Dare to Trust - April Dawson - E-Book
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Dare to Trust E-Book

April Dawson

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Beschreibung

Weil sich in jedem Herzen etwas Gutes verbirgt

Als der New Yorker Geschäftsmann Hayden Millard nach Jahren seiner ehemaligen Mitschülerin Tori Lancaster gegenübersteht, gerät seine Welt augenblicklich ins Wanken. Schließlich war sie es, die ihm das Leben in der Highschool zur Hölle gemacht hat - auch wenn sie ihn anscheinend nicht wiedererkennt! Als Hayden herausfindet, dass Tori dringend einen Job braucht, bietet er ihr eine Stelle als Assistentin bei seinem Plattenlabel Ever Records an - um ihr endlich heimzuzahlen, was sie ihm einst angetan hat! Doch der in sich gekehrte CEO merkt schon bald, dass sein Herz ganz andere Pläne als Rache hat ...

"Diese wundervolle Geschichte zeigt, dass du jederzeit zu dem Menschen werden kannst, der du sein willst - egal, wer du in der Vergangenheit warst oder was du auch durchgemacht hast." nadjabookdating

Band 1 der romantisch-leichten DARE-TO-LOVE-Reihe

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Seitenzahl: 517

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leserhinweis

Widmung

Playlist

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

Ein Jahr später

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von April Dawson bei LYX

Triggerwarnung

Impressum

APRIL DAWSON

Dare to Trust

ROMAN

ZU DIESEM BUCH

Hayden Millard besitzt das erfolgreichste Plattenlabel von New York. Ever Records ist sein ganzer Stolz, und niemand ahnt heute mehr, wie hart der einflussreiche Geschäftsmann einst für seinen Erfolg und seinen Platz im Leben kämpfen musste. Doch als Hayden eines Tages Tori Lancaster in einem Coffeeshop wiederbegegnet, gerät seine Welt augenblicklich ins Wanken. Die Erinnerungen daran, wie ihre Clique ihn in der Highschool schikaniert und gedemütigt hat, sind plötzlich wieder so präsent wie lange nicht mehr – aber auch seine Gefühle für Tori, der insgeheim schon immer sein Herz gehört hat. Als er herausfindet, dass Tori dringend einen Job braucht und absolut keine Ahnung hat, wem sie da gerade gegenübersteht, scheint seine Chance auf Rache gekommen zu sein. Er stellt Tori als seine persönliche Assistentin an, um ihr heimzuzahlen, was sie ihm als Teenager angetan hat. Doch schon bald merkt Hayden, dass Tori nicht mehr die gemeine Cheerleaderin seiner Schulzeit ist – und dass sein Herz andere Pläne für sie beide hat!

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für alle,

die es wagen zu vertrauen.

PLAYLIST

Nosoyo – Lost in You

Why Don’t We – What Am I

James Arthur – Breathe

Niall Horan – Everywhere

Billie Eilish – everything i wanted

Alec Benjamin – Mind Is A Prison

Jonas Brothers – Jersey

Lauren Alaina – Doin’ Fine

Harry Styles – Adore You

AJ Mitchell – Like Strangers Do

Natasha Bedingfield – Soulmate

Lucius – Two of Us on the Run

Why Don’t We – Lucid Dreams

Hurts – Voices

Taylor Swift – Sparks Fly

Ruelle – War of Hearts

Johnny Orlando – What If (I Told You I Like You)

Taylor Swift feat. Bon Iver – Exile

Maisie Peters – Daydreams

Frank Sinatra – The Way You Look Tonight

MKTO – Wasted

PROLOG

Hayden

Vor sechzehn Jahren sollte sich mein Leben für immer verändern. Es war der dreizehnte Mai – Freitag, der Dreizehnte, um genau zu sein –, als Dorian und ich Quinn an ihrem Geburtstag ausführen wollten. Wir hatten ihr ein Geschenk besorgt und all unser Erspartes für eine Torte und die Reservierung ausgegeben, um sie glücklich zu machen. Der Tag sollte unvergesslich werden, und das wurde er dann auch, wenn auch nicht auf die Art, die wir gedacht hatten.

Es begann damit, dass ich mich verspätete, weil die Sportler mal wieder ihren Frust an mir auslassen mussten. Die Schläge hatten erst aufgehört auf mich einzuprasseln, als ich Nasenbluten bekommen hatte. Sie hatten nicht etwa deshalb aufgehört, weil ich ihnen leidgetan hätte, sondern weil die Arschlöcher sich ihre weißen Turnschuhe nicht ruinieren wollten. Zu allem Überfluss musste Dorian wegen einer Auseinandersetzung mit seinem Lehrer nachsitzen, und Quinn hatte wieder Ärger mit der Sozialarbeiterin in der Einrichtung. Die tagelange Planung wäre beinahe umsonst gewesen, weil Quinn und ich keine Lust aufs Feiern hatten, aber Dorian redete auf uns ein, wie er es immer tut. Er machte uns klar, dass Quinn schließlich nur ein Mal siebzehn wurde und wir die kostbare Zeit nutzen sollten.

Das waren die kleinen Momente, die mir in diesen schweren Zeiten Kraft schenkten. Diese Gespräche unter Freunden, die mich aufbauten. Die Nächte, in denen ich mich in den Schlaf weinte, waren nur deshalb zu ertragen, weil ich wusste, dass meine Freunde immer für mich da sein würden. Wir waren seit unserer ersten Begegnung unzertrennlich. Dorian und Quinn waren wie Geschwister für mich, und ich hätte alles für sie getan. Durch die beiden war das Leben in der Einrichtung, in der wir untergebracht waren, aushaltbar geworden, auch wenn sie mich nicht immer beschützen konnten.

Als wir gegen dreiundzwanzig Uhr auf dem Heimweg Hilferufe vernahmen, lief Dorian sofort los. Ohne zu zögern preschte er in die Richtung, aus der die Schreie gekommen waren, und wir folgten ihm. Ein Mann und eine Frau wurden von zwei Männern eingekesselt und mit Messern bedroht. Es sah nach einem Raubüberfall aus, und während Quinn und ich vor Angst wie erstarrt waren, ergriff Dorian das Wort.

Die Männer drohten uns und wollten, dass wir verschwinden, aber er blieb standhaft. Er wollte dem Paar helfen, komme, was da wolle. Als die Männer auf ihn zugingen, setzten Quinn und ich uns gleichzeitig in Bewegung. Manch einer würde sagen, dass drei Teenager keine Chance gegen zwei kräftige Männer haben, aber wir drei hatten eine harte Kindheit gehabt und so viele Male Schläge ertragen müssen, dass wir sie nicht mehr zählen konnten. Das harte Leben hatte uns robuster gemacht, sodass wir uns nun verteidigen konnten.

Aber der Kampf artete schnell aus, plötzlich kämpften auch die Fremden mit den Männern, aber sie waren unvorsichtig. Die Frau sowie Quinn wurden von dem Messer verletzt, die Schmerzensschreie meiner Schwester werde ich niemals wieder vergessen. Diese waren auch der Weckruf für die Gangster, denn als sie all das Blut sahen, machten sie sich aus dem Staub. Dorian kümmerte sich sofort um Quinn, während ich die Polizei rief.

Die Sanitäter sowie die Polizei brachten uns alle ins Krankenhaus, damit wir untersucht werden konnten. Während Dorian, der Fremde und ich mit Prellungen davonkamen, hatten die Frauen weniger Glück. Durch den Aufprall auf den Asphalt hatten sie Gehirnerschütterungen erlitten, und die tiefen Schnitte mussten genäht werden. Nach unserer Aussage halfen wir dem Polizeizeichner beim Erstellen der Phantombilder für die Fahndung nach den Kerlen. Erst als die Cops verschwunden waren, durften wir zu Quinn. Sie und die Frau waren im selben Zimmer untergebracht, weshalb wir miteinander ins Gespräch kamen.

Griffin und Eve Millard – so lauteten die Namen der beiden – dankten uns und waren unendlich gerührt, dass wir für zwei Fremde unser Leben riskiert hatten. Aus kurzem Geplaudere wurden schnell tiefgründige Gespräche. Aus einer Stunde wurden sechs und trotz der ganzen Aufregung konnten wir zur Ruhe kommen und sogar lachen. Es war der Moment, der uns alle zusammenschweißte, ohne dass es uns gleich klar wurde. Dorian und ich waren auch am nächsten Tag bis zur Entlassung der beiden im Krankenhaus und lernten die Millards noch besser kennen. Wir verabschiedeten uns, obwohl wir drei noch mehr Zeit mit den beiden Erwachsenen verbringen wollten. Wir hatten uns in ihrer Nähe wohlgefühlt und zum ersten Mal in unserem Leben das Gefühl gehabt, wirklich gehört und respektiert zu werden. Eine Woche später besuchten die beiden uns in der Einrichtung für Pflegekinder, die einem Waisenhaus gleichkommt. Einen Monat nach dem Überfall wurden Dorian, Quinn und ich ins Büro der Leiterin gerufen, um dort zu unserer Überraschung Eve und Griffin vorzufinden. Beide verkündeten unter Tränen, dass aus Dankbarkeit viel mehr geworden sei und sie uns drei adoptieren wollten.

Wir konnten es zunächst kaum glauben, als wir jedoch die Adoptionspapiere selbst sahen, brachen wir ebenfalls sofort in Tränen aus. Dreißig Tage nachdem wir den Mut bewiesen hatten, das Richtige zu tun, wurde uns eine Chance auf ein besseres Leben gegeben. Unsere Familie wuchs – und das sollte nur der Anfang sein.

1. KAPITEL

Tori

»Ich komme zu spät zur Arbeit«, keuche ich und quetsche mich durch die Menschenmassen, die versuchen, zur St.-Patrick’s-Day-Parade zu kommen. Ich bin es gewohnt, dass man mittags den Gehweg nie – und ich meine wirklich nie – für sich alleine hat, aber heute scheinen ausnahmslos alle Bewohner Manhattans auf der Straße und auf dem Weg zur Parade zu sein. An diesem Tag ist alles grün: Die Deko in den Schaufenstern, die Klamotten der Menschen, selbst die Drinks und das Essen wurden mit Lebensmittelfarbe eingefärbt, um den irischen Schutzheiligen Patrick zu ehren.

Es ist kein Feiertag im eigentlichen Sinne – die Stores und Restaurants haben wie gewohnt geöffnet –, aber ich mochte schon immer die Atmosphäre, das pulsierende Lebensgefühl, das die Menschen versprühen. Man fühlt sich zugehörig und weniger allein. Da ich aber heute arbeiten muss, werde ich mir die Highlights der Parade wohl abends im Internet ansehen. Dieses Event ist jetzt jedoch mein kleinstes Problem, denn ich drohe, zu spät zu meiner Schicht zu erscheinen, und dabei arbeite ich erst seit drei Wochen im Café. Also lege ich einen Zahn zu.

Es ist genau dreizehn Uhr, als ich schwer atmend meinen Arbeitsplatz erreiche. Nach Luft ringend stütze ich meine Hände auf meinen Knien ab und versuche, meinen Atem zu beruhigen, aber meine Lunge brennt wie Feuer. Ich bin lange nicht mehr Laufen gewesen, und meine Kondition scheint völlig im Eimer zu sein.

»Muss ich Mund-zu-Mund-Beatmung machen?«, fragt meine Kollegin Kim amüsiert und grinst mich von der Theke aus an.

»Heute nicht, aber danke.« Sobald ich mich wieder etwas gefangen habe, eile ich in den Pausenraum, um meine Tasche und meine Jacke abzulegen. Ich binde mir die Schürze um, überprüfe im Spiegel meine Frisur und das Make-up und gehe an die Arbeit.

»Ähm, du trägst kein Grün.« Kayla mustert mich vom Büro aus, als ich den Raum verlasse. Ich blicke auf mein weißes T-Shirt, das ich zu meinem schwarzen Jeansrock kombiniert habe. Mist!

»Ich habe es verschwitzt, entschuldige bitte.« Verlegen blicke ich auf meine Schuhe. Ich ärgere mich, dass ich nicht daran gedacht habe, vor allem, weil Kayla uns gestern Abend extra noch daran erinnert hat. Sie wirft mir noch einen vorwurfsvollen Blick zu, sagt aber nichts mehr, sondern nickt nur in Richtung Theke, was mich erlöst. Ich fliehe regelrecht vor ihr und helfe meiner anderen Kollegin Brandy aus, die alle Hände voll zu tun hat.

Drei Wochen ist es nun her, dass ich diesen Job als Barista ergattert habe. Nach langer Suche habe ich endlich diese Anstellung gefunden, die zu mir passt, gut bezahlt wird und Spaß macht. Ich arbeite in einem der typischen Coffeeshops mit den verschiedensten Kaffeevariationen und Bechern in allen Größen. Dazu gibt es Kuchen, Donuts, Cookies und weitere Leckereien, die ich nur zu gern selbst vernaschen würde.

Die Wände sind beige tapeziert und mit großen Bildern geschmückt, die zu den dunklen Samtmöbeln passen. Die Gäste sind hauptsächlich Anzugträger und elegant gekleidete Frauen. Keine Studenten und keine Normalos, wie ich sie zu nennen pflege. Das Café befindet sich mitten auf der Business Street Manhattans, nicht weit von der berühmten Wall Street, wo ein Wolkenkratzer neben dem anderen emporragt. Dort findet man Büros jeglicher Branchen, Arztpraxen, Versicherungsbüros und weitere Räumlichkeiten der New Yorker Geschäftswelt.

Der Lohn könnte höher sein, aber während der kurzen Zeit dort habe ich bereits festgestellt, dass die Kunden mit dem Trinkgeld nicht geizen. Tatsächlich zahlen sie manchmal mehr als fünfzig Prozent. Wenn ich es hochrechne, könnte ich in einem Monat meine Mietschulden tilgen, die sich angehäuft haben, während ich auf Jobsuche war.

Mein Vermieter sitzt mir schon im Nacken, aber mittlerweile habe ich schon knapp die Hälfte zusammengespart.

Die Geschäftsführerin Kayla hat das Herz am rechten Fleck, war mir eine große Stütze bei der Einarbeitungsphase und mittlerweile kann ich sogar Zimtmuster auf Cappuccinos kreieren. Was, um ehrlich zu sein, ein Wunder ist. Es scheint so, als ob ich zum ersten Mal seit langer Zeit nicht vom Pech verfolgt werde. Die letzten Jahre waren ziemlich hart – in finanzieller und vor allem in privater Hinsicht. Als ich achtzehn war, verlor ich meinen Vater und damit auch den Wohlstand, den ich mein ganzes bisheriges Leben genossen hatte. Da meine Mutter schon bei meiner Geburt gestorben war, wurde ich somit zur Waise und musste einen Schicksalsschlag nach dem anderen ertragen. Die Menschen, die ich für meine Familie gehalten hatte, haben mich hintergangen und mich mittellos gemacht.

Das hat mich früh gelehrt, Menschen nicht zu nah an mich ranzulassen und die Distanz zu wahren. Das einzige andere Lebewesen, das Platz in meinem Leben hat, ist mein brüllender Löwe Scar. Ein getigerter Kater, den ich an meinem achtundzwanzigsten Geburtstag völlig verwahrlost neben einer Mülltonne fand. Dort, wo sein rechtes Auge hätte sein sollen, klaffte eine blutende Wunde. Ohne groß nachzudenken, brachte ich ihn zur Tierklinik in Brooklyn – dort konnte man zwar nicht mehr sein Auge, dafür aber sein Leben retten.

Seine Genesung verlief blendend, ich besuchte ihn jeden Tag und benannte ihn schließlich nach dem Disney-Bösewicht Scar aus Der König der Löwen. Denn selbst sein Miauen klang wie ein Brüllen, und er verhielt und bewegte sich durch und durch hoheitsvoll. Da wusste ich, dass er ein Teil meines Lebens sein musste, und nahm ihn bei mir auf. Die Besuche in der Tierklinik hatten etwas mit mir gemacht. Ich lernte viele Ärzte und Mitarbeiter kennen und war fasziniert von deren Engagement und Leidenschaft für ihren Beruf.

Sie päppelten Scar auf und pflegten ihn gesund. Diese Schritte mitverfolgen zu können öffnete mir die Augen. Jahrelang wusste ich nicht, wie ich meine Freizeit verbringen konnte, ohne vor Einsamkeit wahnsinnig zu werden. Aber alles änderte sich, als ich an meinem Geburtstag einen Freund und eine Möglichkeit bekam, Gutes zu tun.

Die Pet Care Clinic ist mittlerweile wie ein zweites Zuhause für mich. Jede Woche helfe ich ehrenamtlich in der Klinik aus, kümmere mich um die Tiere, säubere die Geräte und Arbeitsflächen, und wenn ich Glück habe, darf ich bei Untersuchungen zusehen und die Tiere beruhigen. Ich liebe diese Arbeit und sehe zu den Tierärzten auf. Ihr Beruf und Engagement begeistern mich nach wie vor, und ein Teil von mir würde selbst gern diesen Berufsweg einschlagen, wenn da nicht diese ständige Unsicherheit wäre und ich nicht ohnehin jeden Penny zweimal umdrehen müsste. Für ein Stipendium waren meine Noten zu schlecht, und mir fehlt das nötige Geld für ein Studium.

Deshalb habe ich mich von dieser Idee längst verabschiedet, denn es ist so oder so hoffnungslos, da mir zu viele Steine im Weg liegen und ich nicht die Kraft habe, sie zur Seite zu schieben.

Die Mitarbeiter der Klinik kennen mich mittlerweile gut – und gewissermaßen auch wieder nicht. Privaten Fragen weiche ich stets aus und wechsele das Thema. Mittlerweile bin ich Profi darin. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, wenn man sie zu nah an sich ranlässt, einen enttäuschen und verletzen werden, deshalb gehe ich Beziehungen jeglicher Art aus dem Weg. Nur so kann ich mich schützen und muss niemandem von meiner traurigen Vergangenheit erzählen.

»Dorian Millard ist ein Gott.« Meine Arbeitskollegin reißt mich aus meinen Gedanken, und es fängt schon wieder an. Ständig schwärmt sie von diesem Rockstar, der in aller Munde ist. Ich selbst höre ab und zu die Musik von Everstorm, meist, wenn es mir schlecht geht. Ihre Melodien und vor allem die tiefgründigen Texte gehen mir einfach unter die Haut. Besonders einer der Songs bedeutet mir sehr viel und hat mir durch die schwerste Zeit in meinem Leben geholfen. Die Musiker selbst und deren Privatleben interessieren mich nicht. Ich bin kein Mensch, der nach Gossip der Stars giert, aber das muss ich auch nicht, denn Brandy ist schlimmer als das People Magazine. Sie riecht einen Skandal aus tausend Kilometern Entfernung.

»Du weißt schon, dass er für dich unerreichbar ist, oder?« Ich drehe ihr den Rücken zu und räume die schmutzigen Gläser in den Geschirrspüler.

»Natürlich weiß ich das. Ich bin ja nicht blöd. Aber ich kann einfach nicht aufhören, von ihm zu träumen.«

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich die Maschine einschalte. »Dann solltest du die Alben vonEverstorm nicht die ganze Nacht hören.«

»Ich kann einfach nicht anders. Es ist eine Sucht. Ich bin Ians Stimme verfallen.«

»Warte mal. Wer ist denn Ian?« Ich komme mit ihren Männern langsam nicht mehr mit.

»Es geht noch immer um denselben Mann.«

»Jetzt wird es langsam kompliziert.«

»Ian nennen ihn nur seine Freunde und die Familie«, erklärt Brandy geduldig.

»Okay. Verstehe …«

»Sie werden bald ein Unplugged-Konzert im Lincoln Center geben, und der Kartenverkauf startet nächste Woche. Wenn du möchtest, kannst du gerne mitkommen.«

»Das ist lieb von dir, aber ich bin nicht so der Konzert-Typ.« Früher war ich es einmal, aber das ist lange her. Brandy erzählt mir noch von anderen Bands, die sie gerne live erleben möchte, aber die Worte dringen kaum zu mir durch. All meine Gedanken kreisen um meinen letzten Konzertbesuch – die Erinnerung daran lässt mich erschaudern. Mein Ex-Freund und ich hatten uns auf einem Nickelback-Konzert verabredet, trennten uns aber schon beim Auftritt der Vorband, als er mir gestand, dass er mich wieder einmal betrogen hatte. Ich trat ihm in die Eier, wünschte ihn zum Teufel und betrank mich – und das nicht zu knapp.

Ich kippte ein Bier nach dem anderen in mich rein und wachte im nächsten Moment in meinem Bett auf und konnte mich an nichts mehr erinnern. Als ich beim Concierge unseres Apartmenthauses nachfragte, wer mich reingetragen hatte, konnte auch er mir keine Antwort geben. Ein kalter Schauer erfasst mich, wenn ich daran denke, was wohl passiert ist. Hatte mich jemand betatscht oder gar Schlimmeres? Körperlich ging es mir gut, aber seitdem habe ich nie wieder mehr getrunken, als ich vertrage. Der heftige Filmriss hat seine Spuren hinterlassen.

Nach einer anstrengenden Schicht schließe ich die Tür zu meiner Wohnung auf und atme tief durch. Hier ist mein Reich. Hier habe ich gelernt, mich pudelwohl zu fühlen. Als ich in diese Einzimmerwohnung zog, hingen die Tapeten von der Decke, der Putz bröckelte von den Wänden ab, und auch sonst war die Wohnung in keinem guten Zustand. Der Grund, wieso ich geblieben bin, ist schlichtweg die günstige Miete sowie die gute Lage. Nach Manhattan sind es knappe vierzig Minuten, ein Lebensmittelladen ist genau gegenüber und die U-Bahn-Station ist in unmittelbarer Nähe.

Es dauerte Monate, bis ich das Geld zusammengekratzt hatte, um die Tapeten abzulösen, die Wände zu verspachteln und weiß zu streichen. Selbst einen hellen Laminatboden hatte das Budget hergegeben, und er hatte die Renovierung perfekt gemacht. Mit den Möbeln ließ ich mir Zeit. In den zwei Jahren nach meinem Einzug klapperte ich einen Flohmarkt nach dem anderen ab und besorgte mir nach und nach helle Vintage-Möbel: einen beigen Beistelltisch, auf dem mein Kerzenhalter steht, pastellfarbene Kissenbezüge für meine Couch, eine Hängeleuchte, die ebenfalls in Pastellblau gehalten ist, und vieles mehr.

Bei den Besuchen auf dem Flohmarkt lernte ich auch Martha und John kennen, die dort ihre selbst gemachten Kreationen verkaufen. John ist Schreiner, und Martha näht für ihr Leben gern. John baute mir ein deckenhohes Regal neben dem Bett auf, sodass dieses vor neugierigen Augen versteckt ist. Außerdem spannte er mir eine Stange zwischen Wand und Regal ein, wo ich einen Vorhang anbrachte, den mir Martha außer einer Tagesdecke auch noch genäht hatte. So grenze ich in meiner Einzimmerwohnung meinen Schlafplatz ab.

Wie jeden Abend zünde ich mir eine Duftkerze an, schalte das Radio ein und esse eine Kleinigkeit, wobei mir Scar auf dem anderen Stuhl Gesellschaft leistet. »Heute war ein Tag, sag ich dir«, informiere ich ihn zwischen zwei Bissen.

»Ich habe zwei Bestellungen versemmelt, weil ich den falschen Sirup ausgewählt habe, und dann hat auch noch die Maschine den Geist aufgegeben und ich musste eine Stunde lang mit dem Kundendienst telefonieren, bis die uns endlich einen Techniker geschickt haben.« Scar rümpft die Nase und würdigt mich keines Blickes, was ich aber schon gewohnt bin. Viele würden mich für verrückt halten, weil ich mit meiner Katze spreche, aber wenn man wie ich das Leben einer Einsiedlerin führt, gewöhnt man sich an die merkwürdigsten Dinge.

Gegen zweiundzwanzig Uhr mache ich es mir in meinem Bett gemütlich und schnappe mir mein Smartphone, um mir die Aufzeichnungen der heutigen Parade anzusehen.

Früher bin ich mit Dad jedes Jahr hingegangen. In manchen Jahren ging ich von oben bis unten grün angemalt dorthin – ich habe es geliebt, mich zu verkleiden. Dad hat sich ebenfalls Mühe mit seinen Outfits gegeben und mich unterstützt, egal, wie verrückt meine Kostüme waren.

Die Parade ist wie jedes Jahr sehr musikalisch, von Dudelsackspielern bis hin zu einer Blaskapelle ist alles dabei. Das ganze Event zu sehen, den im Video festgehaltenen Flair zu erleben lässt Tränen in mir aufsteigen. Ich vermisse Dad jeden einzelnen Tag, aber heute ganz besonders, weil es die dreizehnte Parade ist, die er verpasst, und der Schmerz auch nach all den Jahren ohne ihn nicht nachlassen will.

Mit Tränen in den Augen lege ich das Smartphone weg und ziehe die Decke über mich. Ich kneife die Augen zusammen und hoffe, dass der Schmerz in meiner Brust vergeht, dass ich endlich wieder atmen kann. Aber die Schwere in meinem Herzen hält so lange an, bis die Müdigkeit mich schließlich überwältigt und ich einschlafe.

2. KAPITEL

Hayden

»Dein Bruder hat mal wieder ein Hotelzimmer in Kolumbien demoliert.« Eigentlich sollten mir diese Worte Kopfschmerzen oder Migräneanfälle der Extraklasse bereiten, aber diese Nachricht ist nichts Neues für mich. Haarsträubende Berichte wie dieser erreichen mich schon seit einem Jahr regelmäßig, und ich befürchte, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Jamie steht vor meinem Schreibtisch und wartet auf eine Reaktion meinerseits oder darauf, dass ich den Blick hebe, aber ich sehe auf den Monitor und die unzähligen Mails, die darauf warten, von mir bearbeitet zu werden. Das Arbeitspensum ist jetzt schon kaum zu bewältigen, da sind Dorians Eskapaden das Letzte, was ich gebrauchen kann.

»Wie viel wollen sie?« Die Hotels wollen immer eine Gegenleistung, damit sie die Infos nicht an die Klatschblätter weitergeben.

»Neben den Reparatur- und Reinigungskosten wollen Sie einen Bonus von zwanzig Riesen. Andernfalls gehen sie an die Presse.«

»Zwanzigtausend Dollar? Das ist doppelt so viel wie beim letzten Mal!« Wut breitet sich in mir aus, jedoch bin ich mir nicht sicher, auf wen – meinen Bruder oder den Hotelier.

»Diesmal hat Ian übertrieben und einen Großteil der Einrichtung zertrümmert. Die Fotos sehen heftig aus.«

»Lass sie mich sehen.«

»Nein.«

»Nein?« Ich sehe meinen besten Freund an, der das Kinn vorreckt und tatsächlich mit mir diskutieren will.

»Du hast so viel Arbeitsrückstand, dass du einen Monat durchackern musst, um ihn aufzuholen. Du schläfst kaum und trainierst viel zu viel, ohne genügend zu essen. Ich erkenne einen überarbeiteten Mann, wenn ich ihn vor mir sehe, und genau deswegen werde ich mich um die Angelegenheit im Hotel kümmern und du konzentrierst dich darauf, mit deinem Bruder zu sprechen und sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert.«

»Du weißt aber schon, dass ich der Boss bin und die Anweisungen gebe, oder?«

»Und ob ich das weiß, aber mein Job als bester Freund ist es, dafür zu sorgen, dass du nicht auf unmittelbarem Wege in ein Burn-out rast.«

»Das wird nicht passieren.«

»Dann ist ja gut.«

Ich fahre mir durchs Haar und verschränke die Finger hinter dem Kopf. Meine Augen werden langsam müde, immerhin habe ich fünf Stunden am Stück auf den Monitor gestarrt.

»Du siehst aus, als könntest du einen dreifachen Espresso gebrauchen.«

»Und wie ich den gebrauchen könnte.«

»Dann arbeite noch ein wenig. Wir treffen uns um fünfzehn Uhr im Coffeeshop um die Ecke und besprechen die neuen Stellenausschreibungen.« Wir versuchen, einmal am Tag auswärts etwas trinken zu gehen, um uns eine Pause zu gönnen und nicht den ganzen Tag im Büro zu verbringen.

»Wir suchen schon wieder?«

»Ja, unter anderem eine persönliche Assistentin für dich.«

»Wie bitte?«

»Du hast mich schon verstanden.«

»Ich regele meine Termine schon selbst. Für die anderen Arbeiten habe ich eine Sekretärin.«

»Holly ist total ausgelastet, und du hast zwar bis jetzt deine Termine und Einteilungen gut bewerkstelligt, aber mittlerweile sind die Mails und Termine einfach zu viel.«

»Das schaffe ich schon.«

»Bei allem Respekt, Hayden, aber hör ein Mal auf deinen Personalchef und lass mich meine Arbeit tun.«

Ich seufze auf und blicke auf meine Mails. Er hat ja recht. Auch wenn ich gehofft hatte, es alleine zu schaffen, muss ich mir selbst eingestehen, dass ich effektiver arbeiten könnte, wenn ich eine Assistentin oder einen Assistenten hätte. »Gut, dann stelle die Stellenausschreibung online.«

»Ach, komm schon, Mann, du kannst doch nicht … Moment. Du sagst Ja?«

»Das tue ich. Ich habe tatsächlich mehr Arbeit, als ich bewältigen kann. Etwas Hilfe würde nicht schaden.«

»Halleluja! Und ich hatte eine Wette mit Klaus laufen, dass du mich rausschmeißt, wenn ich das Thema Assistenz aufrolle.«

»Wie viel verlierst du?«

»Fünfzig Dollar«, antwortet Jamie zerknirscht.

»Autsch, na, da werde wohl ich heute den Kaffee spendieren müssen.«

»Das wäre nur fair.«

»Gut. Hast du sonst noch etwas für mich?« In zehn Minuten habe ich ein wichtiges Meeting mit unserer Marketingabteilung. Wir besprechen eine neue Social-Media-Kampagne.

»Das war neben Ian mein wichtigstes Anliegen. Alles weitere besprechen wir heute Nachmittag beim Kaffee. Vergiss es nur nicht wieder.«

»Ja, schon gut, und nun ab mit dir. Ich habe zu tun.«

»Sir, ja, Sir.« Er salutiert vor mir, als wäre ich sein Befehlshaber bei der Navy, ehe er wieder in sein Büro geht. Da ich innerlich aufgewühlt bin und nicht still sitzen kann, stehe ich auf und stelle mich vor mein bodentiefes Fenster, um auf die umstehenden Gebäude zu blicken. Alles, was das Auge sieht, ist Stahl, Glas und Menschen, die aus der Entfernung wie Ameisen aussehen. Die Aussicht ist zwar schön, aber ich würde mir wünschen, mehr Grün zu sehen, mehr vom Central Park. Mein Leben lang bin ich vom Grau New Yorks umgeben, sodass ich privat meine Zeit am liebsten nur im Freien verbringen würde.

Wir sind in der Business Street, wie sie umgangssprachlich genannt wird. Der Gegend, wo es von aufstrebenden und etablierten Unternehmen nur so wimmelt oder, besser gesagt, von deren Büros. Viele der CEOs kenne ich persönlich und treffe sie häufiger auf Galas und Partys, habe mich mit ihnen aber nie anfreunden können. Es ist, als würde meine Herkunft zwischen uns stehen. Ich komme aus armen Verhältnissen und habe in meiner Kindheit bereits mehr durchgemacht als manch ein erwachsener Mensch in seinem gesamten Leben. Ich versuche, die Vergangenheit zu vergessen, so gut ich kann, aber die Erinnerungen und Schmerzen suchen mich immer noch heim.

Nun bin ich Eigentümer von Ever Records, einem der größten Musiklabels der USA. Ich habe der Band meines Bruders zum Erfolg verholfen, ihr einen erfahrenen Manager zur Seite gestellt und Newcomer sowie Superstars unter Vertrag. Ich bin ein Geschäftsmann, der eigentlich nach Feierabend das Leben genießen sollte. Jemand, der am Wochenende durch die Bars zieht, um sich die ein oder andere Frau zu angeln. Aber alles, was mich in den letzten Wochen beschäftigt, ist die Arbeit und die Frage, wieso mein Bruder bei jeder sich bietenden Gelegenheit austickt und alles kurz und klein schlägt.

Denn von außen betrachtet ergibt das keinen Sinn:Everstorm ist eine der erfolgreichsten Bands mit Millionen von Fans, die ihr treu zur Seite stehen. Die Jungs arbeiten gerade an ihrem vierten Studioalbum, und trotz allem ist mein Bruder nicht glücklich. Seit ich denken kann, hat die Musik ihn geerdet und ihm dabei geholfen, der Mann zu sein, der er ist. Wir beide und Quinn kommen aus zerrütteten Verhältnissen, und die Musik hat ihm einen Ausweg aus dem Elend geboten. So war es zumindest bis vor Kurzem. Ich greife nach meinem Smartphone und wische zum Kalender der Band, den auch ich einsehen kann.

Sie haben gerade ein Interview in Kolumbien, wo sie den neuen Hit mit dem kolumbianischen Superstar Carlos Umaz promoten. Der Song ist der Ohrwurm des Frühlings und wird mit Sicherheit auch im Sommer eine hohe Chartplatzierung halten können. Vier Produzenten und zwei der besten Songschreiber New Yorks haben den Jungs unter die Arme gegriffen und den Song geschrieben und produziert.

Er ist in der ersten Woche in den Top Ten der Billboard-Charts gestartet und mittlerweile unter den Top Drei. Den Erfolg haben wir dem außerordentlichen Talent der Jungs und der markanten Stimme meines Bruders zu verdanken. Es könnte nicht besser laufen, wenn nicht der Ruhm meinem Bruder zu schaffen machen würde. Ich schreibe ihm eine Nachricht, dass er sich sofort bei mir melden soll, sobald er Zeit hat, und stecke das Handy in meine Hosentasche.

Eine Stunde später hätte ich beinahe vergessen, dass ich mich mit Jamie im Coffeeshop treffen sollte. Um dies zu vermeiden, hat er mich schon sieben Mal angeklingelt, damit ich auch wirklich erscheine. Er kennt mich einfach zu gut, denn wenn man seine Arbeit so liebt wie ich, kann es passieren, dass man die Zeit vergisst.

Die Sonne wärmt mein Gesicht, als ich das Bürogebäude verlasse und tief einatme. Es tut gut, öfter rauszugehen. Ich bin durch meinen Job so eingespannt, dass ich mich manchmal zwingen muss, eine Pause einzulegen, um rauszugehen. Ich vertrete mir die Beine, genieße die frische Luft und lasse mich regelrecht von der Masse mitreißen. Zwischen all den geschäftig wirkenden Businessleuten wird mir mehr und mehr bewusst, dass ich nun einer von ihnen bin. Als Jugendlicher wurde ich herumgeschubst und war dem Gesetz des Stärkeren unterworfen, sei es nun zu Hause oder in der Schule. Jetzt muss ich mich niemandem mehr unterordnen und bin mein eigener Herr.

Die Zeiten haben sich geändert, und rückblickend ist die Vergangenheit nichts weiter als die Zeit, die mich für die Zukunft geformt hat. Wäre ich nicht durch die Hölle gegangen, wäre ich nicht der, der ich bin. Und ich bin stolz auf meine Familie und mich. Wir arbeiten hart für unseren Erfolg und geben unser Bestes. Mir geht es gut, aber trotz allem hasse ich es, dass ich meinen Peinigern von früher nicht die Stirn bieten konnte, dass ich ihnen nicht ins Gesicht gesagt habe, dass ich sie für das hasse, was sie mir angetan haben. Und ein bisschen hasse ich auch mich selbst. Hasse mich dafür, dass es mir doch mehr ausmacht, als ich mir selbst einzureden versuche. Auch wenn ich von außen der erfolgreiche und smarte Geschäftsmann bin, sind da immer noch die Wunden aus der Vergangenheit. Wird das je aufhören?

Als ich das Lokal betrete, umgibt mich herrlicher Kaffeeduft von allen Seiten. Wenn ich neben dem Duft meines Büros einen Geruch liebe, dann ist es der von frisch gemahlenen Kaffeebohnen. Jamie erwartet mich bereits an einem der hinteren Tische und winkt mir kurz zu. Ich blicke auf die Uhr und stelle fest, dass ich pünktlich bin. Zum ersten Mal seit Wochen wohlgemerkt. Im Job halte ich Fristen ohne Mühe ein, privat sieht die Sache anders aus. Dies ist kein offizielles Meeting, sondern einfach eine Kaffeepause unter Freunden.

»Ich bin da und das noch dazu in der vorgegebenen Zeit«, verkünde ich nicht ohne Stolz, doch Jamie verdreht nur die Augen.

»Wenn ich keinen Telefonterror gemacht hätte, würdest du noch immer in deinem Büro hocken und auf den Bildschirm starren.« Dieser Mistkerl gönnt mir meinen kurzen Moment des Stolzes einfach nicht. Ich schüttle den Kopf und fahre mir durchs Haar.

»Ja, ja. Nerv nicht, lass uns bestellen.« Wir stellen uns in die Schlange, und ich überlege gerade, welchen Kuchen ich wohl heute probiere, als die Barista nach Bechernachschub ruft. Ich hebe den Blick und entdecke Kim, die heute Dienst hat. Mittlerweile kenne ich fast alle im Team beim Namen. Ein brünetter Haarschopf, der gerade im Lager verschwindet, ist mir allerdings neu.

»Hast du schon gehört, dass Universe Records einen Youtube-Star unter Vertrag genommen hat. Hammond Chris.«

»Der Typ, dessen Nachname ein Vorname ist?«

»Genau der.«

»Kenne ich, habe einige seiner Videos gesehen. Er ist gut, aber er hat nichts Außergewöhnliches in der Stimme und …« Ich verstumme und dann scheint mein Herz einfach stehen zu bleiben. Es fühlt sich so an, als ob es aufhört zu pumpen und einfach seinen Dienst quittiert. Das Bedürfnis, mich zu setzen, ist überwältigend und das nur, weil ich das Gesicht der Neuen erblickt habe, die gerade ins Lokal zurückgekehrt ist.

»Das kann nicht sein«, flüstere ich und ignoriere den fragenden Blick meines Freundes, der natürlich nicht weiß, was ich gerade durchmache. Dort, mit einem Stapel leerer Kaffeebecher bepackt, steht mein ehemaliger Highschoolschwarm und die einzige Frau, die ich mit jeder Faser meines Körpers hasse.

Tori Lancaster.

Seit Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen, wusste nicht einmal, dass sie noch in der Stadt lebt.

Sie hat an Gewicht verloren, und ihre Haare sind nicht mehr blond gefärbt, aber selbst mit der anderen Haarfarbe habe ich sie sofort erkannt. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich sie noch immer attraktiv finde, auch wenn mir ihre Kurven von damals besser gefallen haben.

»Wer ist das?«, flüstert Jamie, da wir beide gleich drankommen werden. Tori und Kim sprechen über die Maschine, die anscheinend nicht richtig läuft.

»Jemand, den ich aus der Highschool kenne.« Das ist zwar eine Untertreibung, aber ich möchte ihm nicht von meiner Vergangenheit mit diesem Biest erzählen. Plötzlich stehen wir uns gegenüber, und sie fragt mich mit einem freundlichen Lächeln nach meiner Bestellung. Zum ersten Mal in meinem Leben sieht sie mir direkt in die Augen und nimmt mich wahr, tritt mir mit Freundlichkeit entgegen und nicht mit Argwohn. In ihren Augen lässt sich nicht ausmachen, ob sie mich erkennt. Ihre Stimme zu hören, überhaupt, sie wiederzusehen macht mich sprachlos, sodass Jamie einspringen muss, um für uns beide die Bestellung aufzugeben. Sie beschriftet unsere Becher und macht sich an die Arbeit. Das war’s.

Ich habe den Schock, Tori wiederzusehen, noch nicht überwunden, selbst dann nicht, als ich mich mit meinem besten Freund unterhalte. Immer wieder blicke ich zum Tresen und beobachte Tori, die mich nicht weiter beachtet – genau wie damals in der Highschool.

Mein verändertes Aussehen könnte ein Grund dafür sein, dass sie mich nicht erkannt hat. Mein Körper hat sich verändert, ich bin nicht mehr der schlaksige Nerd von damals, mein Gesicht ist von der Akne befreit und statt einer Brille trage ich mittlerweile Kontaktlinsen. Für sie war ich damals nur ein Fußabtreter, jemand, auf den sie spucken und an dem sie ihre miesen Launen auslassen konnte. Diese Frau ist der Teufel in Person und doch war ich verknallt in sie, ohne dass ich es mir erklären konnte. In ihrer Nähe stockte mir stets der Atem. Vor allem, wenn sie lächelte und ich alles um mich herum vergaß. Damals hätte ich hundert Dinge aufzählen können, die ich an Tori mochte. Heute sehe ich die Sache natürlich anders.

»Himmel! Du hörst mir ja gar nicht zu.« Ich sehe einen mürrisch dreinblickenden Jamie an und muss gestehen, dass ich zum ersten Mal nicht bei der Sache bin, während wir uns unterhalten.

»Entschuldige bitte.« Ich fahre mir durch mein lockiges Haar und versuche, einen klaren Kopf zu bewahren, doch meine Augen werden wie magnetisch von der Frau aus meiner Vergangenheit angezogen, und ich kann rein gar nichts dagegen tun.

»Wer ist diese Frau, Hayden?«

»Mein schlimmster Albtraum.«

»Wie bitte?«, fragt er verblüfft.

»Das ist eine der Personen, die mir meine Highschoolzeit zur Hölle auf Erden gemacht haben. Sie hat mich gedemütigt, mich vor allen blamiert und das völlig grundlos. Einfach, weil ich da war.«

»Nicht zu fassen.« Natürlich kennt Jamie diese Art von Mobbing nicht. Er war Quarterback an seiner Schule, hat eine hübsche Cheerleaderin nach der anderen vernascht und wuchs in einem behüteten Elternhaus auf. Ich bin froh, dass er die Art von Schmerz nicht kennt, die ich erleiden musste.

»Gibt es da etwas, das du ihr sagen möchtest? Du siehst so aus.«

»Ja und nein. Ich kann mich nicht entscheiden. Und ja, es gibt da etwas, was ich nie jemandem anvertraut habe.«

»Was denn?«

»Ich war total in sie verknallt.«

»Trotz all der Scheiße, die sie dir angetan hat?« Ich nicke als Antwort. Ich war ein Teenie, der nichts anderes wollte, als diese Frau zu küssen. Das ist heute natürlich anders, aber damals, damals hat sie mich bis in meine Träume verfolgt. »Auch wenn sie früher unausstehlich war, kann das heute anders sein. Vielleicht hat sie sich verändert?«

»Menschen wie sie ändern sich nicht, Jamie.« Jemand, der lacht, wenn er einen Menschen mit blutender Nase sieht, der sich vor Schmerzen am Boden krümmt, kann sich nicht ändern. »Niemals.«

Nach einer Stunde hat sich das Treffen unter Freunden doch zu einem Geschäftsmeeting entwickelt. Zwischen zwei Espressi haben wir einen Plan für die nächsten Wochen ausgearbeitet, den mein Freund auf dem Tablet festhält. Ab morgen ist Jamie in Boston, um sich in unser neu erworbenes Personalsystem einarbeiten zu lassen. Vorher wird er noch die Job-Annonce aufgeben und seine Vertretung, Vance, wird dann die Bewerbungsgespräche führen.

Ich wünschte, ich wäre die Art von Mensch, die Tori ignorieren könnte, die vergisst, was gewesen ist, und einfach produktiv arbeitet. Aber weit gefehlt, denn ich kann nicht anders, als sie zu beobachten. Sie schenkt jedem Kunden dieses freundliche Lächeln, das sie auch mir gezeigt hat. Was hätte ich damals nicht alles dafür gegeben, dass sie mich nur ein Mal angesehen hätte, als wäre ich nicht ein lästiges Insekt, das ihr auf die Nerven ging.

Ihre Handgriffe wirken noch nicht geübt, was mir klarmacht, dass sie noch nicht lange für Kayla arbeitet. Verdammt, wieso muss sie immer noch so schön sein?

Ich fand sie mit blonden Haaren hübsch, aber brünett setzt sie noch einen drauf und präsentiert ihre natürliche Schönheit, ohne es darauf anzulegen. Mir liegt so vieles auf der Zunge, das ich ihr sagen möchte, dass ich draufbeißen muss, um es nicht laut auszusprechen. Nie hätte ich gedacht, dass es mich so aufwühlen würde, sie wiederzusehen. Seit ich von Mom und Dad adoptiert wurde, habe ich versucht, nicht an Tori zu denken, und doch war sie in den letzten Jahren in meinen Gedanken. Ich habe mir ausgemalt, wie es wohl werden würde, wenn wir uns wiederbegegnen. In den meisten Fantasien habe ich sie gegen die Wand gedrückt und geküsst, ehe ich sie stehen gelassen habe, weil sie mich nicht verdient hat. Dass ich aber dermaßen unter Strom stehen würde, sobald ich sie erblicke, hätte ich nie erwartet.

Als sie plötzlich in dem Gang verschwindet, wo sich die Toiletten befinden, stehe ich kurzerhand auf und folge ihr. Etwas in mir will ihr all das entgegenbrüllen, was ich damals nicht sagen konnte. Und da ist noch etwas in mir, das nach ihrer Nähe verlangt. Etwas, das ihr zeigen will, was sie damals nie beachtet hat und was sie hätte haben können.

Ich gehe langsam in ihre Richtung und sehe, dass sie telefoniert. Es sieht mir nicht ähnlich, die Telefonate anderer Menschen zu belauschen, aber jetzt, in diesem Moment bin ich nicht ich selbst. Ihre Stimme klingt noch genau so, wie ich sie in Erinnerung habe, nur etwas weicher. Tori unterhält sich mit jemandem namens Maude, und es geht um eine Abendschicht, die Tori übernehmen soll. Verwirrt runzle ich die Stirn. Sie hat zwei Jobs? Die Tori, die ich von damals kannte, hätte sich ungern die Hände schmutzig gemacht. Diese hier scheint aber ein Geldproblem zu haben. Zu schnell beendet sie das Gespräch und dreht sich um, um die Nische zu verlassen, in die sie sich zum Telefonieren zurückgezogen hat. Ich nehme all meinen Mut zusammen und will sie ansprechen, doch plötzlich werde ich von jemandem angerempelt und verliere den Halt.

3. KAPITEL

Tori

Kaum habe ich das Telefongespräch beendet und mein Handy wieder in die hintere Jeanstasche gesteckt, unterdrücke ich einen Schrei, als plötzlich ein Mann im Anzug in die Nische stolpert. Ich erstarre, reiße die Augen auf und sehe mich schon mit dem Hinterkopf gegen die Wand knallen. Ich atme schwer und erwidere seinen erschrockenen Blick. Seine Pupillen sind vor Schreck geweitet, aber da ist noch etwas anderes. Etwas sagt mir, dass ich diese Augen schon einmal gesehen habe, es ist, als würde ich deren Farbe kennen.

Sie sind blau, nein, grau, aber auch etwas grün. Es ist eine unverkennbare Mischung aus diesen drei Farben und kurz vergesse ich, dass ich jetzt durch den Aufprall heftige Schmerzen verspüren müsste, aber da ist nichts. Der Fremde hat eine Hand neben meinem Kopf abgestützt, mit der anderen hält er meine Taille. Wir atmen beide schwer, und obwohl alles so schnell gegangen ist, habe ich nun das Gefühl, als würde alles stillstehen.

Der Mann ist attraktiv, keine Frage, genau der Typ Mann, auf den ich stehen würde, wenn ich die Zeit und Lust dazu hätte. Gewelltes dunkelblondes Haar, mit einem leichten Braunstich. Einzelne Locken fallen ihm ins Gesicht, und es steht ihm fantastisch. Es handelt sich um meinen persönlichen Himmel, denn ich liebe Männer mit dichtem Haar. Wir befinden uns fast auf Augenhöhe, was mir mit meinen ein Meter achtzig eher selten passiert. Mein Körper ist hin und weg von diesem Mann, aber dieser Teil von mir hat nicht das Sagen.

Ich löse mich von ihm, oder, sagen wir es so, ich versuche zurückzuweichen, aber da hinter mir eine Wand ist, komme ich nicht weiter. Ich räuspere mich, weil mir das Sprechen plötzlich schwerfällt. Aber er scheint in Gedanken zu sein und bleibt, wo er ist. Eigentlich sollte ich Angst haben, immerhin bin ich in einer verfänglichen Lage mit einem völlig Fremden, aber etwas in mir ist sich sicher, dass dieser Mann mir nichts tun will. Ich räuspere mich noch einmal, und endlich versteht er. »Bitte entschuldigen Sie. Ich bin angerempelt worden und wollte Sie nicht umreißen.« Er lächelt und löst seine Hände von mir. Um Himmels willen! Eigentlich ist es nur ein halbes Lächeln, doch es beschert mir sofort Herzrasen. Mein Körper seufzt erneut auf, aber ich bringe ihn zum Verstummen. Ein Kerl ist das Letzte, das ich jetzt gebrauchen kann.

»Ist schon gut. Es ist ja nichts passiert. Wenn Sie mich entschuldigen, ich muss wieder an die Arbeit.«

»Natürlich.« Er tritt einen Schritt zur Seite, damit ich gehen kann, aber sein Aftershave, gepaart mit seinem erdigen Geruch, verfolgt und umhüllt mich.

Ich stürze mich regelrecht in die Arbeit, räume die Tische ab und serviere. Ich tue alles, um nicht an diesen Vorfall von vorhin zu denken. Es ist nicht das erste Mal, dass mir ein attraktiver Mann über den Weg läuft. Ich bin sicher keine Frau, die beim ersten Anblick eines Typen gleich ihr Höschen präsentiert, aber die kurze Begegnung mit diesem Mann ist mir wahrlich unter die Haut gegangen.

Ich kann es nicht lassen und blicke öfter an seinen Tisch, als ich es tun sollte, aber zum Glück bemerkt er es nicht. Vielleicht ist es wieder an der Zeit auszugehen. Durch diesen Job stehe ich hoffentlich bald finanziell besser da und kann mir einen Abend in einer Bar gönnen, um endlich mal wieder zu tanzen und vielleicht jemanden kennenzulernen. Es ist zu lange her, dass ich einem Mann nahegekommen bin. Eine Beziehung hatte ich seit Jahren nicht mehr, und der letzte One-Night-Stand ist schon eine Weile her. Selbst als der attraktive Fremde den Coffeeshop verlässt, dauert es eine Weile, bis ich seinen intensiven Blick vergessen kann.

Nachdem wir geschlossen haben, helfe ich meinen Kollegen beim Aufräumen, während Kim die Kasse abrechnet und Musik einschaltet. Die anderen tanzen, während sie die Tische abwischen, oder singen mit, ich wippe nur im Takt und reinige die Milchdüsen der Maschinen. Ich bin die Letzte, die ihre Schürze ablegt und sich umzieht. »Tori?«, ruft meine Chefin im Flur, als würde sie mich suchen.

»Bin in der Garderobe.« Sie erscheint mit einem erleichterten Gesichtsausdruck im Türrahmen, ehe sie mich bittet, ihr ins Büro zu folgen. Als ich Platz nehme, räuspert sie sich und sieht mich entschuldigend an. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in mir aus, als ich ihren Gesichtsausdruck sehe.

»Ich bin kein Mensch, der lange um den heißen Brei herumredet, deshalb rücke ich gleich mit der Sprache raus.« Sie schweigt einen Moment und fährt fort, ohne mich anzusehen.

»Ich habe heute einen Brief vom Finanzamt bekommen. Es geht um eine satte Steuernachzahlung, die ich in einer Woche begleichen muss.« Mist! Das hier kann nicht gut für mich enden.

»Was heißt das für mich?«, frage ich und mahle mit dem Kiefer, weil ich bereits vermute, dass mir nicht gefallen wird, was ich nun hören werde.

»Das heißt, dass ich deine Stelle nicht mehr halten kann.« Oh Nein! Alles, nur das nicht!

»Kannst du nicht meine Stunden reduzieren? Bitte, ich brauche diesen Job unbedingt.« Sie schüttelt traurig den Kopf, und ich sehe ihr an, dass ich mit Flehen nicht weit kommen werde. Ich werde eiskalt gefeuert.

»Es tut mir sehr leid, Tori. Aber vielleicht findest du schnell eine Anstellung, die dir noch besser gefällt.«

»Danke, aber das glaube ich kaum.«

»Ich finde, du hast tolle Arbeit geleistet. Glaub jetzt bitte nicht, dass ich dich entlasse, weil deine Leistung nicht gepasst hätte.«

»Das ist mir schon klar, trotzdem weiß ich nicht, was ich nun tun soll.«

»Ich wünschte wirklich, die Dinge würden anders stehen.«

»Ich auch, dass kannst du mir glauben.« Kayla legt ihre Hand mitfühlend auf meine, aber irgendwie fühlt sie sich bleischwer an, so wie die finanzielle Last, die auf meinen Schultern liegt.

»Ich wünsche dir von Herzen alles Gute auf deinem weiteren Weg, Tori.«

»Danke«, flüstere ich, aber zu einem Lächeln kann ich mich wahrlich nicht abmühen. Nicht einmal zum Abschied. Während Kayla noch im Büro bleibt, gehe ich ein letztes Mal in den Verkaufsraum, streiche mit der Hand über die Theke, an der ich bedienen durfte. Ich werde den Laden vermissen und auch die Kolleginnen, mit denen ich gut klargekommen bin. Ich klopfe ein Mal auf das Holz und will schon gehen, blicke aber noch mal zu dem Tisch, wo der Fremde heute gesessen hat. Trotz meiner misslichen Lage und der Enttäuschung muss ich an die Begegnung von heute denken. In Gedanken nähere ich mich dem Tisch, an dem er gesessen hat. Dort entdecke ich einen Zettel, den jemand auf dem Tisch vergessen haben muss. Als ich ihn in die Hand nehme und durchlese, erkenne ich, dass es sich um eine Stellenausschreibung handelt. Der CEO von Ever Records sucht eine persönliche Assistentin.

Das wäre mit Sicherheit ein gehobener und gut bezahlter Job, aber ohne Referenzen und Berufserfahrung werde ich keine Chance haben. Trotz allem nehme ich den Zettel an mich und stopfe ihn in meine Tasche. Dann verlasse ich mit hängenden Schultern den Coffeeshop, in dem ich sehr gerne gearbeitet habe.

Mit der Subway dauert es ungefähr vierzig Minuten bis nach Brooklyn, heute kommt es mir jedoch wie eine Ewigkeit vor. Schlimm genug, dass ich meinen Job verloren habe und die Mietschulden in absehbarer Zeit nicht begleichen kann. Mir stellt sich nun auch noch die Frage, ob ich schnell genug einen neuen Job finde, um den Rückstand überhaupt wieder aufholen zu können. Es würde mir das Herz brechen, meine mietpreisgebundene Wohnung zu verlieren. Als ich mein Apartment betrete, schaffe ich es gerade noch, mich todmüde ins Bett fallen zu lassen. Dabei hoffe ich, dass ich ein paar Stunden Schlaf finde, bevor mich meine Probleme wieder einholen.

Der Sonnenaufgang über den Dächern von Brooklyn ist atemberaubend. Das dunkle Blau wird durch ein sattes Orange und Rot abgelöst – es verspricht ein weiterer warmer Frühlingstag zu werden. Die Farben der Natur haben von jeher eine beruhigende Wirkung auf mich. Dad nahm mich früher zum Wandern mit, und wenn wir in einer der Hütten am Gipfel übernachteten, waren die Sonnenuntergänge stets spektakulär, ebenso wie die Sonnenaufgänge. Wir saßen immer draußen, gemeinsam in eine Decke eingehüllt auf einer der Bänke und genossen die Ruhe. In diesen Momenten schien die Welt stillzustehen. Dies ist eine der schönsten Erinnerungen, die ich mit meinem Vater verbinde. Wir hatten eine ganz besondere Beziehung zueinander, was den anderen Familienmitgliedern ein Dorn im Auge war. Aber damals dachte ich mir nichts dabei, und das stellte sich als Fehler heraus.

Nachdem ich einen Kaffee getrunken habe, mache ich mir in Gedanken eine Liste, wie es weitergehen wird. Ich muss mit meinem Vermieter reden und ihn um einen Aufschub der Miete und um weitere Geduld bitten. Dann werde ich online sowie in Zeitungen die Jobanzeigen durchgehen, um schnell wieder eine Anstellung zu finden. Ich werde meine Wohnung aufräumen und einkaufen gehen.

Aber zuerst ist das Wichtigste dran, und das ist die Sache mit meinen Mietschulden. Ich werde meinem Vermieter die Hälfte meiner Mietschulden anbieten und hoffe, dass er mir so eine Chance gibt. Zumindest bis ich einen neuen Job gefunden habe.

Es ist neun Uhr früh, als ich mit klopfendem Herzen runter ins Erdgeschoss gehe und fieberhaft überlege, wie ich den meist mürrischen Mann davon überzeugen kann, mich nicht rauszuschmeißen. Ich habe mein schulterlanges Haar zurückgebunden und trage schwarze Leggins zu einem ockerfarbenen Oversize-Shirt, das so groß ist, dass es meine Schulter entblößt.

Nachdem ich mit zittrigen Fingern an seine Tür geklopft habe, versuche ich, meinen abgehackten Atem und mein wild klopfendes Herz zu beruhigen. Ich muss einen kühlen Kopf bewahren, wenn ich an sein Mitgefühl appellieren möchte. Ich bin mir nicht zu schade dafür zu betteln, damit er mich weiterhin in dieser Wohnung leben lässt. Es ist die erste seit einem Jahrzehnt, die sich wie ein Zuhause anfühlt. Ich schlucke, als die Tür aufgeht und ein Hüne von einem Mann vor mir steht, der definitiv nicht mein Vermieter ist.

»Ja? Kann ich Ihnen helfen?«

»Ist Mr Rollins zufällig da?« Meine zittrige Stimme verrät meine Nervosität, aber das ist mir jetzt egal. Mein Fokus richtet sich auf mein Ziel. Der Mann mit dem kupferfarbenen Haar und Vollbart mustert mich neugierig, ehe er antwortet.

»Ja, einen Augenblick bitte.« Keine fünf Sekunden später erscheint der Mann, den ich suche, in meinem Blickfeld und schaut mich grimmig an. Das ist wahrlich nichts Neues.

»Miss Lancaster. Ich hätte nicht gedacht, dass sie den Mumm haben hierherzukommen, nachdem ich die letzten Tage vergeblich versucht habe, Sie zu erreichen.« Er verschränkt die Arme vor der Brust, und ich ahne, dass dieses Gespräch alles andere als zu meinem Vorteil ausgehen wird.

»Es tut mir leid, ich habe in den letzten Tagen viel gearbeitet.«

»Das ist gut. Dann haben Sie das Geld, das Sie mir schulden?«

»Nein, noch nicht ganz, aber …«

»Wie bitte?«, knurrt er ungehalten, und auch wenn er einen Kopf kleiner ist als ich, mindert das seine einschüchternde Wirkung nicht.

»Sie wagen es tatsächlich, an meine Tür zu klopfen und nicht mal mein Geld dabeizuhaben?« Das ist eine berechtigte Frage, aber mein Verhalten zeigt auch Mut. Natürlich spreche ich das nicht laut aus. Ihn zu provozieren ist das Letzte, was ich möchte. Irgendwo öffnet sich eine Tür, unser Gespräch bleibt also nicht unbemerkt. Das ist mir aber egal, wenn ich bekomme, was ich will.

»Ich wollte diesbezüglich in Ruhe mit Ihnen reden.«

»In Ihrem Fall rede ich nur mit Geldscheinen.« In meinen Ohren rauscht es, denn ich ahne, dass sich dieses Gespräch in eine falsche Richtung entwickeln wird.

»Ich habe einen Teil des Geldes und werde Ihnen den Rest geben, sobald ich kann.«

»Glauben Sie tatsächlich, ich bin blöd? Wir haben einen Mietvertrag. Wer nicht zahlen kann, fliegt hochkant raus!« Mit jedem Wort, das seine Lippen verlässt, wird er ungehaltener und meine Hoffnung kleiner. Ich schlucke und überlege fieberhaft, was ich noch tun könnte.

»Bitte, Mr Rollins.« Ich kann die Tränen kaum zurückhalten. »Ich weiß, dass wir einen Vertrag haben, und ich werde diesen auch einhalten, wenn Sie mir nur ein wenig Zeit geben. Ich kann Ihnen das Geld besorgen und meine Schulden begleichen.«

»Keine Chance.« Mit verschränkten Armen blickt er mich an, und ich erkenne, dass ich verloren habe. Vielleicht war ich zu naiv, als ich gedacht habe, dass er mir einen Aufschub gibt. Er hat ein Recht auf das Geld, und es gibt bestimmt Tausende Mieter, die gerne mein Apartment haben würden. Das war’s. Ich werde auf der Straße landen und wieder dort enden, wo ich war, als mein Leben in tausend Scherben zerfiel.

»Barry Edward Rollins! Ich höre wohl nicht richtig!« Ich drehe mich um und blicke auf eine junge Frau in meinem Alter, die meinen Vermieter vernichtend ansieht. Ihr kurzer Bob wirbelt um uns herum, als sie sich wutentbrannt zwischen mich und ihn stellt. Ihr Argwohn richtet sich aber vollends gegen meinen Vermieter.

»Misch dich nicht ein, Donna. Das hier geht dich nichts an!« Seine Arme lösen sich, und ich merke, dass seine Augen und seine Haltung weicher werden. Wer auch immer sich hier vor mich gestellt hat, er scheint sie zu mögen.

»Und ob es mich etwas angeht.« Sie stemmt ihre kleinen Hände in die Hüften, und ein Hauch ihres Parfüms, das nach Vanille riecht, umhüllt mich.

»Ich dachte, Tante Jo hat dich zu einem besseren Menschen erzogen.«

»Sie schuldet mir Geld und hat es nicht.«

»Ich hab die Hälfte«, werfe ich ein. Die junge Frau blickt über ihre Schulter in meine Richtung und zwinkert mir zu, ehe sie sich wieder umdreht.

»Die Hälfte ist doch besser als nichts. Siehst du denn nicht, dass diese arme junge Frau dich anfleht, sie nicht rauszuschmeißen? Du kannst mir doch nicht sagen, dass dich das kaltlässt?« Wer auch immer dieser Wirbelwind ist, sie könnte eine hervorragende Anwältin sein, denn mein Vermieter blickt nun reumütig in meine Richtung.

»Du kennst den Vertrag, und wer nicht pünktlich zahlt, ist hier fehl am Platz. Wenn ich bei jedem Mieter weich würde, würden mir alle auf der Nase herumtanzen.«

»Es ist ja nicht so, als wärst du bettelarm und bräuchtest das Geld zum Überleben. Und ich denke, du hast mit uns Mietern Glück, denn seit Jahren wohnen dieselben Menschen in diesem Gebäude, und du weißt, dass das für Brooklyn ungewöhnlich ist.«

»Wie ich schon sagte …«

»Sie hat dich um Aufschub gebeten. Gebeten! Diese junge Frau steht vor dir und appelliert an dein Mitgefühl. Du kannst mir nicht sagen, dass du mit deinen achtunddreißig Jahren schon zum grummeligen Rentner geworden und so gefühlskalt bist, dass du ihr nicht mindestens zwei Monate Aufschub geben kannst.«

»Also ich …«

»Na, siehst du! Ich wusste ja, dass in meinem Cousin etwas Gutes steckt.« Sie knufft ihn, und sein grimmiger Ausdruck verschwindet vollends und wird durch ein leichtes Lächeln abgelöst. Er sieht an Donna vorbei und blickt mich erneut an.

»Zwei Monate. Mehr ist nicht drin. Und die Hälfte, die Sie schon haben, können Sie wie üblich überweisen.« Innerlich jubele und kreische ich vor Freude, aber ich gebe mich gefasst.

»Vielen Dank. Ich werde Sie nicht enttäuschen.« Er nickt als Antwort und wirft seiner Cousine einen strengen Blick zu, ehe er die Tür schließt und uns beide allein lässt.

»Na, das hat doch hervorragend geklappt«, sagt sie mit einem breiten Lächeln, wobei sie zwei Reihen strahlend weißer Zähne entblößt. Ihre fröhliche und unbeschwerte Art verwirrt mich kurz, doch dann reiße ich mich zusammen und fange endlich an zu sprechen.

»Vielen Dank für deine Hilfe.« Ich ringe mir ein mickriges Lächeln ab, das jedoch seine Wirkung zu verfehlen scheint, denn plötzlich sieht die junge Frau mich besorgt an.

»Kann ich dir sonst noch helfen?« Wie lange ist das her, dass mich das jemand gefragt hat? Hat mich das überhaupt schon einmal jemand gefragt? Ich weiß es nicht mehr, aber es fühlt sich gut an, diese Worte zu hören, auch wenn ich ihre Hilfe nicht annehmen werde. Schließlich kenne ich diese Frau gar nicht.

»Das ist nett von dir, aber ich habe alles im Griff.«

»Ich wohne im Apartment 7C, wenn du mal Lust hast zu quatschen.« Das ist eine Wohnung weiter. Kaum vorstellbar, dass wir uns bis jetzt noch nie über den Weg gelaufen sind.

»Vielleicht komme ich darauf zurück.« Sie lächelt mich freundlich an und verabschiedet sich ebenso fröhlich. Ich wünschte, ihre gute Laune und Gelassenheit würden auf mich abfärben, aber mein heftiger Puls will sich einfach nicht beruhigen. Ich zittere, denn dieses Gespräch und das Bangen haben an meinen Nerven gezerrt. Mir bleiben zwei Monate, um das restliche Geld zusammenzukratzen und meinem Vermieter auszuhändigen. Und genau das muss ich schaffen – ansonsten lande ich auf der Straße.

4. KAPITEL

Hayden

»Verdammte Scheiße!« Es sind zwei Stunden vergangen, seit ich Tori wiedergesehen habe, und seitdem konnte ich mich keine fünf Minuten konzentrieren oder gar still sitzen bleiben. Jedes Mal muss ich an das Lächeln denken, das sie mir geschenkt hat. Es war ehrlich und nicht hinterlistig wie damals. Das hat mich völlig aus der Bahn geworfen. In mir tobt ein Sturm an Gefühlen, den ich in dieser Form nicht kenne. Ein Teil von mir fühlt den Schmerz von damals, als sie mir das Leben zur Hölle gemacht hat. Aber da ist immer noch der verknallte Teenie in mir, der nur ihre Schönheit sieht und sich wünscht, sie würde ihn ein Mal wahrnehmen, ihn eines Blickes würdigen.

Ich balle die Hände zu Fäusten und setze mich. Der Moment in der Nische war anders gelaufen, als ich es ursprünglich geplant hatte. Eigentlich hatte ich mich zu erkennen geben wollen, ihr sagen wollen, dass ich der Junge bin, den sie und ihre Freunde damals gepiesackt haben. Ich hatte ihr sagen wollen, dass ich nun derjenige sein sollte, zu dem sie aufsieht, aber kaum hatte ich sie berührt, war mein Kopf wie leergefegt gewesen. Der Schreck in ihren Augen war schnell einem anderen Ausdruck gewichen … Sehnsucht? Verlangen? Neugier?

Egal, was es war, es war so schnell verschwunden, wie es gekommen war, und dann war sie regelrecht vor mir geflohen. Sollte es so zwischen uns enden? Eine kurze Begegnung und dann gehen wir beide unserer Wege? Etwas in mir will das nicht akzeptieren. Die Sache zwischen Tori und mir ist zu groß, um sie zu vergessen, das haben mich die letzten Jahre, in denen ich an sie denken musste, gelehrt. Ich will sie büßen lassen für all den Schmerz, den ich durch sie erleiden musste. Ihre Taten haben tiefe Spuren in mir hinterlassen, und nun sehe ich meine Chance gekommen, es ihr heimzuzahlen. In meinem Kopf lege ich mir einen Plan zurecht, der mir zwar moralisch nicht entspricht, der aber nötig ist, um mit einem ganz bestimmten Teil meiner Vergangenheit endlich abschließen zu können.

Innerhalb weniger Stunden habe ich alles so eingefädelt, dass Tori mit Sicherheit die Stellenanzeige bekommen muss. Bin ich verrückt, wenn ich will, dass meine Erzfeindin meine persönliche Assistentin wird? Vielleicht. Aber etwas in mir giert danach, Rache zu üben oder sie zumindest einfach sehen zu können. Solange ich nicht weiß, was die widersprüchlichen Gefühle in mir zu bedeuten haben, werde ich alles daransetzen, ihnen auf den Grund zu gehen.

»Sie sehen so zufrieden aus.« Meiner Fahrerin Gayle entgeht mein Grinsen natürlich nicht.

»Das liegt daran, dass ich es bin. Es war ein erfolgreicher Tag.«

»Das freut mich. Wollen Sie wieder den üblichen Radiosender hören?«

»Nein, danke. Heute bin ich nostalgisch und höre die Hits meiner Jugend.« Ich stecke meine EarPods ins Ohr und lausche der Musik von früher. Meine Auszeit wird jäh unterbrochen, als mein Smartphone zu klingeln beginnt. Ich seufze auf und blicke aufs Display, auf dem das Bild meines grinsenden Bruders erscheint.

»Hey, Bro«, meldet er sich gut gelaunt, als ich den Anruf entgegennehme.

»Bro? Willst du mich verarschen?«

»Sorry, dann eben förmlicher. Hallo, du Vollpfosten.«

»Ich fasse es nicht.« Ich greife mit Daumen und Zeigefinger an meinen Nasenrücken und versuche, nicht auszuflippen. Wie kann er nach der Scheiße, die er abgezogen hat, so tun, als wäre nichts geschehen?

»Es tut mir leid, okay? Das war alles nicht so geplant.«

»Es war also nicht geplant, dass du ein Zimmer demolierst und das Label um fast fünfzig Riesen bringst?«

»Ich bezahle es aus eigener Tasche, wenn es das ist, was dich stört.«

»Es geht hier nicht nur ums Geld, verdammt. Ich will von dir wissen, was dich um Himmels willen dazu gebracht hat, dermaßen auszuflippen und um dich zu schlagen.«

»Gar nichts. Es war einfach ein Versehen.«

»Ian. Wenn ich eine Chatnachricht für Quinn an Mom versende – das ist ein Versehen. Bei dir ist es etwas anderes. Also rede mit mir. Bitte.« Ich höre ihn tief ein- und ausatmen. Dann ist es für eine Weile still, als wüsste mein Bruder selbst nicht, was er mir antworten soll.

»Es ist alles zu viel geworden. Jeder Tag wiederholt sich, alle Orte sehen gleich aus, ebenso wie die Gesichter um mich herum.«

»Wieso sagst du dann Sly nicht, dass du eine Pause brauchst?«

»Er hat es schon längst erkannt. Wir haben zwei Wochen Urlaub bekommen, bevor wir anfangen, für die Unplugged-Aufnahme zu proben.«

»Das heißt, du kommst nach Hause?«

»Ja, mein Flug geht morgen.«

»Okay, dann lass uns bei einem Bier über alles reden, okay? Ich mache mir Sorgen um dich.«