Das Jahr der Rosenschwestern - Susan Mallery - E-Book
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Das Jahr der Rosenschwestern E-Book

Susan Mallery

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Beschreibung

Zwei Schwestern, traumhafte Gärten und die große Liebe Benimmcoach Margot Baxter weiß mit schwierigen Menschen umzugehen -- bis sie ihrer neuen Klientin, der Filmdiva Bianca begegnet. Bald ist Margot kurz davor, diesen Job in dem wunderschönen umgebauten Kloster hinzuwerfen. Doch Biancas Sohn, ein zurückgezogener Wissenschaftler, überzeugt sie zu bleiben. Sunshine ist das genaue Gegenteil von Margot: unstet und impulsiv. Diesen Sommer will sie jedoch bodenständig werden, studieren und das mit einem Job als Nanny finanzieren. Zu dumm, dass sie sich ausgerechnet in ihren neuen Boss verliebt. Denn sie will nicht noch einmal ihre Zukunft von einem Mann abhängig machen. Ihr Leben lang hatten die Baxter-Schwestern nur einander. Doch diesen Sommer entdecken sie beide in verwunschenen Gärten den Mann fürs Leben. »Ein frischer Wind für Romantiker und eine schöne Erinnerung daran, dass Liebe nicht planbar, sondern immer eine angenehme Überraschung ist.« Library Journal

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Seitenzahl: 583

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HarperCollins®

Copyright © 2021 für die deutsche Ausgabe by HarperCollins in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2019 by Susan Mallery, Inc Originaltitel: »The Summer of Sunshine & Margot« Erschienen bei: HQN Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./SARL

Covergestaltung: HarperCollins Germany/ Birgit Tonn, Artwork Kathleen Oudit Coverabbildung: ILLUSTRATION: ALLAN DAVEY, MORSA IMAGES/ GETTY | DEPOSITPHOTOS | iSTOCK Lektorat: Siegrid Hoppe E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783749950027

www.harpercollins.de

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1. Kapitel

Es gibt zwei Arten von sozialer Interaktion – die problemlose und die peinliche. Problemlos stellt sie sich dar, wenn man weiß, was man sagen und tun, sprich: wie man sich verhalten soll. Geistreicher Small Talk oder ein geschickt platziertes Kompliment fallen in diese Kategorie. Peinlich hingegen wird es, wenn man seinem Gastgeber ins Gesicht niest, seiner Katze auf den Schwanz tritt oder Rotwein auf seinem weißen Teppich verspritzt. Nun ja, eigentlich ganz egal, welche Farbe der Teppich hat.

Margot Baxter war stolz auf ihre Fähigkeit, jegliche Situation reibungslos ablaufen zu lassen. Das hieß, in ihrem beruflichen Umfeld – da war sie unschlagbar darin. Was das Private betraf, sah es jedoch anders aus. Wenn sie ganz ehrlich war, musste sie zugeben, dass ihr Privatleben an den meisten Tagen sogar voll von peinlichen Situationen war, weshalb sie Arbeit und Freizeit niemals miteinander vermischte und sich überhaupt nur äußerst selten irgendwelchen Vergnügungen hingab. Wozu Zeit in etwas investieren, das ohnehin nie gut ging?

Doch in ihrem Beruf war es etwas anderes. Hier geschahen wahre Wunder, und sie war diejenige, die hinter den Kulissen die Fäden zog. Aber nicht im negativen Sinne, fügte sie gedanklich hinzu. Ihre Aufgabe bestand vielmehr darin, ihre Kunden innerlich zu stärken – ihnen klarzumachen, dass Selbstvertrauen der Schlüssel zu allem war und man nur zuweilen ein wenig Hilfe dabei brauchte, es zu entwickeln.

Als sie an der Stelle abbog, die das Navigationssystem ihr anzeigte, musste sie beim Anblick des riesigen, sich über einen autobahnbreiten Zufahrtsweg erstreckenden Doppeltors blinzeln. Zwar hatte man ihr gesagt, dass das im neunzehnten Jahrhundert erbaute Privatanwesen ursprünglich mal ein Kloster gewesen war, doch dass es so unfassbar groß sein würde, hatte sie nicht erwartet. Ihre Fantasie hatte lediglich ausgereicht, sich eine geräumige Villa mit Gästehaus und vielleicht einem kleinen Obstgarten vorzustellen. Stattdessen sah sie sich nun einem dreistöckigen Gebäude im spanischen Stil gegenüber, inklusive einer Kapelle mit zwei Türmchen, mehreren Hektar Gartenfläche sowie einem Parkplatz, der Raum für mindestens ein Dutzend Autos bot.

»Was wohnen hier bloß für Leute?«, fragte sie laut, obwohl sie die Antwort darauf kannte. Vor dem ersten Gespräch mit potentiellen Kunden betrieb sie immer ein wenig Recherche. Manche würden sagen, dass sie dabei leicht zur Übertreibung neigte, doch mit der Kritik konnte sie leben. Margot war gerne gründlich – ebenso wie pünktlich und ordentlich. Und somit, einigen Leuten zufolge, anstrengend.

Margot betätigte den Klingelknopf an der Säule und wartete, bis überraschend deutlich eine Stimme ertönte: »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Hier ist Margot Baxter. Ich habe einen Termin mit Mr. Alec Mcnicol.«

»Ah ja, Ms. Baxter. Ich habe Sie bereits erwartet.«

Das Tor öffnete sich geräuschlos, und Margot fuhr auf das Gelände. Sie parkte ihren Wagen auf einem der markierten Stellplätze, dann nahm sie sich einen Moment Zeit, um noch einmal tief durchzuatmen und ihre Gedanken zu ordnen.

Das wird schon, sagte sie sich. Schließlich war sie gut in ihrem Job und half anderen gerne. Sie war ein ausgebildeter Profi und die Ruhe selbst. Na ja, so einigermaßen jedenfalls, dachte sie und griff nach der Brille, die sie neben ihrer Aktentasche auf dem Beifahrersitz abgelegt hatte.

Dann stieg sie aus dem Wagen und strich ihre Jacke glatt, die ihr einen Tick zu groß war. Ihr Outfit – grauer Hosenanzug, schlichte Pumps, dezentes Make-up – sollte professionell und kompetent wirken. Die Brille brauchte sie eigentlich gar nicht, sie trug jedoch sehr dazu bei, ihrer Erscheinung eine gewisse Würde zu verleihen. Sie sah jung aus für ihre einunddreißig Jahre, in Shorts und einem Band-T-Shirt könnte sie glatt als Neunzehnjährige durchgehen. Vor allem aber sähe sie darin vollkommen lächerlich aus und würde auf überhaupt niemanden einen professionellen Eindruck machen.

Sie folgte dem Steinpfad zur gewaltigen Eingangstür. Obwohl sie keine Ahnung von Kolonialarchitektur hatte, befiel sie der Drang, die Schnitzereien an den schweren Holztüren mit dem Zeigefinger nachzuzeichnen: Engel, die über Jesus wachten, während er sein Kreuz auf den Hügel schleppte. Ja, das überdimensionale Gebäude war eindeutig mal ein Kloster gewesen, und die Mönche von damals schienen es ernst gemeint zu haben mit der Gottesverehrung.

Ehe sie das wunderschöne Kunsthandwerk eingehender bewundern konnte, öffnete sich die Tür, und ein großer, breitschultriger Mann mit dunklem Haar nickte ihr zu.

»Ms. Baxter? Alec Mcnicol. Schön, Sie kennenzulernen.«

»Ebenfalls.«

Margot trat ein und schüttelte ihm die Hand. Sie erhaschte nur einen flüchtigen Eindruck von der zwei Stockwerke hohen Eingangshalle mit ihren kunstvollen, sakralen Fenstern, ehe Alec sie durch einen Seitengang in ein großes Büro führte, dessen Wände von Bücherregalen und gerahmten Karten längst vergessener Länder gesäumt waren.

Sie musste sich Mühe geben, das alles nicht anzustarren. Zwar war sie durchaus schon mit den Reichen und Schönen dieser Welt in Berührung gekommen, aber das hier war etwas ganz anderes. Die Bücher weckten das Bedürfnis bei ihr, ihren muffigen Duft tief einzuatmen, und beim Anblick der Karten juckte es sie in den Fingern, den Verlauf der Seidenstraße nachzuzeichnen.

Sie machte bereits einen Schritt auf die gerahmten Wunderwerke zu, um dem Drang nachzugeben, als ihr Gastgeber sich räusperte.

Margot drehte sich lächelnd zu ihm um. »Tut mir leid, aber Ihr Büro ist einfach faszinierend. Sind die Karten handgezeichnet?«

Er sah sie leicht verwundert an, wobei seine Augenbrauen in einem äußerst attraktiven Stirnrunzeln zueinanderfanden.

»Ja, das sind sie.«

Margot warf einen letzten Blick auf die Karten. Falls sie den Auftrag bekäme, würde sie unbedingt um Erlaubnis bitten müssen, die gerahmten Zeichnungen eingehender studieren zu dürfen. Widerstrebend wandte sie sich nun von ihnen ab und setzte sich ihm gegenüber vor seinen großen Schreibtisch.

Nachdem er seinen Platz dahinter eingenommen hatte, sagte er: »Wie ich Ihnen bereits am Telefon erklärte, sind Sie hier, um meiner Mutter zu helfen.«

»Ja, Mr. …«

»Nennen Sie mich doch bitte Alec.«

Sie nickte. »Und ich bin Margot. Ja, mir ist klar, dass Ihre Mutter meine potentielle Klientin ist.«

»Ausgezeichnet. Wir fanden es sinnvoller, dass ich das Vorgespräch führe, um festzustellen, ob Sie beide überhaupt zusammenpassen.«

»Natürlich, gerne.«

Margot entspannte sich ein wenig. Jemanden wie sie anheuern zu müssen, war für die Kunden meistens mit Stress verbunden. Schließlich wurden ihre Dienste erst gebraucht, wenn im Leben eines Menschen etwas gründlich schiefgelaufen war. Oder wenn der potentielle Klient oder die Klientin befürchtete, dass das passieren könnte. Manche waren auch schlicht mit sich und der Welt überfordert. Jedenfalls sahen sich wohl die wenigsten Leute in ihren glücklichsten Momenten um und sagten sich: Hey, ich sollte mir unbedingt jemanden suchen, der mir ein paar Anstandsregeln beibringt und mir zeigt, wie ich mich in besserer Gesellschaft mal nicht nervös oder fehl am Platz fühle. Es gab immer einen Auslöser, der dem Kunden deutlich machte, dass er oder sie ihre Dienste benötigte, und dem ging selten ein erbauliches Ereignis voraus.

Alec warf einen Blick auf die Papiere auf seinem Schreibtisch. Sie waren in ordentliche Stapel unterteilt, was Margot gefiel. Wie sollte man auch auf einem unübersichtlichen Schreibtisch irgendetwas finden? Ihr Chef – dessen Tisch stets mit Aktenordnern, Notizzetteln und halb gegessenen Sandwiches übersät war – schickte ihr regelmäßig Artikel darüber, dass chaotische Schreibtische angeblich ein Zeichen für Kreativität und Intelligenz seien. Sie ließ sich jedoch von ihrer Meinung nicht abbringen: Unordnung war einfach nur falsch.

»Sie wissen, wer meine Mutter ist?«, fragte Alec, klang dabei allerdings eher resigniert als neugierig.

Margot speicherte seinen Tonfall zur späteren Analyse gedanklich ab. Die Dynamik zwischen Mutter und Sohn konnte für ihre Arbeit durchaus von Bedeutung sein.

»Ja, das tue ich: Bianca Wray wurde 1960 geboren. Ihr Vater starb, als sie noch ein Kleinkind war, von da an wurde sie allein von ihrer Mutter aufgezogen, bis sie zwölf war.« Margot runzelte die Stirn. »Weshalb sie dann in eine Pflegefamilie kam, ist mir nicht ganz klar, jedenfalls landete sie schließlich dort.«

Sie lächelte Alec zu. »Sie wurde doch tatsächlich entdeckt, während sie mit ihren Freundinnen einen Milchshake trank – und befeuerte damit den Mythos, dass man in Los Angeles stets nur einen glücklichen Zufall davon entfernt ist, berühmt zu werden.«

»Oh ja, Sie haben meinen größten Traum in Worte gefasst«, sagte Alec trocken.

»Meinen auch«, erwiderte Margot und erlaubte sich ein weiteres, diesmal komplizenhaftes Lächeln. »Nach einer erfolgreichen Karriere als Model wandte sich Ihre Mutter der Schauspielerei zu. Dabei zog sie skurrile Rollen vor, statt sich auf die romantischen zu stürzen, obwohl die ihrer Karriere sicher mehr genützt hätten. Als sie vierundzwanzig war, bekam sie einen Sohn – Sie. Ihre Mutter und Ihr Vater, ein Schweizer Bankier, haben nie geheiratet, doch Sie standen Ihren beiden Eltern immer nahe.«

Während sie sprach, nahm sie wahr, wie sich Alecs Schultern verkrampften, als wäre es ihm unangenehm, sie über die Eckdaten seines Privatlebens referieren zu hören. Er ist zwar nicht mein Klient, aber der Sohn meiner Klientin und deshalb nicht unwichtig in der ganzen Sache, dachte sie, sparte es sich jedoch, ihm das zu erklären. Ihre Methoden waren exzellent, und wenn er das nicht erkannte, war das hier nicht der richtige Job für sie.

»Bianca ist ein Freigeist und gilt trotz ihres bevorstehenden sechzigsten Geburtstags nach wie vor als Schönheit. Ab und zu spielt sie noch in einem Film mit. Soweit ich sehen kann, folgt sie keinem bestimmten Muster, was die Auswahl ihrer Rollen betrifft. Sie renoviert gerne alte Häuser und hat viel Geld damit gemacht, sie teuer wieder zu verkaufen. Sie spendet großzügig für wohltätige Zwecke und hatte in ihrem Leben viele Liebhaber, war jedoch nie verheiratet. Zurzeit ist sie mit einem Herrn namens Wesley Goswick-Chance zusammen. Mr. Goswick-Chance ist der jüngste Sohn eines englischen Grafen. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er noch ein kleines Kind war. Aufgewachsen ist er in England sowie dem europäischen Kleinstaat Cardigania, als dessen Gesandter er heute in den USA lebt. Er hat seinen Sitz im Konsulat hier in Los Angeles.«

Sie hätte noch einiges mehr über Alecs Mutter erzählen können. Zum Beispiel von Biancas Oscar-Moderation, bei der sie im Fernsehen alle Hüllen fallen ließ. Oder vom Skandal um ihre Sexvideos in den 90ern – obwohl die nach heutigen Standards recht harmlos waren. Bianca war eine schillernde Persönlichkeit, eine Frau, die mit Königen, Filmstars und Künstlern schlief und – Gerüchten zufolge, die nie bestätigt wurden – einmal eine heiße Affäre mit der Frau des weltgrößten Yachtbauers gehabt haben sollte. Zwar hätte Margot es nie zugegeben, doch die Vorstellung, mit Bianca zu arbeiten, war für sie reizvoll und angsterregend zugleich.

»Das haben Sie aber gründlich recherchiert«, sagte er seufzend. »Danke, dass Sie all die obszönen Details ausgelassen haben, auf die Sie sicher auch gestoßen sind.«

Margot nickte. »Natürlich.«

Er sah sie an. Seine Augen waren sehr schön – dunkel und von dichten Wimpern umrahmt. Sie entdeckte Spuren seiner Mutter in seinem Gesicht: die Augen, die sie soeben bewundert hatte, die geschwungenen Lippen.

»Meine Mutter hat kürzlich einen Heiratsantrag angenommen«, sagte Alec steif. »Von Wesley. Er ist ein durchaus liebenswerter Mann, und er macht sie glücklich, daher habe ich nichts gegen die Verbindung einzuwenden.«

Margot hörte schweigend zu, ohne sich ihre Überraschung anmerken zu lassen. Es kam ziemlich unerwartet, dass Bianca sich – nach sechzig Lebensjahren und unzähligen Liebhabern – nun tatsächlich verlobt hatte.

Alec sprach unbeirrt weiter: »Wäre Wesley ein Großreeder oder ein Filmstar, gäbe es kein Problem. Doch er ist nun mal Diplomat und bewegt sich als solcher in Kreisen, in denen man den, ähm, exzentrischen Umgangston meiner Mutter nicht so ohne Weiteres akzeptieren würde.«

»Sie möchte also lernen, sich dieser Art von Gesellschaft anzupassen.«

»Ja. Und um das gleich klarzustellen – Sie zu engagieren war ihre eigene Idee, nicht meine. Ich dränge sie dabei zu gar nichts. Sie hat einfach Sorge, dass ihre impulsive Art zum Problem für Wesley werden könnte, und behauptet, ihn so sehr zu lieben, dass sie sich für ihn ändern möchte.«

»Und was halten Sie von dem Ganzen?«, fragte Margot.

Alec zögerte und wich ihrem Blick aus.

»Ich glaube, die meisten Menschen sind, wie sie sind. Von Bianca zu verlangen, ein seriöser, höflicher und unaufdringlicher Mensch zu werden, ist in etwa so, als würde man von der Sonne verlangen, weniger hell zu leuchten. Ein ambitioniertes Ziel, das zu erreichen allerdings sehr unwahrscheinlich ist.«

Sie hatte eigentlich erwartet, von ihm zu hören, es sei falsch von Wesley, seine Verlobte nicht so anzunehmen, wie sie war. Interessant, dass er eine andere Richtung eingeschlagen hatte. »Sie meinen also, dass sie sich gar nicht ändern kann.«

»Ich sage nur, dass es sehr unwahrscheinlich ist.« Er sah sie wieder an und beugte sich dabei etwas vor. »Meine Mutter ist witzig, charmant und beinahe übertrieben großzügig. Ich bin mir sicher, dass Sie ihre Gesellschaft genießen werden. Aber wenn Sie diesen Auftrag in dem Glauben annehmen, erfolgreich mit ihr zu sein, so fürchte ich, dass Sie eine große Enttäuschung erleben werden.«

Margot lächelte. »Sie warnen mich also vor?«

»Ich lege Ihnen nur nahe, ein mögliches Scheitern einzukalkulieren.«

»Was die Aufgabe für mich nur noch interessanter macht, Alec – und sei es nur, weil ich mich beweisen will.«

»Das war zwar nicht meine Absicht, aber diese Reaktion kann ich nachvollziehen.«

Während er sprach, entspannte er sich sichtlich. Margot stellte fest, dass der Sohn ihrer Klientin sie ebenso neugierig machte wie ihre Klientin selbst. Da er Biancas einziger naher Verwandter war, hatte sie auch über ihn einiges in Erfahrung gebracht. Sie wusste, dass er eine Art Gelehrter war, der sich mit Texten des Altertums beschäftigte. Als er das Kloster vor fast sechs Jahren erbte, ließ er es aufwendig umbauen und den größten Teil in ein Forschungszentrum für geheimnisvolle Schriften umwandeln. Er lebte zurückgezogen, hatte nie geheiratet, und Fotos existierten nur sehr wenige von ihm. Einige bezeichneten ihn als Riesenlangweiler, doch ihr war klar, dass das nicht stimmte. Alec war offenbar ein Mann, der seine Gefühle stark unter Kontrolle hielt – ein Wesenszug, den sie zu schätzen wusste. In ihren Augen war Ordnung eine Art Meditation, die alle praktizieren sollten.

»Wollen wir?«, fragte er und stand auf.

Sie erhob sich ebenfalls und folgte ihm aus dem Büro hinaus durch einen langen Säulengang, der ins Freie führte und dessen mit Handschnitzereien verzierte Holzdecke mindestens viereinhalb Meter hoch war. Der Steinboden war glatt und ließ leichte Furchen erkennen, vermutlich ausgetreten von den Tausenden von Füßen, die wieder und wieder denselben Weg darauf zurückgelegt hatten. Sie hätte Alec gerne nach der Geschichte des Klosters gefragt und danach, wie es war, hier zu leben, hätte gerne gewusst, ob er manchmal, in den stillen Stunden nach Mitternacht, noch das Echo der vielen geflüsterten Gebete hörte. Margot hielt sich nicht für religiös, hegte aber eine gewisse Bewunderung für Menschen, die es waren. An etwas zu glauben musste wundervoll sein. Sie selbst war ein wenig zu pragmatisch, um sich vorstellen zu können, dass irgendeine göttliche Macht ihr in ihrem Leben beistehen könnte. Ihr Credo lautete vielmehr Eigenverantwortlichkeit.

Zu ihrer Rechten wurde nun der Blick auf eine riesige, gepflegte Gartenanlage frei, die sich über mehrere Hektar erstreckte – ein privates Paradies mitten in Pasadena. Ein paar der Blumen und Pflanzen, die sie sah, erkannte sie, doch viele waren ihr fremd.

»Der Garten ist wunderschön«, sagte sie. Sie hätte sich mehr Zeit gewünscht, um all die Wege zu erkunden, die sich um die Hecken und Bäume schlängelten.

»Danke. Er war ziemlich heruntergekommen, als ich das Kloster erbte, aber ich habe einen Landschaftsarchitekten angeheuert, um hier richtig aufzuräumen. Der hat gute Arbeit geleistet.«

Er blieb vor einem Steinpfad stehen und wandte sich ihr zu. »Meine Mutter hat vor Kurzem ihr Haus verkauft und ist bis zur Hochzeit bei mir eingezogen«, sagte er und bemühte sich sichtlich, neutral zu klingen. »Sollten Sie den Auftrag annehmen, wäre es ihr Wunsch, dass Sie für die Zeit Ihrer Zusammenarbeit ebenfalls hier wohnen.« Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Nur dass Sie Bescheid wissen – meine Mutter hat manchmal einen etwas ungewöhnlichen Rhythmus.«

»Das geht vielen meiner Klienten so«, versicherte sie und dachte dabei an den Geschäftsführer, der jeweils zwischen vier und sechs Uhr morgens an seiner chinesischen Etikette hatte arbeiten wollen.

»Meine Mutter ist nicht …«, setzte Alec an, presste dann jedoch die Lippen zusammen. »Sie ist …« Er schüttelte den Kopf. »Ach, Sie werden es schon selbst sehen.«

Er ging über den Rasen weiter in Richtung Garten. Margot folgte ihm über den Steinpfad, der ebenso ausgetreten war wie der überdachte Gang nach draußen. Sie liefen zwischen zwei blühenden Bäumen hindurch auf eine riesige gepflasterte Terrasse zu, die von Steinbänken gesäumt war. Dazwischen standen Hunderte von Töpfen verschiedenster Größe, die nur so überquollen von den Blüten exotischer Pflanzen.

Ihr Geruch war göttlich – süß, ohne dabei erstickend zu sein. Hätte sie eine Bezeichnung für den Duft finden müssen, sie hätte lebendig gesagt. Plötzlich verspürte Margot Sehnsucht danach, sich auf einer der Steinbänke niederzulassen und ihr Gesicht in die Sonne zu halten. Weiter hinten entdeckte sie einen Tisch mit Stühlen, der vor ihrem inneren Auge sogleich das reizvolle Bild eines entspannten Diners bei Sonnenuntergang entstehen ließ.

»Das ist der unglaublichste Garten, den ich je gesehen habe«, gab sie zu, unfähig, sich eines Kommentars zu enthalten. »Er ist unfassbar schön.«

»Wie gesagt, das ist nicht mein Verdienst.« Alec schenkte ihr ein kleines Lächeln. »Aber ja, es ist wirklich nett geworden.«

Nett? Ein kühles Glas Eistee bei heißem Wetter war nett. Dieser Garten war ein Wunder!

Margot rief sich in Erinnerung, dass sie wegen eines Vorstellungsgesprächs hier war, und schob ihre Gartenfantasien gleich beiseite. Als sie sich dem Tisch und den Stühlen näherten, entdeckte sie eine Frau, die in einer kleinen, versteckten Laube saß und in einer Zeitschrift las. Sie blickte auf und winkte ihnen zu.

Margot arbeitete nicht sehr häufig mit Prominenten zusammen. Ihr Fachgebiet war die Schulung von Geschäftsleuten. Plante zum Beispiel jemand eine kurze Geschäftsreise nach Argentinien, war sie genau die Richtige für einen Crashkurs darin, wie man sich dort angemessen begrüßte: Während man sich bei der ersten Begegnung mit einem Kunden die Hand schüttelte, wäre bei weiteren Treffen in den meisten Fällen ein Kuss auf die Wange angebracht, selbst wenn es sich um ein Treffen zwischen Männern handelte. Sie würde ihrem Kunden nahebringen, wie wichtig eine aufrechte Körperhaltung war und dass ein Abendessen selten vor neun Uhr begann.

Sie empfand es als beruhigend, vorgegebenen Regeln folgen zu können und in jeder Situation genau zu wissen, wie man sich zu verhalten hatte.

Für jeden Angestellten in ihrer Firma gab es ein persönliches Profil, auf das angehende Kunden zugreifen konnten. Die Entscheidung, wer für wen als Coach am besten geeignet war, wurde gemeinsam getroffen. Filmstars und Leute aus der Musikbranche entschieden sich selten für sie, und das war ihr ganz recht. Ein paarmal hatte sie mit Regisseuren zusammengearbeitet, die wissen wollten, wie sie zum Beispiel in China leichter an Filmförderungen herankamen, aber das war etwas anderes. Dies erklärte vermutlich, weshalb sie so gänzlich unvorbereitet darauf war, Bianca Wray persönlich gegenüberzustehen.

Ja, sie hatte Fotos von der Schauspielerin gesehen und sich am vergangenen Wochenende drei ihrer Filme angeschaut. Der Klang ihrer Stimme und ihre Art, sich zu bewegen, waren ihr daher vertraut. Doch all das war nur eine mangelhafte Vorbereitung darauf, ihr leibhaftig zu begegnen.

In Wirklichkeit war Bianca sehr viel zierlicher als auf der Leinwand. Ihre Haut strahlte, und ihre Bewegungen waren voller Anmut. Sie hatte tiefblaue Augen und gewelltes hellbraunes Haar, das ihr bis kurz über die Schultern ging.

Jede Partie für sich genommen, waren ihre Gesichtszüge zwar hübsch, aber unauffällig. Doch die Art, wie sie zusammengesetzt waren, hatte etwas … etwas Atemberaubendes. Margot vermutete, dass darin der Unterschied zwischen den wenigen Auserwählten und dem Rest der Menschheit bestand. Sie hatten etwas undefinierbar Besonderes, das nicht erzwungen hergestellt, sondern nur bemerkt und verehrt werden konnte.

Ihre Urgroßmutter hatte immer davon gesprochen, dass manche Leute zum Star geboren waren. Margot wusste nicht, woran genau, aber auch sie erkannte einen, wenn sie ihn vor sich hatte. Und Bianca war ein geborener Star. Als die sie anlächelte, fühlte sich Margot sogleich wie der wichtigste Mensch auf der ganzen Welt. Während sie einerseits instinktiv so auf sie reagierte, analysierte der rationalere Teil ihres Gehirns, wie Bianca sich lächelnd erhob und auf sie zukam. Sie hielt Ausschau nach Hinweisen auf das vorliegende Problem und nach weiteren Informationen, die ihr dabei helfen würden, ihren Job so gut wie möglich zu machen.

»Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht, Alec?«, fragte Bianca, als sie näher kam.

Sie trug Jeans und darüber ein weites T-Shirt. Gar nichts Besonderes also – und doch stand ihr beides hervorragend. Ihre Füße waren nackt, ihre Zehennägel mit kleinen Amerikaflaggen bemalt.

»Ich bin mir sicher, dass sie Freude daran hätten.«

Alec stieß einen Seufzer aus. »Meine Mutter findet, ich sollte uns mal ein paar Nonnen zum Mittagessen einladen.«

Margot warf ihm einen Blick zu. »Kennen Sie denn welche?«

»Nein. Sie will, dass ich ein Kloster in der Nähe ausfindig mache und die Bewohnerinnen herbitte.«

»Und wozu?«

Sein Blick sprach Bände darüber, dass er dafür keine vernünftige Erklärung hatte und dass auch diese Laune mit etwas Glück vorübergehen würde.

Bianca blieb vor ihnen stehen. Sie mochte ungefähr einen Meter sechsundsechzig groß sein und somit mindestens sieben Zentimeter kleiner als Margot.

»Damit sie sich anschauen können, was Alec aus dem Kloster gemacht hat«, sagte sie fröhlich. »Es würde sie sicher sehr freuen, dass du trotz der Modernisierung den alten Geist des Gebäudes bewahrt hast.«

»Mein Schlafzimmer ist in der ehemaligen Kirche untergebracht«, erwiderte er trocken. »Ich bezweifle, dass die Nonnen das gutheißen würden.«

Bianca hakte sich bei ihm ein. »Ach Schatz, mach dir da mal keine Gedanken. Es ist ja nicht so, als hättest du Sex dort.« Sie zwinkerte Margot zu. »Für derlei Dinge geht Alec aus dem Haus. Er ist ein bisschen wie das berühmte Murmeltier. Einmal im Jahr lässt er sich kurz draußen blicken, dann zieht er sich wieder in seine eigene Welt zurück.«

Margot war sich nicht sicher, ob Bianca sie mit dieser Bemerkung schockieren oder auf die Probe stellen wollte – oder ob es vielmehr darum ging, Alec zu beschämen. In Anbetracht ihres warmen Tonfalls und des liebevollen Blicks bezweifelte sie Letzteres. Dennoch, es war ungewöhnlich, so etwas zu einer Fremden zu sagen – vor allem über den eigenen Sohn.

»Ich bin Margot. Schön, Sie kennenzulernen.« Margot streckte ihr die Hand entgegen.

Bianca schüttelte sie. »Es ist schön, von Ihnen kennengelernt zu werden.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Ich bin ein ziemlich hoffnungsloser Fall, wie Alec Ihnen sicher schon verraten hat – impulsiv, leichtsinnig und eigentlich nicht der Typ für die Ehe mit einem Diplomaten. Aber hier stehe ich nun und will daran arbeiten, dass das Ganze funktioniert.« Sie wurde ernst. »Wesley ist alles, was ich mir immer gewünscht habe. Ich liebe ihn, und ich möchte auf keinen Fall dafür verantwortlich sein, dass er seinen Job verliert.«

Für einen winzigen Augenblick erlosch das Leuchten in ihren Augen, stattdessen zeigten sie Angst und Unsicherheit. Margot beobachtete den Gefühlsansturm und machte genau den Moment aus, in dem Bianca wieder in den Selbstschutzmodus schaltete.

»Sich in meinem Alter noch mal zu verlieben, stellen Sie sich das mal vor!«, sagte sie lachend. »Wie albern. Bis jetzt habe ich in meinem Leben nur einen Menschen richtig geliebt, und das ist Alec.« Sie sah lächelnd zu ihm auf. »Er ist sicher froh, diese Last nun mit jemandem teilen zu können.«

Margot wurde beinahe schwindelig von Biancas Gefühlsachterbahn. Erst die seltsame Bemerkung über Alecs Sexleben, dann der Anflug von Verletzlichkeit und schließlich die blitzschnelle Rückkehr auf eine nüchternere Ebene – all dies ummantelt von einer schützenden Schicht aus Humor. Es ging hier also um sehr viel mehr als den Wunsch, zu lernen, welche Gabel man bei welchem Gang benutzte.

Ein Vorteil dessen, sozial leicht unbeholfen zu sein – nicht, dass es derer viele gab –, war die Fähigkeit, die gleiche Eigenschaft bei anderen zu erkennen. Bianca mochte schöner als neunundneunzig Prozent der restlichen Bevölkerung sein, doch das bedeutete nicht, dass sie sich wohl in ihrer Haut fühlte. Sie hatte ganz offensichtlich Angst, die Menschen zu enttäuschen, die ihr wichtig waren. Womöglich kam es ihr sogar so vor, als täte sie das schon seit Jahren. Wie faszinierend, dachte Margot, die es plötzlich in den Fingern juckte, sich sogleich an den Computer zu setzen und eine Strategie zu entwickeln.

Alec drückte die Hand seiner Mutter. »Mir ist nur wichtig, dass du glücklich bist.«

Bianca schenkte ihm ein kurzes Lächeln, das strahlender war als die Sonne, die Alec zu Beginn ihres Gesprächs erwähnt hatte, und wandte sich dann an sie: »Wollen wir uns mal ein bisschen unterhalten und sehen, ob wir zusammenpassen?«

»Sehr gerne.«

Bianca führte sie zum Tisch in der Mitte der gepflasterten Terrasse, wohingegen Alec sich ins Haus zurückzog. Als sie einander gegenübersaßen, musterte Bianca sie einen Moment lang prüfend.

»Sie brauchen eigentlich gar keine Brille, oder?«

Die Frage überraschte Margot. »Stimmt. Woran haben Sie das erkannt?«

»Ich habe oft Brillen als Requisite getragen. Weshalb machen Sie das? Nein, sagen Sie’s nicht, lassen Sie mich raten.« Sie betrachtete sie prüfend. »Ah, Sie möchten intelligent wirken. Weil Sie so hübsch sind! Sie müssen Ihre Arbeit ja sehr ernst nehmen. Im Gegensatz zu mir. Ich habe die Schauspielerei immer gemocht, aber meine Leidenschaft ist sie nie gewesen.« Ihr strahlendes Lächeln kehrte zurück. »Doch da man mir so unsinnig viel Geld dafür zahlt – wieso nicht?«

Sie zog eine Schulter leicht hoch und ließ sie wieder sinken. »Sagen Sie’s mir. Bin ich reparabel? Haben Sie die Fähigkeit, aus mir einen normalen Menschen zu machen?«

Margot erkannte sogleich die Falle, die hinter der Frage steckte. Sie spürte, dass Bianca sie auf hundertfache Art prüfte, und war sich nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Da sie selbst um Hilfe gebeten hatte, war sie sicher motiviert, sich zu ändern. Doch die Art, wie sie die Frage formuliert hatte …

»Ich kann Ihnen beibringen, wie man sich bei förmlichen Anlässen verhält, sei es im gesellschaftlichen oder politischen Rahmen«, sagte sie. »Aber ich fürchte, Sie zu reparieren ist nicht meine Aufgabe. Ich möchte Ihnen dabei helfen, sich in Ihrer Haut wohlzufühlen, damit die Menschen Ihr wahres Ich kennenlernen können.«

»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist«, erwiderte Bianca eilig. »Mit meinem wahren Ich könnten die gar nicht umgehen.«

»Dann eben das Ich, das Sie ihnen zeigen wollen.«

»Wo kommen Sie eigentlich her?«

Margot lächelte. »Angefangen habe ich im Hotelmanagement. Dort wurde ich im Umgang mit unseren internationalen Gästen geschult und fand das ganz toll. Schließlich hat mich mein aktueller Arbeitgeber abgeworben, und seitdem helfe ich Menschen dabei, in unserer immer globaler werdenden Welt zurechtzukommen.«

»Hm, ja, das ist faszinierend, aber wo kommen Sie wirklich her? Ich meine, wo sind Sie aufgewachsen? Wer hat Sie großgezogen?«

Eine andere Frage als: Was machen Ihre Eltern? Es kam ihr vor, als wüsste Bianca, dass es keine Eltern gab. »Meine Urgroßmutter mütterlicherseits«, sagte sie bedächtig. »Sie hat fast fünfzig Jahre lang eine sogenannte ›Schule für Benimm und Eleganz’ geführt. Dort hat sie Mädchen für Schönheitswettbewerbe trainiert.«

»Haben Sie auch bei solchen Wettbewerben mitgemacht?«

»Nein, mir fehlen da gewisse Fertigkeiten.« Zum Beispiel die, vor einer größeren Menschenmenge sprechen zu können. Margot erinnerte sich noch gut daran, wie Francine sie zum ersten Mal aufgefordert hatte, auf die Probebühne zu steigen und sich an die gesamte Gruppe zu wenden. Sie hatte kaum ihren Platz eingenommen, da musste sie sich schon übergeben und fiel danach prompt in Ohnmacht. Das hatte jeglicher Hoffnung ihrer Urgroßmutter, sie einmal ein Krönchen tragen zu sehen, ein jähes Ende bereitet.

Margot hatte sich gezwungen, an diesem Defizit zu arbeiten, und war inzwischen in der Lage, einen durchaus annehmbaren Vortrag zu halten. Doch ein Naturtalent würde sie auf der Bühne niemals abgeben. Nicht, dass sie jemals Schönheitskönigin hatte werden wollen. Sie wollte einfach nur ihren Job machen und ihr Leben leben. Oh, und sich außerdem nicht mehr so blöd anstellen, was Männer betraf, denn das hatte sie schon oft genug.

»Alec hat Sie ausgesucht«, sagte Bianca. »Er hat sich alle Mitarbeiter Ihrer Agentur angesehen und Sie herausgepickt. Jetzt sehe ich auch, weshalb.«

Tat sie das wirklich? Margot hatte nicht gewusst, dass es Alec gewesen war, der diese Entscheidung getroffen hatte. Warum ausgerechnet sie? Sie war doch keine offensichtliche Wahl, oder?

»Also, schaffen Sie das?«, fragte Bianca erneut, ehe Margot ihre Aussage infrage stellen konnte. »Können Sie mir beibringen, mich so zu verhalten, dass ich Wesley keine Schande mache?«

»Ja.«

»Versprechen Sie es mir?«

Margot lehnte sich ein Stück vor. »Ich werde jede Technik anwenden, die ich in petto habe, und wenn die alle nicht fruchten, werde ich neue erfinden. Ich werde unermüdlich daran arbeiten, dass Sie sich in Wesleys Welt wohlfühlen können.«

»Das ist kein Versprechen.«

»Ich weiß. Ich gebe keine Versprechen, wenn ich mir des Ergebnisses nicht absolut sicher sein kann.«

Bianca wandte den Blick ab. »Ich verspreche Leuten ständig etwas, aber ich halte es nur sehr selten ein. In dem Moment will ich einfach nur, dass der- oder diejenige glücklich ist.«

»Und was passiert dann?«

Bianca zuckte erneut mit den Schultern. »Sie verzeihen mir jedes Mal. Sogar Alec.« Ihr Lächeln kehrte zurück. »Also gut, lassen Sie uns miteinander arbeiten. Alec meint, ich bräuchte ungefähr zwei Monate lang Unterricht. In der Zeit werden Sie hier einziehen müssen, im ersten Stock gibt es ein paar Gästezimmer. Ich bewohne das größte davon, aber es tut mir leid – ich werde für Sie nicht umziehen.«

»Das würde ich auch nie erwarten.« Margot sah ihre potentielle Kundin an. »Bianca, ich wohne nicht weit weg von hier. Ich könnte problemlos jeden Tag herkommen und …«

»Nein, Sie müssen hier wohnen, das wird so sein wie an einem Filmset. Und Alec macht es nichts aus. Der kriegt sowieso kaum die Nase aus seinen Büchern und bekommt nichts mit. Das Haus ist wunderschön, Sie werden es lieben. Und ich würde mich einfach besser fühlen, wenn Sie in der Nähe wären.«

Margot nickte langsam. Sie hatte schon früher bei Kunden übernachtet. Anders war es ihr lieber, aber wenn die Klienten darauf bestanden, erklärte sie sich einverstanden.

»Wie Sie wünschen. Ich schicke Ihnen den Vertrag zu, sobald ich wieder im Büro bin. Wenn Sie unterschrieben und den Vorschuss gezahlt haben, melde ich mich, und wir vereinbaren, wann wir anfangen.«

»Montag!« Bianca sprang auf und kam um den Tisch herum. Sie kniete sich vor Margot hin, ergriff ihre Hände und lächelte. »Wir fangen am Montag an. Oh, das wird ein Spaß. Wir werden beste Freundinnen sein und es richtig schön miteinander haben.«

Bianca stand auf, wirbelte herum und lief zum Haus. Ihr Gelächter folgte ihr wie ein Schleier.

Margot blickte ihr nach. Da ist irgendwas, dachte sie, irgendein Geheimnis, das Bianca antreibt. Sie wusste nicht, ob ihre Klientin zu etwas hin- oder vor etwas wegrannte, doch was immer es war, darin lag der Schlüssel zu ihrem Problem. Herauszufinden, worum es dabei ging, würde nicht leicht werden. Ihr Bauchgefühl sagte ihr jedoch, sie konnte Bianca in weniger als zwei Monaten beibringen, was sie wissen musste, und sehr viel eher wieder von hier verschwinden, wenn sie das Rätsel löste.

Sie betrachtete den wunderschönen Garten und das alte Dach des Klosters mit seinen roten Ziegeln. Womit auch immer sie es bei Bianca zu tun bekäme – zumindest würde sie hervorragend untergebracht sein. Und mit etwas Glück vielleicht sogar ein, zwei Geistermönchen über den Weg laufen.

2. Kapitel

Sunshine Baxter war durch mit der Liebe auf den ersten Blick. D.U.R.C.H. Unzählige Male hatte sie tief in die – hier bitte eine beliebige Farbe einfügen – Augen eines Mannes geblickt und ihm auf der Stelle ihr Herz geschenkt. Diese Beziehungen endeten samt und sonders in einer Katastrophe, und sie hasste sich selbst dafür, immer wieder so unfassbar dumm zu sein. Daher hatte sie beschlossen, mit dem Konzept des Sich-Verliebens abzuschließen. Schluss, aus, vorbei.

Mit einer winzigen Ausnahme …

»Ich habe mich entschieden«, sagte Connor, schob seine Brille hoch und sah sie aus dunkelbraunen Augen verträumt an.

Sunshine beugte sich zu ihm vor – im vollen Bewusstsein, sich törichterweise schon wieder in ein Exemplar der männlichen Spezies verguckt zu haben, das nicht zu ihr passte. »Raus damit.«

»Ich wünsche mir Ameisen.«

Sunshine lächelte. »Bist du dir sicher?«

»Ja. Ich habe drei Bücher über Ameisen gelesen, die sind total schlau und fleißig. Ich will die größte Ameisenfarm der Welt errichten.«

»Na schön, das machen wir. Aber wir sollten besser klein anfangen«, sagte sie. »Mit einer Ameisenfarm in normaler Größe, und erst mal sehen, wie wir damit klarkommen. Danach können wir dann immer noch anbauen.«

Sein Mund verzog sich zu einem entzückenden Lächeln. »Ich dachte, Mädchen mögen keine Ameisen.«

»Ich habe keine Lust darauf, dass sie in meinem Bett rumkrabbeln, aber eine Ameisenfarm finde ich total cool.«

Jetzt strahlte er regelrecht und kam auf sie zugerannt. Sollte meine Zuneigung zu meinem neuen Schützling gegen meine Du-sollst-dein-Herz-nicht-verschenken-Regel verstoßen, dachte sie, als sie den Achtjährigen in die Arme schloss, wäre ich bereit, damit zu leben. Connor war einfach unwiderstehlich.

Er löste sich von ihr und trat einen Schritt zurück. Dabei wäre er beinahe vom Weg abgerutscht und in einen großen, aggressiv wirkenden Kaktus gefallen, der zweifellos einen beeindruckend langen lateinischen Namen trug. Sunshine beugte sich schnell vor, packte ihn sanft am Arm und rettete ihn so davor, aufgespießt zu werden. Connor nahm kaum Notiz von dem Vorgang.

»Du sagst jetzt bestimmt, dass wir erst meinen Dad fragen müssen, oder?«

»Ganz genau. Schließlich wirst du die Verantwortung für mehrere Hundert Lebewesen übernehmen. Das ist keine Kleinigkeit.«

»Du hast recht.« Er hielt inne und kicherte plötzlich. »Bin ich dann ihr König?«

»Klar. Vielleicht können wir ihnen beibringen, ›Seid gegrüßt, König Connor‹ zu sagen.«

Connor lachte. Der Wüstenteil des botanischen Gartens gefiel ihm am besten. Da sein Vater Landschaftsarchitekt war, verfügten sie beide über Dauerkarten und waren in den drei Wochen, die sie als Connors Kindermädchen arbeitete, bereits viermal hier gewesen. Bisher waren sie über den Wüstengarten nicht hinausgekommen, aber das war in Ordnung für sie. Irgendwann würden sich Connors Interessensgebiete schon erweitern.

Er kauerte sich vor einer rötlichen Pflanze hin, die scheinbar Bromelie hieß, und betrachtete sie.

»Montag hast du deinen ersten Schultag«, sagte er.

Darüber wollte Sunshine lieber nicht nachdenken. Ein Teil ihres Plans, ungute Beziehungen zu vermeiden und ihr Leben auf einen glücklicheren und positiveren Kurs zu bringen, bestand darin, aufs College zu gehen. Nicht zurück aufs College, denn das würde ja bedeuten, dass sie schon einmal dort gewesen war.

»Stimmt.«

Er warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Hast du Angst?«

»Ja. Na ja, Angst ist vielleicht ein bisschen viel gesagt, doch ich bin etwas nervös.«

»Weil du glaubst, dass alle anderen Kinder schlauer sein werden als du?«

Sie grinste. »So hätte ich es nicht ausgedrückt, aber ja, zum Teil schon. Vor allem werden sie jünger sein als ich.«

Er stand auf. »So jung wie ich?«

»Ein bisschen älter, glaube ich, doch ganz sicher nicht so alt wie ich.«

Sie war einunddreißig und hatte nach all den Jahren auf dieser Welt noch rein gar nichts vorzuweisen. War das nicht unendlich traurig?

Connor ergriff ihre Hand. »Du brauchst keine Angst zu haben. Du bist doch auch schlau, und die Hausaufgaben können wir zusammen machen.«

Sie gab ihm einen Stupser auf die Nase. »Du bist in der dritten Klasse. Da hast du noch nicht so viele Hausaufgaben auf.«

»Dann sitze ich einfach neben dir und lese was über Ameisen.«

Und das, dachte sie seufzend, ist genau der Grund, weshalb du mein Herz erobert hast. Connor war ein guter Junge. Er war lustig, freundlich und warmherzig. Seine Mutter war vor ein paar Monaten an Krebs gestorben, und sein Vater hing offensichtlich sehr an ihm, hatte aber einen wichtigen, beeindruckenden Job, der viel Zeit in Anspruch nahm. Declan hatte schon eine ganze Reihe von Kindermädchen eingestellt, die Connor allesamt innerhalb der ersten Woche abgelehnt hatte. Sie beide verstanden sich jedoch aus irgendeinem Grund auf Anhieb gut.

»Komm«, sagte sie und legte einen Arm um ihn. »Lass uns nach Hause gehen. Ich mache Lasagnerollen zum Abendessen.«

»Was sind Lasagnerollen?«

»Alles, was an Lasagne so lecker ist, nur eingerollt in eine Nudel.«

Er schaute skeptisch. »Da tust du doch bestimmt auch Gemüse mit rein, oder?«

Sie grinste. »Ja, Zucchini. Ganz dünne, kleine Zucchini-Pommes-frites.«

»Wie klein?«

Sie dachte kurz nach. »So Ameisengröße.«

Connor seufzte. »Okay, aber mögen werde ich die bestimmt nicht.«

»Kein Problem, solange du sie nur isst.«

Anderthalb Stunden später stellte Sunshine den fertigen Salat in den Kühlschrank und warf einen Blick auf die Uhr. Declan hatte ihr eine Nachricht geschrieben, die besagte, dass er mit ihnen zu Abend essen wollte. Sie hatte den Tisch bereits für drei Personen gedeckt, doch wenn sie ehrlich war, war ihre Hoffnung nicht groß. Ihr Boss steckte mitten in einem wichtigen Projekt – es ging um die Gartengestaltung eines neuen Fünfsternehotels nördlich von Malibu. Und nicht nur, dass das Projekt sehr arbeitsintensiv war, es war zudem schier unmöglich, von einem Ort in Strandnähe nach Pasadena zu gelangen, ohne stundenlang im Stau zu stehen. Nicht zum ersten Mal schrieb er ihr, er werde pünktlich zum Abendessen zu Hause sein – nur um dann meistens eine Stunde später anzurufen und ihr mitzuteilen, dass er immer noch auf der Autobahn feststecke und sie ohne ihn anfangen sollten.

Sunshine hatte nichts dagegen, mit Connor alleine zu sein, doch sie wusste, dass der Junge seinen Vater vermisste.

Wenn er dann endlich zu Hause war, verbrachte Declan den Rest des Abends mit seinem Sohn und machte ihn auch bettfertig. Die beiden standen einander offensichtlich nahe, was toll war. Trotzdem fühlte sich die ganze Situation immer noch etwas fremd für sie an. Nach drei Wochen im Haus neuer Arbeitgeber hatte sie sich normalerweise eingelebt und eine feste Routine entwickelt. Sie und Connor verstanden sich wunderbar – aber Declan hatte sie bisher kaum zu Gesicht bekommen, geschweige denn sich mit ihm unterhalten. Sie würde ihn daher bald einmal um ein Gespräch bitten müssen. Am besten in den allernächsten Tagen.

Am ersten Wochenende ihrer Anstellung waren Declan und Connor nach Sacramento gereist, um Declans Eltern zu besuchen. Letztes Wochenende war Declan zu einer Konferenz in eine andere Stadt gefahren. Und sie hatte keine Ahnung, was an diesem Wochenende anstand.

»Habt ihr morgen was vor, du und dein Dad?«, fragte sie.

»Ich weiß nicht. Er hat mir nichts gesagt. Was sollen wir machen, wenn er zu tun hat?«

»Ich habe mir gedacht, wir könnten in den Wildtierpark gehen.«

Connor war fertig mit dem Besteckverteilen. »Muss ich dann eine Tarantel in die Hand nehmen?«

»Nicht, wenn du das nicht willst.«

»Spinnen sind keine Ameisen«, sagte er in defensivem Ton.

Sie hielt abwehrend die Hände hoch. »Das brauchst du mir nicht zu erzählen. Eine Ameisenfarm ist völlig in Ordnung für mich, aber wenn du eine Spinnenkolonie gründen willst, muss ich leider schreiend davonrennen.«

Er grinste. »Im Pyjama?«

»Höchstwahrscheinlich.«

Sein Gelächter wurde durch das Geräusch des sich öffnenden Garagentors unterbrochen.

»Dad ist zu Hause! Dad ist zu Hause!«

Sie sah Connor nach, wie er durch die Küche sauste und in den Hausflur verschwand, dann fiel ihr Blick erneut auf den Tisch. Wie es aussah, würden sie tatsächlich zu dritt essen – was für eine Freude.

Nicht dass sie nervös gewesen wäre, keineswegs. Es war nur eben so, dass sie Declan kaum kannte. Aber gut – heute Abend würden sie sich bei Lasagnerollen und ameisengroßen Zucchini ein wenig mehr kennenlernen.

»… und Sunshine hilft mir mit der Ameisenfarm. Morgen recherchieren wir ein bisschen im Internet, und das reicht dann auch, weil ich schon drei Bücher gelesen und noch zwei aus der Bibliothek ausgeliehen habe, die lese ich am Wochenende, und dann weiß ich eh alles.«

Dank der gerahmten Fotos, die sie in Connors Zimmer gesehen hatte, wusste Sunshine, dass er nach seiner Mutter kam. Er war klein für sein Alter, hatte eine zierliche Figur sowie dunkle Haare und dunkle Augen. Deshalb war es jedes Mal ein kleiner Schock für sie, wenn sie Declan sah.

Er war ein eindrucksvoller Mann. Keineswegs dick, aber hochgewachsen, mindestens einen Meter neunundachtzig, mit breiten Schultern und einer Menge Muskeln. Dazu hatte er sandfarbenes Haar und grüne Augen. Neben ihren eins vierundsechzig erschien er ihr extrem groß, und die Tatsache, dass er meistens Anzug und Krawatte trug, ließ ihn noch stattlicher erscheinen. Außerdem hatte er eine gewisse Präsenz – er gehörte zu den Menschen, die, wohin auch immer sie kamen, sofort alle Blicke auf sich zogen. Sie kannte ihn zwar nicht gut genug, um sich eine echte Meinung über ihn bilden zu können, doch er schien ein netter Typ zu sein. Er liebte seinen Sohn, und das war alles, was für sie zählte.

»Guten Abend, Mr. Dubois«, murmelte sie, als er seine Aktentasche abstellte, Connor hochhob und den Jungen mit dem Kopf nach unten baumeln ließ.

Während sein Sohn vor Vergnügen quietschte, suchte Declan ihren Blick. »Wir haben doch darüber gesprochen, Sunshine. Nenn mich bitte Declan.«

»Okay, ich wollte nur noch mal sichergehen.«

»Ich hab’s gerne unverkrampft.«

Unverkrampft gefiel ihr. Und wo sie jetzt so darüber nachdachte, war es ein Glück, dass er das so sah – jedenfalls in Anbetracht der Tatsache, dass sie beim Reinkommen einfach ihre Schuhe abgeschüttelt hatte und nun barfuß und dazu in Jeans und einem übergroßen T-Shirt, das eine Bar in Tahiti bewarb, vor ihm stand.

Declan stellte Connor wieder auf die Füße und warf einen Blick auf den Tisch. »Das sieht schön aus. Was gibt es denn?«

»Ameisenessen!«, verkündete Connor fröhlich. »Zucchini-Ameisen-Pommes.«

»Wirklich?«

»Salat, Lasagnerollen, Knoblauchknoten und Zucchini-Pommes«, korrigierte sie ihn.

»Die Knoblauchknoten sind eigentlich Brötchen«, erklärte Connor seinem Vater. »Die habe ich alle selbst geknotet.«

»Wirklich?« Declan verwuschelte ihm das Haar. »Das ist ja toll. Gebt mir fünf Minuten, um mich umzuziehen, dann komme ich euch helfen.« Er nahm seinen Aktenkoffer und verschwand in Richtung Flur, seinen Sohn im Schlepptau. »Sunshine, trinkst du Wein?«

»Nur an Wochentagen, die mit tag enden.«

»Schön. Magst du uns einen Rotwein aus dem Weinschrank holen? Weißt du, wo der ist?«

»Ja.«

Bis auf Declans Schlafzimmer hatte sie an ihrem ersten Wochenende das gesamte Haus erkundet. Sie hatte jeden Ort ausfindig gemacht, an dem ein achtjähriger Junge sich verstecken konnte, und einen Eimer mit Putzmitteln in der Garage versteckt. Ja, Connor war alt genug, um zu wissen, dass man mit so etwas nicht spielte, aber weshalb das Schicksal herausfordern?

Das Haus war typisch für diese Gegend. Es war in den 1920er-Jahren in einem Stil errichtet worden, von dessen starkem spanischen Einfluss die u-förmige Struktur mit Innenhof zeugte. Neben der Küche lag der Hauswirtschaftsraum, dahinter wiederum das Familienwohnzimmer und ihr Schlafzimmer mit eigenem Bad. Hinter der Garage befand sich ein großer Fitnessraum, den sie unbedingt mal benutzen sollte.

Von der anderen Seite der Küche aus kam man in ein formelles Esszimmer und ein Wohnzimmer für Gäste, danach bog der Flur um die Ecke, und es folgten Declans Büro, daneben Connors Zimmer und dann das Elternschlafzimmer.

Die Räume waren beinahe übertrieben groß, die Originaldeckenbalken noch erhalten, und der Garten schien einer wundervollen Fantasie entsprungen. Sunshine hatte nicht viel Ahnung von Pflanzen, aber sie wusste genug, um abends ihr Fenster offen stehen zu lassen, damit sie den Duft des nachtblühenden Jasmins davor einatmen konnte.

Sie ging in Richtung Hauswirtschaftsraum und bog in die Vorratskammer ab, an deren hinterem Ende sich der große Weinschrank mit Glastüren befand. Er enthielt mindestens vierhundert Flaschen, nach Rebsorten geordnet. Sie zog eine Schublade nach der anderen heraus auf der Suche nach einem einigermaßen günstigen Cuvée. Das Abendessen war einfach, und der Wein dazu sollte es ebenfalls sein.

Nachdem sie im Büfett neben dem Weinschrank einen Korkenzieher gefunden hatte, kehrte sie schließlich mit der offenen Flasche sowie zwei Weingläsern in die Küche zurück, wo sie noch eine Flasche alkoholfreien Cidre für Connor bereitstellte. Wenn es schon ein bisschen festlicher wurde, sollte er auch daran teilhaben.

Als Declan mit Connor am Esstisch Platz nahm, gab Sunshine die heißen Brötchen in eine große Schüssel, begoss sie mit ausgelassener Butter und bestreute sie mit gehacktem Knoblauch. Der Salat stand bereits auf dem Tisch. Sie tat Connor und Declan jeweils ein Brötchen auf den Teller, stellte die übrigen griffbereit und setzte sich ebenfalls.

Der Küchentisch bot Platz für sechs Personen. Sie saßen zu dritt an dessen einem Ende im Halbkreis, Sunshine gegenüber von Connor. Ohne nachzudenken, tat sie ihm Salat auf, ehe ihr einfiel, dass sein Vater das womöglich gerne selbst getan hätte.

»Oh, ähm, tut mir leid. Wolltest du ihm vielleicht …«

»Mach du nur«, sagte Declan ganz entspannt und schenkte ihnen Wein ein.

Sie nickte und wartete, bis er sich bedient hatte, bevor sie ihm die Schüssel abnahm und sich selbst Salat auf den Teller tat. Als Declan ihr ein Weinglas reichen wollte, griff sie im selben Moment ebenfalls danach, sodass ihre Hände aneinanderstießen und das Glas beinahe umkippte.

Sunshine spürte, wie sie rot wurde. Na großartig. Die peinlichen ersten Tage hätten eigentlich längst hinter ihr liegen sollen. Bei fremden Leuten einzuziehen und fast so etwas wie ein Familienmitglied zu werden – aber eben nicht wirklich – war nicht ganz unkompliziert.

Declan schüttelte lächelnd den Kopf. »An unseren Tischmanieren müssen wir wohl noch arbeiten«, sagte er neckend.

»Scheint mir auch so.«

»Die letzten Wochen waren ziemlich hektisch bei mir, wir hatten gar keine Zeit, uns richtig kennenzulernen. Falls du später nichts anderes vorhast, komm doch zu mir ins Arbeitszimmer, wenn Connor im Bett ist. Dann können wir darüber sprechen, wie es bisher so läuft.«

»Ja, das wäre schön«, sagte sie. »Danke.«

Connor hielt sein Cidreglas in die Höhe. »Ich möchte einen Toast ausbringen.«

»Ach ja?« Declan griff nach seinem Weinglas. »Was denn für einen?«

Sunshine erhob ebenfalls ihr Glas und wartete ab, was kommen würde. Ihrem Gefühl nach dürfte der Trinkspruch sehr viel weniger staatsmännisch ausfallen, als Declan scheinbar erwartete.

Connor grinste verschmitzt. »Einen Toast mit Marmelade.«

»Wow, Toast mit Marmelade also«, murmelte Declan, ehe er an seinem Wein nippte. »Ich bin verdammt stolz auf dich, mein Junge.«

Connor kicherte, und Sunshine zwinkerte ihm zu.

»Wir waren heute nach der Schule im botanischen Garten«, sagte sie und nahm ihre Gabel. »Im Wüstengarten, genau gesagt.«

»Mein absoluter Lieblingsgarten!«, verkündete Connor.

»Eines Tages werde ich sicher auch mal den Rest der Anlage zu sehen bekommen. Hoffe ich jedenfalls.«

Connor zog die Schultern hoch und seufzte übertrieben. »Übernächstes Mal, versprochen.«

»Hurra, danke!«

»Gern geschehen.« Er wandte sich seinem Vater zu. »Wie geht’s dem Hotel?«

»Gut. Die Baugenehmigung liegt jetzt vor, daher kann ich mich nun an die Gartengestaltung machen.« Er sah Sunshine an. »Die Baumaterialien, die am Haus eingesetzt werden, beeinflussen meine Planung.«

»Klar. Die Farben der Blumen sollten schon zur Fassade passen.«

»Genau. Connor, wie war es in der Schule?«

»Gut. Ich habe eine Eins im Rechtschreibtest. Wir haben auch ganz viel geübt.«

»Es ging in der Lektion um verschiedene Währungen und deren Rechtschreibung«, ergänzte Sunshine. »Euro, Yen, Rubel, das Wort Währung selbst.«

»Das ist ein schweres Wort«, sagte Connor, der seinen Salat aufgegessen hatte. »Und Rubel schreibt sich wie rubbeln, aber mit nur einem b und ohne n.«

»Davon habe ich schon mal entfernt gehört«, sagte Declan. »Gut gemacht, Kleiner.«

Sunshine wollte gerade aufstehen, um die Salatteller einzusammeln, als Connor sich erneut zu Wort meldete: »Sunshine fängt am Montag mit der Uni an, und sie hat schon richtig Angst.«

»Ach, das ist doch nicht so spannend«, murmelte sie und ging zum Ofen, um die Lasagnerollen herauszuholen.

»Du gehst zurück aufs College?«, fragte Declan.

»Zurück trifft es nicht genau, aber ja.« Sie verteilte die dampfende Pasta auf drei Teller und trug sie zum Tisch. »Ich belege erst mal nur einen Mathekurs am Pasadena City College.«

»Sehr gut.«

»Danke.«

Als sie wieder saß und an ihrem Wein nippte, sagte sie sich, dass es ihr vollkommen egal sein sollte, was ihr Boss von ihrer mangelnden Ausbildung hielt. Nur weil er einen hohen Abschluss, einen tollen Job, ein Haus, ein Kind und ein geordnetes Leben vorzuweisen hatte, war er nicht besser als sie.

Sie seufzte. Hier geht es gar nicht um Declan, rief sie sich in Erinnerung. Er stand nur einfach für alles, was sie nicht hatte. Wurzeln, eine Richtung im Leben, einen Plan. Sie hatte ihre Zwanziger in einer Reihe von Beziehungen verbracht, wovon nichts übrig geblieben war – abgesehen von falschen Entscheidungen und einigen gebrochenen Herzen, von denen ein paar ihr gehört hatten.

Doch all das lag nun hinter ihr. Sie hatte ihren Moment der Erleuchtung gehabt, konzentrierte sich nun auf das Wesentliche und hatte einen Plan für ihr Leben. Und nichts und niemand würde sie dazu bringen, von ihrem Kurs abzuweichen. Dessen war sie sich sicher.

Declan Dubois hatte schon seit einem Jahr keinen Sex mehr gehabt. Bis vor ein paar Wochen hatte ihn das nicht gestört, aber in letzter Zeit fiel es ihm doch immer wieder auf und wurde langsam zum Problem.

Die Dürreperiode hatte eingesetzt, als er und Iris erste Probleme bekamen – wenn man es so nennen konnte. Damals war vollkommen unklar gewesen, ob seine Ehe überleben würde oder nicht, und so hatte er es sich angewöhnt, in seinem Arbeitszimmer auf dem Sofa zu schlafen. Und später, nachdem sie krank geworden war, war Sex das Letzte gewesen, worüber sie sich Gedanken gemacht hatten.

Nach Iris’ Tod hatte er vollkommen unter Schock gestanden und sich erst mal der Tatsache stellen müssen, dass die Frau, mit der er sein ganzes Leben hatte verbringen wollen, nicht mehr da war. Und dann war da auch noch Connor gewesen, dem er helfen musste, mit dem Verlust seiner Mutter klarzukommen. Sex war da einfach nicht wichtig.

Inzwischen sah die Sache anders aus, allerdings hatte er keine Ahnung, was er diesbezüglich unternehmen sollte. Mit Frauen auszugehen erschien ihm unmöglich, und ein paar Minuten allein in der Dusche hatten noch keinen Mann sehr weit gebracht. Irgendwann wollte er mal wieder eine Frau in seinem Bett haben, und das nicht nur in Form eines One-Night-Stands. Dafür war er noch nie der Typ gewesen. Es musste nicht unbedingt Liebe im Spiel sein, damit er einen hochbekam, doch ein paar Gefühle waren schon erlaubt. Nur hatte er seit zehn Jahren kein Date mehr gehabt – wie sollte er jetzt damit anfangen? Und wo sollte er überhaupt Frauen kennenlernen? Auf keinen Fall bei der Arbeit, so was ging nie gut. Aber wo dann, im Internet?

Während er den kurzen Weg von Connors Zimmer zu seinem Arbeitszimmer zurücklegte, beschloss er, sich mit dem Problem später auseinanderzusetzen. Nun, da sein Sohn schlief, war es sehr viel dringender, endlich ein paar Worte mit der Frau zu wechseln, die er für die Betreuung seines Kindes angeheuert hatte. Irgendwie waren die letzten drei Wochen wie im Flug vergangen. Wenn er nicht aufpasste, würde er sich noch irgendwann umdrehen und Connor hätte seinen Highschool-Abschluss in der Hand, ehe er auch nur irgendetwas über Sunshine in Erfahrung gebracht hatte.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und öffnete den Lebenslauf, den die Agentur ihm vor Sunshines Bewerbungsgespräch zukommen gelassen hatte. Sie war das fünfte Kindermädchen, das er anstellte, und er hatte verzweifelt gehofft, endlich eins gefunden zu haben, das sein Sohn mochte. Iris’ Tod war ein Schock gewesen. Nicht mal einen Monat nachdem er von ihrem Krebs erfahren hatte, war sie bereits gestorben. Er hatte keinerlei Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten, sich innerlich zu wappnen – und er war erwachsen. Connor war noch sehr viel weniger in der Lage, eine derart schreckliche Situation durchzustehen. Er war sich nicht sicher, ob sie das Ganze auch nur halbwegs überlebt hätten, wären seine Eltern nicht gekommen und nach der Beerdigung eine Weile bei ihnen geblieben.

Declan überflog den Lebenslauf. Sunshine war einunddreißig Jahre alt. Seit sie zwanzig war, hatte sie immer wieder als Kindermädchen gearbeitet. Jedoch verfügte sie über keine entsprechende Ausbildung, hatte nach der Highschool nicht studiert und verschiedentlich Stellen gekündigt, ehe ihr Vertrag ausgelaufen war. Er hatte sie erst gar nicht einstellen wollen, allerdings war er vollkommen verzweifelt gewesen, weshalb die Agentur darauf bestanden hatte, dass er zumindest einmal mit ihr sprach. Nachdem er bereits vier ihrer besten Kindermädchen verschlissen hatte, hatte er die Bitte nicht abschlagen können und sich schließlich widerwillig mit Sunshine getroffen.

Er erinnerte sich an kaum etwas von dem Gespräch, außer dass er auf einem Probenachmittag unter der Aufsicht einer Agenturmitarbeiterin bestanden hatte. Als Connor von dem Treffen mit Sunshine zurückkam und verkündete, dass er sie mochte, hatte er sie noch am selben Abend eingestellt.

Die vergangenen drei Wochen waren ein einziger Wirbelsturm aus Arbeit und Reisen gewesen. Er hätte gerne mehr Zeit zu Hause verbracht, um Sunshine besser kennenzulernen und zu sehen, wie sie mit Connor umging, doch das Schicksal hatte ein Komplott gegen ihn geschmiedet. Fakt war, dass sein Sohn so glücklich wirkte wie schon lange nicht mehr – er schien Sunshine jedenfalls sehr zu mögen.

Ein Klopfen an der offen stehenden Tür holte ihn zurück in die Gegenwart. Sunshine stand im Eingang und lächelte ihn vorsichtig an.

»Passt es dir jetzt?«

Er nickte und deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Sunshine setzte sich und zog ihre nackten Füße unter sich.

Sie ist so ganz anders als Iris. Der Gedanke kam unerwartet, doch nachdem er einmal gedacht war, ließ er sich nicht mehr ignorieren. Seine verstorbene Frau war groß und gertenschlank gewesen mit feinen Gliedern und langen Fingern. Ihr dunkles Haar und ihre ebenso dunklen Augen hoben die Blässe ihres Gesichts hervor.

Sunshine hingegen war um einiges kleiner und sehr viel kurvenreicher. Sie war blond, hatte blassblaue Augen, volle Wangen, große Brüste und einen Hintern, der … Er ermahnte sich, gar nicht erst darüber nachzudenken. Nicht nur, dass das äußerst unangemessen wäre, sie war außerdem gar nicht sein Typ. Und wie gesagt, es gehörte sich einfach nicht.

Iris hatte maßgeschneiderte Designerkleidung in Schwarz oder Braungrau bevorzugt. Aus dem Wenigen zu schließen, das er bisher von Sunshine mitbekommen hatte, war sie dagegen eher der Jeans-und-T-Shirt-Typ. Sie aß Frühstücksflocken direkt aus der Schachtel, hatte kein Problem damit, auf dem Boden liegend mit Connor Halma zu spielen, und auch nichts gegen eine Ameisenfarm im Haus einzuwenden. Ganz anders als Iris.

Nicht, dass er sich wünschte, sie in einer anderen Frau wiederzufinden. Sie war seine erste große Liebe gewesen, und jetzt, da sie nicht mehr da war, würde er nie wieder derselbe Mensch sein. Ebenso wenig glaubte er, sich nie wieder verlieben zu können – was das betraf, hatte er keine Ahnung. Er wusste nur einfach, dass er keinen Ersatz für Iris wollte.

»Ihr scheint euch gut zu verstehen, du und Connor«, sagte er.

Sie lächelte. Zwei so simple Wörter, die ihrer damit einhergehenden Verwandlung von einer hübschen zu einer atemberaubend schönen Frau nicht annähernd gerecht wurden. Declan hoffte, nicht so überwältigt auszusehen, wie er sich fühlte. Schließlich sah er sie nicht zum ersten Mal lächeln, er hätte daran gewöhnt sein sollen.

»Connor ist entzückend. Wer würde sich nicht sofort in ihn verlieben? Er ist so ein ernsthaftes Kind und zugleich so lustig und liebenswürdig. Natürlich vermisst er seine Mom sehr, doch er kommt klar. Wir sprechen über sie, wann immer ihm danach ist. Außerdem hilft ihm sicher seine Therapie. Die Therapeutin verrät mir selbstverständlich keine Details, aber ich würde sagen, dass er alles gut verarbeitet.«

Sunshine so voller Verständnis über seinen Sohn reden zu hören, das entspannte ihn. »Ja, Connor ist etwas ganz Besonderes«, sagte er. Dann warf er einen Blick auf das aufgeschlagene Profil auf seinem Schreibtisch und beschloss, offen mit ihr zu sprechen. »Ich war mir erst nicht sicher, ob ich dich einstellen sollte.«

Statt in die Defensive zu gehen, lachte sie nur. »Dasselbe könnte ich über dich sagen. Ich wollte eigentlich lieber für eine alleinerziehende Powerfrau arbeiten, aber der Agenturchef hat mich überredet, Connor erst mal kennenzulernen, und da war es um mich geschehen.«

Sie deutete auf die vor ihm liegende Mappe. »Sind das meine Unterlagen?«

Er nickte.

Sie verzog ihre vollen Lippen.

»Lass mich raten. Der Bericht sagt, dass ich super bin mit Kindern. Ich mag sie, und sie mögen mich. Ich bin pünktlich, ich koche, helfe bei den Hausaufgaben, bin eine sichere Autofahrerin. In Notfällen bin ich praktisch immer erreichbar. Aber …«, sie sah ihn an, »… die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass ich eines Tages ohne große Vorwarnung einfach verschwinde. Dann bin ich von heute auf morgen weg, und du sitzt ohne Kindermädchen da.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ist das eine einigermaßen korrekte Zusammenfassung?«

Ihre Ehrlichkeit erstaunte ihn. War das reine Taktik, oder war sie echt? Er hatte nicht die leiseste Ahnung.

Sie seufzte. »Es stimmt, alles davon. Ich habe mindestens ein halbes Dutzend Stellen gekündigt. Jedes Mal lernte ich einen Mann kennen und verliebte mich in ihn, er wollte, dass ich mit ihm mitgehe, und ich folgte ihm. Einfach so.«

»Dass du mit ihm mitgehst?«

Da war es wieder, ihr Lächeln, allerdings mit verringerter Strahlkraft.

»Ich neige dazu, mich in Männer zu verlieben, die ungewöhnliche Berufe haben oder nicht da leben, wo ich bin. Einer spielte in einer Rockband, einer war Reisefotograf, ein anderer Tennisprofi. Einmal hat mich die Familie, für die ich gerade arbeitete, mit nach Napa genommen. Dort lernte ich einen Restaurantbesitzer kennen, und als die Familie zurück nach Hause fuhr, blieb ich. Das Gute daran war, dass ich von ihm kochen gelernt habe.«

Sie wandte den Blick ab. »Ich war damals jung und leichtsinnig, aber so will ich nicht mehr sein.« Sie sah ihn wieder an. »Ich will dich nicht mit Details langweilen. Nur so viel – irgendwann wachte ich in einem Londoner Hotelzimmer auf, ohne Job, ohne Freund, ohne Perspektive. Ich flog zurück nach Hause, zog bei meiner Schwester ein und probierte verschiedene Jobs aus, denn, na ja, das Kindermädchending war weder gut für mich noch für die Kinder.«

Er wusste nicht, was er erwartet hatte – das jedenfalls nicht. »Weshalb arbeitest du dann jetzt wieder als Kindermädchen?«

»Weil ich gut darin bin und das Geld brauche. Ich möchte etwas aus meinem Leben machen. Eine abgeschlossene Ausbildung, etwas Geld auf der hohen Kante für den Ruhestand, einfach ganz normal sein. Die Arbeit als Kindermädchen finanziert mir das Studium, lässt mir ausreichend Zeit zum Lernen, und über die Miete muss ich mir auch keine Gedanken machen. Ich will einen klaren Kopf behalten und das Richtige tun. Schluss mit durchgeknallten Losertypen. Diese Frau will ich nicht mehr sein.«

Ihr Lächeln kehrte zurück und machte ihn ebenso sprachlos wie zuvor.

»Das war jetzt wohl mehr, als du wissen wolltest«, sagte sie. »Ich will eben ehrlich sein. Du hast natürlich keine Veranlassung, mir das alles zu glauben. Du kennst mich nicht, deshalb sitzen wir ja hier und unterhalten uns, stimmt’s? Aber ich empfinde große Verantwortung Connor gegenüber. Ich werde ihn nicht einfach so im Stich lassen.«

»Weil du diese Frau nicht mehr sein willst?«

»Ganz genau.«

Das war alles viel zu viel Information auf einmal, und er wusste nicht, was er damit anstellen sollte. Ja, sie hatte recht, er hatte keinerlei Veranlassung, ihr zu glauben – und doch tat er es. War das dumm von ihm oder stimmte sein Bauchgefühl? Er hatte keine Ahnung.

»Ist das auch der Grund, weshalb du lieber für eine Frau arbeiten wolltest?«

Sie nickte. »Ich hatte ein paar Väter dabei, die übergriffig wurden. Das kann ziemlich unangenehm sein.«

»Sunshine, ich versichere dir, ich würde niemals …«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß. Du musst dazu nichts sagen.«

Sie wusste es? Woher? Und was hatte das zu bedeuten? War er so unglaublich asexuell geworden, dass … dass … Oh Gott, er konnte die Frage noch nicht mal formulieren, geschweige denn sie beantworten.

Sie lachte. »Du siehst leicht verwirrt aus. Was ich meinte, ist, dass du wie ein redlicher Mensch wirkst. Das weiß ich sehr zu schätzen.«

»Gut«, sagte er, auch wenn er sich nicht sicher war, ob das gut war oder nicht. Zeit, das Thema zu wechseln. »Was ist mit deinen Arbeitszeiten. Passen die dir?«

»Die sind perfekt.«

An Wochentagen sollte sie von halb sieben morgens bis neun Uhr abends zur Verfügung stehen, inklusive einer Mittagspause. Außerdem schuldete sie ihm jeden zweiten Samstag und kochte viermal in der Woche das Abendessen.

»Tut mir leid, dass du sonntags arbeiten musstest, als ich auf Geschäftsreise war.«