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Cox und Benneti sind die großen Familien des Motorradrennsports. Seit Jahren verfeindet, gibt es für die Fahrer der beiden Teams eine goldene Regel: Jeglicher Kontakt zwischen ihnen ist verboten. Nachdem Kenzie Cox für ihren Vater eine sensationelle Saison gefahren ist, hat sie für ihre große verbotene Liebe Hayden Hayes, Star der Bennetis, dem Sport und ihrer Familie den Rücken gekehrt. Doch als Haydens Rennstall dessen Exfreundin Felicia anheuert, bekommt ihre Beziehung Risse. Kenzie muss zusehen, wie Felicia das Leben als Starfahrerin einnimmt, das sie verloren hat, und offensichtlich nur ein Ziel verfolgt – Hayden zurückzugewinnen …
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Seitenzahl: 653
Buch
Das Leben auf der Überholspur hat seinen Preis. Mackenzie Cox hat viel riskiert und viel verloren. Denn für die Fahrer von Cox und Benneti, die großen verfeindeten Familien des Motorradrennsports, gibt es nur eine goldene Regel: Jeglicher Kontakt zwischen ihnen ist verboten. Nachdem Kenzie Cox für das Team ihres Vaters eine sensationelle Saison gefahren ist, hat sie für ihre verbotene Liebe Hayden Hayes, Starfahrer der Bennetis, dem Rennsport und ihrer Familie den Rücken gekehrt. Doch als Haydens Rennstall dessen Exfreundin Felicia anheuert, bekommt ihre Beziehung Risse. Kenzie muss zusehen, wie Felicia das Leben einnimmt, das sie verloren hat. Und es kommt noch schlimmer, als ihr bewusst wird, dass Felicia nur aus einem Grund nach Hause gekommen ist: um Hayden Hayes zurückzugewinnen …
Weitere Informationen zu S. C. Stephens sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.
S. C. Stephens
DANGEROUS RUSH
Gefährliche Liebe
Roman
Aus dem Amerikanischen von Babette Schröder
Goldmann
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Dangerous Rush«.
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Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2018
Copyright © der Originalausgabe 2017 by S. C. Stephens
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Getty Images / ArtMarie
Redaktion: Antje Steinhäuser
MR · Herstellung: kw
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN 978-3-641-22744-9 V002
www.goldmann-verlag.de
Für Addy.
Hayden Vier Jahre zuvor
Hier, Hayden … dieser Klunker ist das Beste, was du für dein Geld bekommen kannst.« Aufreißer reichte mir einen Umschlag, den ich mit nervösen Fingern entgegennahm. Darin befand sich ein Verlobungsring und zwar nicht irgendein Ring, sondern ein Ring für eine Königin. Für meine Königin.
Doch als ich den Umschlag in Händen hielt, zögerte ich hineinzusehen. Was Herzensangelegenheiten anging, war Aufreißer nicht gerade ein Experte – er interessierte sich mehr fürs Geldverdienen –, darum wusste ich nicht recht, was mich erwartete. Bei dieser Sache konnte er einiges verkehrt machen, und ich konnte es mir nicht leisten, einen solchen Ring zweimal zu kaufen. Doch als ich Aufreißer erzählt hatte, dass ich meiner Freundin Felicia einen Antrag machen wollte, hatte er mir versichert, er kenne einen Typen, der einen Typen kenne, der mir etwas besorgen würde, was ich mir sonst niemals leisten könnte. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich heiße Ware in der Hand hielt.
Ich holte tief Luft, öffnete die Lasche des Umschlags und linste auf den Ring hinunter, der in der Bodenfalte steckte. Als ich sah, was für einen Stein Aufreißer aufgetrieben hatte, machte ich große Augen. Er war so riesig, dass er schon fast kitschig wirkte. Ich holte das glitzernde Schmuckstück aus seinem Versteck, um den Stein auf irgendwelche offensichtlichen Fehler zu untersuchen, die ihn als billige Kopie entlarvten, fand jedoch nichts. »Mensch, Aufreißer, ich will lieber gar nicht wissen, wo du den herhast. Der ist super. Danke, Mann.«
Ich fasste ihn an der Schulter und umarmte ihn flüchtig. Meine Wangen brannten, so heftig grinste ich. »Kein Problem, Kumpel. Denk nur dran, wenn du Felicia endlich schwängerst, bekommt ihr einen Jungen und nennt ihn Tony. Nach mir. Izzy hat mit Antonia schon dafür gesorgt, dass ein Mädchen nach mir benannt ist. Apropos, wir sollten uns auf den Weg machen. Wenn wir zu spät kommen, bringt Iz uns um.«
Ich nickte und verstaute den Ring in meiner Jackentasche. »Ja, fahren wir.«
Als wir zu unseren Maschinen gingen – einer schwarzen, aufgemotzten Acura für Aufreißer und einer superschnellen Suzuki für mich –, zeigte Aufreißer auf meine Tasche. »Willst du den Felicia heute geben?«
Allein von der Frage wurde mir schwindelig vor Aufregung. Ich hatte überlegt, es heute zu tun, doch bei dem Gedanken überkam mich jedes Mal das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Im Grunde war heute der perfekte Tag, um Felicia zu bitten, mich zu heiraten. Es war nicht nur Antonias dritter, sondern auch mein neunzehnter Geburtstag. Jeder, der mir etwas bedeutete, würde bei unserer gemeinsamen Geburtstagsfeier dabei sein. Und in einem Monat wurde Felicia achtzehn, was die Sache noch besser machte. Dann waren wir beide endlich frei.
Ich spürte den Ring in meiner Tasche und sagte zu Aufreißer: »Ja … ja, ich glaub schon.« Erneut zog sich mein Magen zusammen, aber ich achtete nicht darauf. Der Diamant in meiner Jackentasche war das perfekte Symbol für meine Beziehung zu Felicia, und er gehörte an ihren Finger. Wir kannten uns schon ewig, seit meinem vierzehnten Lebensjahr waren wir zusammen. Klar, neunzehn war vielleicht ein bisschen jung, um sich für den Rest seines Lebens auf eine Frau festzulegen, aber sie war kein normales Mädchen, und wir zwei hatten nie ein normales Leben gehabt.
Als wir ungefähr in Antonias Alter gewesen waren, hatte man uns unseren leiblichen Eltern weggenommen. Anschließend waren wir im System umhergeschubst worden und hatten verzweifelt nach einem Ersatz für das gesucht, was wir verloren hatten. Anstatt dass man uns mit dem Wichtigsten versorgte, mussten wir beide wie die Löwen um jedes Stück kämpfen. Wir waren ein Team, wir passten aufeinander auf, und ich wollte niemand anders an meiner Seite haben. Warum noch zehn Jahre warten, wenn ich schon jetzt wusste, dass ich den Rest meines Lebens mit ihr verbringen wollte? Ich hatte nie etwas anderes gewollt, und daran würde sich auch nichts ändern. Sie war mein Schicksal.
Wenige Minuten später hielten Aufreißer und ich auf dem Parkplatz vor Izzys Wohnblock. Alleinerziehende Mutter zu sein war nicht leicht für Izzy, mit fünfzehn ein Baby zu bekommen war allerdings auch schon hart gewesen. Der Mistkerl, der sie geschwängert hatte, ließ sie sofort sitzen, als er begriff, dass sie nicht nur einfach zunahm, sondern ein Kind erwartete. Dass der Typ sich aus dem Staub gemacht hatte, war allerdings ein Spaziergang verglichen mit dem, was es bedeutete, Mutter zu werden, wenn man selbst noch ein Kind war. Aufreißer, Felicia und ich fühlten uns jedoch genauso für Antonia verantwortlich und unterstützten Izzy, wo wir nur konnten. Dieses Kind war etwas ganz Besonderes. Ich würde alles für Antonia tun und auf keinen Fall zulassen, dass sie eine Kindheit erleben musste, wie ich sie gehabt hatte. Und wenn es meine letzte Tat auf dieser Erde war, sie sollte wissen, wie es sich anfühlte, einen Vater zu haben. Ich war an dem Tag ihrer Geburt da gewesen. Ich hatte bergeweise Windeln gewechselt und sie mit Gallonen von Muttermilchersatz gefüttert. Ich hatte ihr das Laufen beigebracht, und ihr erstes Wort war »Hayden« gewesen. Nun ja, eigentlich »Hay«, aber ich nahm es für mich in Anspruch. Dieses Kind bedeutete mir alles, weshalb ich mir ernsthaft Sorgen um die Kleine machte. In der letzten Zeit war sie oft krank gewesen – sie war schlapp und müde und litt unter Übelkeit –, als hätte sie sich irgendetwas eingefangen, das sie nicht mehr loswurde. Izzy war verrückt vor Sorge, weshalb wir ihr alle abwechselnd versicherten, dass Antonia wieder in Ordnung käme. Das konnte gar nicht anders sein, sie war doch schließlich noch ein kleines Kind. Wie schlimm konnte es schon sein?
Auf dem Rücken hatte ich eine riesige Tasche voller Spielzeug für Antonia dabei, darunter als Hauptgeschenk eine dieser American-Girl-Puppen. Ich schwöre, das Ding hatte beinahe genauso viel gekostet wie der Ring für Felicia. Zum Glück verdiente ich ganz gut, indem ich für Aufreißer Straßenrennen fuhr. Er hatte Felicia und mich schon dort hineingezogen, als wir offiziell noch gar nicht fahren durften. Doch das hatte mich nie geschert. Da die ganze Sache ohnehin illegal war, schien mir der Umstand, dass ich zu jung war, unbedeutend zu sein.
Gott, ich liebte es, Rennen zu fahren, und ich war gut – verdammt gut. Ich hatte noch nie verloren. Jemanden zu besiegen, weckte etwas Gefährliches in mir. Hoffnung. Hoffnung und Träume. Und je mehr Rennen ich fuhr, desto stärker glaubte ich daran, dass ich vielleicht eines Tages mit Motorradrennen mein Geld verdienen könnte – ganz legal. Ich konnte mir kein besseres Leben für mich vorstellen, und es gab nichts, was ich lieber wollte. Felicia könnte vermutlich ebenfalls professionell Rennen fahren, denn sie war richtig gut. Ja, wir zwei bei demselben Rennstall … das klang perfekt.
Aufreißer holte mich an Izzys Tür ein. Ich klopfte an, dann drehte ich den Knauf und trat ein. Wärme und Lachen empfingen uns, doch als Erstes fiel mein Blick auf mein Mädchen, das im Sonnenlicht am Fenster stand und mich anlächelte. Gott, sie war hinreißend. Lange dunkelbraune Locken fielen über ihren Rücken. In ihren großen braunen Augen blitzte der Schalk, und an ihren vollen Schmolllippen könnte ich tagelang saugen. Allein der Gedanke, sie zu küssen, erregte mich. Wie lange mussten wir heute hierbleiben, bevor wir uns für die Nacht davonstehlen konnten? Denn zum Abschluss meines Geburtstags wünschte ich mir, dass sie ihre Arme und Beine um meinen Körper schlang.
»Hey, Süße«, sagte ich und glitt neben sie.
»Hey, Hayden«, erwiderte sie schnurrend. »Herzlichen Glückwunsch.« Das Funkeln in ihren Augen verriet mir, dass sie den Abend auf dieselbe Weise beenden wollte wie ich. Das Verlangen, das in den dunklen Tiefen glomm, deutete daraufhin, dass sie einiges mit mir vorhatte. Vermutlich würde ich morgen einen etwas seltsamen Gang haben. Lieber Gott. Nach der Torte mussten wir gehen.
Als ich mich gerade für ihre Glückwünsche bedankte, schlangen sich winzige Arme um meine Taille. »Ontel Haydi!«
Felicia lachte amüsiert. »Haydi … das gefällt mir. Das übernehme ich.«
Ich warf ihr einen missbilligenden Blick zu, bevor ich mich hinunterbeugte, um Antonia hochzuheben. Sie lag weich in meinen Armen, fast schwerelos. Antonia sah genau wie ihre Mutter und wie Aufreißer aus, ihr leiblicher Onkel. Sie hatte ihren hispanischen Teint geerbt, ihre zarte Statur und ihre dunklen Augen und Haare, doch momentan war Antonia blass und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Sie sah aus, als würde sie vor Erschöpfung jeden Augenblick zusammenbrechen. Ich drückte sie fest und küsste sie auf das dichte Haar. »Hey, Kleine. Herzlichen Glückwunsch!«
Sie seufzte zufrieden, kuschelte sich in meine Arme und rührte sich nicht mehr. Erst nach einem Moment begriff ich, dass sie eingeschlafen war. Eiskalte Angst umschloss mein Herz, doch ich verdrängte sie. Izzy war heute Morgen mit ihr im Park gewesen, wahrscheinlich war sie nach dem langen Tag einfach nur müde. Es war bestimmt ohnehin bald Zeit für die Kleine, schlafen zu gehen. Nichts, worüber man sich Sorgen machen musste.
Ich sah mich nach Izzy um und entdeckte sie mit Aufreißer neben dem Kuchentisch. Sie wirkte verärgert, und ich fragte mich, ob Aufreißer ihr von dem Ring erzählt hatte. Ich wusste, dass sie sich freute, wenn Felicia und ich heiraten würden, das war nicht das Problem, doch Izzy hatte etwas gegen Aufreißers illegale Machenschaften. Wahrscheinlich regte sie sich darüber auf, dass es sich bei dem Ring um heiße Ware handelte. Doch sie würde darüber hinwegkommen. Izzy verzieh Aufreißer vieles.
»Hey, Iz«, sagte ich und ging zu ihr. »Da ist wohl jemand erledigt.«
Izzy drehte sich zu mir um, und zum millionsten Mal war ich verblüfft, wie jung sie aussah. Egal, wie sehr ich mich bemühte, sie anders zu sehen, auf mich wirkte sie immer wie zwölf. Wahrscheinlich würde sich das nie ändern. Was meinen Beschützerinstinkt noch deutlich verstärkte. Ob verwandt oder nicht, Izzy war meine Schwester.
Besorgt blickte sie auf ihre schlafende Tochter. »Ich versteh das nicht. Sie dürfte eigentlich nicht so müde sein. Sie ist noch nicht mal auf den Spielplatz gegangen, sie wollte nur kuscheln …«
Vor lauter Sorge schimmerten Tränen in ihren Augen, und ich schenkte ihr ein sorgloses Lächeln, von dem ich hoffte, dass es überzeugend wirkte. »Sie ist okay, Iz. Nur müde.«
Izzy schien ein wenig beruhigt zu sein und streckte die Hände aus. »Dann bringe ich sie wohl mal ins Bett.«
Mit skeptischer Miene verfolgte Aufreißer, wie ich Antonia ihrer Mom übergab. »Nein, weck sie auf, Iz. Sie soll sehen, was ich ihr mitgebracht habe.« Er rieb sich die Hände und grinste, als würde er einen Preis für das beste Geschenk bekommen.
Izzy bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick und schüttelte den Kopf. »Sie macht es besser später auf, Tony. Jetzt braucht sie Ruhe.«
Aufreißer brummte gereizt, sagte jedoch nichts weiter. Während sie Izzy und ihrer Tochter hinterhersah, verschränkte Felicia ihre Finger mit meinen. »Hoffentlich ist alles in Ordnung«, flüsterte sie mir zu und lehnte sich an mich. Sie roch nach Jasmin, ihrem Lieblingsparfum, was normalerweise meine Sinne erregte, doch ihre Worte dämpften mein Verlangen.
»Ja, hoffentlich.«
Aufreißer wedelte gereizt mit der Hand. »Sie ist okay. Kinder werden nun mal krank, das ist doch nichts Besonderes.«
Wortlos blickten Felicia und ich uns im selben Augenblick an. Sie hob eine Braue, und ich verdrehte die Augen, dann mussten wir beide lachen. Es machte unsere Freunde verrückt, dass wir uns ohne Worte verstanden.
Aufreißer musterte uns, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kuchentisch. Er starrte ganze zehn Sekunden auf die beiden Torten, dann sagte er schließlich: »Oh Mist! Du hast ja auch Geburtstag, Hayden! Ich vergesse immer, dass du und Antonia Zwillinge seid. Also, wo feiern wir heute Abend?«
Ich deutete auf das Zimmer, das von Ballons, Luftschlangen und großem, kleinkindertauglichem Konfetti nur so überquoll. »Wir feiern doch schon.«
Aufreißer warf mir einen missbilligenden, verständnislosen Blick zu. »Ich meinte anschließend, du Trottel. Gehen wir in einen Stripclub, fahren wir nach Mexiko, wozu hast du Lust?«
»Ich will mit Felicia zusammen sein, und da sie nichts von alldem machen kann …«
»Oder nichts von alldem machen will«, warf Felicia gelassen ein.
Ich lächelte ihr zu und führte meinen Satz zu Ende: »… bleiben wir hier. Und außerdem habe ich doch nachher noch diese Sache vor.« Ich betonte das Wort »Sache«, so gut ich konnte. Ob Aufreißer den Hinweis verstand? Es überstieg meinen Horizont, wie er in so kurzer Zeit meinen Plan vergessen konnte, Felicia einen Antrag zu machen.
»Ja, okay, gut. Ich wollte mich nachher sowieso mit Grunz treffen. Er hat einen Tipp für einen geheimen Fight Club. Wollt ihr zwei eine Wette platzieren, falls wir ihn finden?«
Wie aus einem Mund sagten Felicia und ich Nein. Mit Aufreißer Wetten abzuschließen war im Allgemeinen keine gute Idee. Wenn er zufällig gewann, behielt er einen ziemlich großen Anteil des Gewinns für sich und nannte das Kommission.
Aufreißer schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf, als seien wir Idioten, weil wir uns diese Chance entgehen ließen. »Egal. Ich rufe Grunz an und finde heraus, wann dieser Quatsch stattfindet.« Mit einer Hand holte er sein Telefon heraus und strich mit einem Finger über den Rand der Torte. Lächelnd schob er sich im Weggehen ein Stückchen Glasur in den Mund.
Als ich mit Felicia allein war, den Verlobungsring in der Tasche, begann mein Herz zu hämmern. War jetzt ein guter Zeitpunkt? Während Antonia schlief und Aufreißer telefonierte? Sollte ich warten, bis alle wieder zusammen waren? Oder vielleicht sollte ich es heute Abend machen, wenn wir beide wirklich allein waren. Mist, ich wusste es nicht, und ich mochte es nicht, wenn ich nicht wusste, was ich tun sollte.
Vielleicht spürte Felicia meine innere Unruhe, denn sie legte die Arme um meinen Hals. »Du wirkst nervös. Hat das was mit dieser Sache zu tun, die du heute Abend vorhast?« Ihre Lippen zuckten, als verkniffe sie sich ein Lächeln. Wusste sie, was ich in den letzten zwei Wochen geplant hatte? Sie kannte mich besser als jeder andere.
Ich setzte ein lässiges Lächeln auf und erklärte: »Keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Sie beugte sich vor und küsste mich sanft auf die Lippen, sie schmeckte nach Schokolade. Hatte sie etwa auch schon von der Glasur genascht? Na toll, jetzt wollte ich sie in Schokolade tauchen und anschließend sauber lecken. »Bist du dir da sicher?«, murmelte sie, und ihre Lippen näherten sich mir erneut. Diesmal sog sie meine Unterlippe in ihren Mund, und mir entfuhr ein leises Stöhnen. Vielleicht würden wir uns die Torte auch sparen.
»Äh … ziemlich sicher … Ich hab nichts Besonderes vor … nur mit dir zusammen sein …«
Mit einem leisen, verführerischen Lachen ließ sie ihren Mund zu meinem Ohrläppchen gleiten. Sie strich mit der Zunge über den Rand und raunte mir zu: »Wirklich? Du wolltest Aufreißer also nicht an etwas … Wichtiges erinnern?«
Die sinnliche Bewegung trieb pulsierende Lust durch meinen Körper. Gott, was wollte sie wissen? »Ja … also …« Ich war kurz davor, ihr jedes Geheimnis zu verraten, als das schrille Klingeln des Telefons die Stille durchschnitt. Ich gewann die Kontrolle über meine Sinne zurück und rückte einen Schritt von ihr ab. Netter Versuch.
Felicia wirkte amüsiert und zugleich ungehalten, dass ich so schnell die Fassung wiederfand. Ich löste ihre Arme von meinem Hals. Solange wir uns nicht berührten, fiel es mir leichter, meine Pläne für mich zu behalten. Es war peinlich, wie leicht mich diese Frau aus der Fassung bringen konnte.
Izzy stürzte aus Antonias Zimmer herein, um das Telefon abzunehmen. »Hallo? Ja, hier ist Isabel. Haben Sie Antonias Testergebnisse? Wissen Sie, was ihr fehlt?«
Ich warf Felicia einen Blick zu und hörte, dass Aufreißer sein Gespräch mit Grunz beendete. Izzy hatte erwähnt, dass der Arzt einige Tests durchgeführt hatte, als sie das letzte Mal mit Antonia bei ihm in der Praxis gewesen war. Vielleicht würde es Izzy beruhigen, wenn sie mehr Informationen erhielt.
Alle drei drehten wir uns zu Izzy um und beobachteten, wie sie nervös an ihrer Lippe nagte, während sie zuhörte. Sie zog die Brauen zusammen. »Wie meinen Sie das, Sie können es mir nicht am Telefon erklären?« Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Nein, ich will nicht morgen vorbeikommen und mit dem Doktor sprechen. Ich will auf der Stelle wissen, was zum Teufel mit meiner Tochter los ist!« In ruhigerem Ton fügte sie hinzu: »Wenn Sie irgendetwas wissen, sagen Sie es mir bitte. Ich will nicht warten. Ich kann nicht warten.«
Mit großen Augen sah sich Izzy im Zimmer um. Weil ich das Gefühl hatte, dass sie mich brauchte, wich ich von Felicias Seite und legte Izzy eine Hand auf die Schulter. Sie umfasste sie mit eisernem Griff, der sich mit jeder Sekunde noch verstärkte. »Nein … das kann nicht sein … Sie ist doch erst drei Jahre alt … und heute ist ihr Geburtstag … und das ist einfach unmöglich …« Sie schluckte, dann nickte sie. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme tonlos, wie tot. »Natürlich kommen wir morgen vorbei. Um wie viel Uhr?«
Sie hörte zu, dann legte sie auf, ohne sich zu verabschieden. Mein Herz pochte heftig. Ihre Miene war leer, wie versteinert, doch ich wusste, das würde nicht so bleiben. »Izzy? Was ist los? Was stimmt nicht mit ihr?«
Izzy blickte auf und sah mich entsetzt an, dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Sie müssen noch weitere Tests durchführen, aber sie sind sich ziemlich sicher … sie glauben, dass sie Leukämie …« Ihre Stimme verhallte, doch das Wort, das sie gerade ausgesprochen hatte, donnerte mit der Kraft eines tosenden Unwetters durch meinen Kopf. Tränen strömten aus Izzys Augen, und die Verzweiflung verzerrte ihre Gesichtszüge. »Hayden … mein Baby hat Krebs …«
Dann brach sie zusammen und sackte so schwer in meine Arme, dass ich sie kaum halten konnte. Schluchzer, zu heftig für ihren schmalen Körper, erschütterten sie, und auch in meinen Augen brannten Tränen und liefen mir heiß über die Wangen. Hinter mir hörte ich Felicia ebenfalls weinen, während sie die Arme um Izzy und mich schlang. Aufreißer fluchte, dann schniefte er, fiel auf die Knie und vergrub den Kopf in seinen Händen.
Nein, das konnte nicht sein. Es musste etwas anderes sein – irgendetwas anderes. Sie war doch erst drei!
Die Wochen vergingen und ließen die Hoffnung, die ich mir zu bewahren versuchte, zu einem Nichts zusammenschmelzen. Antonia war krank. Richtig, tatsächlich, schrecklich krank. Izzy war verrückt vor Angst, sie zu verlieren. Verdammt. Ich war verrückt vor Angst, sie zu verlieren. Sie gehörte erst seit drei Jahren zu unserem Leben, aber sie hatte mich verändert, mich berührt. Jetzt konnte ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Ich wollte es mir gar nicht vorstellen.
Seltsamerweise kam Antonia von uns allen am besten mit der Situation zurecht. Klar, sie war zu jung, um die Lage vollends zu verstehen. Alles, was sie wusste, war, dass die Schwestern im Kinderkrankenhaus von San Diego nett waren und sie mit Liebe und Spielzeug überhäuften – mit allem, was ihr den Aufenthalt dort erträglicher machte. Wann immer sie Angst hatte – normalerweise, wenn Nadeln im Spiel waren –, beruhigten sie sie mit Humor und freundlichen Worten. Sie waren wunderbar. Ich wünschte, sie würden auch mich mit ihren albernen Geschichten trösten und beruhigen, das hätte ich gut brauchen können.
Nach der Diagnose sah Izzy Aufreißer nicht oft. Er verschwand und vertrieb sich die Zeit mit Glücksspiel, Frauen und Alkohol – was immer ihm half, den Schmerz zu betäuben. Ich betäubte meinen mit Felicia. Meinen Heiratsantrag hatte ich verschoben – jetzt war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt –, doch ich verbrachte jede freie Minute mit ihr, für gewöhnlich im Bett. Sex eignete sich gut als Ablenkung und abgesehen von gelegentlichen Straßenrennen für Aufreißer war es alles, womit ich mich beschäftigte.
Atemlos und ermattet rollte ich mich von Felicia und starrte zu der rissigen Decke unserer Wohnung hinauf. Noch strömten Endorphine durch meinen Körper, und für einen Augenblick schien die Welt in Ordnung zu sein.
Neben mir ließ Felicia ein zufriedenes Stöhnen ertönen. »Gott, Hayden, das war einfach … Gott …«
Ich wusste genau, was sie meinte. Vielleicht lag es an den intensiven Gefühlen, die uns alle umtrieben. Jedenfalls war der Sex zwischen uns in letzter Zeit unfassbar scharf, leidenschaftlich und überwältigend – wir waren zwei lodernde Fackeln, die das Bett niederbrannten. Vermutlich würden sich die Dinge wieder beruhigen, aber momentan genoss ich diese lustvolle Phase.
Doch schon während ich das dachte, breitete sich eine bedrückende Stimmung im Zimmer aus. Ich wusste, dass Felicia es auch spürte. Wenn die Leidenschaft verebbte, wenn unser Atem sich normalisierte, erfasste ein beklemmendes Gefühl mein Herz. Die Welt war nicht in Ordnung. Sie war alles andere als das.
»Willst du noch mitkommen? Antonia ist endlich wieder zu Hause. Ich will sehen, wie es ihr geht und Iz mal in den Arm nehmen. Das kann sie sicher brauchen.«
Ich dachte, Felicia würde sofort Ja sagen, doch sie zögerte. Als ich zu ihr hinüberblickte, nagte sie an ihrer Lippe, hörte jedoch sofort auf, als sie bemerkte, dass ich sie beobachtete. »Ja, wann wolltest du denn fahren?«
Ich schlug die Decke zurück und erwiderte: »Jetzt.«
Sie zitterte, als die kühle Luft sie umfing, eine Gänsehaut überlief ihre Haut, und ihre Nippel versteiften sich. Einen Moment zögerte ich zu gehen. Was schadete es, wenn wir noch eine Runde einlegten? Wenn wir das Unausweichliche noch ein bisschen hinauszögerten …
Doch mir war klar, dass ein Verschieben die Lage auch nicht verbesserte, also schlug ich mir die vage sinnliche Idee aus dem Kopf und stand auf. Ich zog mich eilig an, doch Felicia blieb im Bett liegen, nackt und ungeschützt, und starrte an die Decke, als wäre sie tief in Gedanken versunken. Als ich ihr Gesicht betrachtete, verstärkte sich der Knoten in meinem Magen. »Hey, ist alles in Ordnung bei dir?«
Sofort setzte sie ein Lächeln auf, und ihr Blick sprang zu mir. »Natürlich. Ich bin nur träge.« Sie strich sich lasziv über den Körper, doch mir war klar, dass es nicht nur Trägheit war, die sie zurückhielt. Wie ich wollte sie der Realität noch ein wenig länger ausweichen. Es wäre so leicht einzuknicken und zu bleiben … doch Izzy und Antonia brauchten mich. Es war Zeit, erwachsen zu werden, für uns beide.
Ich ließ mich nicht von dem zarten, sinnlichen Lächeln auf Felicias Gesicht umgarnen, griff ihre Hand und zog sie hoch. »Komm schon, Faulpelz, wir haben Verpflichtungen.«
Sie seufzte, stand jedoch auf.
Auf dem Weg zu unseren Motorrädern lag eine Schwere in der Luft, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte … mehr als nur Antonia. Als wir die Helme aufsetzten, fragte ich noch einmal: »Ist wirklich alles in Ordnung?«
Wieder lächelte sie und nickte. »Ja, alles okay.«
Ich wollte ihr glauben, aber in ihren Augen lag ein gehetzter Ausdruck. Felicia mochte es nicht, wenn man sie bedrängte – ich im Übrigen auch nicht –, darum beließ ich es dabei und stieg auf mein Motorrad. Sie würde es mir schon erzählen, wenn sie so weit war. Ich hoffte nur, dass sie nicht vorher ausrastete. Felicia hatte die Angewohnheit davonzulaufen, wenn es schwierig wurde. Dann verschwand sie, ohne jemandem ein Wort zu sagen. Ganz plötzlich löste sie sich in nichts auf. Ihre Pflegeeltern hatten durchgedreht, als sie bemerkt hatten, dass sie fort war. Sie riefen die Polizei, und weil ich ihr Freund war, lud man mich zum Verhör. Izzy und Aufreißer wurden ebenfalls befragt – jeder »bekannte Kontakt« von Felicia, den sie finden konnten, doch das führte nie zu etwas. Felicia beherrschte es perfekt, sich in einen Geist zu verwandeln. Doch dann, ein paar Tage später, kehrte sie zurück und tat, als sei alles in Ordnung, als sei nichts geschehen. Als hätte sie nicht jedem in ihrer Umgebung einen Heidenschreck eingejagt. Das führte im Allgemeinen zu einem hässlichen Streit zwischen uns. Und zu ziemlich spektakulärem Versöhnungssex.
Es war ein wunderschöner früher Abend in San Diego, die perfekte Nacht für einen Motorradtrip, doch ich genoss keine Minute, während Felicia und ich das Stadtzentrum in nördlicher Richtung verließen, um zu Izzy zu fahren. Alles war in letzter Zeit so aufwühlend gewesen. Auf eine ziemlich üble Art. Felicias achtzehnter Geburtstag lag genau eine Woche zurück und normalerweise hätten wir alle diesen bedeutsamen Moment, ihre Befreiung von der staatlichen Pflege, ausgelassen gefeiert – doch wir waren noch nicht einmal ausgegangen. Izzy hatte bei Antonia bleiben wollen, und Aufreißer war gar nicht in der Stadt, weil er mit Grunz zu einem Boxkampf gefahren war, auf den er wetten wollte.
Mir war nicht danach zumute gewesen, etwas zu unternehmen, doch Felicia zuliebe hätte ich es getan. Alles, was sie wollte, war jedoch ausgiebiger Sex, und obwohl ich ihr diesen Wunsch mehr als bereitwillig erfüllte, beschlich mich das Gefühl, dass wir eine Gelegenheit verpasst hatten. Eine kleine Chance für uns alle, um vorübergehend zu verdrängen, was los war, und ein Lebensereignis zu feiern. Es hätte uns allen gutgetan, uns Energie und neuen Auftrieb gegeben, doch stattdessen unternahmen wir nichts und ignorierten das Problem, das uns quälte. Und jetzt schien es allmählich unausweichlich zu sein.
Als ich die Tür zu Izzys Wohnung öffnete, fühlte sich die Atmosphäre ebenso düster an wie bei uns zu Hause. Vielleicht lag das an mir. Vielleicht trug ich die Melancholie in mir und veränderte die Atmosphäre, wo immer ich war. Als ich Izzy umarmte, hätte ich alles darum gegeben, die Stimmung aufheitern zu können. Doch Scherze würden nicht helfen, gut gemeinte Neckereien ebenso wenig. Nichts half. Es war, wie es war, und das war verdammt bedrückend.
Felicia schien in sich zusammenzusinken, als sie die Hoffnungslosigkeit wahrnahm. Sie umarmte Izzy nach mir, doch sie hatte eindeutig eine Schutzmauer um sich errichtet, sie war nicht mit dem ganzen Herzen dabei. Es machte mir Sorgen, dass Felicia sich zurückzog, doch wenn ich sie noch einmal fragte, was los war, würde sie nur wieder »nichts« sagen. Felicia war immer groß, auch wenn sie nicht groß war.
»Wo ist Antonia?«, fragte ich, als Izzy und Felicia sich voneinander lösten. Izzy war immer zierlich gewesen, doch jetzt wirkte sie geradezu zerbrechlich. Ich sollte öfter vorbeikommen und dafür sorgen, dass sie genug aß. Es war egoistisch von mir, mich meinen Sexgelüsten hinzugeben.
Izzy lächelte mir schwach zu. »Sie liegt im Bett. Ihre Werte waren gut, darum haben sie uns entlassen, aber jetzt ist ihr schlecht. Der Arzt sagte, dass das ab und an vorkommt … eine Nebenwirkung der Chemo. Ich muss nur auf das Fieber achten. Sie hätte auch noch ein paar Tage dortbleiben können … vielleicht wäre das besser gewesen. Ich weiß es nicht. Sie war doch schon so lange dort, ich dachte, sie will nach Hause, aber vielleicht war das falsch. Mist, ich weiß nicht, was ich tun soll, Hayden. Was zum Teufel soll ich nur tun? Wie um alles in der Welt soll ich das alles bezahlen? Ich kann nicht arbeiten, ich kann sie doch nicht allein lassen … Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß es einfach nicht …«
Ich sah, wie Izzy mit sich rang, wie die Gefühle sie überwältigten. Sie konnte das nicht allein schaffen, und das musste sie auch nicht. Sie hatte mich. Ich zog sie in meine Arme und beruhigte sie, so gut ich konnte. »Hey, hey, hey, du machst das toll, Izzy. Niemand weiß, wie man mit so einer Scheißsituation umgeht. Und mach dir keine Sorgen wegen des Geldes. Darum kümmere ich mich. Ich rufe Aufreißer an, er soll mich für jedes Rennen anmelden, und du bekommst all meine Siegprämien. Ich stehe hinter dir, Iz, ich bin für dich da.«
Sie schluchzte an meiner Schulter, dankte mir und wünschte sich zugleich, dass es eine andere Lösung gebe. Die Straßenrennen beunruhigten sie. Doch für mich war das ein Leichtes. Sie brauchte Geld, viel Geld, und Rennen zu fahren war für mich ein einfacher Weg, ihr welches zu besorgen. Während ich Izzy im Arm hielt, blickte ich zu Felicia. Wenn sie mit mir fuhr, konnten wir doppelt so viel Geld für Antonia verdienen. Auf Felicias Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck, den ich nicht zu deuten wusste – eine Mischung aus Schock, Angst, Stolz und noch etwas anderem, das ich nicht benennen konnte.
Nachdem Izzy sich wieder gefasst hatte, gingen wir zu dritt zu Antonia. Sie sah winzig aus in ihrem Bett, wie eine Puppe, gar nicht wie ein Mensch. Die Chemo hatte ihr bereits stark zugesetzt, und der Großteil ihres dichten dunklen Haars war ausgefallen. Sie röchelte leise im Schlaf und war bleich im Gesicht. Sie wirkte erschöpft, als wäre sie nur noch halb am Leben. Mit einer Hand hielt sie eine Spuckschale, mit der anderen umklammerte sie ihre American-Girl-Puppe. Izzy sagte, sie ließe sie nie aus den Augen. Gott, wenn es half, würde ich ihr Tausende von diesen blöden Puppen kaufen. Eine Million, wenn es nötig wäre.
Während ich neben dem Bett stand, einen Arm um Izzy gelegt, und Antonia beim Schlafen zusah, hörte ich, dass Felicia schwer atmete. Als ich mich zu ihr umdrehte, blickte sie zu Antonia hinunter und in ihren dunklen Augen standen Tränen. Mit zittrigen Fingern fasste sie sich an den Mund und murmelte: »Sie ist so … sie sieht so …«
Ich ließ Izzy los und ging zu Felicia. »Hey, ist schon okay. Das wird wieder, Süße.«
Sie wischte sich die Augen und sah Izzy an, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich. Sie zwang sich zu lächeln und erwiderte: »Ich weiß.«
Ich wollte wissen, was in ihrem Kopf vorging, da mir jedoch klar war, dass Izzy die Antwort besser nicht hören sollte, fragte ich nicht. Ich zog Felicia nur schweigend in meine Arme. Izzy beobachtete uns mit einem schwachen Lächeln, dann hörten wir, dass sich Antonia regte. Sie stöhnte im Schlaf, kurz bevor grüne Galle zwischen ihren Lippen hervorrann. Izzy stürzte zu ihr und half ihr, den Kopf zur Schale zu drehen. Sie würgte ein paarmal, dann beruhigte sie sich wieder. Sie wachte nicht einmal auf.
Izzy nahm die Schale mit ins Bad, um sie auszuwaschen. Als sie zurückkehrte, sah sie verängstigt und müde aus. »Hayden, ich frage das nur äußerst ungern, aber … könntest du heute Nacht hierbleiben? Ich könnte … ich kann hier etwas Hilfe brauchen.«
»Klar«, erwiderte ich sofort, dann wandte ich mich an Felicia. »Ist das … okay?«
Sie nickte und wirkte beherrscht, aber ihre Augen glänzten noch. »Ja, natürlich. Wir … wir sehen uns dann morgen früh.«
Ich nickte, dann beugte ich mich zu ihr und gab ihr einen Kuss. Zu meiner Überraschung fasste sie mein Gesicht und verlängerte den Moment. Die Berührung hatte fast etwas Irres, etwas Verzweifeltes, und anstatt mich zu erregen, machte mir das eine Heidenangst. Ich rückte von ihr ab und fasste ihre Arme. »Es wird alles gut. Wir stehen das zusammen durch.« Sie nickte, sah jedoch bedrückt aus. Ich küsste sie auf die Wange und hoffte, dass diese liebevolle Geste sie ein wenig aufmunterte. Sie lächelte, doch ich war mir nicht sicher, ob es wirklich funktioniert hatte.
Felicia blieb noch eine halbe Stunde bei uns, dann gab sie mir einen Gutenachtkuss und fuhr nach Hause. Ich machte für Izzy und mich etwas zu essen und sorgte dafür, dass sie es aß. Anschließend schickte ich sie ins Bett. »Ich passe heute Nacht auf Antonia auf. Du musst dich ausruhen.«
Izzy protestierte eine ganze Weile, doch schließlich setzte ich mich durch – und die Erschöpfung –, und sie ging ins Bett. Ich tat, was ich ihr versprochen hatte, und passte die ganze Nacht auf Antonia auf. Auf einem Stuhl neben ihrem Bett wachte ich über ihren Schlaf, leerte gelegentlich die Spuckschale und betete, dass alles tatsächlich wieder gut werden würde.
Antonia schlief noch, als Izzy am nächsten Morgen aufwachte. Sie kam ins Zimmer ihrer Tochter, wo ich versuchte, nicht auf dem harten Stuhl einzuschlafen, auf dem mein Hintern die ganzen letzten Stunden verbracht hatte. »Du hast gar nicht geschlafen, stimmt’s?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf und erklärte: »Ich habe dir doch gesagt, dass ich die ganze Nacht auf sie aufpasse. Ich halte mein Wort.« Und wenn es um Antonia ging, würde ich mein Wort immer halten. Wenn ich nichts an ihrem Zustand ändern konnte, dann wollte ich mich zumindest um alles andere kümmern.
Auf Izzys Gesicht erschien ein aufrichtiges, herzliches Lächeln. »Ja, das stimmt. Jetzt solltest du aber nach Hause fahren … ein bisschen schlafen.«
Nachdenklich ließ ich meinen Blick auf Antonias stiller Gestalt ruhen. Sie hatte sich länger nicht mehr übergeben, was ich als gutes Zeichen deutete. Dennoch hätte ich gern gesehen, wie sie die Augen aufschlug, wie sie mich anlächelte. »Ich würde gern bleiben, bis sie aufwacht.«
Izzy legte mir eine Hand auf die Schulter und schaute mit dem besorgten Blick einer Mutter zu mir herunter. »Mir geht es jetzt gut, Hayden. Ich komme zurecht. Für heute. Aber mit Felicia … stimmt etwas nicht. Das spüre ich. Ich habe das Gefühl, dass sie wieder wegläuft. Fahr zu deiner Freundin, bring sie dazu, mit dir zu reden. Und dann schlaf ein bisschen.«
Ich wusste, dass Izzy recht hatte, dennoch wollte ein Teil von mir nicht gehen. Manchmal brauchte auch ich etwas, das mich beruhigte, und Antonia wach und glücklich zu sehen würde mich beruhigen. Aber Izzy hatte recht. Irgendetwas trieb Felicia um. Sie brauchte mich auch, ich musste mich um sie kümmern. »Ja, in Ordnung. Ich lasse euch eine Weile allein und schlafe eine Runde. Wenn ich zurückkommen soll – wenn du mich irgendwie brauchst –, schick mir einfach eine Nachricht, Iz. Wie gesagt, ich bin für dich da.«
»Ich weiß«, erwiderte sie lächelnd, dann gab sie mir einen Kuss auf die Wange.
Auf dem Heimweg machte ich mir Sorgen. Um Izzy, um Antonia. Und um Felicia. Wie konnte alles dermaßen schnell auseinanderbrechen? Aber nein … es war nicht auseinandergebrochen, es hatte nur Risse bekommen. Und Risse konnte ich flicken.
Die ganze Fahrt über kämpfte ich dagegen an, dass mir die Augen zufielen, und als ich in der Einfahrt parkte, rang ich mit mir, ob ich lieber zuerst ins Bett gehen und später mit Felicia sprechen sollte. Nein, das war keine gute Idee. Sie war das Wichtigste für mich, und so sollte ich sie auch behandeln. Erst würde ich mit ihr reden, dann ins Bett gehen. Als ich den Türknauf drehte, kam mir ein anderer Gedanke, ein fröhlicherer. Ich hatte auf einen guten Zeitpunkt gewartet, um Felicia um ihre Hand zu bitten, doch der perfekte Moment war bislang nicht gekommen. Allmählich glaubte ich, dass er nie kommen würde. Was, wenn ich stattdessen den falschen Moment wählte? Was, wenn jetzt – wo wir alle vollkommen niedergeschlagen waren – der beste Moment für alle war? Felicia hätte etwas, worauf sie sich freuen konnte, Izzy würde es aufheitern, und Antonia vielleicht auch. Welches kleine Mädchen stand nicht auf Hochzeiten?
Mein Entschluss stand fest. Wenn ich Felicia sah, würde ich als Erstes auf ein Knie niedersinken. Allerdings sollte ich ihr dabei den Ring geben. Ich würde mich erst ins Schlafzimmer schleichen, ihn aus der Unterwäscheschublade holen und dann niederknien. Es wäre vollendet unvollkommen.
Mit diesem Plan betrat ich leise das Haus. Sie konnte natürlich im Schlafzimmer sein, was die Dinge etwas verkomplizieren würde, aber ich war mir sicher, dass ich das hinkriegte. Ich war geschickt und schnell.
Leise schloss ich die Tür und begab mich in Richtung Schlafzimmer. Irgendwie fühlte sich die Wohnung anders an, ohne dass ich sagen konnte, woran das lag. Die Luft kam mir abgestanden vor. Als ich das Schlafzimmer erreichte, steckte ich den Kopf durch die Tür und stellte fest, dass Felicia nicht dort war. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Kommode und blieb stehen, als mir etwas Merkwürdiges auffiel: Die zwei obersten Schubladen auf Felicias Seite der Kommode waren ein Stück herausgezogen, die unterste stand ganz offen und war leer.
Ich richtete mich auf und vergaß augenblicklich den Vorsatz, leise zu sein. Ich ging zur Kommode und riss die offenen Schubladen heraus. Felicias waren allesamt leer. Was zum Teufel? Ich sah auf meiner Seite nach, doch es war noch alles da, einschließlich Felicias Verlobungsring.
Ich überprüfte den Schrank neben der Kommode, dort bot sich mir derselbe Anblick: Felicias Sachen waren weg, doch mein Kram war nicht angerührt worden. Eine eisige Kälte schloss sich um meine Brust und raubte mir den Atem. War sie etwa wieder weggelaufen? Das war schon seit einer ganzen Zeit nicht mehr vorgekommen. Ich war mir sicher, dass sie ihre Getriebenheit überwunden hatte. Ich eilte ins Bad, aber dort sah es genauso aus – nichts mehr von ihr. Verdammt. Wie konnte sie uns jetzt im Stich lassen?
Vielleicht war sie noch nicht weg. Vielleicht konnte ich es noch in Ordnung bringen. »Felicia? Süße? Bist du da?«
In meiner Stimme lag ein Anflug von Panik, was ich schrecklich fand, aber ich konnte nichts dagegen tun. Felicia hatte noch nie alle ihre Sachen mitgenommen. Sie war immer nur mit dem geflohen, was sie zu dem Zeitpunkt gerade bei sich gehabt hatte. Alles daran fühlte sich falsch an. Es wirkte durchdacht. Als wäre es … für immer. Mist, diesmal war Felicia nicht nur ein paar Tage davongelaufen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Diesmal war sie … für immer fort.
Nein. Das würde sie mir nicht antun. Wir waren seit unserem zehnten Lebensjahr beste Freunde. Hier ging etwas anderes vor. Es musste eine andere Erklärung geben …
Erneut lief ich ins Schlafzimmer. Das Bett war unberührt. Hier gab es keinen Hinweis. Ich rannte weiter und suchte überall nach ihr. Doch die Wohnung war klein, es gab nicht viele Möglichkeiten, wo sie sein konnte. Auf dem Tisch lag ein Zettel. Aus irgendeinem Grund beschleunigte sich mein Herzschlag allein bei seinem Anblick. Felicia hatte nie eine Nachricht hinterlassen, wenn sie weggelaufen war. Niemals.
Ich musste meine Beine zwingen, sich bis zum Tisch zu bewegen, musste meinen Blick auf das Papier zwingen und mich mit aller Macht auf die Worte konzentrieren, die dort in allzu vertrauter Schrift geschrieben standen. Mein Herz hämmerte, als ich nah genug war, um sie zu lesen, doch selbst dann weigerten sich meine sturen Augen, einen Sinn in den Buchstaben zu erkennen. Ich musste sie schließen und tief durchatmen.
Als ich sie wieder öffnete, wünschte ich bei Gott, ich hätte es nicht getan. In großen Buchstaben, die von getrockneten Tränen verschmiert waren, standen dort zwei Sätze, die alles zunichtemachten.
Es tut mir leid. Ich kann das nicht.
Hayden Heute
Shit. Warum konnte nicht einmal in meinem Leben etwas nur gut sein – einfach, unkompliziert und konfliktfrei? Warum musste alles immer kompliziert sein? Felicia. Vier Jahre hatte ich sie nicht mehr gesehen. Nicht mehr, seit sie mich, seit sie uns alle verlassen hatte. Und jetzt, wo alles in meinem Leben gerade so war, wie es besser nicht hätte sein können, tauchte sie wieder auf, um alles zu verkomplizieren. Ich war am Arsch. Auf königliche Weise. Irgendjemand da oben musste mich ernsthaft hassen.
Seit Jahren hatte ich noch nicht einmal mehr an Felicia gedacht, nicht seit Kenzie in mein Leben gerauscht war. Als ich Kenzie zum ersten Mal sah, hatte ich im allerersten Moment gedacht, sie sei Felicia. Ich merkte zwar schnell, dass sie es nicht war, doch die ersten Begegnungen mit ihr waren überaus verwirrend gewesen. Ich wollte ihr näherkommen und sie zugleich fortstoßen. Kenzies schnippische Art mir gegenüber hatte mir ein wenig geholfen, die zwei Frauen als zwei eigenständige Persönlichkeiten zu sehen. Und sie waren ganz eindeutig zwei unterschiedliche Menschen – zwei sehr unterschiedliche Menschen. Vor allem hatte Kenzie mich nicht sitzen gelassen, als es schwierig wurde. Sie hatte sich für mich eingesetzt, für uns, und das rechnete ich ihr verdammt hoch an.
Doch das Wiedersehen mit Felicia gestern hatte ein paar Altlasten heraufbefördert, die ich meinte, gut in irgendeiner dunklen Ecke ganz hinten in meinem Kopf verstaut zu haben. Als ich Felicia entdeckte, wie sie in der gleichen Benneti-Montur wie ich an meiner Trainingsstrecke stand, war es, als hätte mir jemand eine Kugel in den Kopf gejagt. Unmittelbar, grell, schrecklich schmerzhaft. Es hatte sich angefühlt wie bei diesem Rennen in New Jersey, als würde ich mit hundert Meilen pro Stunde in einen Haufen Motorräder und Männer rasen. Ich konnte nicht atmen, konnte nichts sehen, und jedes Organ tat mir weh. Ich hatte mich wieder wie der Neunzehnjährige gefühlt, der sich nicht einmal traute, irgendeinen blöden Zettel von irgendeinem Tisch zu nehmen.
Der Damm, der meine Erinnerungen zurückgehalten hatte, war gebrochen, und eine erbarmungslose Flut aus Schmerz drohte, mich zu ertränken. Doch da Kenzie mich beobachtet hatte und ich nicht wollte, dass sie sah, welche Qualen ich litt, presste ich meine Gefühle zurück in ihren Käfig und schloss fest die Tür hinter ihnen. Anschließend war ich mit meiner Süßen davongelaufen. Und wenn es sein musste, würde ich weiter mit ihr fortlaufen, denn Kenzie war jetzt alles, was mir wichtig war. Sie zu halten, sie zufriedenzustellen, sie glücklich zu machen.
Denn wenn sie mich auch verließ … Wenn mir noch ein Stück meiner Seele herausgerissen wurde, könnte ich das nicht überleben. Unmöglich. Mist. Warum zum Teufel war Felicia zurückgekommen? Warum jetzt, nach all dieser Zeit, wo mit Kenzie endlich alles toll war? Wir zwei hatten jede Hürde überwunden, die uns trennte, und jetzt das. Was war ich für ein Idiot zu meinen, dass die Dinge in meinem Leben ab jetzt leichter sein würden. Gar nichts war leicht. Nicht für mich.
Ich hielt vor dem Tor zur Trainingsstrecke von Benneti Motorsport. Was mochte der heutige Tag wohl für mich bereithalten? Vielleicht würde es nicht mehr so wehtun, Felicia zu sehen, nachdem ich jetzt wusste, dass sie hier war. Sicher hatte mich nur der Schreck derart umgehauen. Das war alles.
Ich schob meine Schlüsselkarte in den Schlitz, gab den Code ein und wartete, dass das Tor aufging, um mein Bike durch die Lücke zu schieben. Es fühlte sich merkwürdig an, heute ohne Kenzie herzukommen, als würde ich irgendwie etwas Falsches tun. Wir hatten die »Willkommens«-Party für Felicia gestern frühzeitig verlassen und eine Tour an der Küste entlang gemacht. Mit Kenzie durch die Kurven zu jagen hatte mich beschwingt und mir Energie gegeben, doch es war nicht annähernd so faszinierend wie ein Rennen gegen sie zu fahren. Das fehlte mir. Sehr sogar. Doch Kenzie hatte kein Team mehr, und keiner von uns nahm mehr an Straßenrennen teil. Die Chancen, dass Kenzie und ich bald wieder gegeneinander antreten konnten, gingen somit gen null. Stattdessen mussten wir uns mit gemächlichen Touren zufriedengeben. Nun ja, ganz so gemächlich nun auch wieder nicht. Bisweilen hatten wir die Geschwindigkeitsbegrenzung um zehn bis zwanzig Meilen überschritten. Ganz konnten wir unseren Renngeist doch nicht zähmen.
Ich hatte die Nacht bei Kenzie verbracht und war heute Morgen von dort aufgebrochen. Als ich sie fragte, ob sie mich begleiten wollte, sagte sie, sie wolle noch ein paar Anrufe erledigen. Sie versuchte noch immer, ein Rennteam zu finden. Ihr Vater hatte sie quasi auf die schwarze Liste gesetzt, nachdem sein Team am Ende der Saison auseinandergebrochen war. Er hatte ihr ein Ultimatum gestellt – entweder sollte sie sich von mir trennen oder nie wieder ein Rennen fahren –, und wie durch ein Wunder hatte sie sich für mich entschieden. Das haute mich immer noch um. Und machte mir ein ziemlich schlechtes Gewissen. So gern ich Rennen fuhr, Kenzie bedeutete der Rennsport wohl noch mehr. Das Fahren lag ihr im Blut. Bevor er sein eigenes Team gründete, war Jordan Cox Meister im Rennsport gewesen. Kenzie war in dieser Welt aufgewachsen und wollte wahrscheinlich schon dazugehören, bevor sie überhaupt laufen konnte. Und ich war der Grund, dass sie das nun nicht mehr konnte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das wiedergutmachen sollte, oder ob das überhaupt möglich war.
Hoffentlich fand sie heute ein Team, das sich nicht von Jordan hatte überzeugen lassen, sie abzulehnen. Kenzie war eine faszinierende Fahrerin, sie verdiente es, einem Team anzugehören. Irgendjemand musste sich einfach über Jordans Quatsch hinwegsetzen und sie anheuern. Doch alle lokalen Teams hatten Nein gesagt. Wenn Kenzie ihren Traum weiterverfolgen wollte, musste sie sich also ein weit entferntes Team suchen. Doch darüber wollte ich noch nicht nachdenken.
Ich fuhr durch das innere Tor ins Herz des Komplexes. Dort blieb ich stehen und sah mich um. Im Mittelpunkt meines Blickfeldes befand sich die riesige Trainingsstrecke. Bewegliche Betonhindernisse gaben die Strecke vor, bildeten dramatische Kurven und beglückende Geraden. Um uns auf Trab zu halten, wurde der Verlauf regelmäßig geändert, und mich dieser Herausforderung zu stellen gehörte zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.
Rechts neben der Strecke lagen die verlassenen Gebäude von Cox Racing. Die Logos des Teams waren verschwunden, die Fenster dunkel, die Türen verschlossen. Das Auffälligste war ein Verkaufsschild, was meinen Boss, Keith Benneti, in Aufruhr versetzte. Er wollte den Anteil an der Strecke übernehmen, aber Jordan weigerte sich, ihn ihm zu verkaufen. Zu sagen, zwischen ihnen herrsche böses Blut, wäre noch untertrieben. Es war bedrückend, die ausgestorbenen Gebäude auf jener Seite des Parcours zu sehen, aber ich war der einzige Benneti, der so empfand. Das »böse Blut« zwischen den Besitzern hatte sich auf den Rest des Teams übertragen.
Ganz im Gegensatz zu der Ödnis auf der Cox-Racing-Seite herrschte auf der linken Seite rege Betriebsamkeit. Elektrowerkzeuge und Motoren heulten und in der Garage liefen Leute umher. Es war nur ein ganz normaler Arbeitstag bei Benneti, aber irgendwie fühlte er sich anders an.
Ich stieß einen widerwilligen Seufzer aus, schob mein Bike in Richtung Benneti-Garage und machte mich auf … nun ja, auf alles gefasst. Mit mulmigem Gefühl näherte ich mich dem Ort, der früher einmal mein Zuhause gewesen war. Okay, vielleicht war mein Zuhause eher die Strecke. Die anderen Typen im Team weigerten sich, mich als vollwertiges Mitglied anzuerkennen, und selbst jetzt schienen sie unterschwellig noch einige Vorbehalte gegen mich zu hegen.
Keith hatte mich vor etwas über einem Jahr auf der Straße entdeckt. Ich hatte keine Ahnung, woher er von den Straßenrennen wusste, und ihn nach jenem Abend nie wieder bei einem solchen Rennen gesehen, aber er war beeindruckt gewesen und hatte mir einen Platz in seinem Team angeboten. Unter einer Bedingung, versteht sich – ich musste die Straßenrennen aufgeben. Für immer. Nicht weil es ihn störte, dass ich etwas Illegales tat, sondern weil er nicht einen Haufen Zeit und Geld in mich investieren wollte, nur um zu sehen, wie ich von dem Sport ausgeschlossen wurde. Wenn Keith gewusst hätte, dass ich die Straßenrennen in der letzten Saison noch nicht ganz aufgegeben hatte, wäre er ausgerastet.
Doch er hatte es nicht herausgefunden und mir alles gegeben, was ich mir nur wünschen konnte – ein Dach über dem Kopf, ein Motorrad, mit dem ich in der Stadt herumfahren konnte, ein anderes, um Rennen zu fahren, und sogar Geld. Es fiel mir schwer, mich einem Menschen derart verpflichtet zu fühlen – meine Kindheit hatte mich gelehrt, dass das ganz und gar nicht gut war. Es half mir, mich daran zu erinnern, dass Keith im Grunde nur an seinem eigenen Vorteil interessiert war. Er wollte einen Titel erringen, und er glaubte, dass ich ihm diesen beschaffen konnte.
Meine Teamkollegen waren ziemlich sauer, dass Keith mir so viel Aufmerksamkeit schenkte, und nutzten jede Gelegenheit, mich zu schlagen. Ich konnte die Beulen förmlich noch spüren, die sie mir zugefügt hatte. Hinzu kam, dass sie mich verdächtigt hatten, ich würde die Maschinen manipulieren, um zu gewinnen. Das verdankte ich Aufreißer, der tatsächlich an den Bikes herumgefummelt hatte. Dieser Idiot. Diesmal war er deutlich zu weit gegangen. Ihn ganz aus meinem Leben zu verbannen war die beste Entscheidung meines Lebens. Abgesehen von dem Entschluss, mit Kenzie zusammen zu sein, natürlich. Der Unfall, in den ich letzte Saison verwickelt war, hatte die Lage mit meinen Teamkollegen allerdings entspannt – wäre ich der Saboteur gewesen, hätte ich mich wohl kaum selbst verletzt –, sodass sie sich jetzt einigermaßen zivilisiert verhielten.
Als ich vor der Garage hielt, winkten Rodney und Maxwell mir zur Begrüßung zu. »Hallo, Hayes«, sagte Rodney. »Hast du schon das neue Mädel gesehen? Ziemlich scharf, echt heiße Braut. Ich weiß nicht so genau, wie ich mich auf das Rennen konzentrieren soll, wenn die hinter mir fährt.«
Zwei gänzlich widersprüchliche Emotionen erwachten in mir. Angst schnürte mir derart fest den Magen zu, dass ich sicher war, dort morgen blaue Flecken zu haben, zugleich durchfuhr mich ein heißer Schwall Wut. Da mir keins der Gefühle im Umgang mit diesem Idioten half, zwang ich mich, mit einem Scherz zu reagieren. »Wie kommst du darauf, dass sie hinter dir fährt?«
Maxwell schnaubte und hielt mir die Faust hin. Widerstrebend stieß ich mit meiner dagegen, obwohl ich sie Rodney am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Warum hatte ich das Bedürfnis, sie zu schützen? Felicia hatte mich nie als ihren Bodyguard gebraucht, sie konnte auf sich selbst aufpassen. Und außerdem schuldete ich ihr nichts – sie hatte mich sitzen gelassen.
Ich wandte mich von den Jungs und meinen dunklen Gedanken ab und ging in die Garage. Während ich gelassen lächelte, wiederholte ich wie ein Mantra unablässig in meinem Kopf: Lass sie nicht da sein, lass sie nicht da sein. Ich wollte sie einfach nicht sehen. Weder jetzt noch jemals.
Rasch sah ich mich in der Werkstatt um und stellte fest, dass die Luft rein war. Nikki war auch noch nicht da, aber das war nicht weiter überraschend, sie kam oft zu spät. Doch sie war einer der besten Mechaniker, denen ich jemals begegnet war. Früher hatte sie für Kenzie gearbeitet, und ich hatte ein leicht schlechtes Gewissen, sie ihr weggenommen zu haben, doch Nikki brauchte einen Job und wollte die Strecke hier nicht verlassen. Keith hatte sie den anderen nur allzu gern weggeschnappt. Vermutlich erwartete er, ihr Wissen von der Cox-Seite würde ihm wundersame neue Einblicke gewähren. Bislang gab es allerdings keine großartigen neuen Entdeckungen, doch Nikki war ein Genie im Umgang mit den Maschinen, und ich war froh, dass sie mir half.
Solange ich auf sie wartete, schlenderte ich nach oben in den Fitnessraum. Es war mir lieber, dass Nikki mein Bike inspizierte, bevor ich damit rausfuhr. Auf dem Weg zum Fitnessraum kam ich an Keith’ Büro vorbei, das ebenfalls im ersten Stock lag. Seine Tür stand offen, und als ich vorbeiging, rief er nach mir. »Hayden!«
Ich hielt an und drehte mich zu seinem Zimmer um. »Ja?«
Als ich in den Raum blickte, wurde mir mulmig. Keith saß hinter seinem massiven Eichenschreibtisch, der wahrscheinlich an die tausend Pfund wog. Er hatte ziemlich beeindruckende Koteletten, und obwohl er sich drinnen aufhielt, trug er eine Pilotensonnenbrille, sein Markenzeichen. Er spielte mit einem Stift und schenkte mir ein überaus fröhliches Lächeln. Die Quelle seiner guten Laune und meines Unwohlseins rekelte sich auf dem Sofa, das im rechten Winkel zum Schreibtisch stand – Felicia. Während ich sie anstarrte, blieb mir die Luft weg. Sie sah noch genauso aus wie das achtzehnjährige Mädchen, das ich in Erinnerung hatte – das achtzehnjährige Mädchen, das mir davongelaufen war und mir zur Erklärung lediglich vier Worte zurückgelassen hatte. Ich kann das nicht. Ihr dichtes Haar fiel ihr in dunklen Locken über die Schultern. Wie ein Raubvogel beobachtete sie mich aus ihren kühlen dunklen Augen. Ich wusste nicht, was sie von mir erwartete. Was sie von mir bekam, allerdings schon: nämlich nichts.
»Schön, dass du da bist«, sagte Keith und zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ich hatte noch immer nicht geatmet, sodass ich nicht antworten konnte. In mein Schweigen hinein bemerkte er: »Du bist gestern so früh verschwunden, dass ich gar keine Gelegenheit hatte, dir unsere neue Fahrerin vorzustellen. Felicia Tucker.«
Ihren Namen zu hören fühlte sich an, als hätte mir jemand ein glühendes Schüreisen ins Auge gerammt. Verflixt noch mal, was machte sie hier? Sie stand vom Sofa auf und kam mit ihrem schwingenden Gang, den ich so gut kannte, auf mich zu. »Wir kennen uns«, sagte sie über ihre Schulter zu Keith. Und an mich gewandt fügte sie hinzu: »Schön, dich zu sehen, Hayden. Es ist lange her.« Über ihr Gesicht huschte ein leidvoller Ausdruck, und in ihren Augen lag unübersehbar Schmerz. War das Bedauern? Ich wollte nicht bleiben, um es herauszufinden.
Ich tat den dringend nötigen Atemzug und konzentrierte mich auf Keith. »Wenn du mich brauchst, ich bin im Fitnessraum.« Anschließend machte ich sofort kehrt und verließ den Raum. Die Wut trieb mich an, dennoch war ich nicht schnell genug. Ich hörte, dass mir jemand hinterherlief … dass sie mir folgte.
»Hayden! Warte!« Ich blieb nicht stehen. Vielmehr beschleunigte ich meine Schritte. Ich will nichts von dir hören.
Sie streckte die Hand aus, griff meinen Arm und hielt mich auf. »Warte!« Außer mir vor Wut fuhr ich zu ihr herum. Diesen tiefen Augen und vollen Lippen so nah zu sein erfüllte mich mit gemischten Gefühlen. Warum bist du weggegangen? Verdammt, es war mir egal.
Ich entriss ihr meinen Arm. »Fass mich nicht an«, stieß ich hervor. »Fass mich ja nicht mehr an.«
Als sie die Hand sinken ließ, zitterte sie. »Du hast recht, es tut mir leid.«
Ihre Stimme klang noch genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte, weich und süß wie Honig. Was mich nur noch wütender machte. »Ich weiß nicht, warum du hier bist, aber eins will ich gleich klarstellen: Ich will nichts mit dir zu tun haben.«
»Hayden …« Sie kam einen Schritt auf mich zu, und ich wich automatisch einen zurück.
»Ich meine es ernst, Felicia. Als du weggegangen bist, hast du eine Tür geschlossen.« Sie geschlossen, mit Benzin übergossen, ein Streichholz angezündet und sie abgefackelt. »Sie lässt sich nicht mehr öffnen«, erklärte ich.
Ein Schleier legte sich über ihre dunklen Augen. »Ich weiß, und ich weiß, dass ich es versaut habe. Ich möchte nur eine Chance, es dir zu erklären, das ist alles.«
Ich hob abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf. »Dafür gibt es keinen Grund. Es gibt keinen Grund, mir irgendetwas zu erklären. Also lass es. Sprich mich nicht an, komm nicht in meine Nähe, sieh mich nicht einmal an. Wir zwei sind fertig.«
Ich schickte mich an zu gehen, doch sie weigerte sich stur, meine simplen Anweisungen zu befolgen. Stattdessen fasste sie meine Hand, und verdammt, bei ihrer zärtlichen Berührung kamen mir sofort Erinnerungen daran, wie ich sie im Arm gehalten hatte. »Ich weiß, dass du wütend bist, aber bitte hör mir zu. Es gab einen Grund, weshalb ich …«
Ich riss ihre Hand von mir los, schleuderte sie förmlich fort, genau wie sie mich damals fortgeschleudert hatte. Mit einem kühlen Lächeln erklärte ich ihr ruhig: »Ich bin nicht wütend, Felicia. Ich kann das einfach nicht.«
Meine Worte trieften vor Verachtung, als ich ihre Abschiedsworte wiederholte, und sie machte ein niedergeschlagenes Gesicht. Nun liefen die Tränen, die sich in ihren Augen gesammelt hatten, über ihre Wangen, und da ich ihren Schmerz nicht sehen wollte, drängte ich mich wütend an ihr vorbei.
Ich hatte gedacht, ich würde mich besser fühlen, nachdem ich ihr diese Worte an den Kopf geworfen hatte, doch das war nicht der Fall. Ich fühlte mich leer. Vielleicht wollte ich heute überhaupt nicht trainieren. Vielleicht sollte ich einfach nach Hause fahren. Aber wenn ich das tat, würde Nikki es Kenzie erzählen, und dann würde sie sich wundern und sich Sorgen machen. Kenzie sollte deshalb nicht beunruhigt sein. Sie hatte genug eigene Probleme mit ihrer Familie, die nichts von ihr wissen wollte, und weil sie keinen Job hatte. Und außerdem gab es ohnehin überhaupt keinen Grund, weshalb sie sich Sorgen zu machen brauchte. Wie ich es Felicia erklärt hatte … wir waren fertig miteinander.
Wie geplant ging ich in den Fitnessraum und reagierte meine Aggressionen an dem Sandsack in der Ecke ab. Eine Stunde später, als ich wieder nach unten ging, setzte ich für Nikki ein lässiges Lächeln auf, als sei alles in Ordnung. Wenn Kenzie sie nach heute fragte, würde Nikki ihr erzählen, dass ich bester Dinge gewesen war. Und das stimmte. Mir ging es absolut, vollkommen und total gut.
Für den Rest des Tages gelang es mir, in einer wahnhaften Blase zu leben, in der Felicia nicht existierte. Wenn sie in meine Nähe kam, sah ich sie ganz bewusst nicht an. Wenn sie etwas sagte, hörte ich ganz bewusst nicht hin. Sobald sie erschien, war es, als würde sich ein schwarzes Loch auftun, das jeden um sie herum mit hineinzog, bis sie wieder ging. Vielleicht war es nicht die beste Methode, mit der Situation umzugehen, aber für mich funktionierte sie. Sie zu meiden half mir sogar beim Training – wenn ich über die Straße flog, war es leicht, ihr zu entkommen. Ich fuhr die besten Zeiten seit meinem Unfall. Was ich Kenzie gegenüber wahrscheinlich lieber nicht erwähnen sollte. Vermutlich würde es sie nicht erfreuen zu hören, dass ich ohne sie gut fuhr.
Als ich das Gelände verließ, war ich erschöpft. Erschöpft, aber voller Hoffnung. Ich hatte einen Weg gefunden, mit meiner neuen Realität zurechtzukommen. Ich hatte einen Plan. Jetzt musste nur noch Kenzie daran glauben, an mich glauben, dann würde Felicias Rückkehr vielleicht gar nichts ändern.
Sobald ich in meine Wohnung über Keith’ Garage kam, schrieb ich meinem Schatz. Hey, Süße, ich bin fertig für heute. Willst du vorbeikommen?
Ich kannte ihre Antwort schon, bevor ich sie erhielt. Nicht so gern. Hast du Lust herzukommen? Nachdem ich keinen Gips mehr trug, mied Kenzie Keith’ Haus wie die Pest. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Nach dem, was sie mir über Keith und ihre Mutter erzählt hatte, die hinter Jordans Rücken eine Affäre gehabt hatten, würde ich Keith vermutlich auch meiden.
Ich schrieb ihr, dass ich vorbeikäme, zog mich aus und ging unter die Dusche. Nachdem ich erfrischt und angezogen war, sprang ich wieder auf meine Maschine. In der Auffahrt stand Keith und beobachtete stirnrunzelnd, wie ich wegfuhr, sagte jedoch nichts. Es gefiel ihm nicht, dass ich mit der Tochter seines ärgsten Feindes zusammen war. Er tolerierte es nur, weil er hoffte, dass Kenzie Jordan davon überzeugen würde, ihm die Trainingsstrecke zu verkaufen. Wenn Kenzie und ihr Vater miteinander reden würden, könnte das vielleicht klappen. Wie dem auch sei, es war mir egal, was Keith von Kenzie hielt. Er war mein Chef, nicht mein Vater, und wenn er mich nicht feuerte, weil ich mich mit einer Cox traf – was zu Beginn meines Engagements in seinem Team noch ein Kündigungsgrund gewesen wäre –, dann sollte er seine Meinung für sich behalten.
Kenzie wohnte im Herzen von Oceanside in einem bescheidenden Haus mit zwei Zimmern. Als ich herausgefunden hatte, dass ihr Vater ehemals Meister im Motorradrennsport gewesen war, hatte ich etwas deutlich Größeres erwartet. Doch im Grunde war Kenzie ein einfaches Mädchen, und das mochte ich an ihr. Ihre Leidenschaft konzentrierte sich auf den Rennsport. Sie hatte nie etwas anderes gewollt. Gott, hoffentlich hatte sie heute Glück gehabt und ein neues Team gefunden.
Ich fuhr in die Auffahrt, schaltete den Motor aus und rannte fast zur Tür. Es war nicht gerade ein toller Tag gewesen, und ich musste meine Freundin sehen. Ich klingelte im Takt von Stille Nacht