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"Sich zu keiner Seite hinneigen, heißt Mitte, kein Schwanken zulassen, heißt Maß. Mitte bezeichnet den rechten Weg, den alle unter dem Himmel gehen sollen, Maß bezeichnet das für alle unter dem Himmel gültige Prinzip. Dieses Werk enthält das Gesetz des menschlichen Geistes, das die Schüler des Konfuzius überliefert haben"? so der Philosoph Zhu Xi (1130-1200) in seiner Vorbemerkung. Im Anhang findet sich ein Glossar mit 16 Kernbegriffen der Philosophie des Konfuzius und den entsprechenden Schriftzeichen.
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Seitenzahl: 74
Konfuzius
Das Buch von Maß und Mitte
Herausgegeben von Ferdinand und Uta Fellmann
Mit 41 Kalligraphien von Hong Yu
Reclam
Alle Rechte vorbehalten
© 2015 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2015
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMSUNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960748-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019248-1
www.reclam.de
Dies Bild des Konfuzius ist eine traditionelle Nachzeichnung eines Gemäldes des Malers Wu Daozi aus der Tang-Dynastie.
Kong zi: Konfuzius
Mein Meister, der Philosoph Chang 1, spricht: Sich zu keiner Seite hinneigen, heißt Mitte, kein Schwanken zulassen, heißt Maß. Mitte bezeichnet den rechten Weg, den alle unter dem Himmel gehen sollen, Maß bezeichnet das für alle unter dem Himmel gültige Prinzip. Dieses Werk enthält das Gesetz des menschlichen Geistes, das die Schüler des Konfuzius überliefert haben, bis Dsi-si 2 aus Sorge, es könne im Laufe der Zeit entstellt werden, es aufgeschrieben und Mencius 3 übergeben hat. Das Buch behandelt zunächst ein Prinzip, dann entfaltet es das Prinzip in jede Richtung, und schließlich ordnet es alles wieder unter dem einen Prinzip. Entrolle es, und es erfüllt das Universum, rolle es wieder ein, und es zieht sich zurück und liegt verborgen im Geheimnisvollen. Das Gefallen daran ist unerschöpflich, das Ganze aber ist ein hartes Lernen. Wenn der eifrige Leser es mit Freude erkundet und begriffen hat, mag er es sein ganzes Leben in die Praxis umsetzen, und er wird erfahren, dass es unerschöpflich ist.
I 1 Was der Himmel dem Menschen mitgegeben hat, heißt Natur. Die Übereinstimmung mit der Natur heißt Weg. Was den Weg ausmacht, heißt Unterweisung.
2 Der Weg darf nicht einen Augenblick verlassen werden. Könnte er verlassen werden, so wäre es nicht der Weg. Darum ist der besonnene Mensch umsichtig, schon bevor er die Dinge sieht, und er ist auf der Hut, bevor er die Dinge hört.
3 Nichts ist offenbarer als das Geheime und nichts sichtbarer als das Verborgene; darum ist der besonnene Mensch aufmerksam gegenüber sich selbst, gerade dann, wenn er allein ist.
4 Solange Hoffnung und Zorn, Trauer und Freude sich noch nicht regen, befindet sich das Bewusstsein im Zustand der Ausgeglichenheit, der Mitte heißt. Sobald sich diese Regungen äußern und im rechten Verhältnis zueinander stehen, heißt der Zustand Harmonie. Die Mitte ist die große Wurzel aller menschlichen Dinge in der Welt; die Harmonie ist der zum Ziel führende Weg.
5 Wenn Mitte und Harmonie erreicht werden, kommen Himmel und Erde in ihre rechte Ordnung, und alle Dinge gedeihen.
II 1 Dschung Ni 4 sprach: Der edle Mensch hält sich an Maß und Mitte, der Gemeine widersetzt sich Maß und Mitte.
2 Der edle Mensch verkörpert Maß und Mitte und kann gar nicht anders, als jederzeit in der Mitte zu weilen. Der gemeine Mensch hingegen verlässt den Weg der Mitte, weil er aufgrund seiner Natur vor nichts zurückschreckt.
III Der Meister sprach: Vollkommene Tugend entspricht Maß und Mitte, aber selten sind die Menschen, die lange dabei verweilen können.
IV 1 Der Meister sprach: Warum der Weg der Mitte nicht begangen wird, das weiß ich: Die Neunmalklugen gehen darüber hinaus, und die Törichten erreichen ihn gar nicht. Warum der Weg nicht erkannt wird, das weiß ich: Die Alleskönner gehen darüber hinaus, und die Unfähigen erreichen ihn nicht.
2 Unter den Menschen gibt es keinen, der nicht isst und trinkt, aber selten sind die, die den Geschmack unterscheiden können.
V Der Meister sprach: Ach, dass der Weg nicht begangen wird!
Zi yue: Der Meister sprach
VI Der Meister sprach: Schun 5 war doch ein großer Weiser! Schun liebte es, andere zu fragen und dem Sinn einfacher Reden nachzugehen. Er überging das Schlechte der Menschen und kehrte ihr Gutes heraus. Er packte eine Sache an beiden Enden an, stellte die Mitte heraus und handelte gegenüber den Menschen stets maßvoll. Das ist es, warum er der Schun war!
VII Der Meister sprach: Die Menschen sagen alle: »Ich weiß Bescheid«. Aber wenn sie blindlings vorwärts stürzen und sich in Netzen, in Fallen und Gruben verfangen, weiß keiner, wie er sich befreien könnte. Die Menschen sagen alle: »Ich weiß Bescheid.« Aber wenn sie Maß und Mitte gewählt haben, können sie nicht einmal einen Monat lang daran festhalten.
VIII Der Meister sprach: Hui 6 war als Mensch so, dass er Maß und Mitte wählte; und wenn er etwas Gutes erlangt hatte, so hielt er es mit beiden Händen an seiner Brust fest und verlor es nie wieder.
IX Der Meister sprach: Es kann einer ein Reich mit allen Provinzen und Familien in Ordnung bringen, es kann einer auf Amt und Würden verzichten, es kann einer auf scharfe Klingen treten – und Maß und Mitte doch nicht erreichen.
Zhong yong: Maß und Mitte
X 1 Dsï Lu 7 fragte, was Stärke sei.
2 Der Meister sprach: Meinst du des Südens Stärke oder des Nordens Stärke 8 oder aber deine eigene Stärke?
3 Weitherzig sein und mild in der Unterweisung anderer und immer Böses mit Gutem vergelten: das ist die Stärke des Südens. Und ein Edler hält sich daran.
4 In einer Rüstung schlafen und dem Tod ohne zu klagen ins Auge sehen: das ist die Stärke des Nordens. Und ein Starker hält sich daran.
5 Der Edle verbreitet Harmonie, und doch ist er nicht schwach: Wie mächtig ist er doch in seiner Stärke! Er steht fest in der Mitte und beugt sich nach keiner Seite: Wie mächtig ist er doch in seiner Stärke! Wenn im Land alles gut läuft, bleibt er derselbe, der er war, als er noch keinen Erfolg hatte: Wie mächtig ist er doch in seiner Stärke! Wenn im Land alles schlecht läuft, so ändert er sich auch nicht, selbst wenn er sterben müsste: Wie mächtig ist er doch in seiner Stärke!
Jun zi: Der Edle
XI 1 Der Meister sprach: Geheime Künste ausüben und Wunder wirken 9, damit die Nachwelt etwas zu erzählen hat: das mache ich nicht.
2 Der Edle sucht den rechten Weg. Auf halber Strecke aufgeben: das mache ich nicht.
3 Der Edle hält sich an Maß und Mitte. Im Verborgenen leben und von der Welt nicht anerkannt werden, ohne es zu bedauern: das kann nur der Heilige.
XII 1 Der Weg des Edlen führt in die Weite und ist doch geheimnisvoll.
2 Gewöhnliche Männer und Frauen mögen trotz ihrer Unwissenheit vom Weg eine Ahnung haben, aber er reicht in Weiten, die auch der Weise nicht kennt. Die schwachen Kräfte gewöhnlicher Männer und Frauen reichen aus, ihn zu gehen; aber er reicht in Weiten, die auch der Weise nicht erreichen kann. Bei aller Größe des Himmels und der Erde haben die Menschen doch noch manches auszusetzen. Darum: Wenn der Edle vom Weg in seiner ganzen Größe spricht, so gibt es in der Welt nichts, das an sie heranreichen könnte; wenn er von der Kleinheit spricht, so gibt es in der Welt nichts, das sie zerteilen könnte.
3 Im Buch der Lieder 10 heißt es 11:
»Der Falke fliegt zum Himmel auf,
Die Fische tauchen tief zum Grund.«
Damit ist gemeint, dass der Weg in allen Höhen und Tiefen zu erforschen ist.
4 Der Weg des Edlen nimmt seinen Anfang bei den Angelegenheiten der gewöhnlichen Männer und Frauen, aber er reicht in Weiten, da er Himmel und Erde durchdringt.
XIII 1 Der Meister sprach: Der Weg ist nicht fern vom Menschen. Wenn die Menschen einen Weg fern vom üblichen einschlagen, so kann man das nicht als den richtigen Weg betrachten.
2 Im Buch der Lieder heißt es 12:
»Beilstiel hacken, Beilstiel hacken,