Das Gesetz des Lebens - Jack London - E-Book

Das Gesetz des Lebens E-Book

Jack London

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Beschreibung

Das Buch enthält drei Meisterwerke Jack Londons, einem der beeindruckendsten amerikanischen Schriftsteller. Die Erzählungen handeln von Menschen, die ganz auf sich gestellt, gegen eine nahezu übermächtige Natur ums Überleben kämpfen. Das zentrale Thema des weltberühmten Autors.

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Jack London

Das Gesetz des Lebens

Erzählungen von Jack London in einer Übersetzung von Walter Brunhuber

Aus der Reihe: Das Gold des Nordens Erster Band Brown Wolf Zweiter Band Das Gesetz des Lebens Dritter Band Sun Dog Trail

Inhaltsverzeichnis

Die Liebe zum Leben

Das Gesetz des Lebens

Wie man ein Feuer entfacht

Weitere Titel ...

Impressum

Die Liebe zum Leben

„Von allem wird eines nur bleiben: Sie haben gelebt und gezockt - und sie haben so manches gewonnen. Auch wenn das Gold der Würfel dabei verloren ging.“Hamlin Garland, Die Goldsucher

Schwankend quälten sich die beiden Gestalten die Uferböschung hinab und der Mann, der voranging, stolperte einmal zwischen den überall verstreut liegenden Gesteinsbrocken. Die Männer waren müde und schwach und tief in ihre Gesichter hatte sich jener geduldige Ausdruck gegraben, wie ihn nur lange anhaltende Entbehrungen hinterlassen können. Die beiden waren schwer beladen mit zu Packen verschnürten Decken, die sie auf dem Rücken trugen. Stirnhaltebänder stützten die Last. Jeder der beiden Männer hatte ein Gewehr bei sich. Sie gingen in gebückter Haltung, die Schultern nach vorne geneigt, den Kopf noch weiter vorgebeugt, die Augen auf den Boden gerichtet.

„Ich wünschte, wir hätten zwei der Patronen aus unserem Vorratslager“, sagte der zweite Mann.

Seine Stimme war ausdruckslos, durchdrungen von absoluter Trostlosigkeit. Er sprach ohne jede innere Anteilnahme. Der erste Mann brachte keine Antwort hervor, während er in den Fluss schwankte, der weiß schäumend durch das felsiges Bett strömte.

Der andere folgte ihm. Obwohl das Wasser eiskalt war – so kalt, dass ihre Fußknöchel schmerzten und ihre Füße taub wurden – zogen sie nicht das Schuhwerk aus. An manchen Stellen drängte sich das Wasser so fest gegen die Knie der beiden Männer, dass sie Mühe hatten, sich auf den Beinen zu halten.

Der zweite Mann rutschte auf einem der glatten Felsblöcke aus und wäre beinahe gestürzt, doch er fing sich mit einer letzten Kraftanstrengung, stieß aber im selben Moment vor Schmerzen einen lauten Schrei aus. Er wirkte blass und benommen und suchte, während er ins Wanken geriet, mit seiner freien Hand in der Luft nach Halt. Als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, ging er weiter, doch er kam erneut ins Taumeln und wieder wäre er fast gestürzt. Schließlich blieb er stehen und sah dem anderen nach, der sich noch kein einziges Mal umgedreht hatte.

Der Mann stand eine Minute lang bewegungslos da, so als würde er mit sich ringen. Dann rief er:

„Bill – Ich habe mir den Fuß verstaucht.“

Bill kämpfte sich schwankend weiter durch das weiße Wasser. Er warf keinen Blick zurück. Der Mann starrte seinem Gefährten hinterher, sah zu, wie dieser sich mehr und mehr entfernte und obwohl das Gesicht des Mannes ausdruckslos war wie immer, erinnerten die Augen an die Augen eines verwundeten Rehs.

Der andere Mann mühte sich das ein Stück entfernt liegende Ufer empor und setzte seinen Weg unbeirrt fort, ohne sich umzudrehen. Der Mann im Fluss ließ ihn nicht aus den Augen. Seine Lippen zitterten ein wenig, sodass sich der raue Teppich aus braunen Haaren, unter dem sie sich verbargen, etwas bewegte. Seine Zunge kam unsicher hervor, um den Bart zu befeuchten.

„Bill!“ rief er.

Es war der um Hilfe flehende Ruf eines gestandenen Mannes, der in Schwierigkeiten geraten war. Doch Bill blickte nicht zurück. Der Mann sah zu, wie Bill sich mit unsicherem Gang entfernte, auf groteske Weise humpelnd und torkelnd, immer vorwärts, den leicht ansteigenden Hang hinauf, auf die sanfte Hügellinie zu, die sich am Horizont abzeichnete. Er sah seinem Gefährten nach, bis dieser den Kamm überquerte und verschwand. Dann wandte er seinen Blick ab und lenkte seine Aufmerksamkeitauf den kleinen Kreis der Welt, der ihm noch blieb, jetzt, wo Bill verschwunden war.

Dicht über dem Horizont glühte die Sonne, eingehüllt in formlosen Dunst und aufsteigenden Nebel – beides hinterließ den Eindruck einer überbordenden, verdichteten Natur, ohne daß die Konturen deutlich hervortraten. Der Mann zog seine Uhr aus der Tasche, wobei er sein Gewicht auf den unverletzten Fuß verlagerte. Es war vier Uhr. Das genaue Datum wusste er nicht, aber es musste etwa Ende Juli sein, Anfang August - eine Woche hin oder her. Die Sonne markierte also ungefähr den Nordwesten. Der Mann blickte Richtung Süden und erinnerte sich, dass irgendwo jenseits der öden Hügel der Große Bärensee lag. Er wusste auch, dass in dieser Richtung der nördliche Polarkreis seine unwirtliche Bahn durch das kanadische Ödland zog. Der Fluss, in dem er stand, war ein Zufluss des Coppermine Rivers, der Richtung Norden abfloss und sich in den Coronation Golf und den Arktischen Ozean ergoss. Der Mann war noch nie dort oben gewesen, aber er hatte sich den Ort einmal auf einer Karte der Hudson-Bay-Company angesehen.

Sein starrer Blick wanderte weiter, beschrieb den Kreis der Welt, der ihn umgab. Was sich ihm bot, war kein ermutigender Anblick. Der Horizont war dunstig. Die Hügel niedrig. Es gab keine Bäume, keine Sträucher, kein Gras – ihn umgab nichts als eine endlose furchterregende Trostlosigkeit, die eine Angst in ihm säte, die mehr und mehr aus seinen Augen zu sprechen begann.

„Bill!“, flüsterte er und dann erneut: „Bill!“

Der Mann kauerte sich in der Mitte des milchigen Flusses nieder, obwohl die Wassermengen mit überwältigender Kraft gegen ihn drückten und ihn mit geradezu selbstgefälliger Grausamkeit zu zerbrechen drohten. Er begann zu zittern, als hätte er plötzlich Schüttelfrost, bis ihm das Gewehr aus der Hand fiel und mit einem einem lauten Klatschen im Fluss landete. Das half ihm, wieder zur Besinnung zu kommen. Er kämpfte gegen seine Angst an, riss sich zusammen - dann griff er in das Wasser und fand die Waffe. Er schob das Bündel auf seinem Rücken weiter hinüber auf die linke Schulter, um einen Teil des Gewichts von seinem verletzten Knöchel weg zu verlagern. Danach setzte er seinen Weg in Richtung Uferböschung fort, langsam und vorsichtig, wobei er immer wieder vor Schmerzen zusammenfuhr. Doch er blieb nicht stehen. Mit einer Verzweiflung, die an Wahnsinn grenzte und mit Schmerzen, die kaum zuließen, dass er einen klaren Gedanken fassenkonnte, eilte er den Hang hinauf, zum Scheitelpunkt des Hügels, über den sein Kamerad verschwunden war – und er sah dabei weit grotesker und lächerlicher aus als sein humpelnder und zuckender Gefährte ausgesehen hatte. Vom Kamm aus erblickte er ein flaches Tal, in dem weit und breit kein Lebewesen zu sehen war. Wieder kämpfte er mit seiner Angst, überwandt sie, verlagerte das Gewicht des Gepäcks noch weiter auf die linke Schulter und wankte unsicher den Hang hinab.

Die Talsohle war vollgesogen mit Wasser, das die dicke Moosschicht wie ein Schwamm an der Oberfläche hielt. Dieses Wasser spritzte nun bei jedem Schritt unter seinen Füßen hervor und jedes Mal, wenn er einen Fuß anhob, löste er damit ein saugendes Geräusch aus, das entstand, wenn das nasse Moos die Schuhsohle widerwillig freigab. Er suchte sich seinen Weg durch das sumpfige Land und folgte den Fußspuren des anderen Mannes. Dabei überquerte er, wenn er sie nicht umgehen konnte, glatt geschliffene Felsplatten, die wie Inseln aus dem Meer von Moos herausragten.

Obwohl er alleine war, war er nicht verloren. Wenn er immer weiterging, soviel wusste er, würde er einen Platz erreichen, an dem tote Fichten und Tannen, schmächtig und verkümmert, das Ufer eines kleinen Sees säumten, der in der Sprache des Landes 'Titchin-nichilie' genannt wurde, das 'Land der kleinen Stöcke'. In diesen See mündete ein schmaler Fluss, dessen Wasser nicht milchig weiß war. Am Ufer dieses Flusses wuchsen Binsen, keine Bäume, daran erinnerte er sich genau. Er würde diesem Fluss folgen, bis das Hauptbett in einer Gabelung endete. Diese Gabelung musste er überqueren, um zum Hauptbett eines anderen Stromes zu gelangen, der Richtung Westen floss. Diesem würde er folgen, bis zu der Stelle, an der er in einen Fluss namens Dease mündete. Und genau hier würde er ein Vorratslager finden, unter einem umgedrehten Kanu, das unter Steinen verborgen war. In diesem Lager befand sich auch Munition für seine Waffe, außerdem gab es dort Fischerhaken und -leinen, ein kleines Netz – all die nützlichen Dinge, die man benötigte, um Tiere zu fangen oder zu töten. Er würde dort auch Mehl finden, wenn auch nicht besonders viel, ein Stück Speck und einige Bohnen.

An diesem Platz würde Bill auf ihn warten und sie würden gemeinsam den Dease hinabpaddeln, Richtung Süden zum Großen Bärensee. Sie würden den See in südliche Richtung überqueren, immer weiter nach Süden, bis zum Mackenzie River. Und weiter nach Süden - sie würden sich an den Süden halten, während der Winter ihnen vergeblich auf den Fersen war und während sich das Eis in gefrorenen Wirbeln zu formen begann. Die Tage würden kalt werden und frostig, während sie weiterfuhren nach Süden, zu einem der in dieser wärmeren Region liegenden Posten der Hudson-Bay-Company, wo es große Bäume gab, verschwenderisch große Bäume und Nahrung im Überfluss.

Daran dachte er, als er sich vorwärtskämpfte. Doch genauso hart wie er mit seinem Körper rang, rang er auch mit seinem Geist und versuchte, daran zu glauben, dass Bill ihn nicht im Stich gelassen hatte, dass Bill mit absoluter Sicherheit am Vorratslager auf ihn warten würde. Er musste sich zwingen daran zu glauben, andernfalls hätte es keinen Grund mehr gegeben weiterzukämpfen, andernfalls hätte er sich auch hinlegen können um zu sterben. Während die trübe Scheibe der Sonne im Nordwesten versank, ging er mehrmals im Geist jeden Schritt seiner und Bills Flucht nach Süden durch, mit der sie dem nahenden Winter entkommen würden. Und er malte sich wieder und wieder aus, welche Nahrungsmittel im Vorratslager verstaut waren und welche Essensrationen in der Station der Hudson-Bay- Company auf ihn warteten.

Er hatte seit zwei Tagen nichts mehr zu sich genommen und seit einer noch viel längeren Zeit hatte er sich nicht mehr satt gegessen. Er bückte sich oft und sammelte blasse Sumpfbeeren auf. Er schob sie sich in den Mund, kaute sie und schluckte sie hinunter. Eine Sumpfbeere ist ein winziges Samenkorn, das von ein wenig Wasser umschlossen ist. Im Mund schmilzt das Wasser und durch das Kauen wird der Samen scharf und bitter. Er wusste, dass diese Beeren nichts Nahrhaftes enthielten, doch er kaute sie geduldig, mit einer Hoffnung, die größer war als sein Wissen und die alle seine bisherigen Erfahrungen nicht zur Kenntnis nehmen wollte.

Gegen neun Uhr verstauchte er sich einen seiner Zehen an einem der aus dem Boden ragenden Felsbrocken. Aus blanker Ermüdung kam er ins Straucheln und fiel hin. Ohne sich zu rühren blieb er eine Weile auf der Seite liegen, dann zog er seine Arme aus den Tragegurten und setzte sich mühselig auf. Es war noch nicht ganz dunkel und im anhaltenden Dämmerlicht tastete er zwischen den Felsen nach Stücken von trockenem Moos. Als er einen kleinen Haufen zusammengetragen hatte, entfachte er ein Feuer – ein schwelendes, schmutziges Feuer – und setzte einen Blechtopf mit Wasser zum Kochen auf.

Er öffnete sein Bündel und das Erste, was er tat, war, seine Streichhölzer zu zählen. Es waren siebenundsechzig. Er zählte sie dreimal, um ganz sicher zu sein. Er teilte die Streichhölzer in mehrere Portionen auf und wickelte diese in Ölpapier. Einen Packen steckte er in seinen leeren Tabaksbeutel, einen anderen in das Innenband seines abgetragenen Hutes, einen dritten schob er auf Brusthöhe unter sein Hemd. Als er damit fertig war, überkam ihn plötzlich Panik und er wickelte alle Streichhölzer wieder aus und zählte sie erneut.

---ENDE DER LESEPROBE---