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Die jungen New Yorker Della und Jim lieben einander von Herzen, doch sie sind arm. Als Weihnachten vor der Tür steht, kratzt Della all ihr abgespartes Geld zusammen, um ihrem Jim ein Geschenk zu kaufen. Doch wofür sollen ein Dollar und siebenundachtzig Cent schon reichen?
Das kann nur eine unverhoffte Wendung nehmen, denn O. Henry ist ein Meister der Short Story mit verblüffendem Ausgang. Die Geschichten des US-amerikanischen Schriftstellers feiern den besonderen Moment im Alltag als die größte Gabe des Lebens. Hier sind vier seiner Weihnachtserzählungen versammelt.
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Seitenzahl: 52
O. Henry
Das Geschenk der Weisen
O. Henry
Das Geschenk der Weisen
und andere Weihnachtserzählungen
Aus dem Englischen von Alexandra Berlina
Anaconda
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2022 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
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Umschlagmotive und Abbildungen im Innenteil: shutterstock/Marish, krasivos, natianis
Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de
Satz und Layout: Achim Münster, Overath
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9-783-64129-757-2
www.anacondaverlag.de
Inhalt
Das Geschenk der Weisen7
Der Cop und der Choral19
Weihnachten in Yellowhammer33
Ein Weihnachtsgeschenk von Frio Kid55
Editorische Notiz67
Über den Autor69
Ein Dollar siebenundachtzig. Das war’s. Davon sechzig einzelne Cents – erspart und errettet durch unnachgiebiges Feilschen mit dem Metzger, dem Gemüsehändler und dem Krämer, bis Della vor jedermanns stillen, doch spürbaren Missbilligung solcher Knauserei die Wangen brannten. Dreimal zählte sie nach. Ein Dollar siebenundachtzig. Und morgen war Weihnachten.
Was konnte man da schon anfangen, als sich auf das abgewetzte kleine Sofa zu werfen und loszuheulen? Also tat Della genau das. Woraus wir übrigens auch den philosophischen Schluss ziehen können, dass das Leben aus Schluchzen, Schniefen und Schmunzeln besteht, wobei Schniefen dominiert.
Während die Dame des Hauses nun also vom Ersten zum Zweiten übergeht, können wir uns umschauen. Eine möblierte Wohnung, für 8 Dollar pro Woche, die zwar nicht jeder Beschreibung spottete, sich aber zumindest ins Fäustchen lachte bei jedem Versuch, ihr erzählerisch gerecht zu werden.
In der Eingangshalle unten fand sich ein Briefkasten, in den kein Brief passen wollte, und ein elektrischer Klingelknopf, dem kein sterblicher Finger jemals einen Ton entlocken konnte. Zu diesem Knopf gehörte auch ein Schild, und auf dem Schild prangte der Name »Mr James Dillingham Young«.
»Dillingham« hatte sich in früheren, gedeihlicheren Zeiten übermütig dazugesellt, als Mr Young noch 30 Dollar pro Woche verdiente. Nun war das Einkommen auf 20 Dollar geschrumpft, und der zweite Vorname wirkte verschämt und verschwommen, als ob er ernstlich erwöge, sich zu einem bescheidenen »D.« zusammenzuziehen. Zu Hause wurde Mr James Dillingham Young ohnehin einfach nur Jim genannt, und zwar von Mrs James Dillingham Young, die Sie bereits als Della kennen, und die ihrem Mann jeden Tag freudig um den Hals fiel, wenn er in die Wohnung kam. Und das ist auch alles gut so.
Della hatte inzwischen zu Ende geweint und frischte sich mit der Puderquaste die Wangen auf. Dann ging sie zum Fenster und blickte trübe auf eine graue Katze, die in dem grauen Hof über einen grauen Zaun spazierte. Morgen war Weihnachten, und sie hatte nur 1,87 $, um Jim ein Geschenk zu kaufen. Monat für Monat hatte sie jeden Cent gespart, und dies war das Ergebnis. Mit 20 Dollar die Woche ist eben nicht viel zu machen. Die Ausgaben waren größer als gedacht. Das sind sie ja immer. Nur 1,87 $, um Jim etwas zu schenken. Ihrem Jim. So viele glückliche Stunden hatte sie damit zugebracht, etwas besonders Schönes für ihn zu erträumen! Etwas Feines und Rares und Edles – etwas, was seiner zumindest beinahe würdig wäre.
Zwischen den Fenstern hing ein Pfeilerspiegel. Vielleicht haben Sie mal einen Pfeilerspiegel in einer 8-Dollar-Wohnung gesehen. Eine sehr schmale und sehr wendige Person kann darin ein relativ stimmiges Bild ihres Äußeren erhaschen, wenn sie die aufeinanderfolgenden vertikalen Ausschnitte rasch genug betrachtet. Die schlanke Della hatte diese Kunst gemeistert.
Auf einmal wirbelte sie vom Fenster weg und stellte sich vor den Spiegel. Ihre Augen leuchteten, aus ihrem Gesicht aber war alle Farbe gewichen. Rasch löste sie ihr Haar und ließ es zu seiner vollen Länge herabwallen.
Nun hatten die James Dillingham Youngs zwei Besitztümer, auf die sie mächtig stolz waren. Das eine war Jims goldene Taschenuhr, die seinem Vater und davor seinem Großvater gehört hatte. Das andere war Dellas Haar. Lebte die Königin von Saba im Haus gegenüber, müsste Della nur einmal ihr frischgewaschenes Haar am Fenster trocknen lassen, um alle Juwelen und Kostbarkeiten Ihrer Majestät in den Schatten zu stellen. Wäre König Salomo der Hausmeister und der Keller voll seiner Schätze, würde er sich jedes Mal vor Neid den Bart raufen, wenn Jim im Vorbeigehen wie zufällig seine Uhr aus der Westentasche zog.
Nun öffnete Della also ihr schönes Haar, und es fiel in glänzenden Kaskaden flüssiger Bronze. Fast wie ein Gewand umhüllte es sie bis zu den Kniekehlen. Nach einem Blick in den Spiegel steckte sie es nervös und hastig wieder hoch. Kurz zauderte sie; eine Minute lang stand sie da, und auf den fadenscheinigen roten Teppich fiel die eine oder andere Träne.
Dann aber an mit dem alten braunen Mantel, auf mit dem alten braunen Hut. Dellas Rock wirbelte hoch, als sie aus der Wohnung und die Treppe hinunter eilte, die Augen immer noch feucht.
Ihr Ziel war ein Haus mit dem Aushang »Madame Sofronie. Haarwaren aller Art«. Della flog in den ersten Stock und blieb keuchend vor der Tür stehen. Madame, wuchtig, bleich und kühl, sah kaum nach einer Sofronie aus.
»Würden Sie mein Haar kaufen?«, fragte Della.
»Kann schon sein«, sagte Madame. »Ziehn Sie mal Ihren Hut aus, und dann schaun wir.«
Wieder fiel die bronzene Kaskade.
Madame wog die Haarpracht mit geübter Hand und verkündete: »Zwanzig Dollar.«
»Her damit!«, sagte Della.
Die nächsten zwei Stunden vergingen wie im Flug. Nein, streichen Sie die abgedroschene Metapher. Della durchwühlte die Läden nach einem Geschenk für Jim.
Und schließlich fand sie es. Es war ganz offensichtlich für Jim gemacht und für niemanden sonst. In keinem der anderen Läden gab es so etwas, und sie hatte sie allesamt auf den Kopf gestellt. Es war eine Uhrkette aus Platin. Einfach gestaltet, konzentriere sie ihren Wert im Wesentlichen; wie alle wirklich guten Dinge kam sie ganz ohne grelles Schmuckwerk aus. Ja, sie war tatsächlich der Uhr