Das Herz der Finsternis - Joseph Conrad - E-Book

Das Herz der Finsternis E-Book

Joseph Conrad

0,0
0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit der Erzählung »Herz der Finsternis« gelangte Joseph Conrad zu Weltruhm. Der ungewöhnlich symbolreiche Text wird seit Erscheinen immer wieder aufs Neue interpretiert. Ende des 19. Jahrhunderts, der Flussdampferkapitän Marlow reist im Auftrag einer belgischen Handelskompanie tief in den Kongo. Auf seiner Reise erlebt er unverständliche Wirrnisse, Sinnlosigkeit und eine unvorstellbare Ausbeutung der Einheimischen. Die Reise auf dem Fluss entwickelt sich immer mehr zur Reise in sein eigenes Unterbewusstsein, in ein finsteres Labyrinth von Lüge und Schuld. Marlow trifft auf den berüchtigten Elfenbeinhändler Kurtz. Dieser hat aus seinem Handelsposten ein Zentrum des Bösen gemacht und sich so eine machtvolle Position erschaffen, von der aus er scheinbar frei schalten und walten darf. »Herz der Finsternis« hat von Anfang an Leser und Interpreten fasziniert und hat bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Der Stoff diente als Vorlage mehrerer Verfilmungen. Am bekanntesten: »Apocalypse Now« von Francis Ford Coppola mit Marlon Brando in der Rolle des charismatischen und geheimnisvollen Ausbeuters (diesmal) asiatischer Einheimischer während des Vietnamkrieges und »Aguirre, der Zorn Gottes« von Werner Herzog mit Klaus Kinski als wahnsinnigen Eroberer und Vollstrecker eines ausbeuterischen, europäischen Kolonialismus in Süd-Amerika. Null Papier Verlag

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 195

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Joseph Conrad

Das Herz der Finsternis

Joseph Conrad

Das Herz der Finsternis

(Heart of Darkness)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Ernst Wolfgang Freißler EV: S. Fischer Verlag, Berlin, 1933 3. Auflage, ISBN 978-3-954182-07-7

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Be­deu­tung

Ka­pi­tel I

Ka­pi­tel II

Ka­pi­tel III

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Bedeutung

Mit der Er­zäh­lung »Herz der Fins­ter­nis« ge­lang­te Jo­seph Con­rad zu Wel­truhm. Der un­ge­wöhn­lich sym­bol­rei­che Text wird seit Er­schei­nen im­mer wie­der aufs Neue in­ter­pre­tiert.

Ende des 19. Jahr­hun­derts, der Fluss­damp­fer­ka­pi­tän Mar­low reist im Auf­trag ei­ner bel­gi­schen Han­dels­kom­pa­nie tief in den Kon­go. Auf sei­ner Rei­se er­lebt er un­ver­ständ­li­che Wirr­nis­se, Sinn­lo­sig­keit und eine un­vor­stell­ba­re Aus­beu­tung der Ein­hei­mi­schen.

Die Rei­se auf dem Fluss ent­wi­ckelt sich im­mer mehr zur Rei­se in sein ei­ge­nes Un­ter­be­wusst­sein, in ein fins­te­res La­by­rinth von Lüge und Schuld. Mar­low trifft auf den be­rüch­tig­ten El­fen­bein­händ­ler Kurtz. Die­ser hat aus sei­nem Han­dels­pos­ten ein Zen­trum des Bö­sen ge­macht und sich so eine macht­vol­le Po­si­ti­on er­schaf­fen, von der aus er schein­bar frei schal­ten und wal­ten darf.

»Herz der Fins­ter­nis« hat von An­fang an Le­ser und In­ter­pre­ten fas­zi­niert und hat bis heu­te nichts von sei­ner Ak­tua­li­tät ein­ge­büßt.

Der Stoff diente als Vor­la­ge meh­re­rer Ver­fil­mun­gen. Am be­kann­tes­ten: »Apo­ca­lyp­se Now« von Fran­cis Ford Cop­po­la mit Mar­lon Bran­do in der Rol­le des cha­ris­ma­ti­schen und ge­heim­nis­vol­len Aus­beu­ters (dies­mal) asia­ti­scher Ein­hei­mi­scher wäh­rend des Vi­et­nam­krie­ges und »Aguir­re, der Zorn Got­tes« von Wer­ner Her­zog mit Klaus Kin­ski als wahn­sin­ni­gen Ero­be­rer und Voll­stre­cker ei­nes aus­beu­te­ri­schen, eu­ro­päi­schen Ko­lo­nia­lis­mus in Süd-Ame­ri­ka.

»Der Mensch ist ein bös­ar­ti­ges Tier. Sei­ne Bös­ar­tig­keit muss or­ga­ni­siert wer­den. Das Ver­bre­chen ist eine not­wen­di­ge Be­din­gung der or­ga­ni­sier­ten Exis­tenz. Die Ge­sell­schaft ist ih­rem We­sen nach kri­mi­nell, sonst wür­de sie nicht exis­tie­ren. Der Ego­is­mus ret­tet al­les – ab­so­lut al­les –, was wir has­sen, was wir lie­ben. Und al­les bleibt so, wie es ist. Eben­dies ist der Grund, warum ich die ex­tre­men An­ar­chis­ten ach­te. ‚Ich er­hof­fe die all­ge­mei­ne Aus­rot­tung‘ – sehr gut. Das ist ge­recht, und, mehr noch, es ist klar. Wir ge­hen mit Wor­ten Kom­pro­mis­se ein. Es hilft uns auch nicht wei­ter. Es ist wie ein Wald, in dem nie­mand den Weg kennt. Man ist ver­lo­ren, wäh­rend man noch ruft: ›Ich bin ge­ret­tet!‹«

Jo­seph Con­rad: Brief an Ro­bert Cun­ning­ha­me Gra­ham, 2. Fe­bru­ar 1899

»Von al­lem, was er ge­schrie­ben hat­te, be­wun­der­te ich am meis­ten die furcht­ba­re Er­zäh­lung Herz der Fins­ter­nis, die sei­ne Le­bens­an­schau­ung voll­kom­men aus­drückt: der leid­lich mo­ra­li­sche Kul­tur­mensch auf dem ge­fahr­vol­len Weg über eine Krus­te kaum er­kal­te­ter Lava, die je­den Au­gen­blick durch­bre­chen und den Un­vor­sich­ti­gen in heiß lo­dern­de Ab­grün­de sin­ken las­sen kann.«

Ber­trand Rus­sell

Kapitel I

Die Nel­ly, eine see­tüch­ti­ge Jol­le, schwoi­te1 an ih­rem An­ker ohne die lei­ses­te Re­gung in den Se­geln und hielt Rast. Die Flut hat­te be­gon­nen, es war fast völ­lig wind­still, und da wir strom­ab­wärts woll­ten, so hat­ten wir wei­ter nichts zu tun, als lie­gen­zu­blei­ben, und das Ken­tern des Stro­mes ab­zu­war­ten.

Die Them­se­mün­dung dehn­te sich vor uns wie der An­fang ei­ner un­ge­heu­ren Was­ser­stra­ße. Drau­ßen wa­ren die See und der Him­mel fu­gen­los zu­sam­men­ge­schweißt, und in dem leuch­ten­den Raum schie­nen die ge­gerb­ten Se­gel der Leich­ter, die mit der Flut her­auf­trie­ben, reg­los still zu ste­hen, als scharf um­ris­se­ne rote Lein­wand­stücke, vom Lack­glanz der Sprie­te ge­höht. Ein leich­ter Dunst la­ger­te über den nied­ri­gen Ufern, die ge­gen die See zu ganz flach ver­lie­fen. Die Luft über Gra­ve­send war dun­kel und schi­en noch wei­ter zu­rück zu ei­ner fins­te­ren Wol­ke ver­düs­tert, die un­be­weg­lich über der größ­ten Stadt der Erde la­ger­te.

Der Di­rek­tor der Han­dels­ge­sell­schaft war un­ser Schif­fer und Gast­ge­ber. Wir vier be­trach­te­ten wohl­wol­lend sei­nen Rücken, wäh­rend er im Bug stand und see­wärts Aus­schau hielt. Auf dem gan­zen Strom war si­cher nichts zu fin­den, das halb so see­män­nisch aus­ge­se­hen hät­te. Er er­in­ner­te an einen Lot­sen, der für einen See­mann der In­be­griff der Ver­trau­ens­wür­dig­keit ist. Es war schwie­rig, sich vor­zu­stel­len, dass sei­ne Be­rufs­ar­beit nicht dort vor ihm lag, in der leuch­ten­den Mün­dung, son­dern hin­ter ihm, in der brü­ten­den Dunst­wol­ke.

Zwi­schen uns be­stand, wie ich schon ir­gend­wo ge­sagt habe, das Band der See. Das hat­te nicht nur die Wir­kung, un­se­re Her­zen wäh­rend lan­ger Tren­nung ein­an­der zu­ge­tan zu hal­ten, son­dern auch die an­de­re, dass wir ei­ner für des an­de­ren Ge­schich­ten – so­gar Über­zeu­gun­gen – Nach­sicht auf­brach­ten. Der Rechts­an­walt – der feins­te al­ler al­ten Kna­ben – hat­te kraft der Zahl sei­ner Jah­re wie auch sei­ner Tu­gen­den das ein­zi­ge Kis­sen auf Deck und lag auf der ein­zi­gen De­cke. Der Buch­hal­ter hat­te schon eine Do­mi­noschach­tel her­auf­ge­bracht und führ­te nun mit den Stei­nen Kunst­bau­ten auf. Mar­low saß mit ge­kreuz­ten Bei­nen et­was wei­ter zu­rück und lehn­te sich ge­gen den Be­san­mast. Er hat­te ein­ge­fal­le­ne Wan­gen, eine gelb­li­che Haut­far­be, einen ge­ra­den Rücken und das Aus­se­hen ei­nes As­ke­ten; wie er nun, die Hand­flä­chen aus­wärts­ge­kehrt, die Arme hän­gen ließ, er­in­ner­te er an ein Göt­zen­bild. Der Di­rek­tor, der sich mit Be­frie­di­gung über­zeugt hat­te, dass der An­ker gut hielt, kam nun nach ach­tern und setz­te sich zu uns. Wir tausch­ten trä­ge ei­ni­ge Wor­te. Dann herrsch­te Schwei­gen an Bord der Jacht. Aus dem oder je­nem Grun­de be­gan­nen wir die Do­mi­no­par­tie nicht. Wir wa­ren nach­denk­lich ge­stimmt und fühl­ten uns nur zu mü­ßi­gem Schau­en auf­ge­legt. Der Tag ging in stil­lem Glanz zu Ende. Die Was­ser­flä­che leuch­te­te fried­lich; der Him­mel, fle­cken­los, er­weck­te den Ge­dan­ken, an se­li­ge, strah­len­de Unend­lich­keit; so­gar noch der Dunst über der Es­sex­marsch er­schi­en als ein lich­tes Schlei­er­tuch, das von den wal­di­gen Hö­hen land­ein­wärts nie­der­wall­te und die fla­chen Ufer hin­ter durch­sich­ti­gen Fal­ten ver­barg. Nur der Dunst im Wes­ten, über dem Ober­lauf des Flus­ses, wur­de mit je­der Mi­nu­te düs­te­rer, als er­zürn­te ihn das Na­hen der Son­ne.

Und schließ­lich sank die Son­ne tief ans Ende ih­rer Bahn, wech­sel­te von blen­den­dem Weiß zu tie­fem Rot, ohne Strah­len und ohne Hit­ze, als woll­te sie plötz­lich ver­lö­schen, zu Tode ge­trof­fen von der Berüh­rung mit der Dunst­wol­ke, die über ei­nem Men­schen­hau­fen brü­te­te.

Die Son­ne sank, die Däm­me­rung brach über den Strom her­ein, und längs der Ufer be­gan­nen Lich­ter auf­zut­au­chen. Der Leucht­turm von Chap­man, der auf sei­nen drei Bei­nen ker­zen­ge­ra­de auf ei­ner Mo­rast­bank stand, gab grel­les Licht. Schiffs­lich­ter kreuz­ten durch das Fahr­was­ser – ein Ge­wim­mel von Lich­tern, die auf und ab wan­der­ten. Und wei­ter weg, im Wes­ten, ge­gen den Ober­lauf des Flus­ses zu, war die un­ge­heu­re Stadt im­mer noch am Him­mel zu mer­ken; ein brü­ten­der Dunst im Son­nen­schein, ein düs­te­rer Glanz un­ter den Ster­nen.

»Und auch dies«, sag­te Mar­low plötz­lich, »ist ein­mal ei­ner der dunklen Orte der Erde ge­we­sen.«

Er war der ein­zi­ge un­ter uns, der im­mer noch zur See fuhr. Das Schlimms­te, was man ihm nach­sa­gen konn­te, war, dass ihm sein Be­ruf nicht an­zu­mer­ken war. Er war ein See­mann, aber auch ein Wan­de­rer, wäh­rend doch die meis­ten See­leu­te, wenn man so sa­gen darf, ein seß­haf­tes Le­ben füh­ren. Ihr Sinn ist auf Häus­lich­keit ge­rich­tet, und ihre Häus­lich­keit ist über­all um sie – das Schiff; und so auch ihre Hei­mat – die See. Ein Schiff gleicht dem an­de­ren so ziem­lich, und die See ist über­all die­sel­be. An der Un­ver­än­der­lich­keit ih­rer Um­ge­bung glei­ten die frem­den Ge­sta­de, die frem­den Ge­sich­ter, der end­los bun­te Wech­sel des Le­bens vor­bei; doch kein Ge­heim­nis hält die Be­schau­er vom Ein­drin­gen ab, son­dern nur die ei­ge­ne ge­ring­schät­zi­ge Un­wis­sen­heit; denn nichts Ge­heim­nis­vol­le­res gibt es für einen See­mann als die See selbst, die die Her­rin sei­nes Da­seins ist und un­er­gründ­lich wie das Schick­sal. Im Üb­ri­gen ge­nügt nach ar­beits­rei­chen Ta­gen ein kur­z­er Streif­zug oder eine kur­ze Ze­che­rei an Land, um ihm das Ge­heim­nis ei­nes gan­zen Kon­tin­ents zu er­schlie­ßen, und meist fin­det er das Ge­heim­nis we­nig wis­sens­wert. Die Ge­schich­ten der See­leu­te sind von un­end­li­cher Ein­falt, und ih­ren gan­zen Sinn könn­te eine Nuss­scha­le fas­sen. Aber Mar­low war, wie ge­sagt, kein ty­pi­scher Ver­tre­ter sei­nes Be­rufs (sei­ne Lei­den­schaft, ein Garn zu spin­nen, viel­leicht aus­ge­nom­men), und für ihn lag der Sinn ei­nes Be­geb­nis­ses nicht in­nen wie ein Kern, son­dern au­ßen, rings um die Ge­schich­te, die ihn her­vor­brach­te, wie eine Glut­wel­le einen Dunst her­vor­bringt, oder wie etwa ei­ner der Ne­bel­hö­fe, die mit­un­ter durch den Mond­schein sicht­bar ge­macht wer­den.

Sei­ne Be­mer­kung wirk­te durch­aus nicht über­ra­schend. Sie sah Mar­low ganz ähn­lich und wur­de schwei­gend auf­ge­nom­men. Kei­ner nahm sich auch nur die Mühe, zu knur­ren; und nun füg­te Mar­low ganz lang­sam hin­zu:

»Ich dach­te an die ur­al­ten Zei­ten, als die Rö­mer zum ers­ten Male hier­her ka­men, neun­zehn­hun­dert Jah­re ist es her – da neu­lich … Licht ist seit­her von die­sem Fluss aus­ge­gan­gen – Rit­ter sagt ihr? Ja; aber es ist nur wie ein wan­dern­der Son­nen­fleck auf ei­ner Ebe­ne, wie ein Blitz in Wol­ken. Wir le­ben in die­sem Auf­blit­zen – mag es wäh­ren, so­lang die Erde rollt. Doch ges­tern noch herrsch­te Dun­kel­heit hier. Stellt euch die Ge­füh­le des Be­fehls­ha­bers ei­ner – wie nennt ihr sie – Tr­i­re­me2 im Mit­tel­meer vor, der plötz­lich nach Nor­den ver­setzt wird; er durch­quert die bei­den Gal­li­en in größ­ter Eile; dann wird ihm ei­nes der Fahr­zeu­ge an­ver­traut, wie sie die Le­gio­näre – fa­bel­haft ge­schick­te Leu­te müs­sen es ge­we­sen sein – zu bau­en pfleg­ten, hun­dert­wei­se, wie es scheint, in ein oder zwei Mo­na­ten, wenn das, was wir le­sen, zu glau­ben ist. Stellt ihn euch hier vor – wahr­haft am Ende der Welt, vor ei­ner blei­far­be­nen See un­ter ei­nem rauch­far­be­nen Him­mel, auf ei­nem Schiff, ge­brech­lich wie eine Har­mo­ni­ka – wie er die­sen Strom hier hin­auf­geht, mit Vor­rä­ten oder Be­feh­len oder sonst et­was. Sand­bän­ke, Mar­schen, Ur­wäl­der und Wil­de – ver­teu­felt we­nig zu es­sen für einen zi­vi­li­sier­ten Men­schen, nichts als Them­se­was­ser zu trin­ken, kein Fa­ler­ner Wein hier, kei­ne Aus­flü­ge an Land. Da und dort ein Mi­li­tär­la­ger, in der Wild­nis ver­lo­ren, wie eine Na­del in ei­nem Heu­hau­fen – Käl­te, Ne­bel, Un­ge­wit­ter, Krank­heit, Ver­ban­nung und Tod – Tod, der in der Luft, im Was­ser, im Busch lau­ert. Sie müs­sen hier wie Flie­gen ge­stor­ben sein. O ge­wiss, der Mann tat sei­ne Pf­licht. Tat sie gut, ganz ohne Fra­ge, und ohne viel dar­über nach­zu­den­ken, höchs­tens, dass er spä­ter ein­mal mit al­le­dem prahl­te, was er zu sei­ner Zeit durch­ge­macht hat­te. Sie wa­ren Manns ge­nug, der Fins­ter­nis ins Auge zu se­hen, und viel­leicht hielt ihn die Aus­sicht auf­recht, nach und nach zur Flot­te von Ra­ven­na ver­setzt zu wer­den, wenn er gute Freun­de in Rom hat­te und das schau­er­li­che Kli­ma über­leb­te. Oder denkt euch einen wohl­er­zo­ge­nen jun­gen Bür­ger in ei­ner Toga – ein biss­chen zu viel Wür­fel­spiel viel­leicht –, der im Ge­fol­ge ei­nes Prä­fek­ten, ei­nes Steuer­ein­neh­mers oder so­gar ei­nes Händ­lers hier her­aus­kam, um sei­ne Finan­zen auf­zu­bes­sern. In ei­nem Mo­rast lan­den, durch die Wäl­der mar­schie­ren und dann an ir­gend­ei­nem Pos­ten land­ein­wärts füh­len, dass die Wild­nis, die völ­li­ge Wild­nis sich um einen ge­schlos­sen hat. – Dazu all das ge­heim­nis­vol­le Le­ben der Wild­nis, das im Wald, im Dickicht und in den Her­zen der wil­den Män­ner at­met. Es führt auch kein Weg zu die­sen Ge­heim­nis­sen. Man hat in­mit­ten des Un­ver­ständ­li­chen, das im glei­chen Maße ver­hasst ist, wei­ter­zu­le­ben. Al­ler­dings hat es auch sei­nen Reiz, dem er sich nicht ent­zie­hen kann. Den Reiz des Grau­ens, wenn ihr das ver­steht. Stellt euch vor, wie die Reue wächst, zu­gleich mit der Sehn­sucht, zu ent­rin­nen, dem ohn­mäch­ti­gen Wi­der­wil­len der Er­ge­bung, dem Hass.«

Er brach ab.

»Be­denkt«, be­gann er von Neu­em, und hob da­bei einen Arm mit nach au­ßen ge­kehr­ter Hand­flä­che im Ell­bo­gen­ge­lenk hoch, so­dass er, auf ge­kreuz­ten Bei­nen sit­zend, wie ein pre­di­gen­der Bud­dha wirk­te, ein Bud­dha al­ler­dings in eu­ro­päi­schen Klei­dern und ohne Lo­tos­blu­me – »be­denkt, kei­ner von uns wür­de ge­nau­so emp­fin­den. Was uns ret­tet, ist die Leis­tungs­fäl­lig­keit. – Das In­ter­es­se am Nutz­wert. Das näm­lich fehl­te den Bur­schen von da­mals völ­lig. Sie wa­ren kei­ne Ko­lo­ni­sa­to­ren. Ihre Ver­wal­tung war nichts als eine große Steu­er­schrau­be – so scheint es mir we­nigs­tens. Sie wa­ren Ero­be­rer, und dazu brauch­te es nichts als rohe Kraft – nichts, des­sen man sich zu rüh­men hät­te, wenn man es be­sitzt, denn un­se­re Kraft ist ja im­mer nur ein Ge­fühl, das sich aus der Schwä­che der an­de­ren er­gibt. Sie raff­ten zu­sam­men, was zu krie­gen war, und wa­ren im­mer auf noch mehr aus. Es war rich­ti­ger Raub­mord un­ter er­schwe­ren­den Um­stän­den, in grö­ße­rem Maß­sta­be, und die Leu­te gin­gen blind dar­an – wie es sich ja auch für die schickt, die sich in die Fins­ter­nis vor­wa­gen. Die Erobe­rung der Erde (ein Wort, das meis­tens die Be­deu­tung hat, dass man Leu­ten, die eine an­de­re Haut­far­be oder fla­che­re Na­sen als wir selbst ha­ben, ihr Land weg­nimmt), die­se Erobe­rung ist nichts All­zu­schö­nes, wenn man sie sich aus der Nähe be­trach­tet. Was sie ver­söhn­lich er­schei­nen lässt, ist nur die Idee, die Idee hin­ter ihr; kein ge­fühls­mä­ßi­ger Vor­wand, son­dern die Idee; und ein selbst­lo­ser Glau­be an die­se Idee – et­was, das man hoch­hal­ten, vor dem man sich nei­gen und dem man ein Op­fer brin­gen kann …«

Er brach ab. Flam­men glit­ten durch den Fluss, klei­ne grü­ne Flam­men, rote Flam­men, wei­ße Flam­men. Ver­folg­ten, über­hol­ten ein­an­der, ver­ei­nig­ten sich, um gleich wie­der lang­sam oder has­tig sich zu tren­nen. Das Le­ben der großen Stadt ging in der sin­ken­den Nacht auf dem schlaflo­sen Strom sei­nen Gang. Wir sa­hen zu und war­te­ten ge­dul­dig – nichts an­de­res war zu tun bis zum Ablau­fen der Flut; doch erst nach ei­nem lan­gen Schwei­gen sag­te Mar­low leicht zö­gernd: »Ich den­ke, ihr er­in­nert euch ja, dass ich ein­mal eine Zeit lang Fluss­schif­fer war«, und da wuss­ten wir auch, dass wir, noch be­vor die Ebbe ein­setz­te, eine von Mar­lows ei­gen­ar­ti­gen Ge­schich­ten an­zu­hö­ren ha­ben wür­den.

»Ich will euch nicht viel mit dem lang­wei­len, was mir selbst ge­sch­ah«, be­gann er und be­wies da­mit die Schwä­che so vie­ler Ge­schich­ten­er­zäh­ler, die häu­fig gar nicht zu wis­sen schei­nen, was ihre Zu­hö­rer am liebs­ten hö­ren wür­den. »Um aber die Wir­kung der Er­eig­nis­se auf mich zu ver­ste­hen, müsst ihr na­tür­lich wis­sen, wie ich dort hin­aus­kam, was ich sah und wie ich den Fluss bis zu dem Punkt hin­auf­fuhr, wo ich den ar­men Kerl zum ers­ten Mal traf. Es war der End­punkt der Schiff­fahrt und der Gip­fel­punkt mei­ner Er­fah­rung. Es schi­en ein Licht auf al­les um mich zu wer­fen – und noch in mei­ne Ge­dan­ken hin­ein. Da­bei war es trü­be ge­nug und er­bar­mens­wür­dig – kei­nes­wegs be­mer­kens­wert und auch nicht son­der­lich klar. Nein, ge­wiss nicht son­der­lich klar. Und doch schi­en es Licht aus­zu­strah­len.

Ich war da­mals, wie ihr euch er­in­nert, eben nach Lon­don heim­ge­kehrt, nach­dem ich den Os­ten reich­lich ge­se­hen und mich etwa sechs Jah­re lang im In­di­schen und Stil­len Ozean und im Chi­ne­si­schen Meer her­um­ge­trie­ben hat­te; nun bum­mel­te ich her­um, hin­der­te euch Bur­schen in eu­rer Ar­beit, drang in eure Häu­ser ein, als hät­te mich der Him­mel zu der Auf­ga­be be­ru­fen, euch zur Ge­sit­tung zu be­keh­ren. Eine Zeit lang schi­en es recht nett, aber dann wur­de ich des Fau­len­zens müde. Ich be­gann nach ei­nem Schiff Aus­schau zu hal­ten, was mir die här­tes­te Ar­beit auf Er­den zu sein scheint. Doch die Schif­fe sa­hen nicht nach mir und so wur­de ich auch die­ses Spie­les müde.

Nun hat­te ich schon als ganz klei­ner Jun­ge eine Lei­den­schaft für Land­kar­ten ge­habt. Ich konn­te mir stun­den­lang Süd­ame­ri­ka, oder Afri­ka, oder Aus­tra­li­en be­trach­ten und mich in die Won­nen der Er­for­schung ver­sen­ken. Da­mals gab es noch vie­le wei­ße Fle­cke auf der Erde, und wenn ich auf einen stieß, der auf der Kar­te ein­la­dend aus­sah (aber das tun sie ja alle), dann leg­te ich den Fin­ger dar­auf und sag­te: ›Wenn ich groß bin, will ich da­hin ge­hen.‹ Der Nord­pol war ei­ner die­ser Orte, wie ich mich er­in­ne­re: ich bin nicht dort ge­we­sen und will es auch jetzt nicht ver­su­chen. Der Zau­ber ist ver­flo­gen. An­de­re Fle­cke wa­ren um den Äqua­tor her­um ver­streut und über alle Brei­ten, über bei­de Halb­ku­geln. An ei­ni­gen da­von bin ich ge­we­sen und … nun, wir wol­len nicht da­von re­den. Aber einen gab es noch, den größ­ten, den wei­ßes­ten so­zu­sa­gen, nach dem mir der Sinn stand.

Tat­säch­lich war es da­mals kein wei­ßer Fleck mehr. Seit mei­ner Kna­ben­zeit war er mit Strö­men, Seen und Na­men an­ge­füllt wor­den. Er hat­te auf­ge­hört, ein Raum voll köst­li­cher Ge­heim­nis­se zu sein, ein wei­ßer Fleck, von dem ein Kna­be Ruhm er­träu­men konn­te. Er war zu ei­nem Ort der Fins­ter­nis ge­wor­den. Doch gab es dar­in einen Fluss­lauf, einen mäch­tig großen Strom, den man auf der Kar­te se­hen konn­te und der ei­ner lang­ge­streck­ten Schlan­ge äh­nel­te, de­ren Kopf im Mee­re lag, wäh­rend der ru­hen­de Kör­per sich weit weg über wei­te Län­de­rei­en rin­gel­te und der Schwanz sich tief im In­nern ver­lor. Als ich mir in ei­nem Aus­la­ge­fens­ter die­se Kar­te be­trach­te­te, fühl­te ich mich ge­bannt wie ein Vo­gel, ein ganz dum­mer klei­ner Vo­gel, vom Blick ei­ner Schlan­ge. Dann er­in­ner­te ich mich, dass es eine große Ge­sell­schaft, eine Han­dels­ge­sell­schaft an dem Flus­se gab. Zum Teu­fel, dach­te ich mir, sie kön­nen doch auf der Men­ge Süß­was­ser dort nicht Han­del trei­ben ohne ir­gend­ei­ne Art von Fahr­zeu­gen – Dampf­boo­ten! Wa­rum soll­te ich nicht ver­su­chen, ei­nes da­von in die Fin­ger zu be­kom­men; Ich ging wei­ter durch Fleet Street,3 konn­te aber den Ge­dan­ken nicht los­wer­den. Die Schlan­ge hat­te mich be­rückt.

Ihr müsst wis­sen, dass die Han­dels­ge­sell­schaft ein Fest­land-Kon­zern war; aber ich habe eine Men­ge Ver­wand­te, die auf dem Fest­land woh­nen, weil es dort, so viel man hört, bil­li­ger und nicht gar so schlimm ist, wie es aus­sieht.

Ich muss zu mei­ner Schan­de ge­ste­hen, dass ich den Leu­ten auf den Hals rück­te. Für mich war es schon der zwei­te Schritt ins Le­ben. Doch war ich es nicht ge­wohnt, Din­ge auf die­se Wei­se zu er­rei­chen. Ich war im­mer auf mei­nen ei­ge­nen We­gen und auf mei­nen ei­ge­nen Bei­nen da­hin ge­gan­gen, wo­hin ich hat­te ge­hen wol­len. Ich hät­te es mir selbst gar nicht zu­ge­traut; aber dann, seht ihr, fühl­te ich plötz­lich, dass ich krumm oder ge­ra­de dort­hin kom­men muss­te. So lief ich also den Leu­ten die Tü­ren ein. Die Män­ner sag­ten: ›Mein lie­ber Jun­ge‹ und ta­ten nichts. Dann, wür­det ihr es glau­ben, ver­such­te ich es bei den Frau­en. Ich, Char­lie Mar­low, setz­te die Frau­en in Be­we­gung – um eine Stel­le zu be­kom­men. Him­mel noch mal! Ja, seht ihr, mich pei­nig­te mei­ne fixe Idee. Ich hat­te eine Tan­te, eine lie­be über­schweng­li­che See­le. Sie schrieb: ›Es wird ent­zückend. Ich bin be­reit, al­les, al­les für Dich zu tun. Es ist eine gott­vol­le Idee. Ich ken­ne die Ge­mah­lin ei­ner sehr hoch­ge­stell­ten Per­sön­lich­keit in der Ver­wal­tung und auch einen Mann, der großen Ein­fluss hat‹, und so wei­ter und so wei­ter. Sie war ent­schlos­sen, kein Mit­tel un­ver­sucht zu las­sen, um mir die Be­stal­lung als Ka­pi­tän ei­nes Fluss­damp­fers zu ver­schaf­fen, wenn mir dar­an ge­le­gen wäre.

Ich be­kam den Pos­ten – wie nicht an­ders zu er­war­ten; und über­dies noch sehr schnell. Wie sich dann her­aus­stell­te, hat­te die Ge­sell­schaft die Nach­richt be­kom­men, dass ei­ner ih­rer Ka­pi­tä­ne in ei­nem Schar­müt­zel mit den Ein­ge­bo­re­nen ge­tö­tet wor­den war. Das war mein Glück, und es mach­te mich noch ver­ses­se­ner dar­auf, hin­zu­ge­hen. Erst vie­le Mo­na­te spä­ter, bei dem Ver­such, die Über­res­te des Leich­nams zu ret­ten, hör­te ich, dass der gan­ze Streit durch ein Miss­ver­ständ­nis we­gen ei­ni­ger Hüh­ner ent­stan­den war. Ja­wohl, we­gen zwei schwar­zer Hen­nen. Fres­le­ven – so hieß der Bur­sche, ein Däne – glaub­te sich in dem Han­del ir­gend­wie be­nach­tei­ligt, ging also an Land und be­gann den Häupt­ling des Dor­fes mit ei­nem Sto­cke durch­zu­bläu­en. Es über­rasch­te mich nicht im Ge­rings­ten, das zu hö­ren und gleich­zei­tig auch die Ver­si­che­rung zu er­hal­ten, dass Fres­le­ven das höf­lichs­te, ru­higs­te Ge­schöpf ge­we­sen sei, das je auf zwei Bei­nen da­hin­ge­gan­gen war. Das war ganz frag­los rich­tig; nur war er schon ei­ni­ge Jah­re dort drau­ßen ge­we­sen, im Dienst der gu­ten Sa­che, und hat­te also wohl schließ­lich das Be­dürf­nis emp­fun­den, vor sich selbst sei­ne Selb­st­ach­tung auf ir­gend­ei­ne Wei­se zu be­stä­ti­gen. Da­rum ver­prü­gel­te er den al­ten Ne­ger er­bar­mungs­los, wäh­rend eine große Men­ge Vol­kes wie be­täubt zu­sah, schließ­lich führ­te ein Mann – der Sohn des Häupt­lings, wie man mir sag­te – in hel­ler Verzweif­lung über das Ge­schrei des Al­ten ver­suchs­wei­se einen Speer­stoß nach dem wei­ßen Mann – und na­tür­lich drang die Spit­ze ganz leicht zwi­schen den Schul­ter­blät­tern ein. Dann ver­schwand die ge­sam­te Be­völ­ke­rung in den Wald, in der Be­fürch­tung al­les er­denk­li­chen Un­heils, wäh­rend an­de­rer­seits der Damp­fer, den Fres­le­ven be­feh­ligt hat­te, glei­cher­wei­se von Pa­nik er­grif­fen, un­ter dem Be­fehl ei­nes In­ge­nieurs ab­fuhr. Hin­ter­her schi­en sich nie­mand um Fres­le­vens sterb­li­che Res­te son­der­li­che Ge­dan­ken zu ma­chen, bis ich hin­aus­kam und an sei­ne Stel­le trat. Ich konn­te es nicht auf sich be­ru­hen las­sen; als sich mir aber end­lich die Ge­le­gen­heit bot, mit mei­nem Vor­gän­ger zu­sam­men­zu­tref­fen, da war das Gras hoch ge­nug durch sei­nen Kör­per ge­wach­sen, um sei­ne Kno­chen zu ver­ber­gen. Sie wa­ren voll­zäh­lig da. Das über­na­tür­li­che We­sen war nach sei­nem Fall nicht mehr an­ge­rührt wor­den. Und das Dorf war ver­las­sen, die Hüt­ten gähn­ten schwarz, ver­fault, ganz wind­schief hin­ter den ein­ge­fal­le­nen Zäu­nen. Ein Un­heil war in der Tat über sie her­ein­ge­bro­chen. Die Ein­woh­ner wa­ren ver­schwun­den. Blin­des Ent­set­zen hat­te sie, Män­ner, Wei­ber und Kin­der, durch den Busch ge­jagt, und sie wa­ren nie wie­der­ge­kehrt. Was aus den Hen­nen ge­wor­den war, konn­te ich auch nicht fest­stel­len. Ich möch­te aber glau­ben, dass sie der Sa­che des Fort­schrit­tes an­heim­fie­len. Doch so oder so, in­fol­ge die­ser glor­rei­chen An­ge­le­gen­heit be­kam ich mei­ne An­stel­lung, be­vor ich sie noch rich­tig zu er­hof­fen be­gon­nen hat­te.

Ich flog wie ver­rückt her­um, um fer­tig zu wer­den, und noch vor Ablauf von achtund­vier­zig Stun­den fuhr ich über den Kanal, um mich mei­nen Ar­beit­ge­bern vor­zu­stel­len und den Ver­trag zu un­ter­schrei­ben. Nach ganz we­ni­gen Stun­den kam ich in ei­ner Stadt an, die mich im­mer an ein ge­tünch­tes Grab er­in­nert. Ein Vor­ur­teil, ohne Fra­ge. Ich hat­te kei­ne Schwie­rig­kei­ten, das Kon­tor der Ge­sell­schaft zu fin­den. Es war die größ­te Un­ter­neh­mung in der Stadt und ihr Name auf je­der­manns Lip­pen. Die Leu­te wa­ren eben da­bei, ein über­see­i­sches Reich zu er­rich­ten und im Han­del un­ge­heu­er viel Geld zu ma­chen.

Eine enge, ein­sa­me Gas­se im tie­fen Schat­ten ho­her Häu­ser, zahl­lo­se Fens­ter mit Ja­lou­si­en, ein to­tes Schwei­gen, Gras zwi­schen den Pflas­ter­fu­gen, mäch­ti­ge Tor­bo­gen links und rechts, un­ge­heu­re zweiflü­ge­li­ge Tore, die wuch­tig of­fen stan­den. Ich schlüpf­te durch ei­nes hin­ein, ging ein sau­be­res und schmuck­lo­ses Trep­pen­haus, kahl wie eine Wüs­te, hin­auf und öff­ne­te die ers­te Tür, an die ich kam. Zwei Frau­en, die eine fett und die an­de­re ma­ger, sa­ßen auf stroh­ge­floch­te­nen Stüh­len und strick­ten schwar­ze Wol­le. Die schwar­ze stand auf und kam ge­ra­de auf mich zu – wo­bei sie im­mer noch mit nie­der­ge­schla­ge­nen Au­gen wei­ter­strick­te –, und erst als ich zu er­wä­gen be­gann, ob ich ihr wür­de aus dem Wege ge­hen müs­sen wie ei­ner Traum­wand­le­rin, blieb sie ste­hen und sah auf. Ihr Ge­wand war schlicht wie der Über­zug ei­nes Re­gen­schir­mes; sie dreh­te ohne ein Wort um und ging mir in ein War­te­zim­mer vor­an. Ich nann­te mei­nen Na­men und sah mich um. Ein Tisch aus wei­chem Holz in der Mit­te, ein­fa­che Stüh­le längs der Wand, an ei­nem Ende eine leuch­ten­de Land­kar­te, mit al­len Far­ben des Re­gen­bo­gens be­malt. Es gab viel Rot dar­auf – gut an­zu­se­hen, weil man weiß, dass dort nütz­li­che Ar­beit ge­leis­tet wird; ver­teu­felt viel Blau, ein we­nig Grün, ein paar Strei­fen Oran­ge und, an der Ost­küs­te einen Fleck Pur­pur. Doch ich woll­te ja in kei­nes da­von. Ich wür­de ins Gel­be ge­hen. Gera­de in den Mit­tel­punkt. Und auch der Strom war da, be­rückend, toddro­hend, wie eine Schlan­ge. Uff! Eine Tür ging auf, der weiß­haa­ri­ge Kopf ei­nes Se­kre­tärs mit dem Aus­druck un­ver­kenn­ba­ren Mit­leids er­schi­en, und ein kno­chi­ger Zei­ge­fin­ger wink­te mich ins Hei­lig­tum. Die Be­leuch­tung dar­in war düs­ter. Ein wuch­ti­ger Schreib­tisch nahm die gan­ze Mit­te ein. Hin­ter dem Prunk­bau war in Um­ris­sen eine blei­che, un­för­mi­ge Leib­lich­keit in ei­nem Geh­rock zu er­ken­nen. Der große Mann in Per­son. Er war fast sechs Fuß hoch, glau­be ich, und hielt die Hand auf vie­len Mil­lio­nen. Er schüt­tel­te mir die Hand, mur­mel­te et­was, schi­en mit mei­nem Fran­zö­sisch zu­frie­den. Bon voya­ge!

Nach etwa fünf­und­vier­zig Se­kun­den fand ich mich wie­der im War­te­zim­mer ne­ben dem mit­lei­di­gen Se­kre­tär, der mich voll fas­sungs­lo­sen Er­bar­mens ein Do­ku­ment un­ter­schrei­ben ließ. So viel ich weiß, ver­pflich­te­te ich mich dar­in un­ter an­de­rem, kei­ne Ge­schäfts­ge­heim­nis­se zu ver­ra­ten. Nun gut. Ich habe auch nicht die Ab­sicht.