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Mein Vater war nicht allein, sondern eine junge Frau war bei ihm, mit rotblondem Haar und dunkelgrünen Augen - wenngleich nicht so dunkelgrün wie meine -, einem leicht puppenhaften Gesicht und üppigen Formen. Sie lehnte an einer Kante des Schreibtisches und betrachtete mich abschätzig, mit herablassendem Lächeln, und kaute geräuschvoll Kaugummi.
»Was macht die denn hier?«, fragte ich anstatt einer Begrüßung.
»Begrüße deine Cousine Cora«, sagte mein Vater. »Sie ist heute in aller Frühe eingetroffen, als du noch geschlafen hast. Ihr Vater schickt sie zu uns, damit ihr euch anfreundet. Vielleicht hilft es dir, eine gleichaltrige Freundin zu haben, um endlich zu lernen, was es heißt, eine richtige Hexe zu sein!«
Gemeinsam mit ihrer Cousine Cora bricht Coco nach Lemgo auf, um ihrem Bruder Georg zu Hilfe zu kommen - doch schon der Weg dorthin gestaltet sich anstrengender als gedacht, denn Cora Zamis erweist sich im wahrsten Sinne des Wortes als tödliche Belastung ...
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Seitenzahl: 138
Cover
Was bisher geschah
SCHWESTERHERZ
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.
Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.
Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf mit einem von Würmern zerfressenen Gesicht, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.
Cocos Verfehlung hat Konsequenzen. Die Stellung der Zamis in Wien wird angefochten. Nur Coco ist es zu verdanken, dass sie über ihre Herausforderer aus der Sippe der Winkler-Forcas triumphieren. Auch Asmodi hat die Schmach, die Coco ihm zugefügt hat, nicht vergessen. Jedoch verzichtet er scheinbar großzügig auf weitere Maßnahmen, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt.
Der Ruf ihres Bruders Georg führt Coco bald darauf in die Burg des Dämons Gorshat – und in eine Falle, die Asmodi und der dämonische Archivar Zakum ihr stellen. Coco dreht den Spieß um und entwendet den Signatstern aus Zakums Archiv – das erste von sieben Siegeln, die sie erbeutet und mit denen sie schließlich den Magier Merlin aus dem centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde, befreit. Kurz darauf kann sie sich an diese Ereignisse jedoch nicht mehr erinnern – genauso, wie Merlin es ihr prophezeit hat! Inzwischen hat Cocos Vater Michael Zamis Asmodi offen zum Kampf herausgefordert. Dieser schickt seinen Stellvertreter Axinum, der die Zamis empfindlich dezimiert. Plötzlich ist auch Georg verschwunden – und sendet einen Hilferuf aus Lemgo ...
SCHWESTERHERZ
von Susan Schwartz
Ein Licht ist über mir. Plötzlich und unerwartet. Es ist mir unerklärlich, woher es kommt. Warum kann ich das Licht sehen? Ich bin bisher von Dunkelheit umgeben gewesen ... Ich glaubte, ein Teil davon zu sein. Ich weiß nicht, wie lange schon. Ich spüre nichts, ich höre nichts. Ich weiß nicht, was ich bin – etwas oder nichts. Es gab bisher nur die Dunkelheit und mich, und ich kenne den Unterschied zwischen ihr und mir nicht.
Aber da ist das Licht. Es bedeutet etwas: Veränderung.
Vielleicht weist dieses grelle Licht auf den Ausgang hin; wohin auch immer. Ich lasse mich darauf zutreiben ... und dann erkenne ich das Gesicht im hellen Schein. Umkränzt wie von einer Gloriole lächelt es mich an. Ich kenne dieses Gesicht nicht, und doch ist es mir vertraut, obwohl das unmöglich ist.
Hüte dich, spricht das Gesicht. Hüte dich vor dem Gespenstersee.
Was hat das zu bedeuten?
Manchmal wird man zum Sieger, indem man verliert. Unterwerfen bedeutet nicht unbedingt aufgeben. Es kann ein Ausweg sein, wo man sonst keinen mehr sieht.
Ich fuhr aus dem Schlaf hoch, als mich etwas in die Wange kniff, und rieb mir verstört die Augen. »Ja, was ist denn?«, murmelte ich mürrisch.
Ich war verärgert, weil ich ohne Grund geweckt worden war. Dieser Traum hatte gewiss etwas zu bedeuten.
Bei Leuten von meiner Art geschieht kaum etwas nur aus Zufall. Ich kann meine Herkunft eben nicht verleugnen – und das nicht nur wegen der Schwierigkeiten, in denen meine Familie zurzeit steckte.
Angefangen hatte es mit einem Hexensabbat, den mein Vater zu meinen Ehren ausgerichtet hatte und auf dem ich zu einer echten Hexe gekürt werden sollte. Auf dem Höhepunkt des Sabbats erschien Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, was für mich eigentlich eine große Ehre bedeutete. Aber ich mache mir nichts aus der Schwarzen Familie und verweigerte mich Asmodi in einer Mischung aus Angst und Widerwillen.
Diesen Schritt hatte ich bitter zu bereuen, denn seitdem versuchte Asmodi, unsere Sippe mit den hinterhältigsten Mitteln zu vernichten.
Der Kampf war nicht offen erklärt worden, da Skarabäus Toth die Annahme einer Kampfansage unter einem Vorwand verweigert hatte. Stattdessen wurde der Konflikt im Verborgenen ausgetragen – durch Intrigen und Hinterlist. Die anderen Familien beobachteten die Vorkommnisse zumeist aus neutraler Entfernung; sie warteten lieber ab, wie der Kampf ausging, damit sie wussten, wem sie anschließend die Treue schworen. Mit Asmodi wollte es sich natürlich keiner verscherzen, aber auch nicht mit uns Zamis, denn wir waren die mächtigste Dämonensippe Wiens und hatten unseren Machtanspruch mehr als einmal durchgesetzt. Das hatten vor nicht allzu langer Zeit unter anderem die Winkler-Forcas leidvoll erfahren müssen.
»Du musst aufstehen, Coco«, sagte eine hohl klingende Stimme. »Dein Vater erwartet dich – sofort.« Neben meinem Bett stand eine verkrümmte, nur einen Meter hohe, schwarzhäutige und geschlechtslose Gestalt, deren Gesicht von einer bunt bemalten Holzmaske bedeckt war. Durch die Sehschlitze drang ein unheilvoll glühendes Augenlicht. Der Hüter des Hauses, der einst meine erste große Liebe gewesen war, ein Mensch namens Rupert Schwinger. Ich selbst hatte einst dazu beigetragen, ihn in diese Gestalt zu verbannen, und nun sollte er mir zeitlebens dienen, um mich stets an meine Verfehlung zu erinnern. Statt mich Asmodi hinzugeben, hatte ich mich in einen normalen Menschen verliebt – der in den Augen der Dämonen ein wertloser Sterblicher war und Schande über meine Sippe gebracht hatte.
Wie naiv war ich damals noch gewesen; ich hatte tatsächlich geglaubt, einfach tun zu können, was mir gefiel, und mich gefahrlos mit den Menschen einlassen zu können. Wenn ich nicht ein ungewöhnlich starkes magisches Talent besitzen würde, hätte mein Vater mich bestimmt verstoßen. Aber so nutzte er meine Begabung im Kampf gegen Asmodi und gab gleichzeitig die Hoffnung nicht auf, dass ich eines Tages erkennen würde, wohin ich wirklich gehörte, und zu einer »echten« Hexe würde, die dem Bösen diente und der Sippe der Zamis zur Ehre gereichte. Eines hatten wir Dämonen mit den Menschen gemeinsam: Wir konnten nicht so einfach unsere familiären Bande abstreifen.
Am liebsten hätte ich meinem Vater ausrichten lassen, was ich von ihm hielt, aber ich ließ es besser bleiben. Wenn Michael Zamis jemanden zu sich zitierte, gehorchte man. Und wenn es noch so schwer fiel. Aber meine früheren Erfahrungen hatten mich gelehrt, bestimmte Konfrontationen zu vermeiden und wenigstens hin und wieder diplomatisch vorzugehen.
»Sag ihm, ich komme gleich«, antwortete ich dem Hüter des Hauses.
»Er sagte aber sofort«, wiederholte das Wesen, über dessen hinter der Maske verborgenes, zerfressenes Gesicht Würmer und Maden krochen, wie ich wusste.
»Anziehen werde ich mich wohl noch dürfen!«, herrschte ich den Hüter an. »Sobald ich fertig bin, werde ich mich bei ihm einfinden!«
So viel Zeit musste ich mir einfach nehmen. Ich gehorchte meinem Vater, aber er brauchte nicht zu glauben, dass ich wie ein dressierter Hund sofort sprang, wenn er einmal pfiff. Mir war klar, dass mir das wohl weitere Schwierigkeiten einbringen würde, denn mein Vater war ein Patriarch durch und durch und ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen. Deshalb ging ich nie zu weit, aber ich steckte auch nicht zurück. Als kleines Mädchen hatte ich noch eine höllische Angst vor ihm gehabt, aber heute war ich selbstbewusster und nicht mehr so leicht zu beeindrucken. Außerdem besaß ich einen ziemlichen Sturkopf, der vielleicht dem meines Vaters nicht unähnlich war.
Das hatte Michael Zamis inzwischen eingesehen und zähneknirschend akzeptiert, denn immer noch galt ich als Familienmitglied und durfte in dem Anwesen im noblen 13. Wiener Bezirk Hietzing in der Ratmannsdorfgasse 241 leben.
Unser abgelegenes Eckgrundstück war von außen nicht einsehbar, da es von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben war. Es gab einen Swimmingpool und einen großen Garten mit alten, knorrigen Bäumen. An der Villa und dem Garten hing ich mehr als an meiner Familie. Ich liebte diese idyllische Ruhe hier, während draußen die Welt der Sterblichen vorbeibrodelte.
Ein Hausangestellter brachte mir das Frühstück, für das ich mir auch noch Zeit nahm, obwohl ich schon ungeduldig war. Doch ganz ohne Stärkung wollte ich mich nicht meinem Vater stellen; aus dem Schlaf gerissen und zum Oberhaupt der Sippe zitiert zu werden, ist sicher keine alltägliche Angelegenheit, die nur der lockeren Konversation dient. Ich konnte mir zudem denken, worum es ging, und ich würde Kraft dafür brauchen ...
Michael Zamis erwartete mich laut Haushüter in der Bibliothek. Die Bibliothek war komplett holzgetäfelt und der Raum hoch genug, um Platz für eine schmale Galerie zu bieten. Die Wände waren von oben bis unten mit Bücherregalen bedeckt. Es gab einen offenen Kamin mit schweren Polstermöbeln davor; an der Fensterfront stand ein riesiger Schreibtisch aus schwarzem Ebenholz, hinter dem mein Vater regelrecht thronte.
Hier traf ich gleich auf das erste Ärgernis: Michael Zamis war nicht allein, sondern eine junge Frau war bei ihm, mit rotblondem Haar und dunkelgrünen Augen – wenngleich nicht so dunkelgrün wie meine –, einem leicht puppenhaften Gesicht und üppigen Formen. Sie lehnte an einer Kante des Schreibtisches und betrachtete mich abschätzend, mit herablassendem Lächeln, und kaute geräuschvoll Kaugummi.
»Was macht die denn hier?«, fragte ich anstatt einer Begrüßung ärgerlich und deutete auf das Mädchen.
»Begrüße deine Cousine Cora«, sagte mein Vater. »Sie ist heute in aller Frühe eingetroffen, als du noch geschlafen hast. Ihr Vater schickt sie zu uns, damit ihr euch anfreundet. Vielleicht hilft es dir, eine gleichaltrige Freundin zu haben, um endlich zu lernen, was es heißt, eine richtige Hexe zu sein.«
Cora gehörte zum italienischen Zweig der Familie. Ingvar Zamis, Bruder meines Vaters, besaß ein Schloss in den Abruzzen, auf dem sich mein ältester Bruder Adalmar zumeist aufhielt, um seinem bösen Handwerk nachzugehen. Ich hatte Cora erst vor Kurzem getroffen und sie nicht besonders sympathisch gefunden. Unsere ganze Familie war in dem italienischen Kastell versammelt gewesen, um einen Angriff gegen Asmodi zu planen. Die Zusammenkunft war geplatzt – alle Anwesenden hatten das Kastell fluchtartig verlassen. Nun, im Nachhinein, konnte sich niemand mehr daran entsinnen, was der Grund für die überstürzte Abreise der Sippenmitglieder gewesen war. Das Ganze erschien mir äußerst suspekt – es würde mich nicht wundern, wenn Asmodi hinter alledem steckte.
Es gab weitere Merkwürdigkeiten: Man hatte meinen Großneffen Alexej mit zerschmetterten Knochen vor Castello della Malizia aufgefunden, überdies war mein Bruder Georg ohne eine Nachricht zu hinterlassen verschwunden.
Auch ich hatte mich in den Abruzzen aufgehalten – nun fehlte mir jegliche Erinnerung daran, wie ich zurück nach Wien gekommen war. Es war zum verrückt werden.
Georg hatte sich über eine Kristallkugel bei meinem Vater gemeldet und ihn um Hilfe gebeten. Er befände sich in einer deutschen Kleinstadt namens Lemgo.
»Werde ich dazu auch noch gefragt?«, fragte ich schnippisch. »Meine Freunde suche ich mir lieber selber aus, danke.« Das war leicht dahingesagt. Genauer gesagt, hatte ich außer der in London lebenden Vampirin Rebecca überhaupt keine Freunde. Weder innerhalb der Schwarzen Familie noch bei den normalen Menschen. Manchmal fühlte ich mich daher einsam. Aber deswegen würde ich nicht gleich jede dahergelaufene bösartige Cousine in meine Arme schließen.
»Coco, du siehst aber gut erholt aus!«, flötete Cora mich an. Sie sprach im typisch italienischen Singsang, mit rollendem »R«, und sehr gestenreich. »Als ich dich das letzte Mal sah, wirktest du so ... abgespannt.«
»Tja, ganz im Gegensatz zu dir regeneriere ich mich schnell«, gab ich zuckersüß zurück. Diese Wichtigtuerin war doch in meinem Alter, was spielte sie sich so auf? Und zweifelsohne sah ich selbst abgespannt besser aus als sie, mit meinem langen, schwarzen Haar, den hoch angesetzten Wangenknochen und den leicht schrägstehenden Augen. In diesen Breitengraden war mein Aussehen bedeutend exotischer, ja geheimnisvoller als Coras hübsches Durchschnittsgesicht, das in eiskalter Berechnung lediglich »niedlich« aussehen konnte. Irgendwie erinnerte Cora mich in ihrem Aussehen und mit ihrer gespreizten Art an meine verstorbene Schwester Vera, was nicht gerade dazu beitrug, sie mir sympathischer zu machen. Vera und ich hatten uns aus tiefstem Herzen verabscheut.
Cora verzog keine Miene. »Trotzdem ist dein Vater der Ansicht, dass du noch eine Menge lernen musst, und ich werde gern behilflich sein. Ich bin doch ein gutes Stück weiter als du, wie es scheint. Das zeigt schon deine kindlich-trotzige Haltung.«
»Deine Haltung kann sich ebenfalls noch deutlich verbessern, wenn ich dir dein Rückgrat zurechtgebogen habe«, versetzte ich kalt und wandte mich meinem Vater zu. »Würdest du mir bitte erklären, was das hier soll? Denkst du wirklich, ich freunde mich mit Cora an?«
Michael Zamis ging nicht darauf ein. Er war ein großer, breitschultriger, imponierender Mann, der sich für die Ansichten und Meinungen anderer nicht im Geringsten interessierte. Ich konnte nicht einmal sicher sein, ob er mir in diesem Moment zugehört hatte, denn sein Geist weilte zumeist in anderen Gefilden.
»Hör zu, Coco«, sagte mein Vater. »Du weißt, dass dein Bruder Georg entführt wurde und vermutlich in Lemgo gefangen gehalten wird. Zum Glück konnte er einen Hilferuf an uns absetzen.«
»Ja, und es war bereits beschlossene Sache, dass ich ihm helfen werde«, bestätigte ich. Ich war ja schon drauf und dran gewesen, mich umgehend auf die Reise zu machen, aber ich war in den letzten beiden Tagen auf eine seltsame Weise erschöpft gewesen und hatte mich total ausgelaugt gefühlt. Kaum mehr in der Lage, einen klaren Gedanken fassen zu können, hatte ich fast nur geschlafen. Doch jetzt fühlte ich mich wieder fit und entschlossen, nach Lemgo zu reisen. Zu meinem älteren Bruder Georg hatte ich inzwischen eine fast freundschaftliche Beziehung aufgebaut, und ich würde ihn keinesfalls im Stich lassen. Aber zuerst wollte ich mir anhören, was Michael Zamis zu sagen hatte.
»Die Hintergründe der Entführung sind nicht bekannt, aber es dürfte uns allen klar sein, dass Asmodi dahintersteckt oder es zumindest duldet«, fuhr mein Vater fort. »Er will uns aus der Reserve locken und einen nach dem anderen ausschalten. Georg gehört mit zu den stärksten Mitgliedern der Zamis, daher ist sein Verschwinden für uns ein herber Verlust, vor allem, weil sich unsere Auseinandersetzung mit Asmodi zuspitzt. Deshalb müssen wir Georg sobald als möglich befreien.«
Ich sah das genauso, aber ich gab mich betont gleichgültig. »Und? Was hat das mit mir zu tun?«
»Du hast eine besondere Beziehung zu Georg, also tu nicht so, als ginge dich das nichts an!«, schnauzte mein Vater mich an.
Ich zuckte die Achseln. »Natürlich mache ich mir Sorgen um Georg. Aber wie du sagst, verfügt er über starke magische Kräfte. Er ist erwachsen und kann schon selbst auf sich aufpassen.«
»In diesem Fall wohl nicht ausreichend, sonst hätte er diesen Hilferuf nicht geschickt«, erwiderte Michael Zamis.
»Könnte er nicht von einem anderen stammen, der in Asmodis Diensten steht? Oder von Asmodi selbst?«, stellte ich eine Vermutung in den Raum.
»Nein, die Art ist zu eindeutig, Georg ist hundertprozentig der Absender. Aber wir müssen natürlich damit rechnen, dass er dabei erwischt wurde und Asmodi uns nun eine Falle stellen will.«
»Wenn er das nicht schon von vornherein so geplant hat ...«
»Kluges Köpfchen«, warf Cora spöttisch ein und zog den Kaugummi in die Länge. Dann zog sie jedoch den Kopf leicht ein, als Michael Zamis ihr einen Blick aus seinen dunkelglühenden Augen zuwarf.
»Wie ich zuvor sagte: Er will uns aus der Reserve locken und einzeln ausschalten«, wiederholte mein Vater ungeduldig. »Und deshalb werde ich kein Risiko eingehen und tatsächlich dich schicken.«
»Ach, wirklich?« Ich funkelte ihn an. »Du meinst also, ich bin das schwächste Glied der Familie und kann bedenkenlos geopfert werden? Georg scheint da mehr Zutrauen zu mir zu haben.«
»Zumindest bist du das menschlichste Mitglied der ganzen Schwarzen Familie«, meinte Cora verächtlich, das verpönte Wort spie sie geradezu aus.