Das Gespenst von Canterville - Oscar Wilde - E-Book

Das Gespenst von Canterville E-Book

Oscar Wilde

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Beschreibung

Die Erzählung Das Gespenst von Canterville (englisch The Canterville Ghost) des irischen Schriftstellers Oscar Wilde erschien erstmals im Jahr 1887 in der Londoner Zeitschrift The Court and Society Review – sie war das erste erzählerische Werk des Schriftstellers. Als Gesellschaftssatire beginnend, führt der Autor die Erzählung im Stil einer Burleske weiter, um sie romantisch-sentimental ausklingen zu lassen. Wilde selbst bezeichnete die Erzählung als "hylo-idealistische  romantische Erzählung". Der amerikanische Botschafter Hiram B. Otis zieht mit seiner Familie in das Schloss Canterville ein, das er trotz der Warnungen vor einem Gespenst gekauft hat. Bei dem Gespenst handelt es sich um einen Vorfahren der Cantervilles, Sir Simon, der vor etwa 300 Jahren seine Frau umgebracht hat und zur Strafe für diesen Mord nach dem Tod keine Ruhe finden kann. Dieses Familiengespenst soll für zahlreiche Nervenzusammenbrüche oder Todesfälle früherer Besitzer verantwortlich sein.

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Oscar Wilde

Das Gespenst von Canterville

Die Erzählung Das Gespenst von Canterville (englisch The Canterville Ghost) des irischen Schriftstellers Oscar Wilde erschien erstmals im Jahr 1887 in der Londoner Zeitschrift The Court and Society Review – sie war das erste erzählerische Werk des Schriftstellers. Als Gesellschaftssatire beginnend, führt der Autor die Erzählung im Stil einer Burleske weiter, um sie romantisch-sentimental ausklingen zu lassen. Wilde selbst bezeichnete die Erzählung als „hylo-idealistische  romantische Erzählung“.

Der amerikanische Botschafter Hiram B. Otis zieht mit seiner Familie in das Schloss Canterville ein, das er trotz der Warnungen vor einem Gespenst gekauft hat. Bei dem Gespenst handelt es sich um einen Vorfahren der Cantervilles, Sir Simon, der vor etwa 300 Jahren seine Frau umgebracht hat und zur Strafe für diesen Mord nach dem Tod keine Ruhe finden kann. Dieses Familiengespenst soll für zahlreiche Nervenzusammenbrüche oder Todesfälle früherer Besitzer verantwortlich sein.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII

Translated by Franz Blei

 

Kapitel I

Als Mr. Hiram B. Otis, der amerikanische Gesandte, Canterville Chase kaufte, sagte ihm jeder, das sei sehr töricht gehandelt, weil es keinen Zweifel darüber gäbe, dass dort ein Gespenst umgehe. In der Tat hatte es Lord Canterville selbst, ein Mann von geradezu überspitztem Ehrgefühl, für seine Pflicht erachtet, diesen Umstand Mr. Otis gegenüber zu erwähnen, als sie über die Bedingungen verhandelten.

"Wir mo chten selber nicht mehr dort wohnen", sagte Lord Canterville, "seit meine Großtante, die Herzoginwitwe von Bolton, vor Schreck einen Anfall bekam, von dem sie sich nie mehr so recht erholte, weil sich zwei Knochenhände auf ihre Schultern legten, als sie sich zum Dinner ankleidete, und ich fühle mich verpflichtet, Ihnen zu sagen, Mister Otis, dass mehrere lebende Mitglieder meiner Familie das Gespenst gesehen haben sowie auch der Pfarrherr der Gemeinde, Ehrwürden Augustus Dampier, graduiertes Mitglied des King's College in Cambridge. Nachdem der Herzogin jener Unglücksfall zugestoßen war, wollte keiner von der jüngeren Dienerschaft bei uns bleiben, und Lady Canterville fand des Nachts häufig nur wenig Schlaf wegen der mysteriösen Geräusche, die vom Gang und a us der Bibliothek kamen."

"My Lord", erwiderte der Gesandte, "ich übernehme die Einrichtung und das Gespenst zum Taxpreis. Ich komme aus einem modernen Land, wo wir alles haben, was für Geld zu kaufen ist, und angesichts all unserer rührigen jungen Leute, die mit ihrer Unternehmungslust etwas Leben in die Alte Welt bringen und euch eure besten Schauspielerinnen und Primadonnen wegholen, denke ich mir, wenn es so etwas wie ein Gespenst in Europa gibt, dann haben wir es in kürzester Zeit zu Hause in einem uns erer öffentlichen Museen oder als Sehenswürdigkeit einer Wanderschau."

"Ich fürchte, das Gespenst existiert wirkliche, sagte Lord Canterville lächelnd, "wenn es vielleicht auch nicht auf die Angebote Ihrer tüchtigen Impresarien eingegangen ist. Es ist seit drei Jahrhunderten wohlbekannt, genaugenommen seit 1584, und erscheint stets vor dem Tode eines Mitglieds unserer Familie."

"Nun, was das betrifft, macht es der Hausarzt genauso, Lord Canterville. Aber es gibt nichts Derartiges wie Gespenster, Sir, und die Naturgesetze werden sich der britischen Aristokratie zuliebe vermutlich nicht aufheben lassen."

"Sie in Amerika sind gewiss sehr natürlich", antwortete Lord Canterville, der Mr. Otis' letzte Bemerkung nicht ganz verstand, "und wenn es Ihnen nichts ausmac ht, ein Gespenst im Hause zu haben, ist alles in Ordnung. Nur dürfen Sie nicht vergessen, dass ich Sie gewarnt habe."

Wenige Wochen danach war der Kauf abgeschlossen, und gegen Ende der Saison begab sich der Gesandte mit seiner Familie nach Canterville Cha se. Mrs. Otis war als Miss Lucretia R. Tappan, New York West, 53. Straße, eine gefeierte Newyorker Schönheit gewesen und jetzt eine sehr ansehnliche Frau mittleren Alters mit schönen Augen und einem herrlichen Profil. Viele amerikanische Damen geben sich, wenn sie ihr Heimatland verlassen, den Anschein chronischer Unpässlichkeit, weil sie unter dem Eindruck stehen, das gehöre in Europa zur feinen Lebensart; in diesen Irrtum war jedoch Mrs. Otis nie verfallen. Sie besaß eine vortreffliche Konstitution und ein wirklich erstaunliches Maß an Lebensfreude. Unbestritten war sie in vieler Hinsicht durchaus englisch und ein hervorragendes Beispiel für die Tatsache, dass wir heute wahrhaftig alles mit Amerika gemeinsam haben, natürlich mit Ausnahme der Sprache. Ihr ältester Sohn, den die Eltern zu seinem ständigen Kummer in einer Anwandlung von Patriotismus auf den Namen Washington getauft hatten, war ein blonder, recht gut aussehender junger Mann, der sich für die amerikanische Diplomatie befähigt hatte, indem er im Gesellschaftshaus von Newport drei aufeinanderfolgende Sommer lang den Reigen eröffnete und selbst in London als vorzüglicher Tänzer bekannt war. Gardenien und die Pairswürde waren seine einzigen Schwächen. Im übrigen war er ungemein vernünftig. Miss Virginia E. Otis war ein kleines Mädchen von fünfzehn Jahren, biegsam und liebreizend wie ein Rehkälbchen und mit einem schönen Freimut in den großen blauen Augen. Sie war eine bewundernswerte Amazone und hatte eines Tages auf ihrem Pony ein Wettreiten mit dem alten Lord Bilton veranstaltet, das zweimal rund um den Park führte und das sie genau vor der Achillesstatue mit anderthalb Längen gewann - zur ungeheuren Begeisterung des jungen Herzogs von Cheshire, der ihr auf der Stelle einen Heiratsantrag machte und noch am selben Abend, in Tränen schwimmend, von seinen Vormündern nach Eton zurückgeschickt wurde. Nach Virginia kamen die Zwillinge, gewöhnlich›das Sternenbanner‹ genannt, da sie ständig verbleut wurden und rote Striemen hatten. Sie waren reizende Buben und, abgesehen von dem trefflichen Gesandten, die einzigen wahren Republikaner in der Familie.

Da Canterville Chase sieben Meilen von Ascot, der nächsten Eisenbahnstation, entfernt liegt, hatte Mr. Otis nach einem Break telegraphiert, sie abzuholen, und frohgelaunt traten sie die Fahrt an. Es war ein wunderschöner Juliabend und die Luft erfüllt von dem köstlichen Wohlgeruch der Fichtenwälder. Hin und wieder hörten sie eine Holztaube, die über ihre eigene liebliche Stimme nachsann, oder sahen tief in dem rasche lnden Farnkraut die brünierte Brust des Fasans. Kleine Eichhörnchen guckten von den Rotbuchen auf die Vorbeifahrenden, und die Kaninchen flohen, die weiße Blume in die Luft gereckt, durch das Dickicht und über die moosigen Hügel. Doch als der Wagen in die Allee von Canterville Chase einbog, wurde der Himmel plötzlich von Wolken verdunkelt, und eine seltsame Lautlosigkeit schien die Luft stillstehen zu lassen; ein großer Schwarm Krähen glitt unhörbar über die Köpfe hinweg, und ehe sie das Haus erreichten, waren schon ein paar dicke Regentropfen gefallen.