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Sie durfte nicht schwitzen. Tote schwitzen nicht. Und sie spielte tot, weil sie leben wollte. Alle zwei Jahre bringt ein Serienkiller eine junge Frau in seine Gewalt und tötet sie. Immer am 14. September. Seit Jahren verfolgt Thomas Scheib, Fallanalytiker beim BKA, die Spur des Mörders. Drei Leichen wurden bisher gefunden, fünf Frauen gelten als vermisst. Nur für das Jahr 1990 gibt es eine Lücke. In diesem Jahr hat die damals 18-jährige Karen einen alten Mann überfahren. Aber sie weiß nicht, wie es zu diesem Unfall gekommen ist ...
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Petra Hammesfahr
Das letzte Opfer
Roman
Karen Stichler, geb. Dierden, verheiratet mit
Marko Stichler, Fotograf
Jasmin, Karens Tochter
Kevin, Karens Sohn
Norbert Dierden, Karens Bruder
Sarah Dierden, Karens Schwägerin
Michael, Sohn von Norbert und Sarah
Christa und Karlheinz Dierden, Karens Eltern
Doktor Gerber, Karens Therapeut
Margo Stichler, Markos Stiefmutter
Rabea Sanfart, Margos uneheliche Tochter, verstorben im September 1979
Jona Stichler, Markos Halbschwester
Oliver Lohmann, Arbeitskollege von Norbert Dierden
Barbara, Olivers Schwester
Stefan Leitner, Barbaras Freund
Leitner senior, Stefans Vater, bekannter Strafverteidiger
Anni Weingräber, eine rachsüchtige alte Frau
Hubert Weingräber, ihr Mann
Martin Kaminski, ein glaubwürdiger Zeuge
Peter Kolbe, mehrfach vorbestraft wegen Vergewaltigung
Thomas Scheib, Fallanalytiker und Sonderermittler beim Bundeskriminalamt
Claudia Scheib, seine Frau
Denis, Sohn von Thomas und Claudia
Doktor Lukas Wagenbach, BKA, der Vorgesetzte von Thomas Scheib
Donald Kirby, FBI, berät Thomas Scheib
Carmen Rohdecker, Oberstaatsanwältin am Landgericht Köln
Arno Klinkhammer, Kripo Erftkreis
Ines, seine Frau
Josef Weigler, Kripo München
Frederik Fährlich, Kripo München
Manfred Hartwig, Kripo Köln
Anja Heckel, ermordet im September 1982
Elisabeth Brandow, ermordet im September 1984
Angela Karpeling, vermisst seit September 1986
Silvia Lenz, vermisst seit September 1988
Mei Li Jau, verschwand im September 1990 aus Köln
Marion Schneider, vermisst seit September 1992
Julia Roberts, vermisst seit September 1994
Sabine Bergholt, ermordet im September 1996
Waltraud Habel, vermisst seit September 1998
Es war heiß, und sie durfte nicht schwitzen. Tote schwitzten nicht. Sie spielte tot, weil sie leben wollte. Der Mann, der versucht hatte, sie zu töten, war noch da und überzeugt, sie umgebracht zu haben. Jedenfalls glaubte sie, er sei davon überzeugt. Sie sah ihn nicht, weil ihre Augen verklebt waren, aber sie hörte ihn. Er sprach mit sich selbst. Manchmal kam ein irres Kichern über seine Lippen und manchmal ein haltloses Schluchzen. Vielleicht weinte er wirklich, weil er sie eigentlich gar nicht hatte töten wollen.
Das hatte er ihr erklärt – ganz zu Anfang. Sie müsse keine Angst haben, ihr werde nichts geschehen. Er war so nett gewesen in den ersten Stunden, höflich und zuvorkommend, sogar besorgt, sie ernsthaft verletzt zu haben mit dem Messer, das er ihr an den Hals hielt, damit sie ihn begleitete. Es war ein scharfes Messer, das praktisch ohne sein Zutun in ihre Haut schnitt, als er sie mit einer Hand in ihrem Haar vor sich herschob, eine Treppe hinunter und noch eine, dann eine Treppe hinauf, auf der sie stolperte. Sie beruhigte ihn, es sei ein harmloser Kratzer, nicht der Rede wert.
Während der Fahrt unterhielten sie sich. Und sie war überzeugt, sie habe die Situation unter Kontrolle, dass sie sich darauf einigen könnten, es sei nur eine Spazierfahrt gewesen, bei der sie sich irgendwo am Hals gekratzt hatte. Dass er sie gehen ließ, wenn er den Wagen anhielt.
Als er das endlich tat, bestand er darauf, dass sie sich selbst die Augen verklebte, ehe sie ausstiegen. Natürlich versuchte sie, ihm das auszureden. Aber er meinte, es sei besser für sie, also fügte sie sich. Er nahm ihren Arm, damit sie nicht noch einmal stolperte, er warnte auch: «Vorsicht, Stufen.» Es ging nach unten, drei Stufen insgesamt, das wusste sie, weil sie das Haus kannte, in das er sie brachte. Einmal war sie dort gewesen.
Und dann roch sie, warum es besser war, nichts zu sehen. Ein entsetzlicher Gestank schnitt ihr die Luft ab. Er führte sie zu einem Sessel, nahm ihr gegenüber Platz. Und er war immer noch ruhig, erzählte aus seinem Leben, von seiner Mutter, die viel zu früh gestorben war, von einer Schwester, die er über alles geliebt und auch verloren hatte. Seine Stimme war schwer von Trauer und Hoffnungslosigkeit – bis ein Telefon klingelte.
Das Geräusch schien ihn aus dem Konzept zu bringen. Er nahm das Gespräch entgegen, sagte zuerst nur: «Ja», nannte dann einen Namen, sagte noch ein paar Worte. Danach hörte er zu, wie lange, konnte sie nur schätzen, drei, vier Minuten vielleicht. Und dann stürzte er sich plötzlich ohne jede Vorwarnung auf sie, zerrte sie aus dem Sessel, stieß sie zu Boden und drückte ihr Gesicht in stinkendes Wasser.
Ein Putzeimer. Das fühlte sie, ein alter Blecheimer, an dessen schartigem Rand sie sich die Stirn aufschrammte. Instinktiv tat sie, was sie für richtig hielt, ließ den Atem stoßweise, blubbernd und gurgelnd entweichen. Nur nicht einatmen, nichts von dieser ekligen Brühe in die Lungen bekommen und nichts davon schlucken. Wie lange dauerte es, bis ein Mensch ertrank? Das wusste sie nicht. Schon nach einer halben Minute ließ sie ihren Körper erschlaffen und zur Seite sacken – so geschickt, dass dabei der Eimer umkippte. Das Wasser verteilte sich in einer großen Lache, in der sie erst einmal liegen blieb.
Sie gierte nach Luft und kämpfte mit eisernem Willen gegen das Bedürfnis, danach zu schnappen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Obwohl ihre Brust beinahe platzte, erlaubte sie sich nur ganz leichte Atemzüge durch den halb offenen Mund. So war der Geruch auch besser zu ertragen, dieser furchtbare Gestank nach faulendem Fleisch.
Die Hitze machte ihr in den ersten Minuten noch nicht so zu schaffen. Da war ihr Gesicht ohnehin nass, und der Schweiß fiel nicht auf. Doch das Wasser auf ihrer Haut verdunstete rasch. Und er ging nicht, ging einfach nicht, begann mit seinem Gestammel, halbe Sätze, Schluchzern und das irre Kichern dazwischen. Hin und wieder verstand sie ein paar Worte. Und das Schlimmste war, sie verstand auch, was in ihm vorging, warum er nun meinte, sie unbedingt töten zu müssen. Und dann erlag sie der Versuchung, ihm etwas Tröstliches zu sagen.
Ein böser Fehler. Kaum hatte sie den ersten Ton über die Lippen gebracht, jaulte er auf und trat zu, traf sie ins Gesicht. Zum Glück trug er Sportschuhe mit relativ weichen Profilsohlen, trotzdem richtete er damit Verheerendes an. Ihr Kiefer brach, sie spürte ein paar Zähne lose im Mund, biss sich im Schmerz auf die Zunge, fühlte das Blut. Der zweite Tritt traf sie in die Rippen und nahm ihr den Atem.
Sie rollte sich zusammen wie ein Igel, hob schützend einen Arm über den Kopf, viel half es nicht. Als er endlich von ihr abließ, musste sie nicht mehr um ihr Leben spielen, hätte auch nicht mehr spielen können. Sie hatte das Bewusstsein verloren. Aber sie kam noch einmal zu sich, in einer Hölle aus Schmerz, unfähig, sich aus eigener Kraft zu bewegen, allein mit dem Tod.
Sie versuchte den grausamen Gestank zu ignorieren, so gut es eben ging, weil er ihr die letzte Hoffnung genommen hätte. In ihrer Nähe lag noch eine Frau, und die war so tot, wie sie es niemals hätte spielen können.
Erster Teil
Schauspielerin wollte sie werden, seit sie zum ersten Mal auf einer Bühne gestanden hatte. Da war sie fünf, und es war keine richtige Bühne, nur ein mit Tannengrün geschmücktes Podest, aber ein ziemlich großes. Bei einer Weihnachtsfeier im Kindergarten war sie die Maria. Der Pfarrer saß dabei und fand das Krippenspiel so gelungen, dass er es unbedingt noch einmal aufführen lassen wollte. Die Wiederholung fand vor dem Altar in der Kirche statt und vor vollen Bänken. Die Leute waren zu Tränen gerührt, ihre Eltern ebenso wie alle anderen.
Stolz waren Christa und Karlheinz Dierden beim ersten großen Auftritt ihrer kleinen Tochter. So ein kluges Kind, das sagten alle, begann mit vier Jahren zu lesen. Im Kindergarten bezeichneten sie es als außergewöhnlich, schaute ihrem Bruder ein paar Mal bei den Schulaufgaben zu und merkte sich jedes Wort. Dabei war ihr Bruder zehn Jahre älter als sie und ging zu der Zeit aufs Gymnasium, allerdings nicht mehr lange. Norbert war schon einmal sitzen geblieben. Und als es dann wieder so aussah, dass er die Versetzung nicht schaffen würde, schickte Christa Dierden ihn lieber zurück auf die Hauptschule und setzte ihre gesamte Hoffnung auf die kleine Tochter. Alle prophezeiten Karen eine großartige Zukunft. Und ihre Mutter stellte sich vor, dass dieses Kind all das erreichte, wozu es bei ihr selbst nicht gelangt hatte. Abitur, Studium und ein Doktortitel. Die erste Akademikerin in der Familie: Frau Doktor Karen Dierden.
Christa war gelernte Friseuse, Karlheinz im Baugewerbe tätig. Er war viel auf Montage, einmal sogar für ein halbes Jahr in einem arabischen Emirat. Normalerweise erfuhr er nur übers Telefon, was die Kinder so trieben. Aber zu Weihnachten war er natürlich daheim, konnte sich das Krippenspiel mit eigenen Augen anschauen und feststellen, dass seine Frau nicht übertrieb und Karen wirklich beachtliche Leistungen erbrachte.
Eine Menge Text für ein fünfjähriges Mädchen. Sie sprach bei der zweiten Aufführung in der Kirche nicht nur ihre Rolle, auch den Josef, weil der zu schüchtern war und sich vor vollen Bänken nicht traute, den Mund aufzumachen. Sie machte das sehr geschickt, drehte das Gesicht zur Seite und senkte den Kopf tiefer über die Krippe, damit niemand sah, dass sie die Lippen bewegte. Sogar ihre Tonlage veränderte sie ein wenig. Und als der Engel des Herrn, der die Hirten zur Krippe führen sollte, vergaß, was er zu sagen hatte, half sie ihm auch noch aus der Klemme.
Es fiel natürlich trotz aller Mühe auf, die Leute applaudierten minutenlang. Der Pfarrer lobte sie. Ihr Vater sagte auf dem Heimweg mindestens fünfmal: «Das hast du wirklich sehr gut gemacht.»
Von da an wollte sie es eben nur noch sehr gut machen. An Norberts Schulaufgaben war sie nicht länger interessiert. Ihre Mutter hatte gehofft, dass sie ihre Aufmerksamkeit auch einmal auf Zahlen richtete und mindestens bis fünfzig zählen könne, wenn sie eingeschult wurde. Das war leider nicht der Fall.
Andere in ihrem Alter tobten auf Spielplätzen oder beschäftigten sich mit Puppen. Sie trug zwei Küchenstühle hinaus auf den Balkon der elterlichen Mietwohnung. Damals lebten sie noch in Köln-Porz, Platz für mehr als zwei Stühle war auf dem Balkon nicht. Auf einen setzte sie ihren Teddy, auf den anderen einen Plüschhasen. Dann zog sie ihre Puppe aus, hüllte sie in ein Handtuch und legte sie in den Blumenkübel, in dem während des Sommers Geranien geblüht hatten. Im Winter war der Kübel leer. Sie legte sich eine Bettdecke um die Schultern und spielte das Stück in allen nur denkbaren Variationen. Glücklicherweise im siebten Stock, sodass kaum jemand Notiz davon nahm. Trotzdem sagte ihre Mutter alle paar Minuten: «Jetzt komm rein, ist doch viel zu kalt draußen.» Ihr war die Sache peinlich.
Als mit dem Frühjahr wieder Geranien in den Kübel gepflanzt wurden, glaubte ihre Mutter, nun sei es ausgestanden. Weit gefehlt, nun drehte sie sich Lockenwickler ins Haar, verschmierte mit Lippenstift ihr halbes Gesicht, legte die Bettdecke um die Hüften und spielte feine Dame in mittelalterlicher Festrobe. Das hatte sie im Fernsehen gesehen. Einen Unterschied zwischen Bühne und Fernsehen machte sie in dem Alter noch nicht.
Mit zwölf Jahren bearbeitete sie ihren Kunstlehrer so lange, bis er an der Schule eine Theatergruppe zusammenstellte. Selbstverständlich bekam sie die Hauptrollen, meist noch zwei oder drei Nebenrollen dazu, Hauptsache, sie stand in jeder Szene auf der Bühne, dann konnte man die Souffleuse sparen. Ihr Kunstlehrer vertrat die Ansicht, man sollte sie nach dem Abitur auf eine Schauspielschule schicken, sie habe zweifellos großes Talent. Ihre Mutter hoffte inständig, dass sie bis zum Abitur zur Vernunft kommen würde. Aber so weit kam sie nie.
Sie war erst fünfzehn, als sie zum ersten Mal schwanger wurde – und sich einiges einfallen ließ, um zu verschleiern, wie es dazu gekommen war. Als ihr Zustand sich nicht mehr verbergen ließ, erzählte sie ihren Eltern und einer Mitarbeiterin des Jugendamts eine rührende Liebesgeschichte von einem italienischen Austauschschüler. Sie nannte einen Namen, Gasteltern, Heimatadresse. Natürlich waren alle Angaben falsch, und ihre Mutter fragte sich, wer wen belogen hatte.
Es gab die üblichen Vorhaltungen und verspätete Belehrungen zur Schwangerschaftsverhütung. Allzu viel sagen durfte Christa nicht. Sie war auch erst achtzehn gewesen, als Norbert geboren wurde. Karlheinz war damals zwanzig, alt genug, um sofort zu heiraten. Und auch nach fünfundzwanzig Jahren war ihre Ehe noch glücklich, Karlheinz war ja nur selten da. Wenn er kam, war es wie Urlaub oder Flitterwochen. Trotzdem fand Christa, sie hätten sich beide um ein paar unbeschwerte Jugendjahre betrogen, und Karen hätte nicht unbedingt in ihre Fußstapfen treten, sie altersmäßig noch unterbieten müssen. Aber da sie geschwiegen hatte, bis Kartoffelchips und Schokolade den wachsenden Leibesumfang nicht mehr erklärten, war es nicht zu ändern. Die Theatergruppe wurde natürlich gestrichen. Zur Schule ging sie auch nicht mehr in den letzten Monaten vor der Geburt. Der Rektor sah sofort ein, dass sie die Zeit besser unter der Obhut ihrer Mutter als in einem Klassenraum verbrachte.
Anfang September 1988 brachte sie eine Tochter zur Welt, Jasmin. Von der Geburt spürte sie nichts, hatte nicht einmal Wehen. Der Gynäkologe sprach mit Blick auf ihr Alter, vielmehr ihre Jugend, sie war erst im Mai sechzehn geworden, von einer Anomalie des Beckens und hielt einen Kaiserschnitt für zwingend notwendig. Als man ihr das Baby in den Arm legte, sauber und rosig, mit einem klaren, hellwachen Blick, war es für sie wie ein Wunder. Und Wunder brauchten keine Erzeuger. Maria war auch nur vom Heiligen Geist besucht worden, wenn man der Bibel glaubte.
Da sie noch minderjährig war, wurde das Sorgerecht ihren Eltern übertragen. Ihre Mutter kümmerte sich auch um Jasmin. Mit ihren vierundvierzig Jahren war Christa nicht zu alt, hätte ohne weiteres noch ein eigenes Kind bekommen können. Und Karen sollte sich mit der frühen Mutterschaft nicht die Zukunft ruinieren, sondern die Schule zu Ende bringen. Damit sie das in Ruhe tat, weder den anzüglichen Bemerkungen ihrer Mitschüler noch den scheelen Blicken der Nachbarschaft ausgesetzt war und auch nicht auf den Gedanken kam, sich noch einmal mit einem Austauschschüler oder sonst wem einzulassen, zogen sie um.
Christa hatte schon seit geraumer Zeit mit einem eigenen Haus geliebäugelt. Karlheinz verdiente auf Montage sehr gut, sie verdiente noch dazu, steuerfrei, seit Karens Geburt übte sie ihren Beruf in der Küche aus. Ihr Kundenstamm war beachtlich, und sie sparte, was immer sich sparen ließ, träumte davon, ihr Eigenheim eines Tages bar bezahlen zu können, Schulden waren ihr zuwider. Es reichte noch nicht ganz, trotzdem forcierte sie die Suche, fand einen Altbau in Sindorf, einem Ort im Kölner Umland. Das Haus war renovierungsbedürftig, entsprechend preisgünstig und groß genug, zwei Familien zu beherbergen. Norbert baute später das Obergeschoss für sich und seine Familie aus.
Zu Anfang war Norbert nicht begeistert, von der Großstadt aufs Land zu wechseln. In Köln hatte er sein Stammlokal, eine Diskothek an der Zülpicher Straße, wo er lockere Freundschaften pflegte. Christa befürchtete schon, er käme nicht mit. Karlheinz hielt ihm einen Vortrag, mit seinen sechsundzwanzig Jahren sei er nun wirklich alt genug, um auf eigenen Füßen zu stehen und endlich an einen eigenen Hausstand zu denken, sonst wäre er irgendwann ein alter, grämelnder Junggeselle, der mit Fossilien ins Bett ging und sich nachts an verwitterten Knochen ergötzte.
Für Fossilien hatte Norbert sich schon als Kind begeistert, auf Flohmärkten vom Taschengeld gekauft, was er sah und bezahlen konnte. Es machte ihm allerdings mehr Spaß, wenn er sie selbst fand. Schon mit einundzwanzig Jahren hatte er sich den ersten gebrauchten Wohnwagen gekauft, später ein modernes Wohnmobil, in dem er jedes zweite Jahr im September aufbrach, um nach Schätzen zu suchen.
Norbert konnte immer nur im September Urlaub nehmen. Er arbeitete in einer Kfz-Werkstatt und war dort während der Hauptreisezeit unentbehrlich. Das war er zu Hause eigentlich immer. Christa meckerte häufig, wenn er sein Wohnmobil mit Konserven und einem Kasten Bier belud. Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte seinen Urlaub zweckmäßiger genutzt. In einem Jahr tat er das auch, renovierte und werkelte, erledigte alles, was erledigt werden musste. Im nächsten Jahr wollte er dann etwas Zeit für sich.
Meist fuhr er nach Ottenhöfen in den Schwarzwald. Dort gab es einen Steinbruch, in dem er immer fündig wurde. Im Laufe der Zeit trug er eine beachtliche Sammlung zusammen. Trilobiten aus dem Kambrium, Ammoniten aus dem Jura, damit kannte Norbert sich aus. Manchmal buddelte er auch Tonscherben aus, die vielleicht aus der Römerzeit stammten, oder noch ältere Sachen. Einmal brachte er einen Keil mit aus geschliffenem Stein, zweifellos von Hand bearbeitet. Er war sehr stolz darauf und meinte, es sei ein Fund aus der Steinzeit.
Und im September 1988, wenige Tage bevor Jasmin auf die Welt geholt wurde, hatte er den Knochen entdeckt, über den Karlheinz sich mokierte, der musste aber aus jüngerer Zeit sein. Auch Christa regte sich auf, als Norbert den Knochen anschleppte. Sie meinte, ihre Wohnung sei kein Friedhof, war noch sehr verstimmt darüber, dass er nicht einmal in dem Jahr auf seinen Urlaub verzichtet und sie mit seiner hochschwangeren Schwester alleine gelassen hatte. Aber ein Hobby brauchte er doch.
Er verwahrte alles in einer Vitrine in seinem Zimmer auf. Da lagen der Knochen und der Keil zwischen Trilobiten und Ammoniten. Und wenn er ihn anschaute, stellte Norbert sich vielleicht vor, es sei ein Knochen von einem ausgestorbenen Tier, aus einer Zeit, in der er lieber gelebt hätte, als Männer noch Jäger gewesen und nicht von Frauen herumkommandiert worden waren.
Einige bezeichneten Karens Bruder als komisch, eigenbrötlerisch und verschlossen. Manchmal war er das auch, da wusste selbst sie nicht, wie sie über ihn denken oder mit ihm reden sollte. Aber sie liebte ihn abgöttisch. Wenn man ihn brauchte, war er normalerweise da. Christa musste nur einmal sagen, dass der Wasserhahn tropfte oder die Küche gestrichen werden müsste, schon besorgte Norbert eine neue Dichtung oder einen Eimer Farbe. Für sie war er immer entschieden mehr als nur der große Bruder gewesen, ein Vaterersatz, in den ersten Jahren hatte er an ihr sogar Mutterstelle vertreten.
Bis zu Karens Geburt hatte Norbert bei Christas Mutter gelebt, weil Christa damals noch ganztags in einem Frisörsalon arbeitete und keine Zeit für ihn hatte. Er war immer gerne bei der Oma, hing sehr an ihr, war damals auch so gut in der Schule, dass seine Lehrer empfahlen, ihn aufs Gymnasium zu schicken. Die Oma hatte sich jeden Nachmittag mit ihm hingesetzt, gerechnet, gelesen, geschrieben, sogar englische Vokabeln mit ihm gelernt und ein bisschen Latein. Aber zwei Kinder zu betreuen, noch dazu einen Säugling, das war der Oma zu viel gewesen.
So hatte Christa begonnen, ihre Kundschaft in der Küche zu bedienen. Und da brauchte sie Norbert selbst, damit er ihr zur Hand ging. Er fütterte, wickelte, badete auch, war nur manchmal etwas ungeschickt dabei mit seinen zehn Jahren. Einmal brach er Karen aus Versehen ein Fingerchen. Und einmal rutschte sie ihm beim Baden aus den Händen, schluckte ein bisschen Wasser. Daran erinnerte sie sich nicht, es war auch nicht weiter tragisch gewesen. Nur ihr Vater vermutete eine böse Absicht dahinter. Wut, um es konkret auszudrücken, weil Norbert nun nicht mehr jeden Tag bei seiner geliebten Oma sein konnte.
Den unsinnigen Gedanken, Norbert könne ihr etwas antun wollen, hatte Karlheinz längst wieder aufgegeben. Und natürlich zog er mit nach Sindorf. Er hätte sie nie allein gelassen unter Christas Fuchtel. Es war für ihn auch kein Problem, nach Köln zu kommen. Er besaß nicht nur sein Wohnmobil, sondern auch einen alten Ford Taunus, den er vor der Schrottpresse gerettet und wieder so hergerichtet hatte, dass er ihn problemlos durch den TÜV brachte. Und bereuen musste Norbert den Umzug nicht.
In Sindorf verliebte er sich im Frühjahr 1989 in Sarah, deren Familie nur zwei Häuser weiter wohnte. Schon ein halbes Jahr später heirateten sie. Sarah war Angestellte bei der Stadtsparkasse in Köln, auch Mitte zwanzig, ein bisschen pummelig, aber überaus liebenswert und tüchtig.
Sarah und ihre Eltern erfuhren als einzige Außenstehende, wer Jasmin geboren hatte. In der restlichen Nachbarschaft hielt man das Kind für das Nesthäkchen der Familie. Man fand es rührend und niedlich, nach den beiden Großen noch so etwas Kleines. Christa widersprach nie, wies sie an, das ebenfalls zu unterlassen, und sorgte dafür, dass es vorerst bei einem Kind blieb.
Karens Freiheiten wurden rigoros gestrichen. Sie durfte das nächstgelegene Gymnasium besuchen, aber dass sie einmal nachmittags mit einer Klassenkameradin für eine wichtige Arbeit übte, kam überhaupt nicht infrage. Christa argwöhnte immer, es könne sich in Wahrheit nur um einen Kameraden handeln.
«Du hast mich einmal belogen, Mädchen», sagte Christa jedes Mal, wenn sie um einen freien Nachmittag bettelte. Wenn es ernst wurde, nannte Christa sie immer Mädchen. «Und das eine Mal reicht mir fürs ganze Leben. So ein Kind ist schließlich kein Fleck im Kleid, den man auswaschen kann. Das hat man zwanzig Jahre und länger am Bein. Und so lange ich nicht weiß, wer es mir ans Bein gebunden hat, ist hier Schluss mit lustig.»
Ihr Einverständnis zu einer viertägigen Kursfahrt in die Schweiz gab Christa erst, als ein Lehrer vorstellig wurde und anbot, die Kosten aus einem Sozialfonds vorzustrecken, falls es daran scheitern sollte. Dass sie einen Ausflug mit der Schule nicht bezahlen könne, wollte Christa sich nicht nachsagen lassen. Karen durfte mit, wurde aber nach der Rückkehr einem inquisitorischen Verhör unterzogen und zum Gynäkologen geschleift. Bei der Untersuchung stand Christa neben dem Stuhl und sagte: «Das war auch dein Glück.» Und als am Gymnasium eine Theatergruppe zusammengestellt wurde, natürlich auf ihr Betreiben, entschied Christa unwiderruflich: «Nein! Theater hatten wir schon genug.»
Ihr Vater vertrat noch Jahre später die Ansicht, dass sich nur wegen dieser drastischen Erziehungsmaßnahmen am 14.September 1990 die große Katastrophe in ihrem Leben ereignet habe. Doch das war ein Irrtum, mit Christas Strenge hatte das nichts zu tun. Ihre Mutter war damals gar nicht in der Lage, ihre Verbote auch durchzusetzen. Sie hatte andere Sorgen.
Anfang 1990 reichte Karlheinz die Scheidung ein. Nach all den Jahren meinte er plötzlich, sie hätten doch nie eine richtige Ehe geführt und seien beide noch nicht zu alt für einen neuen Anfang. Für Christa war es ein herber Schlag, über den sie kein Sterbenswörtchen verlauten ließ. Sie legte den Ehering nicht ab, hielt wacker daran fest: «Jung gefreit hat nie gereut.» Und da Karlheinz immer noch regelmäßig anrief, zu Weihnachten, Ostern und Geburtstagen auch zu Besuch kam, fiel es niemandem auf. Ihren Kindern musste sie es natürlich sagen, als die Rechnung vom Anwalt ins Haus flatterte.
Sarah meinte daraufhin zu Norbert: «Jetzt hast du auch offiziell alles am Hals, da darfst du auch bestimmen, wo es langgeht.»
Beinahe jeden Samstag drängte Sarah, Karen mitzunehmen in die Kölner Diskothek an der Zülpicher Straße, die Norbert immer noch regelmäßig besuchte, nun natürlich mit seiner Frau.
«Ihr könnt sie doch nicht hier festbinden, bis sie verschimmelt», sagte Sarah häufig. «Sie wird bald achtzehn, da kann sie ohnehin allein entscheiden, wie viel Zeit sie wo und mit wem verbringt. Und was soll passieren? Ich bin dabei, Norbert ist dabei. Wir passen schon auf, dass sie nicht wieder auf irgendeinen Windhund hereinfällt.»
Dabei wollte sie zu Anfang gar nicht mit, fühlte sich im Gedränge nicht wohl, zuckte schon zusammen, wenn ihr jemand von hinten zu nahe kam, und schob jedes Mal eine wichtige Schularbeit vor, wenn Sarah darauf bestand: «Jetzt geh rauf und zieh dich endlich um, wir wollen los. Du musst mal raus, Karen, dich ein bisschen amüsieren. Man kann mehr vom Leben haben als gute Noten und kleine Kinder.»
Doch dann freundete sie sich mit einer jungen Frau an, die an der Theke bediente. Sie hieß Li, war Anfang zwanzig und angeblich Chinesin, obwohl sie eher aussah, als stamme einer ihrer Vorfahren aus Afrika. Li sagte von sich: «Ich bin international.» Und hübsch war sie, eine Schönheit.
Norbert hatte im Sommer 1988 eine kurze Affäre mit ihr gehabt, nur drei Wochen, zu der Zeit, als Karen mit Jasmin schwanger gewesen war. Er sah es nicht gerne, wenn sie sich mit Li unterhielt, bezeichnete sie als einen lockeren Vogel. Manchmal nannte er sie auch einen Zugvogel, weil sie immer nur den Sommer über in Köln war, in dem Jahr zum dritten Mal. Aber vielleicht befürchtete er auch nur, Li könne schlecht über ihn reden. Doch das tat sie nicht, im Gegenteil, sie betonte immer, Norbert sei auf seine Art ein lieber Kerl, nur nicht der Richtige für sie gewesen. Sarah passe viel besser zu ihm.
Für sie war Li die erste richtige Freundin. In der Schule hatte sie keine. Man ist nicht sehr beliebt bei Mitschülerinnen, wenn man stets nur die besten Noten hat, sich nicht dafür anstrengen muss und nachmittags keine Nachhilfe geben darf. Li waren ihre Noten egal. Leider sahen sie sich nur jeden zweiten Samstag für wenige Stunden in der Diskothek.
Ein paar Mal bettelte sie, Li einmal alleine und anderswo treffen zu dürfen. Da Christa jedes Mal nein sagte, schwänzte sie schließlich einmal die Schule, fuhr morgens mit dem Zug nach Köln, war mittags wieder zurück – mit durchgeweichten Schuhen, weil es in Strömen geregnet hatte. Christa sah sofort, dass sie an dem Vormittag nicht in der Schule gesessen haben konnte, und hielt ihr einen endlosen Vortrag.
Und dann setzte Norbert ihr diesen Floh ins Ohr, Führerschein und eigenes Auto. Er bastelte in der Werkstatt schon an einem Kleinwagen. Ein Unfallfahrzeug wie sein Ford Taunus, eigentlich ein Fall für die Schrottpresse. Er meinte, das bekäme er hin, hätte es ja schon einmal geschafft, versprach auch, für den Unterhalt des Wagens aufzukommen.
Von ihrem Patenonkel hatte sie im Mai fünfhundert Mark zum Geburtstag bekommen. Das reichte für die Anmeldung in einer Fahrschule, die Grundgebühr und die Kosten der theoretischen Prüfung. Karlheinz legte die ersten fünf Fahrstunden drauf, weil auch er fand, mehr als zwei Jahre nach einem Fehltritt sei es höchste Zeit, die Fesseln etwas zu lockern.
Weil es mit fünf Fahrstunden nicht zu schaffen war und ihr Taschengeld nicht reichte, um allzu viele weitere zu finanzieren, übte Norbert jeden Abend mit ihr auf einem leeren Parkplatz in dem kleinen Industriegebiet am Ortsrand. Über den zweiten Gang kam sie dabei nicht hinaus. Aber sie lernte doch so leicht, musste ein Buch nur in die Hand nehmen, dann konnte sie den Inhalt schon auswendig aufsagen. Dass zwischen Theorie und Praxis ein Unterschied war, bedachte sie kaum.
Es passierte an einem Freitag, kurz nach Jasmins zweitem Geburtstag. Norbert war ein paar Tage zuvor in den Schwarzwald aufgebrochen. Seine Fahrten nach Ottenhöfen jedes zweite Jahr wollte er nicht aufgeben, hatte sich mit Sarah rasch auf einen Kompromiss geeinigt. Sie hatte eine andere Vorstellung von Urlaub als er. Sie wollte etwas erleben, brauchte Trubel um sich herum. Und er, von frühster Jugend an in Verantwortung gezwungen, brauchte mal ein paar Tage für sich allein, keinen Menschen in seiner Nähe, der von ihm erwartete, dass er alles regelte. Sarah verstand das und hatte vorgeschlagen, dass sie in einem Jahr getrennt und im nächsten zusammen Urlaub machen sollten. So war Sarah auch nicht an den September gebunden, hatte sich schon im Juni zwei Wochen auf Mallorca gegönnt.
Als sie aus der Schule kam, war niemand im Haus. Christa machte mit Jasmin Besorgungen fürs Wochenende und einen Besuch im Ort, hatte ihr einen Zettel hingelegt, im Keller stünde ein Korb mit Bügelwäsche, um den sie sich kümmern solle. Aber daran dachte sie nicht im Traum.
Als Norbert unerwartet zurückkam – er hatte seinen Urlaub wegen Zahnschmerzen unterbrochen, wollte zum Arzt–, erwischte er sie in Christas Schlafzimmer. Sie suchte den Zweitschlüssel für den weinroten Benz 280SL, der auf dem Hof stand und ursprünglich Karlheinz gehört hatte. Nach der Scheidung hatte ihr Vater das Auto nicht mitnehmen wollen, hatte es ja auch vorher kaum gefahren. Nun gehörte der Benz offiziell Christa. Sie putzte ihn zweimal die Woche, hatte die Wagenpapiere und den Schlüssel stets dabei, aber sie benutzte ihn nur im äußersten Notfall.
Norbert fragte natürlich, was sie in Christas Schlafzimmer suchte. Und sie erzählte ihm, Li habe ein Telegramm erhalten, ihr Vater sei plötzlich erkrankt, sie müsse nach China. Ihr Flieger ginge früh am nächsten Morgen ab Frankfurt, deshalb wolle Li schon heute Abend mit dem Zug dorthin fahren. Dann flehte sie ihn an, er solle sie fahren, es sei sehr wichtig, sie wolle sich nur von Li verabschieden.
Norbert glaubte ihr nicht einmal die Hälfte, bezweifelte, dass Li überhaupt noch einen Vater hatte. Auch wollte er zuerst seine Zahnschmerzen loswerden und versprach ihr, sie abends zum Bahnhof nach Köln zu fahren. Für einen Abschied reiche das, meinte er, ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen und noch rasch zu duschen. Seinen Schlüsselbund hatte er wie üblich auf der Garderobe abgelegt. Und der Ford Taunus, in dem sie so oft geübt hatte, stand direkt vor der Haustür.
Es war nur ein Griff – kurz nach drei Uhr nachmittags. Auf die Uhr schaute sie nicht. Das tat Christa am frühen Abend. Die Polizei kam um zwanzig Minuten nach sieben. Christa war gerade erst wieder mit Jasmin ins Haus gekommen, hatte die Tür kaum hinter sich geschlossen und sie noch gar nicht vermisst. Und dann standen ihr zwei Uniformierte gegenüber, fragten nach Herrn Norbert Dierden.
Im ersten Moment dachte Christa, Norbert hätte einen Unfall gehabt. Dass ihr Benz nicht auf dem Hof stand, war ihr auch noch nicht aufgefallen. Norbert wusste, wo Christa den Zweitschlüssel aufbewahrte, hatte nicht lange danach suchen müssen. Nachdem Christa erklärt hatte, sie sei Norberts Mutter, bekam sie Auskunft.
Ein toter Radfahrer auf einer kurvigen Straße im Bergischen Land. Und kein Zweifel, dass Karen den Mann überfahren hatte. Es gab einen Zeugen, der unmittelbar hinter dem Ford Taunus gewesen war, als es passierte, gegen halb sechs. Statt anzuhalten, war sie noch vier Kilometer weiter gerast, hatte dann endgültig die Kontrolle über den Wagen verloren. Dreimal hatte der Ford Taunus sich überschlagen, ehe er in einem Kartoffelacker liegen blieb. Wie durch ein Wunder war sie fast unverletzt. Der spezielle Fahrersitz mit stabiler Nackenstütze und Hosenträgergurt hatte das Schlimmste verhindert. Mit ein paar Prellungen, einer Gehirnerschütterung und einem schweren Schock hatte man sie ins Krankenhaus nach Bergisch Gladbach gebracht.
Als Sarah gegen halb neun aus Köln zurückkam, sie hatte nach Feierabend mit einer Kollegin noch irgendwo einen Kaffee getrunken, saß Christa mit Jasmin in der Küche und weinte sich die Augen wund. Sie fuhren sofort nach Bergisch Gladbach. Während der Fahrt weinte Christa ohne Unterbrechung. Sie begriff es nicht, fragte immer wieder: «Was soll denn jetzt noch aus ihr werden?» Mit sechzehn Mutter, mit achtzehn eine Mörderin. Schlimmer könne es nicht mehr kommen, dachte ihre Mutter damals. Aber für jedes Entsetzen gibt es eine Steigerung.
Es gab eine Liste mit den Namen junger Frauen. Der Mann, der sie führte, hieß Thomas Scheib. Und die Frauen auf seiner Liste waren tot, ermordet worden, oder sie galten als abgängig, wie es im Polizeijargon heißt. Thomas Scheib war Polizist. Im September 1990, als Karens Leben die zweite dramatische Wende erfuhr, war er frisch verheiratet. Seine Frau Claudia war zwei Jahre jünger als er, hatte gerade ihr Studium abgeschlossen, Psychologie und Soziologie, trat anschließend eine Stelle in einer Familienberatung an. Er arbeitete in der zentralen Vermisstenstelle des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden. Und dort sollte er zwei Jahre später die Spur eines Mörders aufnehmen, der keine Spuren hinterließ.
Es gab Hypothesen, Spekulationen und Schlussfolgerungen. Aber es gab lange Zeit keinen Beweis, dass er tatsächlich existierte, dieser Mörder, der jedes zweite Jahr im September eine junge Frau mit ihren Träumen und Sehnsüchten köderte, sie tötete und so verschwinden ließ, dass sie nicht wieder auftauchte – bis auf drei Ausnahmen, doch die konnten durchaus von verschiedenen Tätern umgebracht worden sein. Auch in den Vermisstenfällen gab es Alternativen. Nur für Thomas Scheib war es in allen Fällen derselbe Mörder.
Seine Theorie rief bei den zuständigen Ermittlern und Kollegen im BKA in den ersten Jahren nur Kopfschütteln hervor und brachte ihm einen Spitznamen ein, den sie einer bestimmten Sorte von Heftchenromanen entnommen hatten: der Geisterjäger. Viele hielten ihn für einen Spinner mit einer fixen Idee. Einige vermuteten gar persönliche Motive hinter seinem Eifer, weil eines der Opfer, Elisabeth Brandow, die Cousine seiner Frau gewesen war. Dabei hatte er Elisabeth nicht einmal persönlich gekannt.
Im Sommer 1988, als Karen ihrer Familie den italienischen Austauschschüler servierte, hatte er sich in Claudia verliebt, vielmehr sie sich in ihn. Er tat sich mit Gefühlen schwer. Claudia war auch keine Frau, in die man sich leicht verliebte. Sie war ein Typ wie Sarah Dierden, das blonde Haar zu dünn, das Gesicht zu rund, stämmige Beine, breite Hüften, wenig Busen. Aber Claudia war – wie Sarah – warmherzig, tüchtig und sehr zielstrebig, was sie haben wollte, bekam sie normalerweise auch. Ihn wollte sie unbedingt, bemühte sich ein ganzes Jahr darum, ihm klarzumachen, dass sie die einzig richtige Frau für ihn sei. Das begriff er schließlich auch.
Zu dem Zeitpunkt lag Claudias Cousine schon seit gut einem Jahr auf dem Friedhof in Eibelstadt nahe Würzburg. Elisabeth Brandow war nur zwanzig Jahre alt geworden. Sie hatte in Würzburg studiert. Ihre Eltern lebten in Eibelstadt und unterstützten sie finanziell, zusätzlich jobbte sie in einem Schnellimbiss, um sich einen Traum zu erfüllen, einen längeren Aufenthalt in Italien, vor allem Rom wollte sie sehen. Am späten Abend des 13.September 1984 rief sie ihre Mutter an, erzählte etwas von «ganz-schnell-die-Tasche-packen-müssen», drei Schnuppertage in Rom, eine günstige Gelegenheit. Sie sagte auch etwas von männlicher Begleitung, ein Gastarbeiter, der seine Familie besuchen wolle. Danach sah und hörte niemand mehr etwas von ihr.
Die Würzburger Polizei nahm halbherzig die Ermittlungen auf. Eine junge Studentin, da nahm man an, es habe Elisabeth in Rom so gut gefallen, dass sie es vorzog zu bleiben. Den Mann, der sie hatte mitnehmen wollen, machte man nicht ausfindig. Man ging davon aus, dass Elisabeth ihn im Schnellimbiss kennen gelernt hatte, aber dort erinnerte sich niemand an einen italienischen Gastarbeiter, der seine Familie hatte besuchen wollen. Interpol wurde informiert, viel mehr passierte anfangs nicht. Und später ließ sich das Versäumte nicht nachholen. Es verging zu viel Zeit, ehe aus der Vermisstensache eine Todesermittlung wurde.
Elisabeth Brandows sterbliche Überreste wurden erst im Februar 1987 gefunden, nur etwa sechzig Kilometer von Würzburg entfernt, ausgescharrt von Wildschweinen im Spessart. Identifiziert werden konnte sie nur noch anhand des Zahnschemas. DNA-Analysen kannte man damals noch nicht. Die Todesursache war nach der langen Liegedauer im Waldboden nicht mehr zu bestimmen, Verletzungen am Skelett nicht feststellbar. Auch Kehlkopf und Zungenbein waren intakt, was einen Tod durch Erdrosseln ausschloss, obwohl ihr der Riemen ihrer Schultertasche um den Hals gezurrt war. Die Tasche fehlte ebenso wie alles andere, was Elisabeth Brandow bei sich gehabt haben musste. Eine Reisetasche aus Kunstleder, etwas Kleidung, einen italienischen Sprachführer und ein kleines, goldenes Kreuz, das sie als Kind geschenkt bekommen und immer getragen hatte.
Die Fakten waren Scheib natürlich bekannt. Es war oft gesprochen worden über «unsere Lissi», wie man sie in der Familie nannte. Bei seiner Hochzeit mit Claudia, im Sommer 1990, vergoss Elisabeths Mutter noch ein paar Tränen um ihre Tochter, machte auch eine Anspielung auf den Polizisten, den man nun in der Familie habe.
Aber er fühlte sich davon weder direkt angesprochen noch zu irgendetwas herausgefordert. In der zentralen Vermisstenstelle hatte er auch keine Möglichkeiten, persönlich aktiv zu werden. Er registrierte nur ungeklärte Schicksale, verglich die meist dürftigen Ermittlungsakten mit anderen Fällen, suchte nach Parallelen. Wenn er fündig wurde, informierte er die zuständigen Ermittler, damit sie sich austauschen konnten.
Bis 1992 wurden mit seiner Hilfe einige Fälle geklärt und drei Mörder überführt. Serienmörder, sodass er begann, sich intensiv mit diesem Tätertyp zu befassen. Er las alles, was zu dem Thema geschrieben worden war, psychologische Abhandlungen und Fallstudien aus dem In- und Ausland.
Und dann kam im Dezember 1992 eine Meldung aus Lübeck herein. Die Ermittlungsakte war karg, weil es sich um eine erwachsene Frau handelte, von der man annahm, sie habe ihren gewohnten Lebenskreis aus freien Stücken verlassen – wie Elisabeth Brandow.
Marion Schneider, einundzwanzig Jahre alt, abgängig seit dem 14.September. Das Erste, was ihm ins Auge stach, war das Datum. Derselbe Tag wie bei Claudias Cousine. Es gab noch eine weitere Gemeinsamkeit. Auch Marion Schneider hatte von Rom gesprochen. Angeblich hatte man ihr dort einen tollen Job angeboten, mehr wusste ihre Familie nicht.
So kam Thomas Scheib, der sich bis dahin nur ein paar flüchtige Gedanken über Elisabeths Mörder gemacht hatte, zu einem Fall, der ihn acht lange und bittere Jahre beschäftigen und am Ende gar in einen schrecklichen Verdacht bringen sollte.
Er brauchte im Dezember 1992 nicht lange, um herauszufinden, dass es noch zwei ältere Vermisstenfälle gab, bei denen Rom und der 14.September eine Rolle gespielt hatten. Angela Karpeling, zweiundzwanzig Jahre alt, letzter Wohnort Bielefeld. Sie war Angestellte in einem Reisebüro gewesen und hatte im September 1986 als Animateurin in einem Ferienclub in der Nähe von Rom beginnen wollen. Zwei Schnupperwochen nannte sie es gegenüber einer Arbeitskollegin. Elisabeth hatte von Schnuppertagen gesprochen. Die Arbeitskollegin war der Meinung, Angela habe sich auf eine Zeitungsannonce beworben.
Zwei Jahre später, am 14.September 1988, war Silvia Lenz aus Stuttgart verschwunden. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt und volontierte bei einer Tageszeitung. Angeblich hatte ihr ein Informant eine große Story geboten. Organisierter Autodiebstahl und Verschiebung von Luxuslimousinen nach Sizilien, die Hintermänner sollten in Rom sitzen, wo Silvia recherchieren wollte. Ein ernst zu nehmender Informant hätte sich an einen erfahrenen Journalisten, nicht an eine Volontärin und auch nicht an eine Tageszeitung gewandt.
Für Scheib waren das mit Elisabeth Brandow bereits vier junge Frauen, alle unter ähnlichen Umständen verschwunden. Und Elisabeth war tot. Da musste man in Betracht ziehen, dass auch die drei anderen einem Mörder zum Opfer gefallen waren. Das zeitliche Muster war offensichtlich, alle zwei Jahre im September. Nur für 1990 gab es keinen passenden Vermisstenfall. Scheib schrieb als Erstes alle großen Polizeibehörden an und bat um Auskunft über Mordfälle oder Leichenfunde für die fragliche Zeit, bei denen das Opfer weiblich und Anfang zwanzig gewesen war.
Von einem weiblichen Mordopfer im entsprechenden Alter war nirgendwo etwas bekannt. Und von dem bei der Staatsanwaltschaft Köln aktenkundigen Verkehrsunfall mit Todesfolge und Fahrerflucht, den Karen am 14.September 1990 im Bergischen Land verursacht hatte, erfuhr Scheib nichts, doch selbst wenn, hätte er zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich keinen Zusammenhang gesehen.
Für die Polizei in Bergisch Gladbach war der Unfall eine alltägliche Angelegenheit. An der Schuldfrage gab es keinen Zweifel. Karen hatte am Steuer und alleine im Wagen gesessen. Ein achtzehnjähriges Mädchen ohne Führerschein und Erfahrung im Straßenverkehr, unterwegs zu einem Rendezvous mit dem Vater ihrer Tochter, das ihre Freundin vor der Abreise nach China vermittelt hatte. So erzählte sie es. Und sie erklärte auch, sie habe im Lärm der Diskothek nicht genau verstanden, wo sie ihre Freundin und die verlorene Liebe treffen sollte.
Wie es passiert war, lag nach diesen Auskünften auf der Hand. Sie irrte in einer ihr unbekannten Gegend herum, wurde mit jedem Kilometer nervöser. Irgendwann wurde die Zeit knapp. Sie wollte nach Möglichkeit wieder unbemerkt von der strengen Mutter ins Haus gelangen, holte aus dem Wagen heraus, was der Motor hergab. Das war eine Menge, der Ford Taunus war getunt, hatte eine Maschine unter der Haube, die nicht hineingehörte. Norbert war mehr als stolz gewesen, dass der TÜV es durchgehen ließ.
Dann war ein Mensch tot, der Wagen Schrott. Und sie kam fast um vor Panik, weil sie nicht wusste, wie ihr Bruder reagierte. Damit erklärte sich alles, auch ihre erste Reaktion, die einen Landwirt zu der Annahme verleitete, Norbert Dierden habe ihr etwas antun wollen.
Der Landwirt war auf dem Kartoffelacker beschäftigt gewesen, in dem der Ford Taunus nach halsbrecherischer Fahrt landete. In seiner Aussage hieß es: «Ich hatte ja keine Ahnung, dass weiter hinten schon was passiert war. Ich sah nur zwei Autos heranrasen, das eine polterte mir fast vor den Trecker. Aus dem zweiten stürzte dieser Kerl auf uns zu, gerade, als ich das arme Ding durchs Fenster rauszog. Sie klammerte sich an mich und jammerte: ‹Norbert bringt mich um. Helfen Sie mir, bitte, helfen Sie mir, ich will nicht sterben.› Da dachte ich im ersten Moment, sieh an, da kommt Norbert schon. Der Kerl brüllte: ‹Die müsste man auf der Stelle ersäufen, fährt einen Mann zu Klump und rast einfach weiter.› Dem musste ich eine reinhauen, um ihn von ihr fern zu halten.»
Der Mann, der auf den Acker stürmte, war jedoch nicht ihr Bruder, sondern Marko Stichler, der gesehen hatte, wie der Ford Taunus den Radfahrer erfasste. Norbert tauchte erst eine gute Stunde später bei dem Acker auf, als man gerade dabei war, seinen demolierten Wagen zu bergen. Und für Marko Stichlers wütende Reaktion zeigte jeder Verständnis.
Es war ebenso verständlich, dass Karen befürchtet hatte, ihr Bruder würde sie windelweich prügeln. Er hing doch mit Leib und Seele an seinem Ford Taunus, hatte so viel Arbeit hineingesteckt und so viel Geld.
Doch als er sich im Krankenhaus über sie beugte, sagte er nur: «Mach dir bloß keine Gedanken ums Auto. Hauptsache, dir ist nichts passiert. Sarah und Christa sitzen seit Stunden draußen mit Jasmin. Soll ich sie reinrufen, oder willst du lieber schlafen?»
Sie wollte nicht schlafen, es nur hinter sich bringen, die Vorwürfe und Vorträge, die nun zwangsläufig kommen mussten, doch zu Anfang gab es keine. In den ersten Tagen erwähnte niemand den toten Mann, der behandelnde Arzt war strikt dagegen. Erst als man endlich Polizei an ihr Bett ließ, erfuhr sie, was sie angerichtet hatte. Danach war sie tagelang nicht ansprechbar, lag grübelnd in den Kissen und verlangte von jedem, der das Zimmer betrat: «Scheuch doch mal die Enten weg.»
Norbert vermutete, es seien Enten auf der Landstraße gewesen, denen sie hätte ausweichen wollen. Und weil es kurz hinter einer Kurve geschehen war, sagte er: «Wenn hinter einer Kurve plötzlich ein Hindernis auftaucht, hat auch jemand, der schon zwanzig Jahre fährt, keine Chance. Vielleicht hat der Radfahrer auch einen Schlenker gemacht. Der Mann war besoffen.»
Aber sie hätte ihn trotzdem sehen müssen, meinte sie. Sie hätte ihn nicht bloß sehen, sie hätte auch hören müssen, wie der Ford Taunus das Rad erfasste. Das musste gescheppert haben und gepoltert, als der Körper auf die Motorhaube schlug, so fest, dass er seine Konturen ins Blech drückte. Sein Kopf war gegen die Windschutzscheibe geprallt, musste unmittelbar vor ihren Augen gewesen sein. Und sie hatte nur Enten gesehen, wilde Enten und etwas Blut, ein Schmierstreifen auf der Windschutzscheibe. Der Schock, sagte der behandelnde Arzt. Für ihn war es eine normale Reaktion, dass sie sich nicht an den Unfallhergang erinnerte. Aber egal, wie man es ihr erklärte, für sie änderte es nichts.
Es sah danach zwei Jahre lang so aus, als sei ihr Leben nun endgültig ruiniert. Verhandlung vor der Jugendkammer am Kölner Landgericht, drei Jahre Sperrfrist für den Führerschein, achtzig Stunden Sozialarbeit in einem Altenpflegeheim. Damit käme sie noch glimpflich davon, meinte der Jugendrichter und verdonnerte sogar ihren Bruder zu einer Geldstrafe, weil Norbert seine Schlüssel auf die Garderobe gelegt hatte.
Der Richter meinte, nach der vorangegangenen Bettelei habe Norbert damit rechnen müssen, dass sie die Schlüssel nahm, vor allem, weil er sie bei der Suche nach einem anderen Autoschlüssel erwischt hatte. Einem jungen Mädchen so eine Rennmaschine zur Verfügung zu stellen, dürfe nicht ungestraft bleiben. Und wenn Norbert jetzt noch einmal den Mund aufmache, käme noch eine Ordnungshaft dazu.
Ihr Bruder legte sich in der Verhandlung mit allen Leuten an, bezweifelte die Erkenntnisse des Verkehrssachverständigen und die Aussage des Unfallzeugen, der keine Enten auf der Straße gesehen hatte. Er kannte Marko Stichler seit acht Jahren. Im September 1982 waren sie zum ersten Mal vor einer Diskothek am Clodwigplatz aneinander geraten, weil Norbert sein Auto nicht vorschriftsmäßig geparkt hatte.
Obwohl der Richter ihm bereits dreimal den Mund verboten hatte, erklärte Norbert auch noch: «Da hielt der mir einen Vortrag, ich würde eine Feuerwehrzufahrt blockieren. Das ging ihn doch einen Dreck an. Meine Kumpels haben ihm das auch klargemacht. Und jetzt lässt er seine Wut an meiner Schwester aus. Kann doch gar nicht sein, was er behauptet. Wenn Karen ihn unmittelbar vor der Kurve mit hundertzwanzig überholt hätte, wäre sie in die Botanik geflogen. Warum probiert das nicht mal einer aus? Ich kann Ihnen genau sagen, wie es passiert ist. Er hat mein Auto erkannt und sie gejagt. Ist doch logisch, dass ein junges Mädchen in Panik gerät, wenn plötzlich einer wie der Teufel hinter ihr her ist. Da hat sie wahrscheinlich mehr in den Rückspiegel geschaut als nach vorne.»
Der Jugendrichter ärgerte sich maßlos über Norberts ständige Einwürfe, und letztlich schlug sich das im Urteil gegen sie nieder. Aber für sie war das bedeutungslos.
In unzähligen Nächten stand sie in der Diskothek, hörte Lis Stimme, von lauter Musik zerhackt, über Jasmins Vater sprechen, jedenfalls verstand sie es so, aber sie verstand längst nicht alles. Li sprach nicht mit ihr, sondern mit der jungen Frau, die zusammen mit ihr an der Theke bediente. Sie hörte sich selbst zu Li sagen: «Ich glaube, wir beide sollten mal in Ruhe reden.» Hörte Li mit diesem Ton von Unbehagen fragen: «Bist du etwa Norberts Schwester?» Dann liefen sie nebeneinander durch den Regen, zu zweit unter einem Schirm.
Und jeden Morgen, in diesen zwei Sekunden, bevor sie die Augen öffnete, sah sie das Blut, diesen Schmierstreifen an der Windschutzscheibe.
Sie versagte in der Schule, schaffte das Abitur auch mit Nachprüfungen nicht. Von den achtzig Stunden Sozialarbeit arbeitete sie vielleicht zehn und saß den Rest ab am Bett eines alten Mannes, dem sie unentwegt erklärte, wie Leid ihr das alles täte.
In der Nachbarschaft wurde getuschelt. Christa mochte über den Unfall schweigen wie ein Grab, es fiel jedem auf, dass Norbert nicht mehr seinen heiß geliebten Ford Taunus fuhr, sondern den alten Kleinwagen, den er für Karen hergerichtet hatte. Die Kundinnen, die Christa in ihrer Küche bediente, stellten unangenehme Fragen, wenn sie Karen zu Gesicht bekamen.
Sie ließ sich gehen, wusch sich tagelang nicht die Haare. Oft lief sie noch weit nach Mittag im Nachthemd herum, schnappte sich manchmal ihre kleine Tochter und sagte: «Ich hab dich so lieb, Schätzchen. Ich hab dich so furchtbar lieb. Daran wird sich auch nie etwas ändern.» Dabei drückte sie das Kind so fest an sich, dass Jasmin vor Schmerz ihr Gesichtchen verzog.
Nachdem sich die Hoffnung zerschlagen hatte, dass sie doch noch das Abitur schaffte, suchte Christa Ausbildungsplätze für sie und nahm, was sich gerade bot, drei Frisörsalons, eine Rechtsanwaltskanzlei und einen Drogeriemarkt. Schon nach wenigen Wochen verlor sie jede Stelle wieder. In einem Frisörsalon hielt sie einer Kundin den Wasserstrahl ins Gesicht, statt der Frau die Haare zu waschen. Beim Rechtsanwalt tippte sie keine Schriftsätze, sondern romantische Liebesgeschichten mit italienischen Austauschschülern. Im Drogeriemarkt stand sie stundenlang vor einem Regal mit kleinen, bunten Glasenten. Sprach man sie an, verlangte sie wie im Krankenhaus: «Scheuch doch mal die Enten weg, damit ich sehe, was da los ist.»
Es gab Tage, da erschien sie gar nicht erst zur Arbeit, trieb sich in Köln herum. Wenn es regnete, setzte sie sich in ein Café und bestellte sich einen Cappuccino, auch wenn sie keinen Pfennig Geld in der Tasche hatte. Wenn es ans Bezahlen ging, verwies sie auf ihre Freundin. Und wenn man sie darauf aufmerksam machte, dass sie allein am Tisch saß, erzählte sie von Li und dem Vormittag im Regen, da hätten sie sich auch einen Cappuccino gegönnt und offen über Jasmins Vater gesprochen.
«Ich wollte nicht, dass sie sich mit ihm traf», sagte sie einmal. «Sie behauptete, ich hätte in der Diskothek etwas missverstanden. Aber ich habe ganz genau verstanden, dass sie mit ihm geschlafen hatte. Und dabei hat er ihr von meinem Höschen erzählt. Er hat es mitgenommen, als Andenken. Es war nur ein einfaches, weißes, davon hatte ich viele. Meine Mutter hat es nicht vermisst.»
Manche hielten sie für geisteskrank. Zweimal wurde die Polizei gerufen, weil man sich nicht mit ihr auseinander setzen wollte. Oft musste Norbert am Abend losfahren, um sie zu suchen. Ab dem Frühjahr 1992 fand er sie meist in der Agentur Stichler.
Marko Stichlers Stiefmutter bot ihr, was sie bei Christa vermisste, Verständnis und ein geduldiges Ohr. Dass sich an ihrem Zustand noch etwas änderte, war größtenteils dieser Frau zu verdanken. Doch von Dankbarkeit dieser Frau gegenüber war ihre Familie anfangs weit entfernt. Marko Stichler war schließlich der Feind, der Unfallzeuge. Und genau genommen lief Karen seinetwegen zur Agentur. Christa verstand nicht, was ihre Tochter sich von dem Mann erhoffte, der gegen sie ausgesagt hatte.
Norbert erklärte es hundertmal. «Herrgott, Mama, er hat gesehen, wie sie den Radfahrer umgenietet hat. Und sie will wissen, wie das passieren konnte. Ist doch verständlich, oder?»
«Und was ändert sich, wenn sie es weiß?», hielt Christa dagegen. «Davon wird der alte Mann auch nicht wieder lebendig. Das dumme Ding, hätte sie nicht besser ein paar Enten plattfahren können, wenn denn da welche gewesen sein sollten?» Christa zog es vor, Dinge, die man nicht ändern konnte, einfach auf sich beruhen zu lassen.
Das konnte Karen nicht. Und das war es nicht allein. Sie wollte von zu Hause weg, meinte oft, es keinen Tag länger zu ertragen. Jeden Morgen das Blut vor Augen und Lis Stimme im Ohr, überdröhnt von lauter Musik. «Ein romantisches Fleckchen in der Nähe von Kürten-Biesfeld. Hoffentlich setzt der Typ nicht zu sehr auf Romantik. Um vier will ich ihn los sein. Ich habe noch was anderes zu erledigen.»
Und jeden Morgen die Frage, warum sie den Radfahrer nicht gesehen und den Aufprall nicht gehört hatte. Aber Marko Stichler hatte es gesehen, hatte in seinem Kopf, was ihr fehlte.
In den ersten Monaten wollte er allerdings nichts mit ihr zu tun haben, wurde jedes Mal wütend, wenn sie bei seiner Stiefmutter saß und er sie zu Gesicht bekam. «Was will die schon wieder hier? Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst sie mir vom Leib halten?»
«Sie will doch nur eine Antwort», sagte seine Stiefmutter regelmäßig.
«Und warum fragt sie nicht ihren Bruder? In der Verhandlung wusste der doch alles ganz genau. Es wäre vielleicht interessant, zu erfahren, warum sie ihm nicht glaubt.»
Für Marko war sie nur die Schwester eines Mannes, den er nicht ausstehen konnte. Dass sie sich anderthalb Jahre nach dem Unfall noch mit Schuldgefühlen quälte, konnte er sich nicht vorstellen. Er unterstellte ihr, sie wolle nur Karriere machen. Seine Stiefmutter vermittelte junge Frauen und Männer als Models für kleine Versandhauskataloge und Werbeprospekte von Kaufhäusern. Er war Fotograf.
Als er sie mit seinem abweisenden Verhalten nicht los wurde, bot er ihr Aufnahmen an. Bademoden für den nächsten Frühjahrskatalog. Das war Anfang September 1992.Meist wurden solche Aufnahmen im Studio gemacht, aber er fuhr mit ihr in die Eifel, an einen kleinen See in der Nähe von Blankenheim. Während der Fahrt sprach er kein Wort. Dann nörgelte er herum, weil sie zu steif war, sich nicht bewegen konnte wie ein Model.
Schließlich wurde es ihr zu viel. Ehe er es verhindern konnte, lief sie ins Wasser und rief: «Komm her und ersäuf mich, das wolltest du doch vor zwei Jahren schon tun!»
Es war ein angenehm milder Tag, die Lufttemperatur lag noch bei vierundzwanzig Grad. Aber das Wasser war eisig kalt und auch gleich sehr tief, das hatte sie nicht erwartet. Sie strampelte in einem knappen Bikini herum und bekam kaum Luft. Marko stand ein paar Meter entfernt am Ufer, drückte unentwegt auf den Auslöser, während sie schrie: «Leg endlich die blöde Kamera weg und komm her, dann hast du deine Ruhe!»
«Erst die Arbeit, dann das Vergnügen», rief er zurück. «Stell dich hin, ich brauche den Bikini.»
«Hier kann man nicht stehen!», schrie sie. «Es ist zu tief.»
«Dann komm raus!», rief er ungeduldig. «Jetzt mach schon. Du siehst bereits aus wie eine Leiche. Komm raus da, sonst holst du dir wirklich noch den Tod.»
«Vielleicht will ich das!», schrie sie. «Nur damit du siehst, wie es ist, wenn man einen Menschen auf dem Gewissen hat.»
Er lachte. «Bildest du dir ein, ich würde eine dumme Gans auf mein Gewissen nehmen?»
Dann nahm er die Kamera herunter, drehte sich um, ging zu seinem Auto und rief: «Viel Spaß noch. Soll ich deinen Bruder verständigen, oder soll ich es der Polizei überlassen?»
«Du arroganter Mistkerl!», brüllte sie hinter ihm her.
Er stockte, kam zurück, bis dicht ans Wasser. «Wie hast du mich gerade genannt?», fragte er und klang so verwundert dabei.
«Arroganter Mistkerl», wiederholte sie. «Oder ist dir selbstherrlicher Arsch lieber? Das passt auch gut. Dir läuft die Gerechtigkeit am Hintern raus, andere nennen das Durchfall.»
Er lachte noch einmal. «Mutig», sagte er und nickte anerkennend. «Wirklich sehr mutig. Was denkst du? Dass du mich nur richtig provozieren musst, damit ich dir den Gefallen tue? Habt ihr keine Badewanne? Warum suchst du dir nicht ein schönes Plätzchen am Rhein? Es wird ja wohl andere Möglichkeiten geben, wenn du mit dir selbst nicht klarkommst.»
In dem Moment hasste sie ihn. Als sie aus dem Wasser stieg und er dabei unentwegt auf den Auslöser drückte, hasste sie ihn so sehr wie nie zuvor einen Menschen. Es war, als hätte er sie geschlagen mit seinem amüsierten Lachen.
Er hatte Handtücher im Auto. Zum Aufwärmen gab er ihr einen dick gefütterten Jogginganzug, der noch in der Verpackung war. Dann schaute er mit spöttischem Lächeln zu, wie sie den nassen Bikini auszog und in den Anzug schlüpfte. Er war ihr viel zu groß, aber er war warm. Und Marko sagte: «Leben ist doch schöner als sterben, oder?»
Sie weinte und zitterte noch am ganzen Leib, als er sie zurück nach Sindorf fuhr und seine Hoffnung ausdrückte, sie würde ihn nun endlich in Ruhe lassen.
Hätte sie vielleicht auch, wenn Norbert nicht so wütend geworden wäre. Er war im Hof damit beschäftigt, sein Wohnmobil zu beladen. Ihre Haare waren noch nass, die Lippen blau, die Augen rot geweint. Und Norbert wollte wissen, warum sie so verfroren und verheult aussah, einen viel zu großen Jogginganzug auf dem Leib und ihre Kleider unter dem Arm trug. Sie erzählte ihm nur, Marko habe Aufnahmen gemacht, und das Wasser sei so kalt gewesen.
«Aufnahmen?», tobte er. «Im Wasser? Was fällt dem ein? Der spinnt wohl. Guck mal in einen Katalog. Dem werde ich was erzählen.»
Er fuhr sofort nach Köln, traf Marko jedoch nicht an. Als er zwei Wochen später aus dem Urlaub zurückkam, probierte er es nochmal ohne Erfolg und regte sich weiter auf, bis Karlheinz Anfang Oktober zu Christas Geburtstag nach Hause kam.
Dann fuhr ihr Vater nach Köln, um Marko zur Rede zu stellen. Als Karlheinz hörte, wie es tatsächlich gewesen war, sah die Sache für ihn anders aus, für Marko auch. Er kam ein paar Tage später nach Sindorf und entschuldigte sich bei ihr in aller Form für sein garstiges Verhalten in den vergangenen sechs Monaten.
Karlheinz hatte ihm viel erzählt, auch gesagt, sie sei weder rücksichtslos noch karrieresüchtig, sie habe nur viel Pech gehabt. Zuerst der Austauschschüler – oder irgendein anderer, der ein fünfzehnjähriges Mädchen verführte und sich aus der Verantwortung stahl. Dann diese angeblich chinesische Freundin, die ihr ein heimliches Rendezvous im Bergischen Land schmackhaft machte, sie aber wahrscheinlich nur verarschte. Norbert sah es so.
Ihr Vater spielte damals mit dem Gedanken, sie zu sich zu nehmen und dafür zu sorgen, dass sie in therapeutische Behandlung kam, was Christa für überflüssig hielt. Ihr hatte der Arzt im Krankenhaus erklärt, es dauere eine Weile, eine traumatische Erfahrung zu verarbeiten. Eine Weile! Inzwischen waren es zwei Jahre, höchste Zeit, dass sie kompetente Hilfe bekam, fand Karlheinz. Bei Christa biss er mit seiner Ansicht auf Granit. Ihr war schon der Ausdruck Psychologe suspekt, nur eine andere Bezeichnung für Irrenarzt. Aber wenn er sie zu sich nähme, konnte Christa darüber denken, was sie wollte.
Es gab nur ein Problem, Karlheinz hatte keine Wohnung, weil seine Einsatzorte ständig wechselten. Früher hatte er in Hotels oder Pensionen gelebt. Nach der Scheidung hatte er sich auch ein Wohnmobil gekauft, das gleiche Modell wie Norbert. Es wäre durchaus Platz gewesen für zwei. Nur wollte er ihr so ein unstetes Leben nicht zumuten und zuerst eine Wohnung suchen.
Doch wie das bei Karlheinz so war, geschah erst einmal nichts. Und allmählich kamen Karen und Marko sich näher. Es war nicht so, dass sie sich in ihn verliebte. Aber rein äußerlich war er derselbe Typ wie Norbert, das machte ihn ihr vertraut. Vom Gesicht her gab es zwar keine große Ähnlichkeit, doch sie waren beide mittelgroß, schlank und dunkelhaarig, hatten beide ein schmales Gesicht, waren im selben Alter. Vielleicht hatte sie auch deshalb auf dem Kartoffelacker gedacht, da käme ihr Bruder auf sie zugestürzt.
Im Frühjahr 1993, als aus Karen und Marko Stichler ein Paar wurde, wenn auch keins im übliche Sinne, maß Thomas Scheib der Lücke 1990 noch keine besondere Bedeutung zu. Bei dem ohnehin großen Zeitabstand mochte der Täter einen Termin übersprungen haben, vielleicht gezwungenermaßen, er konnte in Haft gewesen sein, viele Triebtäter wurden schon früh auffällig. Oder er hatte im September 1990 ein Opfer gefunden, das niemand vermisste, irgendeine Randexistenz.
Im März sprach er zum ersten Mal mit Doktor Lukas Wagenbach über seine Vermutungen. Wagenbach war ein erfahrener Kriminalpsychologe, damals Ende vierzig. In Fachkreisen genoss er einen ausgezeichneten Ruf. Ermittler aus allen Regionen wandten sich an ihn, wenn sie bei einem Mordfall nicht weiter wussten.
Wagenbach hörte Scheib zu, winkte jedoch rasch ab. Vier Opfer? Aber nur eine Leiche und die auch noch aus Scheibs persönlicher Umgebung? Da sollte man mit Spekulationen vorsichtig sein. Dass ein Mörder alle zwei Jahre hunderte von Kilometern fuhr, um zu einem bestimmten Termin eine Frau zu töten und die Leiche so zu verstecken, dass sie nur durch einen großen Zufall – oder ein Rudel Wildschweine – wieder auftauchte, von solch einem Fall hatte Wagenbach noch nie gehört.
Das war für Scheib kein Argument. Wagenbach riet ihm in väterlich gönnerhaftem Ton, es einmal mit einem anderen Datum zu probieren, dem 21.März oder dem 18.Juli. Bei einigen tausend vermissten Personen bekäme er da auch rasch etliche Namen zusammen und würde wahrscheinlich auch ein paar Gemeinsamkeiten finden.
Scheib ließ sich nicht beeindrucken. Er wandte sich an die lokalen Polizeibehörden. Aber was hatte er in der Hand? Ein Datum, eine Stadt in Italien, eine Leiche und drei vermisste junge Frauen. Dass Angela Karpeling, Silvia Lenz und Marion Schneider im Ausland etwas zugestoßen sein könnte, zog er nicht in Betracht. Über Leichenfunde wäre das BKA durch Interpol informiert worden. Und Elisabeth Brandow war niemals bis Rom gekommen. Deshalb war er überzeugt, dass die drei anderen ebenfalls in der näheren Umgebung ihrer Wohnorte verscharrt worden waren.
Doch niemand war bereit, unzählige Hektar Wald absuchen zu lassen, nur weil ein junger BKA-Beamter eine Theorie hatte. Vielleicht hätte es um die Bereitschaft anders ausgesehen, wenn ein erfahrener Kriminalpsychologe solch eine Aktion befürwortet hätte. Aber daran dachte Wagenbach nicht im Traum, im Gegenteil, er mahnte, sich nicht in die Arbeit der örtlichen Polizeibehörden einzumischen.
Scheib ignorierte den Rat, bemühte sich auf eigene Faust, mehr über die drei Vermissten und ihre Kontakte zu erfahren. In Begleitung seiner Frau verbrachte er einige Wochenenden in Bielefeld, Stuttgart und Lübeck. Wenn Claudia dabei war, hatte es ein wenig den Anschein von Ausflügen eines jungen Ehepaares und ersparte ihm das schlechte Gewissen ihr gegenüber.
Der Polizei vor Ort blieben seine Aktivitäten nicht lange verborgen, weil die Angehörigen meist bei ihnen nachfragten, wenn er sie besucht hatte. Erfreut zeigte sich niemand von seinen Recherchen. Keiner wollte sich nachsagen lassen, er habe schlampig gearbeitet, etwas Wesentliches übersehen oder das Naheliegende nicht sehen wollen. Doch immerhin erklärten sich seine Bemühungen mit dem Posten in der zentralen Vermisstenstelle des BKA. Niemand fragte nach einer offiziellen Weisungsbefugnis. Es kam auch niemand auf den Gedanken, sich in Wiesbaden über ihn zu beschweren.
Er durchleuchtete gründlich die persönlichen Verhältnisse der drei Frauen, befragte Freunde, ehemalige Arbeitskollegen und Familienangehörige. Nach der langen Zeit erinnerte sich kaum noch jemand an etwas Konkretes, ein wichtiges Detail erfuhr er trotzdem: Zeitungen!
Angela Karpeling aus Bielefeld hatte sich 1986 nicht auf eine Annonce beworben, sondern selbst eine Kleinanzeige aufgegeben. «Reiselustige junge Frau sucht…» Bei den Sachen, die ihre Eltern aus ihrer Wohnung geholt und aufgehoben hatten, fand sich ein entsprechender Beleg. In Stuttgart stieß er auf einige Artikel der Volontärin Silvia Lenz aus dem Jahr 1988, die mit ihrem Namen gezeichnet waren.
Marion Schneider aus Lübeck hatte 1992 ebenfalls eine Kleinanzeige aufgegeben, daran erinnerte sich ihre Schwester. Sechs Wochen vor ihrer Abreise hatte Marion einen Käufer für ihr Auto gesucht, weil sie arbeitslos geworden war und den Wagen nicht mehr unterhalten konnte. Verkauft worden war das Fahrzeug an einen professionellen Händler. Aber es hatte mehrere Interessenten gegeben. Und mit einem hatte Marion sich am Telefon verabredet, das wusste ihre Schwester auch noch. Kurz darauf hatte sie dann begonnen, von dem tollen Job in Rom zu schwärmen.