Das Doppelkonzert - Arnulf Meyer-Piening - E-Book

Das Doppelkonzert E-Book

Arnulf Meyer-Piening

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Beschreibung

Der Berater Konselmann schafft mit Hilfe seiner Partnerin ein Finanzkonglomerat. Nach anfänglichen Erfolgen bricht es durch Fehlspekulationen zusammen. Der Inhaber erleidet während eines Konzerts einen Herzinfarkt. Der Finanzier im Hintergrund zwingt den Berater zur Flucht. Er erleidet Schiffbruch. Mord oder Unfall?

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Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert

Hochmut kommt vor dem Fall

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Warm-up

Der Gladiator

Neue Kontakte

Gedanken zur Nachfolge

Aufstieg zum Vulkan

Sorgenvolle Heimkehr

Konzertvorbereitung

Außer Takt

Auf Messers Schneide

Hoffnungsträger

Abgestimmtes Vorgehen

Seriosität als Fassade

Steuern sparen mit Risiko

Befreiung aus der Isolation

Überzeugung

Persönliche Gespräche

Verträge und große Pläne

Gemeinsame Anstrengungen

Pecunia non olet!

Ungeklärte Todesfälle

Spontane Empörung

Griff nach dem rettenden Strohhalm

Umwandlung der Gesellschaftsform

Eine Hand wäscht die andere

Illuminaten

Tanz ums Goldene Kalb

Der Schein trügt

Existenzielle Probleme

Auftritt der Gladiatoren

Unangenehme Wahrheiten

Die Zeitbombe tickt

Alle Wasser laufen zum Meer

Die Schlinge zieht sich zu

Flucht ins Ungewisse

Ruhe vor dem Sturm

Auf hoher See

Ankunft in Nassau

Die Untersuchung

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Endlich erreichte Guido Konselmann das Schloss des Grafen Ebersbach, bog scharf rechts in die Einfahrt und passierte die mächtigen Säulen mit dem schmiedeeisernen Tor. Die weißen Kieselsteine, die den Neptun-Brunnen mit sorgfältig gepflegten Blumenrabatten einfassten, knirschten unter den Reifen. Sie hinterließen hässliche Bremsspuren, als der schwere BMW vor dem Eingangsportal zum Stehen kam. Es war spät geworden, und er war wie immer in Eile, ein beständiger Kampf gegen die Zeit.

- Ein Diener kam die Stufen hinunter, öffnete mit leichter Verbeugung die Fahrertür: Herr Konselmann, willkommen auf Schloss Ebersbach. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt.

- Der Fahrer stieg aus, reckte die müden Glieder, als wollte er eine Hantel stemmen, öffnete die hintere Wagentür, zog sein Boss-Jackett über und sagte, ohne sich umzusehen: Danke, alles bestens.

- Darf ich um Ihren Wagenschlüssel bitten?

Steckt, rief der Berater beiläufig über die Schulter, griff seinen Laptop und wandte sich der nach unten breit ausladenden Schlosstreppe zu. Er schien in Eile zu sein als ob er fürchtete, zum Abendessen zu spät zu kommen. Nicht, dass er Hunger verspürt hätte, aber er wollte nichts versäumen, vor allem die offizielle Begrüßung der Gäste durch den Grafen nicht. Er wollte präsent sein und gesehen werden.

Der Diener nahm den Schlüssel. Wie selbstverständlich öffnete er den Kofferraum und nahm die Reisetaschen. Er wollte auch den Laptop nehmen, aber der Berater wehrte ab: Danke, den Laptop nehme ich selbst, und eilte mit elastischen Schritten die Treppe nach oben.

- Eine elegant im eng anliegenden schwarzen Abendkleid gekleidete Dame erwartete ihn an der Eingangstür. Es war Isabelle: Hallo Guido, schön, dass du endlich da bist. Wir erwarten dich seit einer Stunde und waren schon etwas beunruhigt, ob dir vielleicht etwas passiert sei.

- Mit federnden Schritten eilte er die restlichen Stufen hinauf: Ich freue mich, dich zu sehen. Nur eine leicht angedeutete Umarmung, als ob sie niemand sehen sollte. Nein, es ist mir nichts passiert, sagte er noch immer gehetzt, aber der Feierabendverkehr zum Wochenende ist ziemlich heftig. Sonst ist alles in Ordnung. Ich weiß, ich bin etwas spät dran. Viele Staus auf den Autobahnen haben mich behindert. Damit hatte ich nicht gerechnet.

- Jedes Jahr wird es schlimmer, es ist Freitag. Das schöne Wetter lockt viele Menschen zum Ausflug, antwortete sie verbindlich, aber mach dir keine Gedanken, du bist nicht der Letzte, wir erwarten noch weitere Gäste. Lass dir Zeit. Du wirst eine anstrengende Woche hinter dir haben. Entspann dich und fühl dich bei uns wohl.

Sie winkte dem Boy, der sich diskret im Hintergrund aufgehalten hatte, gab ihm die Zimmerschlüssel und wies auf das Gepäck, das aus einem Samsonite -Koffer, einer brauen Gabbiano-Aktentasche aus weichem Rindsleder und dem unvermeidlichen Laptop bestand, den der Berater nie aus den Händen gab. Er enthielt wichtige Geschäftsunterlagen, Gesprächsnotizen, Geschäftspläne seiner Klienten, vertrauliche Bilanzen, Kapitalanlagen in Liechtenstein und Vaduz. Sie durften keinesfalls in fremde Hände gelangen.

- Der Boy ging voraus: Wenn Sie mir bitte folgen wollen, ich darf Ihnen Ihr Appartement zeigen.

Der junge Mann stieg die geschwungene Marmortreppe zwischen den goldenen Engeln hinauf, Konselmann folgte ihm. Am Ende des mit einem beigen Teppich belegten Gangs öffnete der Boy die Tür zu einem geräumigen Zimmer, in dessen Mitte ein kleiner Tisch mit Intarsien und bronzenen Beschlägen an den geschwungenen Beinen. Vier Empire-Stühle umstanden den Tisch. Darauf stand zur Begrüßung ein Sektkühler mit einer Flasche Champagner: Ebersbach Brut. Dazu zwei Sektgläser aus geschliffenem Glas. Von der langen Fahrt ermüdet, konnte er es kaum erwarten, einen erfrischenden Schluck zu nehmen. Etwas erschöpft ließ er sich auf einen Sessel fallen.

Noch weitere Sessel, mit hell rosa gestreifter Seide bespannt, standen locker im Raum gruppiert, als erwarteten sie weitere Gäste. Ein Kamin war mit Holzstücken zum Anzünden vorbereitet, was bei den sommerlichen Temperaturen sicher nicht geplant war. Auf der Marmor-Umrandung eine vergoldete Uhr mit einem stolzen Reiter, ein Banner in der Hand, wahrscheinlich ein heldenhafter Heerführer nach gewonnener Schlacht. Ein Kristalllüster, mit vielen Prismengläsern und mattleuchtenden Glühlampen, hing von der Stuckdecke. Die Lampen wären zu dieser Tageszeit nicht nötig gewesen, denn an der Längsseite des Raumes befanden sich zwei Fenster, deren schwere Gardinen die Strahlen der Abendsonne abschirmten. Durch einen Spalt drang weiches, diffuses Licht in den Raum, das die verspielte Anmut des Zimmers unterstrich. Zwischen den Fenstern stand etwas verloren ein kleiner Schreibsekretär mit Einlegearbeiten aus verschiedenfarbigen Hölzern, die eine Schäfer-Szene darstellte: Ein junges Schäferpaar inmitten einer Herde von Schafen. Wie angenehm und heiter das Landleben war. Nicht zu vergleichen mit dem hektischen Leben eines Beraters. Vielleicht sollte man wirklich etwas anderes machen.

Der Diener wartete geduldig an der Tür. Er hatte kein Trinkgeld bekommen, auf das er nicht verzichten wollte. Mit der Hand wies er auf eine Tür: Diese Tür führt zu Ihrem Schlafzimmer, die andere zum Badezimmer. Er ließ den Gast einen Blick hineinwerfen.

- Sehr schön, danke.

- Wenn es Ihnen recht ist, dann erwartet Sie der Graf zum Aperitif um halb acht unten im Salon.

- Danke. Dann kann ich mich noch etwas frisch machen. Er konnte es kaum erwarten, den Schweiß des hektischen Tages abzuduschen und das Hemd zu wechseln. Es war eine lange und heiße Woche gewesen. Endlose Meetings, viele Reisen und kaum zu Hause. Termine jagten sich. Wenig Schlaf. Der reine Wahnsinn! Aber er hatte es so gewollt und beklagte sich nicht.

- Der Boy stand noch immer wartend an der Tür: Und wenn Sie etwas brauchen, dann ziehen Sie bitte an dieser Schnur, wir werden bemüht sein, Ihnen den Aufenthalt in unserem Hause so angenehm wie möglich zu gestalten, wobei er auf eine Kordel mit einer angehängten Quaste zeigte, die seitlich an der Tür hing. Damit verbeugte er sich und verließ den Raum, nicht ohne ein reichliches Trinkgeld empfangen zu haben.

Der Berater hatte schon in vielen Spitzenhotels der Welt übernachtet, aber so einen Luxus hatte er noch nicht erlebt. Mit Interesse betrachtete er den Schreibsekretär etwas genauer. Ganz sicher von Charles Boule vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Er kannte sich mit Antiquitäten aus: Schildpatt, Elfenbein und Metalle aus Messing und vergoldeten Bronzeapplikationen, aufs Sorgfältigste mit Edelhölzern kombiniert. Kostet ein Vermögen, dachte er, für solche Möbel hatte sich der Adel damals immens verschuldet, aber Graf Ebersbach sicher nicht. Ja, so reich müsste ich sein, dann könnte ich mir auch solche Möbel leisten und jeden Abend Champagner trinken. Mit solchen Gedanken öffnete er die Flasche, füllte sein Glas, nahm einen kräftigen Schluck, genoss das leichte Prickeln auf der Zunge. Fast etwas zu hastig leerte er das Glas, stellte es auf den gleichfalls mit Intarsien belegten Tisch zurück. Der gut gekühlte Champagner tat ihm gut, belebte seine Sinne und ließ ihn den Tag vergessen.

Die Brokatvorhänge schob er vorsichtig auf die Seite. Ein letzter Abendgruß der Sonne zwängte sich durch den Spalt herein und gab den Blick auf den kunstvoll gestalteten und sorgfältig gepflegten Garten mit filigranen Blumenrabatten fei. Einige Statuen zierten die Ecken, wahrscheinlich handelte es sich um griechische Götter und Göttinnen. Sicher waren auch Helden dabei, die sich ihren festen Patz in der Geschichte erobert hatten. So einen Platz wollte er auch gewinnen durch Fleiß, Entschlossenheit und Klugheit.

Seine Gedanken schweiften zurück in die Zeit seines Studiums, als er finanziell in sehr beengten Verhältnissen gelebt hatte. Nie reichte das Geld für das Benzin seines ziemlich betagten Motorrollers. Es war eine Vespa, die er liebevoll pflegte. Eines Tages hatte er Isabelle von Stephano kennengelernt. Sie hatten gemeinsam den Grundlagenkurs für Finanzmathematik belegt. Verstohlen hatte er sie in den Vorlesungen angesehen nicht zuletzt, weil sie mit ihrem langen schwarzen Haar sehr attraktiv und dabei so exklusiv schien. Er wagte nicht, sie direkt anzusprechen, denn sie schien wohlhabend zu sein, weil sie stets sehr gepflegt aber schwarz gekleidet war, während er ausnahmslos in seinen alten Jeans zu den Vorlesungen kam. Er litt unter dem Mangel seiner bescheidenen Herkunft und an Geld. Er hätte seine Kommilitonin gern zum Essen eingeladen oder wenigstens zu einem Drink. Aber er konnte sich keine Einladung in den angesagten Lokalen leisten. Der Besitz von Geld schien ihm ein nicht zu unterschätzender Vorzug. Er schwor sich, künftig viel Geld zu verdienen und vor allem nicht mehr arm zu sein. Darauf war vor allem sein Studium gerichtet, nur deshalb hatte er Betriebswirtschaft gewählt, während er am liebsten Physik studiert hätte, doch das hätte zu lange gedauert.

Gelegentlich traf er Isabelle in der Mensa. Sie tranken Kaffee aus einem Pappbecher. Er wollte sie kennenlernen, mehr über sie erfahren, und auch sie schien nicht völlig abgeneigt zu sein, denn er war sportlich und gut durchtrainiert. Jedenfalls war er eine auffallende Erscheinung. Zudem zählte er zu den besten des Jahrgangs. So fanden nach und nach eine persönliche Basis. Isabelle hatte vor kurzem ihren Mann bei einem Autounfall während eines Rennens mit historischen Autos verloren. Das Fahrzeug gehörte dem Grafen Ebersbach. Die Untersuchung des Unfallfahrzeugs hatte ergeben, dass die Bremsen ihre hydraulische Flüssigkeit verloren hatten. Deshalb war er in einer Kurve ungebremst in den Abgrund gerast. Er war sofort tot. Isabelle trauerte mehrere Wochen. In dieser Zeit kleidete sie sich ausschließlich in schwarz, fand dann aber allmählich wieder zu einem normalen Leben zurück. Sie suchte neue Bekanntschaften, schien aber unnahbar.

Guido bemühte sich um ihre Nähe, indem er ihr seine Mitschriften der Vorlesungen gab. Sie verabredeten sich zum gemeinsamen Lernen, aber das studentische Leben lockte. So legten sie die Bücher zur Seite. Die Wissenschaft konnte warten. Voller Tatendrang streiften sie durch die angesagten Lokale in Schwabing. Oft waren ihre Studien-Kollegen dabei. Insbesondere Bernd, Heinz und Günther, die nach dem Examen den Börsenzirkel: Börsengurus gegründet hatten.

Nach wenigen Wochen traf er sich mit Isabelle zu gemeinsamen Ausflügen in die Umgebung: Sie besaß einen blauen VW-Käfer, ein unerhörter Luxus. Sie besuchten die vielen Königsschlösser des menschenscheuen, romantischen Königs Ludwig II., machten Wanderungen in den Bergen oder mieteten sich ein Segelboot am Starnberger See. Sie verstanden sich gut und sie kamen sich näher. So nach und nach überwand sie ihre Trauer. Guido kaufte ihr in Mittenwald einen weiten bunten Rock und eine weiße Bluse. Sie gewann ihre natürliche Fröhlichkeit und ihr bezauberndes Lächeln zurück. Sie hatte eine Eigentumswohnung in München, während er nur eine bescheidene Studentenbude bewohnte. So ergab es sich, dass er den einen oder anderen Abendbummel in ihrer Wohnung beendete.

Gemeinsam bereiteten sie sich auf das Examen vor. Da sie beide ehrgeizig waren, setzten sie alles daran, ein Prädikats-Examen zu erreichen. Sie schafften es. Beide bestanden ihr Examen mit einer Eins vor dem Komma. Damit gelang ihnen der Start ins Berufsleben ohne größere Probleme. Sie konnten sich die Firma aussuchen, für die sie arbeiten wollten.

Er begann seine Karriere als Leiter des Finanz- und Rechnungswesens in einem chemisch-pharmazeutischen Unternehmen in Niederbayern. Ein paar Jahre verbrachte er mit der Erstellung von Bilanzen und Budgets. Er langweilte sich angesichts der ständig gleichbleibenden Aufgabenstellung, suchte eine echte Herausforderung in einem anspruchsvollen Aufgabengebiet und wollte Verantwortung übernehmen. Als er für sich in der Firma keine Aufstiegschancen sah, wechselte er zu der internationalen Beratungsgesellschaft Bosko und Partner mit Sitz in Düsseldorf.

Isabelle wurde Mitarbeiterin der Hauses Graf Ebersbach und übernahm nach kurzer Zeit die Vertriebsleitung für Weine und Spirituosen. Sie war sehr erfolgreich. Aufgrund ihres gewinnenden Charmes bezauberte sie die Menschen, schaffte Vertrauen und nahm sie für sich ein. Sehr bald erkannte der Graf ihre Stärke in der Akquisition. Er übertrug ihr die Leitung des Champagner-Vertriebs. Die Aufgabe war ihr förmlich auf den Leib geschnitten. Die Männer suchten ihre Nähe und hofften, sie eines Tages zu besitzen. Sie aber wahrte die gebotene Distanz. Nie gestattete sie zweideutige Anzüglichkeiten in ihrer Nähe. Ihre positive Ausstrahlung hatte viel von dem elitären Produkt, das sie vertrieb. Das köstliche Prickeln des Champagners, das prickelnde Gefühl des Geldes sowie die elitäre Welt des Hochadels, der Schönen und der Reichen. Das war ihr Leben. Hier fühlte sie sich Zuhause.

Und doch fehlte ihr etwas: Man könnte es wohl am besten mit Geborgenheit beschreiben. Darin zeigte sich ein gewisser Widerspruch in ihrer Persönlichkeit: Während sie auf der einen Seite dominant – zuweilen auch herrisch - wirkte, war sie im Innersten weich, anpassungsfähig und liebebedürftig. Diese Seite blieb weitgehend im Verborgenen, als fürchtete sie, ihre harte Schutzschicht könnte zerbrechen. Wohl auch aus diesem Grunde hatte sie niemanden, der zu ihr gehörte. Das fehlte ihr, gab ihr gleichzeitig auch Unabhängigkeit. Sie kannte viele Männer, weil sie gut aussah und sexy war. Es fiel ihr leicht, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen, vor allem zu Männern. Mit Frauen verhielt es sich anders, denn sie betrachteten sie in gewisser Weise als Konkurrentin, in mancher Hinsicht sogar als Bedrohung.

Der Graf kannte und schätzte ihre unbestreitbaren Vorzüge. Er unterwies sie in der schwierigen Materie der Investmentfonds, der Steuersparmodelle und der Hedgefonds. Sie lernte schnell, und er betraute sie mit dem Verkauf von Aktienfonds, Schiffsfonds und Steuersparmodellen, die er finanzierte. Die Verbindung zwischen Champagnerverkauf und dem Verkauf von Investment-Zertifikaten war durchaus sinnvoll, denn sie bediente die gleichen oder wenigstens miteinander verwandten Kundensegmente.

Einige Jahre arbeitete sie für den Grafen und verkaufte Schiffsfonds und Steuersparmodelle. Das Geschäft entwickelte sich zufriedenstellend, das heißt, sie verdiente gut, kaufte sich schnelle Sportwagen und extravagante Kleidung. Aber sie fühlte sich abhängig und litt unter einem beruflichen Defizit: Sie hatte nie ein größeres Unternehmen von innen kennengelernt, sie wusste nichts über die internen Mechanismen der Macht, der Organisation und der Abläufe. Im Großen und Ganzen konnte sie Bilanzen lesen. Sie wusste, dass der Gewinn auf der Passivseite der Bilanz stand, wusste aber nicht so genau warum, und wie die Zahlen zustande gekommen waren.

Im Zuge ihrer beruflichen Tätigkeit wurde sie von ihren Kunden und Investoren immer wieder um Rat gefragt, den sie nicht wirklich fundiert geben konnte. Dies Defizit versuchte sie auszugleichen. Daraus entstand die Gewohnheit, ihren langjährigen Freund Guido Konselmann, von dem sie wusste, dass er Unternehmensberater war, um Rat zu fragen. Daraus entwickelte sich eine Art Partnerschaft, allerdings ohne irgendwelche festen Absprachen. Langfristige Vereinbarungen und Bindungen wollte sie nicht eingehen, jedenfalls jetzt noch nicht. Das widersprach ihrem Wesen. Sie wollte selbständig sein und unabhängig agieren. Sie wollte niemandem Rechenschaft schuldig sein, wenn sie abends ausging oder auf Reisen ging. Und doch konnte es für sie nur von Vorteil sein, eine lose Verbindung einzugehen, in der sie in irgendeiner Form zum beiderseitigen Vorteil mit einem geeigneten Partner zusammenarbeiten würde.

Und gerade jetzt war ein Ereignis eingetreten, das sie veranlasst hatte, über ihre berufliche und private Situation noch einmal nachzudenken: Der Graf hatte ihr angeboten, sich als Finanzmaklerin selbständig zu machen. Das schien ihr vielversprechend zu sein. So wurde sie unabhängig und arbeitete in ihre eigene Tasche. Sie zog nach Frankfurt um und kaufte sich eine große Eigentumswohnung.

Seitdem waren sich Isabelle und Guido näher gekommen. Soweit es ihre Zeit erlaubte, trafen sie sich entweder in Frankfurt oder bei ihm in Düsseldorf. Isabelle kannte in Frankfurt und in den umliegenden Dörfern fast alle Bars und gehobenen Restaurants, in denen Champagner aus ihrem Hause getrunken wurde, und sie hatten den Konsum aktiv und nach besten Kräften und zum Nutzen des Hauses Ebersbach unterstützt.

Eines Tages hatte er eine Einladung zum Diner ins Schloss des Grafen Ebersbach bekommen. Eine Auszeichnung, die nur wenigen Menschen zuteil wurde. Man musste schon einiges Geld für Champagner oder andere gehobene Events ausgegeben haben, um in dieses feudale Anwesen eingeladen zu werden. Er gehörte zu dieser Gruppe der Multiplikatoren, leerte ein weiteres Glas Champagner und genoss auf dem bequemen Sessel mit wuchtigen Bronzebeschlägen den ungewohnten Augenblick der Ruhe. Was würde der Abend bringen? Neue Kontakte, um neues Geschäft zu generieren, das war seine Hoffnung, und er würde alles tun, um dies Ziel zu erreichen. Wenn darüber hinaus noch eine schöne Frau - sozusagen als Zugabe - dabei wäre, umso besser. Er mochte schöne Frauen und schätzte die Abwechslung. Vielleicht gerade deshalb war er nicht verheiratet. Die Frauen machten es ihm leicht, suchten seine Nähe, gingen mit ihm in die Oper, ließen sich von ihm aushalten, gewährten ihm, was er sonst noch suchte, und er brauchte sich nicht zu binden. Keine langfristigen Bindungen, das war seine Devise. Er liebte die Herausforderung, liebte die Chance, vielleicht sogar auch das Spiel mit dem Feuer. Eine neue Beziehung brachte neue Reize und neue Erfahrungen. Nichts verabscheute er mehr, als Routine. Sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Das Neue und Unbekannte reizte ihn. Vor allem aber suchte er den Erfolg: Weiter, höher, unaufhaltsam vorwärts streben, nie anhalten und nie zurückschauen. Macht, Einfluss, Anerkennung, sicher auch Geld, das zum gehobenen Lebensgefühl dazugehörte. Geld war für ihn nicht Selbstzweck, es war Mittel zum Zweck. Er suchte Vollkommenheit, Perfektion und die Herausforderung, an der er seine Kräfte erproben konnte. Um diese Ziele zu erreichen, wurde er von beständiger Arbeitswut getrieben. Das spielerische Genießen und fröhliche Feiern lag ihm fern. So würde es auch an diesem Abend sein, an dem das Feiern als Mittel zum Zweck angesehen werden konnte.

Es wurde Zeit, sich für den Abend zurechtzumachen: Duschen, frische Wäsche, Smoking, weißes Hemd, schwarze Fliege, weißes Tuch in der Brusttasche, etwas locker, wie zufällig gesteckt, schwarze Lacklederschuhe. Ein kurzer Blick in den Spiegel, der seitlich in der Ecke stand und den Raum optisch vergrößerte. Er betrachtete sich nicht ohne Eitelkeit. Der Smoking saß perfekt – er hatte ihn kurz zuvor von seinem Londoner Schneider anfertigen lassen - das leicht gewellte dunkle Haar, welches an den Schläfen fast unmerklich grau zu werden begann, sorgfältig zurückgekämmt. Er straffte sich, zog den sich leicht andeutenden Bauch ein, und fand, dass er noch immer recht passabel aussah, obwohl ihm ein paar zusätzliche Trainingsstunden im Fitness-Center gut bekommen würden. Er war, wie man sagt, eine gute Erscheinung, durchaus auf Wirkung bedacht und sich seiner zwingenden Ausstrahlung bewusst. Er war zum Empfang bereit. Erwartungsvoll blickte er auf die Standuhr.

Kurz nach halb acht Uhr klopfte jemand an seine Tür.

Warm-up

- Er erwartete den Zimmerboy mit dem Aufruf zum Abendessen. Mit lauter Stimme rief er: Herein!

Zu seiner Überraschung betrat Isabelle bereits fertig für den Abendempfang gekleidet den Raum.

- Er erhob sich: Isabelle, du? Ich dachte, du wärest mit dem Empfang der anderen Gästen beschäftigt. Aber schön, dass du kommst. Vielleicht können wir noch etwas plaudern. Ich wüsste so gerne, wer sonst noch als Gast geladen ist.

- Wir haben noch etwas Zeit. Wir erwarten noch Familie Sämann. Sie haben eben aus dem Auto angerufen. Sie stecken irgendwo im Stau und werden sich etwas verspäten.

- Dann setze dich noch etwas zu mir. Wir könnten vor dem großen Ansturm der Gäste noch in Ruhe ein Glas Champagner leeren.

- Gern.

Sie setzte sich ihm gegenüber und schlug ihre Beine lässig übereinander. Sie hatte wirklich schöne Beine und wusste das. Sie schien vollkommen entspannt und war sich ihrer anziehenden Wirkung durchaus bewusst. Er öffnete die Flasche, die sich in dem silbernen Kühler befand. Vorsichtig schenkte er den perlenden Inhalt in die Gläser. Sie stießen auf einen erfolgreichen Abend an.

Er fand, dass sie an diesem Abend besonders gut aussah. Sie trug ein schwarzes, hautenges, etwas gewagtes Kleid, das ihre Figur vorteilhaft betonte. Obwohl er sie gut kannte, erfreute er sich immer wieder an ihrem Anblick. Er fand sie noch immer sehr sexy und freute sich auf den weiteren Abend. Er spürte, dass sie an diesem Abend noch Bedeutungsvolles erleben würden. Große Chancen und Herausforderungen erwarteten sie, wenn sie sich gemeinsam den Aufgaben stellen würden.

- In erster Linie war er begierig zu erfahren, wer zu diesem Abendessen eingeladen war. Er wollte neue interessante Leute kennenlernen, die für seine beruflichen Ambitionen wichtig sein könnten: Zunächst einmal herzlichen Dank für die Einladung, sagte er und blickte ihr lächelnd in die Augen. Diese strahlenden blauen Augen zogen ihn in seinen Bann. Ganz besonders in diesem Augenblick. Er hätte sie gern in den Arm genommen.

- Du musst dich nicht bei mir, sondern bei unserem Gastgeber bedanken, sagte sie mit freundlicher Zurückhaltung. Graf Ebersbach wird kommen, sobald der letzte Gast eingetroffen ist. Du solltest dich beeilen, wenn du ihn sprechen willst, denn er bleibt bei solchen Anlässen nie lange. Er ist sehr beschäftigt.

- Das versteht sich, aber ich gehe wohl recht in der Annahme, dass du bei der Auswahl der Gäste ein kräftiges Wort mitgeredet hast. Insoweit gebührt der Dank auch dir.

- Der Graf und ich entscheiden das gemeinsam. An erster Stelle rangieren unsere langjährigen Kunden, denen wir für die Treue zu unserem Hause zu Dank verpflichtet sind.

- Zu diesem erlesenen Kreis der Champagner-Kunden zähle ich nicht, sagte er mit gespielter Bescheidenheit, wobei es die Wahrheit war. Du wirst also ein anderes Motiv für meine Anwesenheit gefunden haben.

- Das stimmt schon. Aber der Graf hat mich auf dich angesprochen. Irgendjemand hat ihm von dir berichtet, dass du ein ausgezeichneter und erfolgreicher Berater seist. Und außerdem möchte er bei geselligen Veranstaltungen immer ledige Herren dabei haben, damit für die Damen etwas zum Flirten anwesend ist. Und da fiel die Wahl auf dich.

- Er zeigte sich an diesem Thema sehr interessiert und ließ den Champagner in seinem Glas kreisen: An welche Damen hätte er dabei in Sonderheit gedacht?

- Sie beobachtete ihn aufmerksam, denn sie wusste, dass er Interesse an schönen Frauen hatte: An erster Stelle wohl an Julia Sämann. Sie ist die Tochter des Seniorchefs der Sämann Firmengruppe. Chemisch-Pharmazeutische Werke, München.

- Er nickte: Eine charmante und gleichzeitig auch kompetente Frau.

- Du kennst sie? Woher? Isabelle war überrascht.

- Unsere Beratungsfirma hat vor ein paar Jahren einen Start-up-Wettbewerb für junge Biotech-Firmen ausgeschrieben. Sie war Grundlagenforscherin, hat nach dem Studium eine Firma gegründet und sich an dem Wettbewerb beteiligt. Wir haben sie mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Sie war in jeder Hinsicht die Beste von allen Bewerbern: Ihre Geschäftsidee war brillant, ihre Business-Pläne waren sorgfältig durchdacht und ausgefeilt. Ihre Präsentation war einfach super. Während dieser Zeit haben wir oft miteinander gesprochen. Und woher kennst du sie?

- Ich habe ihr junges Unternehmen mit Risikokapital versorgt, sagte Isabelle und strich sich mit der Hand durch ihr langes Haar. Ich kannte ihren Vater seit vielen Jahren, mit dem ich verschiedentlich auf dem Gebiet der steuersparenden Kapitalanlagen, wie zum Beispiel Bauherrenmodelle und Hedgefonds zusammengearbeitet habe.

- Das ist interessant. Ich freue mich, dass ich sie hier wiedersehe. Ich habe schon eine Weile nichts mehr von ihr gehört. Möchte gern wissen, was aus ihr und ihrer Firma geworden ist. Weißt du, was sie jetzt macht?

- Genau weiß ich es nicht, sie soll noch immer in der Arzneimittel-Forschung tätig sein. Ihr Vater sagt, sie lebe in Nicaragua. Dort habe sie ein Forschungsinstitut.

- Ist sie verheiratet?

- Nicht, dass ich wüsste. Es hat mich auch nicht sonderlich interessiert. Bei dir scheint das anders zu sein.

- Er wehrte ab: Reine Neugier. Ich möchte immer wissen, ob eine schöne Frau gebunden ist oder ob sie sich allein durchs Leben schlägt. Du kennst sie gut?

- Du scheinst noch im vorigen Jahrhundert zu leben. Heute braucht eine Frau keinen Ehemann, um erfolgreich zu sein. Im Gegenteil, ein Mann ist Frauen oft auf der Leiter nach oben im Wege.

- Man könnte sich gegenseitig helfen und sich stützen, wenn einer mal aus der Balance gerät.

- Mag sein, aber selbstbewusste Frauen kommen ganz gut allein zurecht. Zu dieser Gruppe gehört Julia. Ich kenne die Familie Sämann schon seit ein paar Jahren. Am besten den Senior: Wolfgang Sämann hat ein paar Geldanlagen zum Steuersparen mit meiner Hilfe gemacht. Es waren sehr erfolgreiche Investitionen. Er hat dabei gutes Geld verdient.

- Der Berater witterte eine Chance: Das klingt gut. Auf diesem Fundament ließe sich ein solides Gebäude errichten.

- Ich denke, du solltest dich mit Herrn Sämann unterhalten. Er ist ein sehr netter und umgänglicher Mann. Wir kennen uns seit vielen Jahren gut, er ist mein Patenonkel. Mein Vater war mit ihm befreundet. Jahrelang hatten wir kaum Kontakt. In den letzten Jahren habe ich mich verstärkt um ihn gekümmert, denn es geht ihm gesundheitlich nicht gut.

- Was fehlt ihm denn?

- Er leidet unter einer chronischen Nieren-Insuffizienz.

- Das ist eine heimtückische Krankheit. Warum wendet er sich nicht an seine Schwester oder an seine Tochter?

- Er versteht sich nicht besonders mit seiner Schwester. Er fürchtet, dass sie ihm nicht wirklich helfen würde. Ich glaube, er fürchtet sogar, dass sie in Wirklichkeit sein Ableben herbeisehnt. Er misstraut ihr. Und seine Tochter ist weit weg und kommt nur selten nach Deutschland.

- Kannst du ihm helfen?

- Ich glaube schon. Er leidet oft unter Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Atemnot, Ödemen und Schmerzen. Ich helfe ihm, so gut ich es kann. Zudem habe ich das Gefühl, dass er auch in seiner Firma Hilfe gebrauchen könnte. Es wäre mir recht, wenn du dort Fußfassen könntest.

- Ich will versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen.

- Du solltest auch seine Schwester Ingrid kennenlernen. Sie ist die graue Eminenz im Hintergrund und spinnt die Fäden in der Familie.

- Was macht sie?

- Sie leitet das Elisabeth Krankenhaus. Es gehört zu der Sämann-Gruppe. An der Gruppe ist sie mit einem Drittel des Grundkapitals als Kommanditistin beteiligt.

- Das ist ein maßgeblicher Anteil. Was ist sie für ein Typ?

- Sie tritt betont jugendlich auf. Des Öfteren trägt sie Netzstrümpfe und ziemlich kurze Kleider. Nicht nur privat, auch in der Klinik.

- Ist die Kleidung in ihrer Position nicht etwas unpassend? Er versuchte sich eine nicht mehr ganz junge Ärztin im Minikleid und Netzstrümpfen vorzustellen. Mit dieser Vorstellung hatte er Schwierigkeiten.

- Man kann es unpassend nennen. Aber ihr gefällt es. Sie liebt die Aufmerksamkeit der anderen, besonders der Männer, und sie hat schöne Beine.

- Ist sie verheiratet? Das war eigentlich eine belanglose Frage. Und doch musste er sie stellen. Es war fast wie ein Reflex bei ihm. Er wollte seine Chancen erkunden.

- Nein, aber die ist nichts für dich, sagte sie leicht konsterniert.

- Warum? Ist sie gebunden?

- Ich kenne dich. Ich weiß, auf welche Art von Frauen du stehst. Du brauchst eine jüngere Frau, sagte sie und blickte ihn herausfordernd an.

- Du meinst, so eine wie Julia?

- Isabelle ging das Thema langsam auf die Nerven: Vielleicht, das könnte durchaus sein, aber auch sie ist nichts für dich.

- Du wirst immer etwas an anderen Frauen auszusetzen haben, die sich in meiner Reichweite befinden, sagte er unwirsch.

- Nicht unbedingt. Es kommt auf die Umstände an.

- Also, was ist mit Julia?, beharrte er. Ist sie noch in ihrer Firma tätig? Guido konzentrierte sich weiterhin auf sein Anliegen: Er wollte seine Chance nutzen, in die Interna der Firma einzudringen, und wissen, wo er den Hebel anzusetzen hatte. Und deshalb musste er wissen, welchen Wirkungskreis die anwesenden Personen hatten. Er unterschied sorgfältig zwischen Zeitverschwendern und für seine berufliche Karriere wichtigen Persönlichkeiten. Julia könnte in der Zwischenzeit durchaus zu einer wichtigen Persönlichkeit geworden sein, dachte er. Das Potenzial dazu hatte sie in jedem Fall.

- Nicht direkt. Aber sei vorsichtig. Sie ist keine Frau, die man so einfach im Sturm gewinnen kann. Sie ist wählerisch, selbstbewusst und wird eine steile Karriere machen. Jetzt leitet sie ein Forschungsinstitut.

- In der Firma ihres Vaters? Das war nun die für ihn entscheidende Frage: Musste er Julia gewinnen, wenn er für die Sämann Gruppe tätig werden wollte? Oder war sie nur für ihre eigene Firma tätig? Er musste mehr über die Interna der Familie erfahren. Was hielt die Familie zusammen? Wer verfolgte welche Interessen? Waren es nur finanzielle Interessen oder waren es persönliche Bindungen? Es würde nicht leicht sein, an diesem Abend die Antworten zu finden. Also müsste er versuchen, einen ersten Kontakt für weitere Gespräche herzustellen.

- Möglich. Man kann es nicht ausschließen. Es hängt davon ab, wie sich die Firma entwickelt.

- Du sprichst von ihrer eigenen Firma oder von der ihres Vaters? Diese Unterscheidung war für ihn wichtig.

- Von beiden. Wenn ich es recht verstanden habe, dann arbeiten die beiden Firmen auf bestimmten Gebieten zusammen. Sie arbeitet auch für die Klinik der Schwester. Sie haben gemeinsame Interessen. Sie entwickeln ein neues Medikament gegen die Niereninsuffizienz. Deshalb ist sie nach Nicaragua gegangen. In den dortigen Zuckerrohr-Plantagen ist diese Krankheit besonders weit verbreitet.

- Sagtest du nicht, dass Herr Sämann einen Sohn hat? Ist auch er in der Firma tätig? Kommt er auch zum Essen?

- Isabelle schien etwas ungehalten zu sein und nahm einen Schluck aus ihrem Glas, als wollte sie einen aufkommenden Ärger hinunterspülen: Sein Sohn Hinrich war auch eingeladen, sagte sie, aber er hat ohne Begründung abgesagt. Jedenfalls hat er mir keinen Grund genannt.

- Merkwürdig. Dann muss es etwas sehr Wichtiges gewesen sein. So eine Einladung schlägt man nicht grundlos aus.

- Sie zuckte mit den Schultern: Ich habe keine Ahnung. Ich kenne ihn wenig und kann ihn nicht beurteilen.

- Für Guido wurde die Situation immer unübersichtlicher: Wenn Julia in Nicaragua gebunden war, dann schied sie aus dem Kreis der Entscheider in der Sämann Gruppe aus. Er musste es herausfinden. Warum war Hinrich nicht gekommen? War er der Juniorchef, die graue Eminenz im Hintergrund? Wer würde die Firma künftig leiten? Lange Zeit würde der Alte die Firmenleitung nicht mehr behalten können. Aber Hinrich war nicht gekommen. Das verwunderte ihn sehr: So ein gesellschaftliches Ereignis sagt man nicht so einfach ab. Vor allem dann nicht, wenn man sich auf eine künftige Führungsaufgabe in einer bedeutenden Firma vorbereitet. Dazu gehören die sozialen Kontakte. Ohne Kontakte ist man einsam und verloren.

- Nicht alle schätzen den öffentlichen Auftritt so wie du. Der kleine Seitenhieb war nicht zu überhören.

- Er gab ihn zurück: In diesem Punkt stehen wir uns in nichts nach.

- Sie lenkte ab und nahm noch einen kühlen Schluck, sie wollte keine sinnlose Kontroverse über die Frage, wer von ihnen den stärkeren Hang zur öffentlichen Darstellung hatte. Besonders an diesem Abend nicht: Das Thema wollen wir jetzt nicht erörtern, sagte sie mit Bestimmtheit.

Guido war das nur recht und konzentrierte sich auf sein eigentliches Anliegen: Er wollte die Familie Sämann genauer kennenlernen, die er nur aus der Ferne kannte. Er wollte wissen, wo er den Hebel ansetzen musste, um seinem Ziel näher zu kommen: Ein Beratungsauftrag. Er wusste, dass der Sämann-Clan eine einflussreiche Unternehmerfamilie war. Er wollte wissen, was aus dem jungen Start-up-Unternehmen von Julia geworden war. Hatte er damals das richtige Gespür für Menschen und ihr Erfolgspotential gehabt? Er wollte sich bestätigt sehen und hatte noch ein anderes Ziel vor Augen: Er wollte CEO (Chief Executive Officer) in seiner Firma werden. Diese Position versprach ihm Einfluss in seiner Beratungsgesellschaft. Mit dieser Position würde in die ersten Kreise der Gesellschaft aufsteigen. Er könnte sich als Kunstmäzen, als anerkannter Sammler moderner Kunst und als gesuchter Sponsor auf Charity-Veranstaltungen präsentieren. Er würde vielleicht auch zum Kanzler- oder Präsidenten-Berater ernannt werden. Und dazu brauchte er noch ein paar weitere Aufträge. Er stand kurz vor dem ersehnten Ziel. Er gehörte zu dem engeren Führungskreis, aus dem sich der künftige CEO rekrutieren würde. Es galt, nach weiteren Chancen Ausschau zu halten. Sein besonderes Interesse richtete sich auf die anderen Gästen: Wen hast du sonst noch eingeladen? Kenne ich jemand?, erkundigte er sich.

- Gut möglich, aber du solltest möglichst alle Gäste kennen, wenn du in die einflussreichen Kreise unseres Landes eindringen willst. Da ist zum Beispiel Herr Doktor Pauli. Inhaber der Pauli-Gruppe, Maschinenbau, Chemische Erzeugnisse und Bekleidung, mit Sitz in Krefeld. Ein weit gefächertes Konglomerat von einzelnen Firmen.

- Den kenne ich. Zu seinem Firmen-Imperium gehört die Modefirma Kamper. Ich habe vor Jahren einen Beratungsauftrag für seine Firma durchgeführt. Meine Tätigkeit war sehr erfolgreich. Ich wurde am Ende meiner Beratung zum Generalbevollmächtigten der Kamper Gruppe bestellt. Das kam damals für mich als jungen Berater vollkommen überraschend. Es war eine ungewöhnliche Situation: Im Grunde ließ sich das mit meinen Aufgaben als Berater nur schlecht vereinbaren. Damals stellte ich mir vor, was passieren würde, wenn ich Entscheidungen träfe, die zu Schadenersatzansprüchen meines Klienten gegen mich führten. Aber mein mir damals vorgesetzter Partner beruhigte mich und riet mir, den Auftrag nach bestem Wissen und Gewissen durchzuziehen. In ganz kritischen Situationen könnte ich ihn zu Rate ziehen, sagte er. Aber es ging alles gut. Ich habe die Firma aus den damals bestehenden finanziellen Schwierigkeiten herausgeführt.

- Das klingt gut, dann könnt ihr von alten Zeiten plaudern und habt viele Anknüpfungspunkte. Sie war es zufrieden. Auf diese Weise brauchte sich Isabelle keine Gedanken um die Unterhaltung ihrer Gäste zu machen. Nichts fürchtete sie mehr, als eine gelangweilte Gesellschaft, die nichts mit sich selbst anzufangen wusste. Das Schlimmste war, wenn sich einer der Gäste zum Alleinunterhalter aufspielte, um längere Gesprächspausen zu überbrücken, und halbseidene Witze zu erzählen. Das kam tatsächlich gelegentlich vor besonders wenn Amerikaner anwesend waren. Unweigerlich passierte das, wenn einer aus dem Show-Business anwesend war. Er folgte dann dem unwiderstehlichen Drang, sich selbst zu inszenieren, was die anderen in die Rolle der unfreiwilligen Statisten drängte, die die Situation nicht immer als besonders prickelnd empfanden: Kommt Doktor Pauli allein?

- Nein. Seine Frau Johanna ist auch dabei. Sie soll mal seine Sekretärin gewesen sein. Jetzt leitet sie die Modegruppe seiner Firma.

- Ach, die? Ich kenne sie. Sie war damals unsere Team-Sekretärin. Eine sehr zuverlässige und auch charmante Frau, sagte Guido mit vielsagendem Lächeln. Sie hatte ihm oft geholfen, wenn es um eine Präsentation ging, und die Overheadfolien noch nicht fertig waren. Damals hatte er noch kein Team zu seiner Unterstützung.

- Offensichtlich in jeder Hinsicht eine erfolgreiche Frau, sagte Isabelle und fragte sich, ob er wohl etwas mit ihr gehabt hatte.

- Das wird sich herausstellen. Wer weiß, wie es der Firma heute geht. Jedenfalls bin ich gespannt, sie wiederzusehen. Sie wird sich verändert haben, schließlich sind seit unserem letzten Treffen gut zehn Jahre ins Land gegangen. Damals war sie sehr schlank und trug ihr schulterlanges Haar offen. Das stand ihr gut.

- Hoffentlich hat sie dich in guter Erinnerung behalten. Ihre Haare sind jetzt etwas graumeliert. Aber es steht ihr gut. Du bist auch nicht jünger geworden, sagte sie mit etwas anzüglichem Lächeln.

- Wie charmant du heute bist, sagte Guido, wir sind immer gut miteinander klargekommen. Sonst hatten wir keine engeren Berührungspunkte.

- Das hoffe ich sehr. Schließlich war sie eine Mitarbeiterin deines Klienten. Da wahrt man gehörigen Abstand, sagte Isabelle und sah ihm forschend in die Augen.

- Es gibt bei uns eine eiserne Regel: Don’t put your pen into your Company’s ink. Wir halten uns daran. Es hat sich in den Jahren nicht geändert. Das gehört zu unseren ethischen Standards. In diesem Punkt verstand er keinen Spaß und konzentrierte sich auf die Gästeliste.

- Du weißt jetzt, wer die wichtigsten Gäste sind, fuhr sie fort, denn das kritische Thema wollte sie nicht weiter vertiefen. Es bleibt noch ein weiterer Gast zu erwähnen: Es ist Horst Grünberg, ein Bekannter meines Ex. Er ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag. Du wirst ihn wahrscheinlich kennen.

- Das Tischtelefon läutete. Isabelle nahm den Hörer ab und ordnete sich gewohnheitsmäßig ihre Frisur. Eilfertig antwortete sie: Wir kommen sofort.

Sie erhoben sich aus ihren Sesseln und betrachteten sich noch einmal kritisch im großen Wandspiegel, der mit seinem reich geschnitzten barocken Rahmen das Entree zierte und bis zum Boden reichte. Isabelle kontrollierte noch einmal ihre Frisur und den Sitz ihres Kleides: Wie gefällt dir mein Kleid?

- Er betrachte sie aufmerksam und musste nicht schwindeln, denn sie sah wirklich bezaubernd aus: Es steht dir ausgezeichnet, sagte er. Und er erfreute sich an dem Anblick ihrer tadellosen Figur, die durch das gewagte Abendkleid besonders vorteilhaft zur Wirkung kam. Er fand, dass sie sich im Laufe der letzten Jahre zu ihrem Vorteil verändert hatte. Sie hatte leicht zugenommen und war etwas weiblicher geworden.

- Sie lächelte zufrieden, wendete sich ihm zu und rückte die Fliege an seinem Smoking-Hemd noch ein wenig zurecht, die etwas nachlässig auf halb acht zeigte. Zufrieden wandten sie sich zum Gehen und verschlossen die Tür sorgfältig hinter sich. Niemand sollte sich Zugang zu den persönlichen und vertraulichen Beratungsunterlagen verschaffen können. Das allerdings war eher unwahrscheinlich, denn alle Beschäftigten in dem Schloss waren auf Verschwiegenheit und Loyalität gegenüber dem Gastgeber und seinen Gästen verpflichtet. Eine routinemäßige Vorsichtsmaßnahme, auf die Konselmann nirgends und zu keiner Zeit verzichtete. Also auf in den Kampf!

Ein Kampf? Nein, eher ein Wettstreit um die beste Präsentation der eigenen Stärken. Darum ging es. Zu gewinnen war kein Preis, aber soziale Anerkennung und Prestige.

Der Gladiator

Isabelle führte den Gast die Treppe hinab in den großen Salon mit der Ahnengalerie, in dem schon fast alle Gäste versammelt waren. Graf Ebersbach, schlank mit leicht graumelierten Schläfen, begrüßte ihn an der weit geöffneten Flügeltür mit einer leichten Verbeugung: Herr Konselmann, willkommen in meinem Haus. Ich betrachte es als eine Ehre, Sie in meiner bescheidenen Hütte als Gast empfangen zu dürfen. Ich hoffe, Sie werden das Wochenende in guter Erinnerung behalten. Treten Sie ein und lassen Sie sich verwöhnen.

Der Graf sagte es mit einem leicht ironischen Lächeln, fast nicht zu bemerken. Er repräsentierte ein alt-ehrwürdiges Adelsgeschlecht, das in diesem Schloss seit vielen Generationen residiert hatte. Er spielte seine Rolle mit unaufdringlicher Herzlichkeit. Man konnte sich seiner Führung kaum entziehen. Fast wirkte er wie ein alter General, vielfach geübt, seinen Gefolgsleuten Befehle zu erteilen, von denen er erwartete, dass sie unverzüglich und widerspruchslos ausgeführt würden.

Der Berater beobachtete ihn genau. Er war es gewohnt, Menschen zu beurteilen und sorgfältig zu unterscheiden nach solchen, die ihm von Nutzen sein konnten, und solchen, die für ihn nur Zeitverschwender waren, um die er sich nicht bemühen musste. Zeit war sein kostbarstes Gut. Und Geld natürlich. Und Ansehen. Und Macht, aber darin unterschied er sich nicht von den anderen, die jetzt im gräflichen Schloss versammelt waren. Der Graf war eindeutig der ersten Kategorie zuzurechnen. Er war eine einflussreiche Persönlichkeit, weit über Deutschlands Grenzen bekannt, und er hatte Geld, viel Geld und vor allem Einfluss in gehobenen Kreisen.

- Konselmann verneigte sich dezent. Vielen Dank. Ich bin Ihrer Einladung sehr gerne gefolgt, entgegnete er verbindlich und begann sich unauffällig nach den anderen Gästen umzusehen. Schließlich war er hier, um möglichst viele einflussreiche Menschen kennenzulernen, mit denen er künftig Geschäfte machen wollte.

Die Gäste standen in kleinen Gruppen beieinander, waren in angelegentlichen Gesprächen vertieft, wie es schien. Der Berater überlegte, in welche Gruppe er sich einordnen wollte, als Graf Ebersbach sich den neu eintretenden Gästen zuwandte und sie auf gleiche Weise begrüßte, wobei er dieselben Worte benutzte. Fast schien es wie ein perfekt einstudiertes Theaterstück. Hunderte Mal inszeniert: Gleicher Ort, gleicher Auftritt, gleiche Beleuchtung, gleiche Regie, jedoch jedes Mal mit etwas anderen Gästen. Und darauf kam es an: Möglichst viele einflussreiche Menschen zu erreichen, um sie als sichere Multiplikatoren für die gehobenen Konsum-Produkte des Hauses zu gewinnen und sie fest an sich zu binden. Ein gutes Essen, erlesene Getränke und ein paar kleinere Aufmerksamkeiten konnten dabei nur hilfreich sein.

Isabelle nahm Guido am Arm und führte ihren Gast in den Kreis der anderen Gäste, die mit einem Glas Champagner in freundlich lockerem Gespräch beisammen standen, sichtlich bemüht, mit Geist und Witz die Aufmerksamkeit und die Bewunderung der Umstehenden zu erringen. Nur wer mit lauter Stimme sprach, konnte die anderen zum Zuhören bewegen und sie beeindrucken. Wichtig war, ein spontanes Gelächter zu bewirken, damit sich die anderen nach dem Urheber der ausgelassenen Heiterkeit umdrehten. Und dann dachten sie etwas neidisch, sie wären gern Teil dieser Gruppe, um ebenfalls so heiter und unbeschwert zu lachen.

- Isabelle klopfte an ihr Glas und ergriff das Wort: Meine Damen und Herren. Darf ich Ihre angeregte Unterhaltung kurz unterbrechen, ich möchte Sie mit meinem Studienfreund Guido Konselmann, Partner der internationalen Beratungsgesellschaft Bosko und Partner aus Düsseldorf, bekannt machen.

Der Berater quittierte die Bemerkung mit einem bescheidenen Lächeln und leicht angedeutetem Kopfnicken. Kritische Musterung der Gäste von oben nach unten: Tadellos sitzender Smoking, schwarze Schuhe, gepflegte Erscheinung, mit schwarzem Haar. Nicht zu lang und nicht zu kurz: Gerade richtig, dem festlichen Rahmen angepasst. Elegant, erfolgsgewohnt, sicher in seinen geschliffenen Umgangsformen. Keineswegs arrogant, eher bescheiden, sympathisch.

- Sie fuhr fort, indem sie sich der Gruppe zu ihrer Rechten mit einer leichten Handbewegung zuwandte: Herr Sämann, Inhaber der Firma Sämann in München und seine Schwester Ingrid Sämann. Sie leitet das Elisabeth-Krankenhaus am Tegernsee. Der Senior war etwas untersetzt mit fast weißem, sorgfältig gescheiteltem Haar, mochte wohl etwa Ende sechzig oder sogar Anfang siebzig sein: Reserviert, jovial, eine anziehende Persönlichkeit, die Aufmerksamkeit und Respekt forderte. Seine Begleitung, eine gut aussehende, ihm auffallend ähnliche, sehr vorteilhaft gekleidete Frau mit leicht ergrautem Haar, sah deutlich jünger aus als er, jedenfalls besuchte sie regelmäßig das Fitness-Studio. Sie hielt sich kerzengrade und betont aufrecht. So schien sie größer als ihr Bruder, der etwas gebeugt und unsicher stand.

Konselmann musterte sie eingehend: Sie schien herrisch, unnahbar, abweisend und kalt. Aber vielleicht war das nur Fassade, um ein weiches Herz zu verdecken. Er würde versuchen, sie in ein Gespräch zu ziehen. Wer konnte wissen, welchen Einfluss sie auf ihren Bruder hat. Es gab verschiedene Anknüpfungspunkte für eine Unterhaltung: Im Bereich der Krankenhäuser hatte sein Beratungsunternehmen allerlei Erfahrungen gesammelt. Vielleicht wäre von ihr ein Auftrag zu bekommen? Aber sein Interesse konzentrierte sich erster Stelle auf das Stammhaus der Firma Sämann. Hier setzte er den Hebel an. Er musste Prioritäten setzen.

Isabelle fuhr mit ihrer Bekanntmachung ihrer Gäste fort: Diese junge Dame ist seine Tochter Julia. Sie war wirklich sehr attraktiv, wie Konselmann feststellte, vielleicht sogar noch anziehender, als er sie vor Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war deutlich gereift und noch attraktiver geworden: Ihr Gesicht von der Sonne gebräunt und ihre ganze Erscheinung sportlich, offenbar durchtrainiert schlank. Ihr langes blondes Haar fiel ihr leicht gescheitelt auf die Schultern. Der Berater betrachtete sie aufmerksam und sprach sie lächelnd an: Ich freue mich, Sie in hier aus diesem festlichen Anlass wiederzusehen, sagte er. Ich bin sehr gespannt, wie es Ihnen mit Ihrem jungen Unternehmen in der Zwischenzeit ergangen ist, seitdem wir uns das letzte Mal gesprochen haben.

- Julia lächelte selbstsicher und verbindlich: Ich berichte Ihnen gern, und ich freue mich, auch von Ihnen zu hören, was Sie so machen. Noch immer viel unterwegs?

- Ja, immer auf Achse. Man kann nur vor Ort für den Klienten arbeiten. Man muss mit ihm zusammenarbeiten. Nur so kann man etwas bewirken. Nur positive Veränderungen bringen unsere Klienten voran. Auch wir brauchen den Erfolg unserer Klienten.

- Isabelle wandte sich dem nächsten Herren zu, der etwas abseits stand: Horst Grünberg, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Hessischen Landtag. Gleichzeitig ist er Vorsitzender der hiesigen Arzneimittelbehörde, und in dieser Eigenschaft zuständig für die Prüfung und Zulassung von Arzneimitteln. Sie werden ihn bestimmt kennen. Fast jeden Tag ist sein Bild in der Zeitung.

Etwas ungelenke Verbeugung des noch ziemlich jungen Mannes mit schwarzem Kraushaar und stechenden, fast fanatisch wirkenden Augen. Offenbar schien er sich im lässigen weißen Rollkragenpullover unter dem karierten Jackett in diesem Kreis nicht richtig wohlzufühlen, wie man an seiner leicht nach vorne gebeugten Haltung erkennen konnte. Im Übrigen waren die Herren sämtlich im Smoking erschienen. Die Damen im Abendkleid, teilweise lang. Sehr elegant. Die Begrüßung fiel etwas knapp und förmlich aus, als ob man sich gegenseitig taxiert hätte und zu einer abwartend zurückhaltenden Beurteilung gekommen sei.

Die restliche Gruppe wandte sich belanglosen Themen über das aktuelle Wetter und die letzte Reise in weit entfernte und noch weitgehend unbekannte Gegenden der Dritten Welt zu und tauschte Höflichkeiten aus. Eine Fahrt mit einem Forschungsschiff in die Antarktis erweckte Aufmerksamkeit. Es ging um die Beobachtung von Vögeln, Pinguinen, Robben und Eisbären. Nur mit knapper Not war man einer gefährlichen Berührung mit einem Eisberg entkommen, so wurde mit Enthusiasmus berichtet. Die Hörer waren sich nicht sicher, wo Phantasie oder Erlebtes endeten oder begannen. Gleichviel: Die Aufmerksamkeit war ihm sicher. Ein belangloses Abenteuer, eine beliebige Erzählung, aber lebhaft vorgetragen.

- Julia berichtete von Ihrer Forschungsarbeit in Nicaragua. Konselmann versuchte, sie ins Gespräch zu ziehen, um mehr von ihr über Land und Leute zu erfahren. Vor allem wollte er ihre Stellung in der Firma Sämann und ihre persönlichen Lebensumstände wissen. Zum Beispiel, ob sie fest liiert sei. Aber dazu kam es nicht, denn sie war ständig von anderen Gästen umlagert. Also konnte er seinen Wissensdurst nicht stillen. Er musste auf eine andere Gelegenheit hoffen.

Es wurden Aperitifs gereicht, jeder nur erdenkliche Getränkewunsch wurde erfüllt. Meistens wählten die Gäste höflicherweise den Champagner des Hauses, aber auch Sherry und alter Portwein wurden getrunken. Alles vom Besten und Feinsten, auf silbernen Tabletts mit leichter Verbeugung vollendet serviert. Dazu leichtes Gebäck aus der Gegend, passend zu dem jeweiligen Getränk.

Ein angeregtes Lachen aus der anderen Gruppe, die im lockeren Gespräch am Fenster stand, wurde unterbrochen, als Graf Ebersbach mit einem kleinen Löffel gegen sein Glas schlug und das Wort ergriff: Meine Damen und Herren, ich darf Sie zu Tisch bitten und hoffe, dass wir jeden von Ihnen mit unserem Angebot zufrieden stellen können. Ich darf Ihnen versichern, unsere Köche haben sich für Sie ganz besondere Mühe gegeben. Im Übrigen finden Sie auf dem Tisch kleine Tischkarten. Wir haben uns, Ihr freundliches Einverständnis vorausgesetzt, erlaubt, die Paare getrennt voneinander zu platzieren, damit Sie sich gegenseitig besser kennenlernen können, neue Freundschaften knüpfen und alte vertiefen können.

- Beifälliges Murmeln der Gäste.

- Der Graf fuhr fort: Sie werden es mir nachsehen, dass ich an dem Essen selbst nicht teilnehmen kann, da ich noch heute Abend nach Berlin zu einem Empfang beim Bundespräsidenten fahren muss. Unvermeidliche Verpflichtungen, Sie verstehen. Ich bedaure dies ausdrücklich, denn ich hätte mich lieber mit Ihnen, als den besonderen Freunden unseres Hauses, unterhalten. Dennoch wünsche ich Ihnen gute Gespräche und vor allem guten Appetit.

Mit leichter Verbeugung verließ er den Raum. Isabelle kannte die Rede in- und auswendig. Noch nie hatte der Graf an einem solchen Routine-Dinner teilgenommen, denn jedes Mal hatte er beim Präsidenten – wer es auch immer war – einen unaufschiebbaren Termin gehabt. Man bedauerte dies pflichtschuldigst und studierte mit Interesse die Tischordnung, die auf einem separaten Tisch gleich neben der Tür ausgelegt war.

Isabelle hatte Guido als ihren Tischherren ausgewählt, was ihm einerseits sehr recht war, denn sie hatten noch viel zu besprechen. Andererseits saß er zu weit von Julia entfernt, um auch nur ein kleines persönliches Gespräch anzufangen. Immer befand sich irgendjemand zwischen ihnen. Er hatte sogar den leisen Verdacht, dass Isabelle ihn absichtlich von Julia weit entfernt platziert hatte. Er wusste aus früheren Begegnungen, dass sie sehr eifersüchtig werden konnte. Außerdem vertrug sie keine attraktiven Frauen neben sich, zumal wenn interessante Männer in ihrer Nähe waren.

Das Essen war vorzüglich und bestand aus mehreren Gängen, begleitet von erlesenen Weinen. Die kleinen Pausen boten genügend Gelegenheit, sich miteinander zu unterhalten. Aber wie es bei solchen Gelegenheiten zumeist der Fall ist, wurden nur Belanglosigkeiten ausgetauscht. Im Wesentlichen ging es nur darum, sich selbst richtig ins Bild zu setzen.

Die eine oder andere wohlklingende Rede wurde gehalten. Am Schluss folgte die unvermeidliche Damenrede. Isabelle hatte Konselmann als Redner ausgewählt, weil er der jüngste unverheiratete Mann im Raum war. Er erhob sich, straffte sich und blickte der Reihe nach jeder Frau mit einem leichten Lächeln ins Angesicht. In eleganten Anspielungen auf die Schönheit der anwesenden Damen zeigte sich Geist und klassische Bildung des Redners. Im Grunde war es gleichgültig, was gesagt wurde; es kam nur darauf an, wie es gesagt wurde. In feinsinnigen Redewendungen bemühte er klassische Schönheiten vom göttlichen Olymp wie Aphrodite, Venus und Hera und war zufrieden, dass er sich nicht in der Rolle des Paris befand, der die Schönste der anwesenden Damen zu beurteilen hatte. Als er geendet hatte fand seine blumenreiche Rede allgemeinen Beifall und Zustimmung besonders der Damen. Er hatte einen glänzenden Eindruck hinterlassen. Man erhob sich und ging in den Salon. Nun wandte er sich den Herren zu, von denen er Ansätze zu künftigen Aufträgen erhoffte.

Der Berater ging von Gruppe zu Gruppe und erwies sich als gewandter Gesprächspartner. Unglaublich, dachte Isabelle, während auch sie von Gruppe zu Gruppe wechselte, wie er die Leute einzuwickeln versteht. Mit seinen Andeutungen, mit seinem Gehabe, mit seiner Körpersprache, die er wirkungsvoll einzusetzen versteht, erregt er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Wenn die wüssten, dachte sie, wie wenig hinter der Fassade steht. Er hat Ähnlichkeiten mit meinem Ex-Mann, dachte sie, aber sie würde sich nicht noch einmal von einem Mann vor seinen Karren spannen lassen. Sie würde es allen zeigen, wer der Intelligenteste unter allen ihren Mitmenschen war: Wer letztlich der Triumphator sein würde. Aber Konselmann wäre ein härterer Brocken, den zu knacken nicht leicht sein würde. Jedenfalls war Vorsicht geboten, denn sie könnte sich die Zähne an ihm ausbeißen.

Der Berater war ein Profi seines Fachs. Er spielte souverän auf dem Klavier der harmonischen Beziehungen. Sie würde das Wissen für sich behalten, nützte ihr doch sein elegantes Auftreten, denn sie würde sich an ihn binden, würde mit ihm gemeinsam an ihrem eigenen Erfolgskonzept arbeiten. Er könnte ihr von Nutzen sein. Nur gemeinsam würden sie es schaffen. Sie würde ihm helfen, und er würde ihr helfen. Sie würden sich die Bälle gegenseitig zuspielen, mussten nur aufpassen, dass keiner zu Boden fiel. Sie glichen einem Jongleur-Paar, das mit vielen Bällen spielte und sie zur gleichen Zeit mit wechselnder Höhe in der Luft hielt.

Was suchte sie? Sie wollte sich an ihrem Mann rächen, der sie mit seiner Sekretärin betrogen und sie anschließend verlassen hatte. Dabei hatte sie ihn beruflich unterstützt, was auch immer er tat. Sie hatte sich im Hintergrund gehalten, wie er es von ihr verlangt hatte. Das war der Preis für den Adelstitel, den er ihr durch die Heirat verschafft hatte. Dabei hatte sie ihm oft aus finanziellen Schwierigkeiten geholfen, wenn er wieder einmal Geld bei dubiosen Geschäften verloren hatte. Jahrelang hatte sie die Zeche gezahlt und geschwiegen. Das war nun ein für alle Mal vorbei. Sie suchte das Vergessen, Neubeginn, Anerkennung und Erfolg. Eine Anerkennung, die ihr bisher versagt geblieben war. Sie suchte die Nähe zu einflussreichen Männern, die sie für ihre Zwecke nutzen würde.

Dafür schien Graf Ebersbach genau der richtige Mann zu sein. Aber sie wollte nicht mehr von ihm herumgestoßen und gegängelt werden, wollte nicht nur die elegante Begrüßungsdame des Grafen sein, wollte ihren Einsatz selbst bestimmen. Und für den großen Geschäftserfolg brauchte sie einen Partner: Guido Konselmann. Das war der Mann, der ihr helfen konnte, der das fehlende Wissen über betriebliche Details ergänzen konnte. Wenn sie ihm half, würde er ihr helfen, ein fairer Deal; davon war sie überzeugt. Ein Bündnis auf Gegenseitigkeit. Doch so einfach schien die Rechnung nicht aufzugehen. Sie hatte etwas Wichtiges übersehen.

Neue Kontakte

Nach dem Essen trafen sich die Damen und Herren in der Veranda, zu einem Glas Cognac oder Champagner. Einige Herren rauchten Zigarren vorzüglich aus Kuba. In kleinen Gruppen standen sie in lockerem Gespräch beisammen. Seltene Perserteppiche aus reiner Seide bedeckten den Boden. Indirektes Licht erhellte den Raum. Die Bilder, überwiegend ländliche Szenen am Ufer eines Flusses mit Ruinen im Hintergrund auf bewaldeten Höhen. Konselmann gesellte sich zu Dr. Pauli, seiner Frau, Wolfgang Sämann, seiner Schwester Ingrid und seiner Tochter Julia. Er wurde von Herrn Pauli freudig begrüßt: Herr Konselmann, es freut mich, dass wir uns hier in diesem Kreise wiedersehen. Wir haben lange nichts mehr voneinander gehört.

- Ich war zu beschäftigt, aber ich wüsste gern, wie es Ihnen und Ihrer Firma in der Zwischenzeit ergangen ist, seit wir uns nicht mehr gesehen haben.

- Danke, wir sind zufrieden. Ihr persönliches Engagement hat uns damals aus der Klemme geholfen. Wir haben die Arbeiten in Ihrem Sinn fortgeführt. Dabei hat uns meine Frau geholfen, die Ihnen mit Sicherheit noch in guter Erinnerung geblieben ist. Lächelnd legte er seine Hand auf ihren Arm.

- Ja. Sicher, beeilte er sich zu sagen. Er wusste stets genau das zu sagen, was der Hörer von ihm erwartete: Sie waren damals unsere Stütze und hießen Angelika Röttgen, wenn ich mich recht entsinne. Ohne Sie hätten wir keine Präsentation rechtzeitig fertiggestellt. Wir standen immer unter extremen Zeitdruck.

- Sie lächelte: Sie erinnern sich sogar noch an meinen damaligen Mädchennamen. Respekt! Erinnern Sie sich auch noch, dass wir damals eine Marktstudie gemacht haben?

- Der Diener trat hinzu: Möchten Sie noch etwas trinken? Champagner, Cognac oder Espresso?

Konselmann wählte Espresso und nahm den Gesprächsfaden wieder auf: Ich erinnere mich genau, wie wenn es gestern gewesen wäre. Wir fuhren von einem Kunden zum anderen. Wir waren viele Tage unterwegs gewesen und hatten fast hundert Gespräche mit den Leitern des Einkaufs und des Verkaufs geführt. Wir wollten wissen, welche Farben, welche Stoffe und welches Design in der nächsten Saison besonders gefragt sein würden.

- Frau Pauli legte ihre Stirn in Falten: Wir erhielten so viele Meinungen, wie wir Kunden sprachen. Und dennoch waren die Gespräche für uns sehr hilfreich. Es waren nicht nur die Ergebnisse der Befragung, die uns halfen, die richtigen Entscheidungen zu fällen. Es war etwas Anderes: Wir hatten unseren Kunden gezeigt, dass wir uns für sie interessierten, dass sie für uns wichtig waren und dass wir ihre Meinung ernst nahmen.

- Konselmann strich sich nachdenklich über sein Haar. Sein Gesichtsausdruck war entspannt und flößte Vertrauen ein: Zunächst war die Situation für uns schwierig. Wir waren wegen der Vielzahl der divergierenden Meinungen, die wir gehört hatten, etwas ratlos und wussten nicht, was wir machen sollten. Da half uns das Glück: Wir hatten unsere Kunden unter anderem nach der Zukunft von Jeans gefragt. Die ziemlich einhellige Meinung war: Jeans ist out!

- Frau Pauli sagte: Wenn wir damals dieser Meinung gefolgt wären, dann hätte es das Aus für unsere Firma bedeutet, denn wir hatten noch große Bestände an Jeans-Stoffen auf Lager. Was sollten wir tun?

- Wir setzten alles auf eine Karte und brachten eine neue Jeans-Kollektion heraus, sagte Konselmann und fasste Herrn Sämann ins Auge. War er an dieser Begebenheit interessiert oder langweilte er sich? Letztlich ging es um ihn: Ihn wollte er beeindrucken und auch seine Schwester, vielleicht sogar Julia. Im Übrigen handelte es sich um etwas längst Vergangenes.

- Das war unser Glück, setzte Herr Pauli den Bericht fort. Und an seine Frau gewandt fügte er mit einem feinen Lächeln hinzu: Dann hätte ich auch nicht das Glück gehabt, dich zur Frau nehmen zu können. Sie quittierte die freundliche Bemerkung, mit einem vielsagenden Lächeln.

Konselmann legte seine Stirn in Falten: Aber die Kollektion war nicht das zentrale Problem: Ihr Vetter hatte damals die Verantwortung für die Firma, und er war – wenn ich das so sagen darf – nicht eben sehr entscheidungsfreudig. Er scheute das Risiko und vertraute nur seinen Statistiken. Er benutzte ein Rechenprogramm, in das er die aktuellen Verkäufe eintrug und sie dann auf das Saisonende hochrechnete. Das führte dazu, dass wir mit allen Dispositionen immer hinten in der Warteschlange rangierten. Wir bestellten die Stoffe zu spät, so dass die Webereien schon ausgebucht waren, wir orderten die Zwischenmeister zu spät, so dass auch sie schon ihre Kapazitäten verplant hatten, wir bestellten die Spediteure zu spät, so dass die Waren schließlich zu unseren Kunden gelangten, wenn die Saison schon gelaufen war. Das war das Kernproblem.

- Herr Pauli griff ein und wandte sich direkt an den Berater: Ich war nach langer Krankheit gerade von einem Kuraufenthalt zurückgekehrt und wollte mich wieder in das Tagesgeschäft einarbeiten. Ich erinnere mich noch genau an diese Situation. Ich hatte Sie um Ihren Bericht in mein Büro gebeten. Ich fragte Sie, was Sie an meiner Stelle tun würden. Sie antworteten ganz frei: An Ihrer Stelle würde ich mir die Verantwortung für Ihre Firma übertragen.

- Herr Pauli lächelte: Und das habe ich tatsächlich getan. Es bedeutete für mich ein großes Risiko, aber so wie es bisher gelaufen war, konnte es nicht weitergehen. Ich war dabei, meine Firma zu verlieren. Sie waren für mich die einzige Rettungschance.

- Konselmann rückte sich seine Fliege zurecht:: Ich habe Sie damals für Ihre Entscheidung aufrichtig bewundert. Schließlich hatte ich von dem Geschäft der Modebranche nur wenig Ahnung. Aber ich dachte mir, wenn Frau Röttgen mir hilft, dann werden wir es gemeinsam schaffen.

- Ingrid Sämann griff in das Gespräch ein: Ich wüsste gern, was Sie damals gemacht haben, als sie so unerwartet die Verantwortung hatten, wenn die Frage nicht zu indiskret ist. Sie konnten sich auf Ihre neue Aufgabe nicht vorbereiten. Und dabei blickte sie Herrn Pauli fragend in die Augen, als wolle sie sich für ihre Neugier entschuldigen.

Herr Pauli hatte sie verstanden und lächelte: Herr Konselmann, Sie können ruhig erzählen, was damals geschah. Sie werden ja keine unpassenden Details nennen.

- Konselmann war froh über die Chance, die sich ihm unerwartet bot, sich ins rechte Licht zu stellen und atmete tief durch: Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Doktor Pauli, will ich das gern tun, denn es war eine schöne und erfolgreiche Zeit für mich. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich damals noch ein ganz junger Berater war, und ich war heiß, in die Verantwortung zu kommen.

- Pauli nickte: Sie hatten damals noch kein graues Haar auf dem Kopf. Sie hatten den Vorzug der Jugend. Sie waren noch nicht von dem Ballast der negativen Erfahrungen erdrückt, die wir alle irgendwann einmal in unserem Leben machen mussten.

- Konselmann nahm den Gesprächsfaden wieder auf und blickte dabei Frau Pauli an: Das Wesentliche war, dass wir Vertrauen zu unserer eigenen Meinung bekamen. Mit der Entscheidung, dass wir eine neue Kollektion von Jeans Hosen, Jacken und Röcken erstellten, lösten wir uns von dem etwas verstaubten Image des Herstellers hochwertiger Damenkostüme. Wir stellten junge Modedesignerinnen ein, erstellten eine ganz neue Kollektion jugendlicher Mode, mit halblangen Mänteln, Röcken und Hosen. Und wir orderten frühzeitig die Waren, verhandelten mit den Zwischenmeistern in Griechenland und in der Türkei, und wir bestellten umgehend die Spediteure. Wir bauten ein neues Lager, kauften ein paar Lastwagen und brachten unsere Datenverarbeitung auf den neuesten Stand. Wir nutzten das Internet zum Datenaustausch mit unseren Lieferanten und Kunden. Es tat sich für uns ein neues Zeitalter der elektronischen Kommunikation auf. Wir mussten auch unsere Geschäftspartner von unseren Ideen überzeugen.

- Ingrid ergänzte: Nebenbei haben Sie auch auf Berufskleidung umgestellt. Denn wir beziehen seit einigen Jahren unsere gesamte Kleidung für Ärzte, Schwestern und Helferinnen aus Ihrem Haus.

- Frau Pauli bestätigte: Das war dann später, als Herr Konselmann unser Unternehmen schon verlassen hatte. Zunächst mussten wir erst einmal wieder Geld verdienen. Schließlich hatten wir umfangreiche Investitionen getätigt. Wir besannen uns auf unsere Stärken und hatten eine erfolgreiche Saison. Wir starteten mit vollen Auftragsbüchern und waren zu jeder Zeit lieferbereit. Das war nicht zuletzt Ihr Verdienst gewesen.

- Konselmann nippte an seinem Glas: Ich darf sagen, dass ich damals manche schlaflose Nacht gehabt habe. Denn ich handelte als Berater ohne schriftliche Vollmacht. Wenn die Sache schief gegangen wäre, und wir Verluste gemacht hätten, dann weiß ich nicht, was passiert wäre. Im schlimmsten Fall, wäre mein Beratungsunternehmen in die Haftung genommen worden.

Dr. Pauli griff in die Unterhaltung ein: Dazu ist es Gott sei Dank nicht gekommen. Letztlich trug ich das Risiko. Ich hatte Vertrauen zu Ihnen gefasst und mich entschlossen, Ihnen die Verantwortung für die Firma zu übertragen, obwohl ich wusste, dass Sie kein Fachmann waren. Sie hatten eine positive Ausstrahlung, und konnten unsere Mitarbeiter motivieren. Das hat uns geholfen, den Turn-around zu schaffen.

- Der Berater fühlte sich geschmeichelt. Die Zeit seiner damals noch am Anfang stehende Karriere stand in klaren Bildern vor seinem Auge, obwohl inzwischen schon mehr als zehn Jahre vergangen waren: Es war für mich eine positive Erfahrung. Ich hatte bis dahin immer als Einzelkämpfer gearbeitet, aber ich erkannte, dass ich meine Aufgaben besser schaffen konnte, wenn ich im Team mit anderen Menschen zusammenarbeitete.

Julia griff den Gesprächsfaden auf: In der Forschung und Entwicklung kann man nur als Team erfolgreich sein. Die Zeit der einsamen Erfinder ist schon lange vorbei. Ich möchte nur im Team arbeiten. Die Zusammenarbeit mit Menschen ist mir sehr wichtig.

- Isabelle gesellte sich zu der Gruppe: In so ernsten Gesprächen? Dies soll doch ein Tag zur Entspannung und zur Erholung sein. Sie tun gerade so, als sei dies ein normaler Arbeitstag.