DARK QUEEN - Fabia Mortis - E-Book

DARK QUEEN E-Book

Fabia Mortis

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Beschreibung

Isla ist eine selbstbewusste junge Frau, die unbeirrt ihren Weg geht. Als sie dem schönen, aber unnahbaren Balthasar begegnet, verliebt sie sich und gerät ins Straucheln. Aus reiner Berechnung entscheidet sie sich für einen anderen Mann. Doch sie kann Balthasar nicht vergessen und stürzt sich in eine leidenschaftliche Affäre. Dark Queen spielt in einem längst vergessenen Märchenland voller Magie und zauberhafter Wesen. Auf poetische Weise erzählt es von Liebe, Schmerz, Freundschaft und Verrat.

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Im­pres­s­um

FA­BIA MOR­TISDark Queen – ADA­MAN­TI­UM

Co­py­right © 2021 Fa­bia Mor­tisc/o tre­di­ti­on GmbHHa­len­reie 40 – 44, 22359 Ham­burgwww.fa­bia­mor­tis.de

Co­ver­ge­stal­tung, Lay­out und Satz:Con­stan­ze Kra­mer, co­ver­bou­tique.de

Co­ver­bil­der: © ra­mann1975, © to­mer­tu – stock.ad­o­be.com,© fae­stock, © Iro­ni­ka, © m-agen­ti­on, © Mia Sten­dal, ©Kost­sov, © IM_VI­SU­ALS – shut­ter­stock.com

Il­lus­tra­ti­o­nen: Ste­fa­nie Dir­scherlwww.ste­fa­nie-dir­scherl.de

Lek­to­rat: Ines Strong

Druck und Dis­tri­bu­ti­on im Auf­trag des Au­tors:tre­di­ti­on GmbH, Ha­len­reie 40 – 44, 22359 Ham­burg

Alle Rech­te vor­be­hal­ten. Das vor­lie­gen­de Werk darf we­der in sei­ner Ge­samt­heit noch in sei­nen Tei­len ohne vor­he­ri­ge schrift­li­che Zu­stim­mung der Recht­e­in­ha­ber in wel­cher Form auch im­mer ver­öf­fent­licht wer­den. Das be­trifft ins­be­son­de­re je­doch nicht aus­schließ­lich elek­tro­ni­sche, me­cha­ni­sche, phy­si­sche, au­dio­vi­su­el­le oder an­der­wei­ti­ge Re­pro­duk­ti­on oder Spei­che­rung und oder Über­tra­gung des Wer­kes so­wie Über­set­zun­gen. Da­von aus­ge­nom­men sind kur­ze Aus­zü­ge, die zum Zwe­cke der Re­zen­si­on ent­nom­men wer­den.

Für Je­ze­bel und Bal­tha­sar

»Ihr seid Stern­schnup­pen,die am Nacht­him­mel ver­glü­hen …«

Dark Queen

Das Meer strömt an den StrandMit ste­tem Wel­len­schlagOft wild, dann wie­der zartIm blau­en Fest­ge­wandDehnt sich’s tief und weitVon An­be­ginn der Zeit.

Im wei­chen Ufer­sandSteht sie träu­mend daIhr schwa­r­zes Feen­haarFlat­tert wie ein BandAls sich ein Sturm­wind regtUnd durch die Wo­gen fegt.

Gischt stiebt in den Him­melDer sich fins­ter färbtDas Oben bis nach un­ten kehrtIn ein to­sen­des Ge­wim­melAus Na­tur­ge­wal­tenDie sich roh ent­fal­ten.

Die Schö­ne tanzt im WindEr trägt ihr La­chen fortAn einen un­be­zähm­ten OrtWo der Oze­an zer­rinntBis nur ein Trop­fen bleibtDer still ins Lee­re treibt.

Sie wird zur Höl­le fah­renOb­wohl sie’s noch nicht weißIm Her­zen kalt wie EisMuss sie ihre Tat be­zah­lenFür den Thron aus Ada­mantNach dem sie heiß ver­langt.

Prolog

Weltenozean

Eine ein­sa­me Ge­stalt stand re­gungs­los im fei­nen Sand am Ufer des Ur­oze­ans, der so ge­wal­tig war, dass es bis­lang nie­mand ge­wagt hat­te, ihn auf ei­nem der üb­li­chen Schif­fe zu über­que­ren, mit de­nen die Men­schen da­mals die Ge­wäs­ser be­fuh­ren. Den al­ten Le­gen­den nach haus­ten in den un­durch­dring­li­chen Mee­res­tie­fen rie­sen­haf­te Krea­tu­ren, wel­che über un­ge­heu­re Kräf­te ver­füg­ten. Es wa­ren die sa­gen­um­wo­be­nen Was­ser­dra­chen, die hin­ab zum fer­nen Grund tauch­ten und dort in ih­ren un­ter­see­i­schen Nes­tern leb­ten. Nie­mand hat­te je­mals ei­nes die­ser Zau­ber­we­sen mit ei­ge­nen Au­gen er­blickt. Doch es wur­de in ehr­furchts­vol­lem Flüs­ter­ton ge­mun­kelt, dass sie in ih­rem Schlund ein zer­stö­re­ri­sches Feu­er heg­ten und al­les um sich her­um ver­bren­nen und in Schutt und Asche le­gen konn­ten, wenn ihr Un­mut er­regt wur­de. Manch­mal tru­gen die ho­hen Mee­res­wo­gen ein sel­te­nes Über­bleib­sel die­ser prä­his­to­ri­schen Un­tie­re an Land. Etwa einen Zahn oder das Frag­ment ei­nes Kno­chens. Auch die­sen Bruch­stü­cken wur­den ma­gi­sche Kräf­te nach­ge­sagt. Die Men­schen zo­gen die ge­heim­nis­vol­len Re­lik­te auf Ket­ten und tru­gen sie als Ta­lis­man bei sich, um Un­heil und Krank­hei­ten ab­zu­weh­ren.

Der end­lo­se Wel­te­n­oze­an, über dem sich nun dunk­le Wol­ken zu­sam­men­zo­gen, um­schloss zu je­ner längst ver­gan­ge­nen Zeit, von der ich in die­sem Buch er­zäh­len wer­de, eine ein­zi­ge gi­gan­ti­sche Land­mas­se. Sein Wel­len­schlag war ste­tig und un­end­lich, so wie das ver­läss­li­che und be­ru­hi­gen­de Po­chen ei­nes gött­li­chen Her­zens. Es gab Zei­ten, da um­spül­te er die Ge­sta­de sanft und spie­le­risch wie ein zärt­li­cher Lieb­ha­ber, der sei­ne er­wähl­te Dame mit tau­send hin­ge­bungs­vol­len Küs­sen ver­wöhnt. Doch zu­gleich war er lau­nisch und ge­fähr­lich wie eine gif­ti­ge Nat­ter. Er konn­te sich in Mi­nu­ten­schnel­le zu un­bän­di­gen Was­ser­mas­sen auf­tür­men, die mit ih­ren düs­te­ren Flu­ten al­les um sich her­um ver­schlan­gen und ins Ver­der­ben ris­sen.

Das Meer leuch­te­te in un­zäh­li­gen Fa­rb­tö­nen. Bei hei­te­rer Wit­te­rung er­strahl­te es im freund­li­chen Son­nen­licht in glas­kla­rem Aqua­ma­rin oder in chan­gie­ren­den Nu­an­cen von sat­tem Azur, pracht­vol­lem Tür­kis, flim­mern­dem In­di­go bis hin zu ed­lem Kö­nigs­blau. Er­hob sich al­ler­dings schein­bar aus dem Nichts her­aus ei­ner der häu­fi­gen und hef­ti­gen Stür­me, zer­floss das Schön­wet­ter­blau zu ei­nem küh­len Schie­fer­grau, um dann jäh­lings in ein bo­den­lo­ses und be­ängs­ti­gen­des Fins­ter­schwa­rz um­zu­schla­gen. Die­se man­nig­fal­ti­gen Schat­tie­run­gen wa­ren ei­nem ur­al­ten Stein zu ver­dan­ken, der Oze­a­nit ge­nannt wur­de. Er trug sämt­li­che Fa­r­ben des Mee­res in sich und galt als das kost­bars­te Ju­wel der Was­ser­dra­chen. Ein je­der von ih­nen hü­te­te einen die­ser rät­sel­haf­ten Schim­mer­stei­ne in sei­nem nas­sen und ver­steck­ten Hort. Dem Hö­ren­sa­gen nach wa­ren sie aus Wol­ken­tau ge­macht und einst mit den Dun­kel­feen aus den Ne­bel­fel­dern vom Rand des Nir­gend­wo in die Welt ge­kom­men. Nach dem Tod ei­nes Dra­chen ging sein Schatz an des­sen Nach­kom­men über. Von Ge­ne­ra­ti­on zu Ge­ne­ra­ti­on. Seit An­be­ginn der Zeit.

In die schma­le Frau­en­ge­stalt, die bis­her still und mit ge­schlos­se­nen Au­gen am Strand da­hin ge­träumt hat­te, ge­ri­et un­ver­mu­tet Be­we­gung. Das lan­ge schwa­r­ze Feen­haar flat­ter­te in der fri­schen Mee­res­bri­se mit dem hell­blau­en Kleid um die Wet­te. Sie war ba­r­fuß. Die zier­li­chen Ze­hen wa­ren im wei­chen Sand ver­gra­ben. Ihre fei­nen Schu­he hat­te sie acht­los an den Strand ge­wor­fen. Über­haupt war sie von sehr zar­tem fein­glied­ri­gem Kör­per­bau, nicht be­son­ders hoch­ge­wach­sen, mit ei­gen­ar­ti­gen und recht aus­drucks­vol­len Ge­sichts­zü­gen, die von ei­nem wiss­be­gie­ri­gen, dun­kel­blau­en Au­gen­paar be­herrscht wur­den. Ihr Blick war wach­sam, ab­wä­gend und sprach von In­tel­li­genz. Und eben­so von ei­ner ge­wis­sen in­ner­li­chen Käl­te. Sie wirk­te kühl und zu­rück­hal­tend. Da­bei war sie nicht im ei­gent­li­chen Sin­ne schön, je­doch von ei­ner fas­zi­nie­ren­den An­zie­hungs­kraft, der sich kaum je­mand ent­zie­hen konn­te. Und sie war eine von je­nen Frau­en, die von an­de­ren weib­li­chen We­sen na­he­zu auf An­hieb nicht ge­mocht wur­den. Ein Um­stand, den sie al­ler­dings für ge­wöhn­lich igno­rier­te, da ihr schlicht­weg gleich­gül­tig war, was An­de­re von ihr dach­ten. Sie war sich ih­res Wer­tes be­wusst und kam mit sich selbst gut zu­recht.

Der Name der un­ge­wöhn­li­chen Schö­nen war Isla. Sie war fast noch ein Mäd­chen und hat­te ge­ra­de erst die Schwel­le zum Er­wach­se­ne­n­al­ter über­tre­ten. Sie ent­stamm­te dem ge­wöhn­li­chen Volk, aus ei­ner an­stän­di­gen Fa­mi­lie, die nicht von ed­lem Ge­b­lüt war. Die El­tern wa­ren wohl­si­tu­ier­te Kauf­leu­te und ver­wöhn­ten ihr ein­zi­ges Kind, das sie erst in spä­ten Jah­ren be­kom­men hat­ten, nach Strich und Fa­den. Isla hat­te im Ge­gen­satz zu an­de­ren Mäd­chen ih­res Al­ters eine sehr gute Er­zie­hung ge­nos­sen. Sie konn­te le­sen, schrei­ben und rech­nen und hü­te­te die zur da­ma­li­gen Zeit au­ßer­or­dent­lich ra­ren und teu­ren Schrift­rol­len, von de­nen sie eine statt­li­che An­zahl be­saß, als wert­volls­ten Schatz. Isla wuss­te wohl um ihre An­zie­hungs­kraft, und schmie­de­te eif­rig Plä­ne für eine Zu­kunft in Reich­tum und Macht. Sie ge­dach­te sehr hoch zu flie­gen, un­be­zähmt und frei. So wie ein Vo­gel, der mit sei­nen Schwin­gen den Rand des Him­mels be­rührt. Sie wür­de mit bei­den Hän­den nach den Ster­nen grei­fen. Die Ge­fah­ren, de­nen sie da­bei be­geg­nen wür­de, zog sie in ih­rem ju­gend­li­chen Selbst­ver­trau­en nicht ein­mal an­satz­wei­se in Be­tracht. Und auch nicht die un­um­stöß­li­che Tat­sa­che, dass je­mand, der sehr hoch stieg eben­so tief fal­len konn­te …

Die sanf­te Bri­se vom Meer, die sie bis­her sacht um­schmei­chelt hat­te, war mitt­ler­wei­le zu ei­nem kräf­ti­gen Wind an­ge­facht wor­den, der un­ge­zü­gelt an ih­rer glat­ten Mäh­ne riss. Aus den zu­neh­mend dunk­le­ren Wol­ken fie­len die ers­ten Re­gen­trop­fen und be­netz­ten ihre hel­le Haut. Isla lach­te ent­zückt und dreh­te sich in ei­nem aus­ge­las­se­nen Tanz mit aus­ge­brei­te­ten Hän­den im Kreis um sich selbst. Sie fühl­te sich wie eine Winds­braut. Tief sog sie die kla­re Sturm­luft in die be­ben­den Na­sen­flü­gel. Sie lieb­te die­ses ent­fes­sel­te Wet­ter, denn es war so un­be­re­chen­bar wie sie selbst.

Wi­der­wil­lig riss sie ir­gend­wann den Blick von dem auf­ge­wühl­ten Wo­gen­spiel los und trat lust­los den Heim­weg an. Wenn­gleich sie sehr ver­wöhnt wur­de, wa­ren die El­tern bei der Er­zie­hung ih­rer Toch­ter dar­auf be­dacht, dass sie die zu­ge­wie­se­nen Pflich­ten in Ge­schäft und Haus­halt zu­ver­läs­sig er­le­dig­te. Be­tont lang­sam schlen­der­te sie den wei­ßen Strand ent­lang in Rich­tung der präch­ti­gen Kö­nigs­stadt Al­tira, die von Ge­burt an ihre Hei­mat war. Da­bei blieb ihr auf­merk­sa­mer Blick an ei­nem klei­nen Ge­gen­stand hän­gen, der größ­ten­teils im fein­kör­ni­gen Sand ver­schüt­tet war. Isla bück­te sich flink da­nach und be­sah sich neu­gie­rig das Ding auf ih­rer Hand­flä­che. Es war ein ur­al­ter, ver­wit­ter­ter Zahn. Ver­gli­chen mit den Zäh­nen von den Tie­ren um sich her­um, die sie kann­te, war er al­ler­dings ziem­lich groß ge­ra­ten. Ob es viel­leicht ein Was­ser­dra­chen­zahn war? Isla lä­chel­te und ver­wahr­te das un­ver­mu­te­te Fund­s­tück in den Tie­fen ih­res Ge­wan­des. Sie hoff­te, er wür­de ihr ein Glücks­brin­ger sein.

Wel­te­n­oze­an

Er strahlt im Fa­r­ben­spielVon Blau zu Fins­ter­schwa­rzGe­krönt von dunk­lem Qua­rzKlar und den­noch kühlUm­spült er den wei­ßen StrandVon ei­nem Mär­chen­land.

In den Tie­fen ruht ein SteinVom fer­nen Ne­bel­feldDort wo die Welt ins Lee­re fälltVer­steckt in ei­nem SchreinAn ei­nem fer­nen Mee­res­ortAls Ju­wel im Dra­chen­hort.

Er malt das Was­ser blauGanz wie es ihm be­liebtJe­ner selt’ne Oze­a­nitDer Schatz aus Wol­ken­tauEinst im Nir­gend­wo ge­machtUnd vom Dra­chen treu be­wacht.

Die ho­hen Mee­res­wo­genSchla­gen end­los wie ein HerzUn­be­rührt von Glück und SchmerzVom Grun­de bis nach obenUm­kränzt vom Schim­mer­scheinDes blau­en Rät­sel­steins.

Ada­man­ti­um

Klar wie ein Schnee­kris­tallUnd hart wie die Fel­sen­wandEr­g­lüht der Ada­mantSchmuck­los und recht kahlDas Zeug aus ei­ner fer­nen WeltVon Rie­sen­hand er­stellt.

Es stammt von ei­nem kal­ten OrtDer in den Flim­mer­hau­fen liegtAus ei­nem Ding, das sich nie biegtVon Ster­nen­staub um­flortUn­end­lich kost­bar und von WertWird es heiß be­gehrt.

Einst stand in ei­nem al­ten LandDas in den Sa­gen lebtVon dem nur noch ein Echo wehtEin prächt’ger Thron aus Ada­mantAuf dem ein ed­ler Kö­nig saßBis ihn ein dunk­les Schick­sal traf.

So wie die Kro­ne und das SchwertIst da ein Dolch aus sel­bem StoffÜber den sich man­ches Blut er­gossUnd sei­nen Hun­ger nährtDas Zeug um­hüllt den Kö­nigs­thronSein Schat­ten zeigt sich schon.

Der Ada­mant strahlt klar wie EisKühl und fremd im Mor­gen­lichtLeuch­tend hell wie ein Ge­dichtVon dem nie­mand et­was weißSteht er al­lein im Wind der ZeitBis in die Ewig­keit.

I. Kapitel

Adamantium

Isla leb­te in der Mär­chen­stadt Al­tira im sa­gen­haf­ten Kö­nig­reich von Anwh. Es lag am fer­nen Rand des ge­wal­ti­gen Su­per­kon­tin­ents und wur­de im Nor­den und Wes­ten vom Wel­te­n­oze­an be­grenzt. Al­tira war ein ur­al­ter Ort, er­baut aus hel­lem Sand­stein. In­mit­ten von sanft ge­well­ten grü­nen Wie­sen er­streck­te er sich in ei­nem Tal zu Fü­ßen der wehr­haf­ten Fes­te, in der seit je­her die Herr­scher von Anwh re­si­dier­ten. Ein silb­rig glit­zern­der Strom, der Amir, teil­te den Ort in zwei na­he­zu gleich gro­ße Hälf­ten und floss nord­wärts Rich­tung Eis­meer.

Nicht weit vor den To­ren der mäch­ti­gen Mau­ern, von de­nen die Stadt um­schlos­sen war, er­hob sich ein dich­ter dun­kel­grü­ner Tann, der am Dunk­len See lag. In den un­er­gründ­li­chen Tie­fen des Wal­des haus­te ein ge­heim­nis­vol­les Zau­ber­we­sen, von dem die Men­schen nicht wuss­ten, wo­her es einst ge­kom­men war. Es wur­de ge­mun­kelt, es sei in den fer­nen Schat­ten­ne­beln am Ende der Welt er­schaf­fen wor­den. Dort, wo sich die Flu­ten des Oze­ans über den Rand in ein un­end­li­ches schwa­r­zes Nir­gend­wo er­gos­sen, wel­ches die da­mals be­kann­te Welt völ­lig um­gab. Je­nes Ge­schöpf war eine Dun­kel­fee, die über un­ge­heu­re ma­gi­sche Macht ver­füg­te.

Die Men­schen fürch­te­ten sie, denn sie war bei­lei­be nicht eine der gü­ti­gen Zau­be­rin­nen, die in Mär­chen groß­zü­gig Wün­sche er­füll­ten. Nein, sie ent­sprach zwar in ih­rem Aus­se­hen der Vor­stel­lung, die man sich ge­mein­hin von ei­nem We­sen sol­cher­art mach­te. Tat­säch­lich war sie wun­der­schön mit lan­gem blon­dem Haar, gro­ßen grau­en Au­gen und ei­nem eben­mä­ßi­gen Ant­litz, zu­gleich je­doch von au­ßer­or­dent­lich reiz­ba­rem Tem­pe­ra­ment und schwie­ri­gem Cha­rak­ter. Er­reg­te je­mand ih­ren Ver­druss, griff sie kur­zer­hand nach ih­rem Zau­ber­stab und ver­wan­del­te den Un­bot­mä­ßi­gen in eine Krö­te oder ein an­de­res nie­de­res Tier – je nach Lust und Lau­ne. Der Name der wet­ter­wen­di­schen Krea­tur war Je­ze­bel. Seit je­her war sie auf­grund ih­rer Klug­heit und Macht die Be­ra­te­rin der Her­ren in der Fes­te auf dem Ho­hen Berg ge­we­sen. Doch nach ei­nem Zer­würf­nis mit dem jun­gen Kö­nig Erik, des­sen Ur­sa­che nie­mals be­kannt ge­wor­den war, hat­te die­ser sie in ihr grü­nes Wald­land­reich ver­bannt und ver­bo­ten, je­mals wie­der sei­ne Stadt zu be­tre­ten. Dort er­ging sie sich nun ein­sam zwi­schen den ur­al­ten Na­del­bäu­men, nähr­te ih­ren un­ver­söhn­li­chen Hass und schmie­de­te fins­te­re Plä­ne. Die Men­schen mie­den seit­her den Hain aus Angst vor dem Zorn der rach­süch­ti­gen Schat­ten­fee. El­tern warn­ten ihre un­ge­hor­sa­men Kin­der da­vor, dass die böse Hexe sie ho­len käme, wenn sie ih­nen nicht brav folg­ten.

Isla war in­zwi­schen von ih­rem Aus­flug an den Oze­an zu­rück­ge­kehrt. Das Wet­ter hat­te sich glü­ck­li­cher­wei­se wie­der be­ru­higt. Von den wär­me­n­den Strah­len der Früh­lings­son­ne auf die ro­sig er­b­lüh­ten Wan­gen ge­küsst, be­trat sie nun durch das gro­ße süd­li­che Tor die Stadt und spa­zier­te gut ge­launt ent­lang der or­dent­lich ge­pflas­ter­ten Gas­sen und Stra­ßen in Rich­tung ih­res El­tern­hau­ses. Al­tira hat­te sich her­aus­ge­putzt wie eine eit­le Hof­da­me und trug ihr prunk­volls­tes Fest­ge­wand. Un­zäh­li­ge Blü­ten und flat­tern­de Bän­der in al­len nur er­denk­li­chen For­men und Fa­r­ben schmück­ten sämt­li­che Ge­bäu­de, Mau­ern und Wege. Ein be­tö­ren­der Duft schweb­te al­lent­hal­ben durch die mil­de Luft wie das ver­füh­re­ri­sche Pa­r­fum ei­ner ele­gan­ten Frau. Die Stadt er­strahl­te re­gel­recht in ei­ner wah­ren Fa­rb­ex­plo­si­on. Der Grund für die­sen ver­schwen­de­ri­schen Schmuck war ein Fest, das der Kö­nig für die nächs­ten zwei Tage an­be­raumt hat­te. Im Volk wur­de ge­flüs­tert, dass der in die­ser Hin­sicht bis­lang sehr wan­kel­mü­ti­ge Herr­scher ge­dach­te, sich end­lich eine Braut zu er­wäh­len. Zahl­rei­che edle Ge­schlech­ter mit ih­ren hei­rats­fä­hi­gen Töch­tern aus den be­nach­bar­ten Kö­nig­rei­chen wa­ren ge­la­den. Schon seit Ta­gen war rund um die Hohe Fes­te ein stän­di­ges Kom­men von il­lus­t­ren Gäs­ten wahr­zu­neh­men, wel­ches von den Be­woh­nern Al­tiras neu­gie­rig be­ob­ach­tet und eben­so aus­führ­lich kom­men­tiert wur­de.

Na­tür­lich wür­de auch Isla an den Fest­lich­kei­ten, an Mu­sik und Tanz, teil­neh­men. Bei dem Ge­dan­ken dar­an be­schleu­nig­ten sich ihre oh­ne­hin weit aus­ho­len­den Schrit­te. Denn zu die­sem An­lass be­kam sie von ih­ren El­tern ein neu­es Kleid ge­schenkt. Ihr hüb­scher Mund, der über der rech­ten Ober­lip­pe von ei­nem spöt­ti­schen klei­nen Mut­ter­mal ge­ziert wur­de, kräu­sel­te sich zu ei­nem er­war­tungs­fro­hen Lä­cheln. Glaub­te man den Wor­ten ih­rer Mut­ter Elis, war sie an ge­nau die­ser Stel­le kurz nach der Ge­burt von ei­ner Fee ge­küsst wor­den … Isla ver­trau­te des­halb fest dar­auf, dass sie stets von ei­nem Glücks­s­tern be­hü­tet wur­de.

In der ehr­wür­di­gen Burg, hoch oben über der Stadt, fie­len die Strah­len der früh­lings­haf­ten Spät­nach­mit­tags­son­ne durch die auf­wän­dig ver­zier­ten Spitz­bo­gen­fens­ter des weit­läu­fi­gen Thron­saa­l­es, der ein­sam und still da­lag. Nur ein in schmuck­lo­ses Dun­kel­blau ge­wan­de­ter Mann stand an ei­nem der ho­hen Fens­ter und blick­te nach­denk­lich auf das leb­haf­te Trei­ben im Hof hin­ab. Sein halb­lan­ges blon­des Haar fiel of­fen auf die Schul­tern und leuch­te­te wie eine hel­le Fa­ckel im war­men Licht. Mit den klu­gen ha­sel­nuss­brau­nen Au­gen und der hoch­ge­wach­se­nen Ge­stalt sah er sehr gut aus.

»Wor­an denkst Du, Herr? Be­hagt Dir der Tru­bel zu Dei­nen Eh­ren etwa nicht?«

Ein sehr schlan­ker, mit­tel­gro­ßer Mann in glei­cher­ma­ßen schnör­kel­lo­sem Schwa­rz trat nun aus dem Schat­ten des im­po­san­ten Ada­man­ten­throns, an dem er in der wach­sa­men Art, die sei­nem zu­rück­hal­ten­den We­sen zu Ei­gen war, bis­her ge­lehnt hat­te. Sein Name war Bal­tha­sar. Er war ei­ner der ers­ten Ed­len des Rei­ches. Als ent­fern­ter Ver­wand­ter des Kö­nigs trug er selbst das Blut des ur­al­ten Herr­scher­ge­schlechts in sich. Seit den ge­mein­sa­men Kin­der­ta­gen war er ihm ein en­ger Ge­folgs­mann und Freund. Das gut­ge­schnit­te­ne Ant­litz wur­de von dun­kel­brau­nen Haa­ren mit ers­tem Grau an den Schlä­fen um­rahmt. Sei­ne Au­gen, mit de­nen er so­wohl auf­merk­sam als auch stets di­stan­ziert die Welt um sich her­um be­trach­te­te, wa­ren von ei­nem küh­len Grau­grün, die von dich­ten Brau­en ge­krönt wa­ren. Bal­tha­sar war der heim­li­che Schwarm so manch schö­ner Hof­da­me. Doch er galt als wäh­le­risch und un­nah­bar. Wenn er ei­nes der zahl­rei­chen An­ge­bo­te an­nahm, die ihm so frei­gie­big vom schö­nen Ge­schlecht un­ter­brei­tet wur­den, dann tat er dies zu­min­dest auf sehr dis­kre­te Wei­se.

Der An­ge­spro­che­ne wand­te ihm nun sei­ne vol­le Auf­merk­sam­keit zu. Es war Erik, der Kö­nig von Anwh.

»Um ehr­lich zu sein, be­hagt es mir tat­säch­lich nicht. Ich füh­le mich wie bei ei­ner Treib­jagd. Nur bin ich dies­mal nicht un­ter den Jä­gern.«

Ein iro­ni­sches Lä­cheln flog über sei­ne re­gel­mä­ßi­gen Züge. Bal­tha­sars erns­ter Mund zuck­te be­lus­tigt.

»Nun, Du weißt sehr wohl, dass Du Dir end­lich eine Braut su­chen und dem Volk bald einen Kron­er­ben schen­ken musst. Dar­an gibt es kein Vor­bei­kom­men. Bes­ser, Du bringt es so schnell als mög­lich hin­ter Dich. So arg wird es schon nicht wer­den.«

Mit ei­ner viel­sa­gen­den Kopf­be­we­gung wies er in Rich­tung des ein­drucks­vol­len Throns, der die gro­ße schmuck­lo­se Hal­le mit sei­ner ar­cha­isch an­mu­ten­den Aura be­herrsch­te. Ur­al­ten Le­gen­den zu­fol­ge war er in den fer­nen An­fän­gen des Lan­des Anwh von den Zwer­gen ge­fer­tigt wor­den, die als wahr­haf­te Meis­ter der Schmie­de­kunst gal­ten. Eben­so wie das kö­nig­li­che Schwert und die pracht­vol­le Kro­ne. So­wie ein Dolch, der al­ler­dings seit lan­ger Zeit als ver­lo­ren galt. Sie wa­ren aus ei­nem un­end­lich kost­ba­ren und mit al­lem Gold der Welt nicht be­zahl­ba­rem Ma­te­ri­al ge­macht, wel­ches als Ada­man­tium be­kannt war. Ada­mant galt als un­zer­stör­ba­rer Ju­we­len­stein, als das här­tes­te und un­be­zwing­bars­te Ele­ment von al­len. Es gab ihn nir­gend­wo auf der Erde. Einst wa­ren ei­ni­ge we­ni­ge bren­nen­de Trüm­mer­stü­cke die­ses frem­den Stof­fes nachts in ei­ner Feu­ers­glut aus den Wol­ken ge­fal­len. Die Äl­tes­ten sag­ten, er ent­stam­me den glit­zern­den Flim­mer­hau­fen aus dem Schwa­r­zen Nichts weit jen­seits des Him­mels­zel­tes und sei von Rie­sen­hand aus Ster­nen­staub er­schaf­fen wor­den. Ada­man­tium wur­de von den Men­schen seit je­her ma­gi­sche Kräf­te nach­ge­sagt. Es galt als Be­schüt­zer­stein und als Glücks­brin­ger.

Anwh in­des wuchs und ge­dieh. Sein Reich­tum und sei­ne Macht wur­den den Ada­man­tium­in­si­gni­en zu­ge­schrie­ben, aus de­nen Ge­ne­ra­ti­o­nen von Kö­ni­gen ihre Stär­ke be­zo­gen und die einen schüt­zen­den Zau­ber über das Land hiel­ten. Der Thron von Anwh be­deu­te­te je­doch nicht nur Rech­te, son­dern er stell­te glei­cher­ma­ßen eine Ver­pflich­tung für die Herr­schen­den dar.

Erik stieß einen ab­grund­tie­fen Seuf­zer des Über­drus­ses aus und be­rühr­te sei­nen Freund leicht an der Schul­ter.

»Du hast recht. Brin­gen wir es hin­ter uns. Lass’ uns ein Fest be­su­chen. Ich er­war­te, dass Du mir da­bei wie stets den Rü­cken deckst.«

Bal­tha­sar un­ter­drück­te ein Lä­cheln und nick­te zu­stim­mend. Er war ge­mein­hin kein Freund vie­ler Wor­te und folg­te sei­nem Kö­nig auf dem Fuße wie er dies zu tun pfleg­te, seit er den­ken konn­te.

Kur­ze Zeit spä­ter lag der Saal wie­der laut­los und ver­las­sen da. Lang­sam kro­chen die Zwie­licht­schat­ten der ein­set­zen­den Abend­däm­merung her­auf.

Der Ada­man­ten­thron je­doch strahl­te da­von un­be­rührt kalt und un­er­schüt­te­r­lich in ei­nem un­ir­di­schen Glanz, der nicht von die­ser Welt stamm­te.

Anwh

In ei­nem Mär­chen­landFern von Zeit und RaumAnwh ward es ge­nanntLeb­te einst ein TraumAus Zau­ber­stein ent­branntDem Schatz aus Ada­mant.

Ein Kö­nig herrsch­te dortGü­tig und ge­rechtÜbers Volk und sei­nen HortEr schlug sich mu­tig im Ge­fechtDoch nur ein lei­ses WortRaunt noch von je­nem Ort.

Al­tira war die hohe StadtUm den ed­len Fürs­ten­thronDie Fes­te sah vom Berg her­abAuf Tal und tie­fen StromBe­wacht von ho­hen Mau­ernIn ei­ner Flur aus grü­nen Auen.

Vor ih­ren To­ren lag ein SeeUm­hegt vom düst’ren TannDas Reich der Schat­ten­feeDie aus dem Ne­bel kamUnd wie ein üb­ler Schick­sals­fluchDen Tod in Hän­den trug.

Ma­gie weh­te durch die Gas­senDrang in je­des finst’re EckHeut’ lie­gen sie ver­las­senDas alte Volk ist lan­ge wegAuch der Kö­nig ist nun StaubSei­nes stol­zen Throns be­raubt.

Schat­ten­fee

Im dich­ten Na­del­tannHaust eine Zau­ber­feeDie einst aus dem Ne­bel kamOft steht sie am Dunk­len SeeDen der Schat­ten­wald be­grenztVon rei­ner Fins­ter­nis um­kränzt.

Der Kö­nig schlug sie in den BannEin Grund ward nie be­kanntIn der Hexe keimt ein Ra­che­planAn je­nem stil­len StrandSein Gift er­wächst zu vol­ler Blü­teGna­den­los und ohne Güte.

Im Nacht­wind weht ihr hel­les HaarAls sich der See zu Wo­gen türmtIhr Blick schweift kalt und starrZum Him­mel, der ihr zürntUnd zu ei­nem Ding im tie­fen GrundDas mit Glit­zer­strah­len prunkt.

Die Fee taucht in den See hin­abZum schwa­r­zen Teu­fels­sch­lundIn ein nas­ses kal­tes GrabBis hin zu je­nem stil­len PunktAn dem ein lei­ses Fun­keln ruftNach dem sie so be­gehr­lich sucht.

Es ist ein Zeug aus Ada­mantDas im See ver­bor­gen liegtEi­nes, das noch nie­mand fandUnd einen frem­den Zau­ber sprühtDer nichts als den Tod ver­sprichtDie Fee hüllt ihn ins Sei­den­tuchDen düst’ren Schick­sals­fluch.

II. Kapitel

Tändelei

Isla dreh­te sich über­mü­tig im Kreis und be­sah sich wohl­ge­fäl­lig von al­len Sei­ten im Spie­gel. Sie trug ihr neu­es Kleid, das ge­ra­de recht­zei­tig zum Fest fer­tig­ge­stellt wor­den war. Es war aus feins­tem Stoff und leuch­te­te in ei­nem sat­ten Ge­wit­ter­blu­men­blau, in dem sich ihre un­ge­wöhn­li­che Au­gen­fa­r­be wie­der­fand. Das lan­ge glat­te Haar war in zwei or­dent­li­che Zöp­fe ge­floch­ten und zu ei­ner sei­di­gen Kro­ne auf ih­rem Kopf auf­ge­steckt. Ei­ni­ge zar­te wei­ße Blü­ten, die de­zent in die Fri­sur ein­ge­ar­bei­tet wa­ren, bil­de­ten einen hüb­schen Kon­trast zu den schwa­r­zen Sträh­nen und ver­voll­stän­dig­ten ihr schlich­tes, aber wir­kungs­vol­les Er­schei­nungs­bild.

Elis, Is­las Mut­ter, platz­te förm­lich vor Stolz an­ge­sichts der wohl ge­ra­te­nen Toch­ter und ver­such­te er­folg­los, ei­ni­ge ge­rühr­te Trä­nen zu un­ter­drü­cken. Auch ihr Va­ter Ed­vard nick­te bei­fäl­lig mit ei­nem ab­we­sen­den Grin­sen, ehe er sich wie­der ei­ligst in sein Ar­beits­zim­mer zu­rück­zog, um ir­gend­wel­chen furcht­bar drin­gen­den Ge­schäf­ten nach­zu­ge­hen.

»Ach, mein Kind, Du wirst die Schöns­te von al­len auf dem Fest sein.«

Isla fand sich kurz­zei­tig fest an Elis’ üp­pi­gen Bu­sen ge­drückt und er­wi­der­te die müt­te­r­li­che Um­ar­mung.

»Nein, das wer­de ich be­stimmt nicht. Aber das Kleid ist wirk­lich sehr schön.«

Sie warf einen letz­ten Blick in den Spie­gel und war zu­frie­den mit sich. Isla war nicht eit­ler als an­de­re Mäd­chen ih­res Al­ters auch. Sie wuss­te sehr wohl, dass sie in keins­ter Wei­se dem da­mals üb­li­chen Schön­heits­ide­al ent­sprach. Sie war re­la­tiv klein und zier­lich ge­ra­ten und ver­füg­te über kei­ne nen­nens­wer­ten kör­per­li­chen At­tri­bu­te, die her­vor­sta­chen. Etwa gro­ße Brüs­te wie sie die äu­ßerst wohl­ge­form­te Nach­bar­s­toch­ter vor­zu­wei­sen hat­te. Ihre Haut war auf­fal­lend blass und stand in star­kem Kon­trast zu den dunk­len Haa­ren. Die klei­ne Nase wies keck gen Him­mel und wur­de zu­dem von ei­ni­gen Som­mer­spros­sen ver­un­ziert, da sie sich ger­ne im Frei­en auf­hielt und oft stun­den­lang am Strand her­um­stro­mer­te. Ihr fein­ge­zeich­ne­tes Ge­sicht war zwar hübsch, aber nicht un­be­dingt auf­se­hen­er­re­gend. Das ein­zig Be­mer­kens­wer­te an ihr wa­ren die dun­kel­blau­en, man­del­för­mi­gen Au­gen die von dich­ten schwa­r­zen Wim­pern be­kränzt wur­den. Die Au­gen­brau­en bil­de­ten einen per­fekt ge­wölb­ten Bo­gen dazu und ver­lie­hen ihr ein stets fra­gen­des Aus­se­hen. Der aus­drucks­vol­le Blick war di­rekt, ab­wä­gend und leicht di­stan­ziert. Isla hielt den Rü­cken sehr ge­ra­de, wie ein klei­ner Ge­ne­ral. Ihre gan­ze Per­sön­lich­keit strahl­te eine ge­wis­se Küh­le und Un­nah­bar­keit aus. Ein Um­stand, der wie­der­um die Auf­merk­sam­keit und das In­ter­es­se der Men­schen auf sich zog und den Groß­teil ih­rer sub­ti­len An­zie­hungs­kraft aus­mach­te. Aus je­der Ges­te spra­chen In­tel­li­genz und Selbst­ver­trau­en, die sich aus der für die da­ma­li­ge Zeit un­ge­wöhn­li­chen und fort­s­chritt­li­chen Er­zie­hung und Bil­dung er­ga­ben, in de­ren Ge­nuss sie dank ih­rer El­tern ge­kom­men war. Isla war trotz des jun­gen Al­ters kein hoh­les Püpp­chen, sie war … ein­drucks­voll, von ge­wis­ser Ei­gen­art und sehr aus­ge­präg­tem Cha­rak­ter. Ei­gen­schaf­ten, die Frau­en in den Au­gen der Män­ner zu je­ner Zeit nicht gut an­stan­den. Aber das scher­te sie kei­nen Deut, denn sie ver­füg­te zu­dem über ein aus­ge­präg­tes Selbst­be­wusst­sein und ein recht ro­bus­tes Na­tu­rell. Isla war kei­ne klei­ne ver­wöhn­te Prin­zes­sin. Sie war schon jetzt eine Kö­ni­gin. Das wür­de sie al­ler­dings erst noch her­aus­fin­den müs­sen.

Fürs Ers­te woll­te sie das tun, was alle Mäd­chen gern ta­ten. Sie wür­de heu­te zum kö­nig­li­chen Fest ge­hen und sich dort bei Mu­sik und Tanz ver­gnü­gen.

Eine laue Früh­lings­nacht war über Al­tira her­auf­ge­zo­gen. Der hel­le und der Erde un­ge­wöhn­lich nahe Voll­mond be­leuch­te­te die fest­li­che Sze­ne­rie wie eine ge­heim­nis­vol­le rie­si­ge La­ter­ne. Die ge­sam­te Stadt schien auf den Bei­nen zu sein, um an den Fei­er­lich­kei­ten teil­zu­neh­men. In der mil­den Luft ver­meng­ten sich ver­schwen­de­ri­scher Blu­men­duft, der Ge­ruch viel­fäl­ti­ger Spe­ze­rei­en, die an je­der Ecke dar­ge­bo­ten wur­den, und Me­lo­di­en, zu de­nen al­ler­or­ten in den Stra­ßen und auf den Plät­zen ge­tanzt wur­de, zu ei­ner be­täu­ben­den Ka­ko­pho­nie.

Bal­tha­sar hat­te mitt­ler­wei­le leich­te Kopf­schmer­zen. Er war kein all­zu gro­ßer Freund von Men­schen­mas­sen und hielt sich für ge­wöhn­lich lie­ber in der frei­en Na­tur auf. Das Fest dau­er­te seit Stun­den, und er hat­te be­reits den einen oder an­de­ren Be­cher Wein zu sich ge­nom­men. Wie ein schwa­r­zer Schat­ten folg­te er dem Kö­nig über­all­hin, der sich der Viel­zahl hüb­scher Mai­den kaum zu er­weh­ren wuss­te und bis­her kaum einen Tanz aus­ge­las­sen hat­te. Of­fen­bar hat­te sich bei den Da­men wie ein Lauf­feu­er her­um­ge­spro­chen, dass er auf Frei­ers­fü­ßen ging. Bal­tha­sar grins­te scha­den­froh, als eine dral­le blon­de Schön­heit dem be­dau­erns­wer­ten Erik beim Tanz ihre be­acht­li­chen Vor­zü­ge aus nächs­ter Nähe aus­gie­big prä­sen­tier­te, so dass die­ser fast mit der Nase in der wei­chen Fül­le ver­sank. Es er­weck­te den An­schein, dass sein Freund in al­ler­bes­ten Hän­den war. Bal­tha­sar be­schloss, den Heim­weg in die Kö­nigs­fes­te an­zu­tre­ten.

Ge­wandt schlän­gel­te er sich durch die fei­ern­den Men­schen­mas­sen, wich bei­läu­fig ei­ner of­fen­kun­dig lie­bes­hung­ri­gen Dame aus, die ihm in ein­deu­ti­ger Ab­sicht den Weg ver­stell­te, und at­me­te er­leich­tert auf, als er schließ­lich einen klei­nen Platz er­reich­te, auf dem es nicht ganz so laut­stark und eng zu­ging. Als er eine fröh­li­che Grup­pe pas­sier­te, die sich in ei­nem mun­te­ren Rei­gen er­ging, ver­hak­te sich sein Blick für ei­ni­ge Se­kun­den zu­fäl­lig mit ei­nem aus­neh­mend hüb­schen dun­kel­blau­en Au­gen­paar. Als sich der kur­ze, aber in­ten­si­ve Kon­takt wie­der lös­te, fühl­te er sich selt­sam leer und ver­hielt un­will­kür­lich sei­nen Schritt, um den Tan­zen­den eine Wei­le zu­zu­se­hen.

Sei­ne Auf­merk­sam­keit wur­de von ei­ner sehr schlan­ken, nicht be­son­ders gro­ßen Jung­fer in ei­nem leuch­tend blau­en Kleid an­ge­zo­gen. Er be­trach­te­te sie eine Wei­le und ver­such­te zu er­grün­den, was sie an sich hat­te, das sei­ne Auf­merk­sam­keit so schein­bar mü­he­los zu fes­seln ver­moch­te. Sie war kei­ne auf­fal­len­de Schön­heit. Ihr dunk­les Haar war zu ei­ner or­dent­li­chen Fri­sur hoch­ge­steckt. Sie wirk­te kühl und di­stan­ziert. Selbst­ver­ges­sen gab sie sich der Mu­sik hin. Nichts um sie her­um schien sie zu be­rüh­ren, ob­wohl sie sich mit den an­de­ren jun­gen Leu­ten an den Hän­den ge­fasst hat­te. Ei­gent­lich war sie nur ein klei­nes nichts­sa­gen­des Ding, sei­ner Auf­merk­sam­keit nicht im Ge­rings­ten wür­dig. Bal­tha­sar be­vor­zug­te die Da­men, mit de­nen er von Zeit zu Zeit das La­ger teil­te, je­doch nie sei­ne Ge­füh­le oder Ge­dan­ken, ide­a­le­r­wei­se mit blon­dem Haar und et­was sinn­li­cher ge­ra­ten. Es ge­nüg­te ihm, wenn sie von ei­ner ge­wis­sen Raf­fi­nes­se und Er­fah­rung wa­ren und sich nach ih­ren flüch­ti­gen Zu­sam­men­künf­ten dis­kret wie­der ver­ab­schie­de­ten. Die­se hier ent­sprach so gar nicht sei­nen Vor­stel­lun­gen. Es pass­te ihm nicht, dass sie eine ver­bor­ge­ne Sai­te in ihm an­ge­rührt hat­te. Auch, wenn dies un­ab­sicht­lich ge­sch­ah und sie gar nicht wuss­te, dass er sie aus dem Dun­kel her­aus be­ob­ach­te­te. Sie hielt sich ker­zen­ge­ra­de und be­weg­te sich mit ei­ner na­tür­li­chen mü­he­lo­sen Ele­ganz. So selbst­ver­ständ­lich, als wür­de sie tag­ein tag­aus nichts an­de­res tun, als zu ei­ner un­hör­ba­ren Me­lo­die durch das Le­ben zu tan­zen. In Ge­dan­ken stell­te er sich vor, wie sie sich lust­voll und mit Hin­ga­be in sei­nem Bett un­ter ihm bie­gen wür­de. Sein Kör­per reg­te sich bei der Vor­stel­lung, sie nackt und fie­brig un­ter sich lie­gen zu ha­ben.

Er zö­ger­te noch für ei­ni­ge Se­kun­den, dann ging er mit ent­schlos­se­nen Schrit­ten auf sie zu. Er war sich sehr wohl be­wusst, wie man er­folg­reich jag­te.

Isla dreh­te sich an­mu­tig im Kreis zum Rhyth­mus der Mu­sik. Sie lieb­te es zu tan­zen. Plötz­lich gab der Herr zu ih­rer Lin­ken sie frei, und eine war­me un­be­kann­te Hand um­schlang die ihre so­gleich mit fes­tem Griff. Sie dreh­te sich lä­chelnd zu dem neu­en Tän­zer und sah di­rekt in ein zu­rück­hal­ten­des Au­gen­paar, von dem sie un­ter dunk­len Brau­en her­vor auf­merk­sam ge­mus­tert wur­de. Die Fa­r­be war von ei­nem in­ten­si­ven Grau­grün.

Es war ei­ner je­ner sel­te­nen Au­gen­bli­cke, in de­nen die Welt förm­lich still zu ste­hen schien. Isla stock­te kurz­fris­tig der Atem. Doch ihre Füße be­weg­ten sich in­tu­i­tiv wei­ter im Takt, wäh­rend ihre Auf­merk­sam­keit wei­ter­hin auf den gut­aus­se­hen­den Frem­den kon­zen­triert blieb. Er war mit­tel­groß, schlank, mit dich­tem dun­kel­brau­nem Haar. Ein leich­ter Bart­schat­ten lag auf sei­nem Ant­litz. An den Schlä­fen zeig­ten sich ers­te Spu­ren von Grau. Er trug ein­fa­ches schmuck­lo­ses Schwa­rz. Den­noch spür­te sie in­stink­tiv, dass sie es hier mit ei­nem Edel­mann von ho­hem Rang zu tun hat­te. Dies ver­ri­et die Selbst­ver­ständ­lich­keit in sei­nem Auf­tre­ten ge­paart mit ei­ner ge­wis­sen Ar­ro­ganz. Sei­ne gan­ze Kör­per­hal­tung sprach von Selbst­ver­trau­en und Au­to­ri­tät. Die­ser Mann war es ge­wohnt zu be­kom­men, was er woll­te. Mit Ge­walt riss sie den Blick von ihm los und fuhr fort, schein­bar un­be­ein­druckt die vor­ge­schrie­be­nen Schrit­te des be­lieb­ten Rei­gen­tan­zes aus­zu­füh­ren.