Das Geheimnis der Geisterlady - Eve Tarbot - E-Book

Das Geheimnis der Geisterlady E-Book

Eve Tarbot

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Um Mitternacht geisterten zwölf dumpfe Glockenschläge durch das Spukschloß. Sie brachen sich an den dicken Steinwänden, verloren sich in den dämmrigen Gängen und den gruftähnlichen Zimmern, und ein rätselhaftes Leben erwachte. Das alte Gemäuer war mit einemmal voller Geräusche. Tappende Schritte hier. Ein geplagtes Seufzen dort. Ein Knistern und Knacken im Gebälk. Moorcock Castle wurde seinem Aussehen gerecht. Irgendwann fühlte sich Juliet von kalten Fingern berührt. Sie schreckte hoch, und ihr Herz schlug wie verrückt gegen die Rippen. Kein Wunder, wenn einem so etwas widerfährt! Bebend preßte sie die Decke gegen ihren Hals, während sie mit furchtgeweiteten Augen in die Finsternis starrte. War da nicht wieder dieses unheimliche Hecheln? Lord Jonathan Moorcock! schoß es Juliet durch den Kopf. Der Wolf! Er sieht immer noch so gut aus wie vor fünf Jahren, als ich ihn geheiratet habe, dachte Juliet, während sie George zum Abschied die Hand reichte. Es war ein Abschied für immer. Die Scheidung war ein glatter, rascher Schnitt gewesen, ohne Schmerzen. Zwei vernünftige Menschen hatten eingesehen, daß sie nicht mehr miteinander leben konnten und hatten das ihrer Ansicht nach einzig Richtige getan. Da beide Teile keine Ansprüche stellten und vor der Eheschließung Gütertrennung vereinbart worden war, hatten die Anwälte so gut wie nichts zu tun. Es kam zu keinen Wutausbrüchen, keinen wüsten Beschimpfungen, es flossen keine Tränen. Eine unhaltbar gewordene Verbindung ging zu Ende, und beide Seiten waren sichtlich erleichtert darüber. Heute wußte Juliet, daß es ein Fehler gewesen war, George Franklyn zu heiraten. Vor fünf Jahren hatte sie anders darüber gedacht. Freunde hatten

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Gaslicht – 43 –

Das Geheimnis der Geisterlady

Wer ist stärker als die Macht des Bösen?

Eve Tarbot

Um Mitternacht geisterten zwölf dumpfe Glockenschläge durch das Spukschloß. Sie brachen sich an den dicken Steinwänden, verloren sich in den dämmrigen Gängen und den gruftähnlichen Zimmern, und ein rätselhaftes Leben erwachte. Das alte Gemäuer war mit einemmal voller Geräusche. Tappende Schritte hier. Ein geplagtes Seufzen dort. Ein Knistern und Knacken im Gebälk. Moorcock Castle wurde seinem Aussehen gerecht. Irgendwann fühlte sich Juliet von kalten Fingern berührt. Sie schreckte hoch, und ihr Herz schlug wie verrückt gegen die Rippen. Kein Wunder, wenn einem so etwas widerfährt! Bebend preßte sie die Decke gegen ihren Hals, während sie mit furchtgeweiteten Augen in die Finsternis starrte. War da nicht wieder dieses unheimliche Hecheln? Lord Jonathan Moorcock! schoß es Juliet durch den Kopf. Der Wolf!

Er sieht immer noch so gut aus wie vor fünf Jahren, als ich ihn geheiratet habe, dachte Juliet, während sie George zum Abschied die Hand reichte. Es war ein Abschied für immer.

Die Scheidung war ein glatter, rascher Schnitt gewesen, ohne Schmerzen. Zwei vernünftige Menschen hatten eingesehen, daß sie nicht mehr miteinander leben konnten und hatten das ihrer Ansicht nach einzig Richtige getan.

Da beide Teile keine Ansprüche stellten und vor der Eheschließung Gütertrennung vereinbart worden war, hatten die Anwälte so gut wie nichts zu tun. Es kam zu keinen Wutausbrüchen, keinen wüsten Beschimpfungen, es flossen keine Tränen.

Eine unhaltbar gewordene Verbindung ging zu Ende, und beide Seiten waren sichtlich erleichtert darüber. Heute wußte Juliet, daß es ein Fehler gewesen war, George Franklyn zu heiraten.

Vor fünf Jahren hatte sie anders darüber gedacht. Freunde hatten ihr von dieser Verbindung abgeraten. Sie hatten gewußt, daß das nicht gutgehen würde. Vielleicht hatte es ihnen Juliet beweisen wollen. Vielleicht hatte sie George aus Trotz geheiratet.

Der Grund war heute nicht mehr so wichtig. Sie hätte es nicht tun sollen, und nun war sie um eine Erfahrung reicher. Jeder Mensch muß in seinem Leben Lehrgeld bezahlen.

Juliet hatte die Rechnung soeben vor dem Scheidungsrichter beglichen und war froh, wieder frei zu sein. Sie gab George nicht allein die Schuld daran, daß die Ehe nicht gehalten hatte.

Fairerweise mußte sie sich eingestehen, daß auch sie mit dazu beigetragen hatte. Wie auch immer, es war vorbei, gehörte bereits der Vergangenheit an.

Sie standen auf der Straße. Autos fuhren an ihnen vorbei. Menschen gingen ihres Weges, ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Juliets schmale Hand lag in der seinen, die groß, gepflegt und kräftig war.

Er hatte sie in den fünf Jahren nie beschützt, wenn sie Schutz gebraucht hatte. Sie war immer auf sich selbst gestellt gewesen. Als würde sie allein leben.

Der Wind zerzauste sein dichtes braunes Haar. Juliet sagte sich, daß sie sich nicht so sehr von seiner Schönheit hätte blenden lassen dürfen. Sie hätte einen Blick hinter die Fassade werfen müssen, aber dazu hatten sie sich beide nicht die Zeit genommen.

Sie hatten nicht geprüft, ob sie zueinander paßten, waren einfach in das kalte Wasser gesprungen. Wird schon gutgehen, hatten sie gedacht. Aber es war schiefgegangen.

»Mach’s gut«, sagte George und lächelte.

»Du auch«, erwiderte sie.

Er drückte ihre Hand. »Bleiben wir Freunde?«

»Warum nicht?«

»Solltest du einmal Hilfe brauchen oder deprimiert sein – du kannst mich jederzeit anrufen.«

Sie nickte. »Ist gut.«

»Was wirst du jetzt machen?«

»Interessiert es dich wirklich?«

»Würde ich sonst fragen?«

»Ich werde London für eine Weile verlassen. Ich habe genug von der Hektik dieser Stadt. Ich möchte irgendwo, wo es still und friedlich ist, abschalten und ausspannen.«

»Ich wünsch’ dir, daß es dir gelingt, Juliet.«

»Danke. Würdest du jetzt bitte meine Hand loslassen?« Sie lachte leise. »Sonst denken die Leute noch, wir wären ein Liebespaar, und das wäre doch wirklich grotesk.«

Er zog seine Hand zurück. »Tut mir leid, daß es mit uns nicht geklappt hat, Juliet.«

»Beim nächstenmal werden wir beide etwas vorsichtiger sein, nicht wahr?«

»Wirst du’s noch einmal versuchen?«

Sie zuckte die Schultern. »Das weiß ich noch nicht. Mir ist nur klar, daß ich für’s Alleinsein nicht geschaffen bin.«

Er wies auf seinen Wagen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite in der Sonne stand. »Kann ich dich ein Stück mitnehmen?«

»Laß nur, ich nehme ein Taxi.«

»Tja, also dann…«

Sie lächelte amüsiert. »Warum gehst du nicht endlich? Ich sehe doch, daß du’s möchtest.«

»Ich bin ein bißchen durcheinander«, gestand er. »Es ist schließlich meine erste Scheidung.« Er beugte sich vor, um sie zu küssen. Sie drehte den Kopf ein wenig, und seine Lippen berührten ihre Wange.

Sie empfand gar nichts dabei, und sie sagte sich, daß sie von der Krankheit, die »George Franklyn« hieß, geheilt war.

Er überquerte die Straße mit federnden Schritten. Ein Traummann, mochte man meinen. Juliet hatte die Erfahrung gemacht, daß er das nicht war. Jedenfalls nicht für sie.

Er stieg in seinen großen amerikanischen Wagen und fuhr los. Flüchtig winkte er ihr noch zu, daß sie zurückwinkte, sah er schon nicht mehr. Als der Wagen um die Ecke bog und Juliets Blicken entschwand, atmete sie erleichert auf.

Dieses Kapitel ihres Lebens war zu Ende. Ein neues konnte beginnen.

*

Sie winkte einem Taxi und ließ sich nach Hause bringen. Kensington Road 435 war ihre Adresse. Sie hatte da vor drei Wochen ein Sechszimmerapartement gemietet. Möbliert, und mit Blick auf den Hyde Park.

Eine hübsche Wohnung, die ihr auf Anhieb gefallen hatte. Sie hatte nur ein paar persönliche Dinge aufgestellt und sich sofort zu Hause gefühlt. Während Juliet im Fond des Taxis saß, dachte sie an George, der seine wiedergewonnene Freiheit bestimmt mit Freunden gehörig feiern würde.

Natürlich würden auch die entsprechenden Mädchen da sein, aber das regte Juliet nicht mehr auf. Jetzt durfte er sich ja auf diese Weise amüsieren. Bis vor einer Stunde hätte er das nicht gedurft. Er hatte es aber doch getan. So war George Franklyn nun einmal. Er konnte sich nicht ändern, und Juliet war es nicht gelungen, ihn so zu akzeptieren. Der Hyde Park kam in Sicht. Das Taxi verlangsamte seine Fahrt und blieb schließlich stehen.

Juliet bezahlte den Fahrpreis und stieg aus. In ihrer Wohnung angekommen, ließ sie sich sofort ein Bad ein. Sie hatte irgendwie das Gefühl, sich reinwaschen zu müssen.

Das Badewasser verströmte köstlichen Lavendelduft. Nackt trat Juliet vor den großen ovalen Kristallspiegel, um sich darin zu betrachten. Sie war bildhübsch und trug das sandfarbene Haar schulterlang. Ihr schlanker, biegsamer Körper wies nicht den geringsten Makel auf.

Vorsichtig prüfte sie, ob das Wasser nicht zu heiß war. Dann versank sie zwischen hohen weißen Schaumgebirgen, schloß die Augen und versuchte an gar nichts zu denken.

Es gelang ihr auch, und beinahe wäre sie eingeschlafen. Das Läuten des Telefons verhinderte es. Juliet stand auf, spülte den Schaum mit der Handbrause von ihrer Haut, schlüpfte in einen weichen weißen Bademantel und begab sich ins Wohnzimmer.

Der Anrufer war Alan Raft, ihr väterlicher Freund und Berater. »Na, Kleines, ist es überstanden?«

»Ja, Alan.«

»War’s schlimm?«

»Überhaupt nicht.«

»Ich wollte ja mitkommen, aber du hast darauf bestanden, allein hinzugehen.«

»Ich habe dich wirklich nicht gebraucht, Alan. Es war alles ganz leicht.«

»Oh, das hört aber niemand gern, daß er nicht gebraucht wird«, sagte Alan Raft schmollend. »Brauchst du mich jetzt auch nicht?«

»Es gibt keinen Katzenjammer, wenn du darauf anspielst.«

»Darf ich trotzdem auf einen Drink vorbeikommen?«

Sie lachte. »Wie könnte ich dir das abschlagen!« In ihrem Nacken setzte sich ein seltsames Gefühl fest. Unbehagen krabbelte wie mit kalten Spinnenbeinen über ihren Rücken.

Juliet hatte mit einemmal das Gefühl, nicht allein im Raum zu sein. Unsinnig war das, denn niemand hatte einen Schlüssel zu ihrem Appartement. Unangenehm berührt drehte sich Juliet um.

Niemand war da. Wen hatte sie zu sehen erwartet? Das lästige Gefühl verstärkte sich aber auf eine unerklärliche Weise. Angst kroch plötzlich ohne ersichtlichen Grund in Juliets Herz.

»Ich bin in zwanzig Minuten bei dir«, sagte Alan Raft.

Juliet antwortete nicht.

Juliets Blick suchte die Bedrohung, die sie so deutlich spürte. Was war in ihre Wohnung eingedrungen? Ihre Augen blieben an einem alten Foto hängen, das gerahmt an der Wand hing und ein düsteres Schloß zeigte.

Dicke, verwitterte graue Mauern, ein trotziger Turm, finstere Fenster. Das war Moorcock Castle. Juliets Schwester Shirley O’Hara, eine Malerin, hatte ihr dieses Foto geschickt, als sie Moorcock Castle zu einem wahren Spottpreis kaufte.

Die alte Aufnahme hatte schon existiert, war nicht von Shirley gemacht worden. Ging die Bedrohung etwa von dieser Fotografie aus? Juliet gewann mehr und mehr diesen Eindruck.

»Juliet!« rief Alan Raft wieder. »Juliet, ist irgend etwas nicht in Ordnung?«

Juliets Blick konzentrierte sich auf eines der Fenster des Schlosses. War dort nicht das bleiche Oval eines Gesichtes zu erkennen? Ein kalter Schauer überlief die junge blonde Frau.

Wer stand an diesem Fenster? Juliet fühlte sich von dieser Person feindselig, ja haßerfüllt angestarrt. Verströmte die Fotografie etwa Kälte? Fröstelnd zog Juliet mit der linken Hand den Kragen des Bademantels zu.

»Juliet! Wieso antwortest du denn nicht?« fragte Alan Raft.

Sie riß sich von dem Bild los, wandte sich davon ab und sagte: »Wenn du hier eintriffst, steht dein Drink für dich bereit.«

»Bist du wirklich okay, Mädchen?« fragte Raft zweifelnd.

»Du kannst dich persönlich davon überzeugen«, sagte Juliet und legte den Hörer auf die Gabel.

Sie hatte eine gewisse Scheu, sich umzudrehen, tat es dann aber doch und begab sich entschlossen zu jener gerahmten Aufnahme, um sie sich aus der Nähe anzusehen.

Verwundert stellte sie fest, daß es an jenem Fenster gar kein Gesicht gab. Da war nur ein düsterer grauer Schatten, sonst nichts.

»Aber ich habe doch vorhin hier ein Gesicht gesehen«, flüsterte Juliet verwirrt. »Dieser feindselige, haßerfüllte Blick… Sollte das eine Warnung gewesen sein?«

Nachdenklich verließ sie das Wohnzimmer. Als sie zurückkam, trug sie einen karmesinroten, samtweichen Hausanzug, der ihre atemberaubende Figur wunderbar zur Geltung brachte.

Sie wußte, was Alan Raft am liebsten trank und mixte ihm seinen Drink. Ein dicker Eiswürfel war die Krönung des Ganzen. Für sich selbst goß Juliet einfach Scotch ein.

Die Sache mit der Fotografie ging ihr nicht aus dem Sinn. Sie war froh, daß sich Alan eingeladen hatte. Er würde sie auf andere Gedanken bringen. Da läutete er schon an der Tür.

*

Juliet eilte durch die Diele und öffnete, aber nicht Alan Raft stand draußen, sondern eine fremde, bleiche, schöne Frau, deren langes schwarzes Haar den Glanz von Krähenflügeln hatte.

Juliet starrte die Frau entgeistert an, denn sie war mit einemmal sicher, deren Gesicht vorhin auf der alten Fotografie gesehen zu haben.

Darum reagierte Juliet so konfus, daß sie verstört zurücktrat und die Tür zuwarf. Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloß, und Juliet lehnte sich zitternd dagegen.

Aber dann setzte ihr Verstand wieder ein, und sie fragte sich: Was tust du denn? Bist du nicht mehr normal? Du benimmst dich ja wie eine Irre.

Sie sah ein, daß sie wie eine Verrückte gehandelt hatte. Was sollte die fremde Frau denn von ihr denken? Rasch öffnete sie die Tür wieder und wollte irgendeine Entschuldigung stammeln, aber draußen stand niemand mehr.

Hatte sie eine Halluzination gehabt? Spielte ihr ihr Unterbewußtsein einen Streich? Wer war diese fremde Schöne gewesen? Was hatte sie von ihr gewollt?

Hat mich die Scheidung doch mehr hergenommen, als ich glaubte? fragte sich Juliet verwirrt. Sie lief bis zur Treppe, sah die Frau jedoch nicht wieder. Hatte es die Fremde nie gegeben?

Juliet kehrte in ihr Appartement zurück. Gedankenverloren schritt sie durch die Diele. Die Klingel schlug abermals an. Nicht schon wieder, dachte Juliet seufzend.

Sie kehrte um und warf einen Blick durch den Türspion. Diesmal stand Alan Raft draußen. Die Linse verzerrte sein Gesicht so sehr, daß er wie ein aufgeblasener Frosch aussah.

Alan Raft war zwar keine Schönheit, aber so häßlich war er nun auch wieder nicht. Erleichtert öffnete Juliet die Tür. Raft strahlte sie an. »Da bin ich«, sagte er und breitete die Arme aus. »Der Seelentröster ist eingetroffen. Steht mein Drink wirklich schon bereit?«

»Versprochen ist versprochen.«

»Und was Juliet verspricht, das hält sie auch, nicht wahr?«

»Sehr richtig«, erwiderte sie und ließ ihn rein.

Er blieb in der Diele stehen und wartete, bis sie die Tür geschlossen hatte. Alan Raft war nicht sehr groß, deshalb trug er immer Schuhe mit hohen Absätzen.

Trotzdem überragte ihn Juliet um einen halben Kopf. Er war grauhaarig und trug einen sorgfältig gestutzten grauen Spitzbart. Mit ernster Miene faßte er unter Juliets Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.

»Und du wolltest mir weismachen, du würdest niemanden brauchen. Soll ich dir sagen, wie du aussiehst? Als wäre dir soeben der Beelzebub persönlich begegnet. Komm ins Wohnzimmer. Onkel Alan wird sehen, was er für dich tun kann.«

Sie war nahe daran, ihm von der blassen Frau zu erzählen, ließ es dann aber bleiben, weil sie nicht wollte, daß Alan sich gleich wieder beunruhigte. Es war nichts weiter passiert, also wollte sie nicht darüber reden.

Gemeinsam begaben sie sich ins Wohnzimmer. Juliet reichte ihm den Drink und nahm ihr Glas in die Hand. »Worauf wollen wir trinken?« fragte er und schwenkte das Glas, damit der Eiswürfel gegen die Wand schlug. Eine Gewohnheit, die er liebte.

»Auf mein neues Leben«, sagte Juliet, und sie fragte sich insgeheim, ob dieses Leben bedroht war.

»Auf das Leben ohne George Franklyn«, sagte Alan Raft. »Jawohl, darauf trinken wir, das gefällt mir. Du hättest vor fünf Jahren auf mich hören sollen, als ich dir sagte, George wäre zwar ein netter Junge, aber kein Mann, den eine Frau heiraten sollte.«

»Auf manche Dinge muß man selbst kommen«, erwiderte Juliet und stieß ihr Glas leicht gegen seines. »Es hätte mit George auch gutgehen können.«

»Mit dem? Niemals. Es ist nicht gut, sich zu einem hungrigen Wolf in den Käfig zu legen, und es ist ebenso falsch, einen Mann wie George Franklyn zu heiraten.«

»Also, der Vergleich ist ein bißchen zu drastisch ausgefallen, findest du nicht?« sagte Juliet und nippte an ihrem Scotch. »George ist nie und nimmer ein zügelloser wilder Wolf. Er ist ein Mann von Welt, vornehm und distinguiert.«

Raft rollte die Augen. »Herrje, sie verteidigt ihn! Das ist kein gutes Zeichen.«

»Ich verteidige George nicht«, stellte Juliet richtig. »Ich mag nur nicht, daß du ihm unrecht tust.«

Raft hob die Hände, als würde er sich ergeben. »Schon gut, schon gut. Ich nehme alles, was ich über George Franklyn gesagt habe, zurück. Bist du zufrieden?«

Juliet forderte ihn auf, Platz zu nehmen. Er setzte sich in einen weichen Samtsessel beim Fenster. Juliet nahm ebenfalls Platz, und da sie wußte, daß er darauf brannte, zu erfahren, wie die Scheidung abgelaufen war, erzählte sie es ihm.

»George hat sich wie ein Gentleman benommen«, sagte sie abschlie­ßend.

Raft musterte sie über den Rand seines Glases hinweg eingehend, während er trank. »Könntest du dir vorstellen, ihn noch einmal zu heiraten?« fragte er.

»Nein.«

Alan Raft atmete erleichtert auf. »Freut mich, von dir auf meine Frage eine so kurze, klare Antwort zu bekommen. Jetzt bin ich beruhigt.«

»Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich heute scheiden lassen und morgen feststellen, daß sie ohne ihren Mann nicht leben können. Ich habe mir diesen Schritt reiflich überlegt.«

»Wunderbar, und wie soll’s mit uns nun weitergehen? Hast du dir auch darüber bereits Gedanken gemacht?«

Alan Raft war nicht nur Juliets väterlicher Freund und Berater, er war auch ihr Manager. Seit sieben Jahren arbeiteten die beiden nun schon zusammen, und weder Raft noch Juliet hatten es jemals bereut.

Raft hatte der hübschen, talentierten Schauspielerin Juliet O’Hara immer wieder gute Angebote verschafft. Dank seiner unermüdlichen Hilfe wurde sie rasch bekannt und war heute sehr gefragt.

Doch sie wollte sich von den Produzenten nicht verheizen lassen. Im Zeitalter des Fernsehens kann sich ein Gesicht sehr rasch abnützen, deshalb machte sich Juliet O’Hara rar.

Es war etwas Wahres dran an dem Spruch: Komm selten, dann wirst du gelten. Um so mehr freute sich das Publikum auf ein Wiedersehen mit Juliet. Bereits vor der Festsetzung des Scheidungstermins hatte Juliet beschlossen, ein halbes Jahr Pause zu machen und erst nach sechs Monaten wieder auf die Bühne zurückzukehren.

Raft wollte nun wissen, ob sie bei diesem Entschluß blieb oder sich lieber Hals über Kopf in Arbeit stürzte, um die Trennung besser vergessen zu können. An Angeboten für Juliet hätte es nicht gemangelt.

»Ich werde für eine Weile fortgehen«, sagte Juliet.

»Allein?«

»Möchtest du mich begleiten?«

»Machst du eine Weltreise?«

Juliet O’Hara schüttelte den Kopf und blickte zu der Fotografie hin­über, die Moorcock Castle zeigte. Wieder beschlich sie dieses eigenartige Gefühl, und ihre Augen suchten unwillkürlich das fremde Gesicht.

Aber es war nicht mehr vorhanden. Sie mußte es sich eingebildet haben. Und die Frau, die an ihrer Tür geläutet hatte? War die auch nur ein Trugbild gewesen?