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Geschwindigkeit liegt Mackenzie im Blut. Als Tochter der berühmten Cox-Familie möchte sie es in ihrem ersten Jahr auf der Motorradrennbahn allen beweisen. Doch sie hat nicht mit Hayden Hayes gerechnet – arrogantes Ausnahmetalent und ausgerechnet Fahrer für die Erzrivalen ihrer Familie. Um das Ansehen der Cox zu retten, muss Kenzie gewinnen und sich vor allem von Hayden fernhalten, dem die Frauenherzen scharenweise zufliegen. Doch Kenzie stellt fest, dass sie alles andere als immun gegen seinen Charme ist. Und dass sie beide etwas verbindet, das größer ist als der alte Hass, die Eifersucht und ein lebensgefährlicher Wettkampf ...
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Seitenzahl: 762
S. C. Stephens
Furious Rush
Verbotene Liebe
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Babette Schröder
Buch
Geschwindigkeit liegt Mackenzie im Blut. Als Tochter der berühmten Cox-Familie möchte sie es in ihrem ersten Jahr auf der Motorradrennbahn allen beweisen. Doch sie hat nicht mit Hayden Hayes gerechnet – arrogantes und gefeiertes Ausnahmetalent und ausgerechnet Fahrer für die Erzrivalen ihrer Familie. Um das Ansehen der Cox zu retten, muss Kenzie gewinnen und sich vor allem von Hayden fernhalten, dem die Frauenherzen scharenweise zufliegen. Doch Kenzie stellt schnell fest, dass sie alles andere als immun gegen seinen Charme ist. Und dass sie beide etwas verbindet, das größer ist als der alte Hass, die Eifersucht und ein lebensgefährlicher Wettkampf …
Weitere Informationen zu S.C. Stephens
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finden Sie am Ende des Buches.
Für meine Brüder, deren Liebe zu Motorrädern mich zu diesem Roman inspiriert hat.
1. Kapitel
Ich hasste es, mitten in der Nacht angerufen zu werden. Jeder weiß, dass es nichts Gutes bedeuten kann, wenn man vor dem Morgengrauen auf diese Weise überraschend aus dem Schlaf gerissen wird. Als ich langsam von meinem Handy geweckt wurde, das laut an dem Wasserglas auf meinem Nachttisch vibrierte, schwante mir darum Böses. Stiche eiskalter Angst vertrieben meine Schläfrigkeit, und ich öffnete widerwillig die Augen. Was war passiert?
Am liebsten hätte ich die Panik ignoriert, die in mir hochkroch, und wäre wieder in den kuschelig warmen Schlaf gesunken. Bestimmt war alles bestens, und es hatte sich nur jemand verwählt. Doch ich konnte die Sorge nicht abschütteln, dass irgendetwas nicht stimmte. Also tastete ich mit trübem Blick ungeschickt nach dem Telefon auf meinem Nachttisch und schaute auf das Display. Es war meine Freundin Nikki.
»Nik? Was ist los?«, nuschelte ich. Mein Wecker verkündete in großen roten Ziffern die äußerst frühe Stunde. Na, hoffentlich ist zumindest jemand gestorben. Ich erschrak augenblicklich über diesen kaltherzigen Gedanken. Oh Gott, bitte lass niemanden tot sein.
Eine für diese frühe Stunde viel zu aufgekratzte Stimme drang an mein Ohr. »Kenzie! Ach gut, dass du noch wach bist. Ich habe eine Riesenbitte.«
Nikkis entspannter Tonfall ließ meine Sorgen sofort dahinschmelzen. Wenn wirklich etwas Schlimmes passiert wäre, würde sie kaum so locker klingen. Doch warum zum Teufel rief sie mich dann mitten in der Nacht an? »Ich bin nicht noch wach. Ich bin jetzt wach. Gewaltiger Unterschied. Was für einen Gefallen?«
Bevor sie antwortete, trat eine lange Pause ein, und mein Unbehagen kehrte zurück. »Na ja …«, fing sie stockend an, »ich habe gehofft, du könntest nach San Diego rüberkommen. Und fünfhundert Dollar mitbringen. In bar.« Mir klappte der Kiefer herunter, während mir ihre Bitte den letzten Rest Schlaf aus dem Hirn fegte. Ehe ich fragen konnte, ob sie verrückt geworden sei, setzte mich Nikki ins Bild. »Weißt du, ich habe gewissermaßen eine Wette verloren, und die Leute, denen ich das Geld schulde, wollen mich erst nach Hause lassen, wenn ich bezahlt habe. Schecks nehmen die nicht gern … deshalb brauche ich Bargeld.«
Ich war dermaßen vor den Kopf geschlagen, dass ich ein paar Mal zu sprechen anhob, ehe ich hervorstieß. »Herr im Himmel, Nikki. Willst du mich verarschen? San Diego? Jetzt?«
»Ich weiß, ich weiß. Ich nerve. Aber ich habe nicht damit gerechnet, heute Nacht zu verlieren, deshalb habe ich nicht so viel Geld mitgenommen. Komm schon, Kenzie, dein Vater wird mich umbringen, wenn ich morgen nicht auftauche, weil ich hier festsitze. Also … was ist jetzt? Kannst du mir helfen? Bitte?«
»Oje. Du weißt doch, was gerade bei mir los ist, Nikki. Unter welchem Druck ich stehe. Die Saison fängt bald an. Ich will, dass mein Vater stolz auf mich ist, ich will ihm eine würdige Nachfolgerin sein.« Ich seufzte, als ich den Erwartungsdruck schwer auf meinen Schultern spürte. Manchmal nahm er mir die Luft zum Atmen und lähmte mich. Etwas gefasster fügte ich hinzu: »Du weißt doch, dass Dad sich darauf verlässt, dass ich meine Sache gut mache, nachdem die Lage in letzter Zeit etwas … angespannt war.« Erneut zuckte mein Blick zur Uhr. Es war idiotisch früh. »Und um mein Bestes zu geben, muss ich in Bestform sein. Da kann ich es mir nicht leisten, um drei Uhr morgens aufzustehen, Nik.«
»Ich weiß«, stöhnte sie. »Aber ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte. Es kamen nur Myles und du infrage, und wenn der erst mal pennt, braucht man mindestens eine Atombombe, um ihn wachzukriegen.«
Das stimmte. Unser Freund Myles konnte tief und fest ein ganzes Heavy-Metal-Konzert verschlafen. »Das soll heißen, du wusstest, dass ich schlafe, hast aber trotzdem angerufen?«, fragte ich.
»Na ja … ich könnte die Uhr nach deinem Rhythmus stellen.« Bei der Bemerkung verzog ich gereizt das Gesicht, aber es stimmte, deshalb konnte ich ihr nicht wirklich böse sein. Ich mochte Routine. Es gefiel mir, wenn die Dinge vorhersehbar waren. Das half mir dabei, Rennen zu fahren. Ich brauchte die Gewissheit, dass egal, wo ich mich gerade befand oder welcher Tag war, mein Motorrad genau das tat, was ich von ihm erwartete. Und mit meinem Leben ging es mir genauso. Wenn ich morgens aufwachte, wollte ich wissen, was ich vom Tag zu erwarten hatte. Was umso mehr dafür sorgte, dass mich der Anruf aus dem Konzept brachte.
»Nikki …«
»Bitte Kenzie«, unterbrach sie mich. »Ich würde dich nicht bitten, wenn ich nicht richtig in der Tinte sitzen würde. Du bist meine beste Freundin, bitte lass mich hier nicht mit einem Haufen Krimineller versauern. Ich meine, wer soll denn aus deinem Motorrad eine gemein schnittige Siegermaschine machen, wenn ich tot bin?«
Leider hatte sie recht. Nikki war eine geniale Mechanikerin – meine geniale Mechanikerin –, und wenn ich dieses Jahr gut abschneiden wollte, war ich auf ihre Fähigkeiten angewiesen. Außerdem war sie meine beste Freundin, und ich würde sie nie ihrem Schicksal überlassen … auch wenn sie es sich selbst eingebrockt hatte. »Na schön. Aber dafür schuldest du mir etwas, Nikki.«
Sie seufzte erleichtert auf. »Meine Seele, mein Erstgeborenes – was immer du willst, es gehört dir.« Ich wollte ihr gerade sagen, dass ich von ihr nur erwartete, meine Ducati zum schnellsten Motorrad auf diesem Planeten zu machen, als sie schnell hinzufügte: »Ach, könntest du vielleicht von deinem Notgroschen noch ein paar Hunderter extra lockermachen? Bald fängt ein neues Rennen an, und ich habe ein richtig gutes Gefühl bei dem Typen.«
Fast hätte ich mein Handy quer durchs Zimmer geschleudert. »Nein! Das ist idioti… Moment mal, was für ein Rennen? Was zum Teufel machst du da für Wetten, Nikki?«
»Krr … ssssssshhhhh … tut mir leid, Kenzie. Krrrr … Die Verbindung bricht ab. Bis gleich. Ecke Jackson und Maddox, unter der Brücke. Schick mir eine SMS, wenn du es nicht findest.« Sie legte sofort auf, und ich schloss die Augen und zählte langsam bis zehn.
Dann warf ich die Bettdecke von mir, quälte meinen Körper aus dem gemütlichen Bett und stellte die Füße auf das kalte Holzparkett. Nikki im Geiste verfluchend ging ich zum Wandschrank, in dem die Sachen, die ich am Tag anziehen wollte, bereits als sauber gefalteter Stapel auf mich warteten.
Beim Zähneputzen musste ich feststellen, dass ich aussah, als hätte man mir im Schlaf Stromstöße verpasst. Ich überlegte, ob ich die Viertelstunde investieren sollte, um meine wilden Locken zu bändigen, entschied dann jedoch, dass es jetzt Wichtigeres gab. Mit den Fingern strich ich durch die widerspenstigen Strähnen und band das Gewirr zu einem tief sitzenden Pferdeschwanz zusammen, der gut unter meinen Helm passte.
Ich bereute, Nikki gegenüber jemals meinen Notgroschen erwähnt zu haben, blätterte durch den Umschlag, den ich unter meiner Matratze versteckt hatte, und zog fünfhundert Dollar heraus. Das war alles. Wenn Nikki glaubte, ich würde es zulassen, dass sie noch mehr Geld verlor, hatte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Ich stopfte die Scheine in mein Portemonnaie, schnappte mir meine Jacke und die Schlüssel der Straßenmaschine und machte mich auf den Weg zur Garage. Meine Straßenmaschine, die ich im Alltag benutzte, stand friedlich unter dem Neonlicht neben meinem heruntergekommenen Truck. Dieses Motorrad war weder so schick noch so schnell wie meine Rennmaschine, aber auf ihre bescheidene Art besaß meine Suzuki ihre ganz eigene Schönheit. Ich öffnete das Garagentor des kleinen Hauses, das ich gemietet hatte, rollte das Bike hinaus und ließ den Motor brummen. Was für ein verführerischer Klang. Er entschädigte mich fast dafür, dass die Sonne erst in ein paar Stunden aufging. Aber nur fast.
Ich unterdrückte ein Stöhnen, schloss das Garagentor, streifte mir den Helm über, ließ das immer noch im Tiefschlaf befindliche, kalifornische Städtchen Oceanside hinter mir und steuerte auf das etwas lebendigere San Diego zu. Die Fahrt in Richtung Süden dauerte nur eine Dreiviertelstunde, aber ich hatte Schwierigkeiten, die Straßen zu finden, die Nikki genannt hatte. Mit dem Navi auf meinem Handy stand ich auf Kriegsfuß. Als ich endlich die Jackson Street erreichte, hielt ich die Augen auf nach … irgendetwas. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wonach ich genau suchte. Erst als ich die Motorräder entdeckte, wusste ich, dass ich am richtigen Ort war. Herrje, Nikki, auf was hast du dich nur eingelassen? Mindestens über drei Blocks hinweg parkten Motorräder quer zur Straße, gelegentlich hatte sich ein Auto oder ein Truck dazwischengequetscht. Menschentrauben liefen zwischen den Bikes herum und inspizierten sie eingehend, als befänden sie sich auf einer Rinderauktion. Die Fahrer hatten sich herausgeputzt, trugen zerrissene Jeans und protzige Lederjacken – billige Imitationen der Lederkluft, wie ich sie bei Rennen trug, um mich zu schützen und für mein Team zu werben. Mit überheblichem Grinsen, das vor Selbstbewusstsein nur so strotzte, stolzierten sie um ihre Maschinen herum. Die Buchmacher warben mit lautem Geschrei und völlig überzogenen Behauptungen für ihre Favoriten. Von null auf hundert in weniger als zwei Sekunden? Da hegte ich erhebliche Zweifel.
Ich ließ mich in eine Lücke zwischen die Motorräder rollen und schickte Nikki eine SMS. Ich bin da. Wo bist du?
Sofort hörte ich, wie weiter unten in der Straße jemand meinen Namen rief, und als ich in die Richtung blickte, entdeckte ich Nikki, die auf und ab sprang und mir mit hochgerissenen Armen zuwinkte. Schicksalsergeben schaltete ich den Motor aus und stieg von meiner Maschine. Kaum hatte ich den Helm abgenommen, umlagerten die Leute meine Suzuki und untersuchten Bereifung, Federung und Motor. Als ich gerade meinen Helm an den Lenker hängte, beugte sich ein Mann vor und fasste den Sitz an. Ich schlug seine Hand weg. »Mein Motorrad und ich machen nicht mit bei … dem hier. Fass es ja nicht noch mal an, sonst …«
Obwohl ich mich bemüht hatte, drohend zu klingen, lachte mich der Sitzstreichler einfach nur aus. Trotzdem trollte er sich und nahm die anderen Gaffer mit. Besser so – denn mir war selbst nicht ganz klar, womit ich ihm hätte drohen sollen. Das hier stieß mich alles ziemlich ab, und die Vorstellung, etwas von diesem Affentheater könnte an meinem Motorrad haften bleiben – und sei es nur als fremder Fingerabdruck am Benzintank –, verursachte mir Übelkeit. Rennen sollten auf einer Rennstrecke ausgetragen werden – mit strikten Regeln, offizieller Rennleitung und eigens darauf abgestimmten Maschinen. Ich fühlte mich, als hätte ich eine Zeitreise in die Vergangenheit gemacht oder wäre in eine apokalyptische Zukunft gebeamt worden, in der grimmige Männer für einen Becher sauberen Wassers um ihr Leben kämpften. Ich wollte wirklich nicht hier sein.
Inzwischen hatte Nikki sich zu mir durchgekämpft, strahlte übers ganze Gesicht und hüpfte auf den Zehenspitzen vor mir auf und ab. »Hey, du hast es gefunden. Super.«
Nikki war lateinamerikanischer Abstammung und hatte einen makellosen, goldfarbenen Teint, der sich nicht durch Gefühlswallungen verfärbte, wie es bei mir gelegentlich vorkam. Sie versuchte, sich ihr schlechtes Gewissen nicht anmerken zu lassen, aber ich sah den angespannten Zug um ihre Lippen sowie den besorgten Ausdruck in ihren dunklen Augen. Sie hatte Angst, ich könnte sauer sein. Und das war ich in der Tat. Daran ließ sich momentan jedoch nichts ändern.
»Ja«, sagte ich missmutig. »Google Maps und ich sind jetzt per Du.«
Nikkis Gesichtszüge entspannten sich. »Du kommst gerade im richtigen Moment. Das nächste Rennen fängt gleich an.« Sie besaß wirklich die Frechheit, sich auf die nächsten Wetten zu freuen. Jetzt riss mir endgültig der Geduldsfaden, und ich machte meinem aufgestauten Ärger Luft.
»Was um alles in der Welt treibst du hier, Nikki? Du wettest bei Straßenrennen? Dafür hast du mich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt?« Ich zeigte auf die Straße, in der potenzielle Rennteilnehmer geduldig auf ihre Chance auf ein bisschen Ruhm warteten. »Du weißt, dass das illegal ist, oder? Du weißt, dass uns Dad vermutlich schon allein dafür aus dem Team werfen würde, dass wir überhaupt hier sind, oder? Mensch, wenn mich einer von den Offiziellen hier sieht und glaubt, dass ich bei diesem Mist mitmache, könnte mich der ARRC für den Rest meines Lebens für den Rennsport sperren. Was hast du dir bloß dabei gedacht? Wir dürfen nicht hier sein.«
Nikki wand sich und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Entspann dich, Kenzie. Uns sieht schon keiner. Ich meine, die würden selbst Schwierigkeiten bekommen, wenn sie hier wären, also sind wir fein raus. Und um deine Frage zu beantworten – ich kann hier heute Nacht locker einen Riesen gewinnen.« Sie machte eine Pause, um das Geräusch einer Registrierkasse nachzuahmen. »Kaaa-tsching!«
Noch bevor ich sie daran erinnern konnte, dass ich einzig und allein deshalb gekommen war, weil sie Geld verloren hatte, verstärkte Nikki ihren Griff um meine Schulter und drehte mich so, dass ich über die Straße blickte. Sie zeigte mit dem Finger auf einen Kerl, der neben einer aufgebrezelten Ninja stand. »Das nächste Rennen ist zwischen dem Typen da …« Sie drehte mich wieder um, sodass ich auf unserer Straßenseite hinunterblickte. Dann zielte sie mit dem Finger auf einen anderen Kerl, der ein paar Meter von uns entfernt stand. Er trug eine schwarze Lederjacke, eine ausgeblichene Jeans und stand gelassen, selbstbewusst und entspannt neben seiner Honda, die von einer Horde knapp bekleideter Mädchen umringt war. »… und diesem Kerl. Man sagt, der Honda-Knabe hat noch nie verloren, also setze ich mein ganzes Geld auf den Ninja.«
Ich drehte mich um und sah sie ungläubig an. »Was? Warum zum Teufel wettest du auf den anderen Kerl? Wenn der Honda-Typ bisher ungeschlagen ist, solltest du lieber auf den setzen.« Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich fasse es nicht, dass ich das gerade wirklich gesagt habe.« Ich griff in meine Tasche, holte mein Portemonnaie heraus und gab ihr die fünfhundert Dollar. »Hier. Und jetzt bezahl, damit wir so schnell wie möglich von hier verschwinden können, okay? Je schneller wir die Sache hinter uns bringen, desto besser.«
Nikki hatte ihr schlechtes Gewissen anscheinend schon überwunden, denn sie wirkte nicht im Geringsten verlegen, als sie mein Geld nahm und sagte: »Kommt nicht infrage. Wir bleiben. Und ich setze alles auf den, dem keiner eine Chance gibt. Wenn der andere Typ bisher ungeschlagen ist, bedeutet das nichts anderes, als dass er reif für eine Niederlage ist. Das ist das Wett-Einmaleins, Kenzie.«
Ich rollte mit den Augen und erklärte ihr: »Nein, das ist das Du-bist-ein-Volltrottel-Einmaleins. Aber schließlich ist es ja dein Geld, also …« Ich stutzte und hob dann den Zeigefinger, als hätte ich eine Eingebung. »Ach, warte mal … nein, es ist mein Geld. Ich ließ den Finger sinken und bohrte ihn zur Bekräftigung in ihre Schulter. »Und du wettest nicht damit. Du bezahlst jetzt deine Schulden, und dann fahren wir nach Hause. Hoffentlich bekomme ich noch ein paar Stunden Schlaf, bevor ich wieder beim Renntraining sein muss.«
»Okay, okay. Schon gut.« Es sah aus, als würde sie klein beigeben, und ich dachte tatsächlich, sie würde auf mich hören. Doch dann drehte sie sich auf einmal um und rief die Straße hinunter: »Hey ihr Hampelmänner, ich setze einen Riesen auf Hayden.«
Ein hünenhafter Mann, der hinter dem Honda-Typen stand, hob bestätigend den Daumen und kritzelte dann etwas in sein Buch. Ihre Wette war angenommen, und ich hatte nicht den Eindruck, dass diese Kerle viel Verständnis dafür hatten, wenn man seine Meinung änderte. Ich stieß Nikki gegen die Schulter, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. »Ich habe gesagt, wir fahren nach Hause. Ich habe gesagt, keine Wetten mehr.«
Nikki biss sich auf die volle Lippe. Sie zuckte mit den Schultern und schaffte es dabei sogar, zerknirscht auszusehen. »Na ja, jetzt stehen wir im Wort … Da müssen wir durch, sonst fangen die beiden Typen dahinten an, Kniescheiben zu zertrümmern. So läuft das, glaube ich.« Mein Blick folgte ihrem ausgestreckten Finger zu einer Gruppe kräftig aussehender Kerle, die so wirkten, als würden sie nichts lieber tun, als anderen die Knochen zu brechen. Herr im Himmel, ich wollte nach Hause. Sofort.
Als ich die Fäuste ballte, tätschelte Nikki meine Schulter. »Aber du solltest froh sein, Kenzie. Ich habe auf dich gehört und auf den Goldjungen gewettet. Hoffentlich wird er nicht ausgerechnet heute Nacht vom Thron gestoßen.« Sie dachte kurz darüber nach, dann fragte sie: »Nur für den Fall, dass der einen Unfall baut … du hast doch noch mehr Geld für schlechte Zeiten zurückgelegt, oder?«
Ich musste mich schwer zusammenreißen, um sie nicht laut anzubrüllen. »Nein! Ich habe keine tausend Dollar beiseitegelegt! Was um alles in der Welt sollen wir tun, wenn er das Rennen verliert, Nikki?« Noch bevor sie etwas antworten konnte, warf ich die Arme in die Luft. »Na, toll! Das ist ja super!«
Die Banken hatten geschlossen, und ich konnte nicht so viel aus dem Geldautomaten ziehen. Genau wie Nikki müsste ich einen nächtlichen Anruf tätigen, um meinen Hintern zu retten. Aber mit Sicherheit nicht bei meinem Vater. Vielleicht könnte ich meine Schwester Daphne anrufen. Aber die war von ihren Hochzeitsvorbereitungen momentan finanziell stark belastet, und ich bezweifelte, dass sie mir helfen konnte. Vielleicht meine andere Schwester, Theresa. Aber die würde mich umbringen und dann alles Dad erzählen. Ich spürte, wie sich allmählich eine zermürbende Angst in meiner Brust ausbreitete. Dann sah ich die Straße hinunter zu dem Mann, der mir entweder aus dieser Klemme heraushelfen oder mich endgültig hineinreiten würde.
Der Honda-Typ hatte seinen Helm unter den Arm geklemmt und flirtete mit den Mädchen, die um ihn herumstanden. Er hatte blonde widerspenstige Haare, deren Styling bestimmt weitaus mehr Zeit in Anspruch nahm, als man ihnen ansah. Die Art, wie die Mädchen um ihn herum teenagermäßig kicherten, ließ vermuten, dass er charmant war. Vermutlich brachte er sie mühelos dazu, ihm aus der Hand zu fressen. Als ich durch eine Lücke in der Menge endlich einen klaren Blick auf sein Gesicht erhielt, bemerkte ich noch etwas anderes. Er war ein unglaublich heißer Ich-will-auf-der-Stelle-ein-Kind-von-dir-Typ.
Seine markanten Gesichtszüge waren derart perfekt, derart ebenmäßig, dass es mir geradezu unwirklich schien, nur ein paar Meter von ihm entfernt zu stehen. Er sollte halb nackt auf Reklametafeln posieren, um überteuerte Eau de Colognes an Männer zu verkaufen, die sich nach einem Bruchteil seines Sexappeals sehnten. Und als ob er meine Blicke gespürt hätte, schaute er jetzt in meine Richtung. Unsere Blicke begegneten sich und hielten aneinander fest. Ich war außerstande wegzusehen. Er hatte etwas Sinnliches an sich, etwas Ursprüngliches und Gefährliches. Exotisch. Ich war sofort wie gebannt, was mich ziemlich nervte. Dieser Typ steckte knietief in einer Welt, die ich verabscheute, einer Welt, die meine Vorstellung vom Sport mit Füßen trat. Meinen Beruf.
Während er mich mit dem Blick aus seinen hellen Augen durchbohrte, bog sich einer seiner Mundwinkel zu einem frechen Grinsen nach oben, das ebenso verschmitzt wie vielversprechend war. Mit diesem Lächeln schien er mir regelrecht zuzurufen, dass er alle Wünsche und Gelüste befriedigen konnte, die mir auch nur in den Sinn kommen mochten. Mein Herz klopfte wie wild, während Empfindungen in mir zum Leben erwachten, die viel zu lange dort geschlummert hatten. Zu meinem Glück tippte ihm der große Mann auf die Schulter, der vorher die Wetten der Jungs angenommen hatte, und unterbrach unseren Blickwechsel. Sobald ich mich aus seinem Bann gelöst hatte, drehte ich mich um und kehrte ihm den Rücken zu.
Gott, ging mein Atem etwa schneller? Lächerlich, absolut lächerlich. Ich war zweiundzwanzig, nicht zwölf.
»Mist«, hörte ich Nikki sagen, »du hattest recht. Ich hätte von Anfang an auf ihn wetten sollen. Ich konnte ihn mir vorher nicht so genau ansehen, aber er ist absolut heiß.«
Ich holte tief Luft und versuchte, meinen Körper wieder mit meinem Gehirn zu koppeln. »Der Typ ist ungeschlagen?«, fragte ich Nikki. »Wirklich?« Zur Antwort nickte sie, und ich schloss für eine Sekunde die Augen. So ein Gesicht und dann auch noch ein guter Rennfahrer? Himmel.
Ich räusperte mich und fragte beiläufig: »Was hast du noch mal gesagt? Wie heißt der?« Dann konnte ich dem Kerl in den Fantasien, die mich später mit Sicherheit heimsuchen würden, wenigstens einen Namen geben.
»Hayden … irgendwas. Nach allem, was ich gehört habe, ist er schon eine ganze Weile dabei.«
Ich riskierte einen Blick über meine Schulter zu … Hayden. Zum Glück hatte er den Helm aufgesetzt, wenn auch das Visier noch hochgeklappt war. Zu dem großen Mann, der die Wetten annahm, hatte sich ein schlaksiger Latino gesellt, der Hayden Anweisungen zu geben schien. Vielleicht sagte er ihm auch nur ein paar aufmunternde Worte. Der kleine Typ spielte das bevorstehende Rennen mit den Händen vor, offenbar einschließlich Schleudern und Explosionen. Oh Gott, hoffentlich passierte niemandem etwas. Während er die dramatischen Höhepunkte durchging, streifte der große Mann eine Kamera über Haydens Helm.
Als die beiden Rennfahrer bereit waren, lenkten sie ihre Motorräder auf die Straße. Am Straßenrand brandete Jubel auf, voller Hoffnung erwarteten die Zocker den Beginn des nächsten Rennens. Eigentlich empfand ich nur Verachtung für das, was ich hier miterlebte, aber bei der Energie der Zuschauer und dem Röhren der Maschinen spürte ich unwillkürlich, wie die Aufregung auf mich übersprang. Gegen meinen Willen verzog sich mein Mund zu einem breiten Grinsen, und mir rutschte ein Anfeuerungsruf über die Lippen. Haydens Helm schwenkte in meine Richtung, als er seine Maschine startete. Mein Puls beschleunigte sich, als sich unsere Blicke erneut begegneten. Dann zwinkerte er mir zu und klappte das Visier herunter.
Als die Fahrer ihre Startpositionen einnahmen, packte mich Nikki am Arm. »Komm mit. Wir können vom Van aus zusehen.«
Ich hatte keine Ahnung, was sie meinte. Noch bevor ich fragen konnte, zog sie mich zu einem schwarzen Van, der am Straßenrand geparkt war. Die Hecktüren standen offen, und ein riesiger Monitor ragte an einem Schwenkarm über den Köpfen der Menschenmenge. Das Bild war zweigeteilt und zeigte jeweils die Liveaufnahmen von den Helmkameras der beiden Rennfahrer. Hayden und sein Gegner lieferten Bilder desselben kahlen Straßenabschnittes. Als ich die Straße hinunterblickte, sah ich, dass die beiden an einem Fußgängerüberweg darauf warteten, dass die Ampel umsprang.
Ich wandte meine Augen wieder dem Monitor zu und merkte, dass ich mit angehaltenem Atem ebenfalls darauf wartete, dass das Signal die Farbe wechselte. Als die Ampel auf Grün sprang und die Motorräder losbrausten, ging ich näher zum Van, als könnte ich auf diese Weise irgendwie meine aufgestaute Energie lösen. Zugleich begann die Menge um mich herum zu johlen und zu brüllen. Von dem Moment mitgerissen wippte ich auf den Zehenspitzen und betete, dass die Fahrer an Geschwindigkeit gewannen. Aber nachdem ich ein paar Sekunden lang auf den Monitor geblickt hatte, erschütterte mich die harte Realität vor meinen Augen. Das hier war keine klar abgegrenzte Rennstrecke mit deutlich gekennzeichneten Spuren. Es war primitiv, schmutzig und ohne feste Regeln. Das Einzige, was zählte, war, als Erster über die Ziellinie zu gelangen.
Die Motorräder überfuhren rote Ampeln, als hätten sie keinerlei Bedeutung. Zu dieser frühen Stunde waren die Straßen fast leer, doch als sie an den wenigen Fahrzeugen vorbeirasten, wirkten diese, als stünden sie still; sie mussten locker hundert Meilen draufhaben. Sie wichen Hindernissen aus, indem sie auf den Bürgersteig sprangen, bogen schlingernd um enge Kurven und wären mehrfach beinahe mit entgegenkommenden Fahrzeugen zusammengeknallt.
Schockiert drehte ich mich zu Nikki um. »Das ist doch Wahnsinn. Dabei kann jemand verletzt werden. Vielleicht sogar sterben!«
Nikki stand beim Blick auf den Monitor die pure Begeisterung ins Gesicht geschrieben. Ihre Miene änderte sich, als meine Worte allmählich bei ihr ankamen. Dann sah sie mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Vermutlich war es seltsam, so etwas ausgerechnet jemanden sagen zu hören, dessen Tachonadel beim Fahren regelmäßig um die zweihundertvierzig pendelte, aber hier herrschten völlig andere Rahmenbedingungen. Man mag es glauben oder nicht – das, was ich machte, war vergleichsweise sicher. Um es dahin zu bringen, hatte man Millionen von Dollars ausgegeben. Das hier war nicht sicher. Überhaupt nicht.
»Sie verstoßen gegen jede nur erdenkliche Verkehrsregel«, fügte ich hinzu und kam mir dabei wie eine gigantische Spaßbremse vor. Aber irgendjemand musste schließlich die Stimme der Vernunft sein, alle anderen hier waren offensichtlich nicht mehr ganz bei Trost.
Nikki grinste über meine Bemerkung. »Das ist ein Rennen, Kenzie. Die können nicht vorsichtig fahren. Was meinst du denn, warum es so spät in der Nacht stattfindet?«
»Weil es illegal ist«, erwiderte ich nüchtern, woraufhin mich ein paar aus der Menge befremdet ansahen, darunter Haydens Buchmacher, der mich mit einem besonders bösen Blick bedachte. Vielleicht war dies nicht der beste Ort, um über Gesetze zu reden. Ich hielt lieber den Mund und richtete meine Aufmerksamkeit schnell wieder auf den Monitor.
Gerade als ein vertraut aussehender Straßenabschnitt ins Bild kam, wurde das Video in der einen Hälfte des Monitors unscharf, man sah Asphalt, Funken, alles drehte sich, ein Telefonmast kam rasend schnell näher. Die Menge ringsum verstummte, als klar war, dass Haydens Kontrahent das Rennen nicht zu Ende fahren würde. Sekunden später hörte ich Haydens Motorrad um die Kurve röhren, woraufhin Nikki mich erneut wie eine Stoffpuppe hinter sich herschleifte. Sie positionierte uns so, dass wir die Ziellinie gut im Blick hatten, über die just in dem Moment Haydens Honda hinwegraste. Er war allein. Jubel brandete auf, in den sich das unwillige Murren jener mischte, die auf den anderen gewettet hatten.
Ich fragte mich gerade, ob sich wohl jemand um den Ninja-Fahrer kümmerte, als mich Nikki an den Schultern packte und in unbändiger Begeisterung durchschüttelte. »Wir haben gewonnen, Kenzie! Wir haben tatsächlich gewonnen!«
»Toll«, sagte ich und biss die Zähne zusammen.
Nikki ließ mich los und quietschte vor Begeisterung. »Ich habe gerade genug Geld verdient, um dir dein Geld zurückzugeben und meine Verluste auszugleichen. Na, bist du jetzt nicht auch froh, dass du gekommen bist?«
Ich verengte meine Augen, meine Blicke waren vergiftete Dolche, die hoffentlich etwas Vernunft in sie hineinbohrten. »Ich hasse dich«, murmelte ich.
Nikki legte sich eine Hand aufs Herz. »Ich weiß, dass du eigentlich sagen wolltest, dass du mich lieb hast, Kenzie. Und ich hab dich auch lieb. Und jetzt lass uns meinen Gewinn einstreichen und nach Hause fahren, damit du dich wieder hinlegen kannst. Das ist ein Superjahr!«
Ich öffnete gerade den Mund, um spitz zu erwidern, dass ich schon vor Ewigkeiten hatte gehen wollen, doch da machte sie auf dem Absatz kehrt und ließ mich einfach stehen. Während ich noch meine Kiefermuskulatur zwang, sich zu entspannen, damit ich den Mund wieder schließen konnte, hielt Hayden am Straßenrand neben mir. Als ich ihm den Kopf zudrehte, war es, als liefe alles plötzlich in Zeitlupe ab.
Er saß noch vornübergebeugt auf seiner Maschine, die Hände am Lenker, und ich erkannte nur an dem mir zugewandten Helm, dass er zu mir herüberblickte. Dann nahm er wie ein Prinz im Märchen langsam den Helm ab und klemmte ihn sich unter den Arm. Ich könnte schwören, dass die Luft zu knistern begann, als sein schiefes Lächeln zum Vorschein kam. Meine Güte, dieser Typ war zum Anbeißen.
Locker strich er sich durch das verschwitzte dunkelblonde Haar. Durch den Helm war die lässige Frisur von vorhin ruiniert, doch irgendwie saß sie nach ein paar Handgriffen wieder perfekt. Wie gern hätte ich sie ihm aufs Neue zerzaust, hätte meine Finger durch seinen Schopf gleiten lassen und ein paar Strähnen gepackt, während ich mit der Zungenspitze die Konturen seines unglaublich sinnlichen Mundes nachgezeichnet hätte.
Hoppla. Nein. Das wollte ich auf gar keinen Fall.
Einen Moment betrachtete er eingehend mein Gesicht. Da war etwas in seinen Augen, das ich nicht einordnen konnte. Interesse natürlich, aber auch so etwas wie … Traurigkeit. Und dann lächelte er. Der Ausdruck verschwand so schnell, dass ich davon überzeugt war, es mir nur eingebildet zu haben. »Ich habe dich hier noch nie gesehen«, sagte er leise und ganz entspannt, als hätte er nicht soeben sein Leben aufs Spiel gesetzt. »Hoffentlich hast du auf mich gewettet. Es wäre schade, jemanden, der so schön ist wie du, verlieren zu sehen.«
Er grinste anzüglich, und vor meinen Augen leuchteten Alarmlampen auf. Gefahr! Sofort stehen bleiben! Achtung, Steinschlag! Jetzt wenden! Die Warnlichter strahlten noch heller, als er von seinem Motorrad abstieg und auf mich zukam.
Als er direkt vor mir stand und so nah war, dass ich das feinwürzige Aroma seines Eau de Toilette wahrnahm, klopfte mein Herz wie verrückt. Ich war mir sicher, dass er es hören konnte und sah, wie sich mein T-Shirt hob und senkte, als ob sich darunter ein aufgeregter Kolibri versteckt hielt. Was machte er nur mit mir? War ich nervös oder erregt? Beides fühlte sich so ähnlich an, dass ich es nicht zu sagen vermochte.
Er streckte eine Hand aus und sagte freundlich: »Gestatten, Hayden. Hayden Hayes.« Ich wollte gerade die Hand heben und seine ergreifen – mir zuckten schon die Finger –, da fügte er hinzu: »Und wie soll ich dich nennen, Süße?«
Süße? Mit diesen beiden simplen Silben hatte er mir in Sekundenbruchteilen einen Eimer Eiswasser über den Kopf geschüttet und jegliche Fantasien abgetötet, die ich über ihn gehabt haben mochte. Ich lebte, arbeitete und atmete in einer Welt, in der mich Männer wie eine Bürgerin zweiter Klasse behandelten. Um mich zu bewähren, musste ich härter und länger arbeiten, ich musste immer alles geben und durfte mir keinen Ausrutscher erlauben. Mit diesem einen entwürdigenden Wort schien er gerade all meine Kraftanstrengungen zunichtegemacht zu haben.
»Ich bin weg«, erwiderte ich und ging.
2. Kapitel
Als ich von meinem kleinen spaßigen Abenteuer in San Diego heimkehrte, ging bereits die Sonne auf. Anstatt in der Garage stellte ich das Motorrad in der Einfahrt ab, weil ich es in ein paar Stunden ohnehin wieder brauchte, und schlurfte erschöpft zur Haustür. Im Flur legte ich die Schlüssel in das Körbchen, das für sie vorgesehen war, stellte meine Stiefel in die Lücke im Schuhregal und hängte meine Jacke an die Garderobe. Ich rang mit mir, ob ich mich wieder schlafen legen und riskieren sollte, sehr spät zur Rennstrecke zu kommen, oder ob ich mich geschlagen geben und den Tag beginnen sollte. Mit einem Seufzer tapste ich in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen. Das erste Rennen der Saison – Daytona – fand in etwas über einer Woche statt. Sosehr mir auch danach war, ich durfte den Tag nicht verschlafen, es gab einfach zu viel zu tun.
Nach einem schnellen, proteinreichen Shake ging ich ins Badezimmer, um mich endlich um mein Haar zu kümmern. Wenn ich sowieso Zeit totschlagen musste, konnte ich auch gleich die Knoten entwirren. Meine kaffeebraunen Wellen waren ein Segen (oder ein Fluch), den ich meiner Mutter verdankte. Niemand sonst in der Familie hatte solche Haare, meine beiden älteren Schwestern waren blond wie unser Dad. Die optische Erinnerung an Mom war allerdings schön. Sie war gestorben, als ich vier war. Autounfall. Ein betrunkener Fahrer war über die Mittellinie geschossen und hatte sie frontal erwischt. Man hat mir erzählt, dass sie sofort tot war und nicht leiden musste. Mir sind kaum Erinnerungen geblieben, ich weiß nur noch, dass sie mein langes, dickes Haar liebte. Auch wenn es nervig zu pflegen und noch schwerer unter einen Helm zu stopfen war, trug ich es ihretwegen lang. Mehr als diese Verbindung war mir nicht geblieben, so schwach sie auch sein mochte.
Als es Zeit zum Aufbruch war, holte ich Jacke, Stiefel und Schlüssel wieder hervor und ging nach draußen zu meinem Motorrad. Ich war so müde und kaputt, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit keine große Lust auf das Training hatte. Aber jetzt oder nie – es war meine erste Rennsaison als Profi und keinesfalls der richtige Zeitpunkt, sich gehen zu lassen.
Ich fuhr Motorrad, seit ich drei war, und war von Geburt an von den Maschinen umgeben gewesen. Mein Vater war ein Gott im professionellen Straßenrennsport. Andere Fahrer meiner Liga sprachen dermaßen ehrfurchtsvoll und ergeben von ihm, als hätte Jordan Cox den Sport geradezu erfunden und die ARRC begründet – die US-Meisterschaft im Straßenrennen. Weil ich seine Tochter war, lasteten gewaltige Erwartungen auf meinen Schultern. Wenn ich Rennen fuhr, ging es nie nur um meine persönlichen Ziele, nein – jedes Mal ging es darum, das Vermächtnis meiner Familie zu verteidigen. Und dieses Vermächtnis war in letzter Zeit gehörigen Belastungen ausgesetzt gewesen.
Ein Unternehmen wie das unsere war teuer, und Spitzentalente zu finden, die Meisterschaften gewinnen konnten, war eine knifflige Angelegenheit. Seit Dads Karriereende war Cox Racing nicht mehr unter den ersten fünf platziert gewesen. Mein Vater war ganz aufgeregt, dass ich endlich so weit war, professionelle Rennen zu fahren. Nicht allein um meinetwillen, sondern auch, weil er einen Sieg brauchte. Er benötigte Sponsoren, einen hohen Bekanntheitsgrad, Bestätigung und … offen gestanden, Geld. Und wenn ich auch nicht die einzige potenzielle Siegeshoffnung im Cox-Rennteam war, so doch die Einzige mit Blutsbanden zur Legende. Zu behaupten, dass in diesem Jahr eine Menge Blicke auf mich gerichtet waren, wäre noch untertrieben gewesen.
Als ich an der Trainingsstrecke meiner Familie ankam, sah ich, dass mein Vater am Innentor mit einem stämmigen Mann mit schütterem Haar und Koteletten stritt, der sich auf eine metallene Krücke stützte – Keith Benneti. Die Hände meines Vaters waren zu Fäusten geballt, als Keith auf das Schild über dem Tor deutete. Cox Racing/Benneti Motorsport – Trainingsstrecke. Ich holte tief Luft und ging auf sie zu. Dad und Keith stritten sich mindestens ein Mal im Jahr über das verdammte Schild, und ihre Auseinandersetzungen fanden nie ein gutes Ende.
In jungen Jahren waren mein Vater und Keith Teamkameraden und beste Freunde gewesen. Als Spitzenfahrer hatte jeder von ihnen zahlreiche Meisterschaften gewonnen. Irgendwann beschlossen sie, ihr eigenes Rennteam zu gründen: Cox-Benneti-Racing, oder abgekürzt CBR. Als Grundlage für ihren Betrieb erwarb das starke Duo die Trainingsstrecke, und es gelang ihnen, noch eine ganze Reihe weiterer ARRC-Meisterschaften zu gewinnen.
CBR wurde schon bald so legendär wie die beiden Männer dahinter. Aber die guten Zeiten waren nicht von Dauer. Ich weiß nicht genau, was schiefging, aber bei einem Rennen hatten Keith und Dad einen ziemlich üblen Zusammenstoß. Die Videoaufzeichnungen von dem Unfall waren der reinste Horror. Beide überlebten das Unglück, doch Keith wurde nie mehr ganz gesund und brauchte seither eine Krücke zum Gehen.
Von jetzt auf gleich war Keiths Karriere zu Ende, und er gab Dad bis heute die Schuld an dem Unfall. Meiner Meinung nach war Keiths Rache an Dad tausendmal schlimmer. Hunderttausendmal schlimmer. Ich konnte es nach wie vor kaum glauben und mochte weder darüber reden noch davon hören. Es muss reichen, wenn ich sage, dass Keith einen echten Tiefpunkt im Leben meiner Mutter ausgenutzt und sie verführt hat. Er hat wirklich jede erdenkliche moralische Grenze übertreten und hätte damit fast die Ehe meiner Eltern zerstört.
Als Dad von der … Affäre … erfuhr, verpflichtete er einen Anwalt und machte CBR ein Ende. Seither arbeiteten die beiden Teams getrennt, nutzten die Trainingsstrecke aber immer noch gemeinsam. Es war das letzte Überbleibsel aus besseren Tagen und für meinen Vater ein stetes Ärgernis. Er wollte die volle Kontrolle über die Strecke, Keith nicht minder, und jeder von beiden war zu stur, um sich von seinem Anteil zu trennen. Deshalb teilten sie sich, wenn auch widerwillig, den Besitz. Und wie man sich vorstellen kann, klappte das nur mäßig. Die anhaltenden Spannungen zwischen Benneti Motorsport und Cox Racing sorgten für dermaßen dicke Luft, dass man sie förmlich wie eine Dampfwolke aus tödlichem Benzin über der Rennstrecke schimmern sah, die nur auf den Funken wartete, der sie entzündete.
Ich wollte nicht, dass es heute zur Explosion kam, deshalb hielt ich neben meinem Vater und klappte das Visier hoch. »Alles okay, Dad?«
Dad zwang sich, die Fäuste wieder zu öffnen und bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren. Mein Vater war für seine Selbstbeherrschung berühmt, seine Auslassungen darüber, wie wichtig diese sei, wurden in Motorsportmagazinen auf der ganzen Welt zitiert. Mir wurde dieses Mantra seit meiner Geburt eingeschärft: Wer in einem Rennen siegt, mag das beste Motorrad haben, die beste Crew besitzen und der beste Fahrer sein, oder auch nicht – aber er hat mit absoluter Sicherheit seine Emotionen im Griff. Ein Sieger beherrscht nicht nur seine Maschine, sondern auch sich selbst.
Dad war mein Held und trotzdem für mich fast ebenso unerreichbar wie für jeden anderen Nachwuchsfahrer, der sein Idol persönlich kennenlernen wollte. Emotionale Distanz war eine unerfreuliche Nebenwirkung, wenn man sich stets selbst am Zügel riss, und daran änderte sich auch nichts, nur weil die Hälfte meiner Gene von ihm stammte. Hier bei ihm am Ring war ich in erster Linie Jordan Cox’ Angestellte, erst an zweiter Stelle seine Tochter.
Ohne den Blick von Keith zu lösen, sagte Dad: »Alles in Ordnung, Mackenzie. Ich habe Keith nur wieder einmal erklärt, dass wir keine tausend Dollar für ein neues Schild ausgeben müssen, nur damit Benneti als Erster genannt wird. Damit verschwenden wir Zeit und Geld.« Während Keith die Augen zu Schlitzen verengte, drehte Dad sich zu mir um. Er wirkte jeden Tag ein bisschen älter, so als ließe ihn der Stress vorzeitig altern. Sein Haar war jetzt eher grau als blond, und selbst das Blau seiner Augen schien zu verblassen. Trotzdem funkelten sie noch immer vor Intelligenz, und sein Blick kündete von eiserner Autorität. In der Nähe meines Vaters fühlte man sich ein bisschen wie vor einem Schuldirektor, einem Polizeibeamten oder einem Feldwebel – wie bei einer Respektsperson, in deren Gegenwart man sich zu benehmen hatte. Ich stand jedenfalls gerade, wenn ich mit ihm redete.
Dad deutete mit dem Kopf auf das Tor und sagte: »Warum gehst du nicht rein und fängst schon mal an? Ich will, dass du bis Mittag noch ein paar Runden drehst.« Um diese Zeit endete nämlich unser Zeitfenster am Ring, und Bennetis Team kam an die Reihe.
»Klar, mach ich.«
Keiths Blicke wanderten von Dad zu mir. In seinen finsteren Zügen zeichnete sich Wut ab, und ich wusste, dass das Schild nicht der einzige Grund für seinen Ärger war. Er schien sich jedes Mal aufzuregen, wenn er mich sah. Vermutlich waren daran seine Gefühle für meine Mutter schuld – sofern er überhaupt welche für sie gehabt hatte. Ich war der quicklebendige Beweis dafür, dass Keith Mom schließlich doch an Dad verloren hatte. Die beiden waren nach dem Ende der Affäre zusammengeblieben, und sie hatte jeglichen Kontakt zu Keith abgebrochen.
»Viel Glück dieses Jahr, Mackenzie«, sagte Keith mit leiser Stimme. »Du wirst es brauchen.«
Bei seinen Worten platzte mir fast der Kragen, aber ich zwang mich, dieses Gefühl zu ignorieren. Keith war und blieb ein Arsch. Ich brauchte kein Glück, um gut abzuschneiden. Ich besaß Talent, meine Maschine war spitze, und in meinen Adern floss das Blut eines Champions. Das war auf jeden Fall besser als Glück. Hoffte ich jedenfalls. Auf diesem Leistungsniveau hatte ich mich noch nie bewähren müssen, und ich war etwas nervös, weil ich den Erwartungen gerecht werden wollte.
Ich klappte das Visier meines Helms wieder herunter und steuerte die Maschine durch das offene Tor in mein zweites Zuhause. Den größten Teil des Geländes nahm die Trainingsstrecke ein, auf der wir testeten, was wir draufhatten, und die Maschinen an die Leistungsgrenze trieben. Alle Kurven und Schleifen eingerechnet war der Parcours circa drei Meilen lang. Er verfügte über bewegliche Betonwände, mit deren Hilfe wir von Zeit zu Zeit den Verlauf änderten. Obwohl es eine zuverlässige Strategie war, sich die Strecke einzuprägen, wollten wir dennoch imstande sein, auch auf Unerwartetes zu reagieren.
Auf den einander gegenüberliegenden Seiten des Parcours – so weit voneinander entfernt, wie es nur irgend ging – befanden sich die Bürogebäude und die Garagen von Cox Racing und Benneti Motorsport. Bennetis Seite war hell und schick, frisch gestrichen und mit Neonschildern dekoriert, wohingegen Cox’ Seite schon bessere Tage gesehen hatte. Die Garagentore waren verbeult, in der Zufahrt gab es Schlaglöcher, und die Farbe blätterte in großen Placken von den Wänden und bedeckte den Boden wie Schnee. Den Laden zu renovieren stand auf Dads To-do-Liste, doch dafür mussten erst einmal ein paar Rennen gewonnen werden.
Ich fuhr gleich weiter zu den Cox-Garagen und parkte mein Bike vor einem der hochgefahrenen Rolltore. Die Garagenwände waren von Schränken gesäumt, in denen sich jedes erdenkliche Werkzeug fand. Auf Cox’ Seite gab es drei dieser Garagen, in denen alle Rennmaschinen und die Ausrüstung des Teams untergebracht waren. Direkt über den Garagen lagen der Kraftraum für die Rennfahrer und die Büros des Managements.
Als ich hineinging, empfing mich eine Sinfonie aus Klängen: das helle Echo von Metall auf Metall und das hochtourige Heulen von Akkuschraubern. Über allem lag der intensive Geruch von Öl, Schmierfetten und Benzin. Überall um mich herum wurden irgendwelche Höllenmaschinen auseinandergenommen oder wieder zusammengeschraubt. Das vertraute Chaos munterte mich auf, und ich vergaß sofort meinen Ärger wegen Nikki und Keith. Der Ort war ein Paradies für Bastler und Schrauber und mein liebster Platz auf der ganzen weiten Welt. Abgesehen von der Rennstrecke natürlich.
Ich blieb bei meinem normalen Trainingsplan, wärmte mich mit einem Dreimeilenlauf auf dem Laufband auf und schlüpfte dann in meine Lederkombi. Als ich in die Garage zurückkehrte, lief mir Myles über den Weg. »Hey, Kenzie. Bist du fit für die kommende Saison? In den großen Ligen zu fahren, ist deutlich anstrengender als das, was du gewohnt bist.«
Myles war gegenwärtig der zweitbeste Fahrer im Team und kam bei Rennen fast immer unter den ersten zehn ins Ziel. Mein Vater setzte große Hoffnungen auf seine Zukunft und liebte ihn wie den Sohn, den er nie hatte. Allerdings war ich nicht eifersüchtig auf ihn. Ich liebte Myles wie den Bruder, den ich nie hatte.
»Ich bin schon fit auf die Welt gekommen, Myles«, erwiderte ich und gab mich deutlich selbstsicherer, als ich mich eigentlich fühlte. Dad hatte als Neuling damals gleich das erste Rennen gewonnen und auch, wenn er es nicht aussprach, wusste ich doch, dass er dasselbe Ergebnis von mir erwartete. Ich bohrte Myles den Zeigefinger in die Brust und fügte großspurig hinzu: »Genieße deinen Superstar-Status, solange du noch kannst. Wenn die Saison vorbei ist, werden du und Jimmy nicht mehr die Kronjuwelen von Cox Racing sein.«
Jimmy war zurzeit Dads Fahrer Nummer eins. Er hatte das vergangene Jahr als Sechster in der Gesamtwertung beendet und zeigte gute Ansätze, in diesem Jahr endlich Dads Pechsträhne zu beenden und unter den ersten fünf zu landen.
Myles’ dunkelbraune Augen funkelten spöttisch, und er rieb die Hände aneinander, als wolle er sie wärmen. »Superstar, hm? Das gefällt mir. Das sollte ich ausnutzen.« Er breitete die Arme aus, als würde er sich an ein Publikum wenden. »Hallo, die Damen. Wollen Sie sich mit einem Superstar amüsieren?«
Ich wollte ihm gerade eine verpassen, da wurde er plötzlich von einer leeren Motoröldose getroffen. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Nikki endlich aufgekreuzt war – sie kam niemals pünktlich, was durch ihre nächtlichen Eskapaden vermutlich nicht gerade begünstigt wurde. »Bilde dir bloß nichts ein, Myles Kelley. Du bist ja so schon schlimm genug.«
Obwohl Nikki eine geniale Mechanikerin war und niemand außer ihr mein Bike anfassen durfte, war ich immer noch reichlich sauer auf sie, weil ich ihretwegen letzte Nacht kaum Schlaf bekommen hatte. Nikki grinste nur verlegen, als sie meinen genervten Gesichtsausdruck bemerkte. »Und? Gut geschlafen?«
Zur Antwort warf ich ihr einen bösen Blick zu. Myles beugte sich vor und musterte uns beide. »Habe ich etwas verpasst?«
Ich wandte mich zu ihm um und bemerkte trocken: »Nikki hat nur ihr Erstgeborenes an mich verloren.«
Myles grinste und richtete sich auf. »Die Geschichte muss ich hören.«
»Später«, sagte ich und fasste ihn am Ellenbogen. »Wir müssen noch ein paar Runden drehen, bevor der Ring wieder in Feindeshand fällt.«
Myles sah zur Wanduhr und nickte. Jeden Tag schien der Mittag früher zu kommen. »Stimmt. Lass uns gehen.«
Ich entfernte mich von meinen Freunden und ging zu meiner einzigen wahren Liebe: meiner Ducati 848. Sie trug meine Startnummer – die Zweiundzwanzig –, war blau-weiß lackiert, elegant, wunderschön und schneller als jedes andere Motorrad, das ich jemals gefahren hatte. Auf ihr zu sitzen und Vollgas zu geben, fühlte sich an, als wäre man auf ein startendes Flugzeug geschnallt. Sie war ein Kraftpaket, das nur darauf wartete, mich an meine Grenzen zu bringen und voranzutreiben. Mit dieser Maschine konnte ich meinen Vater garantiert beeindrucken.
Nikki wünschte Myles und mir viel Glück und machte sich dann auf den Weg zu ihrer Station, wo sie an meinem Ersatzmotorrad arbeitete, einer anderen Ducati 848. Ich hängte den Helm über den Lenker und schob meine Maschine durch das gewaltige Rolltor nach draußen. Kurz hinter mir folgte Myles mit seinem eigenen Bike – einer schicken blau-weißen Yamaha YZF-R6.
Als Myles und ich uns der Auffahrt zum Ring näherten, sah ich, dass dort eine rot-schwarze Honda über die Piste fegte. Vorn prangte stolz die Startnummer dreiundvierzig. Beim Training im Kraftraum hatte ich die Crew darüber reden hören, dass sie den Streckenverlauf heute geändert hatte, aber so wie die Person hier durch die Kurven glitt, hätte man nicht vermutet, dass sie die Strecke nicht kannte. Die Lenkmanöver waren dermaßen flüssig und geschmeidig, dass das Motorrad fast wie lebendig wirkte, als wüsste es instinktiv, wie es fahren musste, und der Fahrer brauchte sich nur festzuhalten.
Ich kannte alle Fahrer von Cox und Benneti vom Sehen und konnte sie an ihrem Fahrstil identifizieren. Diesen Typen kannte ich ebenso wenig wie seine Maschine.
Ich drehte mich zu Myles um und fragte: »Ist schon Mittag, oder was?« Myles schüttelte den Kopf, und ich kramte angestrengt in meinem Gedächtnis, ob Dad erwähnt hatte, kürzlich jemanden eingestellt zu haben. Mir gegenüber jedenfalls nicht.
»Hast du eine Ahnung, wer dieser Kerl ist und was er auf unserer Strecke zu suchen hat?«
Myles legte nachdenklich den Kopf schief. »Ich weiß nicht. Aber wenn er vormittags auf der Strecke unterwegs ist, dann muss dein Vater ihn eingestellt haben. Die Bennetis wissen, dass sie die Regeln nicht verletzen dürfen. Nicht nach dem, was letztes Mal passiert ist.«
Das letzte Mal, als ein Benneti unsere Strecke vor der offiziellen Zeit betreten hatte, hatte man ihn mit Isolierband an den Fahnenmast mitten auf dem Gelände gefesselt. Und zwar nackt. Das Benneti-Team rächte sich natürlich und zerschlug bei uns alle Fenster und Garagentore. Sie waren immer noch mit Pappen verklebt, weil wir uns die Reparatur nicht leisten konnten. Zum Schutz unseres Kontostandes hatte Dad alle Cox-Fahrer dazu verdonnert, auf weitere Racheaktionen zu verzichten – ganz gleich, wie berechtigt sie auch sein mochten.
Ich ignorierte Myles’ Lachen und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Fahrer zu. Der Neue war schnell und unglaublich gut, sein Timing in den Kurven perfekt. Er beugte sich vor und ließ sich vom Bike hängen, sodass nur der äußere Arm und das Bein über die Mittelachse hinausragten. Sein »Tageslichtwinkel« – der Raum zwischen Innenknie und Motorrad – war so schön, dass Dad ihn vermutlich fotografieren und im Büro an die Wand pinnen würde. Wenn man sich überlegte, wie hart die Konkurrenz im Profibereich war – schon Sekunden entschieden bei Rennen über Sieg oder Niederlage – und wie viel Zeit, Energie und finanzielle Mittel es kostete, neue Fahrer zu trainieren, überraschte es mich nicht, dass der Fahrer Spitzenklasse war. Die nächste Rennsaison stand so kurz bevor, dass jeder, den Dad noch ins Team holte, fantastisch sein musste. Darunter würde Dad es nicht machen, weil er es sich nicht leisten konnte. Was ein weiterer Grund dafür war, warum ich mich derart unter Druck gesetzt fühlte, Leistung zu bringen. Jordan Cox’ Tochter hatte keinen Freifahrtschein. Ich musste mir meinen Platz ebenso verdienen wie alle anderen.
Als Nummer dreiundvierzig seine Runden schließlich beendete und langsam zur Ausfahrt des Rings fuhr, stieß Myles einen leisen Pfiff aus. »Nicht schlecht. Er erinnert mich an dich.« Skeptisch blinzelte ich zu ihm hoch. Seine dunklen Augen funkelten vor Vergnügen. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Gas geben bis zum Anschlag. Als müsstest du da draußen jedes Mal etwas beweisen.«
Er zog eine dunkle Augenbraue hoch und sah mich an, doch ich schwieg. Mich zu beweisen, gehörte für mich zum Tagesgeschäft, und Myles wusste das.
Der Fahrer verließ die Strecke genau dort, wo wir mit unseren Motorrädern standen. Er drosselte das Tempo, hielt direkt vor uns und schaltete den Motor aus. Dann nahm er den Helm ab. Und mir klappte die Kinnlade herunter. Ich bekam Stielaugen. Nein. Das war unmöglich. Doch die lang unterdrückten Gelüste, die allein bei seinem Anblick kribbelnd zu neuem Leben erwachten, sagten mir, dass es doch möglich war. Der Mann, der stolz die Nummer dreiundvierzig trug, war derselbe umwerfend gut aussehende Mann, der heute Morgen das illegale Straßenrennen gewonnen hatte. Was zum Teufel hatte er hier zu suchen – in meinem Revier –, und wie kam er dazu, sich so zu benehmen, als gehöre er hierher?
Im hellen Sonnenlicht sah ich, dass seine Augen einen leichten Grünton hatten. Es lag ein unergründliches Funkeln darin, ein stummes Versprechen, dass jeder neue Tag mit ihm noch verführerischer sein würde als der vorherige. Zusammen mit dem dunkelblonden Haar, der markanten Kinnlinie, seinen perfekten Proportionen und dem athletischen Körperbau, ebenso wie den wunderbar vollen Lippen, die wie eine Verheißung unerhörter Genüsse wirkten, war er wirklich ein Blickfang. Was ich erst letzte Nacht beobachten konnte, als er von Groupies umringt gewesen war, während er illegale Rennen fuhr.
Das war unmöglich. Völlig ausgeschlossen, dass Dad diesen Kerl eingestellt hatte!
Der Fremde sprang von seiner Maschine und fuhr sich mit den Fingern durchs schweißnasse Haar. Die struppigen Strähnen standen jetzt in jede erdenkliche Richtung ab, und die Chaosfrisur sah verdammt gut aus. Ich war so erschüttert, dass mir ein kurzes Japsen entschlüpfte. Reiß dich zusammen, Kenzie.
Er wandte mir seine smaragdgründen Augen zu und musterte mich, woraufhin ich den Atem anhielt und mich ein wenig aufrichtete. Erkannte er mich wieder, so wie ich ihn? Wollte ich das? Verdammt … wie hieß er noch? Und warum hatte er nur so unglaubliche Augen? Grün mit goldenen Sprenkeln, sein Blick war durchdringend und konzentriert. Als würde nichts anderes um ihn herum zählen, wenn er einen ansah – richtig ansah. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er die Strecke mit jenem unerbittlichen Blick vermaß. Und ich konnte mir ebenso gut vorstellen, wie er meine Kurven mit diesem Laserblick betrachtete. Herrgott, nein. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Die Luft zwischen dem Fremden und mir schien vor Spannung zu knistern, als wir einander taxierten. Ich bin mir sicher, dass höchstens eine oder zwei Sekunden vergingen, doch es fühlte sich wie Stunden an. Was zur Hölle hatte er hier zu suchen? Ich konnte mir absolut keinen Reim darauf machen. Bevor ich ihn irgendetwas fragen konnte, streckte Myles die Hand aus. »Myles Kelley. Du bist gut gefahren, Mann. Bist du neu im Team?«
Der Typ riss seinen Blick von mir los, sah zu Myles und schüttelte ihm die Hand. »Hayden Hayes. Und ja, heute ist mein erster Tag.
»Genau«, murmelte ich, als der Groschen langsam bei mir fiel. »Hayden‚ der ungeschlagene Hayes …« Beide Männer drehten sich zu mir um und sahen mich an. Ich lief rot an. Verdammt, das war mir nur so rausgerutscht. Dennoch – trotz seiner Siegesserie beim Straßenrennen hätte Dad Hayden niemals ins Team geholt. Mein Vater suchte ganz sicher nicht in der Gosse nach Talenten.
Ich schüttelte den Kopf und erklärte Hayden mit fester Stimme: »Das hier ist Privatgelände. Du hast hier nichts zu suchen.«
Myles riss vor Schreck die Augen auf, dass ich so mit dem Neuen redete, aber Myles wusste nicht, was ich wusste. »Kenzie …« Du benimmst dich unmöglich. Auch wenn er es nicht aussprach, war völlig klar, was er dachte.
Ich sah zu ihm hoch und machte ein strenges Gesicht. »Dieser Typ ist ein Krimineller, Myles. Dad würde ihn niemals einstellen.«
Myles bedachte mich mit einem Blick, in dem deutlich die Frage lag: Und woher weißt du das? Von Nikkis Wettsucht konnte ich ihm später noch erzählen, momentan wollte ich nur, dass dieser Eindringling – wie heiß er auch sein mochte – von meinem Territorium verschwand. Vermutlich hatte er sich heimlich auf den Ring geschlichen. Am besten riefen wir die Polizei.
Hayden musterte mich kühl. »Nur die Ruhe, Prinzessin. Ich habe dasselbe Recht, hier zu sein wie du.«
Der Ärger, der in mir aufzuckte, verwandelte sich augenblicklich in einen brodelnden Vulkan. »Prinzessin?«, fauchte ich.
Hayden ignorierte meine Wut und redete einfach weiter. Oh Gott, ich hasste es, wenn er den Mund aufmachte. »Wenn du mir nicht glaubst, frag deinen Dad. Ich bin sicher, dass dir Keith gern den Vertrag zeigt, den ich unterschrieben habe.«
Ich fühlte mich, als hätte er mit seinen Worten eine Ladung Schmutz über mir ausgekippt, der sich erst nach Wochen abwaschen ließe. »Keith? Benneti? Du glaubst, er wäre mein … Oh Gott, mir wird schlecht.« Und das entsprach der Wahrheit. Ich musste mir sogar eine Hand auf den Bauch legen.
Als Myles langsam begriff, was Hayden da gerade gesagt hatte, wurde seine Miene ernst. »Moment mal. Du hast bei Benneti Motorsport unterschrieben? Dann hat sie recht. Das ist Hausfriedensbruch. Du darfst nicht hier sein.«
Höchst verwirrt blickte Hayden von Myles zu mir und wieder zu ihm zurück. »Warum zum Teufel denn nicht? Das hier ist eine Trainingsstrecke, und ich trainiere«, stellte er fest. Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. Heiliger Strohsack … wenn er sauer war, sah er sogar noch besser aus.
Ich räusperte mich und schüttelte den Kopf, um das Bild seines zornigen Gesichts aus meinen Gedanken zu vertreiben. Dann erklärte ich ihm die hiesigen Hausregeln, da er diese offensichtlich noch nicht kannte. »Cox Racing hat bis 11:59 Uhr vormittags die Exklusivrechte am Ring. Benneti hat die Strecke bis 23:59 Uhr« – was meinen Vater ärgerte, weil Keiths Team dadurch vorteilhaftere Trainingsstunden hatte; ein weiterer Punkt, über den sie sich beharkten. »Und weil du ein Benneti bist, hast du hier bis Mittag keinen Zutritt.«
Der Hohn in meiner Stimme war nicht zu überhören, als ich seine Teamzugehörigkeit laut aussprach. Ich konnte nicht fassen, dass dieser wahnsinnig attraktive und noch dazu talentierte Arsch für den erbittertsten Konkurrenten meines Vaters ins Rennen ging. Andererseits war das viel logischer, als dass er für unsere Seite fuhr. Keith hatte keine Hemmungen, sich jemanden aus der Gosse zu holen.
Hayden lachte und stutzte, als wir nicht mitlachten. »Moment mal, ihr meint das tatsächlich ernst? Ist das wirklich ein Problem? Ein paar von den Jungs haben es erwähnt … aber ich dachte, die wollten mich bloß auf den Arm nehmen.« Er verzog das Gesicht, als hätten ihn seine Teamkameraden schon viel zu oft mit ihren blöden Witzen aufs Kreuz gelegt. Ich hatte Mitgefühl. Mit ihnen.
»Ja, das ist durchaus ein Problem«, erwiderte ich kühl. »Du verstößt gegen eine sehr wichtige Regel und musst hier verschwinden. Und zwar sofort.«
Hayden quittierte meine Worte mit einem stummen Grinsen, als interessierten ihn die Regeln des Parcours einen Dreck. Das würde sich noch ändern, wenn ihm Keith erst Bescheid stieß. Cox hatte die Regeln nicht allein aufgestellt. »Gut zu wissen, Süße.«
»Du bist hier nicht willkommen«, giftete ich zurück. »Und ich heiße Mackenzie. Mackenzie Cox. Ich bin Jordan Cox’Tochter und fahre für Cox Racing. Nicht ›Baby‹, nicht ›Schätzchen‹ oder ›Süße‹ und ganz sicher auch nicht ›Prinzessin‹.« Ich stieß das Wort hervor wie eine zischende Schlange.
Nachdem ich mit meinem Vortrag fertig war, zog Hayden eine Augenbraue hoch. Durch die Härchen zog sich eine feine, entzückende Narbe, die unübersehbar von irgendeiner Heldentat kündete. Wenn er nicht aufpasste, konnte er bald eine neue Narbe in seine Sammlung aufnehmen. »Moment mal – du bist die Tochter von Jordan Cox … dem Besitzer von Cox Racing?« Er musterte meine Ducati, dann wieder mich und fuhr spöttisch fort: »Das erklärt eine Menge. Papa lässt dich also Rennen fahren, ja? Wie süß. Aber dumm. Das ist kein Spiel, das macht man nicht mal so eben nebenbei. Dieser Sport ist gefährlich. Wenn ich dein Vater wäre, hätte ich dir geraten, hinter der Seitenlinie zu bleiben. Dich vielleicht zum Modeln ermuntert. Hübsch genug bist du ja. Und ein Boxenluder, das ihm den Sonnenschirm hält, kann schließlich jeder Fahrer gebrauchen.« Er beugte sich grinsend vor. »Schließlich kann es ganz schön heiß werden.«
Boxenluder? Wollte er mich verarschen? »Dann habe ich ja Glück, dass du nicht mein Vater bist«, knurrte ich. Die Wut, die in mir brodelte, erreichte allmählich den Siedepunkt. Zu gefährlich für ein Mädchen wie mich? Blödsinn. Ich wusste genau, wie gefährlich dieser Sport sein konnte – den Beweis dafür sah ich jedes Mal, wenn Keith über den Parkplatz humpelte –, aber das Risiko zählte nicht: Rennen waren mein Leben. So war es schon immer gewesen, und so würde es bleiben.
Als Hayden langsam den Kopf schüttelte, ballte ich meine Hand zur Faust. Noch nie war ich derart wütend gewesen, dass ich jemanden schlagen wollte – jetzt war ich so weit. Ich wollte ihm eine verpassen, ihn auf die Piste nageln und so lange mit meiner Maschine über ihn fahren, bis er begriff, dass ich ihm ebenbürtig war. Mir klingelte noch sein »Hübsch genug bist du ja« in den Ohren. Ich riss meinen Arm nach hinten und setzte zum Schlag an. Hoffentlich tut es nicht allzu weh. Es wäre mir den Schmerz allerdings wert.
Doch bevor ich ihm eine verpassen konnte, griff Myles meinen Unterarm. »Hör auf, Kenzie.« Er beugte sich zu mir herunter und sah mir in die Augen. »Du weißt doch, was dein Vater immer sagt: Kontrolle ist Macht. Du bist besser als dieser Typ. Lass ihn nicht gewinnen.«
Hayden lachte wieder, dann schüttelte er erneut den Kopf. »Ihr beide seid ein bisschen verspannt, oder? Dann schaute er mir tief in die Augen und gurrte: »Ich könnte dir beim Auftauen helfen, Eiskönigin. Und wer weiß, vielleicht wirst du ja sogar ein bisschen schneller, wenn du alles etwas lockerer siehst … falls du immer noch darauf bestehst, diesen Rennkram auszuprobieren. Ich persönlich finde ja, du solltest bei den Ponys bleiben.«
Normalerweise konnte mich nichts dazu bringen, die Beherrschung zu verlieren, aber ich schwöre, ich sah rot. »Lass mich ihm eine verpassen, Myles. Nur ausnahmsweise.«
Myles seufzte und hielt weiterhin meinen Arm fest. »Du weißt, dass ich das nicht zulassen darf, Kenzie. Und du weißt, dass wir eigentlich gar nicht mit ihm reden dürfen. Er ist ein Benneti.«
Er flüsterte das Wort wie einen Fluch, und ich verstand, warum. Dass man sich auf dem Trainingskurs an die vereinbarten Zeitfenster hielt, war nicht die einzige Regel, die hier galt. Beide Teams hatten ein Kontaktverbot, und wer sich, auf welche Weise auch immer, mit einem Mitglied des anderen Teams einließ, musste mit ernsten Folgen rechnen. Erst letztes Jahr wurden zwei Fahrer aus den miteinander konkurrierenden Teams gefeuert, weil sie in ihrer Freizeit zusammen Fußball gesehen hatten. In diesem einen Punkt waren Dad und Keith sich ganz einig, und wir waren mehrfach gewarnt worden, dass es zur fristlosen Kündigung führte, wenn man uns beim Rumhängen mit einem Benneti erwischte.
Myles sah zu Bennetis Seite des Rings, dann wieder zu mir. »Außerdem sieht es sowieso danach aus, als bekäme er gleich Gesellschaft.«