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Richard von Volkmann, der für sich das Pseudonym Richard Leander wählte, schrieb liebevoll ausgeschmückte Märchen, die er unter dem Titel "Träumereien an französischen Kaminen" veröffentlichte. In dieser Märchenbuchausgabe finden sich die Geschichten: Goldtöchterchen Von der Königin, die keine Pfeffernüsse backen konnte ... Der Wunschring Der alte Koffer Der verrostete Ritter Das Klapperstorch-Märchen und viele andere. Die Geschichten wurden an die aktuelle Rechtschreibung angepasst.
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Seitenzahl: 158
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Der Wunschring
Ein alter Herr, der viel reiste, besaß einen Koffer. Schön war der Koffer nicht, sondern grundhässlich; denn er war mit struppigem Seehundsfell überzogen und hatte eiserne Bänder und Ecken. In dem Fell aber waren schon oft die Motten gewesen, und das eiserne Beschläge war stark verrostet, hatte auch mit der Zeit manchen Buckel und manche Schmarre bekommen.
„Der kann was vertragen“, sagten die Kofferträger, wenn sie ihn aus dem Wagen hoben. Bums! warfen sie ihn hin, dass es krachte. Das war nun gerade nicht dazu angetan, die ohnedies schon üble Laune des alten Koffers zu mildern. Mit seinen eisernen Ecken stieß und knuffte er jeden, der ihm in den Weg kam. „Ihr braucht mir ja nicht zu nahe kommen“, brummte er, wenn die andern Koffer, mit denen er zusammen reiste, sich darüber beklagten. „Ihr wollt euch doch bloß ansehen, wie struppig ich bin.“
Aber der Herr, dem der Koffer gehörte, war ein Sonderling. Wenn er zu Haus war, musste der Koffer stets in seiner Stube unter dem vergoldeten Spiegel stehen, obgleich es recht komisch aussah: der alte, hässliche Koffer in der sonst ganz hübschen, gemütlichen Stube. Und wenn er reiste und irgendwo einkehrte, war es stets das Erste, dass er sich den Koffer bringen und neben sein Bett stellen ließ.
„Es wird wohl Geld im Koffer sein!“, meinten die Leute, „weil er ihn gar nicht aus den Augen lässt.“
Doch in diesem Punkte waren sie völlig auf dem Holzwege. Etwas darin war schon; aber Geld? Nein, Geld am allerwenigsten!
War nun der alte Herr ganz allein in der Stube, so drückte er auf eine geheime Feder. Schwupp! sprang der Koffer auf, und was war darin? Ein vollständig verschlossener, prachtvoller Kasten mit rotem Samt beschlagen und mit goldenen Tressen und Schnüren besetzt.
Sobald jemand anderes in die Stube eintrat, schnapp! schlug der Deckel zu.
Doch das Dienstmädchen des alten Herrn war sehr schlau. Einmal ließ sie die Schuhe vor der Türe stehen und schlich ganz leise in Strümpfen bis an den Koffer hin, der gerade offenstand.
Sie war schon ganz dicht daneben, und als sie es so rot und golden im Koffer blinken sah, vergaß sie sich und rief: „Herrgott, der alte Koffer ist ja wohl inwendig ganz hübsch!“ Da merkte der Koffer, dass jemand Fremdes da sei. Schnapp! schlug er mit Gewalt zu und hätte ihr beinahe den Finger abgeklemmt; denn sie wollte eben hineingreifen, um sich zu überzeugen, ob es wirklich Samt und weich wäre.
„Pfui!“, sagte sie erschrocken, „was ist das für ein alter, garstiger Koffer; mit dem darf man sich gar nicht einlassen!“ Wenn sie später jemand nach dem Koffer fragte, mit dem der Herr so geheim tue, und ob nicht irgend etwas Besonderes daran sei, erwiderte sie, es sei gar nichts an dem alten Koffer und darin noch weniger. Jeder Mensch habe seine Eigenheiten, besonders was alte, unverheiratete Leute seien. Ihr Herr habe nun einmal sein Herz an den alten struppigen Koffer gehängt; weiter sei es nichts.
Aber es war doch etwas Besonderes in dem Koffer. Denn zuweilen riegelte der alte Herr vorsichtig sämtliche Zimmertüren zu, drückte auf die geheime Feder, sodass der Deckel aufsprang, horchte dann noch einmal, ob alles draußen still wäre, und wenn er niemanden hörte, hob er den roten Samtkasten aus dem Koffer heraus und setzte ihn vor sich auf den Tisch. Darauf drückte er auf eine zweite verborgene Feder am Kasten, und der rote Samtdeckel sprang auch auf.
Und was war darin?
Unglaublich, aber wahr! Eine ganz niedliche kleine Märchenprinzessin mit zwei langen Zöpfen hinten herunter und roten Hackenschuhen. Sie sprang auch sofort mit gleichen Beinen aus dem Kasten heraus, setzte sich darauf und ließ die Beine baumeln – und das machte sie so reizend – und fing dann an, die allerhübschesten Märchen zu erzählen.
Und der alte Herr saß im Lehnstuhl und hörte ihr aufmerksam zu. –
Eines Tages, als sie eben mit Erzählen fertig war, sagte sie: „Ich habe dir nun schon so viele hübsche Märchen erzählt; ich glaube, du vergisst sie immer wieder. Kannst du sie nicht aufschreiben?“
„O ja“, antwortete der alte Herr, „aufschreiben könnte ich sie schon, wenigstens so einigermaßen und freilich bei Weitem nicht so hübsch, als du sie erzählst; aber es darf niemand wissen, woher ich sie weiß, und besonders nicht, dass du in dem alten Koffer steckst. Denn ich muss dich ganz allein haben. Sonst kommen gleich alle Leute und wollen dich besehen und tapsen dich mit ihren ungeschickten Fingern an. Der Samt am Kasten würde auch bald schlecht werden.“
„Nein, um Gottes willen!“, entgegnete die kleine Märchenprinzessin. „Aber wundern würden sich die Leute doch, wenn sie wüssten, wer in dem alten Koffer steckt.“
Und dann lachte sie.
„Still!“, sagte auf einmal der alte Herr, „es klopft jemand an der Türe. Kriech rasch wieder in den Kasten.“ Sodann trug er eilig den Kasten in den Koffer. Schnapp! schlug der Deckel mit Seehundsfell zu, und als das Dienstmädchen – denn sie war es – hereinkam und den Tee brachte, stand der alte Koffer wieder ganz mürrisch und struppig unter dem Spiegel. Als sie an ihm vorbeiging, gab sie ihm heimlich, und ohne dass der alte Herr es merkte, einen Fußtritt und murmelte: „Alter garstiger Koffer, gestern hast du mir beinahe den Finger abgeklemmt.“
Ein junger Bauer, mit dem es in der Wirtschaft nicht recht vorwärtsgehen wollte, saß auf seinem Pfluge und ruhte einen Augenblick aus, um sich den Schweiß vom Angesichte zu wischen. Da kam eine alte Hexe vorbeigeschlichen und rief ihm zu: „Was plagst du dich und bringst's doch zu nichts? Geh zwei Tage lang geradeaus, bis du an eine große Tanne kommst, die frei im Walde steht und alle anderen Bäume überragt. Wenn du sie umschlägst, ist dein Glück gemacht.“
Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm sein Beil und machte sich auf den Weg. Nach zwei Tagen fand er die Tanne. Er ging sofort daran, sie zu fällen, und in dem Augenblicke, wo sie umstürzte und mit Gewalt auf den Boden schlug, fiel aus ihrem höchsten Wipfel ein Nest mit zwei Eiern heraus. Die Eier rollten auf den Boden und zerbrachen, und wie sie zerbrachen, kam aus dem einen Ei ein junger Adler heraus, und aus dem anderen fiel ein kleiner goldener Ring. Der Adler wuchs zusehends, bis er wohl halbe Manneshöhe hatte, schüttelte seine Flügel, als wollte er sie probieren, erhob sich etwas über die Erde und rief dann:
„Du hast mich erlöst! Nimm zum Dank den Ring, der in dem anderen Ei gewesen ist! Es ist ein Wunschring. Wen du ihn am Finger umdrehst und dabei einen Wunsch aussprichst, wird er alsbald in Erfüllung gehen. Aber es ist nur ein einziger Wunsch im Ring. Ist der getan, so hat der Ring alle weitere Kraft verloren und ist nur wie ein gewöhnlicher Ring. Darum überlege dir wohl, was du dir wünschst, auf dass es dich nicht nachher gereue.“
Darauf hob sich der Adler hoch in die Luft, schwebte lange noch in großen Kreisen über dem Haupte des Bauern und schoss dann wie ein Pfeil nach Morgen.
Der Bauer nahm den Ring, steckte ihn an den Finger und begab sich auf den Heimweg. Als es Abend war, langte er in einer Stadt an; da stand der Goldschmied im Laden und hatte viele köstliche Ringe feil. Da zeigte ihm der Bauer seinen Ring und fragte ihn, was er wohl wert wäre. „Einen Pappenstiel!“ versetzte der Goldschmied. Da lachte der Bauer laut auf und erzählte ihm, dass es ein Wunschring sei und mehr wert als alle Ringe zusammen, die jener feilhielte. Doch der Goldschmied war ein falscher, ränkevoller Mann. Er lud den Bauer ein, über Nacht bei ihm zu bleiben, und sagte: „Einen Mann wie dich, mit solchem Kleinode zu beherbergen, bringt Glück; bleibe bei mir!“ Er bewirtete ihn aufs Schönste mit Wein und glatten Worten, und als er nachts schlief, zog er ihm unbemerkt den Ring vom Finger und steckte ihm stattdessen einen ganz gleichen, gewöhnlichen Ring an.
Am nächsten Morgen konnte es der Goldschmied kaum erwarten, dass der Bauer aufbräche. Er weckte ihn schon in der frühesten Morgenstunde und sprach: „Du hast noch einen weiten Weg vor dir. Es ist besser, wenn du dich früh aufmachst.“
Sobald der Bauer fort war, ging er eiligst in seine Stube, schloss die Läden, damit niemand etwas sähe, riegelte dann auch noch die Tür hinter sich zu, stellte sich mitten in die Stube, drehte den Ring um und rief: „Ich will gleich hunderttausend Taler haben.“
Kaum hatte er dies gesprochen, so fing es an, Taler zu regnen, harte, blanke Taler, als wenn es mit Mulden gösse, und die Taler schlugen ihm auf den Kopf, Schultern und Arme. Er fing an, kläglich zu schreien, und wollte zur Türe springen, doch ehe er sie erreichen und aufriegeln konnte, stürzte er, am ganzen Leibe blutend, zu Boden. Aber das Talerregnen nahm kein Ende, und bald brach von der Last die Diele zusammen, und der Goldschmied mitsamt dem Gelde stürzte in den tiefen Keller. Darauf regnete es immer weiter, bis die hunderttausend voll waren, und zuletzt lag der Goldschmied tot im Keller und auf ihm das viele Geld. Von dem Lärm kamen die Nachbarn herbeigeeilt, und als sie den Goldschmied tot unter dem Gelde liegen fanden, sprachen sie: „Es ist doch ein großes Unglück, wenn der Segen so knüppeldick kommt.“ Darauf kamen auch die Erben und teilten.
Unterdes ging der Bauer vergnügt nach Hause und zeigte seiner Frau den Ring. „Nun kann es uns gar nicht fehlen, liebe Frau“, sagte er. „Unser Glück ist gemacht. Wir wollen uns nur recht überlegen, was wir uns wünschen wollen.“
Doch die Frau wusste gleich guten Rat. „Was meinst du“, sagte sie, „wenn wir uns noch etwas Acker wünschten? Wir haben gar so wenig. Da reicht so ein Zwickel gerade zwischen unsere Äcker hinein; den wollen wir uns wünschen.“
„Das wäre der Mühe wert“, erwiderte der Mann. „Wenn wir ein Jahr lang tüchtig arbeiten und etwas Glück haben, könnten wir ihn uns vielleicht kaufen.“ Darauf arbeiteten Mann und Frau ein Jahr lang mit aller Anstrengung, und bei der Ernte hatte es noch nie so geschüttet wie dieses Mal, sodass sie den Zwickel kaufen konnten und noch ein Stück Geld übrig blieb. „Siehst du!“, sagte der Mann, „wir haben den Zwickel, und der Wunsch ist immer noch frei.“
Da meinte die Frau, es wäre wohl gut, wenn sie sich noch eine Kuh wünschten und ein Pferd dazu. „Frau“, entgegnete abermals der Mann, indem er mit dem übrig gebliebenen Gelde in der Hosentasche klapperte, „was wollen wir wegen solch einer Lumperei unsern Wunsch vergeben. Die Kuh und das Pferd kriegen wir auch so.“
Und richtig, nach abermals einem Jahr waren die Kuh und das Pferd reichliche verdient. Da rieb sich der Mann vergnügt die Hände und sagte: „Wieder ein Jahr den Wunsch gespart und doch alles bekommen, was man sich wünschte. Was wir für ein Glück haben!“ Doch die Frau redete ihrem Manne ernsthaft zu, endlich einmal an den Wunsch zu gehen.
„Ich kenne dich gar nicht wieder“, versetzte sie ärgerlich. „Früher hast du immer geklagt und gebarmt und dir alles Mögliche gewünscht, und jetzt, wo du's haben kannst, wie du's willst, plagst und schindest du dich, bist mit allem zufrieden und lässt die schönsten Jahre vergehen. König, Kaiser, Graf, ein großer, dicker Bauer könntest du sein, alle Truhen voll Geld haben – und kannst dich nicht entschließen, was du wählen willst.“
„Lass doch dein ewiges Drängen und Treiben“, erwiderte der Bauer. „Wir sind beide noch jung, und das Leben ist lang.EinWunsch ist nur in dem Ringe, und der ist bald vertan. Wer weiß, was uns noch einmal zustößt, wo wir den Ring brauchen. Fehlt es uns denn an etwas? Sind wir nicht, seit wir den Ring haben, schon so heraufgekommen, dass sich alle Welt wundert? Also sei verständig. Du kannst dir ja mittlerweile immer überlegen, was wir uns wünschen könnten.“
Damit hatte die Sache vorläufig ein Ende. Und es war wirklich so, als wenn mit dem Ringe der volle Segen ins Haus gekommen wäre, denn Scheuern und Kammern wurden von Jahr zu Jahr voller und voller, und nach einer längeren Reihe von Jahren war aus dem kleinen, armen Bauer ein großer, dicker Bauer geworden, der den Tag über mit den Knechten schaffte und arbeitete, als wollte er die ganze Welt verdienen, nach dem Vesper aber behäbig und zufrieden vor der Haustüre saß und sich von den Leuten guten Abend wünschen ließ.
So verging Jahr um Jahr. Dann und wann, wenn sie ganz allein waren und niemand es hörte, erinnerte zwar die Frau ihren Mann immer noch an den Ring und machte ihm allerhand Vorschläge. Da er aber jedes Mal erwiderte, es habe noch vollauf Zeit, und das Beste falle einem stets zuletzt ein, so tat sie es immer seltener, und zuletzt kam es kaum noch vor, dass auch nur von dem Ring gesprochen wurde. Zwar der Bauer selbst drehte den Ring täglich wohl zwanzigmal am Finger um und besah ihn sich, aber er hütete sich, einen Wunsch dabei auszusprechen.
Und dreißig und vierzig Jahre vergingen, und der Bauer und seine Frau waren alt und schneeweiß geworden, der Wunsch aber war immer noch nicht getan. Da erwies ihnen Gott eine Gnade und ließ sie beide in einer Nacht selig sterben.
Kinder und Kindeskinder standen um ihre beiden Särge und weinten, und als eines von ihnen den Ring abziehen und aufheben wollte, sagte der älteste Sohn:
„Lass den Vater seinen Ring mit ins Grab nehmen. Er hat sein Lebtag seine Heimlichkeit mit ihm gehabt. Es ist wohl ein liebes Andenken. Und die Mutter besah sich den Ring auch so oft; am Ende hat sie ihn dem Vater in ihren jungen Tagen geschenkt.“
So wurde denn der alte Bauer mit dem Ringe begraben, der ein Wunschring sein sollte und keiner war, und doch so viel Glück ins Haus gebracht hatte, als ein Mensch sich nur wünschen kann. Denn es ist eine eigene Sache mit dem, was richtig und was falsch ist; und schlecht Ding in guter Hand ist immer noch viel mehr wert als gut Ding in schlechter.
Hundert Jahre oder mehr ist's wohl her, dass der Blitz in sie einschlug und sie von oben bis unten auseinander spellte, und ebenso lange schon geht der Pflug über die Stätte; früher aber stand einige Hundert Schritte vor dem ersten Hause des Dorfes auf dem grünen Rasenhügel eine alte mächtige Buche; so ein Baum, wie jetzt gar keine mehr wachsen, weil Tiere und Menschen, Pflanzen und Bäume immer kleiner und erbärmlicher werden. Die Bauern sagten, sie stamme noch aus der Heidenzeit und ein heiliger Apostel sei unter ihr von den falschen Heiden erschlagen worden. Da hätten die Wurzeln des Baumes Apostelblut getrunken, und wie es ihm in den Stamm und in die Äste gefahren, sei er davon so groß und kräftig geworden. Wer weiß, ob's wahr ist? Eine eigene Bewandtnis aber hatte es mit dem Baum; das wusste jeder, Klein und Groβ im Dorf. Wer unter ihm einschlief und träumte, des Traum ging unabweislich in Erfüllung. Deshalb hieß er schon seit undenklichen Zeiten die Traumbuche, und niemand nannte ihn anders. Eine besondere Bedingung war jedoch dabei: wer sich zum Schlaf legte unter die Traumbuche, durfte nicht daran denken, was er wohl träumen würde. Tat er es doch, so träumte er nichts wie Krimskrams und verworrenes Zeug, aus dem kein vernünftiger Mensch klug werden konnte. Das war nun allerdings eine sehr schwere Bedingung, weil die meisten Menschen viel zu neugierig sind, und so misslang es denn auch den allermeisten, die es versuchten; und zu der Zeit, wo die folgende Geschichte sich zutrug, war im Dorf wohl kein einziger, weder Mann noch Weib, dem's auch nur ein einziges Mal gelungen wäre. Aber seine Richtigkeit hatte es mit der Traumbuche, das war sicher. –