Das Erbe der Gutsherrin - Fabia Waldner - E-Book
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Das Erbe der Gutsherrin E-Book

Fabia Waldner

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Beschreibung

Der Pferdehof an der Müritz.

Müritz, 2000: Anja und Hartwig von Bernow ist es gelungen, die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben. Nun leitet Anja die Geschicke des Pferdehofs, unterstützt von ihrer Tochter Sabrina und Paul Wagenseil, Helmas Enkel. Bald kommen sich Sabrina und Paul näher, und endlich steht wieder eine Hochzeit auf dem Gut an. Doch dann erhält Paul eine Nachricht, die all seine Zukunftspläne zerstört. Er trennt sich von der fassungslosen Sabrina. Auch der Besuch von Sabrinas Bruder Jan und seinem Freund Marvin wirft Fragen auf. Was hat Jan vor, und sind Marvins Gefühle für Sabrina echt? Als ein amerikanischer Großinvestor das Gutsdorf niederreißen will und sich alle gegen Anja und Hartwig stellen, scheint das Erbe der Bernows für immer verloren ...

Das Finale der deutsch-deutschen Familiensaga – mitreißend und dramatisch.

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Über das Buch

Der Pferdehof an der Müritz.

Müritz, 2000: Anja und Hartwig von Bernow ist es gelungen, die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben. Nun leitet Anja die Geschicke des Pferdehofs, unterstützt von ihrer Tochter Sabrina und Paul Wagenseil, Helmas Enkel. Bald kommen sich Sabrina und Paul näher, und endlich steht wieder eine Hochzeit auf dem Gut an. Doch dann erhält Paul eine Nachricht, die all seine Zukunftspläne zerstört. Er trennt sich von der fassungslosen Sabrina. Auch der Besuch von Sabrinas Bruder Jan und seinem Freund Marvin wirft Fragen auf. Was hat Jan vor, und sind Marvins Gefühle für Sabrina echt? Als ein amerikanischer Großinvestor das Gutsdorf niederreißen will und sich alle gegen Anja und Hartwig stellen, scheint das Erbe der Bernows für immer verloren …

Das Finale der deutsch-deutschen Familiensaga – mitreißend und dramatisch.

Über Fabia Waldner

Fabia Waldner steht für den deutschen Autor Michael Schulz. 1959 im rheinischen Bonn geboren, brennt er bereits früh für Literatur, Philosophie und Musik. Zunächst entscheidet er sich für die Musik. Nach einem Studium am »Mozarteum« in Salzburg führt ihn sein Weg in die Welt der Oper. Doch dann entdeckt er das Schreiben für sich. Heute lebt und schreibt der Autor im Harz bei Goslar.

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Fabia Waldner

Das Erbe der Gutsherrin

Für Anna

Für die Opfer von Krieg und Zerstörung in der Ukraine

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Der Buchenhain

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Die Besucher

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Ein Meteorit schlägt ein

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Was wir haben

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Impressum

Der Buchenhain

Kapitel 1

Groß Bernow, September 2000

Paul hatte Balu an einen der Baumstämme am Wegesrand gebunden und sich gleich daneben auf die Holzbank gesetzt. Wenn er dem muskelbepackten Koloss in die friedlichen Augen sah, waren sie sich einig darüber, dass es auf dem Gut gerade kaum auszuhalten war. Haus und Hof quollen über von Gästen, und alle wollten etwas von ihm. Hier, wo die Herbstsonne durch die Blätter flimmerte und die Vögel ihren Schwatz hielten, ließ sich ungestört entspannen. Paul dachte daran, wie die Aussichten noch vor knapp zwei Jahren gewesen waren. Anja hatte sich gefragt, ob die Pferdepension jemals den Betrieb aufnehmen könnte. Dann startete Sabrina die Internetwerbung und hatte so großen Erfolg, dass sie bereits in ihrer ersten Hauptsaison ausgebucht waren. Auch die Ferienhäuser in der Kastanienallee fanden reißenden Absatz, und Paul war stolz darauf, bei der Sanierung selbst angepackt zu haben. Das hatte sich ausgezahlt. Laut Hartwigs Einschätzung waren sie jetzt geschäftlich auf einem guten Weg, und nach wie vor steckte er voller Pläne, auch wenn er nach dem Anschlag von damals immer noch nicht ganz gesund war.

Kürzlich hatte er einen Kremserwagen angeschafft, um die Gäste darin zu kutschieren und ihnen die Landschaft rund um das Gut zu zeigen, aber auch, damit Balu und Gretel eine feste Aufgabe hatten. Die beiden Dicken sollten sich ihr Futter verdienen, war Hartwigs Vorstellung gewesen. Aber an wem war es wieder hängen geblieben? An ihm natürlich, dachte Paul, wo er doch bereits im Pferdestall genug zu tun hatte. Wenigstens wollte Hartwig die Organisation der Fahrten übernehmen. Ihm war es ja auch zu verdanken, dass die Mecklenburger Kaltblüter nach der Auktion in Groß Bernow gelandet waren. Anja hatte nicht schlecht gestaunt, als die beiden Kraftpakete plötzlich auf dem Hof standen und sie aus ihren treuen Augen anblickten. »Ach du liebe Güte«, war alles, was sie herausbrachte. »Ich konnte nicht anders«, hatte Hartwig mit einem Achselzucken erwidert. »Niemand wollte sie, und da blieb mir nichts anderes übrig, als ein Gebot zu machen.«

Ein Datum stand jedenfalls fest, an dem die Prachtexemplare ganz bestimmt zum Einsatz kommen und gewiss mehr als eine Fuhre mit Gästen ausfahren würden. Paul klopfte Balu auf den Hals. Den braunen Wallach, der fast acht Zentner auf die Waage brachte, und Paul verknüpfte von Anfang an ein unsichtbares Band. Vor allem waren sie sich im Stillen einig, dass man von Zeit zu Zeit dem Trubel auf dem Pferdehof entfliehen musste, um Mensch und Pferd zu bleiben. Also hatte er sich heute nach der Arbeit im Stall bei Anja für zwei Stunden am Nachmittag abgemeldet, um im Hain eine geschützte Stelle zu finden, die sich als Picknick- und Grillplatz eignete. Dort wollte er später einen regendichten Unterstand bauen und zwei lange Sitzbänke aus Buchenholz aufstellen. Den passenden Baum, der dafür fallen sollte, würde er bei der Gelegenheit auch gleich aussuchen.

Eine Idee von Hartwig. Mit der friedvollen Idylle wäre es dann allerdings vorbei. Aber Hartwig hatte schon recht. Man durfte nicht zu romantisch sein, sonst verhungerte man.

Die alte morsche Bank, auf der er saß, stand an einem besonderen Platz, das wusste Paul. Seine Großmutter hatte ihm erzählt, dass es mit dem Buchenhain seine Bewandtnis hatte. Es war ein sehr privater Ort. Seit der Gutshof existierte, gab es die Tradition, dass die Gutsherren, die auf Groß Bernow heirateten, ihre Namen in die Rinde eines der alten Baumriesen ritzten. Auch Hartwigs Vater und seine Frau hatten einst ihre Namen an einem dieser Stämme verewigt. Wenn es nach Paul ginge, sollte der Hain ein unberührtes Denkmal der Liebe bleiben, das der Bernows und das der Wagenseils. Er konnte es kaum erwarten: In wenigen Wochen würde er Sabrinas und seinen Namen in eine der Baumrinden ritzen – In ewiger Liebe Sabrina und Paul.

*

»Wo Paul nur steckt?«, fragte Sabrina, während sie das Besteck auf dem Vierertisch am Fenster zurechtrückte. Hier saß die Dortmunder Familie, die erst vor zwei Tagen angekommen war. Ihre beiden Jungs konnten nicht eine Minute still sitzen. Aber das legte sich erfahrungsgemäß. Das stundenlange Reiten und die frische Landluft würden bald Wirkung zeigen. Dann fielen sie abends geschafft ins Bett und schliefen wie ein Stein. »Hat es nicht angefangen zu regnen?«

»Du bist eine richtige Glucke geworden«, erwiderte Anja und lachte. Im gleichen Augenblick hörten sie durch das geöffnete Fenster Balus schweren Huftritt auf dem Pflaster.

Sabrina hielt inne. Stimmte es, was Anja behauptete, war sie das wirklich? Sabrina von Bernow, die noch vor einem Jahr jeden für verrückt erklärt hätte, der ihr prophezeite, dass sie bald heiraten und eine Familie gründen würde – trautes Heim, Glück allein …

»Entschuldige«, sagte ihre Mutter und berührte sie an der Schulter, »war nicht so gemeint. Aber gib zu, dass du dich unglaublich verändert hast.«

»Ist man schon eine Glucke, wenn man sich Sorgen um den Mann macht, den man liebt?«

Es klang kitschig und sie spürte, wie sie errötete, aber genau so war es: Sie machte sich Sorgen, wenn Paul nicht da war. Seit sie ihn kannte, hatte sie völlig neue Gefühle an sich entdeckt, und jetzt, wo sie heiraten wollten, beschlich sie immer öfter eine unerklärliche Angst. Vielleicht hörte die ganz von selbst auf, wenn sie es hinter sich gebracht hätten.

»Nein, natürlich nicht«, beschwichtigte Anja. »Ich kann dich gut verstehen. Mir ging es nicht anders. Ich war damals so in Hartwig verliebt, dass ich unbedingt wissen wollte, was er den ganzen Tag machte, wenn ich nicht dabei war. Beinahe hätten wir richtig Streit deswegen bekommen. Das Klammern hab ich mir dann ganz schnell abgewöhnt. Ach, bitte vergiss nicht, die Weingläser einzudecken. Ich schaue kurz in der Küche vorbei. Es gibt heute Kartoffeleintopf mit Pfifferlingen und frisches Bauernbrot. Helma übertrifft sich mal wieder selbst. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, schließlich hat sie ein schwaches Herz und sollte sich schonen. Aber sie will es ja nicht anders.«

Wie gut, dass sich Sabrina mit ihrer Mutter so großartig verstand. Im Gegensatz zu Anja in jungen Jahren hatte sie ihr Studium allerdings nicht ganz ad acta gelegt, auch wenn die Zeit nach dem Anschlag auf das Gutshaus für sie ein Wendepunkt gewesen war. Sie hatte frei und selbstbewusst entschieden, an dem Ort zu bleiben, wo sie gebraucht wurde.

Der Zufall wollte es, dass sie Paul getroffen hatte und sie beide den gleichen Auftrag fühlten. Während der Arbeit auf dem Gut waren sie sich nähergekommen und hatten gespürt, dass sie sich aufeinander verlassen konnten. Für eine Ehe gab es kaum bessere Voraussetzungen, fand Sabrina. Ja, sie liebte diesen Mann, der manchmal eigenwillig und verschlossen reagierte, und sie freute sich auf Kinder mit ihm. Kinder, die in sauberer Natur und in einer intakten Großfamilie aufwachsen würden. Was gab es Schöneres? Ihr Interesse an Kunstgeschichte musste sie deshalb nicht aufgeben. Immerhin gab es das Internet und die guten alten Bücher, wenn sie Sehnsucht danach hatte.

Der letzte Tisch für das Abendessen war eingedeckt, Sabrina schickte noch einen prüfenden Blick durch den Saal. Aus der Küche stieg ihr der Duft von gebratenen Pfifferlingen in die Nase. Gleich würden die ersten Gäste erscheinen, müde und glücklich nach einem warmen Sonnentag im Spätsommer, den sie auf dem Rücken ihrer geliebten Vierbeiner verbracht hatten.

Sabrina erinnerte sich an den Schock, als sie ein paar Tage nach dem Anschlag auf das Gut gemeinsam mit ihrer Mutter den großen Salon betreten hatte. Überall hatten sie Zerstörung und an den Wänden diese unsagbaren Schmierereien vorgefunden. Jetzt war der Raum mit Holztischen und Stühlen im skandinavischen Stil eingerichtet und strahlte ländlichen Charme aus. An den Wänden hingen Fotos vom Gut und dem Gutsdorf aus früheren Tagen und eine Bilderserie von den jüngsten Renovierungsarbeiten. Es war Sabrinas Idee gewesen, die Originale aus alten Zeiten, die Bürgermeister Junghans im Stadtarchiv von Neustrelitz aufgestöbert hatte, als Vergrößerungen zu reproduzieren und für die Gäste eine kleine Zeitreise stattfinden zu lassen. Mit vollem Erfolg.

Drei Generationen Frauen arbeiteten jetzt hier. Helma, Anja und sie, und sie verstanden sich ohne viele Worte. Vielleicht lief es so reibungslos, weil sie alle nur zu gut wussten, wohin Streit führen konnte, die Vergangenheit hatte es gezeigt. Jeder kümmerte sich um seinen Bereich, der sich ganz natürlich ergeben hatte. Helma war die unbestrittene Königin der Küche, Anja die Herrscherin über die Zahlen und sie selbst half im Service und kümmerte sich vor allem um die Werbung. Hartwig erledigte Einkäufe und all das, wofür Anja die Zeit fehlte. Manchmal fragte sich Sabrina, ob sich ein Mann damit ausgefüllt fühlen konnte, der vor nicht allzu langer Zeit Manager eines internationalen Konzerns gewesen war. Aber anscheinend gab sich ihr Vater damit zufrieden, akzeptierte, dass Anja jetzt die Chefin war. Vielleicht lag es auch daran, dass er noch nicht ganz gesund war, es vielleicht nie werden würde. Auch wenn er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, konnte er an manchen Tagen kaum verbergen, dass es ihm nicht gut ging.

Paul hatte sich zum Fachmann für Pferde gemausert, konnte nicht genug über sie wissen. Er verschlang alles Lesbare, sogar Bücher über Anatomie und Krankheiten. Dem Tierarzt hatte er damit mächtig imponiert. Auch über die Zucht wusste er bereits eine Menge und fachsimpelte mit Hartwig darüber. Die beiden Dicken gingen allerdings allein auf Hartwigs Kappe, worüber Anja nicht gerade begeistert war. Die Kaltblüter würden ihnen die Haare vom Kopf fressen, beschwerte sich ihre Mutter, und jetzt auch noch die Kosten für die Anschaffung des Wagens. Immerhin gab es die Anerkennung der hiesigen Gutsbesitzer, dass sich die Familie für heimische Pferderassen einsetzte.

Die anfallenden Hausarbeiten erledigten sie gemeinsam, nur bei der Pflege der zwanzig Gästezimmer half ihnen Toni, eine Frau aus dem Dorf. In der Küche zauberte allein Helma. Frühstück gab es ab sieben, manchmal auch um sechs, wenn ein Ganztagsausflug zu den Seeadler- oder Hirschgründen anstand. Einen Mittagstisch boten sie nicht regelmäßig an, waren die meisten Gäste doch tagsüber unterwegs. Abends war der Saal dann bis zehn Uhr geöffnet, und wer wollte, konnte sich einen Eintopf oder eine kalte Platte bestellen, wovon reichlich Gebrauch gemacht wurde. Manchmal setzte sich Hartwig zu den Gästen und trank ein Glas Rotwein mit ihnen.

Nur noch ein paar Wochen bis zu ihrem großen Tag. Sabrina hatte bereits alles geplant. In der Mitte würden sie eine lange Tafel aufbauen und mit Gerbera, ihren Lieblingsblumen, in den schönsten Farben schmücken. Auf einem der historischen Bilder an den Wänden war ihre Großmutter Margot zu sehen, wie sie ihre Hochzeitskutsche bestieg. Sie musste sich großartig gefühlt haben. Alles hatte so hoffnungsvoll für sie begonnen … Plötzlich überkam Sabrina wieder diese Angst.

*

Als Anja die Küche betrat, saß Helma über den Küchentisch gebeugt und schrieb eifrig Notizen an den Rand des alten Kochbuchs. »Es gibt immer etwas, das man noch verbessern kann, um den Geschmack abzurunden«, murmelte sie. »Weniger Salz, eine Messerspitze Majoran dazu … Über Generationen kann ein Kochbuch zum wahren Schatz werden. Aber man muss alles aufschreiben.«

Es würde einmal Helmas Testament werden, dachte Anja. Wie diese alte Frau bemüht war, ihr Bestes für alle hier im Haus zu geben, berührte sie. Natürlich tat sie es vor allem für ihren Enkel Paul. Helma war sich bewusst, dass alles, was sie ihm eines Tages mitgeben konnte, ihre Tugenden waren: die Disziplin, der Fleiß, die Unermüdlichkeit. Wenn sie so etwas wie Ehrgeiz antrieb, dann war es sicher dem Wunsch zuzuschreiben, als gute Köchin in die Annalen der Gutsgeschichte einzugehen. Und offenbar sollte auch sie, die Gutsherrin, sich immer daran erinnern, dass die Wagenseils nicht mit leeren Händen in diese Familie gekommen waren.

Alle in diesem Haus beschäftigte in diesen Tagen nur ein Gedanke: Sabrina und Paul würden heiraten. Das Schönste war, weder sie noch Hartwig hatten etwas bemerkt, bevor die beiden mit ihrem Plan herausrückten. Dass sie sich mochten, war nicht zu übersehen gewesen, aber dass es über einen Flirt hinausgehen würde, damit hatte keiner gerechnet. Anja konnte es immer noch nicht glauben. Sabrina, die Unterkühlte und Emanzipierte, die scheinbar von Männern nichts wissen wollte. Offenbar hatte sie ihre Tochter falsch eingeschätzt.

Dennoch war die Eröffnung für Anja wie ein Schock gewesen. Von heute auf morgen wollte Sabrina einen Mann vom Land heiraten, der nicht studiert hatte und mit einem Job als Stallmeister zufrieden war? Anja hielt große Stücke auf Paul, schließlich hatte er selbstlos geholfen, das zerstörte Gutshaus wiederaufzubauen. Er sah gut aus, konnte anpacken, hatte einen klaren Verstand. Aber an dem Punkt, wo er ihr Schwiegersohn werden sollte, musste man genauer hinschauen, oder nicht? War es Borniertheit, dass sie als Erstes diese Gedanken hatte, oder war es die Sorge, ihre Tochter könnte einen Fehler machen, den sie nach kurzer Zeit bereuen würde?

Anja schüttelte ihre Gedanken ab und trat an Helma heran, die immer noch ganz vertieft in das Kochbuch war. »Solange es Kartoffelsuppe gibt, wird dein Rezept die Krönung bleiben, Helma, da bin ich mir sicher«, erwiderte Anja und streichelte anerkennend ihre Schulter. Helma blickte von ihren Notizen auf. Offenbar ahnte sie, woran sie gerade dachte.

»Ich mache mir auch Sorgen, Anja. Die beiden sind sehr verschieden. Als Paul mich gefragt hat, was ich von einer Heirat halte, war ich zuerst erschrocken. Aber in Herzensangelegenheiten geht jeder seinen eigenen Weg. Eine Erfahrung teilen die beiden jedenfalls: Sie haben in jungen Jahren gelernt, wohin blanker Hass führt und dass man die Folgen nur überwinden kann, wenn man zusammenhält.«

»Und ich habe gelernt«, erwiderte Anja, während sie sich mit der Hand eine Träne aus den Augen wischte, »dass man euch Leute vom Land nicht unterschätzen darf.«

Ein Lächeln huschte über Helmas Gesicht. »Genug geschwätzt! Die Gäste warten. Hilfst du mir beim Portionieren?«

In dem Augenblick stand Hartwig in der Tür. Genüsslich sog er den Duft ein, den die Töpfe verströmten. »Hm, wunderbar. In der nächsten Gastro-Zeitung werde ich bekannt geben, dass auf Groß Bernow eine magische Köchin darauf wartet, entdeckt zu werden.«

*

»Bitte setz dich, aber zuerst sind die Gäste an der Reihe«, dirigierte ihn Anja an den langen Küchentisch. »Wie die gnädige Frau wünschen«, erwiderte Hartwig. Er überließ den beiden Frauen gerne das Feld. Es fühlte sich gut an, die Verantwortung nicht mehr allein auf den Schultern tragen zu müssen. Neuerdings hatte er Anja sogar die Bank-Angelegenheiten anvertraut, und es lief besser als vorher, sie hörte jetzt viel mehr auf seinen Rat. Allerdings fehlte Hartwig manchmal das, was früher seine Stellung in der Familie ausgemacht hatte. Seine Autorität war während der schier endlosen Zeit der Genesung allmählich geschwunden. Alle hatten ihm in der schweren Zeit geholfen, aber es traute ihm eben auch keiner mehr etwas zu. Alle stöhnten jetzt nur, wenn er ihnen eine neue Idee vorstellte.

Die Einzigen, die ihn voll und ganz respektierten, waren Paul und die Hunde. Aber Paul war nicht Jan, sein Sohn. Jan war intellektuell, vielseitig interessiert, karrierebewusst, während Pauls Horizont eher auf das Gut und die Pferdezucht beschränkt blieb.

Doch Paul war da, und er hatte geholfen, das Haus nach dem Anschlag so weit herzurichten, dass sie den Betrieb wieder aufnehmen konnten. Ohne Bezahlung hatte er geschuftet, obwohl er mit der Zerstörung nichts zu tun hatte. Dieser Mann taugte etwas und stand zu Familie, Haus und Hof. Er würde Sabrina Halt geben, davon war Hartwig überzeugt, und was sollte sich der Vater einer Tochter mehr von seinem Schwiegersohn wünschen? Alles Weitere sollten sie gefälligst untereinander ausmachen. Hartwig musste schmunzeln, als er sich an Pauls unerwarteten Auftritt erinnerte.

»Ich habe etwas mit dir zu besprechen.« Sein Gesicht war bleich vor Aufregung gewesen, als er im Büro erschienen war. Es konnte nur etwas wirklich Wichtiges sein.

»Was ist passiert?«

»Noch ist nichts passiert«, antwortete Paul trocken.

»Also heraus mit der Sprache!«

»Ich habe … besser gesagt, wir haben etwas vor.«

»Aha, wenn du mir jetzt noch sagst, wer wir ist und was ihr vorhabt, dann kann ich dir gern meine Meinung dazu sagen.«

In Pauls Gesicht tobten sichtbar Kämpfe, dann kam er endlich mit der Sprache heraus: »Sabrina und ich wollen heiraten.«

Jetzt war er es gewesen, der nach Luft schnappte. Ihm war nicht verborgen geblieben, dass die beiden öfter zusammen ausgeritten waren, Sabrina hatte Paul auch häufiger im Stall und bei der Pferdepflege geholfen. Sie waren etwa im gleichen Alter, warum sollten sie sich nicht gut miteinander verstehen? Aber man musste doch nicht sofort heiraten.

Paul hatte ihn erwartungsvoll angesehen. Hartwig wollte etwas darauf sagen, aber dann war es gar nicht so einfach gewesen, passende Worte zu finden. Sie lebten in einem neuen Jahrtausend. Hier in diesem fortschrittlichen Deutschland dachte man angeblich längst nicht mehr in rückständigen Kategorien wie Stand, Geld und Ansehen. Doch in diesem Moment hatte sich Hartwig die Frage gestellt, wie ein junger Mann aus der Arbeiterklasse, der kaum Schulbildung hatte und nichts besaß außer seiner Arbeitskraft, auf die Idee kommen konnte, seinen Augenstern, seine Tochter, zu ehelichen und mit nichts in einen Gutsbesitz einzuheiraten. Gleichzeitig war er erstaunt gewesen, aber nicht über den Antrag des jungen Mannes, sondern über sich selbst. Er hatte Paul schätzen gelernt und er traute ihm zu, Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht noch nicht jetzt, aber eines Tages würde die Zeit dafür reif sein. Noch dazu hatte Paul Vertrauen zu ihm. Er hatte sich an ihn gewandt und wollte die Familie im Boot haben. Er hatte alles richtig gemacht.

Jetzt saß er Helma, Pauls Großmutter, am Küchentisch gegenüber, einer kampferprobten alten Frau, die auf ihre Rechte pochte und sich nichts schenken ließ. Das hatte sie ihm und seinen Anwälten damals eindrucksvoll bewiesen, dachte Hartwig. Wenn Paul nur halb so viel Charakter bewies, dann war er der Richtige für seine Tochter.

*

Wenn sie den Gutsherrn auf der Küchenbank sitzen sah, einen Mitfünfziger, der beinahe so viele graue Haare auf dem Kopf hatte wie sie, eine Frau von über siebzig, dann tat er Helma fast leid. Aber damit war Hartwig, der ihr das Du angeboten hatte, nicht geholfen. Niemand konnte die Vergangenheit ändern, auch wenn das oft wehtat. Dass sie sich dennoch alle zusammengerauft hatten, war beachtlich. Nie hätte Helma gedacht, dass sie wie einst ihre Großmutter in der Gutsküche stehen, für die gesamte Belegschaft und noch dazu für Gäste kochen würde. Auch wenn sie ihr Haus an der Kastanienallee vermisste, war es das Gefühl von spätem Glück, das sie jetzt erleben durfte. Dafür war sie ihrem Paul und dem Himmel dankbar. Denn ihre Sturheit hatte Schaden angerichtet, und fast jeden Abend vor dem Zubettgehen machte sie sich Vorwürfe, dass sie Pedro und seine Komplizen zu diesem schändlichen Anschlag noch angestachelt hatte.

Seit über einem Jahr war die Tränke geschlossen. Pedro, der ehemalige Wirt, der mit einer Bewährungsstrafe davongekommen war, hatte Groß Bernow den Rücken gekehrt, um in Rostock neu anzufangen. Sie konnte ihm nur wünschen, dass er es nicht wieder vermasselte. Nur einmal im Monat, jeden letzten Freitagabend, schloss Bürgermeister Junghans den ehemaligen Tanzsaal auf, um dort die Gemeindesitzungen abzuhalten.

Helma nahm einen Schöpflöffel und gab dampfende Suppe aus dem Topf in einen Teller. Der Duft der Pfifferlinge war wirklich verführerisch.

»Bin ich denn schon dran?«, fragte Hartwig mit einem ironischen Lächeln, als Helma ihm einen Teller Suppe und den Brotkorb vorsetzte. Anja und Sabrina hatten vollauf im Gastraum zu tun. Immerhin waren es diesmal sechzehn vorbestellte Portionen, und wer wusste, was im Laufe des Abends noch hinzukommen würde.

Helma seufzte und ließ sich auf dem Stuhl neben dem Gutsherrn nieder. »Warum nur muss man alt werden?«, fragte sie ihn und sich. »Wenn ich jünger wäre, nur zehn verflixte Jahre, würde ich hier kochen wie damals in der Tränke. Alle kämen zu Helma.«

»Einmal muss Schluss sein, Helma, und du bist uns immer noch eine große Hilfe. Wir können uns kaum vorstellen, dass -« Er zerteilte eine Scheibe Bauernbrot, dann fuhr er fort: »Jedenfalls freue ich mich, dass wir gemeinsam die Hochzeit unserer Kinder und Kindeskinder feiern können. Die Zukunft von Groß Bernow ist gesichert.«

Ja, die Hochzeit. Helma versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber sie fieberte dem Tag entgegen. Sie würde sich noch einmal selbst übertreffen, zusammen mit Anja und Sabrina ein Menü zusammenstellen, das seinesgleichen suchte. Eine klare, aber feine Brühe mit Einlage vorweg, als Hauptgang Wildbraten und Geflügel mit hiesigem Gemüse und als Nachtisch rote Beerengrütze nach altem Rezept. Ein prachtvolles ländliches Festmahl sollte es werden, wie es zu Erntedank passte.

Helma empfand keinen Hass mehr gegen die Bernows, nein, das Kapitel war geschrieben. Die Gespenster der Vergangenheit waren vertrieben. In einem Moment wie diesem verstand sie sich sogar ohne Worte mit dem Gutsherrn. Beide hatten sie den Zustand völliger Leere kennengelernt, das Gefühl der absoluten Ohnmacht und waren an unüberwindbare Grenzen gestoßen. Aber das konnte sie nicht brechen, nie hatte sie die Hoffnung verlassen.

Kapitel 2

Paul hatte im Stall noch einmal nach der kranken Stute gesehen. Rolli und Sam, die beiden Kurzhaar-Jagdhunde, verfolgten mit aufgestellten Ohren seine Schritte. Jedem der beiden gab er noch einen freundlichen Klaps, dann ging er zurück ins Haus.

In der Gaststube saß Hartwig vor einem Glas Rotwein und lächelte ihn müde an. »Alles in Ordnung?«

»Irgendetwas stimmt nicht mit Laika, sie war den ganzen Tag so nervös.«

»Hat sie Fieber? Vielleicht hat sie sich etwas eingetreten.«

»Nein, das ist es nicht, ich habe nachgesehen. Aber die rechte Fessel ist angeschwollen.«

»Morgen kommt der Arzt, frag ihn.«

Paul nickte und setzte sich zu Hartwig an den Tisch in der Gaststube. Sabrina kam aus der Küche und brachte ihm eine Flasche Bier. Auch sie wirkte abgespannt. Es war fast halb elf. Jeder normale Mensch freute sich jetzt auf seine gemütliche Couch.

Sabrina setzte sich auf seinen Schoß und legte ihren rechten Arm um seine Schulter. »Bin gleich fertig, mein Schatz«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Sie küssten sich, und wieder kam es ihm wie ein Wunder vor. Doch Sabrina war kein Traum, sie gehörte zu ihm. Seit ihrer ersten Begegnung am Pferdestall war seine Welt eine andere geworden. Nie hätte er gedacht, dass er in diesem verschlafenen Dorf einer Frau wie Sabrina begegnen würde. Und das zweite Wunder war, dass sie sich auch für ihn interessierte. Von Anfang an hatten sie den richtigen Draht zueinander gefunden. Sie hatte ihn ernst genommen und nicht von oben herab behandelt, wie es von der verwöhnten Tochter eines ehemaligen Managers zu erwarten war. Und studiert hatte sie. Nie würde er bei ihr landen, hatte er geglaubt. Aber es war anders gekommen.

»Hast du in dieser Gegend überhaupt die Chance, eine passende Arbeit zu finden?« Ihre Frage, als sie das erste Mal zusammen um den See spazierten, klang ihm heute noch im Ohr. »Du solltest nach Rostock oder Schwerin gehen oder in eine andere größere Stadt. Dort bieten sich bestimmt mehr Möglichkeiten.« Sie hatte ihn gleich geduzt, ohne groß zu fragen. Offenbar war das im Westen so üblich.

»In Neustrelitz gibt es einen Baumarkt, und sie brauchten jemanden, der Gabelstapler fahren will. Da hab ich mich gemeldet. Natürlich kann man dort keine Karriere machen. Aber ich möchte meine Großmutter nicht allein lassen. Außerdem mache ich mir nichts aus der Stadt.«

Sie hatte ihn mit ihren strahlenden Augen angeschaut und gelächelt. Erst später war ihm bewusst geworden, dass er ihr vielleicht gerade deshalb gefiel, weil er auf dem Boden blieb und nicht so hoch hinaus wollte wie all die anderen.

Von da an hatte ihn Sabrina fast jeden Tag überrascht. Von wegen verwöhntes Töchterlein. Sie ritt wie der Teufel und konnte zupacken. Auf einmal funkte es zwischen ihnen, und dann kam auch noch Glück dazu. Als Anja und er seine Großmutter endlich dazu gebracht hatten, ihr Haus in der Kastanienallee zu verlassen, schliefen Sabrina und er auf dem gleichen Flur, und es gab nur ein Badezimmer …

Wenn er sie im Arm hielt, wusste Paul, dass sie die Frau war, mit der er eine Familie gründen wollte. Auch seine Sabrina hatte so ihre Vorstellungen. »Ich wünsche mir mindestens vier Kinder«, lautete ihre Ansage. Und weil alles seine Ordnung haben musste, hatte sie sich und ihn kürzlich für einen Check bei Dr. Rieder angemeldet.

*

Die Zimmer unter dem Dach des Gutshauses hatten zwar nur kleine Luken als Fenster, aber das reichte, um zu lüften und in den Himmel zu schauen, und es war gemütlich unter den Schrägen, wenn nachts die Sterne hineinschienen. Nur eine Wand quer über den Flur müsse er einziehen, hatte Paul gesagt, und es würde sich eine kleine Dreizimmerwohnung ergeben. Solange sie nur zu zweit waren, genügte das vollkommen als Rückzugsort. Im Augenblick schliefen sie in schmalen Betten und getrennten Zimmern und wollten es so beibehalten. Erst am Morgen der Hochzeit würde Paul sein Bett dann neben ihres stellen, und in der Nacht würden sie ein erstes Kind der Liebe machen.

Es war halb zwölf, sie lagen eng aneinandergepresst in Sabrinas Bett, und Paul hatte seinen Arm um sie gelegt, damit sie nicht von der Matratze rollte. Einen Nachteil hatten die Räume unter dem Dach. Es gab keine Heizung, und nachts wurde es um diese Jahreszeit bereits empfindlich kalt.

»Du frierst ja, Schnuppe«, sagte Paul und zog die Decke höher über ihre Schulter. Aber das hatte Sabrina gar nicht bemerkt, in ihrem Kopf entstanden gerade neue Bilder. »Eines Tages werden wir uns ein Haus bauen, nicht weit vom See, mit viel Wiese drum herum. Und unsere Kinder sollen früh lernen, wie wichtig die Natur für uns Menschen ist. Nur wer das versteht, kann später auch Verantwortung übernehmen.«

Paul schwieg. Dann spürte sie seine Lippen an ihrem Ohr. »Ich liebe meine kleine Sternschnuppe so sehr«, wisperte er. »Nicht nur weil sie so unglaublich schön und sexy ist, sondern auch so wahnsinnig klug.«

Sie musste lachen. Immer brachte er sie zum Lachen, wenn sie so altklug daherredete, bis sie es selbst merkte. Es war schwer, mit Paul Streit zu bekommen, er bestand nie darauf, recht zu haben. Manchmal kam es Sabrina vor, als wisse er bereits, was andere erst lernen mussten. Er war der Mann für ein friedfertiges Leben, verstand die Tiere, verstand die Bäume, vielleicht verstand er deshalb auch die Menschen.

»Oder wir fragen Papa, ob er nicht doch eines der Häuser in der Kastanienallee …«

»Du weißt, dass es nicht geht. Er braucht die Häuser, damit der Umsatz stimmt. Aber jetzt ist es schon spät, mein Schatz, und ich muss früh raus. Schlaf schön.«

Sie küssten sich noch einmal, und Paul rutschte aus dem Bett. Sie sah seinem langen Schatten hinterher, bis die Zimmertür ins Schloss fiel, dann drehte sie sich zur Wand. Wahrscheinlich ging sie Paul mit ihren ständigen Plänen auf die Nerven. Darin war sie ihrem Vater ähnlich. Er steckte immer noch voller Pläne. Doch an manchen Tagen vergaß er, was er tun wollte, ging stundenlang mit Rolli und Sam spazieren und hatte sein Handy ausgeschaltet. Wenn er dann mit den Hunden wieder im Gutshaus erschien, tat er so, als wäre nichts, und brachte Anja auf die Palme. Aber seine Tochter vergaß er nie. »Wohin soll denn die Hochzeitsreise gehen?«, hatte er sie erst vor ein paar Tagen gefragt.

»Wohin ist nicht die Frage, wenn in der Kasse Ebbe ist«, war ihre unverblümte Antwort gewesen.

»Ach, das weißt du noch nicht?«, tat er überrascht. »Für den Fall gibt es doch den Toskana-Fond für frisch Verheiratete.«

Sie war ihrem Papa um den Hals gefallen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie sich mit ihm nicht gut verstanden hatte, genau genommen die ganzen Teenager-Jahre bis zum Abitur. Die Schuld für die ewigen Streitereien zwischen Anja und ihm hatte sie ihm auch zugeschrieben und sich auf die Seite ihrer Mutter geschlagen. Aber als sie Hartwig nach dem Anschlag im Krankenhaus gesehen hatte, hilflos und zerstört, war ihr bewusst geworden, wie sehr sie an ihm hing. Er war ihr Papa und unersetzbar. Auch deshalb hatte sie entschieden, dass ihr Platz in Zukunft an der Seite der Familie sein würde.

*

Anja fuhr aus dem Schlaf. Sie meinte, Geräusche gehört zu haben. War da nicht jemand auf dem Parkplatz? Sie lauschte eine Weile, doch es blieb still. Nichts regte sich. Nur Hartwig neben ihr atmete schwer. Es war nicht das erste Mal, dass sie mitten in der Nacht schweißgebadet aufwachte. Tief in ihr drin saß immer noch das Trauma der Ereignisse von vor zwei Jahren. Manchmal tauchte es wie ein prähistorisches Ungeheuer wieder auf. Wahrscheinlich ging es Hartwig ähnlich, er verhielt sich nur anders. Wenn ihn die Angst packte, ließ er alles stehen und liegen und verschwand mit den Hunden über die Wiesen. Beide hatten sie Narben davongetragen, und er war nicht mehr ihr alter Hartwig, würde es nie mehr sein, obwohl er unglaublich gekämpft hatte und zurückgekommen war. Beide hatten sie es irgendwie geschafft, den totalen Zusammenbruch zu vermeiden und nach dem Anschlag neu anzufangen. Manchmal standen ihr allerdings die Tränen in den Augen. Sie war jetzt Herrin eines erfolgreichen Reiterhofes, lenkte den Betrieb. Was sie sagte, hatte Gewicht, sie war die Frau, auf die es ankam. Doch die Arbeit, die oft keine Grenzen kannte, höhlte allmählich aus. Sie dachte an den Rhein, an ihren Garten in Wachtberg. Ohne auf die Uhr zu schauen, hatte sie damals oft stundenlang auf der Terrasse entspannt und den Blick über die blühenden Blumen schweifen lassen. Jetzt half sie Helma in der Küche bis in den Abend hinein, trank vielleicht mit Hartwig einen Feierabendschluck im Büro. Dann gingen sie zu Bett, immer früher, weil sie hundemüde waren. Kein Theaterbesuch, kein Treffen mit Freundinnen. Die beiden Fiedlers hatte Anja seit Monaten nicht gesehen. Manchmal rief Corni an, und sie waren sich einig, dass sie sich unbedingt in nächster Zeit wieder einmal auf einen Kaffee treffen sollten, aber dabei blieb es. Auch die Fiedlers waren erfolgreich mit ihrer kleinen Pension. Arne ging es wieder gut, wie ihr Corni erzählt hatte. Die Depressionen ihres Bruders waren verschwunden, seit er sich für ehemalige Heimkinder engagierte.

Vielleicht war es auch das schlechte Gewissen, das Anja nachts aus dem Schlaf riss. Seit Ewigkeiten hatte sie ihren Vater in Bonn nicht mehr besucht.

»Mach dir keinen Kopf, Maus. Wer wie du einen großen Betrieb leitet, der hat alle Hände voll zu tun. Dafür habe ich natürlich Verständnis«, hatte er sie am Telefon beruhigt, als sie anfing zu heulen. Für sie war es unverzeihlich. Von morgens bis abends zerriss sie sich für Kleinigkeiten, um den Gästen zu gefallen, aber es fehlte die Zeit, ihren hilfsbedürftigen Vater zu besuchen.

»Wenn es mir besser geht, dann setze ich mich in den Zug und lasse mich vom Schaffner in Neustrelitz hinauswerfen«, hatte er geflachst. Sein rheinischer Humor war jedenfalls unverwüstlich.

»Dann wird Hartwig anspannen und dich mit unseren beiden Mecklenburgern vom Bahnhof abholen. Wir haben einen Kutschwagen für die Gäste angeschafft, weißt du?«

Sie spielte sein Spiel jedes Mal mit, denn natürlich war ihr klar, dass es ihm nicht mehr besser gehen würde. Unmöglich für ihn, die stundenlange Fahrt ohne Begleitung zu schaffen. Aber zu Sabrinas Hochzeit wollte sie ihn unbedingt dabeihaben, auch wenn sie ihn selbst mit dem Auto abholen müsste.

Anjas Gedanken waren jetzt bei Helma, die Einzige, die sie manchmal beneidete. Auch nach einem harten Tag wirkte Helma voll und ganz zufrieden. Ihr Leben hatte immer aus Arbeit bestanden, und sie stellte offenbar keine weiteren Ansprüche. Seit sie aus dem schimmelverseuchten Haus in der Kastanienallee ausgezogen war, ging es ihr offenbar viel besser. Der Arzt sei mit ihr zufrieden, hatte sie kürzlich erklärt, als sie in der Küche zusammen das Hochzeitsmenü besprachen. Anja hatte ihr einfach nicht abschlagen können, selbst zu kochen. Aber Helma musste sich dabei helfen lassen, darauf hatte sie bestanden.

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Vom Bett aus blickte Hartwig durch das Fenster auf eine dicke Nebelwand. Septembernebel. Nur ein fahler Lichtstrahl drang ins Schlafzimmer. Nach sechs musste es sein. Er streckte den linken Arm aus, während seine Hand nach einem warmen Frauenkörper suchte. Er vermisste die Zärtlichkeit, seit Anja die Herrin von Groß Bernow war und morgens so früh aus den Federn kroch. Für die Liebe blieb keine Zeit übrig. Aber er hatte kein Recht, sich zu beschweren, es war seine Idee gewesen, das Gut zu kaufen und in die Provinz zu ziehen. Ja, alles war seine Verantwortung, und Nebeltage wie dieser lagen wie Blei auf seiner Seele. An solchen Tagen sah Anja ihn verwundert an, als würde sie ihn nicht wiedererkennen. Er wusste selbst, dass er sich verändert hatte. Der Kampf, seinen Körper in den Griff zu bekommen, wieder sprechen zu können, ohne zu sabbern, hatte auch in seinem Kopf etwas verrückt. Über bestimmte Dinge dachte er jetzt völlig anders, zum Beispiel über Besitz. Es kam ihm sinnlos vor, etwas anzuhäufen, nur um sich Geltung zu verschaffen. Der einzige Wert war Freiheit. Besitz machte unfrei, das erfuhr er jetzt täglich. Nicht nur durch die Verantwortung, auch weil der Zwang dahintersteckte, ihn weiter zu vermehren, um ihn halten zu können.

Hartwig erinnerte sich an seine Mutter, an ihre Einstellung zum Leben und ihre Erziehungsmethoden. Nein, Margot, man musste nicht immer der Beste sein. Allerdings sollte man alles aus tiefster Überzeugung tun. Er wollte wieder träumen dürfen wie ein Junge, im Gras liegen, alle viere von sich strecken und in Gedanken abheben wie auf einem fliegenden Teppich.

Er erhob sich vom Bett und ging barfuß zum Fenster. Wieder spürte er diesen Druck im Kopf. Seine Freiheit waren die Spaziergänge mit den Hunden. Wenn ihn wieder diese Stimmung anfiel, dann waren die beiden Deutsch Kurzhaar sein Halt. Als er das Fenster ankippte, zog der Geruch nach gebratenem Frühstücksspeck von der Küche aus zu ihm hoch. Helma und Anja waren bereits in ihrem Element. Sabrina würde heute den Reitunterricht leiten, soviel er wusste, und Paul wollte nach der Fuchsstute Laika sehen. Hoffentlich war es nichts Schlimmes, sie hatten keinen Ersatz für das Schulpferd.

Hartwig fühlte sich schlapp, dazu diese ewigen Kopfschmerzen. Aber es waren nicht nur die Schmerzen, es fühlte sich an wie eine Bewölkung des Gehirns. Wenn er in diesem Zustand war, konnte er kaum mehr klar denken, wusste nicht, was richtig oder falsch war, und traute sich nichts zu. Nur den Hunden brauchte er nichts zu beweisen. Sie freuten sich immer auf ihn, schwänzelten bereits morgens, wenn er das Futter brachte.

»Du solltest zum Arzt gehen. Vielleicht sind es Depressionen, so wie bei Arne Fiedler. Dagegen gibt es Medikamente«, war Anjas Rat gewesen. Aber er hatte nicht auf sie gehört. Abgesehen davon, dass er die Fiedlers nicht besonders mochte, wehrte er sich dagegen, als Fall für den Arzt abgetan zu werden. Seinen Zustand konnte man nicht einfach mit einer Dosis Tabletten abstellen.

Wenn er sein Leben jetzt mit dem verglich, das er früher geführt hatte, musste er sich ernsthaft fragen: Ging es ihm hier oben an den Seen wirklich besser als damals am Rhein? Eigentlich war er auch hier Gefangener und Gebeutelter seiner Karriereträume. Hatte ihn nicht vor allem Eitelkeit dazu getrieben, dieses Gut zu kaufen? Also ein Stück weit Heuchelei? Wenn er gewusst hätte, welches Drama dahintersteckte, hätte er es trotzdem gekauft? Wäre ihm die Familiengeschichte wirklich so viel wert gewesen, dass er mit seiner Gesundheit für seinen Nazi-Vater eingestanden hätte? Fragen, die er lieber nicht beantworten wollte, aber es kamen immer neue hinzu.

»Hartwig, wo bleibst du denn?« Anja stand plötzlich im Zimmer, ihre Augen blitzten ihn verständnislos an. »In einer halben Stunde geht es los. Paul hat längst angespannt, und die Gäste haben schon nach dir gefragt.«

»Ja, natürlich. Entschuldige, Schatz, ich komme gleich zum Frühstück.« Beinahe hätte er es vergessen. Heute sollte ja der Kremserwagen eingeweiht werden.

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Das laute Stimmengewirr vor dem Haus hatte auch Helma nach draußen gelockt. In der Einfahrt stand der Kremserwagen in voller Pracht mit prall aufgepumpten Reifen und leuchtend gelber Plane. Während Balu geduldig die Begeisterungsschreie der Kinder über sich ergehen ließ, schlug Gretel nervös mit den Hufen auf das Pflaster, als wollte sie den ganzen Hof hören lassen, dass sie endlich loswollte. Ein Ereignis, wie sie es nicht mehr erlebt hatte, seit das Kreuz für die Opfer des Krieges auf dem Dorffriedhof aufgestellt worden war, dachte Helma. Ein Tag des Gedenkens und der Versöhnung, der alle so berührt hatte. Heute ging es allerdings nur fröhlich zu. Bestimmt war es Sabrina gewesen, die den beiden Dicken Schleifen in Mähne und Schweif geflochten hatte. Richtig nett sahen sie aus.