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Wage eine zweite Chance ...
Quinn Millard kann es kaum erwarten, ihrem Verlobten Troy - dem erfolgreichsten Baumagnaten New Yorks - in wenigen Wochen das Jawort zu geben. Doch dieser Plan gerät gehörig ins Wanken, als sie im Urlaub auf Hawaii plötzlich dem Besitzer ihres Luxushotels begegnet: Jackson Orwood, ihrer ersten großen Liebe! Sie wollte ihn nie wiedersehen, und doch knistert es gewaltig zwischen ihnen. Und auf einmal steht Quinn vor der Entscheidung ihres Lebens: Heiratet sie ihren Traumprinzen oder riskiert sie alles für ihre Jugendliebe, die sie nie vergessen konnte?
"Humorvoll, sexy, tiefgründig und mitten ins Herz: In DARE TO DREAM nimmt April uns erneut mit auf eine romantische und berührende Reise." NINA FROST
Band 2 der romantisch-leichten DARE-TO-LOVE-Reihe
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Seitenzahl: 515
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Playlist
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von April Dawson bei LYX
Impressum
APRIL DAWSON
Dare to Dream
ROMAN
In wenigen Wochen wird die Anwältin Quinn Millard den heißesten Junggesellen New Yorks heiraten. Um die Zeit vor der Hochzeit ohne Stress und Arbeit verbringen zu können, will Quinn mit ihrem Verlobten vor dem Jawort noch einmal die Seele baumeln lassen. Doch der Erholungsurlaub auf Hawaii verläuft ganz anders als geplant: Troy arbeitet rund um die Uhr, und als Quinn dann auch noch dem Besitzer ihres Luxushotels gegenübersteht, gerät ihre Welt gehörig ins Wanken. Denn es handelt sich um niemand Geringeren als Jackson Orwood: ihre erste große Liebe und der Mann, der ihr Herz einst in tausend Scherben zerbrechen ließ. Und als sie sich jetzt nach all den Jahren wiedersehen, ist Quinn nicht mal mehr ganz sicher, ob sie je über ihn hinweggekommen ist! Zu stark sind die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit, zu tief sitzt der Schmerz, den sein Verlust in ihrer Seele hinterlassen hat – und noch immer knistert es bei jeder Begegnung gewaltig zwischen ihnen. Quinn steht plötzlich vor der härtesten Entscheidung ihres Lebens: Heiratet sie wie geplant ihren Traumprinzen in New York oder riskiert sie alles für ihre Jugendliebe, die sie nicht vergessen kann?
Für alle, die es wagen zu träumen
Goo Goo Dolls – Iris
Hey Ocean! – Islands
Heize – You’re Cold
One Direction – 18
James TW – Incredible
Blackpink – Stay
Grace Grundy – Put Me Back Together
Lord Huron – The Night We Met
Maggie Lindemann – Couple Of Kids
Wonho – Losing You
Oscar Dunbar – Spring Rain
BTS – Black Swan
James Morrison feat. Jessi J – Up
Heize feat. Shin Yong Jae – You, Clouds, Rain
Louis Tomlinson – Too Young
Janet Suhh – In Silence
One Direction – Half a Heart
Masie Peters – Favourite Ex
Lizzie Cates – Stranges
Elina – Free
Ich werde geliebt. Es dauerte einige Jahre, bis ich das realisieren konnte, da ich ohne Zuneigung und liebevolle Eltern aufwuchs. Mein Vater hasste mich, und das ließ er mich nie vergessen. Die Schläge, die er austeilte, wenn er getrunken hatte, waren nicht so schlimm wie die harten Worte, die er mir an den Kopf warf und die sich tief in meiner Seele verankerten. Doch heute haben seine Worte und Taten keine Wirkung mehr auf mich, denn ich hatte Menschen in meinem Leben, die mich liebten, und das konnte mir niemand mehr nehmen.
Mein siebzehnter Geburtstag begann mit einem Blick aufs Handy, und ich musste sofort lächeln:
Jackson: Nie war ich dankbarer in meinem Leben. Ich bin so glücklich, einen Menschen wie dich zu kennen und dich meine Freundin nennen zu dürfen. Zu deinem Geburtstag wünsche ich dir genauso viel Glück, wie du es mir geschenkt hast, und noch so viel mehr. Ich liebe dich und freue mich auf heute Abend, wenn ich dich endlich küssen darf.
Grinsend vergrub ich mein Gesicht im Kissen und seufzte verliebt auf. An diesem Morgen fühlte ich mich, als könne ich die ganze Welt umarmen, und wusste, dass es ein unvergesslicher Tag werden würde. Nur war mir da noch nicht bewusst, dass er mir auf schmerzliche Weise für immer im Gedächtnis bleiben würde.
Es fing bereits am Nachmittag an, als ich mich mit Frau Raxton, der Sozialarbeiterin, in die Haare gekriegt habe. Natürlich musste sie an meinem Geburtstag an mir herumnörgeln und das ohne triftigen Grund. Sie brauchte einfach jemanden, an dem sie ihre schlechte Laune auslassen konnte, und das war meist ich. Das hat mich so mitgenommen, dass ich nur ins Bett gehen und schlafen wollte.
Doch mein bester Freund Dorian, den wir aber alle Ian nennen, machte mir einen Strich durch die Rechnung. Er erklärte mir, wie wichtig Geburtstage waren, dass wir uns glücklich schätzen mussten, gesund und wohlauf zu sein. Er gab sich Mühe, mich verstehen zu lassen, dass niemand das Recht hatte, mir meinen besonderen Tag zu vermiesen. Selbst Hayden stimmte ihm zu. Ians Rede war so herzerwärmend, dass ich mich schließlich doch überreden ließ, etwas zu unternehmen. Ich dachte, dass wir einfach in ein Diner gehen und uns Fast Food reinschaufeln würden, doch die Jungs waren unglaublich aufmerksam, hatten einen Tisch in einem italienischen Restaurant reserviert und mir sogar eine Geburtstagstorte besorgt. Wir bekamen nur wenig Taschengeld von der Einrichtung, und dieser Abend musste die beiden ein Vermögen gekostet haben. Hayden schenkte mir ein Tagebuch und einige Notizbücher, da er weiß, wie sehr ich es liebe, Listen zu schreiben, und Ian hatte mir Ohrringe überreicht und mir einen Song gewidmet, den er geschrieben hat. Er versprach, ihn mir vorzusingen, wenn wir alleine sein würden, und bei seiner wunderbaren Stimme wusste ich jetzt schon, dass ich eine Gänsehaut bekommen würde.
Es war ein gelungener Geburtstag, den ich zuerst mit meiner Familie und dann mit meinem Freund feiern würde. Nachdem meine Kindheit von Schlägen und Demütigungen geprägt war, konnte ich erst im Teenageralter behaupten, mich als Teil einer Familie zu fühlen. Es ist nicht die, in die ich hineingeboren wurde, aber die, für die ich sterben würde.
Wir verließen das Restaurant um dreiundzwanzig Uhr, und auch wenn ich meinen Freund in einer Stunde sehen würde, tanzten jetzt schon wilde Schmetterlinge in meinem Bauch, wenn ich nur an ihn dachte. Wir waren mittlerweile seit einem Jahr zusammen, und doch war die Verliebtheit und das Knistern immer noch stark. Da er wusste, wie viel mir meine Freunde bedeuten, wollte er, dass ich den Abend mit ihnen verbrachte, ehe er sich um Mitternacht in mein Zimmer schleichen würde, um mir einen Kuss zu stehlen. Aber all das wurde plötzlich nebensächlich, als wir einen markerschütternden Schrei hörten. Allein vom Klang bekam ich eine Gänsehaut, und ich werde diesen Moment nie wieder vergessen. Während Hayden und ich uns verwirrt umsahen, setzte sich Ian sofort in Bewegung, um die Ursache des Geräuschs ausfindig zu machen.
Lange musste er nicht suchen, denn in einer dunklen Gasse fand er ein älteres Pärchen, das von zwei Männern bedrängt und allem Anschein nach auch beraubt wurde. Ian versuchte, mit den Männern zu reden, näherte sich ihnen langsam und wollte vermitteln, doch es war sinnlos. Die beiden sahen für mich wie Kleinkriminelle aus, solche, die zwar randalierten, dealten, Autos knackten und Menschen ausraubten, aber die Finger von den harten Verbrechen ließen. Zumindest hoffte ich inständig, dass ich mit meiner Einschätzung richtig lag, als einer der beiden Männer langsam auf Ian zuging. Die Wut in den Augen dieses Kerls machte mir Angst. Panische Angst.
Mein Bruder wird sterben. Dieser Gedanke vertrieb meine Lähmung, und ich setzte mich endlich in Bewegung. Ich sollte eigentlich meinen Geburtstag mit meinen Brüdern im Geiste verbringen, aber nun befand ich mich in einer dunklen Gasse und sah geschockt auf das Messer, das plötzlich in der Hand des einen Typen aufblitzte. Er griff Ian an, der sich allerdings zu verteidigen wusste. Das war uns allen klar, schließlich lebten wir alle in einem Waisenheim und hatten schon so einiges einstecken müssen.
Der andere ging ebenfalls zum Angriff über und stürzte sich auf meine Brüder. Dann herrschte plötzlich Chaos. Das Paar, das von den Männern bedroht wurde, mischte sich ebenfalls ein.
Dann stand der Verbrecher plötzlich vor mir und holte mit dem Messer aus, doch aus heiterem Himmel stellte sich die Frau vor mich, eine Fremde, und schützte mich, als ich es selbst vor Schock nicht konnte. So nobel ihre Geste auch war, sie war leichtsinnig gewesen und wurde vom Messer erfasst. Ich konnte nur noch panisch zu der Frau blicken, die mich mit weit aufgerissenen Augen ansah, ehe sie unsanft zu Boden fiel und aufkeuchte. Es war mir unmöglich, mich zu rühren, denn ich sah nur sie und nichts anderes.
Mich mit Fäusten zu verteidigen wäre kein Problem für mich, doch wenn man auf eine Klinge sieht, stellt man alle seine Fähigkeiten infrage. Ich hörte Ian noch dumpf meinen Namen schreien, doch da war es schon zu spät. Ich sah den Mann nicht kommen, sondern fühlte nur den Schmerz. Nun wurde auch ich durch das Messer verletzt und stöhnte auf. Wie tief der Schnitt war, konnte ich nicht erahnen, ich war unfähig zu denken oder mich zu bewegen. Da meine Beine mich nicht halten konnten, fiel ich, wie die Frau zuvor auch.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass die Männer abzogen. Ich hörte die panischen Stimmen meiner Brüder, die auf mich zuliefen, bis sich der Schmerz mit einer einnehmenden Kälte vermischte und mir das Bewusstsein rauben wollte. War es der Schock, der mich benommen werden ließ? Was es auch war, es machte mich unglaublich müde. Ich spürte, wie Ian meine Hand hielt und mich unter Tränen anflehte durchzuhalten.
Schwach bekam ich mit, dass Ian und Hayden nicht von meiner Seite wichen und einen Krankenwagen riefen. Alles tat weh, und mein ganzer Körper zitterte, aber ich wollte mich nicht der Taubheit hingeben. Vorher hatte ich Angst gehabt, dass meiner Familie etwas passieren könnte, aber nun lag ich hier und tat alles, um nicht ohnmächtig zu werden. Als der Schmerz unerträglich wurde, schloss ich die Augen und sah nur ihn. Den Mann, der im letzten Jahr all meine Gedanken eingenommen und schließlich mein Herz gestohlen hatte. Er rettete mich auf viele Arten und liebte mich, wie es noch nie jemand getan hatte.
Sein zerzaustes Haar, die türkisblauen Augen, die mich an einen klaren Bergsee erinnerten, und dieses sorglose Lächeln, das nur mir galt und mich verzaubert hatte. In nur wenigen Monaten war Jax meine Welt geworden und es überrascht mich nicht, dass ich in meinen schlimmsten Momenten an meine erste und einzige Liebe dachte, denn er ist es. Er wird es immer sein.
»Das Gericht ruft Olivia Mortimer in den Zeugenstand!« Ich nicke meiner Klientin aufmunternd zu, als sie sich von ihrem Platz erhebt und der Aufforderung nachkommt. Sie ist eine brünette, eher zierliche Frau, schüchtern und mit einem guten Herzen, nur leider hat sie den großen Fehler begangen, ein Arschloch zu heiraten, das sie nun um ihr Geld bringen will. Sie vermeidet es, ihrem Ex-Mann in die Augen zu sehen, zu sehr hat er sie erniedrigt. Es ist keine fünf Monate her, dass sie mich in der Kanzlei aufgesucht hat. Damals wie heute wirkt sie auf mich wie eine graue Maus, eine Person, die unter keinen Umständen auffallen möchte.
Ich hatte mir nichts dabei gedacht, bis sie mir ihre Geschichte anvertraut hatte. Nicht nur ein Mal musste ich schlucken und war den Tränen nahe, als Olivia in meinem Büro plötzlich anfing, lauthals zu schluchzen. Der Mann, der sie wertschätzen, respektieren und lieben sollte, hatte sie wie Dreck behandelt. Nicht mit Fäusten. Er hatte ihr niemals körperlich wehgetan, dafür aber mit Worten, und das schmerzt genauso sehr. Ihr Ex und sie waren kinderlos geblieben, was sie immer bedauert hat. Jetzt aber ist sie froh, mit diesem herzlosen Menschen keine Kinder in die Welt gesetzt zu haben.
Eine Scheidung hat Olivia nicht in Betracht gezogen, da sie einen Ehevertrag unterzeichnet hat, in dem festgehalten ist, dass derjenige, der die Scheidung einreicht, auf seine Hälfte des ehelichen Vermögens verzichtet. Weitere Punkte umfassten Gewalt in der Ehe und Betrug. Es ist ein schwachsinniger Knebelvertrag, den ich in dieser Form noch nie gesehen hatte, aber leider ist er rechtsgültig, und als Olivia die Scheidung einreichte, verlor sie ihren Anspruch auf das gemeinsam erwirtschaftete Vermögen.
Nach unserem ersten Gespräch war ich derart ergriffen, dass ich den Fall unbedingt übernehmen wollte – und das pro bono. Was bedeutet, dass ich für meine Dienste keinen einzigen Penny verlange. Vielleicht liegt es an meiner Kindheit und Jugend, die ständigen Demütigungen durch meinen Vater, aber solche Fälle, in denen es um Gerechtigkeit für unterdrückte Frauen geht, gehen mir unheimlich nahe. Deshalb bin ich hier, um für sie zu kämpfen. Der Gerichtsdiener kommt mit einer Bibel auf sie zu, und sie muss unter Eid schwören, die Wahrheit zu sagen. Egal, wie weh sie auch tut. Ich stehe auf und streiche meinen Bleistiftrock glatt, ehe ich auf meine Mandantin zugehe.
»Mrs Mortimer. Als sie ihren Mann geehelicht haben, haben Sie da bewusst den Ehevertrag unterschrieben, den ich hier in der Hand halte?« Ich zeige ihn den Zuschauenden und dem Anwalt der Gegenseite, der diesen schon mehrmals durchgesehen hat.
»Ja, das habe ich.« Ihre Stimme ist etwas zittrig, sodass sie sich ein paarmal räuspern muss, damit man sie versteht.
»Euer Ehren. Dieses Schriftstück besagt, dass, sobald einer der Eheleute sich ohne triftigen Grund von seinem Partner oder seiner Partnerin trennt, er oder sie somit auf das gesamte gemeinsam erwirtschaftete Vermögen verzichtet.« Ich reiche das Dokument der Richterin, die entsprechende Stelle habe ich für sie mit einem Post-it markiert.
»Ich sehe. Fahren Sie fort, Miss Millard.« Sie rückt ihre Brille zurecht und blickt mich abwartend an. Ich baue eine strategische Pause ein und gehe ein paar Schritte, ehe ich mich wieder Olivia zuwende.
»Mrs Mortimer. Wieso haben Sie die Scheidung eingereicht?«
»Weil er mich zerstört hat«, flüstert sie leise und blickt auf ihre im Schoß verschränkten Finger.
»Bitte sprechen Sie klar und deutlich, Mrs Mortimer«, weist sie die Richterin zurecht.
»Er hat mich gedemütigt, auf viele Arten verletzt, ohne je Hand an mich gelegt zu haben. Er hat mich monatelang schlichtweg ignoriert. Bis ich nicht mehr so leben konnte.« Nun blickt sie zum ersten Mal zu dem Mann, der sie hätte lieben sollen. Der verdreht jedoch nur die Augen, wie ich aus dem Augenwinkel wahrnehme. Ich balle kurz die Hände zu Fäusten, aber der kleine Wutausbruch verebbt ebenso schnell, wie er gekommen ist.
»Was genau hat er getan?«, will ich wissen und blicke wachsam in seine Richtung.
»Er hat mich angeschrien, weil ihm das Essen nicht geschmeckt hat. Er hat sich abfällig über meine Figur geäußert und bei jeder Gelegenheit vor seinen Freunden und der Familie niedergemacht. Er hat meinen Hund überfahren, der zehn Jahre lang mein Ein und Alles war, und meinte später nur, dass er ihn nicht gesehen hätte. Aber das glaube ich nicht.«
»Würden Sie es als systematische Grausamkeit bezeichnen?«, frage ich sie und vernehme daraufhin ein Schnauben im Saal.
»Einspruch!«, ruft der gegnerische Anwalt aus.
»Abgelehnt. Fahren Sie fort, Mrs Mortimer« Die Richterin ist nun ziemlich ergriffen, als Olivia endlich von dem Albtraum ihrer Ehe berichtet. Dann erzählt sie davon, dass er tagelang auf Geschäftsreisen war, ohne sich je zu melden und sie entweder beschimpft hat oder ihr aus dem Weg gegangen ist.
»Keine weiteren Fragen«, sage ich und lächle Olivia aufmunternd zu, denn sie wird jetzt viel Kraft brauchen, wenn Clive Kenstone die Befragung startet. Er ist ein Arsch, aber ein hervorragender Anwalt, der einen im Zeugenstand zum Schwitzen bringen kann. Wie erwartet verunsichert er meine Mandantin und stellt sie als liebeskrankes Püppchen dar, was natürlich eine Lüge ist. Aber ich kann hier nichts tun, außer zuzusehen und zu hoffen, dass diese starke Frau noch ein wenig länger durchhält, denn ich habe ein Ass im Ärmel, auch wenn es bis jetzt noch nicht den Saal betreten hat. Nachdem die Fragen durch sind, bittet Clive seinen Mandanten in den Zeugenstand.
Mit einem selbstgefälligen Grinsen geht dieser Dreckskerl lässig zu seinem Sitzplatz, und mir wird übel, wenn ich ihn nur ansehe. Er spiegelt seinen miesen Charakter in jedem Atemzug wider, aber ich habe Geduld und gebe mich cool, während er seine Lügen verbreitet, denn ich habe keinen Zweifel daran, dass ich für Olivia diesen Fall gewinnen werde, ich muss nur noch ein wenig Geduld haben. Ich blicke auf meine Armbanduhr und frage mich, wieso Kimmy so lange braucht, verziehe aber keine Miene. Als ich dann mit der Befragung dran bin, werde ich langsam nervös, denn es läuft nicht nach Plan, so viel steht fest.
»Mr Mortimer. Wie hoch ist Ihr Vermögen?«, frage ich und blicke ihm direkt in die Augen. Er mag seine Frau eingeschüchtert haben, aber mich kriegt dieser Snob nicht klein.
»Derzeit beläuft es sich auf zwanzig Millionen Dollar.« Er reckt stolz das Kinn in die Höhe und blickt provokativ zu Olivia, die sofort den Kopf abwendet.
»Ich verstehe. Wenn sie nun die Hälfte an ihre Ex-Frau abgeben würden, bliebe Ihnen trotzdem noch ein hübsches Sümmchen über. Finden Sie nicht?«
»Einspruch! Worauf will sie hinaus?«, wirft Clive erbost dazwischen. Wie immer hat er keinerlei Geduld.
»Abgelehnt«, teilt ihm die ehrenwerte Richterin mit.
»Antworten Sie! Hier spielt Ihre persönliche Meinung ebenfalls eine Rolle.«
»Natürlich würde ich dann nicht am Hungertuch nagen, aber wenn sie sich nicht von mir scheiden lassen wollte, würde sie noch immer über unser Vermögen verfügen.«
»Aber sie musste sich von Ihnen trennen, sie konnte gar nicht anders, nachdem Sie ihr systematisch das Leben zur Hölle gemacht haben.«
»Das ist eine Lüge.« Genau in dem Moment öffnet sich die Tür zum Gerichtssaal, und ich blicke erleichtert zu Kimmy, meiner Assistenz-Anwältin, die zügigen Schrittes auf mich zugelaufen kommt.
»Hast du es?«, flüstere ich, woraufhin sie heftig nickt.
»Es war nicht einfach, aber ich habe es schon dem Gerichtsdiener ausgehändigt, der es auf den Laptop der Richterin übertragen wird.«
»Gute Arbeit! Danke.« Sie nickt mit einem erfreuten Gesichtsausdruck, da auch sie weiß, dass wir den Fall so gut wie gewonnen haben.
»Viel Glück.« Während sie bei den anderen Zuschauenden auf der Bank Platz nimmt, drehe ich mich mit einem strahlenden Lächeln wieder zu dem Arschloch um. Ich möchte ihm endlich geben, was er verdient.
»Euer Ehren. Meine Assistentin hat mir soeben ein weiteres Beweisstück nachgereicht, das nun zugunsten meiner Mandantin entscheiden wird.«
»Ich habe es schon erhalten. Gerichtsdiener, machen Sie den Beamer bereit!« Während der Laptopbildschirm auf die Leinwand übertragen wird, wende ich mich dem Mann im Zeugenstand zu. Sein vorhin noch selbstgefälliges Grinsen ist nun wie weggewischt, und mir scheint, als wäre er ziemlich nervös geworden, weil er nicht einordnen kann, was ich wohl zeigen werde. Genau diese Reaktion hatte ich mir erhofft. Sein Anwalt versteift sich und blickt auf die Papiere vor sich, als würden sie ihm dabei helfen, sich für das zu wappnen, was ich nun offenbaren werde.
»Mr Mortimer. Der Ehevertrag, den Sie und Ihr Anwalt aufgesetzt haben … welche Gründe wurden dort angeführt, die nicht zum Verlust des Vermögens führen?«
»Gewalt in der Ehe, Tod des Ehepartners und Betrug.«
»Danke! Ich würde nämlich gern auf den letzten Punkt genauer eingehen.«
»Aber sicher«, antwortet er und mustert mich, die Überheblichkeit ist auf sein Gesicht zurückgekehrt. Er glaubt, dass er als Gewinner hervorgehen wird, aber da hat er sich mit der Falschen angelegt.
»Stimmt es, dass Sie eine Affäre hatten, bevor Mrs Mortimer die Scheidung eingereicht hat?« Er verzieht nicht einmal eine Miene.
»Nein, das ist nicht wahr.«
»Sind Sie aktuell in einer Beziehung?«, hake ich gespielt neugierig nach.
»Ja, das bin ich. Meine Freundin sitzt in diesem Raum.« Ich gehe gar nicht auf die Frau ein, denn ich kenne ihr Gesicht schon längst, und das wird auch bald jeder hier im Saal tun.
»Wann sind Sie mit ihr zusammengekommen?«
»Am ersten April dieses Jahres.« Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, wobei ich meinen Arsch darauf verwetten würde, dass er dies nur tut, um Olivia weiterhin zu piesacken.
»Also zwei Tage, nachdem Ihre Frau die Scheidung eingereicht hat? Sehe ich das richtig?«
»Korrekt. Somit habe ich rechtlich keinen Fehler begangen. Ich habe sie nicht betrogen, sie hat sich vorher von mir getrennt und will mit dieser Verhandlung nur das Unvermeidliche hinauszögern. Der Vertrag ist wasserdicht, und daran kann nicht gerüttelt werden.«
»Da stimme ich Ihnen zu. So sieht es der Ehevertrag vor. Euer Ehren, wenn Sie erlauben, würde ich gerne das Videomaterial abspielen.«
»Ich bitte darum.« Ich nicke dem Gerichtsdiener zu, und dieser startet die Aufnahme.
»Das ist die Kamera des Geldautomaten an der Fifth Avenue, wo Sie ja täglich ein und aus gehen, da sich Ihr Büro in der Nähe befindet, stimmt das so?«
»Das ist richtig«, sagt er, nun nicht mehr so selbstsicher wie vor ein paar Minuten.
»Gut. Ich möchte Euer Ehren nochmals bitten, hier das Datum zu beachten. Es handelt sich um den 29. März, also einen Tag, bevor meine Mandantin die Scheidung eingereicht hat.« Es dauert keine zehn Sekunden, als auch schon die sündhaft schöne Latina zu sehen ist, die auch in diesem Raum sitzt. Als der Beklagte sie erkennt, wird er ziemlich blass um die Nase. Er hatte sich in einem Bereich mit ihr getroffen, in dem keine Kameras an den Gebäuden befestigt sind, aber die Kamera des Geldautomaten hatte er anscheinend vergessen.
»Erkennen Sie die Frau auf dem Video, Mr Mortimer?«
»Ähm … ja, das ist meine Freundin Sofia.«
»Danke, und erkennen Sie auch den Mann, der sie von hinten umarmt und schließlich auf den Mund küsst?« Ich kann es mir nicht verkneifen, boshaft zu grinsen, als er selbst merkt, dass er verloren hat.
»Das bin ich.«
»Ich wiederhole, der Beklagte hat sich selbst auf dem Video erkannt.«
»Einspruch. Das Videomaterial ist nicht zulässig.«
»Abgelehnt! Hierbei handelt es sich um eine öffentliche Kamera der Vereinigten Staaten, und diese Aufnahmen sind sehr wohl rechtskräftig.« Das Video wird gestoppt, und ich drehe mich zu Olivia, die mich teils geschockt, teils ungläubig ansieht. Sie hat es nicht gewusst, und auch ich habe es erst durch Levi Wright, einen begnadeten Detektiv, erfahren, aber das Wichtigste ist, dass es den Gewinn dieses Prozesses für uns bedeutet. Richterin Brown braucht nicht lange, bis sie eine Entscheidung trifft und alle im Saal bittet, sich zu erheben.
»Nachdem die Beweisführung abgeschlossen ist, habe ich ein Urteil gefällt. Das Gericht entscheidet zugunsten von Olivia Mortimer, da ihr Mann gegen den Ehevertrag verstoßen hat. Sie erhält ihre Hälfte des derzeitigen Vermögens, dessen Überweisung Mr Mortimer umgehend einzuleiten hat. Die Verhandlung ist beendet.« Ein Hammerschlag besiegelt unseren Triumph und lässt mich innerlich jubeln. Ich eile auf Olivia zu, um ihr als Erste zu gratulieren.
»Das ist jetzt nicht wahr, oder?«, sagt sie und zittert wie Espenlaub. Ich drücke ihre Schultern und lächle sie breit an.
»Doch, das ist es. Sie bekommen die Hälfte, die Ihnen zusteht, und werden in Zukunft keine Geldsorgen mehr haben.« Tränen schimmern in ihren Augen und lassen auch mich schlucken. Ich bin während der Verhandlung tough und stark, aber jetzt, da meine Mandantin emotional wird, färbt es auch auf mich ab.
»Ich danke Ihnen, Quinn.« Sie nimmt mich fest in den Arm, und ich erwidere die Geste, denn ich freue mich ehrlich für sie. Wenn Frauen unterdrückt werden, fühle ich immer ganz besonders mit und gebe alles, um ihnen zu helfen. Diese Umarmung ist für mich mehr wert als eine Million Dollar, denn die Genugtuung, jemandem geholfen zu haben, der ebenso gelitten hat wie ich als Kind, bedeutet mir so viel. Dies hier ist nicht nur ein Fall für mich, eine Akte, die ich ablege, sondern eine junge Frau, die den Fehler gemacht hat, aus Liebe einen unsinnigen Ehevertrag zu unterschreiben. Mr Mortimer brüllt Clive an, ehe er aus dem Saal stürzt, ohne seine Freundin auch nur anzusehen. Während Olivia mit ihrer Familie jubelt, reiche ich Clive die Hand.
»Nichts für ungut, Kollege.«
»Gut gemacht, Quinn. Ich wusste ja, dass ich dich nicht unterschätzen darf.«
»Den Fehler machen die meisten.« Viele glauben, dass ich Anwältin geworden bin, weil meine Mutter die Fäden gezogen hat und ich ohne Talent die Kanzlei geerbt habe. Aber ich liebe die Momente, wenn sie erkennen, dass sie sich täuschen. Denn ich bin verdammt gut in dem, was ich tue.
»Beim nächsten Mal lasse ich dich nicht so einfach gewinnen.«
»Du hast keine Chance.« Er lächelt mich an, als würde er mir nicht glauben wollen. Auch wenn es mittlerweile viele Anwältinnen gibt, glauben manche Kollegen, dass diese nichts im Gerichtssaal verloren haben.
»Das Selbstbewusstsein hast du wohl von deiner Mom.«
»Nicht nur das, sondern auch das Talent, die Wahrheit ans Licht zu bringen.« Meine Mom ist unter den Anwälten eine Legende und die erste Frau, die auch unter den Großen der Anwaltsbranche akzeptiert wurde. Eine Tatsache, die mir immer noch verhasst ist. Dass man sich als Frau Vorurteilen stellen und hart um den Erfolg kämpfen muss.
»Na dann. Man sieht sich, Clive«, verabschiede ich mich, ehe ich mit meiner Mandantin zur Feier des Tages essen gehe.
Ein eiskalter Wind wirbelt meine offenen Haare durcheinander, als ich aus dem Taxi aussteige, das vor meinem Kanzleigebäude hält. Ein weiteres Zeichen, dass der goldene Herbst, der uns die letzten Wochen mit viel Sonnenschein verwöhnt hat, vorbei ist. Auch wenn ich mich anfangs gegen den Vorschlag meiner Schwiegermutter in spe, die Hochzeit auf den Februar zu verschieben, ausgesprochen habe, hat es auch etwas Gutes, denn ich kann wochenlang im Urlaub und in den Flitterwochen dem kalten Winter New Yorks entfliehen. Ich ziehe meinen Wintermantel enger um mich und gehe zum Eingang. Dabei mache ich mir eine geistige Notiz, bald auf Winterstiefel umzusteigen und ein Paar Pumps in der Handtasche für die Verhandlungen mitzunehmen.
Ich mag die kalte Jahreszeit nicht. Klar sehe ich gerne aus dem Fenster, wenn es dicke Flocken schneit, und kann mich am Anblick einer Winterlandschaft erfreuen, aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich während der Winterzeit lieber an einem wärmeren Ort leben. Ich habe zwar Troy gegenüber noch nichts erwähnt, aber ich hege schon seit einer ganzen Weile den Wunsch, mir ein Haus am Strand zu kaufen. Klar, das Haus meiner Eltern in den Hamptons steht mir immer zur Verfügung, aber mich zieht es eher in tropische Gefilde. Aber jetzt ist Manhattan mein Zuhause. Der Ort, an dem meine Familie und Troy sind. Hier sind die Menschen, die ich liebe.
Meine Absätze klackern auf dem hellen Steinboden, als ich ins warme Foyer trete. Das Gebäude gehört zwar mir, aber die Kanzlei nimmt nur zwei Etagen des siebenstöckigen Bürogebäudes ein. Die anderen Räumlichkeiten habe ich allesamt vermietet, an einen Masseur, eine Kinderpsychologin, eine Wahrsagerin und eine Treuetest-Agentur. Das Büro befindet sich in der überteuerten Fifth Avenue, sodass ich durch die Mieten ein gutes Nebeneinkommen erwirtschaften kann.
Als ich mit siebzehn adoptiert worden bin, haben sich mir unzählige Türen geöffnet, die mir Angst gemacht haben. Ich musste mich daran gewöhnen, nicht jeden Tag ums Überleben zu kämpfen und mich zwei Menschen zu öffnen, die ich erst seit Kurzem kannte. Im Gegensatz zu Hayden und Ian habe ich die beiden auch schon bald mit Mom und Dad angesprochen. Während die Eltern meines Dads eher dagegen gewesen waren, dass ihr Sohn drei wilde Teenies ohne jegliches Benehmen adoptiert hatte, war der Vater meiner Mom das genaue Gegenteil. Er hat es geliebt, uns jeden Tag zu besuchen, uns dabei zu unterstützen, uns in der neuen Umgebung einzuleben, uns zum Essen einzuladen oder generell einfach Zeit mit uns zu verbringen.
Er war mein großes Vorbild, und als er vor ein paar Jahren starb, wurde meine Welt eine Weile dunkel, und es hat mich Monate gekostet, wieder zu mir selbst zurückzufinden. Heute noch erinnern Mom und ich uns gerne an ihn, lachen über witzige Anekdoten und weinen gemeinsam, wenn die Gefühle uns überwältigen. Noch vor seinem Tod hat Grandpa, mit dem Einverständnis meiner Mutter, die Kanzlei, das gesamte Gebäude sowie einiges an Geld an mich vererbt.
Meine Mutter hatte die Lust an dem Job als Anwältin verloren und ist vorzeitig in den Ruhestand gegangen, hatte es sich aber zur Aufgabe gemacht, mich auf meine Rolle als Leiterin von Grandpas Kanzlei vorzubereiten. Ich habe meinen Juraabschluss als Beste meines Jahrgangs beendet und habe meine Mom lieber zu Verhandlungen begleitet als feiern zu gehen. Ich habe mich auf meine Zukunft konzentriert, um jetzt zu glänzen. Die Kanzlei wurde mir zwar übergeben, aber das Talent, sie weiterhin erfolgreich zu leiten, ist das Verdienst meines Teams und mir. Ich betrete den Aufzug, um in den siebten Stock zu gelangen, und löse den Knoten meines Schals. Die angenehme Wärme erreicht langsam auch meine eiskalten Füße und lässt mich wohlig aufseufzen. Ich blicke auf mein Spiegelbild und stelle erschrocken fest, dass meine Haare durch den Wind völlig zerzaust sind. Rasch ziehe ich eine Minibürste aus meiner Handtasche und kämme meine Haare, die mir bis zur Hüfte reichen. Gerade als ich fertig bin, gleiten die Türen auf und ich betrete meine Etage.
Ich begrüße Lola am Empfang und lasse mir die Anrufliste von heute geben, ehe ich zu meinem Büro gehe. Im Gegensatz zum Arbeitszimmer meines Bruders im Label gibt es bei mir keine Wände im eigentlichen Sinn, sondern es wirkt eher wie ein großer Schaukasten, an dessen Wänden Diplome und Bilder angebracht sind. Natürlich kann ich den Raum verdunkeln, wenn ich Privatsphäre möchte, was aber selten vorkommt. Ich mag es, die ganze Etage im Blick zu haben, es schafft eine angenehme Atomsphäre, die auch mein Team zu schätzen weiß. Meine Mitarbeitenden wissen, dass ich sie nicht kontrolliere, sondern einfach eine offene Arbeitsumgebung anbieten will, ohne ihnen etwas aufzudrängen.
Kimmy, eine weitere Anwältin meines Teams, zieht in ihrem Büro zum Beispiel die Jalousien zu, da sie sonst zu oft abgelenkt ist, was völlig in Ordnung ist.
Schon von Weitem entdecke ich Kimmy und Donna in meinem Büro, die genüsslich an den Tortenkostproben vom besten Konditor der Stadt naschen.
»Ich sehe wohl nicht richtig«, sage ich empört, als ich die Glastür öffne und mich aus meinem Wollmantel schäle, um ihn an dem Kleiderhaken aufzuhängen. Ich höre ein Brummen, das mit Sicherheit von Donna kommt, und drehe mich um, eine Augenbraue fragend erhoben.
»Dann brauchst du eine bessere Brille. Denn hier siehst du deine Vorkosterinnen, die dafür sorgen werden, dass du auf deiner Feier die beste Torte aller Zeiten haben wirst.« Sie zeigt mit der Gabel auf mich und deutet eine Verbeugung an. Manchmal beneide ich sie um ihr Selbstvertrauen. Diese Frau ist einfach eine geballte Ladung Power und gute Laune.
»Ha, ha. Sehr witzig. Habt ihr mir wenigsten etwas übrig gelassen?«, will ich schmollend wissen, da ich das Ausmaß des Tortendiebstahls nicht genau erfassen kann. Donna reicht mir eine Gabel, und als ich näher herangehe, stelle ich fest, dass noch genug von allem da ist. Ich setze mich auf meinen ledernen Bürostuhl und blicke auf die Schildchen, die an den Kostproben befestigt wurden. Obwohl ich gerade zu Mittag gegessen habe, koste ich von der Nuss-Vanillecreme-Torte, die so lecker aussieht, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Ich nehme einen Bissen, und als sich der volle Geschmack auf meiner Zunge entfaltet, seufze ich wohlig auf.
»Das schmeckt himmlisch«, schwärme ich kauend und setze innerlich diese Torte auf die Favoriten-Liste, die ich nur mehr befüllen muss.
»Dann warte, bis du die Minz-Nougat-Torte probierst«, meint Kimmy und zeigt auf die Torte an der rechten Ecke des Tisches. Es sind zwölf Proben, die ich alle durchkosten muss, ehe ich dem Konditor meine Entscheidung mitteile.
»Das ist wirklich eine schwierige Entscheidung«, sage ich und schiebe mir einen Bissen Marzipanrose in den Mund. Wenn ich eine Süßigkeit liebe, dann ist es Marzipan.
»Wirst du die Tortenfrage allein entscheiden?«, erkundigt sich Kimmy interessiert, ehe sie einen Schluck aus ihrer Wasserflasche nimmt.
»Troy überlässt mir die Entscheidung, da er nicht gerade ein Fan von Süßkram ist.«
»Ich finde diesen Umstand immer noch creepy«, meint Donna und legt die Gabel ab.
»Er treibt Sport, hält sich an seinen Ernährungsplan und vermeidet Zucker, wo er nur kann. Vielleicht schmeckt es ihm auch einfach nicht, nachdem er jahrelang nicht genascht hat«, sage ich, da ich den Drang verspüre, ihn zu verteidigen.
»Na ja, so bleibt wenigstens mehr für uns. Wird es auf der Hochzeit kein traditionelles Tortennaschen geben? Wo der Bräutigam die Braut mit Torte füttert und umgekehrt?«, fragt Kimmy, die wohl ebenfalls genug von dem Süßkram hat.
»Ich glaube nicht. Nein«, antworte ich und greife nach der Wasserflasche, die die Mädels wohl für mich mitgebracht haben.
»Oh«, antwortet Kim und wirkt ziemlich überrascht. Ich tue gelassen, aber tief in meinem Innern finde ich es schade, dass wir diese Hochzeitstradition nicht haben werden. Ich fand es immer süß und auch lustig, wenn Paare eine ganze Handvoll Torte ins Gesicht des Partners schmieren. Es wäre etwas, was mir gefallen würde, aber ich schweige, denn ich muss akzeptieren, dass Troy eben nichts Süßes essen will. Auch nicht an unserem Hochzeitstag.
»Habe gehört, du hast Mortimer fertiggemacht«, meint Donna kauend, und ich sehe Stolz in ihren Augen aufblitzen.
»Das habe ich. Das Arschloch hat es nicht besser verdient, nach dem, was der Typ Olivia angetan hat.«
»Jetzt ist sie zumindest wieder reich«, erwidert Kimmy erfreut, aber sie hat nicht das gesehen, was ich in Olivias Augen bemerkt habe. Diese Leere und der Scherbenhaufen, der einmal ihr Selbstbewusstsein gewesen ist.
»Das schon, aber der Schaden ist angerichtet. Ihr Selbstwertgefühl ist im Keller, und kein Geld der Welt wird daran so schnell etwas ändern können«, sage ich seufzend. Ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, wie ich reagieren würde, wenn ich so eine Hölle durchlebt hätte. Klar, damals als Kind habe ich Ähnliches erlebt, doch ich erinnere mich zum Glück nicht an jedes einzelne Wort, nur an die schlimmsten Momente. Bei Olivia hat sich jedes der erniedrigenden Wörter tief in ihre Seele gegraben.
»Sie wird es durchstehen und es sich bei ihrem nächsten Partner sehr genau überlegen, ob sie ihn heiratet«, murmelt Donna und lehnt sich im Stuhl zurück. Sie grinst selig, der Zucker scheint sich bereits auf ihre Laune auszuwirken.
»Das hoffe ich«, sage ich und stelle meine Flasche auf dem Tisch ab. Das tue ich wirklich, und wünsche ihr von ganzem Herzen einen liebevollen Partner, der geduldig und respektvoll mit ihr umgehen wird.
»Apropos Partner. Wie läuft die Hochzeitsplanung?«, fragt meine beste Freundin.
»Wie ihr schmecken könnt, arbeite ich daran.«
»Und du willst wirklich keine Hochzeitsplanerin?«, fragt Kimmy ungläubig und stülpt die Tortenglocke über die Proben, da wir fürs Erste genug von den Leckereien haben. Ich habe selbst lange überlegt, ob ich jemandem den schönsten Tag meines Lebens anvertrauen würde, aber nach einigen Versuchen bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass nur ich selbst meine Hochzeit perfekt planen kann. Außer dem genauen Datum, das eher meine Schwiegermutter entschieden hat, da im Winter nicht so viele Bauprojekte für Troy anstehen, habe ich alles selbst bestimmt, mir aber Input und Ratschläge von meiner Mom und Freunden geholt.
»Nein, denn eigentlich weiß ich genau, was ich will.« Selbst als Teenie hatte ich klare Vorstellungen davon, wie meine Traumhochzeit aussehen würde. Wir würden in einer Kirche heiraten, ganz traditionell mit Hunderten Kerzen und einem Gospelchor. Den Empfang und die Feier werden in einem exklusiven Hotel stattfinden.
Ein Handy klingelt. »Oh, da muss ich leider rangehen. Bis später und danke für die Torten«, sagt Kimmy und nickt mir dankend zu, ehe sie abnimmt und nach draußen geht.
»Wie fühlst du dich?«, fragt Donna und wischt sich den Mund mit einer Serviette ab. Sie weiß, wie nahe mir Olivias Fall gegangen ist. Die seelische Grausamkeit lässt mich noch immer die Hände zu Fäusten ballen.
»Ich bin froh, dass ich den Fall gewonnen habe. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich es Olivia schuldig gewesen, für sie einzustehen. Dieser Scheißkerl hat allen Ernstes überheblich gegrinst, als ich all das ausgeführt habe, was er ihr angetan hat.« Allein daran zu denken bringt meinen Puls zum Rasen.
»Solche Typen wie er sind der Grund dafür, dass ich manchmal den Glauben an Männer verliere. Vielleicht habe ich auch deshalb angefangen, Frauen zu daten.« Sie erhebt sich und räumt die Torten wieder in den Karton, mit dem sie geliefert wurden, um meinen Schreibtisch frei zu machen.
»Liebe ist Liebe. Das Gefühl richtet sich nicht nach einem Geschlecht, sondern es kommt tief aus deinem Herzen. Und wenn dieses sich für diesen Menschen öffnet, dann kann es nicht falsch sein.«
»Derzeit wäre ich zufrieden, wenn es bei irgendwem schneller klopfen würde, aber es scheint, als hätte auch mein Ex mir den Glauben an die Liebe geraubt.«
»Ich hatte ihn auch verloren, immerhin hat mein eigener Vater mich wie Dreck behandelt, aber es gibt diesen einen Menschen, der dich wieder an die Liebe und das Glück glauben lässt.«
»Troy ist wirklich toll. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich etwas über ihn herumgewitzelt habe.« Natürlich glaubt sie, dass meine Worte auf meinen Verlobten bezogen waren. Er ist erfolgreich, nach wie vor begehrt und sieht unglaublich gut aus, aber tief in meinen Inneren habe ich meine Jugendliebe Jackson gemeint. Den Mann, der mir mein Selbstvertrauen zurückgegeben hat. Aber das ist ein Thema, das ich seit meiner Verlobung nie wieder angeschnitten habe.
»Nein, tue ich nicht. Alles gut. Troy ist wunderbar, aber leider auch weit weg.«
»Schon wieder eine Geschäftsreise?«
»Ja, er ist in Alabama. Sein Dad und er wollen einen Golfplatz mit Spa errichten und erbitten die Baugenehmigung.«
»Wann erwartest du ihn zurück?«, fragt sie neugierig. Mir ist nicht entgangen, dass sich ihr Gesicht kurz erhellt hat, als ich von seiner Abwesenheit gesprochen habe.
»Am Sonntag.«
»Das ist gut«, sagt Donna fröhlich und klatscht in die Hände.
»Ach, und wieso?«
»Weil Tori, du und ich dieses Wochenende ausgehen werden. Party, Cocktails und viel Musik.«
»Schön, dass ich das auch mal erfahre, immerhin ist heute Freitag und damit quasi schon Wochenende.«
»Ich habe es dir doch früh genug erzählt. Außerdem ist es egal, wann ich es dir sage, du verspätest dich sowieso«.
»Hey! Sei nicht so pessimistisch. Ich arbeite an meiner Pünktlichkeit.« Ich helfe ihr, die letzte Tortenkostprobe wegzuräumen, ehe ich auf meinem Bürostuhl Platz nehme.
»Nur, dass die jahrelange Arbeit noch immer keine Früchte trägt.«
»Du übertreibst«, sage ich schmollend, obwohl ich gestehen muss, dass sie recht hat. Ich lege es nicht darauf an, verspäte mich aber andauernd.
»Du weißt, dass ich es nicht böse meine. Wir lieben dich, auch wenn du dich wie eine Diva verspätest.«
»Eine Diva kommt nie zu spät. Ebenso wenig zu früh. Sie trifft genau dann ein, wenn sie es für richtig hält«, werfe ich ein, was Donna zum Lachen bringt.
»Den Spruch hast du aus Herr der Ringe gemopst«, meint sie lachend und stemmt vorwurfsvoll die Hände in die Hüften.
»Er passt einfach perfekt zu mir«, gebe ich belustigt zurück, denn das sind – neben meinen geliebten K-Dramas – meine absoluten Lieblingsfilme.
»Wohin geht’s eigentlich?«, will ich schließlich wissen, immerhin muss ich ein Outfit zusammenstellen.
»Wir fahren in den neuen Schuppen, wo die Stars und Sternchen zugegen sind, und werden so richtig abtanzen«, sagt Donna voller Vorfreude, lässt mich aber im Dunkeln tappen. Ich verlasse mich bei den Locations völlig auf meine Freundin und beschäftige mich nicht damit.
»Das klingt gut.« Denn ich kann es kaum erwarten, den Stress dieser harten Arbeitswoche von mir abzuschütteln.
Nachdem ich vier Wochen auf Bora Bora verbracht habe, fühlt sich der New Yorker Herbstwind eiskalt auf meiner gebräunten Haut an. Owen hat den ganzen Flug über geschlafen, während ich mir den erstellten Finanzplan des Hotels ansehe, das wir am Morgen besichtigen wollen. Wenn ich mich für den Kauf entscheide, würde uns die Renovierung ungefähr eine Million Dollar kosten, aber die gute Lage und die Geschichte des Gebäudes haben mich neugierig gemacht.
»Taxi«, rufe ich laut und hebe die Hand, worauf sofort ein Wagen vor uns zum Stehen kommt.
»Alter, schrei nicht so laut. Ich habe Kopfschmerzen«, beschwert sich Owen und verzieht das Gesicht. Ich blicke zu meinem Freund, der etwas größer ist als ich, trainiert und auf den ersten Blick imposant wirkt, doch tief drinnen einfach ein Teddybär ist.
»Wie kannst du Kopfweh haben, wenn du den ganzen Flug über geschlafen hast?«
»Es war zu wenig Schlaf, wie es aussieht.«
»Das war aber ein Neunzehn-Stunden-Flug.«
»Ja, ja, nörgele nicht schon wieder und lass uns einsteigen.« Der Taxifahrer will meinen Koffer in den Kofferraum heben, doch ich stoppe ihn, bevor er nach meinem Gepäckstück greifen kann.
»Ich mache das schon.« Ich lächle freundlich, was er mit einem Achselzucken quittiert. Vielleicht spricht hier meine harte Jugend aus mir, aber ich mag es nicht, wenn jemand Fremdes meine Sachen anfasst. Nachdem der Fahrer sich in den Verkehr eingefädelt hat, scheint Owens Müdigkeit wie weggeblasen zu sein, denn er redet ununterbrochen, aber ich höre ihm nur mit einem Ohr zu. Jedes Mal, wenn ich hierherkomme, fühlt es sich fremd und kalt an. Ich bin hier geboren, aufgewachsen und habe in dieser Stadt die schlimmsten, aber auch die schönsten Momente meines Lebens verbracht.
Was mich damals geritten hat, mir hier ein Apartment zu kaufen, weiß ich nicht mehr. Aber nachdem ich mit meiner Hotelkette expandiert bin, war das Erste, was ich tat, mir eine Wohnung an der Upper East Side zu kaufen, in der ich seither vielleicht fünf Mal gewesen bin. Ich hatte es getan, weil ich es konnte, nicht, weil ich den Drang verspürt hatte, in Manhattan zu wohnen. Etwas in mir wollte in dieser Stadt nicht Fuß fassen, weder mit meinen Hotels noch mit anderen Immobilien, aber die Anfrage nach Orwood Hotels ist auf der ganzen Welt gestiegen. So auch in den Vereinigten Staaten, also sehe ich mir mit meinem Team ein altes Hotel an, das sich in der Nähe vom Central Park befindet und durch seine Lage heraussticht.
»Wo bist du denn mit deinen Gedanken?«, will Owen neugierig wissen.
»Weit weg und doch da.«
»Wie dem auch sei, du bekommst jetzt, da du wieder im Hier und Jetzt angekommen bist, die Kurzversion. Meine Wohnung wird gerade renoviert, und ich werde wohl oder übel bei dir unterkommen müssen, bis wir weiterziehen.«
»Mi casa e su casa.«
»Ich nehm dich beim Wort«, meint er mit einem diabolischen Grinsen, aber ich zucke nur mit den Schultern. Owen und ich sind seit fast zwanzig Jahren rund um die Uhr zusammen unterwegs, sodass ich an seine ständige Anwesenheit gewöhnt bin.
»Na schön, genug von meinem obdachlosen Selbst. Du bist ziemlich still, seitdem wir wieder in New York sind.«
»Ich bin nur müde. Immerhin habe ich im Flieger gearbeitet, während du mir aufs Fünfhundert-Dollar-Hemd gesabbert hast.«
»Ich?! Jetzt aber langsam mit den jungen Pferden. Ich sabbere nicht, sondern habe mich an deine starke und muskulöse Schulter gelehnt, um entspannter zu schlafen.«
»Gut zu wissen, dass dir mein Surferbody gefällt und du deinen Schönheitsschlaf jederzeit bekommen kannst.«
»Exactly, mein Freund.«
Ich schüttle lachend den Kopf und blicke an den Hochhäusern vorbei. Diesen wohlbetuchten Gegenden bin ich damals ausgewichen, außer, wenn ich Gras verticken wollte, und nun habe ich mir mitten im Feindesgebiet meiner Jugend ein Fünf-Zimmer-Apartment gekauft. Mein Leben hat sich in den letzten zehn Jahren so stark verändert, dass ich mich des Öfteren frage, ob ich nicht eigentlich träume und irgendwann wieder in dem alten Gebäude aufwache, in dem Mom und ich gelebt haben. Zum Grübeln bleibt mir jedoch keine Zeit, denn wir halten bereits vor dem Apartmenthaus, in dem sich meine Wohnung befindet. »Weißt du überhaupt noch, welche Nummer deine Wohnung hat?«
»Du stellst vielleicht Fragen. Natürlich weiß ich das.« Tue ich nicht, aber das merkt Owen nicht, denn ich hole mir vom Portier meine Schlüssel, die sicher verwahrt wurden. Auf dem Schlüssel ist die Nummer glücklicherweise vermerkt. Nach einer heißen Dusche fühle ich mich wie ein neuer Mensch. Es fühlt sich gut an, all die Müdigkeit und die Gerüche der Reise abgewaschen zu haben.
Ich stelle mich vor das Panoramafenster und blicke auf die Bäume, die zwischen dem Beton zu sehen sind, und deren Baumkronen in allen Orangetönen leuchten. Die Blätter einiger Bäume sind schon längst abgefallen, was den nahenden Winter signalisiert. Ein eiskalter Schauer erfasst mich, da ich dieses kalte Klima nicht gewöhnt bin. Ich kann mit meinen zweiunddreißig Jahren sagen, dass ich einiges von der Welt gesehen habe. Ich bin ein anpassungsfähiger Mensch und finde mich überall zurecht, wie ein Chamäleon, aber jeder Ort am Meer war mir immer lieber als die großen Städte dieser Welt.
Als ein Schnarchen aus dem Gästezimmer erklingt, muss ich lachend den Kopf schütteln. Mein bester Freund kann wirklich immer und überall schlafen. Da ich es nicht mag, zu lange in der Wohnung zu sitzen, ziehe ich mir meinen Mantel über mein kariertes Hemd und schlüpfe in meine Boots, ehe ich nach draußen gehe. Im Gegensatz zu meiner Jugendzeit ist New York sauberer und mir scheint, auch geordneter als früher. Ich hole mir einen doppelten Espresso, ehe ich den Park ansteuere. Mein Smartphone habe ich bewusst auf lautlos gestellt, da ich in der Natur gezielt abschalten will und wenigstens für einen Moment das Gefühl genießen möchte, ungestört zu sein. Die Hotelwelt ist anstrengend genug.
Mein Leben ist hektisch, laut und so abgefahren, dass ich die Momente der Stille einfach genieße. Manchmal fühlt es sich an, als führe ich ein Doppelleben wie Clark Kent. Ich bin der jüngste Hotelier der Welt, dessen Hotelkette einen Umsatz von fünfzig Millionen Dollar im Jahr macht und damit ziemlich erfolgreich ist. Immer auf Achse und stets drauf bedacht, dass jedes Hotel individuell und meine zweitausend Mitarbeitenden zufrieden sind. Aber wenn ich die Brille aufsetze, bin ich nur Jackson, ein Mann, der gerne Zeit mit den Menschen verbringt, die er liebt, für sein Leben gerne surft und dessen zweite Heimat der Ozean ist. Ich genieße jede Minute meines Lebens, die ruhigen wie die wilden Momente.
Vor dreizehn Jahren war ich ein Störenfried, Gangmitglied und ziemlich verloren. Für alle war ich ein Versager, der es niemals zu etwas bringen wird. Für alle, nur nicht für Mom, Owen und sie. Als meine Gedanken sich auf gefährliches Terrain bewegen, zu der Frau in meiner Vergangenheit schweifen, gehe ich schneller und konzentriere mich auf den Park und die Menschen, die meinen Weg kreuzen. Mir ist jede Art von Ablenkung recht.
Nach einer Stunde ist mein Kaffee längst leer, und meine Hände sind eiskalt. Also beschließe ich, mich in einem Diner aufzuwärmen, ehe ich mich auf den Weg zurück zur Wohnung mache. Im Flugzeug habe ich nicht viel gegessen, und jetzt knurrt mein Magen wie ein wilder Pitbull. Ich will mein Smartphone zücken, um einen Laden zu finden, wo ich meinen Hunger stillen kann, als ich auch schon das beleuchtete Schild eines Diners erblicke. Es mag eine Weile her sein, dass ich in Manhattan gewesen bin, aber alles wirkt vertraut auf mich, selbst als ich den Laden betrete und mich die angenehme Wärme umhüllt. Mir ist so, als wäre ich schon einmal hier gewesen, was ich aber bezweifele. Ich suche mir am liebsten einen Platz im hinteren Teil des Restaurants, erstens, weil es dort nicht so zieht, und zweitens, weil ich im Lokal gern den Überblick behalte. Eine alte Angewohnheit aus meiner Jugend, als ich ständig auf der Hut sein musste. Nachdem ich meine Bestellung aufgegeben habe, hole ich das Smartphone aus der Tasche meines Mantels, ehe ich ihn komplett ausziehe. Drei verpasste Anrufe von Owen und eine Nachricht von meiner Mom.
Mom: Ich hoffe, ihr seid sicher in Manhattan angekommen, wenn du es schon versäumt hast, deine Mutter anzurufen. Ich bin nicht eingeschnappt. Kein bisschen. Oder vielleicht ein wenig, aber nimm es mir nicht übel. Jeff hat mich quer durch den Dschungel geschleift, ehe ich tot ins Bett gefallen bin. Der Anblick meiner Haare aufgrund der Luftfeuchtigkeit hätte dir gefallen. Meld dich. Hab dich lieb, xoxo Mom
Lächelnd tippe ich eine Antwort.
Jackson: Wir sind sicher angekommen, wurden nicht überfallen, und ich habe auch von keinem Fremden Süßigkeiten angenommen, also kannst du beruhigt sein. Owen hat neunzehn Stunden geschlafen, aber es scheint wohl nicht genug gewesen zu sein, denn er ist sofort wieder eingepennt. Ich hoffe doch, dass der gute Jeff ein Foto von deinen wilden Locken gemacht hat. Ich würde ihm ein hübsches Sümmchen dafür zahlen, dass er es mir zeigt. Ich hab dich auch lieb und bitte höre auf wie in Gossip Girl xoxo zu schreiben. Das tun nur Teenies.
Mom: Du kleiner Frechdachs, sei froh, dass ich am anderen Ende der Welt meinen Urlaub genieße, sonst würde ich dir jetzt das Fell über die Ohren ziehen. Was heißt, nur Teenies schreiben so? Willst du etwa sagen, dass ich alt bin? Ich hoffe ja, dass du dich vertippt hast. Und Jeffrey würde schneller die Scheidungspapiere vor sich liegen haben, als er gucken kann, wenn er dir das Foto zeigt.
Jackson: Also gibt es doch ein Foto.
Mom: Vergiss es, Freundchen. Schön, dass es euch gut geht. Kümmere dich um Owen, der wird sicher vor Hunger sterben, wenn er aufwacht. Liebe Grüße von Jeffrey und bis bald. xoxo Mom ; )
Mein Burger sieht so lecker aus, dass mir das Wasser buchstäblich im Mund zusammenläuft. Der Reisestress und die Tatsache, dass ich wieder nach New York geflogen bin, hat mich das Essen vergessen lassen. Als ich einen Bissen nehme, ist es wie eine Geschmacksexplosion auf meiner Zunge. Diesen Geschmack, das Aroma, die Soße … ich habe diesen Burger schon einmal gegessen, aber mir will nicht einfallen, wann. Das Fleisch zergeht beinahe auf der Zunge, und die Gewürze umschmeicheln meinen Gaumen regelrecht. Dieser Burger ist der Wahnsinn.
Ich bin damals überallhin essen gegangen, wenn Mom es nicht geschafft hat zu kochen. Da sie eine Koryphäe in der Küche ist und ich durch sie die Liebe zum Essen entwickelt habe, achte ich darauf, was und wo ich esse. Die Jungs von damals haben irgendwelchen Fraß in sich hineingestopft, während ich immer als Gourmet verspottet wurde, aber ich kann nichts dafür. Ich esse für mein Leben gern, oder besser gesagt, genieße ich alle möglichen Speisen und Getränke. Essen ist für mich nicht nur etwas, das man zum Überleben braucht. Jede Zutat ist eine Note, die die Mahlzeit am Ende in eine Sinfonie verwandelt. Deshalb hat es mich zu den Läden hingezogen, die nicht sonderlich teuer waren, aber sehr gutes Essen zubereiteten.
Jahrelang wollte ich Koch werden, habe mich aber aus Geldgründen dagegen entschieden, und auch, weil meine Gang mich vermöbelt hätte, wenn ich diesen Berufsweg eingeschlagen hätte.
Ich schlucke den letzten Bissen des herrlichen Burgers hinunter und blicke auf den Teller. Erst jetzt werfe ich einen genaueren Blick auf die Serviette. Darauf ist ein Koch abgebildet, der mit Burgern jongliert, was dem Besitzer nachempfunden ist, der früher Zirkusartist gewesen ist.
Jetzt erinnere ich mich wieder. Das letzte Mal war ich mit ihr hier, sie hat mich mit Pommes beworfen, weil ich sie mal wieder geärgert habe. Ich habe es geliebt, sie zu ärgern, was sie mir dann mit gleicher Münze heimgezahlt hat. Das war es, was es für mich unbeschwert gemacht hat, denn bei ihr durfte ich einfach nur ich sein und nicht der vaterlose Dealer, der an illegalen Straßenkämpfen teilnimmt, um an Geld zu kommen. Egal, ob wir unter Menschen oder zu Hause gewesen sind. Wir waren einfach nur zwei Teenies, die sich geliebt haben, und genau das habe ich an uns am meisten gemocht. Damals war sie alles für mich, wichtiger als die krummen Geschäfte, das Geld oder die Gang. Sie war mein persönlicher Sonnenschein, egal, wie albern das klingen mag. Ich habe es mir jahrelang verboten, an sie zu denken, weil ich danach niedergeschlagen oder wütend gewesen wäre.
Aber ich schätze, dass ich vor meinen Erinnerungen nicht weglaufen kann. Immerhin hat mich mein Unterbewusstsein direkt in das Diner geführt, das wir vor Jahren gemeinsam besucht haben. Hier wurde zwar alles renoviert und verändert, aber ich sehe sie noch genau vor mir. Ihr langes blondes Haar, das durch die roten Lampenschirme immer orange ausgesehen hatte, oder an das wohlige Stöhnen, wenn sie eines der neuen Gerichte gekostet hat, und das Lachen. Trotz ihrer harten Kindheit hat sie immer gelacht, und nur an den Klang zu denken lässt mich schmerzhaft die Augen schließen.
Die Erinnerung an unsere Vergangenheit lässt meine Brust eng werden. Ich schiebe den Teller von mir und wische mir mit einer Serviette den Mund ab. Was zum Teufel passiert hier gerade? Es ist dreizehn Jahre her, dass meine Jugendliebe aus meinem Leben verschwunden ist, und es sollte mir egal sein. Ich sollte mich nicht an ihren Geruch nach Jasmin erinnern, an ihr Lächeln und die Grübchen, die es erzeugt hat. Ich sollte nicht an Quinn Larson denken.
Unter keinen Umständen.
Genervt presse ich den Mund zu einer schmalen Linie zusammen, weil ich mich über mich selbst ärgere. Ich sollte gehen und diesen kurzen Augenblick der Schwäche vergessen, doch zufällig gleitet mein Blick zur Theke, ehe ich ihn schnell senke und dann fast panisch erneut zu derselben Stelle blicke. Ich wage kaum zu atmen, denn da vorne sehe ich eine Frau mit Quinns Statur, ihren langen hellblonden Haaren und den sanften Kurven. Sie unterhält sich gerade mit einer Bedienung und ist zu weit von mir entfernt, als dass ich sie verstehen könnte. Mein Herz beginnt wie wild in meiner Brust zu schlagen, stoppt aber unmittelbar, als sie den Kopf in meine Richtung dreht, als würde sie spüren, dass ich sie beobachte.
Als ich ihr Gesicht erblicke, stelle ich beinahe enttäuscht fest, dass es nicht die Frau ist, die mir damals das Herz gebrochen hat, sondern eine, die ihr zufällig ähnlich sieht. Sie lächelt mich an, aber ich kann es nicht erwidern, zu sehr stört mich die Tatsache, dass diese Begegnung mich aus der Bahn geworfen hat. Ich bezahle mein Essen und mache, dass ich wegkomme. Weg von dem Ort, der all diese Erinnerungen in mir wachrüttelt. Im Gehen rufe ich Owen zurück und beschleunige meine Schritte.
»Welchen Schuppen hast du dir für heute Abend ausgesucht?«, frage ich ihn ohne jegliche Begrüßung.
»Woher willst du wissen, dass ich eine Location herausgesucht habe?« Seine Frage hätte mich unter normalen Umständen zum Lachen gebracht, aber nichts ist gerade so, wie es sein sollte.
»Weil du es in jeder Stadt tust.« Wenn man das Wort Lebensfreude im Lexikon nachschlagen würde, würde dort ein Bild von Owen zu sehen sein. Er liebt es, unter Menschen zu sein und jeden Augenblick seines Lebens zu genießen. Normalerweise begleite ich ihn ungern, wenn er ausgeht, aber heute fiebere ich der Nacht regelrecht entgegen.
»Es ist schon erschreckend, wie gut du mich kennst. Ich glaube, wir sollten weniger Zeit miteinander verbringen.«
»Vielleicht. Oder du hörst endlich auf zu quasseln und verrätst mir, wo du uns heute Abend eingeplant hast.« Ich will nicht schroff klingen, doch in mir spüre ich diese Wut, die um jeden Preis nach außen dringen will. Es ist die Wut auf mich selbst.
»Ist alles in Ordnung? Du klingst aufgebracht.«
»Bei mir ist alles bestens. Jetzt mach’s nicht so spannend, Owen.«
»Ich habe uns im Shore an der Fifth eine Lounge im VIP-Bereich reserviert. Das soll der beliebteste Schuppen weit und breit sein.«
»Geht klar, ich bin dabei. Wir sehen uns gleich zu Hause.« Ich lege auf, stopfe das Handy in meine Manteltasche und klappe den Kragen hoch, da der kalte Wind zugenommen hat. Ich lasse das Diner hinter mir, gehe in das herbstlich kalte Manhattan und hoffe, dass ich es ebenfalls schaffe, die Erinnerungen an Quinn weit von mir zu schieben.
Wie fast jeden Morgen wache ich ein paar Minuten vor fünf Uhr auf. Meine innere Uhr hat sich mit den Jahren daran angepasst und lässt mich ausgeruht die Augen öffnen. Meistens bin ich die Erste, die wach wird, sei es nun in meiner Familie oder in Troys. Mein Verlobter ist an Wochenenden ein Langschläfer, und an Arbeitstagen quält er sich eher aus dem Bett und hat noch nie verstanden, wieso ich so früh aufstehe, obwohl ich noch locker zwei Stunden länger schlafen könnte. Die Wahrheit ist, dass ich seit Jahren eine innere Unruhe verspüre, eine Angst, etwas zu verpassen, die ich mir nicht erklären kann.
»Heute wird ein toller Tag«, murmle ich und schäle mich gut gelaunt unter meiner Bettdecke hervor. Auch wenn das frühe Aufstehen daher rührt, mindert das meine Laune keineswegs. Ich bin mir sicher, dass man es selbst in der Hand hat, wie der Tag beginnt. Ob es ein guter oder schlechter Tag wird, liegt an meiner Einstellung. Ich starte meine Meditationsplaylist, rolle meine Yogamatte aus und meditiere, wie ich es jeden Morgen tue. Es hilft mir, meine wild umherschwirrenden Gedanken zu ordnen und den Tag in Ruhe zu beginnen. Die Tage und auch Abende sind teilweise ziemlich stressig, sodass ich die Meditationen brauche, um meine innere Mitte nicht zu verlieren.
Danach fühle ich mich leicht wie eine Feder und rundum zufrieden. Da meine moderne Kaffeemaschine sich um halb fünf selbst einschaltet, gehe ich in meine Küche und drücke auf die Cappuccino-Taste. Meine Lieblingstasse, mit der Aufschrift The Ocean is where I belong, stelle ich darunter. Ich öffne die Balkontür, damit frische Luft in meine Wohnung dringt und atme tief durch. Es ist wie in den letzten Tagen ein kalter Morgen, aber das macht mir nichts aus. Ich lüfte, selbst wenn es minus zwanzig Grad hätte. Es gehört zu meinem Morgenritual, und ich lasse es nicht ausfallen, auch wenn ich die Kälte nicht mag. Ich schlüpfe in meine dick gefütterten Hausschuhe, die über meinen Knöcheln enden, und den extra warmen Bademantel. Im Gehen wechsle ich die Playlist von Meditation auf Good Morning auf meinem Smartphone, als auch schon der Ton der Kaffeemaschine erklingt. In der Küche schnappe ich mir das Tablet von der Ladestation und meine Tasse, um mich auf meine Couch zu setzen.
Ich trinke einen Schluck von meinem Kaffee und schließe wohlig die Augen. Meine Bewegungen sind auch am frühen Morgen schon schnell, aber meine Gedanken entfalten sich erst dann, wenn ich den herben Geschmack auf der Zunge spüre. Nach dem dritten Schluck stelle ich die Tasse auf dem Beistelltisch ab und öffne die Notizapp meines iPads. Jeden Morgen schreibe ich eine To-do-Liste, die ich im Laufe des Tages abarbeite. Heute ist Samstag, und man sollte meinen, dass es am Wochenende nicht viel zu notieren gibt, aber wenn man eine Anwaltskanzlei leitet, bleiben unter der Woche viele alltägliche Dinge auf der Strecke.
Mein erster Punkt ist der Wohnungsputz. Zwar ist Victoria, Haydens Hausangestellte, mir eine Hilfe, wenn es darum geht, die Fenster zu putzen und meine Kleidung zu bügeln, aber den Rest erledige ich selbst. Ich könnte sie dafür bezahlen, die gesamte Wohnung zu putzen, aber warum sollte ich das tun, wenn ich es doch selbst liebe, für Ordnung in meinen vier Wänden zu sorgen? Die nächsten Punkte sind, Lebensmittel einzukaufen, dann Troy anzurufen, meine privaten Mails zu checken, mit Mom zu skypen, die rumliegenden Akten zu sortieren, ehe ich sie am Montag im Archiv ablege, und dann in die Stadt zu gehen, um mich mit meiner Freundin Taylor Grant zu treffen, die mich für ihren Blog interviewen möchte. Um die Hochzeitsplanung kümmere ich mich immer unter der Woche, so, wie ich es auch mit der Arbeit handhabe. Da ziehe ich eine klare Grenze. Im Gegensatz zu meinem Bruder Hayden, der immerzu arbeitet, sorge ich dafür, dass das Wochenende nur für mich bestimmt ist.
Ich liebe meinen Job, aber ich liebe es auch, mir Zeit für mich zu nehmen und die Seele baumeln zu lassen. Zwar erstelle ich eine Liste, aber es besteht kein Druck, jeden einzelnen Punkt abzuhaken. Mir ist völlig klar, dass das Leben unvorhersehbar ist und sich Pläne auch ändern können, aber ich fühle mich wohler, wenn ich einen Überblick habe, was am Tag ansteht. Ich speichere die Liste in der Cloud und stehe auf, um die Balkontür zu schließen. Die leere Tasse stelle ich in den Geschirrspüler, ehe ich unter die Dusche hüpfe.
»Mist«, schimpfe ich vor mich hin und beschleunige meine Schritte, als ich auf die Armbanduhr blicke. Ich komme mal wieder zu spät zu meinem Treffen mit Tae, obwohl ich sogar früher als sonst meine Wohnung verlassen habe. Aber dann habe ich diesen tollen Laden entdeckt, der Sand aus den verschiedensten Ländern der Welt verkauft. Ich habe mir ein Fläschchen aus Kroatien gekauft und schnell in meine Tasche gestopft, als ich merke, wie schnell die Zeit vergangen ist. Im Gehen wähle ich Troys Nummer.
»Hey Liebling. Wie geht es meiner Schönen?«, begrüßt mich mein Verlobter, und ich erkenne an seiner Stimme, dass er beim Sprechen lächelt.
»Gut«, sage ich schwer atmend und husche über den Zebrastreifen zur anderen Straßenseite. »Auch wenn ich mal wieder zu spät kommen werde.« Dicht neben dem Gehweg hupt ein Auto und ein anderes stimmt ein. Man hört Flüche in fremden Sprachen und sieht viele Stinkefinger. Typisch New York.