Das letzte Rätsel - Kurt Haspel - E-Book

Das letzte Rätsel E-Book

Kurt Haspel

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Beschreibung

"Dann kam der Winter und der Schnee fiel auf eine hoffnungslos verwirrte Welt ..." Vitali (28) wird von unsichtbaren Feinden verfolgt, die seine liebgewonnene Welt bedrohen. Schnell muss er erkennen, dass ein skrupelloses Netzwerk aus Politik und Medien nicht davor zurückschreckt, eine todbringende Technologie gegen ihre eigenen Bürger einzusetzen. Doch wie funktioniert diese lautlose Waffe, die Ärzte gezielt anwenden, um freie Menschen zu willenlosen Werkzeugen ihrer Machtfantasien zu machen? Je mehr Vitali hinter diesen Vorhang aus Verschwörung und Verrat blickt, umso mehr muss er feststellen, dass es für ihn und seine Freunde nur mehr einen Ausweg gibt: Ihre Stimme zu erheben und gemeinsam gegen das System aufzustehen. Selbst wenn er dafür das Liebste aufs Spiel setzen muss, dass ihm noch geblieben ist ...

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für Maria

„Would you believe that yesterday!

A very old friend came by today

`Cause he was telling everyone in town

Of the love that he just found

This girl was in his arms and swore to him

She‘d be with him eternally...

Though he smiled, but the tears inside were a-burning

I wished him luck and then he said goodbye

He was gone but still his words kept returning

`Cause Maria was the name of his eternal flame...“

(after lyrics by Elvis Presley)

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 01

Kapitel 02

Kapitel 03

Kapitel 04

Kapitel 05

Kapitel 06

Kapitel 07

Kapitel 08

Kapitel 09

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

PROLOG

Dann kam der Winter und die düsteren Vorzeichen, die seit Wochen wie dunkle Schneewolken über der Stadt hingen, wurden zur traurigen Wirklichkeit.

Viele wollten es noch immer nicht wahrhaben, denn ihre Herzen waren unvorbereitet, und so nahm in dieser klirrend kalten Nacht das unausweichliche Schicksal seinen Lauf. Es legte sich dabei, einer dichten Schneedecke gleich, über eine hoffnungslos verwirrte Welt.

01

Während dicke Flocken schwer vom Himmel fielen, vergruben sich die Menschen in ihren schlecht beheizten Wohnungen unter dicken Wolldecken. Sie vertrieben sich die kalten Abendstunden mit dem Warten auf das Ende dieser sogenannten Demokratie und dem bangen Hoffen auf eine bessere Zeit, die womöglich nie mehr wiederkehren würde.

So erging es auch Vitali K. Er saß im einzigen beheizten Raum seiner geräumigen, aber desolaten Zweizimmerwohnung im Herzen der Stadt.

Vitali liebte seine Muttersprache. Noch mehr aber liebte er jedes einzelne Wort an ihr. Denn ohne diese Worte gäbe es keine Sprache und ohne Sprache gäbe es keine Poesie in seinem Leben.

Davon war Vitali zutiefst überzeugt, und zwar schon von Jugend an, als er begonnen hatte, Worte zu sammeln, um daraus Sätze zu bauen. Schöne Sätze, kurze und manchmal auch besonders lange. Wörter und Sätze, das war sein Leben und somit auch seine Leidenschaft.

Daran konnte auch dieses Regime nichts ändern, das man in seiner Heimat errichtet hatte und das sich höhnisch als Demokratie bezeichnete: als Neue Freie Demokratie.

Mit all den Jahren und all der Erfahrung war Vitali ein vollendeter Meister des Satzbaues geworden. So verbrachte er manch trübe Stunde und manch grauen Tag mit seinen schönen Wörtern und seinen geliebten Sätzen. Er brachte dadurch die Sonne ein wenig mehr zum Scheinen und des Nachts die Sterne ein wenig mehr zum Leuchten.

Seine Worte waren ihm Familie und Freunde, Ratgeber und Wegbegleiter. Alles in einem und vieles zugleich.

02

An diesem Morgen stand Vitali K. gedankenversunken im Vorraum seiner Wohnung und hielt eine kleine verzierte Holzschatulle in Händen. Für gewöhnlich bewahrte er dieses Kleinod in einem seiner Schränke auf. Heute aber hatte er sie wieder einmal hervorgeholt.

Behutsam öffnete er den Deckel und sah hinein. Die Innenseite war mit rotem Samt ausgekleidet. Darin lag, weich gebettet, ein wunderschönes Wort. Ein kurzes, aber dafür ganz und gar außergewöhnliches Wort. Während Vitali es betrachtete, spitzte er seine Lippen und auch sein Kehlkopf bewegte sich merklich. Er wollte einen Laut formen, doch es trat kein Ton hervor. Vitali versuchte es immer wieder, bis er letztlich entmutigt aufgab. Sein Bemühen war zwecklos.

Aber was sollte er tun? Nach so langer Zeit musste er sein Wort wieder einmal aussprechen. Er wollte es nicht nur betrachten, sondern auch hören und dabei den Klang seiner Stimme ganz innig fühlen. Den Klang seines größten Schatzes, seines wunderbaren Wortes.

Schnell warf sich Vitali seinen Wintermantel um und eilte auf die Straße hinunter. Er wollte jemanden fragen, ob er, oder auch sie, dieses einzigartige Wort nicht für ihn aussprechen würde. Nur ganz kurz, ein einziges Mal zumindest. Mehr wollte er gar nicht verlangen. Da draußen musste es jemanden geben, der ein solch wunderbares Wort auszusprechen vermochte. Er selbst konnte es anscheinend nicht mehr. Sein Verstand hatte es verlernt.

So trug Vitali sein Wort in der Schatulle durch die verschneiten Straßen der Stadt und zeigte es den Menschen, in der Hoffnung, einer von ihnen könnte ihm dabei helfen. Doch viele der Passanten, die Vitali ansprach, interessierten sich erst gar nicht für ihn und sein Wort. Die einen hatten schlichtweg keine Zeit, die anderen wollten gar nicht erst in seine verzierte Schatulle hineinsehen. Man wolle schließlich in nichts verwickelt werden. Noch dazu, in Zeiten wie diesen, ließ man ihn wissen.

Zu groß war die Angst vor Verfolgung und Folter durch die Schergen der Staatsbrigade.

Frauen mit Kindern hasteten an Vitali vorbei. Männer sahen einfach über ihn hinweg oder rempelten ihn sogar kräftig an. Ganz so, als wäre seine Schatulle eine Spendenbüchse der Letzten Demokraten, die in den Straßen immer wieder um mildtätige Gaben bettelten.

Diese Letzten Demokraten, die es da und dort noch zu geben schien. Sie wurden öffentlich als Verräter bezeichnet. Auf die gesamte Stadt verstreut suchten sie ihr Auslangen, indem sie Almosen nahmen, aßen, was sie in den Mülleimern der Hinterhöfe fanden und nachts auf kalten Parkbänken schliefen.

Mit solchen Subjekten wollte man, als angepasster Bürger der Neuen Freien Demokratie nichts zu schaffen haben. In Zeiten wie diesen war man entweder überzeugter Anhänger der NFD oder eben ein Niemand. Ein Verräter und ein ausgestoßener Herumtreiber.

Einige Straßen weiter betrachtete endlich einer der Passanten - ein Mann mittleren Alters - mit rundem, kahl geschorenem Kopf Vitalis Schatulle eingehend.

Er rückte dabei seine Lesebrille zurecht und schien förmlich in die kleine Holzbüchse einzutauchen, in der das Wort gebettet lag. Erst nach geraumer Zeit hob er wieder den Kopf, schob seine randlose Brille auf die glatte Stirn und sah Vitali K. mit enttäuschtem Blick an.

Es täte ihm so leid, er fände dieses Wort zwar wunderschön, geradezu allerliebst. Er könne es wohl lesen, aber bei bestem Willen nicht aussprechen. Dazu fehle ihm leider die Erinnerung. Die Erinnerung an jene Zeiten, als man solche Worte noch frei aussprechen durfte.

Vitali wusste, wovon dieser sympathische Mann sprach. Denn genau zu dieser Zeit begannen auch seine Probleme. Damals, als man, auf Regierungsbeschluss, alle privaten Radiogeräte abgeben musste und es strengstens verboten wurde, Worte - so wie dieses hier - laut auszusprechen. Selbst solche Worte auch nur in den Mund zu nehmen, war verpönt.

Wurde man dabei von der Staatsbrigade erwischt, drohte einem das Schlimmste, das man sich nur vorstellen konnte.

In jenen Tagen, so erinnerte sich Vitali, wurden auch viele seiner Freunde verschleppt. Meist spät nachts und unter Polizeigewalt. Radiosprecher und Autoren, aber auch bekannte Bühnenschauspieler und viele Lehrer waren unter den Verfolgten.

Schon die kleinste Andeutung reichte. Eine verräterische Geste da, ein unsicherer Blick dort. Wenn dann auch noch dubiose Gestalten bei einem ein und aus gingen, die ein argwöhnischer Nachbar in dein Haus kommen und erst spät nachts wieder hinausgehen sah, konnte dies bereits für eine Anklage ausreichen. Denn sobald die Staatsbrigade auf einen suspekten Bürger der Neuen Freien Demokratie aufmerksam wurde, war dessen Schicksal besiegelt.

Trotz all dieser Umstände organisierten sich die Letzten Demokraten in Gruppen und schlagkräftigen Zellen. Sie trafen sich heimlich. In Privatwohnungen oder in den angrenzenden Fluss-Auen, um dort gemeinsam Wörter zu sprechen. Besonders Mutige unter ihnen schlossen sich zusammen und veranstalteten in den Parkanlagen und auf öffentlichen Plätzen der Stadt spontane Aktionen, wie etwa das „koordinierte Laut-Sprechen“.

Dabei ertönten Trillerpfeifen, man verteilte Flugblätter und artikulierte lauthals verbotene Wörter, die noch aus der letzten uns bekannten Demokratie stammten.

Zu solchen Aktionen fehlte Vitali K. freilich der Mut, obwohl auch er ein überzeugter Demokrat war. Anfangs half er noch dabei, Flugblätter zu verteilen. Später aber ging er immer seltener hinaus auf die Straße, wenn solche Aktionen anstanden. Zu groß war seine Angst, es könne ihn jemand dabei erkennen und an die Staatsbrigade verraten.

Erst spät abends, alleine in seiner Wohnung, wo ihn keiner hören konnte, sang sich Vitali K. mit verbotenen Worten leise in den Schlaf. Doch mit der Zeit war er auch davon abgekommen, und so hatte er mit den Jahren vergessen und verdrängt, wie man diese Worte richtig ausspricht.

03

An diesem Sonntag ging Vitali K. über die meist menschenleeren Bürgersteige der verschneiten Innenstadt. Da sah er plötzlich dieses Gebäude in der Rundfunkstraße. Zuerst war ihm eigentlich nur dieses bunt schillernde Ding aufgefallen. Dieses überdimensionale menschliche Ohr, das direkt vor dem grauen Gebäude auf einem Sockel auf dem Bürgersteig stand. Das ultimative Sinnesorgan über und über bedeckt mit bunt leuchtenden Mosaiksteinchen. Am liebsten hätte Vitali K. über die vielen kleinen Fliesenstücke gestrichen, um dabei jede Form, jede Wölbung ganz intensiv auf seiner Handfläche zu spüren, so angetan war er. Behutsam befreite er nun die unzähligen Rundungen vom darauf liegengebliebenen Schnee.

Dann blickte er an der Fassade des Gebäudes empor. Sein Blick blieb an dem Schild über dem Haupteingang hängen. „Öffentliches Rundfunkhaus“, las er mit halblauter Stimme.

Hier würde er Hilfe finden. Voll Zuversicht betrat Vitali das Gebäude durch die massive Eisentüre, die schwer quietschend in den Angeln ächzte, als er sich mit aller Kraft dagegenstemmte.

Stille, endlose Gänge und menschenleere Treppenhäuser lagen nun vor ihm. Kein Geräusch, kein menschlicher Laut war zu vernehmen. Alles wirkte verlassen und geradezu surreal.

Doch da. Was war das? Waren da nicht eben menschliche Stimmen zu hören? Von irgendwo da oben drangen ganz deutliche Laute durch die menschenleeren Gänge. Noch einmal und danach gleich wieder. Es gab also doch noch Menschen, die sich in diesem Gebäude aufhielten.Womöglich sogar eine Gruppe von Freien Demokraten, dachte Vitali.

Mit einem Mal war er von Freude erfüllt. Zielstrebig eilte er in Richtung der Geräuschquelle.