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Georg Zamis wusste nicht, wie viel Zeit er schon hier unten in diesem nassen, glitschigen Gefängnis verbracht hatte.
Es war kalt, schrecklich kalt und fast dunkel. Abwärts von der Hüfte hatte er kein Gefühl mehr, er war der Mann ohne Unterleib, wie er sich selbst verspottete: Wenn die Flut kam, reichte das Wasser bis zur Hüfte. Dann floss es langsam wieder ab, bis knapp unterhalb der Waden, doch kaum war es so tief gesunken, da kam schon der nächste Schwall in die Kammer geschossen.
Es war ein runder, höhlenartiger Raum, ähnlich einem Brunnenschacht, ohne Vorsprung, auf den man sich wenigstens für kurze Zeit retten konnte. In dem trüben Zwielicht war nicht viel zu erkennen; verschwommen sah Georg ein Gitter über sich, in ungefähr fünf Metern Höhe. Unerreichbar für ihn, in seinem Zustand ...
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Seitenzahl: 131
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Was bisher geschah
DIE TEUFELSINSEL
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.
Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.
Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf mit einem von Würmern zerfressenen Gesicht, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.
Cocos Verfehlung hat Konsequenzen. Die Stellung der Zamis in Wien wird angefochten. Nur Coco ist es zu verdanken, dass sie über ihre Herausforderer aus der Sippe der Winkler-Forcas triumphieren. Auch Asmodi hat die Schmach, die Coco ihm zugefügt hat, nicht vergessen. Jedoch verzichtet er scheinbar großzügig auf weitere Maßnahmen, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt. Merlin aber ist seinerseits gefangen – im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde. Um ihn zu befreien, muss Coco sieben Siegel erbeuten, die sie vor dem Einfluss der Zentrumsdämonen schützen. Als Coco diese Aufgabe meistert, erfüllt sich Merlins Prophezeiung, dass sie sich an diese Ereignisse schon bald nicht mehr erinnern wird.
Zurück auf der Erdoberfläche, muss Coco erfahren, dass ihr Bruder Georg auf Asmodis Teufelsinsel entführt worden ist, wo er von Axinum gefangengehalten wird – einem künstlichen Geschöpf, das Asmodi aus drei verschiedenen Dämonen zusammengefügt hat. Axinums Attacken auf die Zamis-Sippe widersprechen eindeutig den Statuten der Schwarzen Familie, aber der undurchsichtige Schiedsrichter Skarabäus Toth deckt Asmodis Komplott ...
DIE TEUFELSINSEL
von Susan Schwartz
Deutschland
»Du bist so still, Paps, stimmt etwas nicht?« Silke Thormeier, fünfundzwanzig Jahre alt und seit kurzem stolze Besitzerin eines Flugscheins, betrachtete ihren Vater aus den Augenwinkeln. Ihre Hände ruhten entspannt auf dem Lenkrad, der Wagen schnurrte auf der geraden Straße sanft dahin. Es war Sonntagmorgen, halb zehn. Der Frühnebel verzog sich allmählich, nahm die kühle Feuchtigkeit mit und machte der Sonne Platz.
In nur einer knappen halben Stunde würden die Temperaturen um mehr als fünf Grad steigen und die Leute aus den Häusern treiben. Dann war auf dem Flugplatz die Hölle los, weil Alt und Jung hoch hinaus wollten, dem wolkenlos blauen Himmel entgegen.
»Ich habe dir doch erklärt, dass wir besser früh losfahren sollten, dann können wir umso schneller starten«, fuhr die junge Frau fort. »Tut mir leid, wenn dich das um deinen Schlaf gebracht hat ...«
»Unsinn, du weißt genau, dass ich nie länger als bis halb acht schlafe«, unterbrach ihr Vater unwillig. »Normalerweise gehe ich um diese Uhrzeit joggen, während andere sich den Magen mit einem kalorienreichen Frühstück vollschlagen.« Karl Thormeier achtete sehr auf seine Gesundheit. Dass er dieses Jahr fünfzig wurde, sah man ihm nicht an. Er schaute aus dem Wagenfenster und beobachtete fast sehnsüchtig vereinzelte Spaziergänger auf den Feldwegen, die ihre Hunde Gassi führten.
Silke seufzte. »Ich weiß, dass du dich nicht gern in deinen Gewohnheiten stören lässt, Papa, aber du wirst vollauf dafür entschädigt, das habe ich dir versprochen! Du musst das einfach mal erleben!«
»Erleben? Da sagst du ein wahres Wort. Ich möchte gern den morgigen Tag noch erleben. Warum soll ich das aufs Spiel setzen?« Karl musterte seine Tochter kritisch von der Seite. »Ich verstehe nicht, wie du überhaupt –«
»Bitte, diese Diskussion hatten wir schon mindestens hundert Mal«, unterbrach diesmal Silke, und ihre Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. »Ich weiß, dass du ein bodenständiger Mensch bist und nicht gern fliegst. Aber du könntest ein wenig mehr Zutrauen zu mir haben.«
»Ich kann auf mich und meine beiden Beine zählen.« Karl Thormeier klopfte auf seine Schenkel. »Über alles andere kann man die Kontrolle verlieren. Warum herausfordern? Wenn der Mensch zum Fliegen bestimmt wäre ...«
»... hätte er Flügel«, vollendete Silke und verdrehte die Augen. »Der Spruch hatte schon einen Bart, als ich noch in der Wiege lag. Das Fliegen ist statistisch gesehen sehr viel sicherer als Auto fahren oder auch nur eine Straße als Fußgänger zu überqueren.« Sie setzte den Blinker und bog von der Hauptstraße ab. Ein kleines weißes Schild wies den Besucher darauf hin, dass der Flugplatz nur noch fünfhundert Meter entfernt lag. Ein paar Büsche versperrten noch die Sicht, und danach breitete sich flaches Land vor ihnen aus. Sie steuerten auf ein weitläufig umzäuntes Areal zu. Ein paar Gebäude, der typische Kontrollturm und Parkplätze verstreuten sich über das Gebiet. Hinweisschilder wiesen nach links zum Besucherparkplatz und nach rechts zu den Flugzeugen. Das Auto passierte die Einfahrt, und Silke bog auf den derzeit noch nahezu verwaisten Parkplatz gleich neben dem Kontrollturm.
Sie stiegen aus, und Silke ging um das Auto zu ihrem Vater. »Ich weiß, dass es für dich eine Zumutung ist ...«
»Es ist doch keine Zumutung, was redest du denn, Silke?« Karl Thormeiers Miene ließ allerdings auf das Gegenteil dessen schließen, was er seiner Tochter weismachen wollte.
Sie hob die Hände. »Okay, Papa. Du magst das Fliegen nicht. Aber ich bitte dich trotzdem, diesen Flug mit mir zu machen. Nur diesen einen. Ich möchte dir zeigen, was ich gelernt habe, und wie herrlich es ist, hoch in der Luft zu sein. Hab doch einmal Vertrauen zu deinem Kind.«
Karl Thormeier legte die Hände auf die Schultern seiner Tochter. Sie war nur wenige Zentimeter kleiner als er und besaß denselben schlanken, athletischen Körperbau, das eigenwillige Kinn und die strahlend blauen Augen. Aber das lange hellblonde Haar, die feine Nase und ihr fröhliches Wesen hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Silke war begeisterungsfähig und stürzte sich kopfüber ins Leben, was ihrem eher grüblerischen, zurückhaltenden Vater nicht leichtfiel zu verstehen.
»Ich habe doch Vertrauen zu dir, Silke, das missverstehst du«, sagte er ernst und sah ihr eindringlich in die Augen. »Natürlich kannst du fliegen, sonst wärst du längst heruntergefallen. Aber ich vertraue diesen Maschinen nicht, weil sie so viele Fehlerquellen haben, die ein enormes Risiko bergen. Nur ein kleiner Pfusch ... und die Luft hat nun mal keine Balken, und wir können die Schwerkraft nicht aufheben. Schon aus geringer Höhe klatschen wir wie ein nasser Sack auf den Boden und brechen uns sämtliche Knochen.«
»Es gibt Kinder, die schon mit vierzehn den Schein haben«, meinte Silke. »Denkst du, ihre Eltern würden es zulassen, wenn Flugzeuge so unzuverlässig wären?«
»Ich halte aber genau das für verantwortungslos, doch das ist nicht unser Thema, Silke, denn du bist erwachsen und entscheidest selbst, was du tust. Aber verlange bitte nicht von mir, dass ich es gutheiße.«
Silke seufzte bekümmert. »Ich möchte, dass du stolz auf mich bist, Papa.«
»Das bin ich auch, wenn du nicht fliegst, Silke. Du musst dich nicht beweisen.«
»Du verstehst es nicht, ich will nichts beweisen. Das Fliegen ist einfach mein Leben. Ich habe schon immer davon geträumt, und ich bin wirklich gut. Ich möchte, dass du daran teilhast. Vielleicht kannst du mich verstehen, wenn du es selbst erlebt hast. Es bedeutet mir sehr viel.«
»Nun, deswegen bin ich ja mitgekommen, nicht wahr? Oder dachtest du, ich mache jetzt noch einen Rückzieher? Du solltest mich besser kennen.« Karl ließ seine Tochter los. »Also mache ich einfach die Augen zu und bringe es hinter mich – nein, nur ein Scherz«, lachte er, als er den Anflug von Zorn an ihren zusammengezogenen Augenbrauen sah. »Zu welchem Flugzeug soll ich gehen?«
»Willst du nicht mit hereinkommen und sehen, wie gründlich wir den Start planen?«
»Nein, da werde ich nur noch nervöser. Ich mache mich lieber mal mit dem kleinen Vogel bekannt.«
Jetzt lächelte Silke wieder. »Es ist wirklich ein kleiner Vogel! Eine von den kleinen Einmotorigen da hinten, kanariengelb, und es steht Windstürmer drauf. Frag dich einfach nach der Schulmaschine, der britischen Firefly, durch. Ich komme gleich nach.« Silke wandte sich zum Gehen, doch dann drehte sie sich nochmals um, und ihr Vater verharrte erstaunt, als er ihre seltsam glückliche Miene sah.
»Weißt du, Paps, es ist ... wir haben nur uns. Ich habe es früher bei meinen Schulfreundinnen erlebt, wie wichtig Familie ist. Bei vielen von ihnen ist alles auseinandergebrochen, und die wenigsten hatten ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater. Manchmal lag es an den Vätern, manchmal an den Mädchen. Das kann sehr schnell gehen. Schnipp, und man ist allein, weil der andere verschwunden ist.« Sie schnipste mit den Fingern. »So könnte ich auch weg sein ... oder du ...«
Karl Thormeier runzelte die Stirn. »So etwas solltest du nicht sagen«, meinte er ernst. »Solche Sprüche ... mag ich nicht.« Unwillkürlich jagte es ihm einen kalten Schauder den Rücken hinunter. Er verstand keinen Spaß bei solchen Dingen und konnte schwarzem Humor nichts abgewinnen. Und dann auch noch in einer solchen Situation, wo er sich ohnehin unwohl fühlte ... nein.
Silke lachte jedoch fröhlich, und in diesem Moment sah sie so aus wie früher, wie das spitzbübische junge Mädchen, dessen Lebendigkeit ihm manchmal den Atem geraubt hatte. »Dann hast du dich bei der Bezaubernden Jeannie wahrscheinlich immer gefürchtet, hm? Manchmal bist du mit deinem Aberglauben wunderbar mittelalterlich, Papa! Also, bis gleich.«
Eine halbe Stunde später waren sie in der Luft. Karl Thormeier hatte viermal überprüft, ob der Gurt auch wirklich gut festsaß, und sich dann festgeklammert. Das Rütteln und Schütteln der kleinen Maschine, das ohrenbetäubende Aufheulen des Motors war ihm überhaupt nicht geheuer. So ein zerbrechliches kleines Ding sollte sich in die Luft erheben, ohne vorher auseinanderzufallen?
Zum Glück hatte er heute früh nur eine Tasse Kaffee getrunken. Alles andere hätte es ihm schon aus dem Magen geschüttelt. Um sich abzulenken, beobachtete Karl seine Tochter bei den Startvorbereitungen und war tief beeindruckt, wie zielsicher ihre Hände die richtigen Schalter drückten. Es sah so einfach aus, beinahe wie Autofahren. Sie kann es, dachte er stolz, sie kann es wirklich.
Dennoch fühlte er sich jämmerlich, er hatte jetzt schon ein schwummriges Gefühl im Magen und bekämpfte tapfer seine Furcht. Er wollte seine Tochter nicht beunruhigen und ihr vor allem nicht den Tag verderben. Irgendwie würde er es schon überstehen. Karl Thormeier rieb seine schweißnassen Hände und klammerte sich wieder fest, als die kleine Firefly plötzlich mit einem Ruck anfuhr und rasch an Geschwindigkeit gewann.
Als sie sich in die Luft erhoben, war Karl sicher, dass sie sofort wieder herunterkrachen würden. Trotz des Gurtes hatte er das Gefühl, abwechselnd nach oben gezogen und nach unten gepresst zu werden, ein lähmender Druck legte sich auf seine Ohren ...
... und dann war es vorbei. Plötzlich war alles ganz ruhig, selbst das Motorengeräusch wurde leiser. Das Flugzeug beschrieb eine sanfte Kurve, und dann lag der blau glitzernde, am Westufer von einem lichten Auwald gesäumte See unter ihnen, befahren von vielen Segelschiffen. Am Ostufer entlang zog sich eine Fahrstraße durch kleine Ortschaften, vorbei an Hotels, Restaurants und Strandpromenaden.
»Ist das nicht wunderbar?«, rief Silke Thormeier. »Habe ich dir zu viel versprochen?«
Karl zwang sich zu einem gequälten Lächeln. »Ja ... gewiss. Es ist eine ganz neue Perspektive. Von hier oben sieht man erst, wie groß der See ist. Schon faszinierend, irgendwie.«
Silke lachte. »Entspann dich, Papa! Denk nicht zu viel nach. Der Windstürmer und ich, wir machen das schon. Genieß einfach deinen Flug. Du hast keine Verantwortung, gar nichts – nur totale Entspannung und Genuss. Versuch es einfach mal, es tut bestimmt nicht weh!«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann, Silke ...«
»Deswegen versäumst du viel, Papa. Das habe ich dir nie begreiflich machen können. Aber hier oben ... da ist alles ganz anders. Du bist frei, ungebunden, und die ganze Welt dort unten ist winzig. Selbst deine Probleme sind winzig.«
Er machte ein skeptisches Gesicht. War es wirklich möglich, alles zu vergessen? Einfach hinter sich zu lassen? Aber es konnte doch so viel passieren ...
Ach was, rief sich Karl Thormeier plötzlich energisch zur Ordnung. Silke hat recht, ich muss viel lockerer werden. Ich darf nicht immer so schwarzsehen. Es ist ein herrlicher Tag, den meine hübsche, junge Tochter ausgerechnet mit mir, ihrem doppelt so alten Vater, verbringt, sie beherrscht dieses zerbrechliche kleine Flugzeug, und ich finde es tatsächlich großartig, so hoch oben zu sein und auf die Erde hinabzuschauen. Es ist ein erhebendes und ... ja, erhabenes Gefühl, und ich werde jede Sekunde davon genießen.
»Silke, ich danke dir für diesen wunderbaren Tag«, sagte er laut, während er die winzigen weißen Segel das funkelnde Wasser durchkreuzen sah. »Was hältst du davon, wenn wir anschließend zum See fahren und es uns beim Essen so richtig gut gehen lassen, mit allen Schikanen und dem kalorienreichsten Nachtisch, den es gibt?«
Keine Antwort.
»Silke?«
Karl Thormeier riss sich von der grandiosen Aussicht los und blickte zur Seite. Und dann begann er zu schreien.
Zum ersten Mal in seinem Leben verlor Karl Thormeier vollkommen die Beherrschung und schrie so hysterisch, dass seine Stimme sich überschlug.
Und dazu hatte er auch allen Grund.
Denn der Platz neben ihm war leer! Es war absolut unmöglich, überhaupt nicht fassbar. Karl Thormeiers Hände griffen durch die Luft, suchten nach Widerstand, denn vielleicht war es nur eine Illusion, eine optische Täuschung, schließlich kannte er sich mit dem Fliegen nicht aus. Möglicherweise stimmte der Druck in der Kabine nicht, und er halluzinierte.
Er tastete und griff, doch da war nichts, nicht einmal der Abdruck ihres Körpers im Sitz.
Silke Thormeier war spurlos verschwunden.
Und die Nase des Flugzeugs neigte sich nach unten.
»Ich träume«, wimmerte Karl Thormeier. »Ja, bestimmt träume ich. Der schlimmste Albtraum meines Lebens. Silke ... Silke ... wo bist du ...«
Und das Wasser kam immer näher.
Türkei
»Merhaba, hallo, Kollegen«, begrüßte Erdem Özelçi seine Mitarbeiter, als er in der Schaltzentrale eintraf. »Ist das nicht ein herrlicher Tag? Wolkenlos und warm. Zeit wurde es auch, nach dem dreitägigen Dauerregen ...«
»Du kannst dir nicht vorstellen, was hier los ist«, dämpfte sein Stellvertreter mit düsterer Miene seine Hochstimmung. »Ich sage schon lange, dass unser Bahnhof ausgebaut werden muss. Er platzt bald aus allen Nähten. Touristen, wohin man schaut. Wie sollen wir die alle noch zusätzlich in den Regionalzügen unterbringen? Zustände sind das!« Er schüttelte missmutig sein bärtiges Haupt.
»Ja, was war das doch für eine ruhige Station, ein angenehmes Arbeiten«, stimmte ein Rangierer zu. »Dann hat der Tourismus unsere beschauliche Küste entdeckt, und nun ...«
»Denkt doch mal ein wenig nach«, wies Erdem sie zurecht, seine Augen funkelten unter den buschigen Augenbrauen. »Dankbar solltet ihr sein, dass in unsere Region endlich Devisen kommen! Wie viele mussten schon fort, weil es keine Arbeit gab!« Der Bahnhofsvorsteher hängte seine Jacke über den Stuhl und betrachtete dann die Kontrollen. »Funktioniert der Fahrplan?«