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"Ich will aber nicht Minister werden." David Groth hat allen Grund, stolz auf den Aufstieg vom Laufburschen zum Chefredakteur zu sein. Aber wieso sollte einer wie er Minister werden? Plötzlich fällt ihm vieles ein: seine Einblicke in die Kunst des Überlebens während des Krieges, eine maßlose Wette und die Chancen, die ihm der junge Staat bot. Erzählt "Die Aula" vom Aufbruch einer Generation in der frühen DDR, wird im "Impressum" eine ebenso bemerkenswerte und vergnügliche erste Bilanz gezogen.
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Seitenzahl: 695
Veröffentlichungsjahr: 2012
Hermann Kant
Das Impressum
Roman
ISBN 978-3-8412-0268-0
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2011
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die Erstausgabe erschien 1972 bei Rütten & Loening, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
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Umschlaggestaltung gold, Fesel/Dieterich
unter Verwendung eines Fotos von Rainer Drexel/Bilderberg
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Die Gegenwart ist
in diesem Augenblicke
das Wichtigere,
und das Thema …
ist von der Art,
daß überhaupt
jedes Weiterschreiben
davon abhängt.
Heinrich Heine
Ich will aber nicht Minister werden! Ich rede nicht erst von können, können scheidet schon ganz aus, aber ich will auch nicht. Vor allem will ich nicht.
Das macht die Lage schwierig, ich weiß. Wenn ich ihnen sage, ich will nicht, dann fassen sie Mut; damit, glauben sie, werden sie fertig. Wollen ist subjektiv, und Nichtwollen ist defensiv, und es ist eine Herausforderung, wenn einer damit kommt. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg, und wo kein Wille ist, da ist auch einer.
Wenn ich ihnen beweise, daß ich es nicht kann, haben sie es schwerer. Sie werden zwar keinen der Beweise gelten lassen, sie werden sagen, dies alles sei auch ihnen, was meine ich wohl, wie oft schon, passiert, und bereits Lenin habe gesagt, nur wer überhaupt nichts tue, begehe keinen Fehler – außer diesem einen kardinalen, versteht sich –, und sie möchten nun bitte nichts mehr über meine angeblichen oder auch wirklichen Versager hören, weil sie sich sonst ein wenig über mich ärgern müßten, denn was hätte ich wohl für Vorstellungen von ihrer Arbeit, glaubte ich vielleicht, sie zögen ihre Kader aus der Lottotrommel, meinte ich etwa, sie ermittelten die verantwortlichen Leiter per Abzählreim, eene, meene, meck, meck? Eene meene meck meck, sechs Geschwister, eene meene mei ei, einer wird Minister, eene meene Klötergeld, wohin nun der Finger fällt, greift ihn euch, das ist er?
Sie wissen Bescheid über mich, werden sie sagen, sie haben mich studiert, mich, meine Arbeit, mein Leben, meine Herkunft, meine Leistungen und auch, da mag ich mich nur beruhigen, auch meine Fehler, und Mücke legt seine Hand, die so groß wie ein Aktendeckel ist, auf einen Aktendeckel, und ich weiß, unter dem Deckel sind meine Akten, und in denen steht alles über mich, meine Arbeit, mein Leben, meine Herkunft, meine Leistungen und meine Fehler.
Alles? Alles nicht, und wo etwas fehlt, stecken Möglichkeiten. Meine Laufbahnblätter liegen säuberlich und festgeklemmt übereinander; auf einem Foto wären sie nichts als ein Körper aus Papier, Rauminhalt etwa sechstausend Kubikzentimeter, sechs Liter Lebenslauf, Fragebogen, Aktennotizen, Beurteilungen, Einstellungsverträge und Auszeichnungsurkunden, aber wenn statt eines Fotografen ein Zeichner mit Augen für die Wahrheit im Wirklichen den Aktenpacken abbildete, dann würde womöglich eine Treppe daraus, ein Stufenweg von unten nach oben in diesem Falle, kein bequemer, wahrlich nicht, keine fast unmerklich aufwärts schwingende Treppentrasse wie die im Goethehaus zu Weimar, keine pfeilgerade Himmelsleiter, ein vertikaler Stolperpfad vielmehr, eine gewundene Stiege oft, ein Kletterweg mit ausgewaschenen Rinnen und sperrenden Traversen, ein knarrender und löchriger, nicht immer gut beleuchteter Aufgang, ein im Wetter schwingendes Fallreep manchmal gar über dunklem Wasser im dunklen Grund, aber dann wieder glitzernde Gangway oder sogar von Selenzellen kommandierte Rolltreppe mit synchron laufendem Geländer, aber oft auch wieder nur ein Seil, ein Strick, ein vielfach verwendbarer, weil zu mehreren Zwecken knüpfbarer Strick, hautschürfender, muskelzerrender, atemraubender Hand-über-Hand-Aufstieg – aber immer Auf-, nicht Abstieg, im ganzen immer der eine Weg mit der einen Richtung, der Weg nach oben.
Dort aber in der Obersten Abteilung sitzen keine Zeichner und Maler mit einem Faible für Übernatur, Natur allein genügt ihnen, weil die ihnen genügend zu schaffen macht, sie danken für Surrealismus, Realismus ist schon schwer genug, Chagall, bitte, wenn’s sein muß, aber nach ihrer Ansicht muß er meistens nicht sein, und jedenfalls in Kaderfragen hat er nichts verloren. Sie sehen auch Wahrheit im Wirklichen, aber andere Seiten davon, und in meinem Kilo Lebenspapier sehen sie: Hier ist der Mann, den wir suchten.
Sie sehen einen, der getan hat, was er mußte, der gegeben hat, was ihm abverlangt wurde, der anders geworden ist, als er war, und blieb, was er gewesen ist, der Versprochenes gehalten und mit Vergangenem gebrochen hat, der zu ihnen fand und zu sich, der einstecken und austeilen konnte, kein schlechter Lehrer war und ein guter Schüler; sie sehen einen Gehorsamen, der Gründe hören will, aber auch einen, der einen Befehl von einem Vorschlag unterscheiden kann und klarzumachen weiß, wann er befiehlt; sie sehen einen mit Kreuz, der oft ein Kreuz gewesen und den Feinden eins geblieben ist, einen Getreuen, der geschwankt hat wie ein Baum und steht wie ein Baum; sie sehen einen jungen Mann, der ein langes Leben hinter sich und ein langes Leben vor sich hat. Sie sehen ein Bild von einem Kader.
Sie wissen, was sie brauchen, und sie haben es gesucht, und nun, glauben sie, haben sie es gefunden.
Aber ich sehe mich anders. Doch das gilt nicht in der Obersten Abteilung; Selbsteinschätzungen sind als Ergänzung willkommen, aber sie ändern nichts, denn was zählt, sind Taten und deren Folgen. Und an folgenreichen Taten hat es bei mir keinen Mangel; der Aktenblock ist voll davon. Dagegen komme ich nicht an, wenn ich sage: Ich will nicht. Und anscheinend komme ich auch nicht dagegen an, erst recht nicht, wenn ich sage: Ich kann nicht. Denn jede Personalakte läßt sich zu einem Diagramm rationalisieren: In den Vertikalen vergeht die Zeit, auf den Horizontalen das Leben. Die Waagerechten zeigen Stationen: Tätigkeiten, Leistungen, Zugehörigkeiten, Zuständigkeiten, Ränge, Auszeichnungen und Familienstatus. Die Waagerechten zeigen, was man getan hat, wie man funktioniert hat, und die Senkrechten zeigen, wann man es getan. Führt man aber nun durch die Schnittpunkte der Zeit- und Funktionsgeraden eine Linie, so hat man eine Leistungskurve, und mit einem Blick ist die Effektivität eines Mannes erfaßbar. Mähliche Kurve: lahmer Mann, nur von der Zeit befördert; Kurve aus Steigung und Gefälle: unausgeglichener Mann, genauer ansehen, wann Steigung, wann Gefälle, Mitte neunzehndreiundfünfzig abschüssige Bahn? Herbst sechsundfünfzig jäher Aufstieg? Gut, gut gemacht, wiedergutgemacht, aber was war nach dem August von einundsechzig? Und dann der Mann mit der stetig steigenden Kurve, zweiundzwanzig Jahre auf, auf, auf, den haben wir gesucht, hier ist er.
Diesmal bin ich es. Das Diagramm meines Lebens steht gegen mich, weil es für mich spricht.
Aber mein Glück ist, die Kadermeister machen es sich nicht einfach. Das ist auch wieder mein Pech, denn so wird es nicht leichter für mich. Die in der Abteilung sind Menschen, und auf Diagonalen allein stützen sie kein Urteil. Sie haben ein Gedächtnis, vor allem ein politisches, aber auch ein ganz einfaches und unübersichtlich arbeitendes Menschengedächtnis. Man weiß nicht, was in seinen Kammern hockt und in welche Richtung es zu drücken beginnt, wenn es sich erst einmal erhoben hat.
Was etwa fällt Wolfgang ein, Kadermann ganz oben, wenn er sich jäh seiner Unterhose erinnert und meiner im Zusammenhang mit dieser seiner Unterhose?
Ich habe ihm die Geschichte einmal erzählt, vor ein paar Jahren. Er hatte sie vergessen, und er fand sie komisch und hat gelacht. Ich hatte getrunken, und er hatte sicher auch ein bißchen getrunken, Krimsekt, Empfangssekt, soundsovielter Jahrestag, heute sind wir fröhlich, wie geht’s dir, alter Knabe, weißt du noch? Weißt du noch, habe ich gesagt, wie du den Empfangschef für den Präsidenten vom Weltbund gemacht hast und ich den Kommandeur der Ehrenkompanie, und noch als das Flugzeug schon heranrollte, liefest du so herum, daß man dich leider aus der Wochenschau hätte herausschneiden müssen, ganz zu schweigen vom Weltbundpräsidenten und dessen Augen?
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