer mahnenden Geste wende ich mich ihm zu und weise ihn in die Schranken.

„Kerle wie Sie meinen anscheinend immer noch, dass Geld alle Probleme löst. Tut mir leid, diese Schmach müssen Sie schon über sich ergehen lassen.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen kann ich mir eine letzte Spitze in seine Richtung nicht verkneifen. „Dabei ist es doch eigentlich so ein Frauending, das Auto bei der Probefahrt bereits zu Schrott zu fahren.“

Er zieht seine Stirn in Falten, mustert mich mit einer Mischung aus leichter Bestürzung und unverhohlener Anerkennung.

„Wow, Sie sind wahrlich nicht auf den Mund gefallen.“

Ich schnaube wenig damenhaft. „Und Sie sind wahrlich ein Idiot.“

Ich drehe mich endgültig um und ziehe mein Handtuch von der Schulter, einfach nur, um irgendwas zwischen den Fingern zu haben. Wringe es förmlich und ergehe mich bei der Vorstellung, es wäre der Hals dieses … dieses … unglaublich … gut aussehenden chauvinistischen Arschloch-Idioten.

Isabell Holzer, ich muss mich sehr wundern.

„Karl? Kümmerst du dich bitte um den Volvo? Wahrscheinlich muss nur die Öleinfüllöffnung richtig verschlossen werden. Prüf direkt den Ölstand und das Kühlwasser. Es wäre schade um dieses hübsche Auto.“

„Klar, Chef.“ Er zwinkert mir zu und begibt sich wieder in den Hof. Und ich gehe geradewegs durch die Werkstatt in die daran angrenzende winzige Küche.

Jetzt habe ich einen Kaffee bitter nötig.

~oOo~

Da steht er nun. Vorgeführt von einer Frau.

Einer ungeschminkten Frau im Arbeitsoverall, in klobigen Stiefeln und mit einem um den braunen Lockenkopf gewickelten Kopftuch.

Das Ganze ist so abstrus, dass sich Niklas nur schwerlich das Lachen verkneifen kann, das seinen Brustkorb hinaufklettert.

Mit Fug und Recht kann er behaupten, dass eine Situation wie diese absolutes Neuland für ihn ist.

In der Regel trifft er auf Frauen in der Bar, in einem Restaurant, in einem Klub.

Und sie sind normalerweise sehr bemüht darum, einen bleibenden Eindruck bei ihm zu hinterlassen. Wenn es sich ergibt, hinterlassen sie gerne den Zimmerschlüssel eines Hotelzimmers oder eine Telefonnummer, die er bei Bedarf nutzen kann.

Aber normalerweise trifft er sie nicht in einer Autowerkstatt.

Tatsächlich gibt es hier nicht den allerkleinsten Hinweis darauf, dass der Chef eine Frau sein könnte. Keine Vorhänge vor den Werkstattfenstern, kein rosa lackiertes Tor. Das Firmenschild verrät lediglich einen Kfz-Meisterbetrieb Holzer.

„Verdammte Scheiße.“ Das Ausmaß dieser Katastrophe wird ihm bewusst, als er einen Blick auf seine Uhr wirft.

Er ist mal wieder zu spät. Christina wird ihm die Hölle heißmachen.

Gerade als er sein Handy zur Hand nehmen will, bemerkt er den Mechaniker am Volvo. Selten war er so erleichtert.

„Vielen Dank. Ich glaube, Sie retten gerade mein Leben.“

„Jap.“

Niklas beobachtet die routinierten Handgriffe des wesentlich älteren Mannes.

„Ist Ihr … Chef immer so gut gelaunt?“ Er hat keine Ahnung, was genau ihn zu dieser Frage veranlasst. Eigentlich sollte er froh sein, wenn er gleich mit dem Auto den Hof verlassen kann und nie wieder einen Fuß auf dieses Gelände setzen muss.

Aber irgendwas hat diese Frau an sich …

„Meine Nichte. In der Regel ist sie ein umgänglicher Mensch.“

Das überrascht Niklas. „Ihre Nichte?“

„Jap.“ Karl schließt die Motorhaube des Volvo 1800S und erklärt gelassen: „Sie sollten besser darauf achten, dass der Verschluss des Öleinfüllstutzens immer ordentlich verschlossen ist. Ihnen ist Motoröl aus dem Ventilgehäuse in den Motorraum und auf den Auspuffkrümmer gespritzt. Sie waren früh genug hier … allerdings kann das in die Hose gehen. Kühlwasser war auch zu wenig.“ Er schüttelt den Kopf, als wäre das ein Kapitalverbrechen. „Sonst wird es irgendwann teuer.“

„Ja … ja natürlich. Was bin ich Ihnen schuldig?“ Nach seinem Portemonnaie suchend greift er in seine Hosentasche.

Karl winkt ab. „Lassen ‘se ma stecken. Das geht aufs Haus.“

Sagt‘s und schlurft zurück zur Werkstatt.

Niklas presst seine Lippen aufeinander, unsicher, ob er auf einer Bezahlung bestehen soll, entschließt sich dann jedoch dagegen. Er ist wirklich verdammt spät dran und es wird Zeit, hier zu verschwinden. Mit einem tiefen Seufzer steigt er in den Volvo und startet den Motor.

2

„Du denkst hoffentlich an heute Abend?“

Ich verdrehe die Augen. „Ich denke an nichts anderes.“

„Gut. Dann geh gefälligst ausnahmsweise mal zum Frisör und lackiere deine Fingernägel. Es muss ja nicht gleich jeder mitbekommen, dass der begehrteste Junggeselle des Abends mit einem Mann ausgeht.“

„Martin, mach mal halblang. Wenn dir so viel an Weiblichkeit liegt, such dir eine richtige Freundin und nutz mich nicht immer so schamlos für deine Zwecke aus.“

Mein bester Freund hat einen Knall. Aber ich liebe ihn. Leider bildet er sich ein, dass jeder Rock nur hinter seinen Hosen her ist.

Gut, vielleicht hat er da nicht so unrecht.

Seine markanten Gesichtszüge, das strohblonde Haar, eisblaue Augen und dieses freche Dauergrinsen finden wahrscheinlich viele Frauen sexy, meine Libido spricht es jedoch nicht an.

Für mich wird er immer der Junge bleiben, den ich bereits im Sandkasten mit meiner Schippe verprügelt habe.

Heute findet er diese frühkindliche Erinnerung eher beschämend, aber für mich war das der Beginn unserer nunmehr fast 22-jährigen Freundschaft.

Und ich werde niemals müde, diese Geschichte jedem zu erzählen, der mich danach fragt.

Dem großen Klassenunterschied unserer beider Familien zum Trotz hat sich unsere Bekanntschaft bewährt und ich bin voller Stolz, dass er noch heute mein bester Freund ist, auch wenn ich ihm nicht mehr mit einer Schippe auf den Kopf schlagen darf.

Obwohl mir in Momenten wie diesem die Finger jucken.

„Ach Schatz, was soll ich denn mit einer richtigen Freundin? Wenn ich Lust habe zu vögeln, blättere ich durch mein schwarzes Buch.“

„Bitte, keine Details. Die Bilder werde ich sonst nie wieder los.“

Er grunzt in den Hörer. „Dir täte ein schwarzes Buch ebenfalls gut, Isa. Wirklich. Wenn du dich nur ein wenig mehr wie eine Frau benehmen würdest …“

„Halt die Klappe. Wenn ich eine Moralpredigt brauche, gehe ich zu meiner Oma. Wann holst du mich ab?“

„Ich komme gar nicht, sondern schicke dir einen Wagen. Meine Schwester hat mir noch irgendwelche Verpflichtungen aufgebrummt und ich fürchte, ich kann nicht rechtzeitig bei dir sein und unverschämt gut aussehen. Man muss schließlich Prioritäten setzen.“

„Himmel, manchmal frage ich mich, was all diese Frauen nur an dir finden.“

„Wo soll ich da nur anfangen? Bei meinem bestechenden Charme? Bei meinen Fähigkeiten im Bett? Oder soll ich wieder bei meinem Aussehen hängen bleiben?“

„Ich lege jetzt auf.“

Er lacht laut in mein Ohr. „Hans kommt um 18:00 Uhr. Zieh das grüne Kleid an. Das lange mit diesen Perlen. Du siehst heiß darin aus.“

„Ich nehme das schwarze. Das passt besser zu meinen Fingernägeln.“

Noch ehe er etwas darauf erwidern kann, beende ich das Telefonat.

Ein Lächeln liegt auf meinen Lippen.

Ich mag diese Charity-Abendveranstaltungen eigentlich nicht besonders.

Auch dann nicht, wenn es wie heute Abend um benachteiligte Kinder geht.

Würden diese Leute all das Geld, das sie bereits im Vorfeld für den Frisör, ihre Garderobe, das Make-up ausgeben, von vornherein sparen, wäre der Erlös einer solchen Spendenaktion doch um einiges höher. Martin lacht mich regelmäßig aus, schimpft mich eine Idealistin und überredet mich dennoch jedes Mal aufs Neue, ihn zu solchen Happenings zu begleiten, wie er es zu nennen pflegt.

Dass ich mich so sicher in den Kreisen meines besten Freundes bewegen kann, ist ebenfalls sein Verdienst.

Da er mich in der Vergangenheit in jedes dieser Wie-esse-ich-anständig-mit-Messer-und-Gabel- und Wie-verbessere-ich-meine-Umgangsformen-Seminare mitgeschleppt hat, bekomme ich keinen Nervenzusammenbruch bei dem Gedanken an all die feinen Pinkel, die mir heute Abend über den Weg laufen werden.

Hier geht mein Dank also an die Eltern Zimmermann.

Sie hätten ihn mit seiner Schwester schicken können, aber ich glaube, er hat ihnen in dieser Hinsicht keine große Wahl gelassen.

Obwohl, wenn ich es recht bedenke, ist Christina Zimmermann, Martins Schwester, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit schon perfekt auf die Welt gekommen. Sie hatte solche Seminare sicher nicht nötig.

Ich bin nicht so blauäugig, tatsächlich daran zu glauben, dass sie mir diese Kurse völlig selbstlos ermöglicht haben.

Es wird wohl eher so gewesen sein, dass seine Mutter sicher sein wollte, dass ich sie nicht blamieren würde, wenn ich sie besuche.

Immerhin waren ihr Prinzchen und die kleine Rotznase aus der Autowerkstatt unzertrennlich.

Heute finde ich einen diebischen Gefallen daran, dass all diese Menschen tatsächlich zu glauben scheinen, ich wäre eine von ihnen.

Ja, die Rotznase kann auch Prinzessin.

An den Ausdruck in ihren Gesichtern werde ich mich nie gewöhnen, wenn ich sie letztendlich darüber aufkläre, dass ich lediglich eine Autowerkstatt mein Eigen nenne und kein jahrelanges Studium mit Auslandsaufenthalt absolviert habe und somit auch keinen erfolgreichen Abschluss in irgendwas besitze.

„Karl, kümmerst du dich um den Rest? Ich muss mich fertig machen für heute Abend.“

„Klar, Kleines. Ich schließe nachher zu.“ Mein Onkel winkt mich hinaus und ich ziehe bereits den Reißverschluss meines Overalls hinunter, noch bevor ich das angrenzende Wohnhaus erreiche, das ich mit meiner Oma bewohne.

„Isa? Bist du das?“

„Wer sonst, Oma?“

Ich grinse.

Das ist so etwas wie ein Ritual.

Obwohl sie hört, dass ich die Tür mit einem Schlüssel öffne, vergewissert sie sich dennoch regelmäßig, wer diesen Schlüssel benutzt.

„Ich muss unbedingt baden. Martin schickt mir um 18:00 Uhr die Limo. Bis dahin muss ich meine Finger wieder einigermaßen sauber bekommen haben.“

„Na, dann bleibt mir nichts weiter, als dir viel Glück dabei zu wünschen.“ Sie erscheint im Türrahmen.

Eine kleine, rundliche Frau mit einem strengen Haardutt im Nacken.

Ihre Augen sind so strahlend blau, wie ich sie außer bei meiner Mutter noch bei niemandem gesehen habe.

„Machst du mir später die Haare?“

„Was ist das für eine Frage? Sieh zu, dass du ins Badezimmer kommst. Ich gehe davon aus, dass du heute nicht mit mir isst?“

Die Frage ist rhetorisch.

Sie wartet meine Antwort nicht ab, sondern verschwindet wieder in der Küche, brüllt den Rest lieber über den Flur. „Ruf mich einfach, dann komme ich hoch zu dir.“

„Du bist die Allerbeste, Omilein.“

„Das ist schließlich mein Job.“

Ich lasse meine Sachen bereits auf dem Weg ins Bad fallen.

Darum kann ich mich später noch kümmern.

Das Badewasser läuft und verströmt einen himmlischen Duft nach Mandeln und Honig. Schade, dass ich heute so wenig Zeit habe, es zu genießen.

Ich bin mal wieder spät dran, und wenn ich noch meine Haare bändigen möchte, wird es allerhöchste Zeit.

Mit der Nagelbürste bearbeite ich meine Fingernägel, entscheide mich letztendlich für einen pflegenden und abdeckenden Nagellack.

Nur um sicherzugehen.

Das Kleid hängt bereits am Bügel und wartet auf seinen großen Auftritt.

Selbstverständlich ist es das grüne. Das mit den Perlen am Saum und am Bustier. Ich hätte es auch ohne Martins Hinweis ausgewählt.

Meine Großmutter hat es genäht. Genau für solche Anlässe, wie ich sie ständig mit ihm besuche.

Ihren großen Traum, einmal mein Brautkleid zu nähen, werde ich ihr wohl nicht erfüllen können. Aber Abendkleider sind doch auch schon mal was.

In einen weichen Bademantel gehüllt, die Achseln, die Beine und alle sonstigen notwendigen Stellen rasiert, begebe ich mich in die Obhut meiner Großmutter, die sich meiner Haare annimmt.

„Soll ich sie dir hochstecken, mein Schatz?“ Sie sieht mir durch den Spiegel in die Augen und ich nicke zustimmend. Die gleichmäßigen Bürstenstriche lassen mich genießerisch die Augen schließen.

„Wirst du heute mit Martin sprechen?“ Sie lässt es beiläufig klingen, aber ich durchschaue sie sofort.

Unverzüglich bin ich wieder achtsam, betrachte sie im Spiegel.

„Oma, ich werde ihn nicht um Geld bitten. Wirklich! Das bekomme ich hin, auch ohne seine Hilfe.“

Die Mutter meiner Mutter hält in der kämmenden Bewegung inne. Die Sorge in ihrem Blick schnürt mir förmlich den Brustkorb zusammen, also greife ich nach ihrer Hand, drücke ihre knorrigen Finger. Auch um mir selbst die nötige Zuversicht zu vermitteln.

„Wirklich, Oma. Bitte mach nicht so ein Gesicht. Ich habe es bis jetzt immer ohne Martins Hilfe geschafft und die Bank hat mir noch eine Frist eingeräumt. Wir verlieren weder das Haus noch die Werkstatt. Das lasse ich nicht zu.“

Sie seufzt tief, fährt fort damit, mein Haar zu bändigen. „Ich wünschte, ich hätte dein Gottvertrauen.“ Dann lächelt sie mir entgegen. „Du bist ihr so ähnlich, dass es mich manchmal schier auffrisst.“

Der darauffolgende Kuss auf meinen Scheitel lässt mich schlucken.

Heul jetzt bloß nicht los. Denk an dein Make-up.

Ich werde uns aus dem Engpass wieder rausholen.

Die Werkstatt wirft nicht mehr so viel Geld ab wie zu Zeiten meines Vaters.

Die Aufträge bleiben aus.

Ich weigere mich einfach, den Gedanken zuzulassen, dass es an der Tatsache liegen könnte, dass ich eine Frau bin.

Ich verstehe etwas von meinem Beruf und sehe nicht, was mich da großartig von einem Mann unterscheiden sollte.

Es muss doch auch andere Kunden geben.

Nicht nur solche Idioten wie das Exemplar von heute Mittag.

Als der Wagen der Familie Zimmermann vorfährt, schlüpfe ich gerade in meine silbernen Riemchensandalen mit einem gefühlt meterhohen Absatz.

Ich bedenke meine Füße mit einem entschuldigenden Blick. „Ich weiß, ihr werdet mich gleich dafür hassen, aber bitte, es ist nur für heute Nacht. Morgen bekommt ihr wieder Sneakers und Arbeitsstiefel oder höchstens Ballerinas.“

„Hör auf, mit deinen Füßen zu sprechen. Du kommst eh wieder barfuß nach Hause. Beeil dich lieber, bevor der arme Hans draußen noch Wurzeln schlägt.“

Ich lächle meine treu sorgende Großmutter noch einmal an, ehe ich meine kleine silberne Clutch zur Hand nehme und die Treppe hinunterstöckle.

„Du bist nur sauer, weil er heute kein Körnchen bei dir trinken kann, sondern sofort mit mir entschwindet.“ Ich zwinkere ihr zu und sie errötet einen Hauch.

„Rede keinen Unsinn. Ich wünsche dir einen schönen Abend. Genieß den Ball, Aschenputtel. Denk nur daran, um Mitternacht verwandelt sich die Kutsche in einen Kürbis.“

„Ich denke daran, meine gute Fee.“

„Und wenn du auf den Prinzen triffst, bring ihn bloß mit nach Hause.“

Ich verdrehe die Augen. „Wirklich, Oma? Was soll ich mit so einem Geldsack?“

„Martin ist so ein Geldsack.“

„Deshalb habe ich ihn bereits als Kind verprügelt.“

„Verkauf dich nicht immer unter Wert, mein Kind. Du bist das wundervollste Mädchen der Welt. Und wenn jemand einen Geldsack verdient, dann du.“

Wieder brennen Tränen in meinen Augen.

„Das hast du schön gesagt. Und ich verspreche es dir, wenn ich einen Sack Geld finde, bringe ich ihn mit nach Hause.“

„Du bist ein ganz schön freches Ding! Verschwinde jetzt aus meinem Haus.“ Das Lachen ihrer Augen straft ihre Worte Lügen und ich küsse sie schnell auf die Wange. „Warte nicht auf mich. Hans bringt mich wieder nach Hause.“

Sie schließt die Tür hinter mir.

Nicht, ohne dem Chauffeur noch einmal kokett zuzuwinken.

„Ihr seid mir vielleicht zwei. Warum lädst du sie nicht mal zum Essen ein, Hans? Sie würde sich freuen.“

Er hilft mir in den Bentley. „Ach nein, Isa. Wir sind schon zu alt für so einen Blödsinn.“

„Wer sagt denn so etwas? Ihr wärt so ein hübsches Paar.“ Ich lächle ihn aufmunternd an.

Verlegen wischt er über seine glänzende haarlose Kopfhaut, zuckt ein wenig ratlos mit den Schultern, ehe er die Uniformmütze wieder aufsetzt und auf dem Fahrersitz Platz nimmt.

Die Zimmermanns legen wirklich viel Wert auf diesen ganzen Kokolores.

Ich habe mich bereits des Öfteren darüber amüsiert. Sehr zum Leidwesen Martin Zimmermanns, der in diese Welt hineingeboren wurde.

3

Keine Viertelstunde später kommen wir bei dem Anwesen an, in dem sich heute Nacht alles, was Rang und Namen hat, im Namen der guten Sache ordentlich volllaufen lassen wird.

Ein stattlicher Fuhrpark säumt bereits die Einfahrt und ein livrierter Butler, wahrscheinlich von irgendeiner Agentur nur zu diesem Zweck engagiert, öffnet den herannahenden Gästen Tür und Tor zu den Heiligtümern des berühmten Theo Zimmermann, seines Zeichens Schönheitschirurg mit eigener Ärzteschaft in seinem Schatten. Seine Klinik ist DIE Klinik überhaupt und jede Brust und jedes Augenlid sollte nur unter sein Messer.

Wenn man der Allgemeinheit Glauben schenken möchte.

Was ich in der Regel nicht tue.

Oft erschrecke ich mich vor all diesen fratzenartigen Wesen, die jede Natürlichkeit in einem dieser OP-Säle verloren haben.

Lachende Frauen, deren Stirn gebügelt glatt bleibt.

Lippen, die im Falle einer Seenot Leben retten könnten, weil sie ein Untergehen verhindern.

Von den falschen Brüsten möchte ich erst gar nicht sprechen.

Es ist die Zeit des Botox, des Silikons und ich bin da irgendwie mittendrin.

Erfrischend spektakulär unoperiert und stolz auf jede einzelne Cellulitisdelle in meinen bereits in die Jahre gekommenen Oberschenkeln.

Das bleibt ja Gott sei Dank noch jedem selbst überlassen.

Ich verurteile das nicht. Wenn man denn dazu steht.

Am schlimmsten sind solche Natürlichkeiten, die selbst mit 60 Jahren noch aussehen wie eine frische 40 und es lediglich darauf schieben, dass sie die Finger vom Alkohol lassen.

Und da sie so konsequent abstinent leben, gibt es erst mal eine Runde Champagner für alle.

Du wirst wieder zynisch, Isa.

Hans entlässt mich am Eingang und ein pflichtbewusster junger Mann in Uniform lächelt mir höflich und unverbindlich zu, ehe er mir die Tür öffnet.

Es sind Gott sei Dank keine Fotografen und Presseleute zu sehen, sodass es heute Abend keine Hetzjagd geben wird.

Wahrscheinlich hat Herr Zimmermann mal wieder die Exklusivrechte dieser Spendengala verkauft.

Ganz so, wie es sich gehört.

Die Streicher spielen bereits und das monotone Gemurmel aus dem Ballsaal verrät die ersten Gäste.

Jedoch entscheide ich mich zuerst für die ausladende Treppe, um in die höheren Sphären zu gelangen. Zu den Etagen des Hauses, zu denen Normalsterblichen kein Zugang gewährt wird.

Ich aber bin im Besitz der Zauberbohne und darf in das Reich der Riesen.

Ohne groß anzuklopfen, stürme ich kichernd diese Festung in der Festung, die mein bester Freund sein Eigen nennt.

Martin bewohnt eine Vier-Zimmer-Wohnung in diesem riesigen Luxuskomplex.

Ich könnte niemals hier wohnen, diese Dekadenz würde mich einfach erschlagen.

„Hey, Kleiner. Dein Date ist eingetrudelt. Ich hoffe, du hast dich hübsch für mich gemacht, ich habe mir nämlich extra die Zehennägel lackiert und meinen Schritt rasiert. Nicht, dass du ihn zu sehen bekommen … würdest.“ Mir stockt der Atem. Erschrocken fährt meine Hand an meine Kehle und mir wird abwechselnd heiß und kalt.

„Kleiner? Das hat auch noch keine Frau zu mir gesagt.“

In diesen privaten Räumen steht niemand anderer als mein Volvokiller von heute Morgen.

Er grinst mich an.

Ekelhaft selbstgefällig.

Und sieht dabei so unverschämt gut aus, dass ich ihm am liebsten direkt eine verpassen möchte.

Seine graugrünen Augen funkeln klar und belustigt auf mich herab, seine dunklen Haare wirken im angemessenen Stil very bad und sein Smoking ist ihm anscheinend auf den Leib geschneidert.

Allein die Tatsache, dass er auf mich herabgrinst, finde ich unglaublich anmaßend.

Mit meinen 1,75 m bin ich nicht unbedingt klein für eine Frau, und heute trage ich Absätze.

Unbequem hohe Absätze.

„Heilige Scheiße, warum müssen Sie mich so erschrecken.“ Mein Hals ist trocken, meine Stimme gleicht einem Reibeisen.

„Es war doch eher so, dass Sie einfach hier hereingeplatzt sind, ohne anzuklopfen. Ihr Klopfen an der Tür und ein Herein meinerseits wären sicherlich Warnung genug gewesen.“

Was für ein … Arsch!

Ich kneife meine Augen bedrohlich zusammen, bemühe mich, kein todbringendes Gift zu verspritzen.

„Und wer bitte sind Sie genau, dass Sie sich erdreisten, mir die Regeln der Höflichkeit vorzubeten?“

Er schlägt lässig die Beine übereinander, während er sich gegen die Wand lehnt.

Mich mustert.

Mit durchdringendem Blick.

„Ich bete nicht vor. Ich weise lediglich hin. Und wenn ich mich recht erinnere …“ Er blickt kurz an die Decke, ehe er mich wieder einfängt mit diesen unverschämten graugrünen Augen, in meine Richtung nickt. „Waren nicht Sie es, die mir unlängst Unhöflichkeit vorgeworfen hat?“

Touché, Affe.

Meine bissige Erwiderung schlucke ich hinunter, da Martin auf der Bildfläche erscheint. „Weißt du, mein Herz, wenn du dich nurmal annähernd wie ein Mädchen benehmen würdest, würdest du dich nicht immer in diese peinlichen Situationen befördern, die mir regelmäßig die Lachtränen in die Augen treiben.“

Meine heutige Begleitung wischt sich die imaginäre Flüssigkeit aus dem Gesicht und klopft diesem feinen Pinkel auf die Schulter.

Mein Blick schießt Blitze in seine Richtung. „Und wenn du mich vorwarnen würdest, käme ich nicht andauernd in solche Situationen, du Armleuchter.“

Martin übergeht meinen Einwand. „Niklas, das ist Isa. Isabell Holzer. Meine Freundin.“ Seine Hand gestikuliert wild. „Also nicht MEINE Freundin, sondern eine Freundin. Die beste.“ Ein schmatzender Kuss auf meine Wange, den ich mit dem Handrücken wegwische.

„Es freut mich sehr, Isabell. Mein Name ist Niklas Baringhaus.“

Er streckt mir tatsächlich seine Hand entgegen. Feingliedrige, sehr gepflegte, lange Finger.

Ich ergreife sie, kann mich nicht gegen den kräftigen, warmen Händedruck wehren. Für einen kleinen Moment schnürt sich meine Kehle zusammen, während ich mir tatsächlich einbilde, sein Daumen würde über meinen Handrücken streicheln.

Fast hätte ich ihm dieses letzte Wort gegönnt.

Wäre das nicht einfach so absolut gegen meine Natur …

„Es freut Sie also. Was genau ist denn jetzt so erfreulich? Dass ich tatsächlich wie eine Frau aussehe?“ Die Wut, die ich schon vor ein paar Stunden empfunden habe, ballt sich erneut zusammen und lenkt mich von der irritierenden Tatsache ab, dass sein bloßer Händedruck meinen Puls zu beschleunigen scheint.

Niklas Baringhaus schürzt siegessicher seine Lippen, schenkt mir ein durchaus geübtes Lächeln und ich wette, andere Frauen schmelzen wie Karamell dahin.

Andere Frauen …

Aus den Augenwinkeln bekomme ich mit, wie sich bei Martin Nervosität breitmacht. Er räuspert sich vernehmlich, noch ehe ich dieses Zahnpasta-Model in seine Schranken weisen kann.

Dann hat er meine Anspielung durchschaut.

Er schlägt sich vor die Stirn. „Es war ihre Werkstatt, nicht wahr, Niklas? Du hast den Volvo von Isa reparieren lassen.“

Martin schüttelt fast erschüttert den Kopf.

Das kann ich so nicht stehen lassen. „Ich habe gar nichts repariert. Der Volvo hatte lediglich zu wenig Kühlwasser und Öl im Motorraum. Jeder Kerl mit ein wenig Autoverstand wäre von selbst darauf gekommen. Karl hat das erledigt, obwohl dein Freund hier lieber den Chef damit beauftragen wollte, diese unglaublich schwierige Aufgabe zu übernehmen.“