Das Haus über dem See - Franz Braumann - E-Book

Das Haus über dem See E-Book

Franz Braumann

0,0
16,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Stolz lenkt Martin, Angela, seine Braut, an seiner Seite, das Hochzeitsgefährt auf sein Gut Gotteswinden zu, das mächtig über die Niedern und Waldgürtel hinwegschaut. Sein Vater hatte das Gehöft, auf dem ein alter Fluch lasten sollte, mit List erworben, als es die Bauern des Dorfes zusammen ersteigern und es dann aufteilen wollten, und die Arbeit des alten Bauern hatte allen Unsegen vertrieben. Angela, der jungen Bäuerin, fällt das Eingewöhnen zunächst nicht leicht, aber bald geht sie ganz in ihrer Arbeit auf. Ja, ihr kommt allmählich die ganze Verantwortung für Haus und Hof zu, denn Martin, der Bauer, hat große Pläne, die ihn immer länger von seiner Familie fernhalten. Er hat sich auf den Pferdehandel verlegt, der mehr abwirft als die Bauernarbeit, und steigt auch gleich, als sich ihm eine Gelegenheit bietet, in ein großes Grundstücksgeschäft ein. Hier aber spielt er zu hoch...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 1978

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Schutzumschlag: Günther Herdin, Rosenheim

Foto: Robert Löbl, Bad Tölz

eISBN 978-3-475-54723-2 (epub)

Worum geht es im Buch?

Franz Braumann

Das Haus über dem See

Stolz lenkt Martin, Angela, seine Braut, an der Seite, das Hochzeitsgefährt auf sein Gut Gotteswinden zu, das mächtig über die Niedern und Waldgürtel hinwegschaut. Sein Vater hatte das Gehöft, auf dem ein alter Fluch lasten sollte, mit List erworben, als es die Bauern des Dorfes zusammen ersteigern und es dann aufteilen wollten, und die Arbeit des alten Bauern hatte allen Unsegen vertrieben. Angela, der jungen Bäuerin, fällt das Eingewöhnen zunächst nicht leicht, aber bald geht sie ganz in ihrer Arbeit auf. Ja, ihr kommt allmählich die ganze Verantwortung für Haus und Hof zu, denn Martin, der Bauer, hat große Pläne, die ihn immer länger von seiner Familie fernhalten. Er hat sich auf den Pferdehandel verlegt, der mehr abwirft als die Bauernarbeit, und steigt auch gleich, als sich ihm eine Gelegenheit bietet, in ein großes Grundstücksgeschäft ein. Hier aber spielt er zu hoch …

I

Das Hochzeitsgefährt erreichte die schlanken Stämme des Buchenwaldes. Da hielt Martin Hochrainer, der junge Bauer von Gotteswinden, die Rappen an. Die Rosse spürten schon die Nähe des Stalles und verhielten nur zögernd und unruhig tänzelnd, daß die in Mähne und Schwanzhaar eingeflochtenen Hochzeitsbüschel knisterten.

Ein leiser Wind strich durch die Maikühle des Abends, das junge Geblätter hob sich mattsilbern, und im Osten des weitgespannten Himmels funkelten die ersten Sterne auf. Das Hochzeitspaar aber wandte sich lauschend gegen die Niedern hinab, wo vom Dorf herauf verloren und leise die Klänge eines Ländlers herwehten.

Angela, die junge Bäuerin, lächelte. »Sie tanzen immer noch im Dorf unten, und das Hochzeitspaar geht ihnen dabei gar nicht ab!«

Der Bauer hielt unverwandt die Zügel straff, während er sich näher zu seinem Weib hinüberbeugte.

»Ach, der Hochzeitstag und der Tanz, Angela, das war nur für die anderen Leute, für die Verwandtschaft und für das Dorf – unsere Hochzeit, die fängt erst an und dauert länger – ein ganzes Leben lang?«

Angela, die Bäuerin, spürte einen leichten Weingeruch von ihrem Mann herüberwehen; es war wohl der Wein, der jetzt seine dunklen Augen noch feuriger glänzen machte und sein immer schon hochgestimmtes Blut befeuerte.

»Ein ganzes Leben lang —!« flüsterte sie gegen den leise ziehenden, mit verwehter Musik erfüllten Wind hinaus. Sie wandte das Gesicht aufwärts und suchte den Ort, auf dem sich nun ihr ferneres Leben erfüllen sollte. Aber das breitgelagerte, hoch und stolz über die Niedern und den Waldgürtel hinwegschauende Gehöft zu Gotteswinden war verdeckt durch den Wald, in den schon das wachsende Dämmern stärker hineinsank.

War sie noch erhitzt von den vielen Tänzen des Hochzeitstages und wehte die Luft hier oben plötzlich kühler? – Sie fröstelte auf einmal, daß die Finger leise zitterten.

Der Bauer sah es und lachte übermütig. »Kalt soll dir nicht werden, mein Weib! Dafür bin schon ich da!«

Sie schmiegte sich enger an die hochgewachsene Gestalt ihres Mannes. »Ach du, was soll denn noch werden aus uns? So kann es ja doch nicht weitergehen. Die Leute reden ja schon, daß sich so eine Verliebtheit für Bauersleute nicht schickt. Wenn ich an deine Mutter, die alte Bäuerin, denke –!«

»Hüh, Hengste!« Martin schüttelte nur jäh und unwillig wie seine unruhigen Rosse den Kopf bei ihrer Mahnung. »Was hat dabei auch die Mutter zu tun? Jetzt hast du meinen Namen! Weißt du es noch, was der Geistliche gesagt hat: ›Der Mann wird Vater und Mutter verlassen und dem Weibe anhangen!‹ Und wenn es schon der sagt …!«

Er drückte die schmale Gestalt so ungestüm an sich, daß sich der Ruck auch dem Zügel mitteilte und das Leitpferd scheuend vor dem Zügelriß emporstieg und an den Büschen neben der Straße anstreifte. Die Straße lief an dieser Stelle fast eben, und die Hengste fielen unvermittelt in Trab und Galopp. Der Wagen schleuderte plötzlich gefährlich hin und her, daß der Kutscher lachend Mühe hatte, die Rosse wieder zu beruhigen.

Martin hatte sein Weib losgelassen. Angela lehnte sich furchtsam und doch wieder vertrauend auf ihrem Sitz zurück und schaute schweigend in die zunehmende Dunkelheit unter den Bäumen. Der Bauer hatte sich, straff die Leitzügel haltend, weit vorgebeut, und sie sah von ihm nur den helleren Umriß des Gesichts, die scharfe Nase, das harte Kinn und das überlegene Lächeln in den schmalen Wangen.

So kannte sie Martin schon immer. Sie erinnerte sich plötzlich, daß sie dieser Ausdruck damals, als sie sich zum erstenmal sahen, eher abgestoßen hatte. Es hatte ihr dieser Zug in seinem männlich schönen Gesicht hart und gewalttätig geschienen – wie eine Ahnung spürte sie es aber in diesem Augenblick, daß es vielleicht gerade dies gewesen war, was sie zu ihm hingezogen hatte.

Während der Bauer schweigend sein Gefährt durch die Dunkelheit lenkte, lief vor Angela noch einmal farbig und grell der entschwindende Tag in stummen Bildern ab. Sie sah sich vom Dorf am See, wo sie im letzten Jahr im Dienst gestanden war, mit der geschmückten Hochzeitskutsche abgeholt; zwei Spielleute waren auf dem Vordersitz gesessen und hatten auf dem ganzen Weg bis zum Pfarrort auf Waldhorn und Trompete geblasen, was sie den Instrumenten nur an Tönen und Innigkeit entlocken konnten.

Angela kannte ja alle diese schmerzlich-schönen Weisen von Jugend auf, aber ihre Mutter, die sie im Wagen begleitete, hatte doch auf dem ganzen Weg her weinen müssen. Die Braut hatte immerfort den Leuten gegenüber, die sie auf der Fahrt überholten, starr und wesenlos gelächelt – aber auch ihr ging die Musik nach und nach so seltsam zu Herzen, daß sie sich allmählich gleichsam von außen betrachtete und immer dringlicher fragte: ›Angela, was geschieht mit dir? Angela, was tust du?‹

Im Dorf aber war vor dem alten Einkehrgasthaus aus der Landstraßenzeit diese seltsame Stimmung rasch im Geschmetter eines ganzen Blasorchesters untergegangen. Martin, ihr Bräutigam und Bauer auf Gotteswinden, hatte ihr aus der Kutsche geholfen und hatte ihren Arm fast schmerzlich gepreßt, während er flüsterte: »Schau nicht so traurig in deiner Unschuld, Angela, die Leute glauben es doch nicht, daß du es noch bist!«

Irgendwo war später das Wort »Hochzeitsnacht« gefallen. Sie hatte sich rasch abgewandt und ein jähes, kaltes Gefühl abgeschüttelt – und doch wurde sie jetzt auf einer Welle von Glück unaufhaltsam dieser Nacht entgegen getragen …

Angela Hochrainer, die sie nun war, erschauerte wieder. Diesmal jedoch sah es auch Martin nicht, daß ihr plötzlich zwei große Tränenperlen in den Augen standen.

Sie aber blieb reglos sitzen und ließ sie ohne Hinderung über die Wangen tropfen, während die Bilderfolge des Tages weiter vor ihr heraufglitt: Sie kniete neben Martin vorn auf der roten Betbank vor dem Altar, und der alte Geistliche mit dem weißen Haar tat jede Bewegung und sprach jedes Wort ernst wie bei Abschied und Begräbnis. Sie kannte ihn erst seit einem Jahr, weil sie nicht aus dieser Pfarre stammte, aber den Bräutigam hatte er schon getauft, und später war er sein Katechet in der Schule gewesen. Vielleicht daß es daran lag und daß er deshalb tiefer in die Zukunft der jungen Eheleute blickte, als es diese selber zu tun vermochten.

Aber das Bild glitt vorbei – was neu heraufstieg, waren lachende, laut redende Gesichter, ein Wirbel fremder und bekannter Augen, ein Schwall von Worten und Glückwünschen, daß sie unter ihnen wie unter einer rauschenden Woge fast versank.

Sie hatte sich vorgenommen, dem Wein, der ihr an der Hochzeitstafel von den vielen Gästen immer wieder dargebracht wurde, so wenig wie nur möglich zuzusprechen; zuletzt aber hatte es ihr doch das beste geschienen, wenn sie mit einigen jähen Schlucken die sonderbar jammervolle Stimmung, die sie nach den vielen anzüglichen und gutgemeint grobschlächtigen Worten überwältigen wollte, betäuben konnte.

Martin, der Hochzeiter, war beansprucht von vielen Seiten. Er bemerkte es gar nicht, daß es Angela fast zum Weinen war – die fremdesten Burschen begehrten sie zum Tanz, und es wäre gegen allen Brauch gewesen, wenn sie auch nur einen abgeschlagen hätte.

Da war einer darunter gewesen, den sie vorher nie gesehen hatte. Der hatte sie mitten im Tanz geradeaus gefragt: »Du weinst ja, Hochzeiterin! Ist es so ernst, das Heiraten?« Sie war erschrocken, daß ihre feuchten Augen die jähe Traurigkeit so offenbar machten. »Ach, was du gleich denkst!« hatte sie unter dem Schimmer ihres verschwimmenden Blickes gelächelt, »das wird wohl das Müdsein und die Hitze von dem vielen Tanzen machen!«

Doch die übrigen Hochzeitsgäste kannten weniger Rücksicht. »Ist die Hochzeit nicht bald aus?« hatte sie später einmal zu Martin geflüstert.

Der jedoch war in jener Stunde erfüllt gewesen vom Wein und den Kriegserinnerungen mit Kameraden, die vor kaum einem Jahr mit ihm heimgekommen waren. Das alles hatte sie weit über die enge Beschränkung des einfachen Bauernlebens hinausgehoben, hatte neue Ideen und Anschauungen in ihre Köpfe gepflanzt – was sich entwickeln würde, das wußten sie selber noch nicht.

Aber heute gab es wieder Hochzeit – und dreimal zum Teufel mit aller Bitterkeit, Beschwernis und Bedrückung der Lebensjahre, die ihnen der Krieg genommen hatte! Das Leben war doch stärker als aller Untergang!

Der Hochzeiter hatte auf Angelas Wort nachsichtig gelächelt. »Halt nur aus, Angela, so ein Tag kommt nicht mehr wieder: dein Hochzeitstag! Und daheim – daheim wird es dann schon schöner!«

Ein paar der Freunde hatten schallend gelacht und ihm mit den Augen zugezwinkert – aber soviel war Martin trotz des Weines noch Manns genug, daß er sich jetzt schweigend erhob und mit seinem jungen Weib hinaus auf den Tanzboden ging, wo sie wenigstens im Dahingleiten sprechen konnten, ohne daß ihnen bei jedem Wort jemand zuhörte.

»Bald ist es vorbei, Angela! Dann fahren wir heim – wir zwei ganz allein!« —

Als der Kutscher jetzt mit einem raschen Ruck die Pferde zurückriß, wischten die letzten Bilder vor Angelas Seele hinab.

Martin hob die Hand. »Dort oben steht das Haus – deine neue Heimat!«

Der Wald war zurückgeblieben. Über dem weiten, sanften Bogen des Wiesenhanges erhob sich in der webenden Dunkelheit schwarz und massig ein breiter Dachgiebel. Der dichte Saum der Obstbäume schnitt eine unruhig wogende Linie in den gegen Norden helleren Horizont.

Angela hatte sich von den Erinnerungen wieder gefaßt. Sie tastete nach dem Arm ihres Mannes, als wüßte sie erst jetzt, daß sie von nun an nur zu ihm noch gehörte. »Bäurin sein – wie ich mich freu’!« kam es aus einer kaum mehr faßbaren Tiefe des Glückes herauf.

Dies Wort lag ihr auch noch auf den Lippen, als sie unter den ersten Obstbäumen haltmachten, vom Kutschwagen stiegen und Hand in Hand auf das Gehöft zuschritten. Ein alter Brauch wollte es so, daß die jungen Bauersleute in den Hof schritten und nicht fuhren, auf daß nicht bald eines weggefahren werden mußte aus dem Hause. Angela hielt fest an solchen Gebräuchen, gleich vom ersten Tag an. Martin hatte sich überlegen gedünkt, war ihr aber doch lächelnd vom Wagen gefolgt.

Nur Karoline, die alte Magd, erwartete die Hochzeitsleute zu Hause. Der Knecht und die Jungdirn waren noch einmal am Abend nach der Hausarbeit hinab ins Dorf geeilt, um ja keinen Tanz zu versäumen. Auch im Altenzuhaus nebenan rührte sich nichts. Martins Mutter blieb diese Nacht im Dorf unten bei Bekannten, und der alte Bauer auf Gotteswinden war im letzten Jahr gestorben.

Während Martin die Pferde in den Stall brachte, ließ sich Angela erschöpft auf die Bank vor dem Haus nieder. Die Magd spürte, daß sie nicht mehr vonnöten war und zog sich in ihre Kammer zurück.

Wie still doch die Welt hier oben war! Angela neigte sich vor, und wenn sie den Atem anhielt, konnte sie sogar den Schlag ihres Herzens hören. Drunten im Dorf am See hatten die Brunnen geplätschert, waren auch nachts zuweilen Lastwagen auf der Landstraße vorbeigedröhnt, verlor sich in der Ferne das Rollen eines Eisenbahnzuges. Hier oben in Gotteswinden rauschte nur der dunkle Wald im Wind herauf – sonst aber lag die Welt versunken und verloren in der Niedern unter den dunklen Schleiern der Nacht.

Nur die Sterne funkelten über dem Dunst des Tales hier heroben heißer und unruhiger! Angela verlor sich immer tiefer in dies atmende Blinken und Leuchten.

Sie fuhr unwillkürlich auf, als Martin leise hinter ihr aus dem Hause trat und sie am Arm berührte.

»Magst du nicht hereingehen, Angela, meine Bäurin? Komm!«

Während sie über die Schwelle traten, sprach er leise: »Jetzt ist doch alles dein, wohin du trittst und was du in die Hand nimmst!«

»Wie wird es dir ergehen – mit mir?« fragte sie so leise, wie er gesprochen hatte.

Da verlor sich langsam aller Übermut aus seinem Herzen, das auf einmal ungewöhnlicher und lauter pochte als je seit seinen frühen Kindertagen. Seltsame Bilder stiegen ihm herauf – wie immer, wenn etwas Neues über ihn kam. Plötzlich fühlte er sich wieder lebensjung und unerfahren.

»Und du, Angela – wie wird es dir ergehen – mit mir?«

Sie standen noch eine Weile in der stillen Stube. Martins Gesicht verschwamm vor den Augen Angelas, nur die Hand des Mannes hielt sie fest und sicher.

Erst als die Wanduhr glockendunkel anschlug, erwachten sie aus ihrem Traum. Sie spürten es beide sekundenlang, was das andere dachte – da lächelten sie. Jetzt war es wohl zu spät, noch einmal umzukehren und zurückzulaufen auf dem Weg, der sie aus ihrem Mädchendasein heraufgeführt hatte bis in diese nachtwarme Stube, erkannte Angela mit einem neuen Erschauern. Mit unendlich müdem Gefühl ließ sie sich von Martin an der Hand über die Stiege hinauf führen. Er machte kein Licht auf seinem Gang, eine Tür klinkte auf, dann standen sie in der dunklen Kammer. Nur das Sternenlicht fiel durch die Fenster herein und zeigte die Umrisse von Kasten und Schränken und zwei weißen, aufgeschlagenen Betten. Eine leicht abgestandene Luft lag in dem fest abgeschlossenen Raum – so trat er an ein Fenster und öffnete es weit.

»Komm, Angela«, begann Martin wieder, »von hier oben liegt die ganze Welt vor dir, Erde und Himmel! – Soll ich Licht machen?« Als sie, den Kopf schüttelnd, dies verneinte, wies er mit einer weit ausholenden Bewegung hinaus in die Nacht. »Überall Sterne, oben und unten! Zeig mir’s, wo die Menschenlichter aufhören und die Sterne anfangen!«

Die Menschenlichter und die Sterne!

Angela dachte in diesem Augenblick an die Lichter in ihrem Leben, die sich als menschlich und vergänglich erwiesen hatten, jäh auf flammend und allmählich verlöschend. Und wo schimmerten ihr die ewigen Sterne?

Sie fühlte sich beklommen und kühler werden mit jedem Atemzug. Eine Angst würgte an ihr. Da legte Martin, der Bauer, seinen Arm um ihre Schultern.

»Angela,« beschwor er sie, »was hast du, Angela?«

Sie unterdrückte ein Schluchzen und lächelte in die Dunkelheit hinaus. »Die Lichter und Sterne, meinst du? Unten liegt wohl das Dorf, und da und da sind Häuser – und dort das große Licht – was ist das?«

Die letzten Worte sagte sie rascher und zog den Bauern zu sich herüber. »Das ist eine – eine —«

»Eine Feuerrote!« rief Martin.

Gegen Westen hellte sich der Saum des Jungwaldes plötzlich auf, jäh zuckten darüber rote, lautlos flackernde Flammen empor – dort hinter dem Wald stand ein Haus in Flammen!

»Jesus Maria!« stöhnte Angela. »Und kein Mensch daheim in dieser Nacht! Alles im Dorf unten auf der Hochzeit, auf unserer Hochzeit!«

Der Bauer hatte atemlos hinübergestarrt. »Das ist die Hochroid! Angela, läute die Hausglocke, daß die wenigen wach werden, die daheimgeblieben sind! Ich muß hinüber, gleich!«

Angela wollte noch fragen, da hörte sie ihn schon, zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, die Stiege hinabspringen; die Haustür schlug zu – ein eilender Schritt verhallte in der unheimlich lautlosen Nacht.

Line, die alte Magd, kam aus ihrer Kammer. »Was gibt es, Bäurin?«

»Die Hochroid brennt!« antwortete Angela. »Wo ist die Hausglocke – wir müssen läuten!«

»Ach, mein Gott! Ich hab es ja immer gesagt!« brummte die Magd, als wollte sie Angela einen Verweis geben. Dann aber lief sie über die Stiege hinab und riß an dem Drahtzug der Hausglocke.

Angstvoll wimmerte das helle Glöcklein hinaus in die stille Nacht. Die junge Hochzeiterin war wieder an das Fenster getreten. Der Hochroiderhof lag wohl kaum eine Viertelstunde weit jenseits des Waldes. Jetzt fuhren die Flammen längs des Dachstuhls breit auseinander – wenn die Glocke ein wenig aussetzte, hörte man deutlich das Krachen und Bersten der Holzschindeln. Die Lohe schwoll mächtig in den funkelnden Sternenhimmel.

Angela zog es das Herz zusammen. Niemand daheim in der ganzen Umgebung, der im ersten Augenblick geholfen hätte! Die Hochroiderleute waren als Nachbarn fröhlich unten im Dorf an der Hochzeitstafel gesessen. Natürlich hatten auch die erwachsenen Söhne und Töchter mitgetan beim Tanz. Nur die ganz Alten allein auf der Hochroid – was sollten die anfangen?

Als endlich im Dorf unten die Feuerglocke anschlug, ließ die Magd mit dem Läuten nach. Sie trat zitternd neben die junge Bäuerin. »Mein Gott, mein Gott! Und immer, wenn im Dorf getanzt wird!« nörgelte sie und begann ein halblautes Vaterunser.

»Ich laufe auch hinüber!« entschied sich rasch die Bäuerin.

Aber die Magd faßte sie hart am Arm. »Untersteh dich nur und laß mich allein im ganzen Haus! Weißt du nicht, daß seit dem Krieg immer noch manches Gesindel herumzieht! Wenn es wo brennt, rauben sie ein anderes Haus aus!«

Da standen sie beide, Bäuerin und Magd, im Feuerschein des brennenden Nachbarhauses vor der Tür. Angela wagte sich nun keinen Schritt von hier fort. Sie traten wieder ins Haus, sperrten die Tür ab und saßen noch lange in der Stube beisammen, bis sich Angela endlich erhob und mit bleischweren Beinen hinauf in die jetzt rot erleuchtete Kammer trat.

Als sie sich in das fremde Kissen sinken ließ, fiel ihr das Wort wieder ein, das sie heute schon einigemale hatte hören müssen: »Hochzeitsnacht!«

Sie hatte sich diese anders erträumt. Ein trockenes Schluchzen schüttelte sie; sie vergrub das Gesicht in dem Polster, um nicht die unruhig flackernde Röte an der weißen Wand der Kammer sehen zu müssen …

Martin war wie gehetzt den Weg zurückgelaufen, den er vor kurzer Zeit glücklich und mit vollem Herzen heraufgekommen war. Als er den Wald erreichte, fielen ihm die Worte wieder ein, die er hier zu seinem Weib gesprochen hatte: »Dort steht das Haus – deine Heimat!« – Ach, es gab überhaupt nichts Sicheres auf der Welt! Er warf im Laufen einen raschen und scheuen Blick zurück auf Gotteswinden. Konnte nicht auch auf sein Gut im nächsten Augenblick der rote Hahn fliegen und alles, was er heute besaß, versengen zu Zunder und Asche? Zögernd verlangsamte er seinen Lauf – es war eine sehr unsichere Zeit in diesen Jahren.

Noch tief drinnen im schwarzen Wald brach sich die rote Feuersglut grell an den Stämmen – da gab es keine Wahl. Er rannte weiter unter den stummen Bäumen, an denen dort und da die Lichter hinhuschten, als sprängen Geister von Stamm zu Stamm.

Der Wald war zu Ende. Als der Bauer über den Anger lief, schlug ihm eine erstickend heiße Welle entgegen. Das ganz aus Holz erbaute Haus brannte schon den ganzen Dachfirst entlang; auch aus den oberen Fenstern schlugen bereits Flammen, während aus den zerborstenen Fenstern des gemauerten Stalles dicke Rauchwolken quollen.

Die ganze Stätte erschien ihm seltsam geisterhaft. Kein Mensch rundum, kein Hasten und Schreien – nur die einsam und senkrecht in den schwarzen Himmel aufsteigende Lohe des verzehrenden Feuers.

Wo waren die alten Bauersleute?

Da löste sich ein Schatten von der Stalltür, langsam wurde ein Rind herausgezerrt, das immer wieder in die Geborgenheit des Stalles zurückwollte. Schluchzend trieb und schob die alte Hochroiderin an dem Vieh und hielt sich dabei die Schürze vor den Mund, um dem beißenden Rauch zu widerstehen. Der alte Bauer kam mit einem anderen Rind nach.

Jetzt tauchte Martin vor den alten Leuten auf. »Überlaßt nur mir den Stall, Nachbarn!« keuchte er. »Lauft in die Kammern und holt noch Gewand heraus! Aber auf die Stiege achten!«

Die Hände bebten ihm, als er die Schürze der alten Bäuerin in das Wasser des Viehbarrens stieß und sie vor das Gesicht wickelte, daß nur die Augen frei waren. Die Kühe zerrten an den Ketten; Martin mußte Gewalt anwenden, um sie von den Ringen am Barren zu lösen. Über ihm krachte das Gebälk – wie lange noch, dann konnte die hölzerne Stalldecke durchbrechen. Der Qualm erfüllte dick den Raum, die Kühe steckten die Köpfe zu Boden und rührten sich nicht von der Stelle, weil für sie kein Ausgang zu sehen war.

Endlich war die letzte Kette ausgeklänkt. Martin sprang zurück, schlug die Fenster ein, damit ein Luftzug den Rauch entführte, und schob und zerrte stumm an dem ersten Rind; endlich rannte dieses brüllend durch die Tür ins Freie, und die übrigen folgten wie eine Herde.

Martin lehnte einen Augenblick erschöpft an der Stallmauer. Aber das fressende Feuer ließ ihm keine Zeit. Die Schweine grunzten im Koben, die Hühner flatterten aufgeregt in der großen Lattensteige umher. Er packte die quiekenden Tiere an den Hinterbeinen und schleifte sie aus dem Stall. Er fuhr mit einem Besen die Sitzstange der Hühnersteige entlang, daß das Federvolk hinausflatterte. Da hörte er Stimmen auf dem Hof – als er aus der Tür sprang, umringten ihn etliche Männer.

Sie starrten ihn entgeistert an. An dem weißen, zerknitterten Hochzeitsbüschel aus Wachs an seinem Rockaufschlag erkannten sie ihn sogleich.

»Der Hochzeiter! Wo kommst denn du her?«

Ein jäher Zorn überfiel ihn unvermittelt.

»Schaut, daß ihr ins Haus hineinkommt!« Er hob den Arm, als wollte er sich Platz machen. Die Umstehenden wichen erschreckt und unwirsch zurück. »Oben in den Kammern müssen die Alten sein! Helft ihnen!« brüllte er.

»Hoho, dann bist du ja noch gar nicht ins Ehebett gestiegen!« lachte jetzt ein Knecht derb, während sie nebeneinander in das Haus rannten. Martin spürte den gutmütig teilnahmsvollen Spott, der den rauhen Dienstboten auch in der gefährlichsten Lage nicht verließ, und das beruhigte seinen aufwallenden Zorn wieder. So brummte er den Knecht mit verrauchter Stimme nur an: »Hast du jetzt nichts Wichtigeres zu denken?«

Dann bildeten die Männer eine Kette und retteten aus Kästen und Betten, was sich bei der Glut der aufschießenden Flammen noch bergen ließ. Als der erste Löschwagen aus dem Dorf herauf rasselte, füllte sich rasch die Umgebung mit Helfern und Gaffern.

Es gab nicht viel mehr zu tun, als Waschhaus und Stadel mit Wasser zu übergießen, daß sie nicht auch noch Feuer fingen. Der Dachstuhl des Hauses war nun völlig durchgebrannt, und die glühenden Sparren stürzten zusammen, daß eine Funkenwoge nach allen Seiten stob.

Martin, der junge Bauer aus Gotteswinden, stand plötzlich allein unter den angekohlten Obstbäumen. Als er am Morgen unterhalb des Obstgartens vorbeigefahren war, hatten die breiten Apfelbäume noch in voller Blüte gestanden. Nun starrten die Äste kahl und stumpf in den rot überzuckten Nachthimmel.

Während er an einem Baum lehnte, mußte er wieder an den Abend denken, an die Heimfahrt, an die nachtblinde Kammer – an Angela!

Eine bittere Enttäuschung erfüllte ihn. Jetzt fühlte er, wie rasch jeder Aufschwung von Hochgestimmtheit verfliegen konnte.

Eigentlich brauchte man ihn hier nicht mehr in dieser Nacht; und zu helfen würde es an der Brandstätte in den kommenden Tagen und Wochen für ihn als nächsten Nachbarn noch genug geben.

Er mied die Menschen, als er langsam vom Obstgarten hinüber gegen den Wald schritt. Das Hemd klebte ihm vor Schweiß am Körper, in die Beine sank eine bleierne Müdigkeit.

Daheim fand er alles in tiefer Ruhe. Wie immer griff er unter den Antrittstein nach dem Hausschlüssel, trat ins Haus und hängte den Schlüssel hinter das Fenster. In der Stube zog er erschöpft Rock und Schuhe aus und ging dann schlaftrunken hinüber in die Bubenkammer, die ihn seit der Kindheit beherbergt hatte. Erst als er vor dem unbezogenen Bett in dem kahlen Raum stand, erinnerte er sich, daß er jetzt nicht mehr hier herein gehörte. Er lächelte in das Dunkel hinein.

Als er über die Stiege hinauf in die Ehekammer trat, blieb er in der Tür lauschend stehen. Dort schlief Angela, seine Frau – sollte er sie in dieser späten Stunde noch wecken? Er hörte ihren Atem ruhig und gleichmäßig. Da trat er näher heran und stand eine Weile dunkel wie ein Schatten über ihrem Bett.

Ein heißer Gedanke stieg herauf. Einen Augenblick rang er mit sich selber. Dann schüttelte er den Kopf. Nichts, was vergangen, ließ sich einholen – auch nicht die Hochzeitsnacht!

Langsam wandte sich Martin ab. Es erschien ihm köstlich wie noch nie, nichts anderes mehr zu wollen als nur zu schlafen – schlafen —

II

Angela war jäh erwacht, als sie den Heimgekehrten über die Stiege heraufkommen hörte. Wo befand sie sich jetzt? Sie war aufgefahren und hatte sich horchend auf den Arm gestützt. Dann aber ließ sie sich ins Kissen zurückfallen und stellte sich in der ersten Ratlosigkeit schlafend.

Ihr Herz hatte heiß geklopft, als sich der Mann über sie geneigt hatte; die Augen hielt sie krampfhaft geschlossen. Als er sich langsam entfernte, wollte sie nach ihm greifen – aber sie lag wie gelähmt und regte sich nicht. Bis sie an den ruhigen Atemzügen erkannte, daß Martin eingeschlafen war. Dann löste der Schlaf auch ihre Unruhe wieder …

Der erste Laut, den sie am Morgen vernahm, war ein leises Knarren der Tür, die in den Stall hinausführte. Martin, der Bauer, war dies wohl gewohnt – er wandte sich nur murmelnd auf die andere Seite und schlief weiter.

Angela erhob sich. Fast ohne Laut kleidete sich an, um den Schlafenden nicht zu wecken.

Als sie mit einem seltsam schwindligen Gefühl und leicht fröstelnd über die Stiege hinabschritt, wäre sie am liebsten unbemerkt aus dem Hause weggelaufen. Sie hörte die alte Bäuerin in der Küche am Herd hantieren, die Haustür stand halb angelehnt – da konnte sie es sich nicht versagen und schlüpfte hinaus.

Niemand sah sie, als sie an den Fenstern der Stube vorbei über den Hof gegen den Stadel hinablief. Dort lehnte sich Angela neben dem breiten Holunderstrauch an die rissige, sonnverbrannte Bretterwand. Sogleich fühlte sich die leise Frierende erwärmt. Die Bretter strahlten noch gleichsam die Sonnenwärme des vergangenen Tages aus.

Hier konnte Angela niemand vom Hofe aus sehen, und sie atmete einen Augenblick froher. Das Gut Gotteswinden stand hoch und frei über der breiten Niederung um den See. Die Sonne war schon über den Wäldern im Osten heraufgestiegen, aus dem See hoben sich dünne Nebel wie Fahnen in das Blau, wo sie unmerklich zergingen. Darunter silberte da und dort der breite, leicht bewegte Wasserspiegel auf.

Angela suchte zuerst das Dorf unter den Pappeln gegen den See hin, wo sie im Dienst gestanden hatte. Sie fand es bald, klein und spielerisch hingeduckt unter dem silbrigen Morgenhauch des Talgrundes. Wie oft hatten in der letzten Zeit ihre Augen auf diese Anhöhe mit dem stolzen Hof heraufgeblickt! Nun stand sie hier und wollte, von einem unbestimmten Gefühl angetrieben, wieder dort hinab!

Sie wollen wissen, wie es weitergeht?Dann laden Sie sich noch heute das komplette E-Book herunter!

Besuchen Sie uns im Internet:www.rosenheimer.com