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Isla ist eine selbstbewusste junge Frau, die unbeirrt ihren Weg geht. Als sie dem schönen, aber unnahbaren Balthasar begegnet, verliebt sie sich und gerät ins Straucheln. Aus reiner Berechnung entscheidet sie sich für einen anderen Mann. Doch sie kann Balthasar nicht vergessen und stürzt sich in eine leidenschaftliche Affäre. Dark Queen spielt in einem längst vergessenen Märchenland voller Magie und zauberhafter Wesen. Auf poetische Weise erzählt es von Liebe, Schmerz, Freundschaft und Verrat.
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Seitenzahl: 230
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Impressum
FABIA MORTISDark Queen – ADAMANTIUM
Copyright © 2021 Fabia Mortisc/o tredition GmbHHalenreie 40 – 44, 22359 Hamburgwww.fabiamortis.de
Covergestaltung, Layout und Satz:Constanze Kramer, coverboutique.de
Coverbilder: © ramann1975, © tomertu – stock.adobe.com,© faestock, © Ironika, © m-agention, © Mia Stendal, ©Kostsov, © IM_VISUALS – shutterstock.com
Illustrationen: Stefanie Dirscherlwww.stefanie-dirscherl.de
Lektorat: Ines Strong
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:tredition GmbH, Halenreie 40 – 44, 22359 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten. Das vorliegende Werk darf weder in seiner Gesamtheit noch in seinen Teilen ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Rechteinhaber in welcher Form auch immer veröffentlicht werden. Das betrifft insbesondere jedoch nicht ausschließlich elektronische, mechanische, physische, audiovisuelle oder anderweitige Reproduktion oder Speicherung und oder Übertragung des Werkes sowie Übersetzungen. Davon ausgenommen sind kurze Auszüge, die zum Zwecke der Rezension entnommen werden.
Für Jezebel und Balthasar
»Ihr seid Sternschnuppen,die am Nachthimmel verglühen …«
Das Meer strömt an den StrandMit stetem WellenschlagOft wild, dann wieder zartIm blauen FestgewandDehnt sich’s tief und weitVon Anbeginn der Zeit.
Im weichen UfersandSteht sie träumend daIhr schwarzes FeenhaarFlattert wie ein BandAls sich ein Sturmwind regtUnd durch die Wogen fegt.
Gischt stiebt in den HimmelDer sich finster färbtDas Oben bis nach unten kehrtIn ein tosendes GewimmelAus NaturgewaltenDie sich roh entfalten.
Die Schöne tanzt im WindEr trägt ihr Lachen fortAn einen unbezähmten OrtWo der Ozean zerrinntBis nur ein Tropfen bleibtDer still ins Leere treibt.
Sie wird zur Hölle fahrenObwohl sie’s noch nicht weißIm Herzen kalt wie EisMuss sie ihre Tat bezahlenFür den Thron aus AdamantNach dem sie heiß verlangt.
Eine einsame Gestalt stand regungslos im feinen Sand am Ufer des Urozeans, der so gewaltig war, dass es bislang niemand gewagt hatte, ihn auf einem der üblichen Schiffe zu überqueren, mit denen die Menschen damals die Gewässer befuhren. Den alten Legenden nach hausten in den undurchdringlichen Meerestiefen riesenhafte Kreaturen, welche über ungeheure Kräfte verfügten. Es waren die sagenumwobenen Wasserdrachen, die hinab zum fernen Grund tauchten und dort in ihren unterseeischen Nestern lebten. Niemand hatte jemals eines dieser Zauberwesen mit eigenen Augen erblickt. Doch es wurde in ehrfurchtsvollem Flüsterton gemunkelt, dass sie in ihrem Schlund ein zerstörerisches Feuer hegten und alles um sich herum verbrennen und in Schutt und Asche legen konnten, wenn ihr Unmut erregt wurde. Manchmal trugen die hohen Meereswogen ein seltenes Überbleibsel dieser prähistorischen Untiere an Land. Etwa einen Zahn oder das Fragment eines Knochens. Auch diesen Bruchstücken wurden magische Kräfte nachgesagt. Die Menschen zogen die geheimnisvollen Relikte auf Ketten und trugen sie als Talisman bei sich, um Unheil und Krankheiten abzuwehren.
Der endlose Weltenozean, über dem sich nun dunkle Wolken zusammenzogen, umschloss zu jener längst vergangenen Zeit, von der ich in diesem Buch erzählen werde, eine einzige gigantische Landmasse. Sein Wellenschlag war stetig und unendlich, so wie das verlässliche und beruhigende Pochen eines göttlichen Herzens. Es gab Zeiten, da umspülte er die Gestade sanft und spielerisch wie ein zärtlicher Liebhaber, der seine erwählte Dame mit tausend hingebungsvollen Küssen verwöhnt. Doch zugleich war er launisch und gefährlich wie eine giftige Natter. Er konnte sich in Minutenschnelle zu unbändigen Wassermassen auftürmen, die mit ihren düsteren Fluten alles um sich herum verschlangen und ins Verderben rissen.
Das Meer leuchtete in unzähligen Farbtönen. Bei heiterer Witterung erstrahlte es im freundlichen Sonnenlicht in glasklarem Aquamarin oder in changierenden Nuancen von sattem Azur, prachtvollem Türkis, flimmerndem Indigo bis hin zu edlem Königsblau. Erhob sich allerdings scheinbar aus dem Nichts heraus einer der häufigen und heftigen Stürme, zerfloss das Schönwetterblau zu einem kühlen Schiefergrau, um dann jählings in ein bodenloses und beängstigendes Finsterschwarz umzuschlagen. Diese mannigfaltigen Schattierungen waren einem uralten Stein zu verdanken, der Ozeanit genannt wurde. Er trug sämtliche Farben des Meeres in sich und galt als das kostbarste Juwel der Wasserdrachen. Ein jeder von ihnen hütete einen dieser rätselhaften Schimmersteine in seinem nassen und versteckten Hort. Dem Hörensagen nach waren sie aus Wolkentau gemacht und einst mit den Dunkelfeen aus den Nebelfeldern vom Rand des Nirgendwo in die Welt gekommen. Nach dem Tod eines Drachen ging sein Schatz an dessen Nachkommen über. Von Generation zu Generation. Seit Anbeginn der Zeit.
In die schmale Frauengestalt, die bisher still und mit geschlossenen Augen am Strand dahin geträumt hatte, geriet unvermutet Bewegung. Das lange schwarze Feenhaar flatterte in der frischen Meeresbrise mit dem hellblauen Kleid um die Wette. Sie war barfuß. Die zierlichen Zehen waren im weichen Sand vergraben. Ihre feinen Schuhe hatte sie achtlos an den Strand geworfen. Überhaupt war sie von sehr zartem feingliedrigem Körperbau, nicht besonders hochgewachsen, mit eigenartigen und recht ausdrucksvollen Gesichtszügen, die von einem wissbegierigen, dunkelblauen Augenpaar beherrscht wurden. Ihr Blick war wachsam, abwägend und sprach von Intelligenz. Und ebenso von einer gewissen innerlichen Kälte. Sie wirkte kühl und zurückhaltend. Dabei war sie nicht im eigentlichen Sinne schön, jedoch von einer faszinierenden Anziehungskraft, der sich kaum jemand entziehen konnte. Und sie war eine von jenen Frauen, die von anderen weiblichen Wesen nahezu auf Anhieb nicht gemocht wurden. Ein Umstand, den sie allerdings für gewöhnlich ignorierte, da ihr schlichtweg gleichgültig war, was Andere von ihr dachten. Sie war sich ihres Wertes bewusst und kam mit sich selbst gut zurecht.
Der Name der ungewöhnlichen Schönen war Isla. Sie war fast noch ein Mädchen und hatte gerade erst die Schwelle zum Erwachsenenalter übertreten. Sie entstammte dem gewöhnlichen Volk, aus einer anständigen Familie, die nicht von edlem Geblüt war. Die Eltern waren wohlsituierte Kaufleute und verwöhnten ihr einziges Kind, das sie erst in späten Jahren bekommen hatten, nach Strich und Faden. Isla hatte im Gegensatz zu anderen Mädchen ihres Alters eine sehr gute Erziehung genossen. Sie konnte lesen, schreiben und rechnen und hütete die zur damaligen Zeit außerordentlich raren und teuren Schriftrollen, von denen sie eine stattliche Anzahl besaß, als wertvollsten Schatz. Isla wusste wohl um ihre Anziehungskraft, und schmiedete eifrig Pläne für eine Zukunft in Reichtum und Macht. Sie gedachte sehr hoch zu fliegen, unbezähmt und frei. So wie ein Vogel, der mit seinen Schwingen den Rand des Himmels berührt. Sie würde mit beiden Händen nach den Sternen greifen. Die Gefahren, denen sie dabei begegnen würde, zog sie in ihrem jugendlichen Selbstvertrauen nicht einmal ansatzweise in Betracht. Und auch nicht die unumstößliche Tatsache, dass jemand, der sehr hoch stieg ebenso tief fallen konnte …
Die sanfte Brise vom Meer, die sie bisher sacht umschmeichelt hatte, war mittlerweile zu einem kräftigen Wind angefacht worden, der ungezügelt an ihrer glatten Mähne riss. Aus den zunehmend dunkleren Wolken fielen die ersten Regentropfen und benetzten ihre helle Haut. Isla lachte entzückt und drehte sich in einem ausgelassenen Tanz mit ausgebreiteten Händen im Kreis um sich selbst. Sie fühlte sich wie eine Windsbraut. Tief sog sie die klare Sturmluft in die bebenden Nasenflügel. Sie liebte dieses entfesselte Wetter, denn es war so unberechenbar wie sie selbst.
Widerwillig riss sie irgendwann den Blick von dem aufgewühlten Wogenspiel los und trat lustlos den Heimweg an. Wenngleich sie sehr verwöhnt wurde, waren die Eltern bei der Erziehung ihrer Tochter darauf bedacht, dass sie die zugewiesenen Pflichten in Geschäft und Haushalt zuverlässig erledigte. Betont langsam schlenderte sie den weißen Strand entlang in Richtung der prächtigen Königsstadt Altira, die von Geburt an ihre Heimat war. Dabei blieb ihr aufmerksamer Blick an einem kleinen Gegenstand hängen, der größtenteils im feinkörnigen Sand verschüttet war. Isla bückte sich flink danach und besah sich neugierig das Ding auf ihrer Handfläche. Es war ein uralter, verwitterter Zahn. Verglichen mit den Zähnen von den Tieren um sich herum, die sie kannte, war er allerdings ziemlich groß geraten. Ob es vielleicht ein Wasserdrachenzahn war? Isla lächelte und verwahrte das unvermutete Fundstück in den Tiefen ihres Gewandes. Sie hoffte, er würde ihr ein Glücksbringer sein.
Er strahlt im FarbenspielVon Blau zu FinsterschwarzGekrönt von dunklem QuarzKlar und dennoch kühlUmspült er den weißen StrandVon einem Märchenland.
In den Tiefen ruht ein SteinVom fernen NebelfeldDort wo die Welt ins Leere fälltVersteckt in einem SchreinAn einem fernen MeeresortAls Juwel im Drachenhort.
Er malt das Wasser blauGanz wie es ihm beliebtJener selt’ne OzeanitDer Schatz aus WolkentauEinst im Nirgendwo gemachtUnd vom Drachen treu bewacht.
Die hohen MeereswogenSchlagen endlos wie ein HerzUnberührt von Glück und SchmerzVom Grunde bis nach obenUmkränzt vom SchimmerscheinDes blauen Rätselsteins.
Klar wie ein SchneekristallUnd hart wie die FelsenwandErglüht der AdamantSchmucklos und recht kahlDas Zeug aus einer fernen WeltVon Riesenhand erstellt.
Es stammt von einem kalten OrtDer in den Flimmerhaufen liegtAus einem Ding, das sich nie biegtVon Sternenstaub umflortUnendlich kostbar und von WertWird es heiß begehrt.
Einst stand in einem alten LandDas in den Sagen lebtVon dem nur noch ein Echo wehtEin prächt’ger Thron aus AdamantAuf dem ein edler König saßBis ihn ein dunkles Schicksal traf.
So wie die Krone und das SchwertIst da ein Dolch aus selbem StoffÜber den sich manches Blut ergossUnd seinen Hunger nährtDas Zeug umhüllt den KönigsthronSein Schatten zeigt sich schon.
Der Adamant strahlt klar wie EisKühl und fremd im MorgenlichtLeuchtend hell wie ein GedichtVon dem niemand etwas weißSteht er allein im Wind der ZeitBis in die Ewigkeit.
Isla lebte in der Märchenstadt Altira im sagenhaften Königreich von Anwh. Es lag am fernen Rand des gewaltigen Superkontinents und wurde im Norden und Westen vom Weltenozean begrenzt. Altira war ein uralter Ort, erbaut aus hellem Sandstein. Inmitten von sanft gewellten grünen Wiesen erstreckte er sich in einem Tal zu Füßen der wehrhaften Feste, in der seit jeher die Herrscher von Anwh residierten. Ein silbrig glitzernder Strom, der Amir, teilte den Ort in zwei nahezu gleich große Hälften und floss nordwärts Richtung Eismeer.
Nicht weit vor den Toren der mächtigen Mauern, von denen die Stadt umschlossen war, erhob sich ein dichter dunkelgrüner Tann, der am Dunklen See lag. In den unergründlichen Tiefen des Waldes hauste ein geheimnisvolles Zauberwesen, von dem die Menschen nicht wussten, woher es einst gekommen war. Es wurde gemunkelt, es sei in den fernen Schattennebeln am Ende der Welt erschaffen worden. Dort, wo sich die Fluten des Ozeans über den Rand in ein unendliches schwarzes Nirgendwo ergossen, welches die damals bekannte Welt völlig umgab. Jenes Geschöpf war eine Dunkelfee, die über ungeheure magische Macht verfügte.
Die Menschen fürchteten sie, denn sie war beileibe nicht eine der gütigen Zauberinnen, die in Märchen großzügig Wünsche erfüllten. Nein, sie entsprach zwar in ihrem Aussehen der Vorstellung, die man sich gemeinhin von einem Wesen solcherart machte. Tatsächlich war sie wunderschön mit langem blondem Haar, großen grauen Augen und einem ebenmäßigen Antlitz, zugleich jedoch von außerordentlich reizbarem Temperament und schwierigem Charakter. Erregte jemand ihren Verdruss, griff sie kurzerhand nach ihrem Zauberstab und verwandelte den Unbotmäßigen in eine Kröte oder ein anderes niederes Tier – je nach Lust und Laune. Der Name der wetterwendischen Kreatur war Jezebel. Seit jeher war sie aufgrund ihrer Klugheit und Macht die Beraterin der Herren in der Feste auf dem Hohen Berg gewesen. Doch nach einem Zerwürfnis mit dem jungen König Erik, dessen Ursache niemals bekannt geworden war, hatte dieser sie in ihr grünes Waldlandreich verbannt und verboten, jemals wieder seine Stadt zu betreten. Dort erging sie sich nun einsam zwischen den uralten Nadelbäumen, nährte ihren unversöhnlichen Hass und schmiedete finstere Pläne. Die Menschen mieden seither den Hain aus Angst vor dem Zorn der rachsüchtigen Schattenfee. Eltern warnten ihre ungehorsamen Kinder davor, dass die böse Hexe sie holen käme, wenn sie ihnen nicht brav folgten.
Isla war inzwischen von ihrem Ausflug an den Ozean zurückgekehrt. Das Wetter hatte sich glücklicherweise wieder beruhigt. Von den wärmenden Strahlen der Frühlingssonne auf die rosig erblühten Wangen geküsst, betrat sie nun durch das große südliche Tor die Stadt und spazierte gut gelaunt entlang der ordentlich gepflasterten Gassen und Straßen in Richtung ihres Elternhauses. Altira hatte sich herausgeputzt wie eine eitle Hofdame und trug ihr prunkvollstes Festgewand. Unzählige Blüten und flatternde Bänder in allen nur erdenklichen Formen und Farben schmückten sämtliche Gebäude, Mauern und Wege. Ein betörender Duft schwebte allenthalben durch die milde Luft wie das verführerische Parfum einer eleganten Frau. Die Stadt erstrahlte regelrecht in einer wahren Farbexplosion. Der Grund für diesen verschwenderischen Schmuck war ein Fest, das der König für die nächsten zwei Tage anberaumt hatte. Im Volk wurde geflüstert, dass der in dieser Hinsicht bislang sehr wankelmütige Herrscher gedachte, sich endlich eine Braut zu erwählen. Zahlreiche edle Geschlechter mit ihren heiratsfähigen Töchtern aus den benachbarten Königreichen waren geladen. Schon seit Tagen war rund um die Hohe Feste ein ständiges Kommen von illustren Gästen wahrzunehmen, welches von den Bewohnern Altiras neugierig beobachtet und ebenso ausführlich kommentiert wurde.
Natürlich würde auch Isla an den Festlichkeiten, an Musik und Tanz, teilnehmen. Bei dem Gedanken daran beschleunigten sich ihre ohnehin weit ausholenden Schritte. Denn zu diesem Anlass bekam sie von ihren Eltern ein neues Kleid geschenkt. Ihr hübscher Mund, der über der rechten Oberlippe von einem spöttischen kleinen Muttermal geziert wurde, kräuselte sich zu einem erwartungsfrohen Lächeln. Glaubte man den Worten ihrer Mutter Elis, war sie an genau dieser Stelle kurz nach der Geburt von einer Fee geküsst worden … Isla vertraute deshalb fest darauf, dass sie stets von einem Glücksstern behütet wurde.
In der ehrwürdigen Burg, hoch oben über der Stadt, fielen die Strahlen der frühlingshaften Spätnachmittagssonne durch die aufwändig verzierten Spitzbogenfenster des weitläufigen Thronsaales, der einsam und still dalag. Nur ein in schmuckloses Dunkelblau gewandeter Mann stand an einem der hohen Fenster und blickte nachdenklich auf das lebhafte Treiben im Hof hinab. Sein halblanges blondes Haar fiel offen auf die Schultern und leuchtete wie eine helle Fackel im warmen Licht. Mit den klugen haselnussbraunen Augen und der hochgewachsenen Gestalt sah er sehr gut aus.
»Woran denkst Du, Herr? Behagt Dir der Trubel zu Deinen Ehren etwa nicht?«
Ein sehr schlanker, mittelgroßer Mann in gleichermaßen schnörkellosem Schwarz trat nun aus dem Schatten des imposanten Adamantenthrons, an dem er in der wachsamen Art, die seinem zurückhaltenden Wesen zu Eigen war, bisher gelehnt hatte. Sein Name war Balthasar. Er war einer der ersten Edlen des Reiches. Als entfernter Verwandter des Königs trug er selbst das Blut des uralten Herrschergeschlechts in sich. Seit den gemeinsamen Kindertagen war er ihm ein enger Gefolgsmann und Freund. Das gutgeschnittene Antlitz wurde von dunkelbraunen Haaren mit erstem Grau an den Schläfen umrahmt. Seine Augen, mit denen er sowohl aufmerksam als auch stets distanziert die Welt um sich herum betrachtete, waren von einem kühlen Graugrün, die von dichten Brauen gekrönt waren. Balthasar war der heimliche Schwarm so manch schöner Hofdame. Doch er galt als wählerisch und unnahbar. Wenn er eines der zahlreichen Angebote annahm, die ihm so freigiebig vom schönen Geschlecht unterbreitet wurden, dann tat er dies zumindest auf sehr diskrete Weise.
Der Angesprochene wandte ihm nun seine volle Aufmerksamkeit zu. Es war Erik, der König von Anwh.
»Um ehrlich zu sein, behagt es mir tatsächlich nicht. Ich fühle mich wie bei einer Treibjagd. Nur bin ich diesmal nicht unter den Jägern.«
Ein ironisches Lächeln flog über seine regelmäßigen Züge. Balthasars ernster Mund zuckte belustigt.
»Nun, Du weißt sehr wohl, dass Du Dir endlich eine Braut suchen und dem Volk bald einen Kronerben schenken musst. Daran gibt es kein Vorbeikommen. Besser, Du bringt es so schnell als möglich hinter Dich. So arg wird es schon nicht werden.«
Mit einer vielsagenden Kopfbewegung wies er in Richtung des eindrucksvollen Throns, der die große schmucklose Halle mit seiner archaisch anmutenden Aura beherrschte. Uralten Legenden zufolge war er in den fernen Anfängen des Landes Anwh von den Zwergen gefertigt worden, die als wahrhafte Meister der Schmiedekunst galten. Ebenso wie das königliche Schwert und die prachtvolle Krone. Sowie ein Dolch, der allerdings seit langer Zeit als verloren galt. Sie waren aus einem unendlich kostbaren und mit allem Gold der Welt nicht bezahlbarem Material gemacht, welches als Adamantium bekannt war. Adamant galt als unzerstörbarer Juwelenstein, als das härteste und unbezwingbarste Element von allen. Es gab ihn nirgendwo auf der Erde. Einst waren einige wenige brennende Trümmerstücke dieses fremden Stoffes nachts in einer Feuersglut aus den Wolken gefallen. Die Ältesten sagten, er entstamme den glitzernden Flimmerhaufen aus dem Schwarzen Nichts weit jenseits des Himmelszeltes und sei von Riesenhand aus Sternenstaub erschaffen worden. Adamantium wurde von den Menschen seit jeher magische Kräfte nachgesagt. Es galt als Beschützerstein und als Glücksbringer.
Anwh indes wuchs und gedieh. Sein Reichtum und seine Macht wurden den Adamantiuminsignien zugeschrieben, aus denen Generationen von Königen ihre Stärke bezogen und die einen schützenden Zauber über das Land hielten. Der Thron von Anwh bedeutete jedoch nicht nur Rechte, sondern er stellte gleichermaßen eine Verpflichtung für die Herrschenden dar.
Erik stieß einen abgrundtiefen Seufzer des Überdrusses aus und berührte seinen Freund leicht an der Schulter.
»Du hast recht. Bringen wir es hinter uns. Lass’ uns ein Fest besuchen. Ich erwarte, dass Du mir dabei wie stets den Rücken deckst.«
Balthasar unterdrückte ein Lächeln und nickte zustimmend. Er war gemeinhin kein Freund vieler Worte und folgte seinem König auf dem Fuße wie er dies zu tun pflegte, seit er denken konnte.
Kurze Zeit später lag der Saal wieder lautlos und verlassen da. Langsam krochen die Zwielichtschatten der einsetzenden Abenddämmerung herauf.
Der Adamantenthron jedoch strahlte davon unberührt kalt und unerschütterlich in einem unirdischen Glanz, der nicht von dieser Welt stammte.
In einem MärchenlandFern von Zeit und RaumAnwh ward es genanntLebte einst ein TraumAus Zauberstein entbranntDem Schatz aus Adamant.
Ein König herrschte dortGütig und gerechtÜbers Volk und seinen HortEr schlug sich mutig im GefechtDoch nur ein leises WortRaunt noch von jenem Ort.
Altira war die hohe StadtUm den edlen FürstenthronDie Feste sah vom Berg herabAuf Tal und tiefen StromBewacht von hohen MauernIn einer Flur aus grünen Auen.
Vor ihren Toren lag ein SeeUmhegt vom düst’ren TannDas Reich der SchattenfeeDie aus dem Nebel kamUnd wie ein übler SchicksalsfluchDen Tod in Händen trug.
Magie wehte durch die GassenDrang in jedes finst’re EckHeut’ liegen sie verlassenDas alte Volk ist lange wegAuch der König ist nun StaubSeines stolzen Throns beraubt.
Im dichten NadeltannHaust eine ZauberfeeDie einst aus dem Nebel kamOft steht sie am Dunklen SeeDen der Schattenwald begrenztVon reiner Finsternis umkränzt.
Der König schlug sie in den BannEin Grund ward nie bekanntIn der Hexe keimt ein RacheplanAn jenem stillen StrandSein Gift erwächst zu voller BlüteGnadenlos und ohne Güte.
Im Nachtwind weht ihr helles HaarAls sich der See zu Wogen türmtIhr Blick schweift kalt und starrZum Himmel, der ihr zürntUnd zu einem Ding im tiefen GrundDas mit Glitzerstrahlen prunkt.
Die Fee taucht in den See hinabZum schwarzen TeufelsschlundIn ein nasses kaltes GrabBis hin zu jenem stillen PunktAn dem ein leises Funkeln ruftNach dem sie so begehrlich sucht.
Es ist ein Zeug aus AdamantDas im See verborgen liegtEines, das noch niemand fandUnd einen fremden Zauber sprühtDer nichts als den Tod versprichtDie Fee hüllt ihn ins SeidentuchDen düst’ren Schicksalsfluch.
Isla drehte sich übermütig im Kreis und besah sich wohlgefällig von allen Seiten im Spiegel. Sie trug ihr neues Kleid, das gerade rechtzeitig zum Fest fertiggestellt worden war. Es war aus feinstem Stoff und leuchtete in einem satten Gewitterblumenblau, in dem sich ihre ungewöhnliche Augenfarbe wiederfand. Das lange glatte Haar war in zwei ordentliche Zöpfe geflochten und zu einer seidigen Krone auf ihrem Kopf aufgesteckt. Einige zarte weiße Blüten, die dezent in die Frisur eingearbeitet waren, bildeten einen hübschen Kontrast zu den schwarzen Strähnen und vervollständigten ihr schlichtes, aber wirkungsvolles Erscheinungsbild.
Elis, Islas Mutter, platzte förmlich vor Stolz angesichts der wohl geratenen Tochter und versuchte erfolglos, einige gerührte Tränen zu unterdrücken. Auch ihr Vater Edvard nickte beifällig mit einem abwesenden Grinsen, ehe er sich wieder eiligst in sein Arbeitszimmer zurückzog, um irgendwelchen furchtbar dringenden Geschäften nachzugehen.
»Ach, mein Kind, Du wirst die Schönste von allen auf dem Fest sein.«
Isla fand sich kurzzeitig fest an Elis’ üppigen Busen gedrückt und erwiderte die mütterliche Umarmung.
»Nein, das werde ich bestimmt nicht. Aber das Kleid ist wirklich sehr schön.«
Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel und war zufrieden mit sich. Isla war nicht eitler als andere Mädchen ihres Alters auch. Sie wusste sehr wohl, dass sie in keinster Weise dem damals üblichen Schönheitsideal entsprach. Sie war relativ klein und zierlich geraten und verfügte über keine nennenswerten körperlichen Attribute, die hervorstachen. Etwa große Brüste wie sie die äußerst wohlgeformte Nachbarstochter vorzuweisen hatte. Ihre Haut war auffallend blass und stand in starkem Kontrast zu den dunklen Haaren. Die kleine Nase wies keck gen Himmel und wurde zudem von einigen Sommersprossen verunziert, da sie sich gerne im Freien aufhielt und oft stundenlang am Strand herumstromerte. Ihr feingezeichnetes Gesicht war zwar hübsch, aber nicht unbedingt aufsehenerregend. Das einzig Bemerkenswerte an ihr waren die dunkelblauen, mandelförmigen Augen die von dichten schwarzen Wimpern bekränzt wurden. Die Augenbrauen bildeten einen perfekt gewölbten Bogen dazu und verliehen ihr ein stets fragendes Aussehen. Der ausdrucksvolle Blick war direkt, abwägend und leicht distanziert. Isla hielt den Rücken sehr gerade, wie ein kleiner General. Ihre ganze Persönlichkeit strahlte eine gewisse Kühle und Unnahbarkeit aus. Ein Umstand, der wiederum die Aufmerksamkeit und das Interesse der Menschen auf sich zog und den Großteil ihrer subtilen Anziehungskraft ausmachte. Aus jeder Geste sprachen Intelligenz und Selbstvertrauen, die sich aus der für die damalige Zeit ungewöhnlichen und fortschrittlichen Erziehung und Bildung ergaben, in deren Genuss sie dank ihrer Eltern gekommen war. Isla war trotz des jungen Alters kein hohles Püppchen, sie war … eindrucksvoll, von gewisser Eigenart und sehr ausgeprägtem Charakter. Eigenschaften, die Frauen in den Augen der Männer zu jener Zeit nicht gut anstanden. Aber das scherte sie keinen Deut, denn sie verfügte zudem über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und ein recht robustes Naturell. Isla war keine kleine verwöhnte Prinzessin. Sie war schon jetzt eine Königin. Das würde sie allerdings erst noch herausfinden müssen.
Fürs Erste wollte sie das tun, was alle Mädchen gern taten. Sie würde heute zum königlichen Fest gehen und sich dort bei Musik und Tanz vergnügen.
Eine laue Frühlingsnacht war über Altira heraufgezogen. Der helle und der Erde ungewöhnlich nahe Vollmond beleuchtete die festliche Szenerie wie eine geheimnisvolle riesige Laterne. Die gesamte Stadt schien auf den Beinen zu sein, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. In der milden Luft vermengten sich verschwenderischer Blumenduft, der Geruch vielfältiger Spezereien, die an jeder Ecke dargeboten wurden, und Melodien, zu denen allerorten in den Straßen und auf den Plätzen getanzt wurde, zu einer betäubenden Kakophonie.
Balthasar hatte mittlerweile leichte Kopfschmerzen. Er war kein allzu großer Freund von Menschenmassen und hielt sich für gewöhnlich lieber in der freien Natur auf. Das Fest dauerte seit Stunden, und er hatte bereits den einen oder anderen Becher Wein zu sich genommen. Wie ein schwarzer Schatten folgte er dem König überallhin, der sich der Vielzahl hübscher Maiden kaum zu erwehren wusste und bisher kaum einen Tanz ausgelassen hatte. Offenbar hatte sich bei den Damen wie ein Lauffeuer herumgesprochen, dass er auf Freiersfüßen ging. Balthasar grinste schadenfroh, als eine dralle blonde Schönheit dem bedauernswerten Erik beim Tanz ihre beachtlichen Vorzüge aus nächster Nähe ausgiebig präsentierte, so dass dieser fast mit der Nase in der weichen Fülle versank. Es erweckte den Anschein, dass sein Freund in allerbesten Händen war. Balthasar beschloss, den Heimweg in die Königsfeste anzutreten.
Gewandt schlängelte er sich durch die feiernden Menschenmassen, wich beiläufig einer offenkundig liebeshungrigen Dame aus, die ihm in eindeutiger Absicht den Weg verstellte, und atmete erleichtert auf, als er schließlich einen kleinen Platz erreichte, auf dem es nicht ganz so lautstark und eng zuging. Als er eine fröhliche Gruppe passierte, die sich in einem munteren Reigen erging, verhakte sich sein Blick für einige Sekunden zufällig mit einem ausnehmend hübschen dunkelblauen Augenpaar. Als sich der kurze, aber intensive Kontakt wieder löste, fühlte er sich seltsam leer und verhielt unwillkürlich seinen Schritt, um den Tanzenden eine Weile zuzusehen.
Seine Aufmerksamkeit wurde von einer sehr schlanken, nicht besonders großen Jungfer in einem leuchtend blauen Kleid angezogen. Er betrachtete sie eine Weile und versuchte zu ergründen, was sie an sich hatte, das seine Aufmerksamkeit so scheinbar mühelos zu fesseln vermochte. Sie war keine auffallende Schönheit. Ihr dunkles Haar war zu einer ordentlichen Frisur hochgesteckt. Sie wirkte kühl und distanziert. Selbstvergessen gab sie sich der Musik hin. Nichts um sie herum schien sie zu berühren, obwohl sie sich mit den anderen jungen Leuten an den Händen gefasst hatte. Eigentlich war sie nur ein kleines nichtssagendes Ding, seiner Aufmerksamkeit nicht im Geringsten würdig. Balthasar bevorzugte die Damen, mit denen er von Zeit zu Zeit das Lager teilte, jedoch nie seine Gefühle oder Gedanken, idealerweise mit blondem Haar und etwas sinnlicher geraten. Es genügte ihm, wenn sie von einer gewissen Raffinesse und Erfahrung waren und sich nach ihren flüchtigen Zusammenkünften diskret wieder verabschiedeten. Diese hier entsprach so gar nicht seinen Vorstellungen. Es passte ihm nicht, dass sie eine verborgene Saite in ihm angerührt hatte. Auch, wenn dies unabsichtlich geschah und sie gar nicht wusste, dass er sie aus dem Dunkel heraus beobachtete. Sie hielt sich kerzengerade und bewegte sich mit einer natürlichen mühelosen Eleganz. So selbstverständlich, als würde sie tagein tagaus nichts anderes tun, als zu einer unhörbaren Melodie durch das Leben zu tanzen. In Gedanken stellte er sich vor, wie sie sich lustvoll und mit Hingabe in seinem Bett unter ihm biegen würde. Sein Körper regte sich bei der Vorstellung, sie nackt und fiebrig unter sich liegen zu haben.
Er zögerte noch für einige Sekunden, dann ging er mit entschlossenen Schritten auf sie zu. Er war sich sehr wohl bewusst, wie man erfolgreich jagte.
Isla drehte sich anmutig im Kreis zum Rhythmus der Musik. Sie liebte es zu tanzen. Plötzlich gab der Herr zu ihrer Linken sie frei, und eine warme unbekannte Hand umschlang die ihre sogleich mit festem Griff. Sie drehte sich lächelnd zu dem neuen Tänzer und sah direkt in ein zurückhaltendes Augenpaar, von dem sie unter dunklen Brauen hervor aufmerksam gemustert wurde. Die Farbe war von einem intensiven Graugrün.
Es war einer jener seltenen Augenblicke, in denen die Welt förmlich still zu stehen schien. Isla stockte kurzfristig der Atem. Doch ihre Füße bewegten sich intuitiv weiter im Takt, während ihre Aufmerksamkeit weiterhin auf den gutaussehenden Fremden konzentriert blieb. Er war mittelgroß, schlank, mit dichtem dunkelbraunem Haar. Ein leichter Bartschatten lag auf seinem Antlitz. An den Schläfen zeigten sich erste Spuren von Grau. Er trug einfaches schmuckloses Schwarz. Dennoch spürte sie instinktiv, dass sie es hier mit einem Edelmann von hohem Rang zu tun hatte. Dies verriet die Selbstverständlichkeit in seinem Auftreten gepaart mit einer gewissen Arroganz. Seine ganze Körperhaltung sprach von Selbstvertrauen und Autorität. Dieser Mann war es gewohnt zu bekommen, was er wollte. Mit Gewalt riss sie den Blick von ihm los und fuhr fort, scheinbar unbeeindruckt die vorgeschriebenen Schritte des beliebten Reigentanzes auszuführen.