DAS GESICHT IM DUNKEL - Edgar Wallace - E-Book

DAS GESICHT IM DUNKEL E-Book

Edgar Wallace

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Beschreibung

Grauer Nebel senkte sich über London. In der amerikanischen Botschaft fand ein Ball statt. Am Hals der Königin von Schweden flimmerte eine Brillantenkette von unschätzbarem Wert. Doch nur Stunden später war Scotland Yard in fieberhafter Aufregung: Man hatte das Auto der Königin überfallen und ihren Privatdetektiv erschossen. Die Räuber waren mit der Halskette der Königin im Nebel verschwunden... Der Roman DAS GESICHT IM DUNKEL von Edgar Wallace, der als einer der erfolgreichsten Kriminal-Schriftsteller aller Zeiten gilt, erschien erstmals im Jahr 1926; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1961. Im Jahr 1969 wurde der Roman als 34. Beitrag der Edgar-Wallace-Filmreihe verfilmt (unter der Regie von Riccardo Freda), in den Hauptrollen: Klaus Kinski, Annabella Incontrera, Christiane Krüger und Sydney Chaplin. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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EDGAR WALLACE

 

DAS GESICHT IM DUNKEL

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Apex-Verlag

Impressum

 

 

Copyright dieser Ausgabe © 2022 by Apex-Verlag.

Der Roman The Face In The Night von Edgar Wallace ist gemeinfrei.

Übersetzung: Elsa von Kraatz, bearbeitet von Christian Dörge (OT: The Face In the Night).

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.

Cover: Christian Dörge/Apex-Graphixx.

Satz: Apex-Verlag.

 

Verlag: Apex-Verlag, Winthirstraße 11, 80639 München.

Verlags-Homepage: www.apex-verlag.de

E-Mail: [email protected]

 

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Autor 

DAS GESICHT IM DUNKEL 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

Das Buch

 

Grauer Nebel senkte sich über London. In der amerikanischen Botschaft fand ein Ball statt. Am Hals der Königin von Schweden flimmerte eine Brillantenkette von unschätzbarem Wert. Doch nur Stunden später war Scotland Yard in fieberhafter Aufregung: Man hatte das Auto der Königin überfallen und ihren Privatdetektiv erschossen. Die Räuber waren mit der Halskette der Königin im Nebel verschwunden...

 

Der Roman Das Gesicht im Dunkel von Edgar Wallace, der als einer der erfolgreichsten Kriminal-Schriftsteller aller Zeiten gilt, erschien erstmals im Jahr 1926; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1961.  

Im Jahr 1969 wurde der Roman als 34. Beitrag der Edgar-Wallace-Filmreihe verfilmt (unter der Regie von Riccardo Freda), in den Hauptrollen: Klaus Kinski, Annabella Incontrera, Christiane Krüger und Sydney Chaplin. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

 

 

Der Autor

 

Edgar Wallace.

(* 1. April 1875, † 10. Februar 1932).

 

Richard Horatio Edgar Wallace war ein englischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur, Journalist und Dramatiker. Er gehört zu den erfolgreichsten und populärsten englischsprachigen Kriminalschriftstellern.

Wallace wurde in Greenwich bei London als unehelicher Sohn des Schauspielerpaares Mary Jane „Polly“ Richards und Richard Horatio Edgar geboren und unmittelbar nach seiner Geburt von dem Londoner Fischhändler-Ehepaar Freeman adoptiert. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und brach im Alter von 12 Jahren die Schule ab. Nach diversen Jobs ging er als 18-Jähriger zur Armee und arbeitete sich im Zweiten Burenkrieg in Südafrika bis zum Kriegsberichterstatter hoch.

Nach seiner Rückkehr nach London arbeitete er als Journalist und Sonderberichterstatter. 1901, noch in Südafrika, heiratete er Ivy Maude Caldecott (1880?–1926), Tochter eines Missionars. Mit ihr hatte er vier Kinder. 1918 wurde die Ehe geschieden. 1921 heiratete er seine Sekretärin Ethel Violet King (1896–1933), Tochter des Bankiers Friedrich König, mit der er eine Tochter hatte.

1905 erschien im Eigenverlag sein erster Kriminalroman Die vier Gerechten (The Four Just Men), der zwar ein Publikumserfolg war, aber für Wallace ein finanzielles Desaster bedeutete. Er hatte jedem, der die Lösung des Buches erraten würde, einen Preis in Höhe von 500 Pfund versprochen, für damalige Zeiten eine ungeheure Summe: Zu viele Menschen errieten das Ende des Romans, und er war damit finanziell am Ende. Nur dem Eingreifen von Lord Harmworth von der Daily Mail war es zu verdanken, dass Wallace diese Pleite überstand. Bekannt wurde er vor allem durch seine journalistische Arbeit und seine Afrikaromane, deren erster 1911 unter dem Titel Sanders vom Strom (Sanders Of The River) erschien.

Wallaces berühmtester Krimi war Der Hexer (The Ringer), der als Theaterstück am 1. Mai 1926 uraufgeführt wurde und ein riesiger Erfolg war. In Deutschland fand die Erstaufführung 1927 am Deutschen Theater in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt statt. Für die erste Verfilmung seines Romans The Squeaker (dt. Der Zinker, 1930) schrieb er nicht nur das Drehbuch, sondern führte auch selbst Regie.

Darüber hinaus verfasste er zahlreiche Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Theaterstücke. Ebenfalls begann er noch mit der Abfassung des Drehbuches für den später mit Fay Wray in der weiblichen Hauptrolle gedrehten Filmklassiker King Kong und die weiße Frau (King Kong, 1932), doch er verstarb in Beverly Hills, Hollywood/Kalifornien an den Folgen einer Lungenentzündung vor dessen Vollendung. Seine Frau Violet überlebte ihren Mann um nur 14 Monate, sie starb im Alter von 37 Jahren im April 1933.

In der Nähe der Fleet Street erinnert am „Ludgate Circus“ eine Gedenktafel an Edgar Wallace mit dem Text: Er lernte Reichtum und Armut kennen – er verkehrte mit Königen und doch blieb er sich selbst treu. Seine Talente widmete er der Literatur, doch sein Herz gehörte der Fleet Street. 

Sein Sohn Bryan Edgar Wallace (Death Packs At Suitcase, 1961, dt. Der Tod packt seinen Koffer) und seine Tochter Penelope Wallace (Kensington Gore, 1985, dt. Eine feine Adresse, 1987) waren ebenfalls Kriminalschriftsteller.

Die Romane von Edgar Wallace wurden in vierundvierzig Sprachen übersetzt. Auch gab es nach dem 1959 gedrehten deutschen Spielfilm Der Frosch mit der Maske in den 1960er- und 1970er-Jahren einen regelrechten Edgar-Wallace-Boom in Deutschland mit 38 Wallace-Verfilmungen. Viele dieser Filme wurden mit dem Spruch „Hallo, hier spricht Edgar Wallace!“ eingeleitet. In den Filmen stellte Klaus Kinski oft den Verbrecher oder einen Verdächtigen dar. Zu weiteren Stammschauspielern der deutschen Serie gehörten auch Karin Dor, Eddi Arent, Joachim Fuchsberger, Siegfried Schürenberg und Heinz Drache. Auch in Großbritannien entstanden in dieser Zeit viele Romanverfilmungen, die jedoch in Deutschland kaum bekannt sind.

 

Der Apex-Verlag widmet Edgar Wallace eine umfangreiche Werk-Ausgabe.

 

 

DAS GESICHT IM DUNKEL

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Graue Nebelschleier lagen über London, als in den Abendstunden ein Mann mit unsicheren Schritten in den Portman Square einbog und nach einigem Suchen vor Nr. 551 anhielt. Während er zu den dunklen Fenstern hinaufstarrte, verzog sich sein Mund zu einem widerwärtigen Grinsen.

Diesem alten Teufel wollte er schon beibringen, dass man nicht ungestraft Leute ausplündern konnte! Warum sollte Malpas ein üppiges Leben führen, während sich sein bester Agent elend und kümmerlich durchschlagen musste? So oft Laker betrunken war, legte er sich diese Frage vor.

Seine äußere Erscheinung, die in dieser vornehmen Gegend höchst sonderbar wirkte, verriet allerdings deutlich genug, dass es ihm schlecht ging. Er trug einen schäbigen Anzug, und sein Gesicht, das von der Wange bis zum Kinn von einer hässlichen Narbe entstellt wurde, sah verkommen und unrasiert aus.

Nachdem er noch einen kurzen Blick auf seine abgenützten Schuhe geworfen hatte, stieg er die Stufen zur Haustür hinauf und klopfte.

»Wer ist da?«, fragte sofort eine Stimme von innen.

»Laker!«, erwiderte er laut.

Geräuschlos öffnete sich die Tür. Er trat in die kahle Halle, ging die Treppe hinauf und stand gleich darauf in einem verdunkelten Zimmer. Nur vor dem Mann am Schreibtisch brannte eine schwache Lampe. Laker hatte kaum die Schwelle überschritten, als sich die Tür wieder hinter ihm schloss.

»Setzen Sie sich«, sagte der Alte am anderen Ende des Zimmers.

Grinsend ließ sich Laker drei Schritte entfernt auf einem Stuhl nieder.

»Wann sind Sie gekommen?«

»Heute Morgen, mit der Buluwayo. Ich brauche Geld, und zwar schnell, Malpas.«

»Legen Sie auf den Tisch, was Sie mitgebracht haben«, entgegnete der alte Mann barsch. »Kommen Sie in einer Viertelstunde wieder, dann können Sie sich das Geld holen.«

»Ich will es aber jetzt haben!«, rief der Betrunkene trotzig.

Malpas wandte ihm sein grauenerregendes Gesicht zu.

»Hier gilt nur mein Wille! Sie sind wieder einmal betrunken und benehmen sich danach. Blöder Narr!«

»Ich bin nicht so ein blöder Narr, dass ich noch länger diese Gefahren auf mich nehme! Ihnen bekommt die Sache sicher auch bald schlecht. Sie wissen nicht, wer nebenan wohnt.«

Malpas zog den Schlafrock enger zusammen und kicherte.

»Ich weiß, dass Lacy Marshalt mein Nachbar ist, Sie Dummkopf! Würde ich sonst vielleicht hier wohnen?«

Laker starrte ihn mit offenem Munde an.

 

»Was? Aber er gehört doch zu den Leuten, die Sie ausplündern – wenn er auch ein Verbrecher ist, Sie bestehlen ihn! Warum wollen Sie denn neben ihm wohnen?«

»Das geht Sie nichts an. Legen Sie jetzt den Kram hin, und machen Sie, dass Sie fortkommen!«

»Ich lege nichts hin, und ich gehe auch nicht fort, bis ich alles weiß, Malpas«, erwiderte Laker und stand auf. »Für nichts und wieder nichts sitzen Sie nicht an dem einen Ende dieser dunklen Stube und lassen mich immer am anderen warten. Ich werde Sie jetzt einmal genau betrachten, mein Lieber. Sie sind nicht der, für den Sie sich ausgeben! Rühren Sie sich nicht – Sie können den Revolver in meiner Hand nicht sehen, aber er ist da, verlassen Sie sich darauf!«

Er machte zwei Schritte vorwärts, prallte dann aber zurück. Ein in Brusthöhe quer durch das Zimmer gespannter Draht, der im Dunkeln nicht zu sehen war, hielt ihn auf. Im selben Augenblick ging das Licht aus. Wütend bückte er sich, um unter dem Hindernis wegzukommen, verhakte sich aber gleich darauf mit dem Fuß in einem zweiten Draht, der dicht über den Boden gezogen, war, und fiel hin.

»Machen Sie Licht, Sie alter Halunke!«, schrie er außer sich, als er wieder auf die Beine kam. »Sie nützen mich nur aus – seit Jahren leben Sie von mir, Sie Schurke! Heraus mit dem Geld, oder ich verpfeife Sie bei der Polizei!«

»Das ist das dritte Mal, dass Sie mir drohen!«

Die Stimme ertönte hinter Laker. Rasend fuhr er herum und feuerte. Die mit Stoff bespannten Wände dämpften den Knall, aber beim Aufflammen des Mündungsfeuers sah er die Gestalt, die auf die Tür zu schlich, und drückte noch einmal ab.

»Machen Sie Licht!«, brüllte er wieder, aber schon öffnete sich die Tür, und die Gestalt schlüpfte hinaus. Wenige Sekunden später stand auch Laker auf dem Treppenpodest, aber der alte Mann war verschwunden. Der Betrunkene sah eine andere Tür, warf sich dagegen und rief wild nach Malpas. Er erhielt keine Antwort. Plötzlich sah er etwas auf dem Boden liegen und hob es auf. Es war ein hervorragend gut modelliertes und gefärbtes Wachskinn mit zwei Gummibändern, von denen eins zerrissen war.

Laker lachte laut auf.

»Malpas, ich habe Ihr halbes Gesicht hier! Kommen Sie heraus, sonst trage ich es zur Polizei. Die Leute holen sich dann vielleicht den anderen Teil!«

Als alles stumm blieb, ging er schließlich die Treppe hinunter und versuchte, die Haustür zu öffnen. Aber sie hatte keinen Griff, und das Schlüsselloch war so winzig, dass man nicht hindurchsehen konnte. Fluchend rannte er wieder die Stufen hinauf und hatte fast den ersten Absatz erreicht, als etwas herabfiel. Er schaute nach oben und blickte in das verhasste Gesicht. Auch das schwarze Gewicht sah er noch und versuchte, ihm auszuweichen. Aber eine Sekunde später glitt er wie ein schwerfälliger Klotz die Treppe hinab.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

In der amerikanischen Botschaft fand ein Ball statt, und schon seit einer Stunde brachten zahllose elegante Limousinen die vornehmen Gäste herbei. Aus einem der letzten Wagen stieg ein etwas untersetzter Herr mit jovialem Gesicht aus. Er nickte dem Polizisten freundlich zu, der den Eingang von neugierigen Zuschauern freihielt, und betrat gleich darauf die große Halle.

»Colonel James Bothwell«, sagte er zu dem Diener und ging auf die Empfangsräume zu.

»Verzeihung.«

Ein hübscher Herr in tadellosem Frack nahm seinen Arm und führte ihn in ein kleines Vorzimmer.

Colonel Bothwell zog die Augenbrauen hoch. Er war etwas erstaunt über diese Vertraulichkeit.

»Sie irren sich wohl«, sagte er. »Ich glaube nicht...«

Die grauen Augen des anderen lächelten ihn freundlich an.

»Mein lieber amerikanischer Freund«, begann der Colonel wieder, »Sie täuschen sich bestimmt.«

Der Fremde schüttelte sanft den Kopf.

»Ich irre mich nie, und ich bin, wie Sie sehr gut wissen, Engländer – ebenso wie Sie. Es tut mir leid, mein armer, alter Slick!«

Slick Smith seufzte.

»Sehen Sie her, Captain, ich habe eine Einladung. Und wenn mich mein Botschafter zu sehen wünscht, so geht Sie das vermutlich nichts an.«

Captain Dick Shannon lächelte.

»Er wünscht Sie ja gar nicht zu sehen. Im Gegenteil, es wäre ihm höchst unangenehm, einen so gewandten englischen Dieb in der Nähe von einer Million Dollars in Diamanten zu wissen. Colonel Bothwell vom vierundneunzigsten Kavallerieregiment würde er gewiss gern die Hand drücken, wenn dieser Mann zu Besuch nach London käme, aber den Juwelendieb Slick Smith kann er wirklich nicht gebrauchen!«

»Schade! Den Halsschmuck der Königin von Griechenland hätte ich mir doch zu gern angesehen. Es ist vielleicht die letzte Gelegenheit. Zu meinem Unglück bin ich nämlich mit einem Detektivinstinkt begabt, und Sie dürfen mir glauben, dass die Diamantenkette bereits vorgemerkt ist! Eine sehr geschickte Bande ist dahinter her – Namen nenne ich natürlich nicht.«

»Sind die Leute hier?«, fragte Dick schnell.

»Ich weiß es nicht. Das wollte ich ja selbst feststellen. Ich bin in solchen Dingen wie ein Arzt – sehe gern bei Operationen zu. Man lernt dabei immer etwas Neues, was einem nie einfiele, wenn man immer nur seine eigene Arbeit studierte.«

Dick Shannon überlegte einen Augenblick.

»Warten Sie hier, und lassen Sie das Silber in Frieden«, sagte er dann und ließ Slick allein, der ihm entrüstet nachschaute.

Er drängte sich in den überfüllten Räumen durch die Gäste, bis er von einer freien Stelle aus den Botschafter beobachten konnte. Der Amerikaner sprach mit einer hochgewachsenen, müde aussehenden Dame, zu deren Schutz Dick Shannon in die Gesandtschaft beordert worden war.

An ihrem Hals glänzte eine Kette, die auch bei der leisesten Bewegung strahlend aufblitzte. Der Detektiv sah sich um und winkte unauffällig einen jungen Mann zu sich, der mit einem der Legationssekretäre sprach.

»Steel, Slick Smith ist hier«, flüsterte er ihm zu. »Und er behauptet, dass man versuchen würde, den Schmuck der Königin zu rauben. Sie dürfen sie keine Sekunde aus den Augen lassen. Und sagen Sie irgendeinem Beamten, dass er die Liste der Gäste nachkontrollieren soll. Wenn sich ein Unbefugter findet, bringen Sie ihn zu mir.«

Dann kehrte er zu Slick zurück.

»Warum sind Sie eigentlich gekommen, wenn Sie von diesem Plan wissen?«, fragte er. »Auch wenn Sie nichts damit zu tun haben, werden Sie doch verdächtigt.«

»Das dachte ich mir auch schon. Daher kommt ja auch die Unruhe, die mich seit einer Woche plagt.«

Die Tür nach der Halle stand offen, und die beiden konnten die Nachzügler beobachten, die verspätet eintrafen. Eben kam ein stattlicher Herr von mittleren Jahren vorüber, der von einer auffallend schönen Frau begleitet wurde. Sie waren schon außer Sicht, bevor Dick sie näher betrachten konnte.

»Sieht ganz gut aus«, meinte Slick. »Martin Elton ist übrigens nicht hier. Seine Frau läuft viel mit diesem Lacy herum.«

»Lacy?«

»Ja, der Honourable Lacy Marshalt. Er ist Millionär und ein gerissener, zäher Kerl. Kennen Sie die Dame, Captain?«

Dick nickte. Dora Elton war eine bekannte Persönlichkeit, die bei keiner Veranstaltung der ultramondänen Welt fehlte. Lacy Marshalt kannte er nur dem Namen nach. Er brachte Slick Smith zur Haustür und wartete, bis dieser mit einem Mietwagen davongefahren war. Dann kehrte er in den Ballsaal zurück.

Um ein Uhr brach zu seiner größten Erleichterung die Königin auf und fuhr zu ihrem Hotel am Buckingham Gate zurück, wo sie inkognito abgestiegen war. Neben dem Chauffeur saß ein bewaffneter Detektiv, und Dick zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie ungefährdet ihr Ziel erreichen würde.

Nachdem er sich von dem dankbaren Botschafter verabschiedet hatte, kehrte er nach Scotland Yard zurück. Aber der überaus dichte Nebel ließ nur ein Schneckentempo zu. Als er seinen Wagen nach allerhand Zwischenfällen schließlich in den Hof gesteuert hatte, gab er Auftrag, ihn in die Garage zu bringen.

»Ich gehe lieber zu Fuß nach Hause«, sagte er zu dem diensttuenden Beamten. »Das ist sicherer.«

»Der Inspektor hat nach Ihnen gefragt«, erwiderte der Mann. »Er ist zum Embankment hinuntergegangen. Sie suchen dort nach der Leiche eines Mannes, der heute Abend in den Fluss geworfen wurde.«

»Geworfen?«, wiederholte Dick bestürzt. »Sie meinen wohl, er ist hineingesprungen?«

»Nein. Eine Patrouille der Strompolizei ruderte an der Damm-Mauer entlang, als der Nebel noch nicht so dicht war wie jetzt, und dabei sahen die Leute, wie der Mann aufgehoben und übers Geländer geworfen wurde. Der Sergeant pfiff sofort, aber es war gerade keiner von uns in der Nähe, und so ist der Kerl, der es getan hat, entkommen. Sie suchen jetzt nach der Leiche. Ich sollte es Ihnen mitteilen, wenn Sie kämen, meinte der Inspektor.«

Shannon zögerte keinen Augenblick und machte sich sofort wieder auf den Weg. Mühsam tastete er sich durch den Nebel, bis er mit dem Inspektor zusammenstieß.

»Ein Mord«, sagte der Beamte. »Eben haben sie die Leiche gefunden. Der Mann ist totgeschlagen und dann ins Wasser geworfen worden. Wenn Sie die Stufen herunterkommen, können Sie ihn sehen.«

»Wann ist es denn geschehen?«

»Heute – oder vielmehr gestern Abend gegen neun. Jetzt haben wir gleich zwei.«

Shannon ging hinunter und beugte sich über die dunkle Gestalt, die ein Polizist mit seiner Taschenlampe beleuchtete.

»Er hat nichts bei sich«, meldete der Sergeant, »aber seine Persönlichkeit wird sich leicht feststellen lassen. Er hat eine große Narbe im Gesicht.«

Als Dick mit dem Inspektor nach Scotland Yard zurückkam, herrschte dort fieberhafte Tätigkeit, denn während ihrer Abwesenheit war eine Nachricht eingelaufen, die auch den letzten Reservedetektiv aus dem Bett jagte.

Das Auto der Königin war an der dunkelsten Stelle der Mall überfallen, der Detektiv erschossen und die Diamantkette geraubt worden.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

»Von den Hühnern hat jedes vier Schillinge gebracht«, berichtete die alte Mrs. Graffit und zählte das Geld auf den Tisch.

Audrey Bedford rechnete rasch nach.

»Mit den Möbeln macht das siebenunddreißig Pfund und zehn Schillinge. Reicht also gerade für den Hühnerfuttermann, Ihren Lohn und meine Reise.«

»Eine Kleinigkeit könnten Sie doch noch für mich zulegen«, bat die Frau weinerlich. »Seit Ihre liebe Mutter starb, habe ich Sie betreut und alles für Sie besorgt...«

»Seien Sie ruhig!«, unterbrach sie das junge Mädchen. »Sie haben Ihr Schäfchen bei der Geschichte wirklich ins trockene gebracht. Hühnerzucht lohnt sich nicht und wird sich niemals lohnen, wenn der Generalstabschef einen heimlichen Eierhandel betreibt.«

»Wohin wollen Sie denn?«, fragte Mrs. Graffit, um das Gespräch auf ein weniger gefährliches Thema zu bringen.

»Ich weiß es noch nicht. Vielleicht nach London.«

»Eine fürchterliche Stadt! Nichts als Morde und Diebstähle...«

»Weil Sie gerade von Diebstählen sprechen – was ist denn aus den letzten vier Hühnern geworden?«, erkundigte sich Audrey freundlich.

»Ach – habe ich Ihnen das Geld dafür nicht gegeben? Ich muss es tatsächlich verloren haben.«

»Nun, dann brauchen wir ja nur den Gendarm zu holen, der versteht sich aufs Suchen.«

Mrs. Graffit fand plötzlich das Geld sofort, legte es auf den Tisch und ging dann mürrisch hinaus.

Audrey sah sich in dem Zimmer um. Sie hatte den Sessel verbrannt, in dem ihre Mutter immer mit düsteren Blicken in den schwarzen Kamin gestarrt hatte. Ihren Vater hatte sie nie gesehen. Er musste wohl ein schlechter Mensch gewesen sein. Wenn Audrey als Kind fragte: »Ist er tot, Mutter?«, so antwortete Mrs. Bedford stets: »Hoffentlich!«

Audreys Schwester Dora hatte niemals so unwillkommene Fragen gestellt; aber sie war auch älter und teilte die unbarmherzigen Anschauungen ihrer Mutter.

Nein, dieses Haus barg keine freundlichen Erinnerungen für Audrey, und der Abschied fiel ihr nicht schwer.

Sie war nicht betrübt und auch nicht besonders froh. Vor der Zukunft hatte sie keine Angst, denn sie hatte eine gute Erziehung genossen, viel gelesen, viel nachgedacht und sich an langen Winterabenden mit Stenographie beschäftigt.

»Noch viel Zeit!«, brummte der Omnibuskutscher, als er ihren Koffer in den dunklen, muffigen Wagen warf. »Wenn die blödsinnigen Autos nicht wären, würde ich erst später losfahren. Aber so muss man vorsichtig sein.«

In diesem Augenblick erschien ein Fremder und zog den Hut vor Audrey.

»Verzeihung, Miss Bedford. Mein Name ist Willitt. Könnte ich Sie heute Abend nach Ihrer Rückkehr einmal sprechen?«

»Ich komme nicht mehr zurück.«

»Nicht? Darf ich dann um Ihre Adresse bitten? Es handelt sich um eine sehr wichtige Angelegenheit.«

»Eine Adresse kann ich Ihnen noch nicht geben. Aber wenn Sie mir die Ihre mitteilen, schreibe ich Ihnen.«

Er kritzelte sie auf einen Zettel. Sie nahm ihn, stieg ein und schlug die Wagentür zu. Gleich darauf setzte sich der Omnibus in Bewegung.

An der Ecke von Ledbury Lane ereignete sich ein Unfall. Dick Shannon nahm die Kurve zu knapp und schnitt das eine Omnibusrad glatt ab.

Audrey stand bereits auf der schmutzigen Landstraße, als Dick auf sie zueilte. Auf seinem hübschen Gesicht lag ein reumütiger Ausdruck.

»Es tut mir furchtbar leid! Sie sind doch nicht verletzt?«

Er schätzte sie auf siebzehn Jahre, obwohl sie schon neunzehn zählte. Sie trug billige Konfektionskleidung, war aber sehr schön. Dick fürchtete sich fast davor, ihre Stimme zu hören, denn vermutlich wurden seine Illusionen über dieses schöne Mädchen dann zerstört.

»Nein, ich bin nur etwas erschrocken. Aber nun werde ich meinen Zug nicht mehr erreichen.« Bekümmert schaute sie auf das abgefahrene Rad.

Mit Entzücken hatte er ihrer klaren, reinen Stimme gelauscht. Er hatte sich nicht getäuscht – diese Bettelprinzessin war wirklich eine Dame!

»Sie wollen zum Bahnhof von Barnham?«, fragte er eifrig. »Ich komme durch den Ort – und ich muss dem armen Kutscher doch auch Hilfe schicken.«

»Warum passen Sie nicht auf?« schimpfte der Mann wütend. »Haben Sie vielleicht die Landstraße gepachtet?«

Dick knöpfte seinen Mantel auf und nahm eine Visitenkarte und eine Banknote aus seiner Brieftasche.

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte er und reichte ihm beides. »Ich schicke Ihnen sofort Leute aus Barnham.« Er wandte sich wieder an Audrey. »Wollen Sie sich mir anvertrauen?«

Lächelnd stieg sie ein. Der Kutscher reichte den Koffer in den Wagen, und Dick nahm seinen Platz am Steuer ein.

»Darf ich Sie nicht ganz nach London bringen?«, fragte er, als sich das Auto in Bewegung setzte.

»Danke, ich möchte lieber mit der Bahn fahren. Es ist möglich, dass mich meine Schwester abholt.«

»Sie wohnen hier in der Gegend?«

»Ich hatte eine Geflügelfarm in Fontwell. Aber von Hühnern kann man nicht leben, und ich habe das alte Haus verkauft – oder vielmehr, es hat sich alles in Hypotheken aufgelöst.«

»Wie schön, dass Sie dann eine Schwester haben, die Sie erwartet«, erwiderte er in fast väterlichem Ton, denn sie erschien ihm so jung und schutzbedürftig.

In Barnham stieg er mit ihr aus, brachte ihren kleinen Koffer auf den Bahnsteig und bestand darauf, die Ankunft des Zuges abzuwarten.

»Ihre Schwester wohnt natürlich in London?«

»Ja, in der Curzon Street.«

»Ist sie – ich meine – ist sie dort angestellt?«

»Oh, nein. Sie ist verheiratet. Mrs. Martin Elton.«

Er sah sie bestürzt an. Aber in diesem Augenblick lief der Zug ein, und Dick eilte zu dem Zeitungsstand, um noch ein paar Magazine für sie zu kaufen.

»Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, Mr....? Ich heiße Audrey Bedford.«

»Ich werde es nicht vergessen!«, rief er ihr nach, als sich der Zug schon in Bewegung setzte.

Nachdenklich kehrte er zu seinem Wagen zurück. Mrs. Elton war ihre Schwester, die berüchtigte Verbrecherin, die er seit langem zu fassen suchte!

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

Lacy Marshalt hatte einst als Senator dem Gesetzgebenden Rat von Südafrika angehört und führte seitdem zur größten Belustigung seines Kammerdieners Tonger den Titel Honourable, »der Ehrenwerte«.

An einem trüben Morgen stand er am Fenster und starrte verdrießlich in den Regen hinaus, als Tonger die Post hereinbrachte. Er griff nach einem blauen Umschlag, riss ihn auf und las:

 

Alles in Ordnung. Es geht zu Ende mit ihm.

 

»Schick ihm zwanzig Pfund!«, sagte er und warf Tonger den Brief zu.

»Ob der wirklich aus Matjesfontein kommt?«, meinte der Diener nachdenklich, nachdem er die Mitteilung auch gelesen hatte.

»Hast du den Poststempel nicht gesehen?«

»Hm, ja! Hören Sie mal, Lacy, wer ist eigentlich der Kerl, der nebenan wohnt? Malpas heißt er. Gestern sprach ich mit einem Polizisten, und der sagte, der Kerl müsste nicht richtig im Kopf sein. Wohnt ganz allein und macht alle Hausarbeit selbst. Wer kann das nur sein?«

»Du scheinst ja schon alles zu wissen – was fragst du mich noch?«

»Wenn er es nun wäre?«

»Mach, dass du hinauskommst, du Esel!«, fuhr ihn Marshalt an.

»Der Privatdetektiv, den Sie bestellt haben, wartet draußen«, erwiderte Tonger gleichgültig.

Lacy stieß einen Fluch aus.

»Warum hast du das denn nicht gleich gesagt? Jeden Tag wirst du dümmer. Lass das blöde Grinsen und bring den Mann herein!«

Der schäbig aussehende Detektiv, der hereintrat, überreichte Lacy ein Photo.

»Ich habe sie gefunden und rasch diese Aufnahme von ihr gemacht. Das ist sie – sie heißt Audrey Bedford. Ihre Mutter ist tot – seit fünf Jahren. Aber auch von der habe ich ein Bild – auf einer Gruppenaufnahme.« Er wickelte ein größeres Blatt aus, das ihm Lacy schnell aus der Hand nahm.

»Mein Gott! Ja, gleich als ich das Mädchen sah, hatte ich ein Gefühl...«

»Sie kennen sie also, Mr. Marshalt?«

»Nein! Was treibt sie? Lebt sie allein?«

»Ja, bis jetzt. Aber vor kurzem hat sie ihr Haus verkaufen müssen. Sie soll mittellos sein und ist gestern nach London abgereist.«

»Bildhübsch, nicht wahr?«

»Ja, ungewöhnlich schön. Leider hatte ich das Pech, dass Captain Shannon im Gasthof von Fontwell abstieg, um einen Reifen auszuwechseln.«

»Wer ist Shannon?«

»Ein hohes Tier von Scotland Yard. Aber was ich in Fontwell vorhatte, hab ich ihm nicht verraten. Er hat mich aber fürchterlich ausgeschimpft, weil ich mich für einen Kriminalbeamten ausgegeben hatte.«

Lacy schien kaum zuzuhören.

»Verschaffen Sie mir vor allem Miss Bedfords Adresse, und versuchen Sie, mit ihr bekannt zu werden. Geben Sie sich für einen Geschäftsmann aus – borgen Sie ihr Geld – aber hüten Sie sich, sie ängstlich zu machen!« Er nahm ein paar Banknoten aus seiner Brieftasche und drückte sie dem Mann in die ausgestreckte Hand. »Bringen Sie das Mädel einmal zum Abendessen her«, fügte er leise hinzu.

Der Detektiv machte große Augen und schüttelte den Kopf.

»So was liegt mir nicht«, murmelte er.

»Ich will nur mit ihr sprechen. Sie bekommen fünfhundert.«

»Fünfhundert? Na, ich will sehen...«

Als der Mann gegangen war, trat Lacy ans Fenster.

Er rühmte sich, keine Furcht zu kennen. Rücksichts- und reuelos hatte er Menschenherzen zertreten, um an sein Ziel zu kommen. In drei Erdteilen fluchten Frauen seinem Andenken, brüteten Männer Rache. Er aber fürchtete nichts. Er hasste Dan Torrington und wusste nicht, dass Hass nur aus Furcht entsteht.

 

 

 

Fünftes Kapitel

 

 

Dick begrüßte seinen Assistenten Steel, der in seiner Wohnung auf ihn wartete, mit einer Frage.

»Wissen Sie etwas über Dora Eltons Verwandte?«

»Nein. Hat die denn überhaupt Verwandte?«

»Vielleicht weiß Slick darüber Bescheid. Ich habe ihn zu sechs Uhr herbestellt. Ist übrigens die Leiche identifiziert worden?«

»Nein. Aber nach den Schuhen und dem Tabaksbeutel zu urteilen, kam der Mann aus dem Ausland, wahrscheinlich aus Südafrika. Vielleicht ist er mit der Buluwayo oder der Balmoral Castle angekommen. Haben Sie mit dem Bognor-Mann wegen der Diamantenkette gesprochen?«

»Ja, aber er behauptet, er hätte sich mit Elton verkracht und wüsste nicht, was der vorhätte. Eltons Haus wird doch bewacht, nicht wahr? – Gut. Ich glaube nicht, dass vor heute Abend um dreiviertel neun etwas geschieht. Um diese Zeit wird die Kette die Curzon Street verlassen, und ich werde ihr persönlich nach ihrem Bestimmungsort folgen, weil mir viel daran liegt, das fünfte Mitglied der Bande kennenzulernen. Vermutlich ist es ein Ausländer. Und dann werde ich Dora Elton endlich haben.«

»Denken Sie nicht, dass es Bunny sein könnte?«

»Der hat wohl Mut, aber doch nicht so viel, dass er mit einer gestohlenen Kette durch London spaziert, die von der gesamten Polizei gesucht wird. Das ist nichts für Bunny. Seine Frau wird es versuchen.« Dick sah auf die Uhr. »Vor einer halben Stunde ist sie angekommen. Ich möchte nur wissen...«

In diesem Augenblick erschien Mr. Slick Smith, wie immer sorgfältig gekleidet, selbstbewusst und sorglos. Steel nickte ihm grinsend zu und verließ das Zimmer.

»Schön, dass Sie kommen«, sagte Dick Shannon. »Sie haben recht behalten – der Schmuck ist weg, und Elton ist in die Geschichte verwickelt.«

Slick zog spöttisch die Augenbrauen hoch.

»Wirklich? Nicht zu glauben!«