Das Haus Zamis 069 - Wolfsmond - Michael Marcus Thurner - E-Book

Das Haus Zamis 069 - Wolfsmond E-Book

Michael Marcus-Thurner

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Beschreibung

Um neue Verbündete zu gewinnen, schickt Michael Zamis seine Töchter Coco und Juna nach Norwegen. Allerdings ist Johan Nygård, das Oberhaupt einer mächtigen Hexersippe, nicht sehr angetan von dem Gedanken, einen Pakt mit den Zamis zu schließen. Nygård verlangt eine Gegenleistung – von Michael Zamis. Als Coco erfährt, welche Absprache ihr Vater und Johan Nygård getroffen haben, ist es bereits zu spät …

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Seitenzahl: 239

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Wolfsmond

 

Band 69

 

Wolfsmond

 

von Michael Marcus Thurner und Madeleine Puljic

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

Impressum

 

© Zaubermond Verlag 2024

© »Das Haus Zamis – Dämonenkiller«

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis
Wolfsmond
Impressum
Was bisher geschah:
Erstes Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Zweites Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Vorschau

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Schwarzen Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert.

Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter.

In ihrer Halbschwester Juna findet Coco eine Gleichgesinnte: Auch Juna stößt das Treiben der Dämonen eher ab.

Unterdessen schart ein mächtiger Dämon weltweit Jünger um sich: Abraxas. Niemand weiß, was genau er bezweckt, doch selbst Asmodi, der amtierende Fürst der Finsternis, sieht in ihn einen gefährlichen Gegenspieler. Abraxas bedient sich in Wien eines treuen Vasallen: Monsignore Tatkammer.

Coco verlässt Wien. Unterwegs erreicht Coco der Todesimpuls ihrer Geschwister – Adalmar und auch Lydia werden Opfer von Tatkammers Intrigen.

Nun ist Coco gefragt, ihren Eltern beizustehen und den Tod der Geschwister zu rächen.

In Wien kommt es zum Showdown. Mit Abraxas’ Macht im Rücken gelingt es Tatkammer, Coco wie eine Marionette zu benutzen und sie zu zwingen, ihr Elternhaus, die Villa Zamis, in Brand zu setzen. Ihre Eltern Thekla und Michael Zamis kommen in den magischen Flammen um. Auch ihr Bruder Georg und Juna befinden sich zu dem Zeitpunkt in der Villa. Ob sich die beiden haben retten können, ist nicht bekannt, jedenfalls sind sie spurlos verschwunden.

Schwer verletzt erwacht Coco in einem Krankenhaus. Sie wird von dämonischen Schwestern und Ärzten gesund gepflegt und wohnt schließlich der Beerdigung ihrer Eltern bei, deren Seelen in einem Scheingrab auf einem Friedhof, der sich in einer anderen Dimension befindet, beigesetzt werden.

Wien ist nun in Abraxas’ Hand. Wie überall immer mehr Mitglieder der Schwarzen Familie zu Abraxas überlaufen.

Coco hat von allem genug. Sie will nur noch ihren Frieden.

Sie setzt sich in einen Zug und fährt einem unbekannten Ziel entgegen …

Als der Zug auf offener Strecke hält und sie verwirrt aussteigt, entbrennt ein tödlicher Kampf. Coco stirbt – und erwacht wieder zum Leben. Ein geheimnisvoller Fremder, der sich Guardian nennt, erklärt ihr, dass es sich um eine Prüfung handelte. Da sie sie nicht bestanden habe, müsse sie weitere zu meistern versuchen. Dahinter steckt das geheimnisvolle Hohe Gremium, für das nach eigenen Angaben weder Gut noch Böse existiert und das allein dafür sorgt, dass das Gleichgewicht gewahrt bleibt.

Coco besteht auch die nachfolgenden Prüfungen nicht. Sie wird auf den Dämonenfriedhof verbannt. Dort, so teilt ihr Guardian mit, wird sie so lange bleiben müssen, bis das Hohe Gremium endgültig über ihr Schicksal entschieden hat.

Zunächst kann Coco entkommen, doch wieder gerät sie in die Fänge des Gremiums. Georg und Juna konnten dem von Coco gelegten Feuer entfliehen. Mit Guardians Hilfe gelingt es Georg, Coco zu befreien.

Guardian benutzt fortan Coco für seine eigenen Zwecke. Letztlich aber gibt er sie frei.

Voller Hass planen die vereinten Zamis, Abraxas endlich zu vernichten, was ihnen am Ende gelingt. Auch die Villa Zamis entsteht auf magische Weise neu. Aber da wäre noch ein Wermutstropfen: Thekla und Michael Zamis’ Körper sind zu golemartigen Gestalten mutiert …

Erstes Buch

 

Wolfsmond

 

von Michael Marcus Thurner

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

Ich hatte ein Café in Wien.

Ich hatte Freunde, aber noch viel mehr Feinde. Ich hatte Geliebte. Ich hatte Brüder und Schwestern, die längst tot sind.

Manchmal glaube ich, mein Schicksal gleicht dem meiner Halbschwester Juna: Immer, wenn sie sich etwas wünscht, geht es in Erfüllung. Aber der Preis dafür ist hoch. Das letzte Mal verlor sie durch die Erfüllung ihres Wunsches die Zuneigung meines Bruders Georg.

Auch ich habe mir zeitlebens etwas gewünscht: dass die Welt weniger schlecht ist, als wir Dämonen es gerne hätten. Mit dem Café Zamis glaubte ich, etwas Neues geschaffen zu haben: einen Ort der Neutralität, einen Ort der Begegnung zwischen Menschen und Dämonen.

Wie naiv ich doch gewesen war! Das Café ist ebenso vernichtet wie meine Träume.

Also ähnle ich Juna: Wann immer ich das Gute wünschte, erwuchs daraus etwas viel Schrecklicheres.

Wie oft bin ich aus Wien geflohen, habe meine dämonische Familie hinter mir gelassen – und bin dann doch wieder in ihren Schoß zurückgekrochen.

Die großen Schlachten sind geschlagen, alles ist wieder so wie früher.

Fast.

Denn weitere Tote pflastern unseren Pfad des ewigen Kampfes: Lydia, Adalmar …

Und ich bin wieder hier, in der Villa Zamis. Bei meiner Familie beziehungsweise dem, was davon übriggeblieben ist.

Ja, ich hatte Träume, und ich hatte ein Café in Wien …

 

Kapitel 1

 

Burschi lehnte sich wieder mal viel zu weit in die Kurve, trotz regennasser Straße. Fiona spürte ihr Herz unter der Lederkombi klopfen, stark und deutlich. Scheiße, sie wollte nicht sterben, nicht hier, nicht in diesem Drecksland mit seinem Dreckswetter und den immer mürrischen Menschen.

Sie meinte, Burschi lachen zu hören, als er sein Bike wieder aufrichtete. Er genoss die Fahrt und das Risiko. Er war ein Adrenalin-Junkie. Warum war sie bloß mit ihm auf diese Reise mitgekommen?

Weil du eine dumme, impulsive Gans bist, sagte sie sich und atmete erleichtert durch, als Burschi die Maschine nach einer lang gezogenen Kurvenkombination endlich wieder stabilisierte und sie immer noch am Leben war.

Er gab Gas und beschleunigte auf weit über hundert Stundenkilometer, und das in einem Land, in dem man auf Landstraßen bloß achtzig fahren durfte.

»Gefällt’s dir, Baby?«, rief Burschi ihr zu.

»Natürlich«, schrie Fiona und hasste sich für die Lüge. Sie mochte den Kerl mit seinem übersteigerten Ego ganz und gar nicht. Aber er verfügte nun mal über einige Begabungen, die sie alle Vorsicht hatten vergessen lassen. Erstens hatte er einen perfekten Schwanz und wusste, wie er ihn einsetzen musste. Zweitens brachte er sie zum Lachen, und das war seit dem Tod ihrer Mutter ein dicker Bonuspunkt. Drittens war er strunzdumm; sie würde also nie in die Gefahr geraten, sich in Burschi zu verlieben.

Er reduzierte das Tempo, als sie sich einem Kreisverkehr näherten. Hinter ihnen war das Motorengeheul von Kais Suzuki zu hören. Er schaltete rasant drei Gänge runter, so wie Burschi.

Kai war ebenso blöd wie sein Kumpel. Trotzdem waren die beiden wahre Intelligenzbestien im Vergleich zu Ute, die bei Kai hinten drauf saß. Sie konnte stundenlang plappern, ohne auch nur irgendetwas zu sagen. Ein Holzwurm besaß mehr Weisheit als diese Frau.

Burschi beschleunigte aus der Kurve des Kreisverkehrs hinaus, viel zu rasant, wie immer. Fiona klammerte sich an ihm fest. Vermutlich glaubte er, dass sie es aus Zuneigung machte, blöd, wie er war.

Sie donnerten über eine Brücke. Kai holte auf und fuhr neben ihnen her, viel zu rasch, viel zu knapp neben ihnen. Burschi rief ihm etwas zu, sein Freund antwortete, beide lachten.

Am Ende der Brücke mussten beide eine weitere Notbremsung vollziehen, um den zweiten Kreisverkehr gerade noch irgendwie bewältigen zu können. Wieder bangte Fiona um ihr Leben, wieder fühlte sie ihr Herz heftig schlagen.

Sie schob den Kopf an Burschis Schultern vorbei und lugte nach vorne. Erleichtert sah sie, dass die Straße während der nächsten Kilometer fast kerzengerade entlang eines breiter werdenden Gewässers verlief.

Sehr gut. Vielleicht konnte sie sich ein wenig auflockern. Ihre Schenkel und ihre Oberarme waren völlig verkrampft von all den Anspannungen der letzten beiden Stunden auf dem Bike. Wenn die beiden doch bloß einmal stehen bleiben würden!

»Nur noch bis Lom!«, hatte Burschi ihr zugerufen, als sie ihn um eine Ruhe- und Pinkelpause gebeten hatte. »Nur noch zehn Minuten!«

Aus den zehn Minuten waren zwanzig geworden, dann dreißig, dann eine ganze Stunde.

Burschi zog den Motor auf und beschleunigte rasant, blieb aber deutlich unterhalb jenes Limits, ab dem Fiona Angst empfand. Selbst er schien die Natur rings um sie zu genießen, nun, da die dicke Wolkenschicht über ihnen ein klein wenig aufriss. Sie hatten einen prächtigen Blick hinab auf Fluss und See, auf Berge links und rechts von ihnen, auf dichte Birken- und Fichtenwälder.

»Gefällt’s dir, Baby?«, fragte Burschi zum vermutlich dreißigsten Mal seit Beginn ihrer Tagesetappe.

»Ja«, rief sie ihm zu und dann, als sie das Hindernis auf der Straße sah: »Brems! Brems! BREMS!«

Fiona rutschte enger an Burschi heran, wurde mit aller Gewalt gegen seinen Körper gedrückt. Sie fühlte, wie das Motorrad unter ihrem Hintern schwänzelte, wie das ABS griff, wie sie in kurzen, leicht ruckartigen Bewegungen auf das riesige Vieh mitten auf der Straße zuhielten. Fiona konnte die Blicke von dem Tier nicht abwenden. So gerne sie auch die Augen schließen wollte – sie musste es anstarren. Ein Monstrum, das ihnen entgegenblickte, mit rot glühenden Augen und mit Nüstern, aus denen Rauch zu quellen schien.

Immer stärker wurde das Schlingern des Motorrads, immer näher kamen sie dem Tier. Sie würden sich in die Flanke seines mächtigen Körpers bohren, ausgehebelt werden und darüber hinwegsegeln, Dutzende Meter weit geschleudert werden, den Abhang rechts von der Straße hinab …

Nein! Denn das Rentier wechselte blitzschnell die Position und senkte den Schädel. So dass die Schaufeln seines Geweihs in ihre Richtung wiesen. Das Vieh wollte sie aufspießen.

 

Ich tastete im vagen Wohnzimmerlicht nach den Tellern mit der kunstvollen Blutglasur in der Kommode – und griff daneben. Jahrzehntelange Routinehandlungen klappten nicht mehr, seitdem die Villa Zamis neu entstanden war, erschaffen vom Todfeind der Familie, von Asmodi.

Bei optimistischer Betrachtung hatte sich der Herr der Schwarzen Familie einen Scherz erlaubt und die Villa wie eine leicht veränderte Version des vorherigen Bauwerks errichtet. Sodass alle Gegenstände ein Stückchen zu weit oben, zu weit unten, links oder rechts ihres ursprünglichen Platzes lagen. Kästchen öffneten sich in eine andere Richtung als zuvor, Dielenbretter quietschten aus unerfindlichen Gründen, in der Nacht knarrte es im Dachboden. Der Wasserhahn kreischte, wenn man ihn aufdrehte, aber nur an ungeraden Tagen. An den geraden lieferte er dunkles Wasser, das aber gemäß einer Analyse völlig frei von Verunreinigungen war.

Ich hörte schwere und unbeholfene Schritte, die nicht zu Dämonen gehörten. Nun, auch dafür war Asmodi verantwortlich. Denn es handelte sich um meine Eltern, die zum Abendessen ins Wohnzimmer gestolpert kamen.

Sie torkelten in den Raum, kaum fähig, den Körper zu koordinieren. Vater tastete hilflos nach einer alten Psyche und stützte sich daran ab, bevor er das Gleichgewicht verlieren und zu Boden stürzen konnte.

Meine Eltern – die Golems.

Ich hatte sie getötet, von einem Dämon namens Abraxas dazu gezwungen. Auch für die Zerstörung der ehemaligen Villa Zamis war ich verantwortlich gewesen. Eigentlich hätte ich dankbar sein müssen, dass Asmodi das Gebäude mit dämonischer Magie neu errichtet und die geistige Substanz meiner Eltern in klumpige Tonkörper versetzt hatte. Immerhin lebten die beiden noch, immerhin hatten wir den Wohnsitz der Familie Zamis zurück. Und ich war in geringem Maße von meiner Schuld freigewaschen, denn ich hatte im Kampf gegen Abraxas meinen Teil zu dessen Vernichtung beigetragen.

Juna betrat das Wohnzimmer. Sie war in Schwarz gehüllt. In ein Kleid, das genauso gut als Kartoffelsack hätte durchgehen können. Ihr Gesicht war wächsern bleich, die Augen fiebrig.

Sie brachte einen Kessel mit sich, in dem heiße Suppe blubberte. Dampfschwaden hingen darüber, das Zischen und Rasseln sterbender, verbrühender Insekten war zu hören.

Juna stellte den großen Topf in der Mitte des Tischs ab, ich verteilte die Suppenteller. Meine Halbschwester war eine katastrophal schlechte Köchin, aber immerhin hatte sie sich dazu bereit erklärt, einen Teil der Hausarbeiten in der Villa zu übernehmen.

»Wo ist Georg?«, fragte Vater mit dumpfer Stimme, bevor er sich schwer auf einem der Stühle niederließ.

»Er ist in der Stadt unterwegs«, antwortete ich. »Er hat die Newerkla-Brüder und die Matschgräfin getroffen.«

»Ist es schon so weit, dass wir uns mit den niedrigsten der niedrigen Dämonensippen in Wien abgeben müssen?«, fragte Thekla, meine Mutter. »Die Newerklas waren früher gerade mal gut genug, um mir die Stiefelspitzen abzulecken. Und die Matschgräfin war eine dämonische Hure, die ihre Dienste Menschen anbot. So wie gewisse andere Frauen auch. Was meinst du dazu, Coco?«

Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Ich fühlte mich unweigerlich an die Callas erinnert. An jene Wiener Puffbesitzerin, die die Gelüste von Menschen, aber auch die der Dämonen befriedigt hatte.

Die Callas hatte meine Familie an Abraxas verraten. Sie hatte mich verraten, obwohl ich geglaubt hatte, in ihr so etwas wie eine mütterliche Freundin zu haben.

Das Knarren der Tür und schwere Schritte entbanden mich von einer Antwort an meine Mutter. Georg trat ein und schleuderte seine Stiefel in eine Ecke. Mit einem grunzenden Geräusch ließ er sich am Mittagstisch nieder, ohne nach links oder rechts zu blicken.

Ich setzte mich neben ihn und umfasste zum Gruß seinen linken Arm. Ich konnte fühlen, wie empfindlich er auf die Berührung reagierte und verkrampfte.

»Hast du etwas erreicht?«, fragte ich.

»Natürlich.«

»Und zwar?«, fragte Vater ungeduldig und klopfte mit seiner Lehmhand so kräftig auf die Tischplatte, dass ein Häufchen Staub zurückblieb. Substanz, die von seinem Leib abgefallen war. »Muss man dir jedes Wort aus der Nase ziehen?«

»Wir können mit der Unterstützung der Newerklas rechnen.« Georg schüttelte den Kopf. »Sie haben Gegenleistungen verlangt. Ich habe sie, nun ja, zurechtgewiesen.«

»Ist es blutig geworden?«, hakte Vater nach.

»Die Newerklas haben genauso wenig Blut in den Adern wie du, Vater.« Georg begann schlürfend zu essen. »Ich musste zweien ihrer Kinder die Hauer aus dem Gesicht reißen, um ihnen klarzumachen, wem gegenüber sie in der Verantwortung stehen.«

»Nur mit Gewalt werden wir nicht weiterkommen«, wandte ich ein. »Wir brauchen respektvolle Anerkennung durch die Wiener Sippen, um das Kommando über die Stadt wieder übernehmen zu können.«

»Unsinn!«, sagten Vater und Georg unisono. Mein Bruder fuhr fort: »Sie müssen Angst vor uns haben. Kretins wie die Newerklas müssen wissen, dass wir erbarmungslos zuschlagen, wenn sie nicht gehorchen.«

»Dann werden sie uns bei nächstbester Gelegenheit im Stich lassen. Habt ihr denn nichts aus den Geschehnissen im Kampf gegen Abraxas gelernt?«

»Wann wirst du endlich deine menschliche Denkweise ablegen, Schwesterherz? Sie sind Dämonen! Sie werden uns auf jeden Fall hintergehen, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet. Dankbarkeit und Loyalität besitzen keinerlei Bedeutung.« Angewidert schob er den Suppenteller beiseite.

»Wie hat es deiner Meinung nach Asmodi geschafft, die Zügel wieder in die Hand zu nehmen, nachdem Abraxas verschwunden ist? Es gab kaum Widerstand, er brachte seine Herrschaftsansprüche problemlos durch. Die großen Dämonensippen haben sich ihm augenblicklich wieder zu Füßen geschmissen.«

»Bist du wirklich so naiv, Coco? Sie handeln nicht aus Loyalität. Sie unterwerfen sich dem stärksten Dämon nach Abraxas’ Verschwinden. Auch deshalb, weil Asmodi gegen fast jeden von ihnen etwas in der Hand hat. Er kennt die kleinen, schmutzigen Geheimnisse der Wa-Onas, der Waterloos, der de la Fuentes und all der anderen großen Sippen weltweit.«

»Nur gegen uns kann er nichts unternehmen«, meldete sich Mutter zu Wort. »Solange wir als Familie zusammenstehen, ist er machtlos. Zumal uns die Geschehnisse im Kampf gegen Abraxas aneinandergebunden haben. Er wird sich hüten, uns anzugreifen. Nicht wahr, Michael?«

Mein Vater nickte und aß wortlos weiter.

Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, wovon Mutter geredet hatte. Mein Vater hatte mit Asmodi einige Tage lang den Körper geteilt. Dabei war es zu Berührungen ihrer beider Geister gekommen, vielleicht sogar zu einer Art Verschmelzung. Vermutlich war es zu einem Fluss von Wissen von einem Dämon zum anderen gekommen. Vater hatte Dinge über Asmodi erfahren, die bis dahin im hintersten Kämmerchen dieses dämonischen Geistes verborgen gewesen waren.

»Können wir während des Essens bitte schön über andere Angelegenheiten sprechen?«, meldete sich Juna zu Wort. »Muss es denn immer um Kämpfe, Bösartigkeiten und dreckige Geheimnisse gehen?«

»Du mischst dich gefälligst nicht in Familienangelegenheiten ein«, sagte Mutter kühl. »Sei froh, dass du unter meinem Dach schlafen darfst. Du gehörst nicht zu uns.«

»Da bin ich anderer Meinung, Thekla.« Vater stand auf und wandte sich meiner Mutter zu. Ein Teil seiner Tonhülle am Arm brach, fiel auf den Tisch und zerbarst. Darunter kam Haut zum Vorschein. Rosa, fast rohe Haut. »Ich verlange ein für alle Mal, dass du Juna an unserem Tisch akzeptierst. Ich habe es satt, dauernd mit dir darüber streiten zu müssen.«

»Dann lass es bleiben«, erwiderte Thekla kühl. »Du und Georg, ihr könnt eure Intrigen in der Stadt spinnen und so viel Macht wie möglich an euch raffen. Ich habe nichts dagegen. Ich freue mich darauf, dass unsere Familie endlich wieder den ihr angestammten Platz in Wien einnimmt. Aber in der Villa, innerhalb dieser vier Wände, bestimme immer noch ich.«

Vater schaffte es, sein tönernes Gesicht rot vor Wut anlaufen zu lassen. Was nun folgen würde, war eine weitere heftige Auseinandersetzung zwischen meinen Eltern, an der sich vermutlich auch Georg beteiligen würde. Georg, der mittlerweile deutlich an Kontur gewonnen hatte und sich von Vater nicht mehr länger herumschubsen ließ. Es war ihm anzumerken, dass er sich als neues Oberhaupt der Familie Zamis sah.

Ich hörte nicht weiter zu, als der Streit eskalierte. Ich aß von der Suppe, nahm ein wenig vom Gulasch und zog mich in mein Zimmer zurück. Juna folgte mir stumm, sie schlief im Raum nebenan. Wir wechselten ein paar belanglose Worte, bevor wir uns trennten.

Ich vertiefte mich in einen der schweren Almanache, die ebenfalls aus Asche neu entstanden waren, und übte mich in einigen neuen magischen Sprüchen. Unter anderem in einem, der eine schützende Geräuschglocke rings um mich erschuf, sodass ich den endlos währenden Diskussionen im Wohnzimmer nicht weiter folgen musste.

 

»Ich habe nachgedacht, Vater«, sagte ich am Frühstückstisch.

»Das ist ja mal ganz was Neues. Seit wann denkst du?« Er blätterte mühsam die Zeitung um und würdigte mich keines Blicks.

»Ich bin mir sicher, dass du und Georg die Lage in Wien bald wieder unter Kontrolle habt.«

»Ich und Georg?« Er sah mir über den Zeitungsrand hinweg streng in die Augen. »Es gibt nur ein Familienoberhaupt.«

»Nimm Georgs Unterstützung an, Vater. Er will sich profilieren und dir zeigen, wozu er in der Lage ist.«

»Ich werde das Thema nicht auch noch mit dir diskutieren.«

»Daran habe ich ohnedies kein Interesse, Vater. Ich wollte dich um einen Gefallen bitten …«

»Abgelehnt. Ich habe jahrelang mit dir Geduld gehabt und habe deine Spinnereien stets akzeptiert. Damit ist endgültig Schluss.«

Ich schluckte einige böse Worte hinunter, die ich ihm entgegenschleudern wollte. Vater hatte seinen eigenen Blick auf die Realität. Denn in Wirklichkeit hatte er mir immer wieder Stöcke zwischen die Beine geworfen und mich in den seltensten Fällen unterstützt.

»Ich bitte darum, im Sinne der Familie handeln zu dürfen.«

»Immer, wenn du das gemacht hast, ist es zur Katastrophe gekommen, Coco. Du ziehst Probleme wie magisch an.«

Ich ignorierte seine Worte und fuhr fort: »Die Zamis werden die Lage in Wien unter Kontrolle bekommen. Aber es schadet gewiss nichts, wenn wir uns auch außerhalb der Stadt umhören und umsehen. Dass wir nach Verbündeten suchen, neue Bande knüpfen, uns bei alten … Freunden wieder mal blicken lassen. Kurzum: Dass wir die Familie Zamis ins Gespräch bringen. Nicht nur hier in Österreich, sondern auch in anderen Ländern.«

»Wozu?«

»Das weißt du genau, Vater. Wir dürfen niemals stillstehen, niemals innehalten. Andernfalls werden wir überrollt.«

»Das sind meine Argumente, gegen die du dich immer gewehrt hast. Woher kommt der plötzliche Gesinnungswandel?«

Vater fiel etwas aus dem Mund. War es ein Zahn oder einfach nur Tonmasse? Er stopfte es rasch wieder zurück und wirkte dabei verschämt. Der einstmals so starke, attraktive, mächtige Michael Zamis kämpfte mit seiner Eitelkeit und dem Gefühl, hilflos zu sein. Und dennoch zeigte er Georg und mir gegenüber keinerlei Dankbarkeit. Auch wenn wir ihm Arbeiten abnahmen, die Vater derzeit nicht zu leisten imstande war. Denn welcher Angehöriger einer dämonischen Sippe wollte schon mit einem Wesen sprechen, das aus Ton, Dreck und Erde bestand und nur vage Körperkonturen besaß?

»Nun?«

»Entschuldige, Vater. Ich musste über etwas nachdenken.«

»Natürlich musstest du das. Ich kann deine Blicke deuten. Du siehst mich als Schwächling. Nicht wahr? Ich wirke auf dich wie ein Freak.«

»Nein. Du bist derselbe wie immer für mich.« Jähzornig, rechthaberisch, ungerecht, machtbesessen, düster und grausam. Und dennoch ein vergleichsweise guter Vater, wenn man dämonische Maßstäbe heranzieht. »Um deine Frage zu beantworten: Ich halte die endlosen Streitereien im Haus nicht mehr aus. Du, Mutter und Georg müsst zu einem gemeinsamen Nenner finden. Es gibt nur noch euch, Juna und mich. Wie wollen wir das Haus Zamis wieder groß machen, wenn wir uns nicht einmal untereinander einig sind?«

»Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Vater zu meiner Überraschung.

»Deshalb bitte ich dich, mich reisen zu lassen. Ich möchte neue Kontakte knüpfen und alte wieder aufnehmen. Es wird uns allen helfen.«

»Vor allem aber entgehst du den Problemen, die wir in Wien haben. Das ist ganz schön eigennützig.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, Staub bröselte von den Wangen. »Eigensinn ist eine Untugend, die jedem Dämon gut zu Gesicht steht.«

»Du bist also einverstanden?« Ich atmete erleichtert durch.

»Unter einer Bedingung.«

»Die wäre?«

»Du wirst Juna mit auf Reisen nehmen. Sie soll von dir lernen, sich zu behaupten. Aber wage es ja nicht, sie mit deinen menschlichen, moralischen Eigenschaften anzustecken.«

Ich verbarg meine Enttäuschung. Ich wollte einfach nur weg aus diesem Haus und dieser Stadt. Den Kopf frei bekommen und all das vergessen, was hinter mir lag. Juna würde sich an meinen Rockzipfel hängen und jene Freiheit einschränken, nach der ich mich so sehr sehnte.

»Ich denke, dass Juna weitaus mehr von dir und Georg lernen kann …«

»Du wirst sie mitnehmen, Coco. Du siehst doch, wie allergisch deine Mutter auf sie reagiert. Eine Trennung der beiden wird uns allen guttun.«

Ich blickte Vater an. Er wirkte beherrscht und souverän.

»Woher habe ich das Gefühl, dass du bloß auf eine Chance gewartet hast, uns beide loszuwerden, Vater?«

Michael Zamis gab keine Antwort. Er verschränkte die Arme vor der Brust und zeigte sein tönernes Lächeln.

 

Kapitel 2

 

Fynn liebte Schwefelgeruch. Er erinnerte ihn stets an seine ganz besondere Gabe und an all das Unheil, das er damit verursachen konnte.

Er stieg von seinem Rentier und kümmerte sich nicht weiter um die Blicke der Menschen. Sie meinten, in ihm einen Sonderling der Gesellschaft zu erkennen. Jemanden, der irgendwo in den Wäldern hauste und nun zu ihnen stieß, um in der alten, ehrwürdigen Kirche von Aneby um Ablass zu bitten.

Diese Schweden! Sie waren naiv, fröhlich, von sonnigem Gemüt und kaum einmal aus der Ruhe zu bringen. So sahen sie sich selbst, so wurden sie von Reisenden aus anderen Ländern beschrieben.

Er tätschelte Friskas Seite. Die Zunge seines Reittiers hing weit aus dem Maul. Nicht aus Erschöpfung nach einem langen Ritt durch die Weiten der schwedischen Wälder, sondern aus Vorfreude. Friska wusste, was nun kam.

Fynn drängte sich an einigen der Einheimischen vorbei und betrat die Kirche. Der Geruch nach Feuchtigkeit und Fäulnis empfing ihn. Wie viele der alten Gotteshäuser war auch dieses Gebäude nur unzureichend vor den Unbilden der kalten Jahreszeiten geschützt. Aber die Glaubensgemeinschaften Schwedens hielten unerbittlich an den traditionellen Bauweisen fest. Sie wussten, dass ihre Kirchen nach fünfzig bis hundert Jahren zu zerfallen begannen – und trotzdem setzten sie nach wie vor auf Holz.

Fynn fühlte starkes Herzklopfen. Wie immer, wenn er ein Gotteshaus betrat. Er war wohl einer der wenigen Dämonen, die sich problemlos in der Nähe kirchlicher Reliquien bewegen konnten. Doch der rasche Herzschlag erinnerte ihn daran, dass er nicht vollends gefeit war vor dem Guten, das von Glaubensgemeinschaften propagiert wurde.

Das Gute.

Es klebte wie Teer auf den Dielen und Bohlen des Kirchenhauses. Es hatte sich im Laufe der Jahrzehnte abgelagert und machte, dass er sich nur langsam den Gang entlang bis in die erste Reihe der Messebesucher schleppen konnte. Immer wieder hatte er das Gefühl, stecken zu bleiben. Da und dort war diese Masse von dünnen Streifen und Strichen der Bösartigkeit durchzogen, von Lust und Eifersucht und von Neid. Ohne diese kleinen … Intarsien und Einlassungen wäre er nach wenigen Schritten festgeklebt.

Es war einerseits nicht leicht, als Dämon in ein Gotteshaus vorzudringen. Andererseits bereitete es ihm Freude wie nichts anderes. Zu wissen, dass er in Feindesgebiet vordringen konnte und eine außergewöhnliche Gabe besaß, erregte ihn.

»Verzeih, Sohn«, sagte jemand neben ihm. »Aber Alkohol hat in meinem Gotteshaus nichts zu suchen.«

Fynn wandte sich dem Mann zu. Es handelte sich um den Pastor. Er hatte die Whiskyflasche in Fynns ausgebeulter Manteltasche entdeckt.

»Und was ist mit deinem Messwein?«, fragte er und ließ sich auf der Kirchenbank nieder. »So geschwollen und geädert, wie dein Gesicht ist, hast du’s nicht unbedingt mit der Abstinenz.«

»Mein Sohn …«

»Ich bin nicht dein Sohn und du nicht mein Vater. – Nein, warte! Ich entschuldige mich für mein Auftreten.« Fynn setzte sein freundlichstes Lächeln auf. »Ich bin neu in der Gemeinde, und ich bin ein … ein schwarzes Schaf, das Läuterung benötigt. Ich habe diese Flasche Johnnie Walker mit, verspreche aber, sie nicht anzurühren. Ich trage sie seit Wochen bei mir. Sie ist mein Beweis, dass ich dem Teufel Alkohol jederzeit widerstehen kann. Du verstehst das doch, Pastor?«

»Nun ja …«

»Verzeih einem Sünder seine Schwächen. Ich verspreche, ich werde keinen Schluck aus der Flasche nehmen. Nicht jetzt, nicht während der Messe, nicht nachher.«

»Also schön.« Der Pastor atmete tief durch und zwang sich ein Lächeln auf. »Es freut mich, dich in Aneby begrüßen zu dürfen. Lass uns nach der Messe eine Unterhaltung führen, ja? Du interessierst dich sicherlich für das gesellschaftliche Leben hier und …«

»Natürlich, Pastor. Nach der Messe.« Fynn grinste und machte es sich auf der Bank so bequem wie möglich.

Die Kirche füllte sich langsam. Etwa die Hälfte der Sitze blieb frei. Meist waren es ältere Menschen, die sich links und rechts von Fynn niederließen.

Schade, dass nicht mehr von diesen Kreaturen hier sind, dachte er und kämpfte gegen die Müdigkeit an, die ihn plötzlich überfiel. Es war lange her, dass er das letzte Mal richtig gut gegessen hatte.

Aber da war auch Vorfreude auf die kommende Fressorgie. Er hatte sich sorgfältig vorbereitet und dafür gesorgt, dass er seine Arbeit ungestört ausführen konnte.

Eine Glocke ertönte. Zwei junge Messdiener traten links und rechts an den Altar heran, gleich darauf ließ sich der Pastor blicken.

Mit viel Pathos begleitete er seinen Sermon, in dem er über Nächstenliebe und Güte redete. Zwischendurch las er aus dem Buch der Bücher vor, rief zum Singen auf, ließ die Mitglieder der Gemeinde niederknien … Es war alles wie immer.

Fynn machte gerne mit. Er liebte das zeremonielle und pompöse Gehabe in den Tempeln der Menschen. Trotz seines rasenden Herzens genoss er es, an diesem Unsinn teilhaben zu können.

Ob sich die Menschenviecher nach einer Messe wirklich besser fühlten? Glaubten sie, ihre Seele gereinigt zu bekommen und anschließend gegen die Fährnisse des Lebens besser gewappnet zu sein?

Der Pastor setzte eben zu einer langweiligen Geschichte an, die er als Gleichnis verstanden haben wollte, als Fynn die Nase voll hatte. Er erhob sich von seinem Platz, trat in den Mittelgang hinaus und ging die wenigen Stufen zum Pastor hoch.

»Genug!«, rief er laut. »Der Scheiß ist nicht länger auszuhalten.« Er zog die Whiskyflasche aus der Jackentasche und besprengte den Gottesmann damit. Der hob die Arme abwehrend hoch und sagte irgendetwas, um das sich Fynn nicht kümmerte. Er schnappte sich die Messdiener und tränkte sie ebenfalls, dann den hölzernen Altartisch, die große Bibel mit dem Goldschnitt, den Teppich, irgendwelche Reliquien.

Er hörte die Menschen ringsum schimpfen. Der Pastor wollte nach ihm greifen, Fynn wischte ihn mit einem magisch verstärkten Schlag beiseite. Der Mann prallte unter den entsetzten Ooohs der Gläubigen gegen die Wand des Hauptschiffs der Kirche.

Fynn wandte sich um und ging den Mittelgang bis zum Haupttor entlang, weiterhin mit der Flasche in der Hand. Er ließ den Alkohol ausrinnen. Aus einem Gefäß, das niemals leer wurde. Literweise ergoss sich die Flüssigkeit, benetzte den hölzernen Boden, versickerte teilweise in den Ritzen und bildete anderswo kleine Lacken.

Ein alter Mann kam auf ihn zugehumpelt. Er murmelte ein Gebet, das Fynn Ohrenschmerzen bereitete. Also schlug Fynn ihm die Faust in den Bauch. Er hörte Rippen krachen wie morsches Holz, der Mensch klappte zusammen.

Wer mutig genug war, sich gegen ihn zu stellen, bereute es bald. Fynn tötete diese Viecher nur ungern. Es wäre viel zu langweilig gewesen. Er fügte ihnen lieber Schmerz zu und verletzte sie.

»Mögt ihr Schwefelgeruch?«, tönte er über die Proteste und Angstschreie der versammelten Menschenschafe hinweg. »Erinnert er euch an etwas? Steht er in eurer stupiden Religion nicht für den Teufel? – Nun, ich kann euch beruhigen: Ich bin nicht Beelzebub. Ich bin bloß ein einfacher Dämon.«

Er zog eines der alten besonderen Schwefelhölzchen aus seiner Hosentasche hervor, entzündete es an der rauen Wand des Kirchentors und schnippte es in eine Alkohollache. Die Flüssigkeit nahm das Feuer auf, ließ es größer und größer werden. Blaue Flammen fraßen sich den Gang entlang bis hin zum Altarbereich. Sie erfassten die Messdiener und hüllten sie blitzschnell ein, sodass sie wie zwei kleine, süße Feuerteufelchen dahintanzten und schrien, so schön süß schrien und quiekten, die kleinen Ferkelchen, die langsam verbrannten und dabei immer knuspriger wurden und gut rochen, so gut, so verdammt gut …

Der Pastor geriet ebenfalls in Flammen. Er gesellte sich zu den beiden Knaben. Vergrößerte die Panik im Raum.

Menschen waren Herdentiere. Leicht zu lenken, leicht zu beherrschen. Gerät das Leittier in Panik, breitet sich der Wahnsinn rasch aus, dachte Fynn, während ihm die Menschen entgegenstürmten, sich an ihm vordrängen und die Kirche verlassen wollten.

Er schlug zwei von ihnen zurück und übergoss sie ebenso mit Alkohol. Ein weiteres Schwefelhölzchen kam zum Einsatz, zwei weitere quiekende Menschenschweinchen verstärkten das Durcheinander.

Sie steckten einander an. Betatschten sich. Wollten Hilfe erfahren und bekamen sie nicht. Ganz im Gegenteil.

Vorhänge und Seitenwände der Kirche gerieten in Brand. Das Gebäude brannte wie Zunder, obwohl die Bohlen und Planken von Feuchtigkeit modrig waren.

Es war ein Feuer, wie es schöner nicht sein konnte.

Fynn setzte den sorgfältig bearbeiteten Torbogen in Flammen und schlüpfte im letzten Augenblick ins Freie, noch bevor der Sauerstoffgehalt zu gering wurde. Gewiss, er hätte mit Hilfe magischer Sprüche noch länger im Gebäude bleiben können. Aber das wollte er nicht. Er liebte ein wenig Distanz zu seinen Opfern, um die Symphonie aus Geschrei, Flehen und dem Knistern brennender Körper in seiner Gesamtheit erfassen zu können.

Friska trat an seine Seite und witterte. Das Tier wusste, dass Fressenszeit war.

Gewiss war die lokale Feuerwehr bereits unterwegs. Aber das Gebäude stand abseits auf einer kleinen Anhöhe – und der schwere Wagen würde einen mysteriösen Achsschaden erleiden. Und zwar genau jetzt.

Rettung und Polizei würden etwa zehn Minuten benötigen, um hierherzugelangen. Zeit genug, um die am besten durchgegrillten Leichenteile aufzusammeln und in Friskas Satteltaschen zu laden. Sie waren innen weitaus voluminöser, als sie von außen wirkten. Fynn würde mindestens zwanzig Menschen darinnen verstauen können – und einen weiteren dem Rentier zum Fraß vorwerfen.

Aus dem Inneren des Gebäudes waren keine Stimmen mehr zu vernehmen. Rauch quoll aus den Ritzen hervor, der Dachstuhl stand längst in Flammen.